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"Mohammed" oder "der Prophet"?

Wie soll ich anfangen, ohne gleich ins Fettnäpfchen zu treten?

 Mit einer Geschichte natürlich! Vor dreißig Jahren saß ich mit Kamal in einem Münchner Café. „Weißt du eigentlich, dass das Alte Testament die Ankunft des Propheten vorraussagt?“ sagte er mir.

 „Das glaube ich nicht“, antwortete ich.

 „Doch“, und nun zeigte er mir ein Zitat – ich habe leider vergessen, wo das im Alten Testament war – , in dem der hebräische Wortstamm „hamad“ zu lesen ist. Diese Vokabel bedeutet in der biblischen Sprache „begehren“, „Gefallen finden“ und als Partizip „Liebling“.

 Sie müssen wissen: Hebräisch und Arabisch sind beinahe so eng verwandt wie das Schwäbische und das Bayrische – ich übertreibe ein bisschen. Sie haben jedenfalls viele Wortstämme gemeinsam, und auch grammatisch haben sie viele Ähnlichkeiten. Nur: Manche Wortstämme haben in diesen beiden Sprachen unterschiedliche Bedeutungen. Das kennt man auch, wenn man deutsche und englische Wörter vergleicht. Das deutsche „Tier“ ist, z.B., mit dem englischen „deer“ verwandt. Im Englischen ist „deer“ aber kein pauschaler Begriff, es bezeichnet eine einzige Tierart, nämlich das Reh.

  Das arabische Verb „hamida“, auch wenn es mit dem hebräischen „hamad“ fast identisch ist, hat den Sinn „loben“. „Mohammed“ auf Arabisch bedeutet, genau genommen, „der Gepriesene“.

 So weit so gut. Doch oben war von einem „Fettnäpfchen“ die Rede. Eigentlich habe ich nicht vor, in eins zu treten. Dennoch scheint mir, dass man heute kaum mehr in der Lage ist, ein Thema im Bereich des Islam anzusprechen, ohne gleich an eins zu denken.

 Das war eindeutig nicht der Fall, als Kamal und ich vor dreißig Jahren über das Vorkommen des Namens „Mohammed“ im Alten Testament diskutierten. Wir hatten beide unsere Meinung, und, wie man auf Englisch sagt: „We agreed to disagree.“

 Ich bin überzeugt, dass Kamal und ich dieses Thema auch heute unter gleichen Voraussetzungen problemlos aufgreifen könnten. Schließlich ist Religion ja Glaubenssache.

 Und nun komme ich zu meiner Frage: „Mohammed“ oder „der Prophet“? Ich stelle diese Frage, weil ich in den letzten Jahren Merkwürdiges konstatiere: Manche Journalisten – vor allem in der angelsächsischen Presse doch gelegentlich auch in der deutschsprachigen – scheinen Probleme mit dem Unterschied zu haben. Muslime schreiben auch in einem säkularen Text gerne „der Prophet“, wenn sie ihren Religionsstifter thematisieren. Das ist verständlich, so wie wenn ein gläubiger Christ in einem sonst säkularen Text vom „Heiland“ erzählt.

 Wenn aber Nichtmuslime in ihrem Texten „der Prophet“ anstatt „Mohammed“, bzw., „der islamische Prophet Mohammed“ schreiben, wittere ich seitens des Autors eine tiefe Verunsicherung – als hätte er Angst, muslimische Leser zu kränken oder sich sonst in Gefahr zu begeben.

 Trotzdem bin ich überzeugt, dass man als Nichtmuslim keinen Fehler begeht, wenn man , Mohammed in einem Text als „Mohammed“ und nicht als „der Prophet“ figurieren lässt. Dass ich diese Sache zu einem Thema gemacht habe, zeigt, wie sehr sich eine unterschwellige Nervosität ausgebreitet hat. Heutzutage fühlen sich manche Muslime misverstanden; manche Nichtmuslime sehen Dschihadisten hingegen hinter jedem Baum.

 Normalität ist mir lieber.

Nein, Kamal, du hast mich immer noch nicht überzeugt, dass der Name Mohammed im Alten Testament zu finden ist. Wie geht’s der Familie?

Neusprech in China?

Für den Fall, dass Sie noch nichts über Ma Cheng erfahren haben, hier die Geschichte, die ich am Dienstag in der International Herald Tribune gelesen habe.

 Ma Cheng ist 26 Jahre alt und lebt in Peking. Vor einem Jahr erfuhr sie vom Amt für die Öffentliche Sicherheit (etwa Kreisverwaltungsreferat), dass ihr Vorname, Cheng, nicht länger zulässig ist. Der Grund: Er sei zu obskur. Es handelt sich in der Tat um einen exotischen Namen. Fürs chinesische Ohr klingt „Cheng“, so nehme ich jedenfalls an, wie „Ludger“ oder „Norwin“ oder „Sverre“ – einfach ungewöhnlich.

 Ihr Nachname „Ma“ hingegen gilt in China als Alltagsname. Laut der IHT tragen etwa 17 Millionen Chinesen diesen Familiennamen, der übrigens „Pferd“ bedeutet. Längst hat er Rang 13 der beliebtesten Nachnamen des Landes erobert. Wohl klingt Ma Cheng für einen Chinesen wie Femke Huber, was allerdings in Deutschland kein Problem fürs KVR wäre. Bei uns werden Wörter, bzw., Namen buchstabiert. Jeder kann einen Namen wie „Crisula“ oder „Femke“ lesen, auch, wenn er ihm noch nie begegnet war.

 Im Chinesischen ist die Sache freilich ganz anders. Jedes Wort dieser Sprache wird durch Bildzeichen dargestellt. Wenn ein Wort, bzw., ein Name, obskur ist, kann man davon ausgehen, dass die meisten Menschen das entsprechende Bildzeichen – in diesem Fall „Cheng“ – nicht wiedererkennen werden.

 Die Gesamtzahl chinesischer Bildzeichen liegt bei ca. 55.000. Das Amt für die Öffentliche Sicherheit hat auf seinen Rechnern aber lediglich 32.252 gespeichert. „Cheng“, das Wort bedeutet übrigens „galoppierende Hengste“ steht nicht darunter. Das Amt wolle keine Sonderanfertigungen mehr zulassen, heißt es. Cheng ade.

 Wobei Chengs Großvater den Namen für seine Enkelin extra ausgesucht hat, damit sie nicht zu den Null-acht-fünfzehnen der „Ma“-Menschen zählen müsste. Er wollte ihr eine gewisse Individualität gewährleisten, was in China ohnehin kein Vorteil ist. Der Nagel, der hervorsticht, wird niedergeklopft, heißt es im Land der Mitte.

 Nebenbei: „Null-acht-fünfzehn“ ist der Name eines Maschinengewehrs, das im Jahr 1908 (Null-acht) produziert wurde und während des Ersten Weltkriegs, genauer gesagt 1915 (fünfzehn) mit ein paar Veränderungen an die Truppen ausgegeben wurde. Wer das 0815 bekam, war im Besitz der allgemein gültigen Waffe.

 Doch zurück zu Ma Cheng. Ihre Geschichte hat mich nachdenklich gemacht. Umso mehr als ich im Artikel erfuhr, dass die chinesische Regierung seit 2003 bemüht ist, die bereits existierende Zahl der Schriftzeichen um einiges zu reduzieren. Notabene: Im tagtäglichen Leben sind ca. 3.500 im Gebrauch.

 Obskure Zeichen werden also als erste ausgemustert. Kann es sein, so habe ich gedacht, dass mit dem Ausscheiden „obskurer“ Bildzeichen vielleicht auch „obskure“ Ideen ausgemustert werden? Immerhin: Fehlt das Zeichen, so geht auch der Begriff, der vom Zeichen dargestellt wird, zeitgleich verloren. George Orwells „Neusprech“, die Sprache des Totalitarismus, wird auf gerade diesem Prinzip gebaut. Ziel des Neusprechs ist es, unliebsame Ideen aus dem Wörterbuch und den Printmedien zu verbannen, bis man ganz vergessen hat, dass sie jemals existiert hatten.

 Doch auch wenn es das Neusprech in Europa gäbe, könnte jeder dennoch jederzeit die verschollenen Wörter zumindest lesen, falls er auf sie stoßen würde. Denn unsere Wörter werden phonetisch, also alphabetisch, geschrieben.

 Im Chinesischen ist die Sache schwieriger. Ist das Schriftzeichen nicht zu entziffern, weißt man nicht, wie das Wort klingt Fazit: Die chinesische Bilderschrift wäre geradezu ideal für die Realisierung des Neusprechs. Trotzdem bezweifele ich, dass es jemals dazu kommen wird, kann. Auch nicht in China. Keine Sprache ist ganz steuerbar. Denn eine Sprache ist stets das Produkt des kollektiven Willens. Nicht einmal das Amt für die Öffentliche Sicherheit kann diesen brüllenden Tiger namens Sprache ganz bändigen. Es lebe Ma Cheng. Gambej!

Siezen auf amerikanischer Art – ein grausames Beispiel (und etwas Dante hinzu)

Womöglich kennen Sie die Geschichte von Joao Correa längst. Ich werde sie hier trotzdem aufwärmen, wenn auch nur eines einzigen Wortes wegen .

 Herr Correa war am 28. März in einer Delta-Maschine von Honduras nach Atlanta, US-Bundesstaat Georgia, unterwegs. Einer Associated-Press-Meldung zufolge erlitt er ca. dreißig Minuten nach Abflug einen „bathroom emergency“ – wörtlich einen „Badezimmernotfall“, will sagen, er musste dringend auf die Toilette.

 Leider blockierte ein Getränkewagen den einzigen Gang der schmalen 737-Maschine und hinderte ihn daran, das WC, das sich im hinteren Teil des Flugzeugs befand, zu erreichen. Herr Correa fasste eine schnelle Entscheidung und eilte in Richtung Business-Class-WC.

 Jetzt tauchte aber ein neues Hindernis auf. Eine Stewardess stellte sich eisern vor die Klo-Türe und erklärte ihm in engmaschigem Vorschriftsenglisch, dass das Business-Class-WC ausschließlich für Business-Class-Passagiere reserviert sei. Die Dringlichkeit seiner Bedürfnisse konnte ihr Herz offenbar nicht weichen.

 Ab diesem Augenblick gehen die Bekundungen auseinander. Herr Correa beteuerte, er habe das Gleichgewicht plötzlich verloren und sich instinktiv an der Stewardess festgehalten, um sich zu stabilisieren. Die Stewardess behauptete indes, dass er sie tätlich angegriffen habe. Wie dem auch sei. Er wurde in Atlanta verhaftet und wird wegen seines vermeintlichen Angriffs gerichtlich belangt.

 Eine Schauergeschichte ganz sicher. Denn jeder weiß, wie es ist, wenn einem plötzlich ein Badezimmernotfall übermannt. Man hätte in diesem Fall eigentlich mit etwas Kulanz gerechnet.

 Mich interessiert diese Geschichte, wie schon angedeutet, wegen eines einzigen Worts. Sie werden es im obigen Text allerdings nicht finden. Ich habe es nämlich in einem Kommentar des Journalisten Roger Cohen in der „International Herald Tribune“ (16. April) gefunden, einer Art Meditation über diese absurde Gegebenheit. Cohen hat sich das Gespräch zwischen Herrn Correa und der Stewardess am Wägelchen vorgestellt. „Sie müssen leider warten, Sir“, sagt die Flugbegleiterin, „wir sind dabei, die Getränke und die Erdnusstütchen auszutragen.“

 Ich blieb am Wort „Sir“ hängen – eigentlich eine altfranzösische Höflichkeitsfloskel, „Sieur“, die man früher als Anrede für Adlige verwendete. Es wird vom lateinischen „senior“, „der Ältere“ abgeleitet, das wiederum Urvater des „signore“ und des „señor“ usw. ist. Nebenbei: Wer auf Französisch mit Gott parliert, spricht ihn mit „Sieur“ an. Das heutige französische „monsieur“ stand sicherlich Pate fürs deutsche „Mein Herr“ und das holländische „mijnheer“.

 Auch in der heutigen amerikanischen (und englischen) Sprache verwendet man „sir“, wenn man jemandem besonderen Respekt zollen will. Doch diese knappe Vokabel hat im Englischen noch eine zweite Funktion: Sie soll Distanz schaffen. Mit anderen Worten: Sie bezeichnet ein englisches Siezen. Wenn Sie jemand mit „sir“ (oder „madam“ bzw. „ma’am“) anspricht, können Sie davon ausgehen, dass man Sie gesiezt hat.

 Für den Deutsch Sprechenden ist dieses Wissen hilfreich. Man wird überall in Amerika (und zusehends auch in England) von fremden Menschen mit Vornamen angesprochen. Das klingt auf Anhieb so locker und freundlich, bedeutet aber letztendlich nichts Intimes. Mitten in einem Satz kann es vorkommen, dass derjenige, der Sie gerade „Jörg“ oder „Karin“ genannt hat, auf „Sir“ oder „Madam“ umschaltet.

 Nur ein freundlicher Wink mit dem Zaunpfahl und mit besten Empfehlungen des Sprachbloggeurs. Denn wer weiß, vielleicht werden auch Sie mal im Flugzeug unter einem plötzlich auftretenden Badezimmernotfall leiden. Wenn die Stewardess Ihnen mit „Sir“ oder „Madam“ den Weg zum Business-Class-Klo blockiert, dann wissen Sie, was es bedeutet, in der Hölle zu sein. Am Tor des finsteren Reich der Qualen steht Dante zufolge: „Wer hier eintritt, lasse alle Hoffnung hinter sich.“

Es spricht die Galle

Die Leber hat es gut – zumindest sprachlich. Wenn sich einer ärgert, fragen seine Mitmenschen, ob ihm eine Laus über die Leber gelaufen ist. Man stellt sich vor, wie so ein kleines Viech über die braunroten Lappen krabbelt und den Betroffenen dabei so quält, dass der Gepeinigte besonders ungehalten wirkt. Man möchte glauben, dass es Leberläuse wirklich gibt.

 Die Galle hat es weniger gut. Nur laue Redewendungen herrschen im Bezug auf dieses Organ vor. Etwa: „Ihm kommt die Galle hoch“, oder „die Galle läuft ihm über.“ Man sagt „Galle“ und meint „Zorn“, „Ärger“.

 Nur über Gallensteine versteht die deutsche Sprache ein bisschen Spaß. „Seine Gallensteine klappern“, sagt man über einen besonders Grießgrämigen. Haha.

 Immerhin hat Julius Cäsar über die Galle gesagt, sie habe drei Teile. Nein, nur ein schlechter Witz. Das war nicht die Galle, das war Gallien, die Heimat der Gallier. Jeder Schriftsteller macht gerne schlechte Witze. Es ist eine Art Mutprobe.

 Im Deutschen wird „Galle“ als eine negative Eigenschaft ausgelegt. Das englische „gall“ (sprich „gol“) – mit „Galle“ etymologisch eng verwandt – wird indes auch positiv bewertet. „What gall!“, sagt man, wenn einer sich etwas besonders Dreistes leistet. Der Hauch Bewunderung ist nicht zu überhören.

 Das Englische verfügt über zwei Wörter für „Galle“. Neben dem germanischen „gall“, steht das französische „bile“ (sprich „beil“) zur Wahl. Letzteres verwendet man, um auf den bitteren Geschmack des Gallensafts hinzuweisen. Oder man benutzt es im übertragenen Sinn. Beschreibt man eine Person, als „bilious“, dann will man damit sagen, dass sie „verbittert“, „verärgert“ ist, dass ihr quasi eine Laus über die Leber gelaufen ist. Kein bisschen Bewunderung ist hier herauszuhören. „Voll Galle“ ist der „bilious“ Mensch.

 Ich komme auf dieses bittere Thema nicht von ungefähr zu sprechen. Fakt ist: Meine Gallenblase wird seit langem von vielen Läusen heimgesucht. Genauer gesagt, sie ist, so behaupten die Ärzte, mit „Gries“ oder „Sand“ gefüllt – das sind Ministeine. „Sludge“, englisch für dickflüssigen Schlamm, heißt es bei den Medizinern.

 Ich erzähle Ihnen davon, weil ich, wie viele Schriftsteller, ein Selbstdarsteller bin. Wir treten in die Öffentlichkeit, um unsere schmutzige Wäsche, Ideen und sonstige vergrieste Vorstellungen berufsmäßig zur Schau zu stellen.

 Doch bevor ich zu sehr zu einem hartgesottenen Gallenpatron werde, gehe ich lieber in „Gallensteins Lager“, um mich von meinem verärgerten Organ zu trennen. Ich habe lange mit der Entscheidung gekämpft. Erwarten Sie am Freitag also keine Glosse vom genesenden Schriftsteller.

 Ich bin sehr erfahren im Reich der Tapferkeit. Das heißt: Ich schiebe die Sachen vor mir her, so lange das geht. Das habe ich auch mit meinem letzten Weisheitszahn getan. Auch er ist nun weg.

 Nun stehe ich völlig ohne Weisheit da. Vielleicht wird mich auch die Zankfertigkeit bald verlassen. Dann werde ich zu jenem Menschenschlag zählen, von dem man sagt, „Er hat keine Galle im Leib“.

Jugendsprache? Meinung eines Skeptikers

Schon wieder die Jugendsprache, nachdem ich sie vor wenigen Tagen thematisiert habe.

 Warum heute wieder?

 Weil mich ein lieber Freund auf einen Text in der „Welt-Online“ (7. April)  aufmerksam gemacht hat. Der Titel: „Wie sich der Duden bei der Jugend einschleimt“.

 In diesem schön geschriebenen Artikel behauptet Autor Hendrik Werner, dass der Langenscheidt-Verlag und der Duden-Verlag um die Gunst der Jugend buhlen. Letztes Jahr habe Langenscheidt sogar einen Wettbewerb, „Jugendwort des Jahres“ gesponsert. 25.000 Jugendliche haben dem Verlag ihre Lieblingswörter aus der Jugendsprache eingeschickt in der Hoffnung, das eigene Wort könnte zum schönsten gekürt werden. Viele lustige Begriffe waren offenbar dabei: „Gammelfleischparty“ (Eine Party für Menschen ab dreißig), „Stockente“ (einer, der ganz verbissen „Nordic Walking“ praktiziert). Im Artikel erfuhr man leider nicht, welche pfiffige Vokabel gesiegt hat. Ich war zu faul, um nachzuschlagen.

 Auch der Duden-Verlag, so Herr Werner, wolle die Jugend mit einem „Wörterbuch der Szenensprachen“ umgarnen. Auch er gebe Jugendlichen Gelegenheit, ihre allerliebsten Redewendungen einzuschicken. Inzwischen sei einiges zusammengekommen. Zum Beispiel: „Fratzengeballer“, d.h., ein gewaltverherrlichendes Computerspiel, „Dreckberry“ für „Blackberry“, „Mopfer“, also Mobbingopfer.

 Nebenbei: Pons hat vor einigen Jahren ein „Wörterbuch der Jugendsprache“ veröffentlicht. Auf dem Cover heißt es unverblümt: „Unzensiert! Von Jugendlichen für Jugendliche“. In diesem Bändchen findet man „Hülsenfrucht“ (Bierdose), „Terrorkrümel“ (Nervensäge), „Murmelschuppen“ (Kirche) und und und.

 Wie schon gesagt, meint Herr Werner, die Verlage wollten sich bei den Jugendlichen einschleimen. Vielleicht hat er recht. Oder vielleicht sind es die fleißigen Marketingleute, wie immer an allen Fronten tätig, die nach neuen Märkten suchen. Ich weiß es nicht und möchte nicht darüber spekulieren. Ich frage mich vielmehr, ob es überhaupt möglich ist, aus der Jugendsprache ein ganzes Lexikon, bestehend aus tausenden bunten Redewendungen und Neologismen, zu machen. Ich behaupte: nein.

 Auch ich war mal Jugendlicher, wenn dies auch viele Jahre zurückliegt, und ich beherrschte den damaligen Jugendslang mit Bravour. Wenn ich darüber nachdenke, fällt mir aber auf, dass unsere Geheimsprache ganz spärlich eingerichtet war. Sie bestand aus schätzungsweise einhundert Wörtern, die wir ständig einsetzten. Diese kreisten hauptsächlich um das Wichtigste: Sex, Alkohol, Drogen, Essen, Mobilität (d.h., „kommen“, „gehen“), Lob und Tadel. Ich wage zu sagen, dass die Situation der heutigen Jugend kaum anders sein dürfte. „Assi“, „checken“, „schlonzen“, „chillen“ und sicherlich noch siebzig oder achtzig Begriffe werden unentwegt gebraucht – allerdings mit regionalen Unterschieden. Es handelt sich, so meine ich, um einen reduzierten Wortschatz, viel zu wenig Begriffe, um daraus ein Wörterbuch zu machen.

 Ich fragte meinen Sohn, ob er bunte Ausdrücke wie „Hülsenfrüchte“, „Stockente“, „Arschfax“ usw. verwendet. In seinem Kreis seien sie nicht geläufig, gab er zu. „Wir reden aber eine bayerische Jugendsprache.“ Seine Beispiele aus dem Bayerischen überzeugten mich aber auch nicht. Es war die handelsübliche bayerische Umgangssprache: „Ische“ (Frau), „schiach“ (schlecht), „gema“ usw. Ich hätte diese Wörter selbst benutzen dürfen.

 Meine Theorie: Die schönsten Wörter der Jugendsprache sind kaum mehr als ironisierende Eintagsfliegen, die nur lokal verwendet werden – wenn überhaupt. Manche werden vielleicht von Sprachgenies erfunden, um Duden, Langenscheidt und Co. übers Ohr zu hauen. Wörterbücher mit solchen putzigen Blüten zu füllen, macht vielleicht Spaß, hilft einem Touristen im Jugendmilieu wenig, wenn er auf seine Kosten kommen will.

 „Checkst du, Mann?“

 „Dick, du Penner, was göbelst du daher?“

Der Sprachbloggeur atzt ab

An der Zeit, mich wieder heftig zu blamieren.

 „Hast du ein paar neue Wörter für mich?“ frage ich meinen Sohn.

 Er schaut mich mit der üblichen Ungeduld an, hält kurz inne und antwortet. O Freude! Mit einer Antwort habe ich gar nicht gerechnet. „Ja, was man in letzter Zeit oft sagt, ist ‚abatzen’.“

 „Und was bedeutet ‚abatzen’?“ Es folgt ein fassungsloser Blick. „Das ist eben das Problem. Ich kann es dir nicht erklären. Man kann diese Wörter ja gar nicht erklären.“

 „Warum nicht? Wenn du ein Wort verwendest, dann musst du wissen, was es bedeutet.“

 „Abatzen…es ist mit ‚Atze’ verwandt. Du bist der große Atzenexpert.“

 Er bezieht sich auf meine Glosse über die Atzen, die mittlerweile über 45.000 mal angeklickt wurde – was mich übrigens sehr überrascht hat. „Kannst du mir wenigstens einen Beispielsatz sagen?“

 „Ja, man sagt es, wenn man nichts tut.“

 „Es bedeutet also ‚herumlungern’?“

 „Irgendwie sowas.“ „Kann man, zum Beispiel, sagen ‚die atzen den ganzen Tag ab’?“

 „Meinetwegen. Es klingt aber sehr komisch, wenn du es benutzt. Man ist halt voll am Abatzen. Mehr kann ich nicht dazu sagen.“

 „Hast du noch andere neue Wörter?“

 „Nein.“

 Ende des Gesprächs, aber nur halb so schlimm, und ehrlich gesagt, bin ich nicht überzeugt, dass ich das Wort auch nur annähernd verstanden habe. Eine anschließende Google-Suche ergibt bescheidene 380 Treffer, wovon die meisten wohl so gut wie nichts mit „voll am Abatzen“ zu tun haben. Sie beziehen sich vielmehr auf ein falsch buchstabiertes „abätzen“. Nur bei einer (mir) obskuren Seite, ILST XIII, entdeckte ich den Fetzen eines „Chats“ vom Dezember 2007 – uralt also. Olaf F. schreibt: „lieber Islt13 Ihr müsst mehr feiern gehen!! Was soll der scheiss? wer hat diese ****** Homepage programmiert? Kein Logo, kein Motto,Risotto,spielt lieber Lotto!!! wer lernt, kann durchfallen. wer nicht lernt ist schon durchgefallen!“ Dido antwortet: „ich stehe auch auf abatzen! wollen wir uns vielleicht mal treffen? und dann zusammen abatzen!? würd mich freuen! wollte schon immer mal mit so einem wie dir abatzen! deine dido“

 Vielversprechend klingt das Angebot, ist wahrscheinlich absolut harmlos.

 Wie dem auch sei. Bin ich heute auf ein nagelneues Wort aus der Jugendsprachefabrik gestoßen? Wenn ja, dann habe ich dessen Sinn noch kaum verstanden. Aber vielleicht hat mein Sohn doch recht. Manche Wörter sagt man, ohne sie erklären zu können, zu müssen. Dabei sein ist wohl alles. An dieser Stelle atze ich selbst ab.

"Conficker": zweiter Tag danach

Zuerst eine gute Nachricht: Der Name dieses üblen Computerwurms, „Conficker“, von dem man sagte, er würde sich am 1. April weltweit abermillione Computer bemächtigen, könnte aus dem Deutschen oder zumindest dem Germlischen stammen. Noch ist die deutsche Sprache also nicht verloren.

„Conficker“ ist eine Hybride, eine Mischung aus dem englischen „configure“ (wie in „konfigurieren“) und „ficken“. Millionen von Rechnern sollten also „konfickuriert“ werden. Da der Geschlechtsakt hier im negativen Sinn verwendet wird, was im Englischen üblicher ist als im Deutschen, frage ich mich, ob der Wortschmied Deutscher oder Amerikaner war. Egal.

Noch eine gute Nachricht: Am zweiten Tag nach dem mit Bange erwarteten Hackerangriff am ersten April geht die Cyberluft allmählich aus dem „Conficker“. Die Chose scheint etwas zu sehr von den Medien aufgeblasen gewesen zu sein. Aber he! Das Anzeigengeschäft läuft miserabel, und schließlich haben wir Weltwirtschaftskrise. Im Nachhinein scheint der „Conficker“ nur ein handelsüblicher Cyberwurm zu sein. Das heißt: destruktiv aber keinen Deut wichtiger als viele Mitwürmer, die es in der bewegten Geschichte des WehWehWeh gegeben hat.

Immerhin haben wir wieder ein neues Wort gelernt. Staunen Sie nicht - wie ich - über die Fülle der Begriffe, die uns die Informationsrevolution beschert hat? Wer hätte vor drei Jahren denken können, dass er im Jahr 2009 Wörter wie „Bot“, „Trojaner“, „Malware“, „Zombies“ oder „Troller“ in den Mund nehmen würde? Vor fünfzehn Jahren waren viele Menschen noch nicht in der Lage zwischen einem „Byte“ und einem „Bit“ zu unterscheiden. Dann kamen die „Kilobytes“, „Megabytes“, „Gigabytes“, „Terabytes“ etc. Gewitzte Hacker und Informatiker sind ständig mit der Erschaffung neuer Begriffe beschäftigt. Diese flutschen mühelos in die Sprache, denn man braucht sie, um die neue Welt zu beschreiben.

Aber nun die schlechte Nachricht: Auch wenn sich herausstellen sollte, dass der „Conficker“ lediglich ein ganz langweiliger Wurm war, ist die Gefahr eines Cyberüberfalls doch nicht gebannt. Die nächste Attacke kommt  bestimmt. Denn die Würmer und Trojaner werden kaum mehr aus Jux und Tollerei ins Netz geschleudert. Es gibt tatsächlich Menschen, die gerne Ihre Kontonummer, Passwörter usw. erfahren möchten, um Sie zu beklauen.

Es muss aber nicht nur die Kontonummer sein, wonach der Cyberdieb lechzt. Am Montag habe ich in der International Herald Tribune gelesen, dass spionierende Computer aus China letztes Jahr Millionenen von Rechnern in 103 Ländern geknackt haben, um Auskunft über den Erzfeind den Dalai Lama zu sammeln. Manche vermuten, die chinesische Regierung könnte dahinterstecken. Bewiesen wurde bisher nichts. Die Aktion sei aber derart umfangreich gewesen, so John Markoff, Autor des Artikels, dass man sie nicht als „phishing“ bezeichnete, sondern „whaling“. Die chinesischen Rechner jagten also nach Moby Dick. Die raffinierte „Malware“ der chinesischen Hacker seien aber in der Lage, auch Webcams und Mikrofone fernzusteuern, um Stimmen und Bilder aufzunehmen. Hier geht es freilich um ein Musterbeispiel, wie das Internet von Paranoikern missbraucht werden kann, was uns einen Vorgeschmack liefert, wie der Computer eines Tages zum „Großen Bruder“ werden könnte. Dagegen sind die Bemühungen der Cyberkriminellen nur ein böser Bubenstreich.

Immerhin: Die deutsche Sprache lebt noch, und den „Conficker“-Wurm wird man neben den „Millenium-Bug“, „Y2K“, zur Ruhe legen können. Der Weg in die elektronische Kommunikation ist nunmal sehr holprig. Aber nicht ganz verzagen: Auch die Eisenbahn wurde Jahrzehnte lang von Banditen überfallen. Und bedenken Sie: Die Autobahn hat Hitler um viele Jahre überdauert.

Schon wieder Sex

Warnung: Es folgt eine Sexgeschichte. Falls Sie daran Anstoß nehmen könnten, lesen Sie bitte nicht weiter.

Es geht los: Ein junger Mann, Sohn eines Grammatiklehrers, lernt ein bildhübsches Mädchen kennen und verliebt sich auf der Stelle. Auch seiner Familie soll seine neue Flamme vorgestellt werden.

Endlich kommt der große Abend. Der junge Mann betritt mit seiner Angebeteten das Elternhaus, beide strahlen wie Himmelskörper.

„Das ist also dein neues Mädchen“, sagt der Vater.

„Ja“, antwortet der Sohn. „Und wie heißt es?“

Stopp. Der Autor kann leider nicht weiter, und das Mädchen wahrscheinlich ebensowenig. „Wie heißt es?!“ Streng genommen, hat der Vater recht, wenn er „das Mädchen“ als ein „es“ bezeichnet. Immerhin haben wir es hier mit einem berufsmäßigen Grammatiker zu tun, und das „es“ bezieht sich korrekterweise auf das neutrale „Mädchen“.

Natürlich habe ich hier die Sache etwas überspitzt dargestellt. Schon im Grimm’schen Wörterbuch wird unter Schlagwort „Mädchen“ darauf hingewiesen, dass man (oder frau) bei diesem Wort auf das natürliche Genus zurückgreifen darf. Trotzdem bleibt das „Mädchen“ für die Lektoren schon  eine knifflige Angelegenheit – auch in den aktuellen Zeitungsberichten ist dies so.

Ich erzähle obige Geschichte aus zwei Gründen: 1.) um Sie vermittels des Wortes „Sex“ zum Weiterlesen zu animieren und 2.) weil ich eine kurze Polemik zum Thema Genus in der Schweizer „Weltwoche“ (Nr. 12/09) kommentieren möchte. Der Autor Thomas Meyer, ein Werbefachmann, beklagt sich über den Einfluss des Feminismus auf die deutsche Sprache. Insbesondere stören ihn geschlechtsneutrale Neologismen wie „StudentInnen“, wo früher „Studenten“ gereicht hätte, um beide Geschlechter zu kennzeichnen. Ich erzähle Ihnen nichts Neues. Um das sperrige „StudentInnen“ zu umgehen, sei man in der Schweiz allerdings zu „Studierende“ übergegangen. Meyer findet auch diese Formulierung eine Zumutung und macht etliche Witze über „Zuhaltende“, „Mädchenbeschneidende“ usw.

Nebenbei: Mein Sohn hat mir soeben bestätigt, dass sich „Studierende“ auch in der hiesigen Uni längst eingebürgert hat.

Meine Frau, eine gelernte theoretische Sprachwissenschaftlerin, hat mir die Sache mittlerweile erklärt: Es gebe in jeder Sprache „markierte“ und „unmarkierte“ Bezüge. Wenn sich „Studenten“, „Leser“, „Freunde“ auf beide Geschlechter beziehen, dann gelte im Deutschen das Maskulinum als „markiert“ und das Femininum als „unmarkiert“. Das markierte Maskulinum habe im Deutschen eine lange Tradition, wohl als Erbe einer einstigen patriarchalischen Gesellschaftsform unter den Germanen.

So weit so gut. Zu bemerken aber: In manchen Sprachen können auch weibliche Formen markiert sein. Wie wäre sonst zu erklären, dass im Lateinischen manche sehr burschikose Berufe, etwa „nauta“ (der Matrose) und „agricola“ (der Bauer) eine weibliche Form haben? Auch der Dichter, „poeta“, ist weiblich, egal ob es sich um einen Dichter oder eine Dichterin handelt. Im Altgriechischen gibt es eine eigene Kategorie für männliche Nomen, die weiblich gebeugt werden.

Im heutigen Deutsch ist man (oder frau) mit Gewalt dabei, eine neue, geschlechtsneutrale Markierung zu erzwingen. Auch im Englischen ist dieses Phänomen zu beobachten. Der „postman“ (Briefträger) ist nunmehr zum neutralen „letter carrier“ geworden. Der „chairman“ (Vorsitzende) hat sich zu einem „chair“ verwandelt. Anstatt „Mankind“ (die Menschheit) zu rühmen, preist man zusehends „humankind“ usw.

Mein Ohr rebelliert, auch wenn ich kein dogmatischer Sprachpurist bin und manchmal ganz bewusst auf „er“ und „sie“ hinweisen will. Mir ist aber klar: Letztendlich muss man sich, was die Sprache betrifft, stets der Mehrheit anschließen. Wer kann, die kann.

PS: Leserin Kristin - siehe Kommentar "Verwechs- & Meinung" hat mich aufgeklärt: Ich habe die Begriffe "markiert" und "unmarkiert" vertauscht.

PPS: Lesen Sie Kristins Blog. Siehe Link.

Steinbrücks Schweizer Indianer – das letzte Wort

Vorab die Antwort auf eine Frage, die Sie nicht gestellt haben. Sie lautet „Winston Churchill“.

Nun die Frage: „Von wem stammt das geflügelte Wort: ‚Geschichte wird von den Siegern geschrieben’?“

Mir fällt dieser Spruch ein, weil ich gerade an Indianer denke, genauer gesagt, an die Indianer des Bundesfinanzministers Peer Steinbrück.

Rückblick: Vor einer Woche beschimpfte dieser aufgebrachte Politiker die Schweizer Bankiers als Indianer und drohte mit dem Einsatz der Kavallarie, um aufzuräumen. Es handelte sich, wie Sie sicherlich schon wissen, um das Schweizer Bankgeheimnis. Der verbale Angriff artete bald in einen bösen diplomatischen Albtraum aus, auch wenn der Finanzminister seinen Vergleich für humorvoll hielt. Haha. Und bald wurde der taktierende Steinbrück der politischen Unkorrektheit bezichtigt, was nicht falsch ist.

Mich hat sein Indianer-Vergleich von vorneherein stutzig gemacht. Denn jeder weiß: Die Indianer haben nie über ein Bankgeheimnis verfügt. Außerdem hat Herr Steinbrück nie klar angegeben, welchen Stamm er meinte. Sioux? Irokesen? Hopi? Schließlich ist Indianer nicht gleich Indianer. Viele „Native Americans“ aus unterschiedlichen Stämmen betreiben heutzutage Spielkasinos in den USA nicht aber Banken. Mittels dieser Kasinos schaffen sie es mit Bravour, dem weißen Mann sein letztes Hemd auszuziehen. Die Kasinos sorgen für genauso viel Bauchweh wie Montezumas Rache.

Und doch sind es die Sieger, die die Geschichte schreiben. Weil das so ist, sind unsere Kenntnisse über die Katharer in Südfrankreich, die Anfang des 13. Jahrhunderts auf Geheiß des französischen Königs ausgerottet wurden, gleich null. Ihre Schriften wurden damals vernichtet, und alle Berichte über sie stammen von ihren Bezwingern. Gleiches widerfuhr den von Augustinus arg verunglimpften Manichäern. Alles, was man über ihre Lehre weiß, stammt von ihren Feinden. Stellen Sie sich vor: Hu Jintao würde eine Biographie des Dalai Lama veröffentlichen.

In meiner Kindheit haben wir gerne „cowboys and indians“ gespielt, unsere amerikanische Variante des „Räuber und Gendarm“. Für uns waren die cowboys die Anständigen, die Helden also. Die Indianer hingegen waren die Arglistigen. Manchmal spielte ich aber gerne den Indianer. So konnte ich mir besondere Bosheiten ausdenken, um die Cowboys an die Nase herumzuführen. Deutschland die Cowboys, die Schweizer Bankiers die Indianer?

Auch die Redewendung „indian giver“ war – und ist – bei uns gang und gäbe. Ein „gebender Indianer“ war einer, der das zurückhaben wollte, was er bereits geschenkt hatte. Tatsache ist: Das Schenken unter Indianern war eine Art Handel, um Abkommen zu schließen. Die Weißen im 17. und 18. Jahrhundert haben das nicht realisiert. Handel treibende Native Americans verstanden sie als habgierige Wilde.

So sind auch Peer Steinbrücks Indianer: Wilde, Feinde der Zivilisation. Aber Hand aufs Herz: Würden Sie Ihr hart verdientes steuerflüchtiges Geld freiwillig Wilden anvertrauen?

Letztendlich sind Politker aber Machtmenschen. Es fehlt ihnen nicht selten an Feingefühl, zumindest was die Sprache betrifft. Ihre Bilder wirken folglich plakativ und plump – es sei denn, sie sind wie Churchill. Der deutsche Humor, hat er einmal gesagt, ist nichts zum Lachen.

"Loyalität" für Kenner

Hand aufs Herz. Halten Sie sich für einen loyalen Menschen?

Selbstverständlich eine Fangfrage. Stellen Sie sich vor. Sie sind Personalchef(in) einer multinationalen Firma und lesen gerade die Bewerbungen der Herren (oder Damen) A und B.

In der Bewerbung von A fallen diverse Zeugnisse ehemaliger Arbeitgeber auf. Inhaltlich sind sie einander sehr ähnlich: „A war stets gutgelaunt, ehrgeizig und verantwortungsvoll. Mit Bedauern haben wir uns von ihm (ihr) getrennt.“

In B’s Bewerbung liegt lediglich ein einziges Zeugnis vor. Darin erfährt man: „B hat stets mit großer Hingabe gearbeit und bestach mit seiner (ihrer) Loyalität. Leider müssen wir uns nach sovielen Jahren von ihm (ihr) wegen der Insolvenz unserer Firma trennen. Wir wünschen ihm (ihr) viel Glück auf seinem (ihrem) weiteren Weg.“

Jetzt müssen Sie entscheiden. Wer soll es sein: A, der (die) Ehrgeizige, oder B, der (die) Loyale? Na?

Natürlich haben Sie sich für A entschieden. „Loyal“ in der Geheimsprache der Zeugnisse löst bei Personalchefs stets Alarmsignale aus. Denn diese Vokabel bedeutet im Zeitalter des späten Turbokapitalismus schlicht und einfach „doof“, „einfallslos“, „träge“, „ängstlich“ usw.

Das war freilich nicht immer der Fall. Früher suchte man gierig nach Menschen wie B, die vorhatten, bei der Firma bis zum Ruhestand zu bleiben. Im Lauf dieser dreißig oder vierzig Jahre könnte sich ein Mitarbeiter, wenn er fleißig und begabt war (oder Glück hatte), hocharbeiten und manchmal sogar die Chefetage erreichen (was natürlich einem Lotteriegewinn gleichkam).

Das war keinesfalls ein deutscher Sonderweg. So war es früher überall – auch in den USA. Noch heute orientieren sich viele japanische Firmen an diesem Prinzip.

Erst im Lauf der 70er Jahre trat ein Sinneswandel, ein frischer Wind, ein, und zwar zunächst in den USA – nicht übrigens von ungefähr zur selben Zeit, als die Saat der heutigen Weltwirtschaftskrise in die Erde gebracht wurde. Das zarte Pflänzchen der neuen Wirtschaft wuchs schnell und kräftig heran. Schon Ende der 80er Jahre war in den USA das geflügelte Wort „leaner and meaner business“ – magereres und gemeineres Geschäftemachen – in aller Munde. Ein besonderer Held dieser Zeit war Al „Chainsaw“ („Kettensäge“) Dunlap, damals Vorstandsvorsitztender der „Scott Paper Company“. Er setzte tausende Mitarbeiter knallhart auf die Straße. Man nannte diesen radikalen Stellenabbau „downsizing“ – etwa „Verkopfkleinerung“. Die Loyalen wurden ob ihrer antiquierten Denkart verlacht.

Doch nehmen wir dieses Wort „loyal“ kurz unter die Lupe. Es stammt aus dem Französischen und wird letztendlich aus dem lateinischen „legalis“, also „gesetzlich“ abgeleitet. Wer „loyal“ ist, agiert also innerhalb der Gesetze. Der „Unloyale“ ist folglich ein Gesetzloser. „Treu“ ist das deutsche Äquivalent für dieses Fremdwort - es ist mit „trauen“ und „vertrauen“ verwandt. Der Wortstamm bedeutete ursprünglich „stark“ und „tapfer“. Das englische „tree“, also „Baum“, ist mit dieser Wurzel verschwägert. „Baumstark“ sagt man noch heute im Deutschen.

Nicht von ungefähr haben Firmen früher „treue“, also „loyale“ Menschen als Mitarbeiter bevorzugt. Denn wer möchte einen „Untreuen“, einen „Gesetzlosen“ als Mitschaffenden im eigenen Haus haben? – genau die Charaktereigenschaften, die die Weltwirtschaft ins Schleudern gebracht haben.

Nun meine Frage an jene Vorstandsvorsitzenden, die sich versehentlich auf diese Seite verirrt haben. Es handelt sich natürlich um eine Fangfrage: Nach allem was Sie mittlerweile über die Kehrseite des Wirtschaftswachstums wissen, würden Sie jetzt lieber A oder B einstellen? Keine Hast. Die Antwort auf diese Frage ist alles anders als einfach.

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