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Aufstand der Datenträger

Eines Tages war es da, ein schmales, eckiges schwarzes Banner unten links auf dem sog. „Desktop“: „Yandex/support/…usw.“ stand darauf. Ein Rätsel. Zumindest mir. Bis ich nach dem Wort „Yandex“ googelte. So heißt nämlich ein russischer Browser. Irgendwie hatte ich einen Link auf dem Desktop zu diesem Browser. Eigentlich kein Link, sondern lediglich eine fest eingeprägte Adresse. Ob Maus links oder rechts geklickt, war dieses Banner einfach da. Nicht zu entfernen. Komisch, habe ich gedacht.

Es folgte der nächste Streich:

Auf einmal war eine meiner diverser Desktop-Ikone in Miniformat erschienen. Keine Ahnung, warum. War aber nichts zu machen. Auch Word, wichtiges Werkzeug des Schriftstellers, fing zu spinnen an: Es fragte jedesmal, ob ich ich bin und bat dann um Anmeldung.

Bin ich vielleicht von einem digitalen Ungeziefer überfallen?, fragte ich mich und bekam es mit der Angst. Schließlich lagert man – und frau – auf dem Rechner ein halbes Leben, wenn nicht mehr. Texte, Fotos, Musik, Emails und was sich sonst alles über die Jahre ansammelt. Bin ich dabei alles zu verlieren? Wurde mein Rechner von Verbrechern gekapert? Muss ich ein Lösegeld bezahlen?

Solche Gedanken und Fragen gingen mir durch den Kopf. Kein gutes Gefühl. Es ginge Ihnen sicherlich nicht anders.

Als erste Hilfe entschloss ich mich, das Wichtigste in die „Cloud“ zu verlegen. In meinem Fall heißt diese „Cloud“ OneDrive. Mengen von Texten habe ich rübergefrachtet. Nur: Sie kamen nicht in die „Cloud“ an. OneDrive hat sie auf dem Rechner gelagert. In Handarbeit musste ich sie selbst vereinzelt in die „Cloud“ verschicken. Auf OneDrivisch heißt das „Freiraum schaffen“ o.ä.

Dann ist es passiert: Plötzlich ist der Rechner total durcheinandergeraten. Eine endlose Lupe, die ich nicht verlassen konnte. Unmöglich auch den Rechner herunterzufahren. Cyberinfarkt. Oh je. Ist es geschehen? Ist alles nun für alle Zeiten weg? Doch gekapert?

Es war an einem Sonntag. Verzweifelt suchte ich nach einer Lösung. Endlich fand ich die Visitenkarte eines Computerfachmanns, der vor drei Jahren etwas Arbeit an meinem Rechner geleistet hatte. Ich erreichte ihn.

„Es ist Sonntag“, tadelte er, „mein freier Tag. Dann erklärte er mir, es sei momentan bei ihm arbeitsmäßig landunter. Er habe keine Zeit – erst recht nicht an einem Sonntag – für meine Probleme. Ich solle ihn in zwei Wochen zurückrufen. (Notabene: Computerreparatur – guter Beruf).

Aua. So was will ein verzweifelter Mensch nicht hören. Aber was sollte ich jetzt tun?

„Ich kann meinen Rechner nicht einmal ausschalten“, sagte ich.

„Halten Sie den Power Button 15 bis 20 Sekunden gedrückt“, sagte er. Sie werden den Rechner dann ausschalten können.“

Hab ich gemacht. Es hat geklappt.

„Rufen Sie mich in zwei Wochen an“, falls Sie mich noch brauchen.“

Ende des Gesprächs. Nach einer Stunde schaltete ich den Rechner probeweise noch einmal ein. Alles perfekt! Keine Mini-Ikone, kein Banner.

War mein Rechner lediglich verschnupft? Durcheinandergeraten? Hat das Ausschalten, die Bits und Bytes entknotet?

Keine Ahnung. Fest steht: Am nächsten Tag war alles wieder gut. Ebenso am Tag danach. Erst gestern kehrte die Mini-Ikone zurück. Die nächste Runde?

Keine Ahnung. Auf jedenfalls habe ich prompt allerlei Updates durchgeführt. Außerdem habe ich erfahren, wie man einen Rechner wirklich ausschaltet. Denn das, was wir „Herunterfahren“ nennen, ist eigentlich eine Art Schlafmodus. Drücken Sie auf „Herunterfahren“ und halten Sie gleichzeitig die „Shift“-Taste gedrückt. Damit schalten Sie Ihren Rechner wirklich aus. Das habe ich gemacht. Alles funktioniert, aber die Mini-Ikone ist noch immer da.

Wie geht es weiter? Der Gang zum Reparaturmann ist mit Sicherheit unumgänglich. Ich hoffe nur, dass bis dahin alles noch funktioniert.

Vor drei Wochen stürzten meine Bücherregale ein. Nun gebärdet sich mein Rechner als höchst bedrohlich. So gefährlich ist es Information zu sammeln.

Immerhin: Papier ist nicht elektronisch. Was passiert, z.B., wenn ein Sonnensturm oder ein Cyberangriff alle Rechner und Infowolken heimsuchen sollten? Kann ja alles passieren. Was passiert dann?

Ja, liebe Leser, was dann?

Wörter auf Wanderschaft – oder ade geliebte Bücher!

Gibt es so etwas wie Gruppentherapie für Büchersüchtige? Wer von Nikotin wegkommen will, bekommt einen Zuschuss von der Krankenkasse. Auch Junkies werden unter den Arm genommen, wenn sie Hilfe brauchen, aber Büchersüchtige?

Wer zählt zu den Betroffenen? Einfache Antwort: einer, der (oder die natürlich) jedes Mal wenn er auf Bücher schaut, ein Kribbeln verspürt und das Bedürfnis hat, näher hinzugucken. Egal wo: ob im Laden, im Internet – auch in den „Zu verschenken“-Kartons, die heutzutage haufenweise auf der Straße herumliegen.

Was genau findet der Büchersüchtige an Büchern so attraktiv? Gute Frage.
Will man sich vielleicht weiterbilden? Findet man das Aussehen des Buches anmutig – so wie wenn man auf der Straße von einem hübschen Gesicht oder Leib in Beschlag genommen wird? Keine Ahnung.

Oder vielleicht liegt es daran, dass ein Buch ein Träger von Wissen oder Unterhaltung oder von beiden ist? Auch von giftigen Ideen, sollte man hinzufügen.

Wissen Sie noch?: Vor nicht allzu langer Zeit gab es nicht so viele Bücher wie heute. Die Bücher, die man hatte, waren wie kostbare Perlen, die man leidenschaftlich liebkoste und schätzte.

Ich weiß nicht, wann genau es geschah, vielleicht erst vor etwa dreißig Jahren. Auf einmal schoss die Zahl der Veröffentlichungen in die Höhe. Keine Ahnung, warum. Da gibt es sicherlich Forscher, die dieses Thema doktorarbeitmäßig erforscht haben. Vielleicht spielte Amazon u. Co. eine Rolle. Sie haben Bücher – vor allem am Anfang – oft besonders billig feilgeboten. Oder war es vielleicht die Tatsache, dass seit ca. 30 Jahren die Schriftstellerei zusehends zu einer Mode geworden ist? Immer mehr Schriftsteller, immer mehr Verlage und natürlich immer mehr Bücher. Quantität nahm zwar zu, nicht aber Qualität.

In meinem Fall kam die Sucht wohl aus anderen Gründen zustande: Als langjähriger Journalist holte ich Bücher ständig aus der Bibliothek oder bekam sie vom Arbeitgeber einfach geschenkt. Manchmal kaufte ich Bücher auf Vorrat, mit dem Hintergedanken: Hmm, darüber könnte ich mal was schreiben. Wie dem auch sei. Die Bücher wurden immer mehr, und die Zahl der Regale in meiner Wohnung wuchs wie ein Fichtenwald. Doppelreihen wurden bald das Übliche. Leider. Man vergisst schnell, was sich in der zweiten Reihe versteckt.

Stellen Sie sich vor: Eine Zeitlang habe ich meine Bücher in der Hausratversicherung mitversichert! So kostbar waren sie mir.

Das ich süchtig war, nahm ich nicht einmal wahr. So ist es mit der schleichenden Krankheit…

Und dann geschah es. Über das „es“ habe ich bereits letzte Woche detailliert geschrieben. Aber ganz kurz: Am 1. April stürzten vier Bücherregale in meinem Arbeitszimmer ein. Ich selbst wurde beinahe unter den Büchern begraben. Wohl ein schrecklicher Tod und voller Ironie. Ein befreundeter Antiquar T. erzählte mir neulich von einem Kunden, der auf diese Weise erschlagen wurde.

Jedenfalls war der Schock wirksamer als jede Entzugstherapie. Denn jetzt bin ich dabei, radikal meine Bücher zu ordnen bzw. zu entsorgen. Mindestens elf große Kartons werden das Haus für immer verlassen.

Nebenbei: Wer heute versucht, Bücher loszuwerden, stellt sehr schnell fest, dass dies gar nicht so einfach ist. Es gibt einfach zu viele davon. Plötzlich wollen immer weniger Händler Bücher haben. Es muss was Wertvolles sein. Mein Freund T., der Antiquar, wollte kaum etwas von mir haben – obwohl ich manche Bücher bei ihm gekauft hatte! Neulich erklärte er mir, er versuche selbst zwanzig Tonnen Bücher zu entsorgen.

„Heißt das, dass du jetzt deine Bücher kiloweise und nicht mehr nach Titel entsorgst?“

„So ist es.“

Mir fällt gerade ein Titel ein, den ich gestern in einen Karton gesteckt habe. Das Buch hieß „Wörter auf Wanderschaft“. Ein Buch über Sprachgeschichte wohl.
Ja, habe ich gedacht. Auch meine Wörter gehen jetzt auf Wanderschaft!

Aufpassen: Die Informationsrevolution meint es ernst mit uns. Das Buch als Gegenstand verliert immer mehr an Wert. Klar. Bücher werden nie verschwinden. Sie werden lediglich eine andere Rolle spielen. Lassen Sie sich überraschen. Vergessen Sie aber nicht, was Sie hier gelesen haben. Es ist eine Art Mahnung…

Aufstand der Bücher oder: Warum ich letzte Woche keine Glosse geschrieben habe…

Ich kenne seinen Namen nicht mehr – schon lange nicht. Ich weiß auch nicht, wie er aussah. Nur Folgendes ist mir in Erinnerung geblieben:

Wir stiegen gemeinsam aus der Münchener U-Bahn aus – tief im Gespräch. Vielleicht war es U-Bahnhaltestelle Universität…oder vielleicht nicht. Er erzählte von seinem Theologie-Studium und vom Professor, der neulich über das Revolutionäre im Buch Genesis berichtet hatte.

„Die Babylonier“, so habe der Professor erklärt, „behaupteten, dass am Anfang Himmel und Erde die Götter schufen. In Genesis lese man hingegen: Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde!“ Mit anderen Worten: Der Anfang des Buches Genesis war möglicherweise eine absichtliche Polemik gegen die babylonische Theologie.

Wie dieser Professor hieß, ist mir ebenso unbekannt wie irgendwelche identifizierenden Faktoren über meinen Gesprächspartner. Ist aber egal. Fest steht: Seit diesem Tag bleibt mir diese Idee unvergessen. Nirgends habe ich sie sonst gelesen oder erfahren.

Und jetzt wissen auch Sie sie.

Wieso erzähle ich diese Anekdote? Keine Ahnung. Eigentlich wollte ich hier ein anderes Thema ansprechen: das Chaos, eine griechische Vokabel, die übrigens sprachlich mit dem deutschen „gähnen“ verwandt ist und ursprünglich ein weit offenes Nichts bedeutete.

Für den griechischen Dichter Hesiod, der im ca. 8. v.Chr. Jh. gelebt hat, war am Anfang das Chaos. Klingt etwas anders als die Schöpfungsgeschichte der Hebräer und Babylonier. Viel mehr wissen wir allerdings über diese Kraft – oder was auch immer es war – nicht.

Chaos. Am Montag, dem 1. April erlebte ich es vollends. Ja, ich hatte meinen Chaosmoment. Und wie.

Es geschah um ca. 17h. Ich saß am Schreibtisch, genau da, wo ich momentan diese Sätze schreibe. Plötzlich vernahm ich ein ungewohntes Geräusch – als ob sich etwas Kleines irgendwo heruntergefallen war. In meiner schöpferischen Unordnung wäre das durchaus möglich. Zunächst habe ich das Geräusch ignoriert und machte einfach weiter.

Und nun fragte ich mich: Was war das für ein Geräusch? Ich stand auf und schaute auf der anderen Seite meines Schreibtisches, falls etwas runtergefallen war. Ich konnte aber nichts feststellen. Dann bin ich – irgendwie automatisch – zu meiner Bücherwand, d.h. zu den vier ineinander verhakten Holzregalen links vom Schreibtisch gegangen, um dort nach der Ursache des Klackses zu suchen. Ich bückte mich und schaute hinters doppelreihig mit Büchern verpackte Regal. Ich erspähte ein Buch, das irgendwie zwischen Regal und Wand hängengeblieben zu sein schien – aha! – und entfernte es sachte.

In dem Augenblick hörte ich einen lauten Rumps – wie das Gähnen einer Gottheit. Ich stand auf und schaute nun zu, wie sich von links nach rechts meine Regale der Reihe nach von der Wand lösten. Es schien alles in Zeitlupe zu geschehen. Bücher flogen kunterbunt durchs Zimmer. Irgendwie – so habe es jedenfalls in Erinnerung – stand ich aber nicht mehr neben dem Regal, sondern weit aus der Schusslinie. Ca. 1500 Bücher – keine Ahnung, ob die Zahl stimmt – lagen auf einmal wie Schnee nach der Lawine im Zimmer da. Stille. Große Stille.

Meine erste Reaktion war Schock. Was sonst? Darauf folgte ein Gedanke direkt aus Rilke: „Du musst dein Leben ändern“. Als Drittes fiel mir ein, dass meine Mandoline, die ich neben meinem Schreibtisch lagere, damit ich nach Belieben spielen kann, unter den vielen Büchern war. Mir war meine Mandoline in dem Moment mein teuerster Besitz. Vielleicht ist sie mein teuerster Besitz. Nebenbei. Am nächsten Tage habe ich sie heil ausgegraben.

Tja. Ich habe Ihnen nun den Anfang einer Geschichte erzählt, eine Geschichte über Bücher, über einen Bücheraufstand. Mit Sicherheit hat sie eine tiefe Bedeutung. Es gibt gewiss mehr über dieses Thema zu erzählen. Zum Beispiel, was geschieht, wenn man sich nach so einer Katastrophe von manchen Büchern trennen will – denn das tue ich gerade: mich von so viel Wissen trennen, das auch so viel Geld gekostet hat. Doch vielleicht mehr darüber später.

Jedenfalls, jetzt wissen Sie auch, warum ich letzte Woche keine Glosse geschrieben habe.

Intro und Outro und des Sprachbloggeurs neuer Look

Dumme Frage aber raus damit: Was ist das Gegenteil von einer „Einführung“? Vielleicht nicht so dumm. Zumindest im Bezug auf die deutsche Sprache. „Schluss“ oder „Ausgang“ wären Optionen. Es gäbe auch andere.

Zum Beispiel, man verwendet ein anderes Wort anstelle von „Einführung“: etwa das altgriechische „Prolog“, was als Gegenpart „Epilog“ erfordert. Oder man drückt sich im Deutschen etwas vornehmer aus. Dann hat man „Vorwort“ und „Nachwort“. Auch „Einleitung“ wäre manchmal angebracht und evtl. von „Ausklang“ begleitet.

Ich stelle diese dumme Frage nur deshalb, weil ich in letzter Zeit immer öfter in Lehrvideos auf YouTube – zumindest die englischsprachigen – Folgendes im Sinne von „Einleitung“ und „Ausklang“ erlebe: „intro“ und „outro“.

Klar: „Intro“ ist eine saloppe Kurzform für „Introduction“, eine Vokabel, die man mittlerweile in Neudeutsch verwenden kann. Doch gerade weil das Wörtchen so knapp ist, kam jemand wohl auf die Idee als Gegenpart „Outro“ zu erfinden.

Eigentlich ganz logisch und vielleicht irgendwie lustig. Im Englischen gelten „in“ und „out“ ebenso wie „ein“ und „aus“ als Pärchen. Das „-tro“, ein Bestandteil von „intro“, wird dann dem „out“ angehängt. Ja, doch irgendwie genial.

Diese analogische Vorgangsweise ist freilich uralt und wird immer wieder verwendet, um neue Wörter aus dem Boden zu stampfen. Mir fällt auf der Schnelle leider kein Beispiel ein.

Natürlich ist es einfach für einen wie mich über den Untergang der englischen Sprache zu jammern und meckern. Aber was soll’s? Sprachen sind immer am Untergehen. Das ist ein Naturgesetz. Deswegen redet man heute kein Lateinisch mehr – außer, wie man behauptet – im Vatikan. Das sagt man jedenfalls. Wahrscheinlich stimmt auch das nicht mehr. Als ich in den USA studierte, hieß es, man spreche Lateinisch in Heidelberg.

Im Ernst. Das haben wir geglaubt, weil damals eine Operette namens „The Student Prince“ die Runde machte. Titel auf Deutsch: „Alt-Heidelberg“. Im Lauf der spannenden Geschichte über einen Prinzen, der seine wahre Identität verheimlicht, singen die Studenten „Gaudeamus Igitur“. Mein eigener Versuch, mich in Heidelberg mit Studenten auf Lateinisch zu verständigen, schlug übrigens fehl.

Aber zurück zu „intro“ und „outro“. Sprache ist, wie jeder weiß, ein sehr unstabiles Kommunikationsmittel. Eigentlich ist alles auf dieser Welt instabil – auch wir. Doch darüber will man meistens nicht nachdenken.

Auch diese Glosse, die sich „Sprachbloggeur“ nennt, ist instabil. Nein, ich habe nicht vor, Schluss zu machen. Mir macht es noch immer viel Spaß, diese Seite als Übungsblock zu benutzen, um meine Ideen am Fließen zu halten.

Was sich aber doch bald ändern wird, ist, so vermute ich, das Format dieser Glosse. Seit Jahren sehen meine Leser eine nichtsagende grünlich-beige Seite mit Texten.

Doch womöglich wird demnächst alles anders werden, radikal anders. Fakt ist: Die Software, die für diese Seite verwendet wird, gilt längst als hoffnungslos überaltert. Wahrscheinlich nicht viel anders als ich. Diese Software heißt „Drupal 7“. Herr P., mein Meister und Webmanager, will nun auf „Drupal 10“ upgraden. Eigentlich bin ich derselben Meinung. Denn mir geht es immer mehr auf die Nerven, dass Spammer hartnäckig versuchen, mir pornographische „Kommentare“ unterzujubeln. Vielleicht kann man mit der neuen Software die Angriffe etwas gescheiter abwehren.

Jedenfalls: Sie sollen damit rechnen, dass (keine Ahnung, wann) es eine neue Seitenoberfläche für den Sprachbloggeur geben wird. Fest steht aber: Ich möchte die Seite weiterhin so navigierbar wie möglich halten und erst recht simpel genug, so dass auch ich mich zurechtfinde. Sie haben wahrscheinlich mehr Kenntnisse über diese Dinge als ich.

Wie dem auch sei. Ich habe gerade die Intro geschrieben. Die Outro folgt…

Was die Wahrsagerin sagte

Ich möchte heute von einer Wahrsagerin berichten, die mir neulich über den Weg gelaufen war. Früher habe ich viele Wahrsager und Wahrsagerinnen gekannt. Mittlerweile ziehe ich solche Menschen normalerweise nicht mehr an. Keine Ahnung, warum es mal so mal so ist.

In diesem Fall hatte ich mich mit einem alten Freund – und zugleich ehemaligen Kollegen – in einem Café verabredet. Ich bin etwas zu früh da gewesen und wartete am Tisch. Dabei habe ich gelesen. Genauer gesagt hatte ich mich in der frühen Lyrik des chilenischen Lyrikers Pablo Neruda vertieft.

Es ist zumindest in Deutschland üblich, dass man einen Tisch für sich in Anspruch nehmen kann, auch dann, wenn man allein sitzt. Selten fragt ein anderer, ob am Tisch ein Platz frei ist. Wer will ja mit einem wildfremden Menschen am gleichen Tisch sitzen? Ich nicht.

Besagte Wahrsagerin war eine ältere Frau, nicht auffallend angezogen. Ich sage „Wahrsagerin“, aber ich habe sie zunächst so nicht zur Kenntnis genommen. Der Laden war nicht voll, aber sie wollte unbedingt mit mir am Tisch sitzen. Mir war spontan unwohl zumute.

„Ich sehe, dass Sie auf jemanden warten“, sagte sie. „Wenn ich mich nicht täusche, handelt es sich um einen alten Freund und Kollegen.“

Jawohl. Das hat sie gesagt. Ich war natürlich verblüfft.

„Er kommt etwas verspätet, sollte ich Ihnen vielleicht sagen.“

„Wieso wissen Sie dies?“ fragte ich.

„Weil ich auch Ihre Zukunft weiß.“

Hand aufs Herz. Das hat sie gesagt. Ich habe nicht geantwortet. Ich wusste ohnehin nicht, was ich dazu sagen sollte. Und wie oben schon angedeutet, habe ich in meiner Jugend viele Wahrsager und Wahrsagerinnen gekannt. Insofern war diese Frau keine ganz fremde Erscheinung. Auch früher haben mir manche Wahrsager über meine Zukunft erzählt. Besonders in Erinnerung bleibt aber einer, der einst geweissagt hatte, dass ich nach Europa übersiedeln und in einer Fremdsprache schreiben würde. Außerdem erzählte er, ich würde Erfolg als Dramatiker haben. Na ja. Bisher haben sich die ersten beiden Prophezeiungen bewahrheitet. Das mit dem Theater aber nicht. Zumindest noch nicht. Denn neulich habe ich ein Theaterstück geschrieben. Und es ist gar nicht schlecht. Aber jetzt zurück zur Wahrsagerin.

„Sie möchten mir etwas über meine Zukunft erzählen?“ fragte ich.

„Ja, das will ich.“

Und nun bestellte sie einen schwarzen Tee. Das heißt: Sie bekam eine Tasse heißes Wasser mit Teebeutel, riss den Beutel auf und schüttelte den Inhalt ins Wasser und rührte die losen Blätter mit einem Löffel. Ich schaute nur zu.
„Trinken Sie dies auf“, sagte sie.

„Ich trinke aber nur Kräutertee“, antwortete ich.

„Sie werden heute eine Ausnahme machen.“

Und genau dies tat ich.

Nachdem ich mit dem Tee fertig war, nahm sie mir die Tasse aus der Hand, wobei ich auch einiges an Teeblättern mitgetrunken hatte. Sie schmeckten scheußlich. Nun begann sie das Blättermuster am Tassenboden zu begutachten, wobei sie manchmal Selbstgespräche zu führen schien. Ich habe aber kein Wort verstanden und auch keine Fragen gestellt.

„Sie werden Theaterstücke schreiben“, sagte sie, „und diese werden erfolgreich im Theater gespielt.“

Jawohl. Das hat sie gesagt. Ich war ziemlich baff. Klar, habe ich nicht gefragt, woher sie das wüsste. Solche Fragen stellt man einer Wahrsagerin nicht.
„Mehr habe ich Ihnen nicht zu erzählen“, sagte sie schließlich. Und siehe da: In dem Moment erblickte ich meinen alten Freund. Er winkte zu und näherte sich mir.

„Ich muss jetzt gehen“, sagte die Wahrsagerin. „Ich will zwei Karten in der ersten Reihe. Vergessen Sie das nicht.“

Mehr sagte sie nicht, und dann war sie weg.

Nun habe ich zwei Aufgaben: ein Theater zu finden, das mein Stück spielen wird, und dann muss ich die Wahrsagerin wiederfinden, damit ich ihr ihre zwei Karten schenken kann…

Wladimir träumt

(Nachts. Ein Prachtschlafzimmer in Sotschi am Schwarzen Meer. Wir befinden uns im Schloss von Vladimir Putin, dem Präsidenten Russlands. Alles ruhig. Der Präsident schläft. Er ist entspannt, denn alles läuft gut. In Moskau sitzt sein Doppelgänger am Schreibtisch. und er erledigt – wie man sagt – die Post. Der wahre Präsident fühlt sich mit recht wohl. Seine militärische Sonderaktion verläuft – endlich – einigermaßen planmäßig. Sein Beliebtheitsgrad bleibt hoch. Seine Gegner sind untereinander zerstritten. Ja das Risikospiel scheint endlich doch aufzugehen – genauso, wie er sich das damals vorgestellt hatte. Der Präsident träumt…)

Putin: (im Schlaf. Er lauscht der eigenen Stimme) Ich habe mal eine Ratte gesehen. Sie wurde in die Enge getrieben, in die Enge getrieben, in die Menge geblieben, in die Senge gerieben. Ich sah mal eine Ratte. Und sie schaute mir zu. Sie war in die Menge gerieben, in der Enge geblieben…Mir war klar, sie wird etwas tun. Handeln oder sterben. So denkt ein Tier, wenn man das Denken nennen darf. Nur die zwei Alternativen gäbe es jedenfalls …He? Was ist los? Die Ecke ist weg. Die Ratte ist weg. Nein. Eben nicht. Nun stehe ich in der Ecke! Ich. Ich…bin…eine Ratte? Nein! Nie. Ich nie! Nein! Njet!

(Es ist doch keine Ecke. Der Präsident steht nun auf einem offenen Feld. Doch mit einem Mal nimmt er etwas in der Ferne wahr: …einen Menschen auf einem Pferd?)

Putin: Wie bitte? Sehe ich einen Menschen auf einem Pferd? Er scheint in meine Richtung zu galoppieren. Ich kann aber nicht ausmachen, wer das ist. (Er schaut sehr genau hin) Kann es sein? Sitzt ein Mann mit dem Oberkörper frei auf einem Pferd? Wer ist das? Bin ich das? Ja! Bestimmt! Ich bin’s! Reite auch ich nicht gerne mit freiem Oberkörper über die Felder? Solche Bilder veröffentlicht man des Öfteren – und sie scheinen dem Publikum zu gefallen…insbesondere den Damen! Ha! Ja! Ha! Den Damen! Schließlich leben wir in Russland, wo ein Mann ein Mann ist und die Frauen dafür dankbar sind. Die Frauen mögen mich, während die Männer mich beneiden! Bei uns keine Schwulitäten wie im dekadenten Westen. Pfui Teufel! Doch jetzt nähert sich mir dieser Mensch auf dem Pferd…bin ich das? Oder träume ich vielleicht. Im Traum kann man sich immer begegnen. Mich dünkt aber, dies ist kein Traum. Ich fühle mich ebenso vital wie im wahren Leben.

(Die Figur auf dem Pferd nähert sich dem Präsidenten)

Putin: Nein. Ich bin es doch nicht! Das kann ich schon jetzt feststellen. Wer ist denn das? Irgendwie kenne ich diesen Menschen auf dem Pferd. Er kommt mir immer näher. Ich glaube…ach nee…es kann nicht sein! Nein! Nein! Ich sehe ihn jetzt. Ach nein! Er ist es doch! Er! Nawalny! Nein!

Nawalny: (Sein Oberkörper ist unbekleidet. Er wirkt jung und schön, voller Vitalität) Ja, Vladimir, ich bin‘s. Lange wartest du auf diesem Augenblick, wo wir uns endlich begegnen. Na? Was meinst du? Wer ist schöner? Du oder ich?

Putin: Wächter! Wächter! Kommt her! Sofort! In meiner Schlafkammer ist ein…ein…ein Einbrecher, und er reitet auf einem Pferd! Erschießt ihn! Auf der Stelle! Ich gebe Euch zwanzigtausend Euro, wenn ihr ihn sofort erschießt!

Nawalny: Aber Wladimir, wieso mich erschießen? Ich bin schon tot. Das weißt du ja auch. Du kannst mich nicht mehr erschießen. Du kannst mich auch nicht den Zutritt zu deiner Schlafkammer verweigern. Ich bleibe bei dir für immer – und zwar mit nacktem Oberkörper, damit du dich mit mir stets vergleichen kannst. Du wirst feststellen, dass ich schöner bin. War ich schon immer. Das würden die Frauen auch sagen. Findest du nicht, Wladimir?

Putin: Du bist ein Mann! Ich mache mir nie Gedanken über die Schönheit anderer Männer. Zeige dich aber ja nicht in der Öffentlichkeit so, sonst…sonst…schicke ich dich wieder in den Gulag.

Nawalny: In den Gulag? Ach komm, Wladimir. Jetzt drohst du in die Leere. Komm, Wladimir. Hier. Ich habe auch ein zweites Pferd. Das zweite ist für dich. Zieh dein Oberhemd aus. Steig aufs Pferd, und wir machen ein schönes Foto. Was hältst du davon?

Putin: Du bist eine Ratte in der Ecke, eine Watte mit ‘ner Zecke, eine Latte in der Hecke! Wächter! Wächter! Bringt mir ein Glas Wasser!

Nawalny: Komm, Wladimir, ich hole dich ab. Kommst du nicht mit, bekommst du immerhin ein Glas Wasser. Immerhin etwas… Ich verlasse dich aber nie mehr.

(Ein Licht geht an. Ein Diener in Livree steht an der Tür)

Diener: O Herr der Welt, Wasser hat er sich gewünscht? Ich stehe Ihm zu Diensten…

In eigener Sache Keine Glossen bis Mitte März. Bin auf Geheimmission. So schnell vergehen die Monate des neuen Jahres.

Der Furz des Dinosauriers

Ahnungslos in Infoland? Nicht verzagen. Stellen Sie sich vor: Sie leben in einem vorzeitigen Ururdschungel – vielleicht im Zeitalter der megagroßen Dinosaurier. Sie sind aber bloß ein winzig kleines Säugetier, dessen Gegenwart die kurzsichtigen Dinos kaum merken. Schön kuschelig in einer Welt von Gestrüpp und eigener Felltarnung versteckt, gedeihen Sie und die Ihrigen bestens – wenn auch schlafwandlerisch. Unterdessen plumpsen die schwergewichtigen Reptilien an Ihnenvorbei. Deren Stapfen nehmen Sie bereits aus der Ferne wahr. Denn die Bebungen sind kaum zu überhören, was Ihnen deshalb die Muße gibt, sich rechtzeitig in Ihrem Loch zu verstecken, damit Sie von den Schwerfüßlern nicht zermalmt werden.

Eines Tages passiert es dennoch: etwas, was Sie nicht einzuordnen vermögen. Eine Herde Dinos, vielleicht sind es Brontosaurier, grasen in ihrer Nähe. Unweit von Ihnen erhebt sich ein baumgroßer Schwanz, vielleicht merken Sie die Bewegung. Und dann zack! Ein Druck entsteht – wie wenn alle bösen Winde dieser Welt zeitgleich lossausten. Sie werden beinahe umgehauen. Das hohe Gras, das Gestrüpp – alles um Sie – flattert und fliegt umher. Auch Sie! Sie denken, Sie werden gleich weggefegt. Noch dazu nehmen Sie in dem Augenblick einen fürchterlichen Gestank wahr. So penetrant, dass Sie keine Luft mehr bekommen. Es ist, als ob die Welt untergeht. Nein, sie geht nicht unter. Das wissen Sie aber nicht. Sie sind trotzdem im Mahlstrom gefangen.

Was ist geschehen?

Ein Dinosaurier hat gerade gefurzt. Ja. Mehr war es nicht. Und nein, es war nicht das Ende der Welt, lediglich eine Episode.

Warum erzähle ich diese komische Geschichte?

Geschichte? Nein Metapher. Meiner Fantasie nach sind wir, Sie und ich, die oben erwähnten Säugetiere! Mit „Ahnungslos in Infoland“ habe ich meine Story begonnen. Denn das Infoland, in dem wir nesten, stelle ich mir als Dschungel vor. Unser Dschungel.

Und die Dinos? Klar! Das sind jene Riesen, die uns auch heute umzingeln, die uns kaum wahrnehmen aber uns endlos beeinflussen, weil sie so groß sind – so wie wir die Ameisen beeinflussen.

Halt. Ich muss mich noch verständlicher machen. Denn mein Text ist heute besonders obskur. Vielleicht hilft es, wenn ich erkläre, dass ich neulich wahrscheinlich viel zu lange in YouTube unterwegs war.

Es waren so viele Videos zu sehen, dass mir allmählich vor lauter Lärm und Gestank schwindlig wurde. Was mich besonders auffiel: Es waren die „Experten“, bzw. „Influencer“. Alle wussten etwas. Alle wollten informieren, lenken, überzeugen, widerlegen, besänftigen, verhöhnen, unterhalten. Wahrscheinlich habe ich gedacht: So muss es sein, wenn man in einem großen Furz eingenebelt ist. Infoland ist die Heimat von Dinosauriern. Ja, Dinosaurier, weil sie eines Tages alle eingehen werden. Ich stehe in dieser Landschaft da wie ein kleines Säugetier. Die Dinosaurier trampeln herum und könnten mich zerstampfen wie ich eine Ameise.

Ja, ich weiß, dass der Vergleich hinkt, aber so what. Heute will ich nur ein wenig schwadronieren. Manchmal steht man zu nahe dem Hintern des Dinosauriers. Wenn das geschieht, haut der Furz einen schnell um.

Rede ich vielleicht von der Evolution?

Ja. Tue ich auch. Und die gute Nachricht: Wir stehen eher am Anfang und nicht am Schluss eines langen Prozesses.

Falls ich nicht bereits genug gezetert habe: Wie wäre es mit Super Bowl in Deutschland und eine ganze Industrie um die rührende Liebe zwischen Taylor Swift und Ihrem Footballlover? Bald in YouTube zu sehen!

Ende des Tobanfalls…für heute.

Neusprech und Neuspréch

Jeder kennt George Orwells 1984 – auch diejenigen, die es nie gelesen haben. Mittlerweile, so vermute ich, gibt es immer weniger Menschen, die sich wahrhaftig an dieses Jahr erinnern. Die meisten waren entweder zu jung oder noch nicht auf der Welt.

Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Ende 1983 witzelten viele: Hoppla, jetzt kommt das verfluchte Jahr. Passiert was? Dem war nicht so. 1984 zog ich mit meiner Freundin (heute meiner Frau) zusammen. Wir lebten, wie es nach der damaligen dt. Jurisprudenz hieß, in „Konkubinat“. Mein künftiger Schwiegervater bangte darum, die Sittenpolizei würden ihn verhaften. In dem Jahr haben wir, d.h. ich und meine Zukünftige, sechs Wochen in Tunesien in Monastir verbracht. Da erfährt man nicht wenig. Als wir nach Deutschland zurückkehrten, kam der Schock: In der alten Wohnung meiner Konkubinatspartnerin – wir waren noch nicht umgezogen – wurde eingebrochen.

Kurz danach aber fanden wir im Keller der alten Wohnung eine verwahrloste, graufarbige Katze, die sich dort verkrochen hatte. Ich packte sie und brachte sie in die Wohnung. Sie wurde panisch und sprang aufs Fensterbrett des offenen Fensters, als wollte sie in die Freiheit herunterspringen. Ich machte aber eine Dose Thunfisch auf und legte diese aufs Fensterbrett. Die Katze schaute runter in die Tiefe, dann auf die Thunfischdose. Dann schaute sie wieder in die Tiefe und dann wieder auf die Thunfischdose. Letztlich entschied sie sich fürs Fressen und lebte fortan bei uns. Nach dem ersten Putz stellte sich heraus, dass ein Teil es Fells schneeweiß war. Wir nannten sie Catulla.

Ja, all dies fand 1984 statt. Hat sich Orwell mit seinem düsteren Zukunftsbild vertan? Bzgl. der Jahreszahl ja. Von der Idee her natürlich nein.

Orwell stellte sich in seinem Buch Fernsehapparate in jeder Wohnung vor, die sich nicht abschalten ließen und die endlose Propaganda herausspuckten. Noch dazu: Diese Geräte vermochten einen auszuspionieren. Kommt Ihnen dies bekannt vor, liebe Onliner?

Ja klar! Längst leben wir im Jahr 1984. Denken Sie an die „Influencers“ oder die prüde Zensur (dafür aber anzügliche Scharfmacher) der großen Spieler (Google, Microsoft, Meta, Apple usw.) der Techindustrie. Orwell wäre entzückt.

Und natürlich das „Neusprech“. Wer kann mir bitte erklären, was ein „Kreisverwaltungsreferat“ ist? Oder ein „Gegensatzpaar“ (R. Habeck), oder eine „Friedensinitiative“? Oder eine „militärische Sonderoperation“ à la Vladimir Putin. In den USA heißt das „Arbeitsamt“ Department of Human Resources“. Donald Trump bezeichnete als „Fake News“, alles, was nicht in seinem Sinne war. Inzwischen wird dieser Begriff – ohne Übersetzung – in verschiedenen Sprachen gebräuchlich.

Nebenbei. Orwells Buch wurde als Politsatire geschrieben. Mit „1984“ meinte er eigentlich 1948. D.h.: Für ihn war schon alles längst eingetroffen.

Ich bin nicht so pessimistisch wie Orwell. Und zwar aus folgendem Grunde: Um ein System à la Orwell zu realisieren, braucht man zuverlässige nützliche Idioten. Nützliche Idioten sind aber niemals zuverlässig, gerade deshalb, weil sie Idioten sind!

Doch genug Orwell, genug „Neusprech“. Heute möchte lieber über „Neuspréch“ kurz berichten. Ein einfacher Akzent aufs „E“ unterscheidet zwischen dem einen und dem anderen Begriff.

„Neuspréch“ ist ein Kunstprojekt der Hamburger Künstler Oliver Ross und Simon Starke und soll genau das Gegenteil bewirken wie die Sprachakrobatik eines Neusprechs. Vermittels bildender und grafischer Kunst stellen die zwei Künstler mit Schärfe den schlafwandelnden Sinn von Sprache in Frage. Genauer gesagt: Sie befreien die Sprache aus dem Gefängnis der Begriffsverdummung. Heute keine lange Erklärung. Bin müde. Vielleicht möchten Sie etwas mehr über das Werk dieser Künstler wissen. Suchen Sie im Internet unter „Neuspréch“.

Vergessen Sie den Akzent aufs „E“ aber nicht. Manchmal sind es kleine Akzente, die einem Neusprech von einem Neuspréch unterscheiden.

Gott und Glaube

Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich glauben soll. Das meine ich wörtlich.

Im Wartezimmer beim Arzt las ich in meiner Zeitschrift ein sehr langes Interview mit einem Kardinal. Dessen Name spielt hier keine Rolle. Fest steht nur. Er benutzte die Vokabel „Gott“ abermals (klingt beinahe wie „Abendmahl“), was man von einem Kardinal freilich erwartet.

Plötzlich fiel mir ein, dass ich keine Ahnung habe, warum Gott in der deutschen Sprache „Gott“ heißt. Woher kommt dieses Wort? Lateinisch „deus“, Griechisch „Zeus“, Sanskrit „deva“ sind miteinander verwandt und bedeuten alle ursprünglich etwas wie „leuchtend“ „scheinend“ usw., was nachvollziehbar ist. Sicherlich ist auch „dies“ (lateinisch für „Tag“) auch damit verwandt. Wie auch „Tag“ (Englisch „day“). Alle haben etwas mit einem Leuchten zu tun.

Aber „Gott“? Woher kommt er? Nein, damit stelle ich keine theologische Frage. Ich bin einfach neugierig, endlich herauszufinden, warum man auf Deutsch „Gott“ oder auf Englisch usw. „God“ sagt.

Die Antwort wird überraschen.

Denn „Gott“ ist mit „gießen“ verwandt – zumindest auf Deutsch aber auch in anderen germanischen Sprachen. Bei den alten Germanen war von „Gott“ oder den „Göttern“ nie die Rede. Um den Begriff „Gott“ auszudrücken, sagten die Altgemanen „regin“, was „Regierender“ bedeutet. In der Mehrzahl hießen die Götter „ragna“. „Ragnarök“. sagte man im Altnordischen und meinte damit „Götterdämmerung“. „Rök“ ist „Dämmerung“ – mit „Rauch“ verwandt.

Und jetzt kehren wir wieder zum „Gießen“ zurück. In der gotischen (und vermutlich auch in den verwandten germanischen) Sprachen, die vor zweitausend Jahren im Umlauf waren, nannte man ein „Opfer“ ein „Gegossenes“. In den damaligen Sprachen klang diese Vokabel in etwa wie „Gott“.

Leider weiß ich nicht, wie eine Opferzeremonie damals vor sich ging. Wahrscheinlich aber wurde etwas auf das zu opferndes Tier (oder Mensch?) gegossen. Etwas Heiliges wohl.

Eines Tages stießen die Germanen auf die Christen. Natürlich erfuhren sie alsbald, dass diese Christen, einen geopferten Menschen als Gott anbeteten. Klar, dass sie dieses Opfer als ein „gott“ verstanden.

Da die Germanen damals viele Gottheiten kannten, waren sie auch bereit, eine neue auf ihre Liste zu setzen. Diese nannten sie logischerweise „gott“, wortwörtlich „Opfer“.

Doch als die Germanen nach und nach selbst zu Christen wurden, beteten auch sie diesen „Gott“ an. Allmählich veränderte sich der Sinn des Wortes.

Nun wissen Sie alles, bzw., so viel wie ich über dieses Thema.

Es bleibt uns jetzt nur noch etwas über den „Glauben“ zu erzählen. Und damit kommt die nächste Überraschung.

Dieses Wort „Glauben“ hieß früher so ähnlich wie „ge-lauben“. Erkennen Sie Bekanntes? Jawohl. Das Wort „Laub“ wie bei den „Blättern“ ist hier gemeint.
Meiner Quelle zufolge, dem Etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache von Kluge, einem respektierten Nachschlagwerk, behauptet dass man mit „Laub“ früher auch das Futter meinte, das man den Tieren zu fressen gab. Da man durch das Futtern bei den Tieren Vertrauen zu erwecken vermochte, sagte man, man habe die Tiere „gelaubt“.

Also wurden die Tiere „gläubig“.

Ja, so steht es bei Kluge. Doch dann recherchierte ich die Sprachgeschichte des Englischen „believe“, einer Vokabel, die mit „glauben“ verwandt ist. Hier stand aber nichts über das Wort „leaf“ als Ursprung eines Wortes „beleaf“. Stattdessen erfuhr ich, dass das „liev“ in „believe“ mit dem altenglischen „lief“ (mit dem dt. „lieb“ verwandt) zusammenhängt.

Ich habe natürlich keine Ahnung, wer nun in dieser Glaubensfrage recht hat. Alles vielleicht bloß Informationsaberglaube.

Eine Horrorgeschichte…

Kennen Sie die Story?

Es geschah kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs in Berlin. Eine Frau war auf dem Weg in die Arbeit – ein Glück, wenn man damals überhaupt eine Arbeit hatte. Wir sehen sie in der Friedrichstraße durch den Trummer schlängeln. Es gab derzeit keine öffentlichen Verkehrsmittel.

Überall auf der Straße düstere Mienen von Menschen, die erst vor kurzem unsagbar Schreckliches erlebt haben. Ab und zu erblickt man auch einen amer. GI. Er trägt zwar eine Waffe, aber in seinen Händen sieht es ebenso harmlos aus wie der sanfte Ausdruck auf seinem jungen Gesicht.

Auch Trümmerfrauen sind zu erkennen. Sie räumen Ziegel- und Betonbrocken von zerstörten Häusereingängen.

Ja, so sieht es nach einem Krieg aus. Nach jedem Krieg.

Nun nimmt die Frau, die sich auf den Weg in die Arbeit durch die Ruinen schlängelt, in der Ferne einen Blinden wahr. Es fasziniert, wie er mit seinem Blindenstock behände durch den Trummer tapst. Beinahe hat man das Gefühl, er könne mittels seines Stockes richtig sehen. Man bewundert sein Selbstbewusstsein.

Er nähert sich der Frau zusehends, bis er so nahe an ihr herankommt, dass sie ihm Platz machen will, damit er vorbeikann. Aber nein. Er will nicht vorbei. Er hält an und stellt eine Frage: ob sie vielleicht wüsste, wie er in die Soundso-Straße komme.

Sie erzählt ihm, er gehe in die falsche Richtung. Der Schatten eines enttäuschten Blicks überzieht sein Gesicht.

„Schade“, sagt er. Er habe ein Schreiben, abzugeben, und jetzt müsse er wohl den ganzen Weg zurückmarschieren.

„Nein“, sagt sie und beteuert, dass sie für ihn gern besagten Brief an besagter Adresse abgeben würde.

Ein Augenblick der Betroffenheit und der Dankbarkeit. Er verneigt sich vor ihr, fast als möchte er ihr die Hand küssen. Er legt den Briefumschlag in die offene Handfläche und geht weiter.

Die Frau ist zufrieden, wie das halt ist, wenn man eine gute Tat leistet. Ja, sie hat einem Menschen in Not in einer Zeit der Not geholfen. Die Seele erwärmt den Leib. Nun dreht sie sich kurz um und sieht den Blinden in der Ferne. Aber warte. Auf einmal erscheint er alles anders als blind zu sein. Im Gegenteil. Er tänzelt leichtfüßig durch die Ruinen und schwingt mit seinem Stock wie ein Tänzer auf der Bühne.

Hmm. Was ist hier los?, fragt sie sich. Nun schaut sie sich den Umschlag nochmals an. Ja, in der Tat, eine Adresse, die auf ihrem Weg liegt.

Doch allmählich steigt in ihr ein ungutes Gefühl hoch. Etwas stimmt nicht, sinniert sie. Aber was? Etwas irritiert. Aber warum? Derweil geht sie ihren Weg weiter. Sie wird das Gefühl aber nicht los, dass etwas hier nicht in Ordnung ist. Was aber?

Plötzlich erblickt sie auf der rechten Straßenseite ein Polizeirevier. War es immer dort? Beinahe in einem Zustand der Hypnose steuert sie den Eingang an, um bei den Ordnungshütern nach Rat zu fragen. Aber warum?

Ein Polizist hört ihre Geschichte geduldig zu. Dann öffnet er den Brief. Auf einem Blatt Papier steht geschrieben: „Hier die letzte Lieferung des Tages.“

„Ich gratuliere“, sagt der Polizist. Glück gehabt. Wissen Sie, worum es hier geht?“

Die Frau schüttelt den Kopf.

„Besagte Adresse ist ein Schlachthof. Viele Menschen in der Stadt leiden, wie Sie wissen, Hunger. Man kauft sich Fleisch, wenn es billig ist und fragt nicht einmal, was das für ein Fleisch ist. Manchmal…ist es Menschenfleisch...“

Ja, natürlich macht die Polizei dem bösen Geschäft an dieser Adresse ein Ende. Ich aber erzähle diese Geschichte, ohne zu wissen, ob sie wahr oder erfunden ist. Ich habe sie lediglich gehört. Oft erzählt man Geschichten und gibt sie weiter, ohne zu wissen, ob sie wahr oder falsch sind. Hauptsache spannend…

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