Habe ich etwas verpasst? Neuerdings habe ich des Öfteren den Begriff „black box“ gehört: „schwarzer Kasten“ also. Zunächst habe ich gemeint, es handele sich um den „Flugzeugschreiber“, den man nach einem Flugzeugabsturz sucht.
Ich habe mich geirrt. Denn in den Situationen, wo man von „black box“ sprach, war nirgends die Rede von Flugzeugen.
Deshalb obige Frage: Habe ich etwas verpasst? Wäre nicht das erste Mal. Meine ersten Gedanken: Ist „black box“ ein neues Computerspiel oder vielleicht Jugendslang für etwas Unanständiges? Wie soll ich’s sagen? Ich fühlte mich, als befände ich mich in einem schwarzen Kasten des Unwissens.
Was mich dazu gebracht hat, obigen Begriff zu recherchieren. Will heißen: Man wendet sich an Google (oder DuckDuckGo, wenn Sie das Netz ohne Schnüffelei bereisen möchten) mit Stichwort „Black Box“.
Im neuen Infozeitalter erscheinen bei Google an oberster Stelle zunächst Kurzinfos in Form von Fragen, etwa: „Was genau ist eine „Black Box“? (Notabene: eine. Google denkt „Büchse“; ich denke „Kasten“, was denn einer verlangt). Die kurze Antwort lautet:
„Charakteristisch für eine Black Box ist, dass ein Input darin nach unbekannten Regeln oder Methoden verarbeitet wird und zu einem Output führt. Der Input auf der Eingabeseite kann aus einem Reiz oder Stimulus bestehen oder aus der Zufuhr von Energie, Materie, Information oder Daten.“
Alles klar? Mir nicht. Irgendwie Fachchinesisch (darf man dies noch sagen?) für mein Hirn.
Aber weiter. Nun die Antwort auf noch eine Google-Frage samt Antwort: „Was ist die Schwarze Box?:
„Black Box (englisch für „schwarzer Kasten“) ist in der Verhaltensbiologie, speziell im frühen Behaviorismus eine Metapher für sämtliche psychischen und kognitiven Prozesse, die sich (noch) nicht mit naturwissenschaftlichen Methoden objektiv messen, beschreiben und reproduzieren lassen.“
Immerhin für mich etwas verständlicher.
Nun tippte ich auf Wikipedia. Dort erfährt man, dass „Black Box“ ein Konvolut von Begriffen ist, jeder mit eigenem Eintrag. Darunter natürlich die Flugzeugtechnologie. Darüber hinaus findet man einen Eintrag für Systemtheorie, Psychologie, aber auch für die Kunst. Auch Kinos und Vorführungssäle werden zuweilen „Black Box“ genannt.
Doch wir sind – so meine ich – noch immer weit entfernt von der/dem Black Box entfernt, von der/dem ich in letzter Zeit irgendwie am Rande erfahren habe.
Dann geschah es: Ich habe – ganz zufällig – entdeckt, dass es auch etwas mit Titel „Black Box AI“ gibt. Damit wir ein Anbieter für die künstliche Intelligenz gemeint. Ich war überzeugt, dass dies den/die Black Box war, den/die ich suchte.
Also habe ich unter „Black Box AI“ gegoogelt. Und siehe da! Sogleich entdeckte ich eine Seite namens „Chat Black Box“. Mit dem Zauber eines Mausklicks wurde ich prompt dahingeführt. Können Sie es auch, falls Sie neugierig sind…
Dort angekommen, habe ich einen Kasten (eine Büchse? – aber nein!) entdeckt und gefragt: „Who are you?“
Es folgte eine lange Antwort sogleich. Ich werde Sie aber mit der Antwort nicht traktieren. Denn von Neugier getrieben, fragte ich nun auf Deutsch: „Wer sind Sie?“ (notabene: ich hätte auch duzen können, wollte aber nicht). Es erschien nun die gleiche wie vorhin, doch nun auf Deutsch. Hier einige Auszuge:
„Hallo!
Ich bin ein KI-Assistent, entwickelt von BLACKBOX AI. Ich bin hier, um Ihnen bei einer Vielzahl von Aufgaben zu helfen, darunter:
• Analyse: Ich kann Ihnen helfen, komplexe Probleme in beherrschbare Teile zu zerlegen und Einsichten anzubieten, um Entscheidungen zu treffen.
• Fragen beantworten: Wenn Sie eine Frage haben, werde ich mein Bestes tun, um eine präzise und genaue Antwort zu liefern.
• Mathematik: Ich kann bei mathematischen Problemen helfen, von einfachen Berechnungen bis hin zu fortgeschrittenen Gleichungen.
• Programmierung: Ich kann bei Programmieraufgaben helfen, einschließlich des Schreibens von Code in verschiedenen Programmiersprachen, Debugging und Erklärung von Konzepten…“
Es folgten dann auch andere Zuständigkeitsgebiete: etwa „kreatives Schreiben“, „Unterrichten“, „Rollenspiel“ (?!) usw. Schließlich hieß es: „Fragen Sie mich einfach, und ich werde mein Bestes tun, um Ihnen zu helfen!“
Und nun wissen Sie so viel über den/die Black Box wie ich. Oder vielleicht wissen Sie ohnehin schon noch mehr als ich…
Neulich habe ich einen jungen Franzosen kennengelernt. Er besucht während ein paar Monate ein Seminar oder ähnliches an der Uni. Etwas mit Wirtschaft. Mehr kann ich dazu nicht sagen, und ich habe nicht gefragt.
Wir unterhalten uns auf Englisch. Sein Englisch ist sehr gut. Mein Französisch ist nicht schlecht. Ich bin halt aus der Übung und faul dazu.
Seine Deutschkenntnisse hingegen sind mehr als bescheiden. Schade. Er hätte bestimmt während seines Aufenthalts etwas dazu lernen können. Wenn man jung ist, hat man noch die Fähigkeit, Fremdsprachen schnell(er) zu lernen, zumal man leicht Anschluss zu anderen bekommt – hauptsächlich Altersgenossen, die meistens unvoreingenommener sind als alte, verschrobene Erwachsene und Greise. Man redet dann einfach darauf los.
Oder man hat auch Liebschaften. Ja, das kommt in jungen Jahren vor.
Dieser junge Franzose zeigte aber wenig Interesse, Deutsch zu lernen. Vielleicht ticken Wirtschaftswissenschaftler anders. Keine Ahnung. Darüber habe ich nie eine Studie gelesen – obwohl es mit Sicherheit so etwas gibt.
Wie dem auch sei. Neulich saßen wir bei einer Versammlung an einem Tisch zusammen und unterhielten uns. Mit dabei war auch ein Deutscher, etwas älter als er, der aber noch sehr jugendlich wirkt. Tu ich übrigens auch – und wenn ich Greis bin.
Im Lauf eines Gesprächs übers Deutschlernen habe ich mich plötzlich erinnert, wie es war, als ich Deutsch lernte. Ich meine nicht aus einem Buch gelernt, sondern in der Gesellschaft junger, deutscher Menschen.
Zum Beispiel Lu. Eigentlich hieß sie Luitgard. Ich lernte sie in San Francisco kennen. Der Name war mir so fremd wie der der neuen Premierministerin Thailands. Derzeit wohnte Lu bei mir. Man könnte sagen, dass wir ein kleines Techtelmechtel hatten. Aber nur kurz. Nebenbei: Sie ist längst – und leider zu früh – gestorben. Lungenkrebs glaube ich. Ja, sie hat auch geraucht - viel.
Lu verfügte über beste Englischkenntnisse, und wir haben uns deshalb meistens auf Englisch unterhalten. Wahrscheinlich hätte sie ohnehin keine Geduld gehabt, mein radebrechendes Deutsch zu ertragen. Dafür habe ich sie oft am Telefon gehört, wie sie mit ihren Freundinnen (oder waren das bloß Bekannten?, wenn man jung ist, zählen alle Leute als „Freunde“) gequatscht. Meistens sagte sie aber lediglich „Genau.“ oder „Genau, genau.“
Das Wort kannte ich nicht, und ich fragte sie nach dem Sinn. Einmal gelernt, hat man’s für immer. Ach ja. Manchmal verwendete sie am Telefon auch ein zweites Wort: „Eben“, bzw. „Eben eben.“
Bald hatte ich zwei Vokabeln, „genau“ und „eben“, verinnerlicht. Die Bedeutung ist ohnehin ziemlich das gleiche.
Aber zurück zum jungen Franzosen. Als wir zu dritt am Tisch saßen, erzählte ich ihm diese Sprachgeschichte – etwas knapper allerdings als an dieser Stelle. Ich wollte ihn eigentlich nur einschärfen, dass er nur diese zwei Wörter zu lernen hätte: „eben“ und „genau“, und jeder würde meinen, er beherrsche die deutsche Sprache perfekt.
Der Dritte von der Partie, schaute mich und den jungen Franzosen an, nickte und sagte: „Genau.“
Ich bin überzeugt, dass ich ihn an diesem Abend bestens beraten habe. Falls er jemals das Bedürfnis bzw. Notwendigkeit hat, Deutsch zu lernen, hat er längst schon die zwei wichtigsten Vokabeln intus.
Oder?
Die Antwort lautet selbstverständlich: „Genau.“
Nun stelle ich fest, dass ich ein Rawdogger bin.
Kennen Sie den Ausdruck? Ich erst seit ein paar Tagen, obwohl ich Englisch Muttersprachler bin. Ich musste erst Onkel Google fragen. Er weiß alles.
„Raw“ ist gleich „rau“ und „roh“. „Dog“ ist ja…“dog“. Kennt jeder diese Vokabel, auch wenn die Englischkenntnisse dürftig sind.
Doch, ein rauer bzw. roher Hund? Was soll denn das?
Onkel Google zufolge bedeutet dieser Begriff in erster Linie einen, der Geschlechtsverkehr ohne Kondome hat. Will heißen: Der „Hund“ befindet sich im „rohen“ (eher roh als rau – denke ich) Zustand. Der „Hund“ ist also dadrinnen wie der liebe Gott ihn erschaffen hat…oder so ähnlich.
Im übertragenen Sinn: Der Mann trägt keine Kondome. Nachvollziehbares Bild.
Für mich als Englisch Muttersprachler klingt „rawdogger“ in diesem Sinn äußerst derb und entstammt mit Sicherheit der männlichen bzw. macho Ecke.
Das überrascht mich. Denn heute soll der Mann nicht als Macho auftreten. Oder? Das sagt man jedenfalls. Kann es sein, dass manche Frauen dennoch auf macho Männer stehen? Doch das ist eben eine andere Geschichte.
Ich vermute, dass dieser Begriff – im sexuellen Sinn – die Schöpfung eines erfinderischen männlichen Wesens ca. zwanzig bis fünfundzwanzig Jahre alt war. In diesem Alter ist der junge Macho besonders energisch und angeberisch. Alte Knacker machen sich lächerlich, wenn sie so einen Spruch von sich geben.
Ist dieser Begriff ursprünglich im schwarzen Milieu beheimatet? Das war mein erster Gedanke. Denn viel Slang kommt aus dieser Ecke. Wenn ja, würde das bedeuten, dass „dog“ auch mal im Sinne von „Penis“ gebräuchlich ist. Onkel Google verneint meine Vermutung. Ihm zufolge ist „dog“ – wie im Deutschen – eine abwertende Beschimpfung für „Mann“. Manchmal aber sage man „dog“ und meint damit „Kumpel“.
Als Verb habe ich allerdings „to dog“ entdeckt, eine Vokabel, die „Sex haben“ bedeutet. Dies scheint aber eher in Großbritannien gebräuchlich. Heißt das, dass England auch die Heimat des „rawdog“ ist? Keine Ahnung. Fest steht nur: „Rawdoggen“ hat sich inzwischen im Deutschen eingebürgert.
Seit wie langem, weiß ich nicht. Letztens wird in diversen Zeitungen und Zeitschriften Berichte darüber geschrieben. Die Medien werden zunehmend lifestylig getrimmt.
Neues gibt es aber im Punkto „rawdog“ und „rawdoggen“ zu sagen. Der Sinn dieses Wortes hat sich nämlich inzwischen radikal verändert, so dass es auch für alle Menschen brauchbar wäre.
Ein „Rawdogger“ bezeichnet nunmehr jemanden, der sich ohne jegliche Annehmlichkeiten auf langen Reisen begibt. Kein Handy, kein Notebook, keine Musik im Ohr, auch keine Gespräche im Flugzeug mit fremden Menschen. Lediglich das raue Erlebnis des Reisens.
„Rawdoggen“ ist also zu einer Art persönlichen Herausforderung geworden. Zu einer Meditation quasi. Ganz ehrlich verstehe ich die Aufregung nicht. Früher war das Reisen ohnehin ein „Rawdoggen“. Es gab weder Phones noch Laptops, Ohrknöpfe usw. Und das Gespräch mit dem Sitznachbarn war ohnehin meistens dröge, weshalb ich es vermied, indem ich die Augen zumachte.
Aber egal. Die einfachen Dinge sind offensichtlich wieder in Mode. Vielleicht ist das was Gutes. Man will sich als Abenteurer oder Helden verstehen, wenn man ein paar Stunden ohne irgendeine Infodröhnung auskommt. Held bleibt aber Held.
Die deutsche Sprache kennt zwei Viren. Leider kann ich den Unterschied nicht ganz erklären. Einmal heißt es der, einmal das Virus.
Soweit ich‘s verstanden habe, sagt man das Virus, wenn sich Ärzte oder Wissenschaftler in der Kantine oder in der Fachzeitschrift über diverse Virenarten unterhalten. Der Virus überlässt man dem Laien. Habe ich den Unterschied richtig erfasst? Ist das wichtig?
Lange waren die Viren beinahe ausschließlich ein winterliches Thema. Denn zu dieser Zeit kursieren die viralen Krankheiten am intensivsten. Dann kam Corona – oder wie manche sagen: Covid-19, also „corona virus disease 2019“. Auf einmal ist das Wort „Virus“ viral gegangen.
By the way: Die Vokabel “Virus” entstammt dem Lateinischen und bedeutet „zähe Flüssigkeit“, „Schleim“, „Gift“. Erst am Ende des 19. Jh. erahnte Wissenschaftler, dass es Erreger gaben, die winzig wie Bakterien waren aber doch anders. Ich glaube, dieses Etwas wurde erst im Schleim einer Tabakpflanze entdeckt.
Vielleicht irre ich mich. Man sagt über Viren, dass sie irgendwie Lebewesen sind oder vielleicht doch nicht. Manche me, es seien nur Informationsketten.
Wie dem auch sei. Dieses Wort ist seit Jahren zunehmend viral gegangen. Heute sind der und das Virus zu festen Bestandteilen sowohl der wissenschaftlichen wie auch populären Sprache mutiert.
Und dann glitten wir ins digitale Zeitalter. Und auch die Inforevolution ist viral gegangen.
Zuerst zeigten die Verbrecher wenig Interesse. Doch dann fragten sie sich: Hmm, wie können wir dieses neue, weltumfassende Kommunikationsmittel vergolden? Die Antwort wissen Sie längst: Phishing und Hacking usw.
Aber wie nennt man die Hauptkomponente des Erfolgs der Cyberkriminalität? Ja, klar: die Viren! Kleine giftige Informationsketten, die einen Rechner „infizieren“. Der Name ist wie maßgeschneidert.
Informationsketten? Eigentlich winzige Progrämmchen, die aus Bits und Bytes bestehen und in der Lage sind, Rechner krank oder lahm wie Polio zu machen.
Vielleicht wurden diese Viren am Anfang nur als der Schabernack heranwachsender Informatiker erdacht. Nach dem Motto: Mal sehen, was geschieht, wenn ein Rechner „infiziert“ wird.
Wie aber jeder weiß, sind die Viren viral gegangen!
Viral gehen. Schon wieder dieser Begriff, der in diesem Text wie ein Refrain wirkt. Können Sie sich noch erinnern, was man sagte, bevor es das „Viral gehen“ gegeben hat? Vielleicht „weggehen wie die warmen Semmeln“?
Eigentlich eine Lehnübersetzung aus dem englischen „to go viral“. Sie war aber so pfiffig, dass sie in Eilverfahren den deutschen Pass erhielt.
Doch wie kam es, dass „Viral gehen“ derart viral gegangen ist?
Dumme Frage.
„To go viral“ und seine deutschsprachige Entsprechung sind deshalb viral gegangen, weil wir im Zeitalter der Sozialmedien leben! Da gehen die Moden und Sprüche weg wie die warmen Semmeln.
Kein Mensch weiß genau, wann und wo „to go viral“ zuerst viral gegangen ist. Die Experten mutmaßen Ende des 20. bzw. Anfang des 21. Jh. als Zeitpunkt. Und wo? Ich persönlich tippe auf „Twitter“. Können Sie sich noch erinnern? Alle haben früher getwittert, bevor Twitter ge-X-t wurde.
Ich werde die Sache aber weiter recherchieren. Bin neugierig. Hier aber ein letzter Gedanke: Wenn Twitter so schnell verschwunden ist, könnte dieses Schicksal auch anderen Granden der Gegenwart ereilen? Amazon, z.B., oder Facebook? Und nun denke ich: Es könnte auch einmal eine Impfung gegen „Viral gehen“ geben. Fortsetzung folgt…
In eigener Sache: Nächste Woche keine Glosse. Forschungsreise in tiefster Vergangenheit.
Der Schuh hat gedrückt, doch wo genau, war mir nicht klar.
Ach ja! Sie wissen nicht, wovon ich rede. Natürlich nicht. Ich fange also von vorne an. Es geht um ein Sommerfest. Wir, also ich, meine Frau und eine Bekannte, kamen mit dem Zug aus München etwas verspätet an. Wir setzten uns an dem Tisch, den uns unser Gastgeber angewiesen hat.
Unsere Tischnachbarn waren uns nicht bekannt, was in Ordnung ist. So lernt man neue Leute kennen, was oft spannend ist. Und siehe da: Es stellte sich heraus, dass die anderen sympathisch waren! Nach und nach gerät man ins Gespräch und tauscht ein wenig Information über sich aus. Wie es halt ist im Leben.
Ein Gast war wohl Zahnarzt. Aus Gründen, die ich unten erläutern werde, nehme an in Ruhestand. Er erzählte im Lauf eines assoziativen Gesprächs, wie man eines mit Fremden führt, von seinen Reisen im Fernosten, zeigte uns Fotos von sich und einem anderen Menschen, der auch auf dem Fest war, wenn aber nicht an unserem Tisch.
Ich war nie im Fernosten und teilte mit, dass ich eine solche weite Reise wahrscheinlich nicht antreten würde. Ich möge lange Flüge nicht, usw. Das übliche Blabla, das man redet, wenn man mit Fremden zusammengeworfen wird.
Doch irgendwie in diesem Gespräch mit dem ehemaligen Zahnarzt hat der Schuh gedrückt. Es war, als wäre mein Gegenüber nur zweidimensional. Komische Beschreibung. Es fehlte aber eine Dimension. So einen wie ihn kannte ich früher in München. Man redete, aber es war wie ein Gespräch mit einem Telefon-Roboter: flach.
Dann sind wir aufs Thema deutsche Dialekte gekommen. Ja, tiefschlürfend ist das Thema nicht. Ich bekannte mich jedenfalls begeistert zur bayerischen Sprache. Er hingegen, der, wie es sich herausstellte, in Sachsen lebt, erklärte, er sei kein Freund des Sächsischen. „Zum Schuhe ausziehen“, fügte er dann hinzu.
„Ich mag das Sächsische“, entgegnete ich.
Haben wir dann auch übers Schwäbische oder das Hessische geredet? Das weiß ich leider nicht mehr. Fest steht nur: Er meinte jedenfalls, auch ein anderer Dialekt wäre „zum Schuhe ausziehen“.
Viel tiefer entfaltete sich unser Gespräch nicht. Erst später im Zug nach München, erfuhren wir von unserer Reisebegleiterin, dass besagter Zahnarzt a.D. an Alzheimer erkrankt sei.
Zum Schuhe ausziehen, habe ich gedacht. Er wirkte zwar etwas – wie oben gesagt – zweidimensional, aber ich hatte stets den Eindruck, dass wir ein ganz normales oberflächliches Gespräch geführt hatten. Will heißen: Er vermochte ganz normal über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu reden.
Einzig sein Gebrauch des Idioms „zum Schuhe ausziehen“ eckte komischerweise an. Keine Ahnung, warum. Vielleicht habe ich es als Argument über einen Dialekt als etwas unpassend erachtet.
Nebenbei: Dieses Idiom hatte ursprünglich eine etwas – sagen wir differenziertere – Bedeutung. Es ist – so Heinz Küpper, mein Lieblingsumgangssprachler (Wörterbuch der deutschen Umgangssprache), – erst ca. 1870 belegt. Damals im Sinne von „am Rande der Verzweiflung bringen“. Für ein Gespräch über Dialekte hat so etwas wie Verzweiflung eigentlich nur wenig zu suchen, es sei denn, man versteht den Mundartsprecher nicht. Das kann freilich durchaus frustrierend sein.
Eigentlich bedeutet es, so Küpper, wenn etwas (oder jemand) einem „die Schuhe auszieht“, dass man einen kostbaren Besitz verliert. Zur Erinnerung: Um 1870 waren Schuhe teuer. Wäre es vielleicht passender, wenn der Zahnarzt über seine Beziehung zu Dialekten gesagt hätte: „der Schuh drückt“. Auch keine maßgeschneiderte Antwort aber womöglich sinnvoller. Ich will ihn aber nichts in die Schuhe schieben.
Nebenbei: Küpper hat in seinem Wörterbuch eine Liste von ca. 40 deutschen Redewendungen zusammengestellt. Alle an dieser Stelle hier aufzulisten, wäre mir freilich eine Schuhnummer zu groß.
Eins steht aber fest: Man weiß nicht unbedingt immer, wer Alzheimer krank ist.
Zum Beispiel mein Nachbar vor vielen Jahren, ein Anwalt a.D. Wir haben uns stets sehr lebendig und genussvoll unterhalten. Eines Tages sagte er mir mitten in einem Gespräch plötzlich: „Wissen Sie, ich habe keine Ahnung, wie Sie heißen.“
„Ist das wichtig?“ fragte ich, als würde ich die Schuhe abstauben.
„Nein“, antwortete er, und wir beide lachten.
Durch Zufall (gibt es ihn wirklich?) bin ich letztens auf eine deutsche Redewendung gestoßen, die mir bisher unbekannt war. Das geschieht immer seltener, und ich bin stets dankbar, wenn ein Lichtstrahl einen schattigen Schlupfwinkel dieser Sprache erhellt.
Es geht um: „Wir haben noch keine Schweine gehütet.“ Ich nehme an, dass Ihnen als Muttersprachler dieser Spruch vertraut ist…oder?... obgleich er heutzutage kaum mehr im Gebrauch ist.
Mir war er zwar unbekannt, doch ich habe ziemlich schnell erraten, worum es geht: Hier wird gemeinsame Erfahrung oder deren Mangel, Vertrautheit also, thematisiert.
Heinz Küpper zufolge – er hat das schöne „Wörterbuch der dt. Umgangssprache“ geschrieben – wird diese Redewendung ca. 1500 zum ersten Mal belegt. Der unmittelbare metaphorische Bezug: Zwischen Hütejungen gibt es keine Herr/Knecht-Beziehung. Man ist von daher automatisch per Du.
Damals – anders als heute – hat man auf den Gebrauch des „Sie“ (oder „Ihr“) und „Du“ sehr genau geachtet. Hätte einer einen anderen also unverdient geduzt – wie heute Google, Apple und Co. es mit uns tun – käme, wie aus der Pistole geschossen, die Antwort: „Aber bitte, wir haben noch keine Schweine gehütet…oder?“
Notabene: In obiger Redewendung spielt das Schwein selbst eine ziemlich neutrale Rolle. Man hätte dieses Tier beliebig mit „Huhn“, „Kuh“, „Ziege“ u.v.a.m. ersetzen können. Hier geht es lediglich um Ranghöhe.
Bleiben wir aber beim Schwein. Denn dieses Tier wird unser eigentliches Thema sein. Im Deutschen allein zählt Küpper 49 Redewendungen, die das Schwein in den Mittelpunkt rückt. Auch in anderen Kulturen spielt dieses Lebewesen eine kulturgeschichtliche Rolle. Heißt es nicht in den Evangelien, man solle keine Perlen vor die Schweine werfen? Womit man meint, es ist vergebliche Liebesmühe, Kostbares an Ignoranten zu vermitteln. Das gefräßige Schwein wird also seit der Antike zum Sinnbild eines Grobians.
Komisch. Eigentlich gelten Schweine als intelligente Tiere. Warum um Gottes Willen werden sie…zur Sau gemacht? Vielleicht deshalb, weil sie so gerne im Schlamm wühlen, was uns verständlicherweise als schmutzig vorkommt. Vielleicht deshalb wird „Schwein“ in den verschiedensten Sprachen, als Beschimpfung aufgefasst. Menschen haben nämlich sauber zu sein – im wörtlichen und im übertragenen Sinn. Noch dazu fressen Schweine alles – gleichsam lebendige Mülltonnen. „You eat like a pig“, sagt man auf Englisch, oder „Don’t be such a pig”.
Frage: Wenn Schweine so dreckig und ohne Anmut sind, warum werden sie von uns so gern gekocht und gebraten? Hmm?
Mir fällt keine anständige Antwort ein.
Wenigstens im Alten Testament galt das Schwein als unrein, weshalb die alten Hebräer (und auch andere im Nahen Osten) diese Tiere von der Speisekarte strichen.
Doch warum gestrichen? Weil sie im Schlamm wühlten und deshalb unrein waren?
Aber woher. So was hat noch nie die meisten Menschen daran gehindert, eine leckere Schweinshaxe zu verinnerlichen. Es gibt aber einen guten Grund im Nahen Osten dieses Tier nicht zu essen. Fakt ist: Das Gelände Israels, ebenso Arabiens usw. ist letztendlich knochentrocken. Man ging in diesen Ländern schon immer sehr sparsam mit dem Wasservorrat um.
Schweine aber – wie Menschen – brauchen viel Wasser, um im gewohnten Schlammbad zu laben. Das heißt: Mensch und Schwein sind, was das Wasser betrifft, bittere Rivalen. Diese Tiere als unrein abzuqualifizieren, ist im Grunde eine vernünftige Umweltmaßnahme. Wenn das Schwein um sein Glück wüsste, wäre es bestimmt dankbar.
„Schwein gehabt!“ könnte man sagen. Ende dieser kurzen Doktorarbeit.
Wortspiele waren schon immer meine Sucht, was meine Frau manchmal weniger begeistert. Ich kann aber nichts dafür. So kam ich auf die Welt.
Ja, und gerade fällt mir schon wieder ein Wortspiel ein: Du oder don’t.
Hahaha, sagen Sie. Oder vielleicht nicht. Vielleicht fragen Sie sich: Was schreibt der Sprachbloggeur schon wieder für ein obskures Zeug?
Schon gut, ich weiß; ich bin unverbesserlich. Ich habe nämlich zwei Sprachen kombiniert und erwarte, dass Sie den tieferen Sinn heraushören.
Tieferer Sinn? Mensch, was denkt da der Sprachbloggeur? Sein Wortspiel hat weder Tiefe, noch besitzt es etwas wie einen Sinn.
Ich wiederhole: Du oder don’t. Und fakt ist: Manchmal bevorzuge ich das „don’t“.
Manche Leser haben schon erkannt, wohin die Reise. Es geht…schon wieder…um eins meiner Lieblingsgezeter: um die rapide Ausbreitung des „Du“ im Deutschen auf Kosten des „Sie“.
Ich war nämlich jüngst in einem skandinavischen Land. Es ist aber egal, welches. Denn alle haben sich schon lange des „Sie“ entledigt. Man hört in diesen Ländern nur noch „dududu“. Außer man redet in der Mehrzahl. Da heißt das Pronomen anders.
Das heißt: Das schöne „Sie“ ist beinahe ganz aus den skandinavischen Sprachen verschwunden. Vielleicht nicht ganz. Denn vor ca. 13 Jahren hat mir nämlich jemand berichtet, dass im Dänischen Touristen noch immer gesiezt werden. Oder hat dieser „jemand“ nur deutsche Touristen gemeint? Hab ich leider vergessen.
Doch auch wenn es schon mal so war, bin ich sicher, dass auch diese letzte Festung des Siezens längst erobert wurde.
Neulich haben wir, d.h., meine Frau und ich, ein neues Schlafsofa bestellt. Am nächsten Tag erreichte uns folgende Mail:
„… VIELEN DANK FÜR DEINE BESTELLUNG!
Wir möchten dich bitten, den noch offenstehenden Betrag in Höhe von XY € unter dem Verwendungszweck „xxxxxxxxxx“ auf folgendes Konto anzuweisen…etc.
Daraufhin habe ich mich gleich per Mail über die Umgangsform in 2. Person beschwert. Der nächste Streich folgte beinahe unmittelbar:
HEJ! Vielen Dank für deine Nachricht.
Wir haben diese erhalten und werden uns innerhalb von ein bis zwei Werktagen bei dir melden, um deine Anfrage zu beantworten…usw.
Nach einem oder zwei Werktagen kam die „echte“ Antwort. Eine Firmenmanagerin in Berlin erklärte mir wohlwollend, dass das Duzen typisch für die nichthierarchische Art der dänischen Kultur sei, dass wir alle gleich seien…etc.
Daraufhin erklärte ich in einer ausführlichen Mail, dass sie ihr Produkt in Deutschland und nicht in Dänemark verkaufe usw. Seitdem bekomme ich Mails von der Firma, die auf meinem hierarchischen Geschmack getrimmt sind.
Bin ich ein alter Nörgler? Oder geht etwas doch verloren, wenn man in Deutschland aufhört „Sie“ zu sagen? Microsoft, Google, Apple, Meta, Mediamarkt, Notebookbilliger usw. sind längst zum „Du“ übergegangen – außer in den AGBs. Da wird strengst gesiezt.
Vorsichtig: Man trachtet nach dem kostbaren „Sie“. Sie werden „Sie“ vermissen, wenn er fehlt. Glauben Sie mir: Sein Überleben ist bedrohter als Sie vielleicht meinen.
Trickfrage: Wie sagt man „baby boomer“ auf Deutsch? „Babyboomer“, sagen Sie. Tut mir leid. Die Antwort ist falsch.
Das englische „baby boomer“ wird benutzt, um alle Kinder, die zwischen 1946 und 1964 in den USA auf die Welt kamen, als eine pauschale Gruppe zu erfassen. „Boom!“ So klingt eine Explosion. Und so explosionsartig stieg die Geburtenrate nach dem 2. Weltkrieg und die GI‘s kehrten heim. So blieb die Fruchtbarkeit bis ca. 1964. Dann zack! Der Geburtensturz. Keine Ahnung, warum es so wurde.
By the way: Um dieses Geburtenphänomen zu beschreiben, tauchte der Begriff „baby boomer“ erst ca. 1963 in den USA auf. Denn damals ging die Zahl der Neuimmatrikulierten auf den amer. Unis schlagartig nach oben. Man suchte also nach dem Grund: das baby boom! 1970 wurde dieser Begriff in der Oxford English Dictionary aufgenommen.
Doch jetzt zu den dt. „Boomers“. Sie heißen aber nicht „baby boomer“, sondern „Baby Boomer“ oder „Baby-Boomer“ oder „Babyboomer“. Kleiner Unterschied, großer Sinn.
Darüber hinaus wird mit diesem Begriff die Kinder bezeichnet, die in Deutschland zwischen ca. 1955 oder so und 1965 auf die Welt kamen, was dem Höhepunkt der sog. „Wirtschaftswunder“ entspricht.
Der Gebrauch des Begriffs „Babyboomer“ für den dt. Geburtenanstieg ist natürlich „Denglisch“.
Aber back to the USA. Als ab 1965 klar wurde, dass der Boom vorbei war, meinten die Journalisten, sie bräuchten nun wieder einen Begriff, um auch die nächste Generation zu etikettieren.
Keine Ahnung, wer auf die Idee kam. Vorsitzender Google könnte die Antwort mit Sicherheit innerhalb Millisekunden rausspucken. Ein Journalist (m/w/d) hatte jedenfalls den Einfall, die nächste „Generation“ einfach als „Generation X“ zu bezeichnen. Eine großartige Idee! Es sollte jedenfalls leicht ironisch klingen. Denn „X“ ist ein Terminus aus der Mathematik und bedeutet „Keine Ahnung, oder in diesem Fall: „Keine Ahnung, was wir sie sonst nennen sollten.“
„Generation X“ dauerte an, wenn ich mich nicht täusche, bis ca. 1980. Inzwischen wurde die Pauschalisierung der Generationen unter einem Begriff zu einer Masche der Popkultur. Auf „Generation X“ folgte logischerweise „Generation Y“.
So weit so gut. Und auf „Generation Y“ sollte dann folgerichtig „Generation Z“ kommen.
Doch nun wird die Chose kompliziert. Die jungen Menschen in den USA, die man „Generation Y“ hätte nennen sollen, bekamen plötzlich eine ganz andere generationale Designierung: „Millennials“ sagten die Leute von den Medien. Denn das waren die Kinder der spät 1980er Jahre bis ca. 2000. Geboren also nah der Jahrtausendwende.
Auf die Millennials folgten dann doch die erwartete „Generation Z“, auch „GenZ“ genannt. Und als solche werden die heutigen junge Menschen noch immer bezeichnet…
Ende der Pfanni-Stange? Denn schließlich geht mit „Z“ das Alphabet zu Ende. Ja, was nun?
Easy. Irgendein Schlaumeier aus der Publizistikbranche kam auf die Idee, die Generation, die ab ca. 2012 auf die Welt kam „Generation Alpha“ zu nennen. Über sie wissen wir immer noch sehr wenig. Alles klar?
Was ich bisher schreibe, gilt eigentlich nur für die Anglosächsische Welt. Die Terminologie wurde aber im Eilverfahren ins Deutsche übernommen und hat jetzt den dt. Pass als doppelte Staatsbürgerin.
Die genauen Daten unterscheiden sich nach wie vor, wenn man USA und Deutschland vergleicht. Aber who cares?
Nebenbei: Eigentlich hätte die dt. Sprache einen eigenen Begriff für diejenigen, die die Amerikaner „Boomer“ nennen: „68er“!
Ach und noch etwas: Frühere Generationen machten sich keine Gedanken über Namen für Generationen. Es ging viel mehr um ästhetische Dinge: z.B. „Barock“, „Sturm und Drang“, „Biedermeier“, „Wilhelminisch“ und so weiter.
Und jetzt Schluss.
In eigener Sache: Nächste Glosse Ende Juli. Bin auf Geheimmission.
Freund T. war unzufrieden mit der Reparaturarbeit. Noch schlimmer: Ich hatte ihm die Werkstatt empfohlen. Heikle Situation…nicht aber, dass ich ein schlechtes Gewissen zu haben brauche. In meiner Sache hat der Mechaniker gut gearbeitet. Von daher die Weiterempfehlung.
Heikle Situation auch, weil ich den Mechaniker manchmal auf der Straße antreffe. Er ist sehr nett, und es tut mir leid, dass zwischen ihm und T. Missmut vorherrscht.
Notabene: Diese Sache ist so heikel, dass ich hier nicht verraten möchte, um was für eine Reparatur es handelt. Die Chancen sind zwar gering, dass der Mechaniker diese Zeilen jemals lesen wird. Doch, wer weiß? Diskretion ist selten falsch.
Wie dem auch sei. Ich erzähle diese Geschichte nur deshalb, weil ich T. gesagt habe: „Falls ich auf den Mechaniker stoße, werde ich dumm spielen.“
„Wie? Verstehe ich nicht“, so T. „Hast du gerade etwas von Dummheit gesagt?“
„Ja, ich habe gesagt, ich werde dumm spielen.“
„Was soll das bedeuten?“
„Wie meinst du? Kennst du den Ausdruck nicht?“
„Nein, eben nicht. Das ist kein Deutsch.“
„Aber geh. Im Ernst?“
„Nein, das sagt man auf Deutsch nicht. Wahrscheinlich übersetzt du aus dem Englischen.“
„Mag sein“, sage ich. „Auf Englisch heißt es ‚to play dumb‘. Sagt man das nicht auf Deutsch?“
„Noch nie gehört. Und ‚dumb‘, was soll das bedeuten?“
„‘Dumb‘ ist wie ‚dumm‘. Kann aber auch ‚stumm‘ bedeuten. Die Taubstummen heißen bei uns ‚deaf and dumb‘.“
Dieses Gespräch fand im Jahr 2024 n.Chr. statt. Aus diesem Grund griff ich sofort zum Phone, um den Begriff „play dumb“ zu „googeln“.
Vorsitzender Google zauberte innerhalb Millisekunden eine, besser gesagt, mehrere Antworten bzw. Reaktionen auf mein Suchwort hervor.
Erstens hat er bestätigt, dass „play dumb“ ein englischsprachiges Idiom ist. Auf Deutsch sage man hingegen „sich dumm stellen“.
„Genau!“ sagt T. „‚Dumm stellen‘. So heißt es auf Deutsch.“
„Aha!“, füge ich nun hinzu. „Man kann aber auch ‚den Dummen spielen‘, sagen.“
„Ja genau. Das kann man auch sagen…“
„…und das klingt beinahe wie ‚dumm spielen‘, gell?“
„Beinahe aber nicht genau gleich. ‚Den Dummen spielen‘ klingt deutsch, ‚dumm spielen‘ hingegen eben nicht.“
Ich werde dieses Gespräch nicht weiter vertiefen. Was mich in der Sache überrascht hat: Ich spreche diese Fremdsprache Deutsch seit so vielen Jahren und dennoch stoße ich noch immer auf dunkle Ecken, die für mich ohne Sprachresonanz sind. Es handelt sich zwar meistens um Kleinigkeiten. Dennoch überrascht es, wenn ich schon wieder daran erinnert werde, dass ich zeit meines Lebens diese deutsche Sprache nie so verinnerlichen werde bzw. kann wie ein Muttersprachler.
Eine nüchterne Feststellung.
Eins steht aber fest. Falls ich besagten Mechaniker auf der Straße antreffe, werde ich mit Sicherheit, wie oben erwähnt, den Dummen spielen.
In einer Woche erscheint er – in englischer Sprache: mein Roman „Winston Hewlett’s Impotence“. Den Titel muss ich nicht ins Deutsch übersetzen. Er lässt sich leicht verstehen. Warum erzähle ich dies?
Klar, man hofft, dass der eine oder andere neugierig wird und das Buch bestellen wird. Man freut sich als Schriftsteller immer, Leser zu gewinnen.
Ich verkünde die Veröffentlichung aber aus einem anderen Grund. Und der hat selbstverständlich mit Sprache zu tun. Was sonst?
Fakt ist: Über viele Jahre wollte ich mich – zumindest als Schriftsteller – von meiner Muttersprache abkoppeln.
Irgendwie eine peinliche Angelegenheit, dies einzugestehen: Ich war mit der eigenen Stimme in der Muttersprache schlichtweg unzufrieden. Mir kam sie geradezu holprig und rau vor. Wenn ich schrieb, vernahm ich lediglich die Straßensprache meiner Kindheit in der Bronx. Dazu die Sprache meines Vaters, der im ganzen Leben nie einen grammatikalisch korrekten englischen Satz formuliert hatte, obgleich für ihn das Englisch keine Zweitsprache war. Sie war seine einzige Sprache, und er hat sie nie richtig beherrscht. Ich bildete mir ein, ich rede ebenso wie er. Bis heute überarbeite ich meine englischsprachigen Texte manisch. Stets wittere ich Ungehobeltes in meiner Stimme.
Deshalb habe ich „Winston Hewlett’s Impotence“ jahrelang korrigiert und umgeschrieben – vom Gedanken geplagt: Igitt schrecklich, was ich da schreibe. Nebenbei: Das Buch ist sehr unterhaltsam, sehr lustig und zum Teil allerdings auch derb – ohne aber jemals in die Vulgarität zu versinken.
Für mich bedeutete das Deutschschreiben quasi eine zweite Chance, eine Gelegenheit von vorne an wieder anzufangen, mich von meiner grausamen Sprachlast zu befreien. Zugegeben: Mein Deutsch wird nie ganz fehlerfrei sein. Doch die Kleinigkeiten kann man leicht korrigieren.
Es ist eine schwere Arbeit, in einer Fremdsprache zu schreiben. Eine Fremdsprache gut sprechen zu lernen, ist eine Sache. Schreiben erfordert andere Fähigkeiten. Deshalb geht man ja in die Schule!
Dennoch: Ich freute mich, mich von meiner Erblast zu befreien. Wenn ich Deutsch schreibe, sind die Straßen der Bronx und die Stimme meines Vaters weg weg weg. Wenn ich Deutsch schreibe, so denke ich, habe ich eine einzige Aufgabe: Die Texte, die ich schreibe, grammatisch korrekt hinzubekommen.
Was mich sogar oft gelingt – umso mehr, je mehr ich es tue. Vielleicht wäre ich beim Deutschen geblieben…doch dann begann eine liebe Freundin, selbst Schriftstellerin, laut zu protestieren.
„Schreib Englisch!“ Hat sie mir eingeschärft – und das jahrelang. „Deine Seele spricht Englisch und nicht Deutsch!“
Immer wieder hab ich das gehört, und ich antwortete: „Ja aber auf Deutsch fühle ich mich frei. Im Deutschen habe ich keine Vorgeschichte. Keine historische Last, die mich bedrückt.“
Naja. Lange Leber kurzes Zinn. 2011 begann ich wieder in meiner Muttersprache zu schreiben. Es tat weh, tut es immer noch, aber ich mache weiter.
„Winston Hewlett’s Impotence“ erscheint, wie gesagt, demnächst. Ich habe sogar ein Exemplar bekommen. Hübsche Aufmachung. Dennoch: Jedes Mal wenn ich es aufschlage, will ich sofort etwas ändern. Ach! So holprig!, sage ich mir, Wie hast du das übersehen können?! Wie es aber scheint, bin ich wohl der einzige, dem die ungehobelten Sätze auffallen. Trotzdem: Ich denke sie können perfekter, präziser werden.
Na ja. Was soll ich sagen? Falls Sie neugierig sind und Englisch gut verstehen, können Sie das Buch selbst lesen. Notabene: Hier keine Schleichwerbung in eigener Sache. Ich erzähle lediglich von einem Sprachenkrieg.
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