Heute möchte ich Ihnen ein Buch empfehlen. Das mache ich äußerst selten. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das das letzte Mal gemacht habe.
Lesen Sie die Zeitung, oder schauen Sie sich Nachrichten im Fernsehen oder in den Onlinemedien an? Oder vielleicht sind TikTok oder YouTube Ihre Nachrichtenquelle. Ist im Grunde egal, woher Sie übers Weltgeschehen informiert werden.
Denn, wenn die Medien recht haben, so leben Sie am Rande eines Vulkans, der bald in die Luft geht. Ist nicht neulich in Indonesien oder auf Island oder an beiden Orten so etwas geschehen?
Ja, Gefahr in der Luft. Mucho mucho. Vorsicht und ein leichtes Unbehagen dienen im Augenblick als tägliche Verzehrzugabe. In Deutschland (und anderswo) rechnen manche sogar mit einer Atombombe aus Russland – oder mit noch Schlimmerem: dem Zusammenbruch des Internets! O je.
Aber halt! Habe ich nicht oben gesagt, ich wollte Ihnen ein Buch empfehlen? Ja, und das werde ich jetzt auch tun. Es geht nämlich um eine Lektüre, die Ihnen wieder Hoffnung und eine vernünftige Perspektive beschert.
Nein keine Kitschlektüre. Auch kein Glaubenspamphlet. Das Buch, das ich Ihnen nahelegen will, wird Sie nicht nur erheitern, sondern auf eine Weise Ihre Gedanken erfrischen.
Aber genug des langen Hinauszögerns (übrigens: immer ein nützliches Instrument, wenn man Spannung erzeugen will. Nur ein Tipp für Erzählende).
Das Buch, dass ich hier vorstellen möchte, ist nicht einmal vollständig erhalten geblieben. Es wurde nämlich im 1. Jh n.Chr. geschrieben. Heute weiß kein Mensch, wie lang es ursprünglich war. Nicht einmal der Titel ist gewiss. Wir kennen es als „Satyricon“ (bzw. „Satyrikon“). Der Autor, ein gewisser Gaius Petronius Arbiter (manche sagen Titus Petronius Arbiter), war ein betuchter Partyboy im Hof Neros. Nach Auskunft des römischen Historikers Tacitus, musste er sich das Leben nehmen, weil ein Neider ihn vor dem Kaiser verleumdet habe. Letztendlich weiß man aber nichts über ihn.
Der Satyrikon erzählt die Abenteuer eines gebildeten jungen Mannes namens Encolpius (er ist auch der Erzähler), der mit seinem noch jüngeren Toyboy Giton irgendwo im heutigen südlichen Italienunterwegs ist. Die zwei treffen auf diverse Menschen und Situationen. Im Grunde bietet uns der Autor ein Bild von einem Rom, das man kaum kennt. Man ist auf den rauen Straßen des Imperiums: bei den Reichen, bei den Armen, bei den Hochstaplern, in den Bordells. Man hört den Straßenlärm und trifft ständig auf schräge Zeitgenossen. Die Bilder sind lebendiger als jeglicher Film aus Hollywood.
Ich habe aber gesagt: Es handelt sich um ein Fragment. Tatsache ist: Man weiß nicht, wie das Buch als Ganzes aussah. Wir haben lediglich ca. 100 Seiten davon. Es kann sein, dass es ursprünglich viel viel länger war. Ein wichtiges Motiv des Buches scheint die Impotenz des Erzählers Encolpius zu sein. Irgendwie hat er wohl einen Geheimritus des Fruchtbarkeitsgottes Priapus versehentlich gestört, was seine sexuelle Unfähigkeit verursachte. Die Probleme des Encolpius bereiten – zumindest für Leser – jedoch sehr unterhaltsame Szenen.
Nebenbei, und hier etwas Selbstwerbung: Der Sprachbloggeur hat Elemente dieses antiken Romans zu eigenen Zwecken in einem auf Englisch selbst geschriebenen Roman, „Winston Hewlett’s Impotence“, der dieses Jahr in den USA erschienen ist, nachempfunden. Auch dieses Buch ist eine Komödie.
Warum empfehle ich Petronius (und auch Blumenthal) gerade jetzt? Ganz einfach: Wenn es so scheint, als würde die Welt bald untergehen, ist es hilfreich, sich zu erinnern, dass die Gegenwart bloß ein Augenblick in der langen Geschichte der Menschheit ausmacht.
Petronius malt Ihnen eine Welt, die vor zweitausend Jahren existierte und sich für höchst modern gehalten hat. Blumenthal tut das gleiche über eine Welt, die vor 50 Jahren als Höhepunkt des Modernen galt.
Zweifeln Sie nicht: Ein Blick in die Vergangenheit ist durchaus erfrischend, wenn man den Stellenwert der eigenen Gegenwart überzubewerten neigt.
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