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Zahlenmystik für Aufgeklärte

Mein Freund Eric war Wahrsager. Eines Tages sagte er mir: „Ich heiße nicht mehr ‚Eric’. Ab jetzt schreibe ich mich ‚Erich’.“

„Warum?“ fragte ich.

„Das hat mit der Numerologie zu tun“, erklärte er. „Wenn ich meinen Namen ohne ‚h’ schreibe, stehe ich unter dem Einfluss von Saturn, und der ist sehr restriktiv. Mit ‚h’ bin ich ein Kind Jupiters, expansiv also, was auch gut für die Geschäfte ist.“

Ich erzähle hier eine Geschichte aus lang vergangenen Zeiten, als das Wort „Information“ noch „Auskunft“ bedeutete. „Expand your brand“ war damals kein Ausruf, andere Firmen zu verschlingen und Tausende Mitarbeiter in die einstweilige Arbeitslosigkeit zu schicken. Den eigenen Markennamen expandierte man, indem man ihn lediglich neu buchstabierte.

Und genau das hat Eric getan. Ob ihm die neue Schreibart nutzte, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich aber, dass er sich auch mal „Erik“ nannte.

Vielleicht fragen Sie sich schon, was dieser Buchstabenzauber mit der Zahlenmystik zu tun hat. Entschuldigung. Ich habe Ihnen ein wichtiges Detail vorenthalten. Seit der Antike werden Buchstaben nämlich als Ziffern verwendet. Insbesondere waren es die Griechen, die diese Gepflogenheit damals verbreiteten. Das sah ungefähr so aus: „alpha“ = 1, „beta“ = 2, „gamma“ = 3 usw. Wahrscheinlich hatten sie diese Technik von den Phönizern übernommen.

Wenn man aber Buchstaben als Ziffern verwendet, kommt man schnell auf die Idee, auch ganzen Wörtern einen Zahlenwert zu geben. Ist doch logisch. Man braucht den Zahlenwert der Einzelbuchstaben lediglich zu summieren. Und nun sind wir bei der Mystik gelandet.

Denn gerade dies machten die Juden in der Antike. Höchstwahrscheinlich hatten sie diese mystische Kunst bei den Griechen abgeguckt. Sie nannten diese Zahlenmagie auf Hebräisch „gematria“, ein Wort, das vom griechischen „geometria“ abgeleitet wird.

Der Talmud ist vollgepackt mit numerologischen Verweisen. (Mit „Talmud“ ist eine umfangreiche Sammlung jüdischer religiöser Texte aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten gemeint). Beispiel: Das hebräische Wort „gewura“ („Stärke“), hat den selben Zahlenwert, 216, wie das Wort „arije“ („Löwe“). Nette Verknüpfung. Oder noch ein Beispiel: Das hebräische Wort „majim“ bedeutet „Wasser“, was, zusammenaddiert, die Zahl 640 ergibt. Nach der Bibel war Noah 600 Jahre alt, als die Sintflut kam, und es 40 Tage regnete. Auch nett.

Man kann in der Bibel endlos nach solchen Verknüpfungen jagen. Ein lustiges Spielchen auch. Was heißt Spielchen? Erinnern Sie sich an das Buch „Bibelcode“? Man kann auch mit der Zahlenmystik viel Geld erwirtschaften. Menschen zahlen gerne, wenn es um das Geheimnis das Lebens geht.

Letztendlich aber hat die Zahlenmagie keine so lange Tradition in unserer westlichen Kultur. Populär wurde sie erst im 15. Jahrhundert dank zwei Florentinern, Marsilio Ficino und Pico della Mirandola. Zu dieser Zeit strömten christliche Gelehrte in Scharen aus Konstantinopel nach Italien, um den neuen osmanischen Eroberern zu entfliehen. Mit im Gepäck hatten sie Stöße von griechischen Manuskripten, die sie vor den Osmanen in Sicherheit bringen wollten. Das war übrigens der Beginn einer Rückkehr der antiken griechischen Literatur nach Europa. Deshalb wird diese Zeit als „Renaissance“, „Wiedergeburt“, bezeichnet.

Die Gelehrten brachten aber nicht nur Seriöses mit. Mitunter hatten sie auch viel Schund, sprich „Hokuspokus“-Texte, aus Byzanz herausgeschmuggelt, Bücher die in den ersten ersten nachchristlichen Jahrhunderten entstanden waren, die man aber damals für Geheimschriften aus einer hehren Urzeit hielt. Auch Ficino und Pico zweifelten an der Echtheit dieser Texte nicht. Fast die ganze „New-Age“-Literatur der Gegenwart beruht auf den von Ficino und Pico kommentierten Ausgaben alter Fälschungen.

Mir fällt all dies ein, weil ich letzte Woche in der International Herald Tribune einen Artikel über den indischen Zahlenmystiker Sanjay B. Jumaani gelesen habe. Er scheint eine Marktlücke entdeckt zu haben. Er bietet seinen Kunden eine neue Schreibart für den eigenen Namen an – so wie Eric es mit sich selbst einst gemacht hat – , um ihnen dadurch zu neuem Glück zu verhelfen. Jumaani (ich nehme an, dass das doppelte „a“ nicht ganz zufällig ist) zählt auch viele Bollywood-Stars zu seiner Kundschaft. So machte er, zum Beispiel, aus dem Schauspieler Ajay Devgan (mir leider kein Begriff) „Ajay Devgn“. Auch bei Filmtiteln wird er manchmal zu Rat gezogen, um die Erfolgschancen eines Streifens zu erhöhen. So erhielt ein Film – ich zitiere aus dem Artikel von Vikas Bajaj in der IHT – statt „Singh is King“ den Titel „Singh is Kinng“.

Und wenn ich mich „Spraachbloggeur“ nenne? Nein, mir kommt das vor wie ein langes, buchstabiertes Gähnen.

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