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Hilfe! Meine Bank will mich informieren!

Der Hintergrund: Letzte Woche habe ich Post von meiner Bank bekommen. Es ging um eine „Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und der Bedingungen zum Zahlungsverkehr“.

Im großen Kuvert fand ich lauter Broschüren mit Titeln wie: „Allgemeine Geschäftsbedingungen“, „Bedingungen für den „Überweisungsverkehr“, „Bedingungen für Zahlungen mittels Lastschrift im Abbuchungsauftragsverfahren“, „Bedingungen für Zahlungen mittels Lastschrift im Einzugsermächtigungsverfahren“ und und und.

Ich werde schon müde, wenn ich nur die Überschriften aufsage.

Vielleicht sind Sie bei derselben Bank Kunde . Wenn ja, dann haben auch Sie die erwähnten Broschüren bekommen. Falls Sie kein Kunde meiner Bank sind und Ihnen keine solche „Infosendung“ von Ihrer Bank ins Haus geschneit ist, dann müssen Sie mir glauben, dass es so ist, wie ich hier erzähle. Ich verrate den Namen meiner Bank allerdings nicht, es sei denn, sie ist bereit mir 6000 oder vielleicht 8000 Euro für Werbung zu bezahlen. Keine Schleichwerbung beim Sprachbloggeur. No, Sir. Das sind meine Bedingungen.

Höchste Zeit, eine kurze Kritik an meine Bank zu richten: Liebe Bank, die Broschüren, die ich von Ihnen erhalten habe, ermuntern nicht gerade zu deren Lektüre. Zwei Spalten pro Seite und alles so kleingedruckt wie Ameisenausscheidungen und sauber nach Paragraphen gegliedert! Wer soll das ohne mehrere Semester Jurastudiums lesen wollen/können? Ende der Kritik.

Ihnen, liebe Leser, biete ich nun eine kurze Kostprobe, die ich ganz spontan aus den erwähnten Texten selektiert habe. Sie stammt aus den „Allgemeinen Geschäftsbedingungen/Auszug“. Zitat: „Die Verpflichtung der Bank zur Ausführung einer Verfügung zu Lasten eines Fremdwährungsguthabens (Absatz 2) oder zur Erfüllung einer Fremdwährungsvebindlichkeit (Absatz 2) ist in dem Umfang und so lange ausgesetzt, wie die Bank in der Währung, auf die das Fremdwärungsguthaben oder die Verbidlichkeit lautet, wegen politisch bedingter Maßnahmen oder Ereignisse im Lande dieser Währung nicht oder nur eingeschränkt verfügen kann.“

Das ist wirklich O-Ton. Mein Ehrenwort. Ich mache hier keine Witze. Verstehen Sie mich aber nicht falsch. Ich bin überzeugt, dass obiger Satz sehr wichtig ist, vor allem, wenn man eine Fremdwährungsverbindlichkeit erfüllen will. Mir machen solche Sätze aber Angst. Ja, Angst. Weil ich weiß, ich bin demjenigen, der mir solche Schriften schickt, einfach nicht gewachsen.

Damit will ich sagen: Ich weiß, dass meine Bank im Notfall mich zu etwas verpflichten kann, wenn es in den „Bedingungen“ steht, und ich kann nur hoffen, dass man es gut mit mir meint. Sonst fühle ich mich ganz ausgeliefert.

Andererseits: Die Bank räumt mir eine Frist von sechs Wochen ein, falls ich gegen diese „Bedingungen“ Einspruch einlegen will.

Doch gesetzt den Fall, ich würde die Zeit finden, all dies zu lesen, und ich würde etwas entdecken, das ich vielleicht auch kapiert habe aber womit ich nicht einverstanden wäre…und gesetzt den Fall, ich würde Einspruch einlegen, was passierte dann?

Habe ich etwas erreicht, oder wird die Hundertschaft von Rechtsanwälten, die diese „Bedingungen“ verfasst haben, mich in zwei Sätzen à 55 Cent Portokosten mit neuen Eloquenzen wegblasen?

Aber nun zu meiner eigentlichen Frage: Was will die Bank mit dieser „Infosendung“ wirklich? Sich über mich lustig machen? Mit mir Kräfte messen? Oder steckt dahinter vielleicht ein Gesetz, das der Bundestag einst aus idealistischen Gründen verabschiedet hat, damit Verbraucher besser informiert werden?

Ich weiß es nicht. Aus diesem Grund betrachte ich vorliegende Glosse selbst als Einspruch – einen realistischen freilich. Ich gebe ihn nämlich schon jetzt in den Wind .

Das Geheimnis der Zwanziger

Im Moment habe ich den Kopf so voll mit Worten, dass ich kaum mehr denken kann.

Das wird Ihnen aber zum Vorteil gereichen. Denn ich wende mich nun den Zahlen zu und werde Ihnen das Geheimnis der Zwanziger lüften.

Vielleicht wussten Sie gar nicht, dass es hier ein Geheimnis zu lüften gibt.

Es gibt es sehr wohl, obgleich ein Deutsch Sprechender nur selten auf diesen Gedanken kommen wird. Punkt! Ein Franzose weiß sofort, wovon ich rede.

Wissen Sie, wie man auf Französisch „achtzig“ sagt? Antwort: „quatre-vingt“, zu Deutsch „viermalzwanzig“.

Warum zählen die Franzosen so komisch? Vergleichen Sie das italienische „ottanta“ und das spanische „ochenta“. Eigentlich müßte ein Franzose „huitante“ für „achtzig“ sagen. Und das tun die Welschen in der Schweiz und ich glaube auch die Belgier – bin aber nicht ganz sicher.

Warum sagt ganz Paris aber „viermalzwanzig“, wenn man „achtzig“ meint?

Ich wäre nie auf die Antwort gekommen, wenn ich nicht zufällig neulich in Dänemark gewesen wäre, wo ich mein Interesse für die dänische Sprache entdeckt habe.

Fakt ist: Jeder Dänisch Lernende stolpert über die Zahlen in dieser skandinavischen Sprache. Bis „neunzehn“ („nitten“) ist die Welt noch in Ordnung. Doch dann kommt „tyve“, „zwanzig“, wörtlich „zweimalzehn“. Übrigens: Versuchen Sie bitte nicht, „tyve“ auszusprechen. Glauben Sie mir, ihre Aussprache wird garantiert falsch sein, wenn Sie keine dänische Mutter haben.

Auf „tyve“ folgt „tredive“, also „dreißig. Dieses Wort ist noch unmöglicher auszusprechen, scheint aber „dreimalzehn“ zu bedeuten, was nicht weiter schlimm ist. Auch „dreißig“ bedeutet „dreimalzehn“.

Ab jetzt wird’s knifflig: „Vierzig“ heißt auf Dänisch „fyrretyve“. Ein unmögliches Wort, das die Dänen auf „fyrre“ gekürzt haben. Die Zahl bedeutet wörtlich „viermalzehn“, was ebenso logisch ist wie „vierzig“, das auch „viermalzehn“ ist. Nur: „Tyve“ kann sowohl „zehn“ wie auch „zwanzig“ bedeuten. Fragen Sie mich nicht, warum es so ist. Mit dem dänischen Wort für „fünfzig“, „halvtredsindstyve“, wird man schier verrückt. Nicht einmal die Dänen wollen dieses Wortungeheuer in den Mund nehmen. Sie haben es auf „halvtreds“ reduziert. Die Langform bedeutet aber wörtlich „zweiundhalbmalzwanzig“. Alles klar?

„Sechsig“ ist „tresindstyve“ – die Dänen belassen es aber bei „tres“. Wörtlich: „dreimalzwanzig“. Es folgt: „Dreiundhalbmalzwanzig“, „viermalzwanzig“ und „vierundhalbmalzwanzig“. Das sind, ins Deutsche übersetzt, die dänischen Vokabeln für „siebzig“, „achtzig“ und „neunzig“. Irgendwie haben sie es mit den Zwanzigern.

Aber kehren wir nun zum französischen „quatre-vingt“ zurück. Sicherlich ist Ihnen die Ähnlichkeit mit dem dänischen „viermalzwanzig“ bereits aufgefallen. Nur Zufall?

Nein. Wir schreiben das Jahr achthundertundetwas n.Chr. Damals hatten die Vorfahren der Dänen, die Wikinger, die halbe Welt erobert. Auch das damalige Frankenreich war fest in den Händen dieser „Nordmänner“, wie man sie damals nannte. Manche von ihnen haben sich im nördwestlichen Frankenreich niedergelassen. Deswegen heißt diese Gegend „Normandie“.

Zwar haben die Nachkommen der dort ansässigen Wikinger die Landessprache, Französisch, übernommen. Ihre Art zu zählen aber haben sie zumindest teilweise in der neuen Sprache beibehalten .

Warum die Wikinger in Zwanzigereinheiten zählten? Keine Ahnung. Vielleicht hat es ihnen Spaß gemacht, die Zahl ihrer Finger und Zehen zu kontrollieren. Nicht zu vergessen: Damals gab es noch kein Fernsehen, kein Internet und keine MP3s.

Aber genug für heute. Keine Worte mehr, keine Zahlen. Ende des Geschichtsunterrichts.

Fröhlich sein in Hitlers Deutschland

Wer mit lustigen Geschichten aus der guten alten Zeit der Gewaltdiktatur gerechnet hat, der hat sich geirrt. Sorry, verkehrte Webseite.

Ich möchte nur weitergeben, was mir – wir nennen ihn Frank – neulich erzählt hat.

Frank ist Zeitzeuge und schätzt seine Privatsphäre.

Es geht um die Leidenschaft: Beginnen wir mit Gustav Fröhlich und Lída Baarová. Es würde mich keinesfalls überraschen, wenn viele Leser nicht mehr wissen, wer diese Leute sind.

Schon 1935 oder so lernte Fröhlich (1902-1987), derzeit „Don Juan des deutschen Films“, Fr. Baarová (1914-2000), eine sehr attraktive, junge Schauspielerin aus der Tschechei, kennen. Sie spielten zusammen im Film „Barcarole (1935). Zwischen ihnen hat es bald gefunkt. Wie das manchmal der Fall ist, zogen sie in ein Haus zusammen – genauer gesagt ins Villenviertel Berlin-Schwanenwerder. Mit Sicherheit teilten sie eine Zahnbürste. Damit meine ich – sie wurden, soweit heute bekannt, intim.

Wie das Schicksal es wollte, hatten sie als Nachbarn Joseph und Magda Goebbels. Und bald hat sich Goebbels – Spitzname: „der Bock von Babelsberg“ – in Fr. Baarová verschossen und zwar sehr. Bald teilte auch er eine Zahnbürste mit ihr.

Und nun passierte es: Eines Tages hat Fröhlich die zwei – beim Zähneputzen – überrascht. Der Don Juan des deutschen Films war in dem Augenblick alles anders als fröhlich. Frank zufolge, hat Fröhlich dem Babelsberger Bock eine kräftige Ohrfeige verpasst.

„Ja, und was passierte dann mit Fröhlich. Wurde er gleich verhaftet?“ fragte ich naiv.

„Nein, das ist nicht passiert. Goebbels war zwar sehr mächtig. Verhaftungen waren nicht Teil seines Zuständigkeitsbereichs. Es wäre ohnehin nicht in seinem Interesse gewesen, dass diese Peinlichkeit publik gemacht wird.“

Irgendwie gelangte die Geschichte trotzdem in die Öffentlichkeit. Auch Frank war damals bestens informiert. Wer gepetzt hat, ist nicht bekannt.

Fröhlich vielleicht? 1939 sagte er bei der Premiere von „In geheimer Mission“ (Kennen Sie den Film? Ich nicht) in Berlin, nachdem einer aus dem Publikum „Gustav, was war mit Goebbels?“ rief: „Ach, reden wir doch mal von etwas anderem“. Der Ton war eindeutig süffisant.

Übrigens: Zwischen Goebbels und Baarová entflammte bald so etwas wie die große Liebe. Er wollte sich sogar von Frau Magda scheiden lassen, um Baarová zu heiraten. (Magda hatte damals einen eigenen Spezl, habe ich gelesen: den späteren Breslauer Gauleiter Karl Hanke. Über diese Type habe ich in meinem noch unveröffentlichten „Gedanken um Otto W.“ ausführlich erzählt. Siehe da, wenn es soweit ist).

Goebbels sprach auch Hitler über seine Heiratspläne an. Der Führende tobte aber sehr. Sein Interesse galt damals eher dem Krieganzetteln als irgendwelchen Liebesskandalen. Er ließ Baarová nach Prag verschwinden.

Warum erzähle ich diese Geschichte? Wegen Komiker Werner Finck (1902-1978). Denn um besagte Zeit pflegte er bei seinen Auftritten Folgendes zu singen: „Ich möchte auch mal fröhlich sein, nur eines Stunde fröhlich sein.“ Das war ein gewagtes Vergnügen, und er (im Gegensatz zu Fröhlich) landete prompt im KZ. Aber nur kurz.

„Weißt du“, sagte Frank. Auch die Nazis mussten mit ihren Verhaftungen bisweilen vorsichtig sein.“ Der Komiker war wohl damals sehr beliebt.

O-Ton Finck: „Gestern hatten wir zu, weil wir zu offen waren. Wenn wir heute wieder zu offen sind, haben wir morgen wieder zu.“

So sieht die Redefreiheit in der Diktatur aus. Fröhlich, fröhlich, fröhlich.

Sprachlos in München – ein Erlebnisbericht

Englischunterricht mit Lothar Matthäus.

Haben Sie schon davon gehört?

Ich muss zugeben. Ich habe davon nichts gewusst – bevor ich gestern früh ins Paradies ging. Wer mich kennt, weiß schon, dass ich mit Paradies Frau M.s Obstgeschäft meine. Für uns Sterbliche das Beste nächst dem Himmelreich.

Frau M. erklärte mir, dass Sie auf den Weg in die Arbeit im Autoradio gelegentlich Englischunterricht mit Lothar Matthäus höre.

(Gedacht habe ich: Wenn es so ist, dann biete ich demnächst Fußballunterricht mit dem Sprachbloggeur. Gesagt habe ich: „Ach was!“)

„Ja“, sagte Frau M. „Heute hat er den Zuhörern beigebracht, wie man auf Englisch ‚das Wasser läuft mir im Mund zusammen’ sagt. Ehrlich gesagt, habe ich aber nicht so ganz aufgepasst. Außerdem klingt sein Akzent, wenn er Englisch spricht, sehr deutsch.“

„Wie Filser-Englisch, wenn Ihnen das was sagt“, fügte Frau B., Frau M.’s Mitarbeiterin, hinzu.

(Aber freilich weiß ich als Wahlbayer, was das Filser-Englisch ist! Ich habe Ludwig Thoma sogar in der Originalsprache gelesen. Und in früheren Jahren habe ich mir die langweiligen „Filserbriefe“ in der Weekend-Ausgabe der SZ angetan. Sie wissen schon: „He has not all teacups in the cupboard“ und dergleichen).

„Ich wollte Sie aber fragen“, sagte Frau M. „Was heißt ‚das Wasser läuft mir im Mund zusammen’ auf Englisch?“

Ich hatte schon gefürchtet, sie würde diese Frage stellen. Denn gerade in diesem Augenblick war mir die englische Übersetzung entglitten. „Mir fällt es momentan nicht ein“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Ich fürchte, ich bin viel zu lange hier in München . Mir fallen die Wörter nicht mehr ein, wenn ich sie brauche. Manchmal muss ich im deutschen Wörterbuch ein englisches Wort nachschlagen und manchmal umgekehrt. Ich bin der Mensch ohne Sprache geworden.“

Natürlich hat Frau M. freundlich und aufbauend auf meine Klage geantwortet. Aber es stimmt, was ich sagte. Manchmal stehe ich da und bin total ohne die passenden Wörter in der passenden Sprache. Alzheimer? Erste Zeichen einer Demenz? Oder bin ich vielleicht keine Übersetzungsmaschine? Wohl eher das.

Vorgestern Abend ist mir Unangenehmes widerfahren. Ich war mit dem Motorroller zum Nymphenburger Schoss gefahren, um mich dort mit meiner Frau zu treffen. Im Hubertussaal spielte eine lustige Kammeroper, wirklich lustig. Es war noch Tag als ich ankam und schon dunkel – stockdunkel sogar – , als die Vorführung zu Ende ging. Ich schmiss die Maschine an (meine Frau, die sich stur weigert als Sozia mitzufahren, ist schon zur Tram vorgegangen). Nun stellte ich fest, dass das Licht nicht brannte.

Natürlich habe ich versucht auch ohne Licht auf Schleichwegen nach Hause zu fahren. Ja, ich weiß, dass das gefährlich ist. Darüber tobte meine Frau auch später. Es hatte ohnehin keinen Sinn. Denn nach wenigen Metern hielt mich ein Streifenwagen an. Die netten Polizisten haben mir erwartungsgemäß die weitere Fahrt nicht erlaubt. Sie haben mir empfohlen, den Roller zur nächsten Tankstelle (sie war ganz in der Nähe) zu schieben, um dort das Licht richten zu lassen. Das habe ich auch gemacht.

An der Tankstelle arbeitete ein sympathischer, hilfreicher junger Mann. Die Reparatur klappte aber nicht. Also rief ich den ADAC an. Und jetzt komme ich auf meine Wortlosigkeit zu sprechen. Ich war plötzlich unfähig, das Wort „Scheinwerfer“ auszusprechen. Mir fiel es einfach nicht ein. „Licht“, „Lampe“ konnte ich sagen – auch „headlight“ auf Englisch, „Scheinwerfer“ aber nicht. Irgendwie schaffte ich es trotzdem, dem ADAC mein Dilemma zu erläutern. Eloquent war ich jedenfalls nicht.

Übrigens: Der Roller ist immer noch nicht in Ordnung. Nur das Standlicht funktioniert. Das ist aber eine andere Geschichte.

Aber zurück zu Frau M.’s Frage. Wie sagt man „das Wasser läuft mir im Mund zusammen“? Zuhause angekommen, habe ich diese Redewendung prompt nachgeschlagen. Eigentlich ganz easy. „My mouth is watering“, sagen wir, Frau M.! Nur: Warum ist mir das nicht früher eingefallen?

Ein Lothar Matthäus bin ich wohl nicht.

Schwere Zeiten für Analphabeten

Während einer Wirtschaftskrise macht man sich Gedanken übers Geld.

Man wird schöpferisch, sucht nach Ideen, die sich gut verkaufen.

Wahrscheinlich deshalb erscheinen in letzter Zeit so viele Bücher, die den Verfall der deutschen Sprache anprangern. Es hat sich erwiesen: Solche Bücher verkaufen sich bestens. Das Lästern über die Sprache macht einfach Spaß. Sie wissen schon: Denglisch, Rechtschreibfehler in Emails, in Blogs in Chatrooms usw. Über so was liest man halt gerne.

Noch aufregender als der vermeintliche Verfall der Sprache ist aber das Thema des wachsenden Analphabetismus. Sprich: Man lese immer weniger . Insbesondere schielt man aufs Internet, und manche sagen uns schon eine vorschriftliche Zukunft voraus. Erste Anzeichen glaubt man etwa in den Emotiken und den Smileys zu erkennen. Noch gefährlicher seien die Online- Rollenspiele wie WoW (für Nichtkenner: „World of Warcraft“), die bewiesenermaßen süchtig machen. Und und und.

Ja, das Unken war schon immer ein befriedigender Zeitvertreib.

Kurzer Themenwechsel: Einmal bekam ich den Auftrag, einen Artikel über die Zukunft der Schrift zu schreiben. Der Auftraggeber las meinen Text und drückte geschwind seine Unzufriedenheit aus. „Herr Blumenthal“, sagte er, „wir sind zwar beide der Meinung, dass die Schrift sehr wohl eine Zukunft hat, Sie haben mir aber, zumindest am Schluss Ihres Textes, langweiliges und banales Zeug geliefert.“ Mein Artikel erschien also nicht.

Vielleicht hatte der Auftraggeber recht. Nein, nicht „vielleicht“. Er hatte recht.

Deshalb möchte ich heute an dieser Stelle den richtigen Schluss zu diesem damals lauen Text nachreichen.

Ich habe nämlich in der Weekend-Ausgabe der Süddeutschen Zeitung einen Artikel vom Kollegen Thomas Steinfeld gelesen, der die Ergebnisse einer neuen Studie der Stanford Universität schilderte. Diese „Stanford Study of Writing“ liefert jedem Zweifler den endgültigen Beweis dafür, dass das Internet doch kein Verblödungsintrument ist. Im Gegenteil: Es wird womöglich ein goldenes Zeitalter des Schreibens einläuten.

Schon gut, ich übertreibe ein wenig. Vom goldenen Zeitalter ist im SZ-Artikel nirgends die Rede. Dennoch ist die Botschaft klar: Das Internet macht uns erst recht zu Teilhabern einer Schreibkultur. Die zahllosen Emails, die Facebook-Selbstdarstellungen, die Twitterkommentare, Chatroomgeschnatter, die Blogs usw., sie fordern von allen Anwendern eine neue Schreibfertigkeit. Dass man sich nicht unbedingt immer an den Duden usw. hält, ist nur Nebensache (und ein ganz anderes Thema).

Soviel für die gute Nachricht aus dieser neuen Studie der Stanford Universität. Jetzt die schlechte, die mich übrigens sehr überrascht hat: Die Gefahr in ein vorschriftliches Bewusstsein zurückzufallen, hat es in der Tat einst gegeben. Und zwar während der letzten Jahrzehnte des vorigen Jahrhunderts. Vielleicht erinnern Sie sich: Damals wurde die Schriftkultur immer weniger befördert. Man hat kaum mehr geschrieben. Auch das Briefeschreiben wurde zur Seltenheit. Nur das Allernötigste haben viele Menschen – vor allem junge Menschen – schriftlich erfasst – meistens nur in der Schule. Kein Wunder, dass der kanadische Medienforscher Marshall McCluhan bereits um 1960 ein Nachschriftliches Zeitalter – ein globales Dorf – witterte. Man würde sich künftig nur noch durch Bilder verständigen, verkündete er.

So war es auch fast. Jeder glotzte, ging ins Kino oder hörte Musik.

Dann kam das WehWehWeh, die Emailkonten, das Socialnetworking usw. Man begann von alleine wieder zu schreiben.

Wie gesagt: Schwere Zeiten für Analphabeten kommen auf uns zu.

Ende des Artikels über die Zukunft der Schrift und Warnung an alle Unkenrufer.

Eine kurze Geschichte des Weinens

Ach Sommer! Ich sitze auf dem Balkon und lausche den sanften Tönen der vorbeirauschenden Autos, der donnernden Hubschrauber und der summenden Wespen, die mich für ein Weißbier oder einen Zwetschgendatschi halten.

Und natürlich hört man im Hinterhof das Plärren der Säuglinge.

Nein, ich beschwere mich nicht. Die plärrenden Säuglinge von heute werden in zwanzig Jahren oder so Ihre und meine (wenn ich noch so lange lebe) Rente finanzieren.

Also plärrt nur weiter, liebe Kinder! Wachst und gedeiht! Und zahlt dann bitte in die Rentenkasse.

Ans Plärren denke ich gerade, weil ich es für den allerersten Schritt auf dem Weg in die Sprachlichkeit halte. I

st es Ihnen jemals eingefallen, dass das Plärren auf der ganzen Welt stets den gleichen Klang hat, als handelte es sich um eine universale Sprache?

Ja, so ist es. Doch es dauert nicht lange: Auf einmal hört sich das Geplärr recht differenziert an. Anfänglich unterscheidet man – zumindest in unserer Kultur – lediglich drei „Wörter“: (Ich habe) „Blähungen“, „Hunger“ und  „schmutzige Windel“.

Der Klang ist so penetrant, dass kein Mensch es überhören kann. Eigentlich eine gute Einrichtung der Natur. Die Kindesmutter weiß sofort, dass sie in diesem Augenblick gefragt ist. Das Weinen erfüllt freilich auch Zwecke jenseits der unmittelbaren Botschaft. Es erzeugt, zum Beispiel, Tränen, die wiederum die Augen reinigen. Außerdem heißt es auf Deutsch nicht umsonst „Schreikind, Gedeihkind“. Das Plärren wirkt nämlich positiv auf die Lungen.

Ja, und immer differenzierter wird das Kindesgewein, bis es nach und nach dem eigentlichen Sprechen weicht. Irgendwie ein Wunder, nicht wahr? Trotzdem bleibt es mir ein Rätsel, wie ein dänisches Menschenkind jemals die Laute „røde grøde med fløde“ („rote Grütze mit Sahne“) meistert. (Nebenbei: Ich habe gelesen, dass der Begriff „tschechische Zwetschgen“ für Dänen kaum zu bewältigen ist).

Wie auch immer. Das Weinen führt zu den ersten Sprachübungen. „Bababa“, „umna“, „gda“ usw. Dieses Thema habe ich aber bereits angeschnitten, als ich neulich über die kleine Alina schrieb. Ihr erstes Wort war „hallo“. Siehe da.

Übrigens: Inzwischen hat Alina mit dem Sprechen große Fortschritte gemacht. Momentan scheint ihr Lieblingswort „Auto“ zu sein. Sie hört nicht auf, auf Autos zu zeigen und sagt jedes Mal stolz dieses Wort. Niedlich.

 Aber nicht Alinas weiterer Weg in die Sprache ist mein Thema, sondern das Weinen. Ich stelle jedoch fest, dass auch Alina, wenn sie sprachlich nicht weiter weiß, ins Weinen zurückfällt. Was heißt „zurückfällt“. In ihrem zarten Alter lebt sie noch immer zwischen zwei Welten; einer sprachlichen und einer vorsprachlichen. Das Weinen bedeutet bei ihr also nur manchmal, dass sie traurig oder irritiert ist. Das Kind weint, wenn es sonst keine Worte findet, um etwas Dringendes mitzuteilen. Zum Beispiel, wenn Alinas Vater sie daran hindert, die Blüten kaputt zu machen, drückt sie sich mit Weinen aus. Aber nur weil sie noch nicht in der Lage ist zu sagen: „Was heißt, ich darf die hübschen Blüten nicht ausreißen. Das macht Spaß, und ihr sagt immer nur nein!.“

Notabene: Dieses Weinen ist mitnichten mit dem Weinen eines traurigen Erwachensen zu vergleichen. Wenn er (oder sie) erst einmal zu weinen angefangen hat, muss er/sie damit fortfahren, bis die Impulse völlig ausgeschöpft sind. Alina hingegen kann das Weinen an- und abdrehen wie einen Wasserhahn.

Doch die Zeit der langen Sätze kommt schneller als man denkt. Eines Tages wird auch Alina vielleicht dazu kommen, diese Zeilen zu lesen. Laut lachend wird sie sagen: „Das war ich? Ha!“

Darf man manchmal politisch korrekt sein?

Das genaue Kalenderdatum ist mir unbekannt. Ich tippe auf 1954.

Wir Kinder spielten Fangen vor der Tür des vierstöckigen Backsteinhauses. Zuerst mussten wir entscheiden, wer der Fänger sein wird. Deutsche Kinder sprechen (oder sprachen) das uralte „Enne menne mu, raus bist du“ oder einen ähnlichen Zauberspruch aus, um den Fänger zu bestimmen.

In der Bronx, meiner Heimat, machten wir es ebenso: „Eenie meenie minie mo (sprich: ini mini meini mo…) – wie Sie merken, besteht hier eine uralte Verwandtschaft zweier Sprachen. Unser „raus bist du“, war allerdings etwas aufwendiger zu sprechen als das der deutschen Version. Bei uns hieß es „catch a nigger by his toe. If he hollers let him go. My mother said to pick this one.” Zu Deutsch: „schnapp einen Neger am Zeh. Wenn er schreit, lass ihn los. Meine Mutter sagt, man solle diesen auswählen. “

Es ist der „geschnappte Neger“, der heute unsere besondere Aufmerksamkeit verdient. Ich vermute, dass dieses Bild in der Zeit der Sklaverei in den USA entstanden ist.

Ich kann mich genau erinnern, wie eines Tages vor dem Fangspiel ein Bub – sicherlich war er älter und weiser als ich – „halt!“ rief, als wir dabei waren, unser Reimchen zu rezitieren.

Alle schauten auf ihn.

„Man darf „catch a nigger“ nicht mehr sagen, verkündete er mit Autorität. „Es ist unschön. Ab jetzt werden wir ‚catch a tiger by its toe’ sagen.“ Und so geschah es denn auch.

Warum tippe ich auf 1954? Weil das Oberste Gericht der USA in diesem Jahr eine wichtige Entscheidung gegen die Rassendiskriminierung getroffen hat.

Ich musste daran denken, als ich von einem anonymen Leser (einer Leserin?) unlängst einen Kommentar über die „political correctness“ erhielt. Der/die Schreiber(in) stellte fest, dass in Bayern ein Weißbier mit Cola – ehemals „Neger“ genannt – heute nur mehr „Diesel“ heiße. Auch die Bezeichnungen „Negerkuss“ bzw. „Mohrenkopf“ seien verschwunden. Diese Neuigkeiten seien wohl der politischen Korrektheit zuliebe entstanden, mutmaßte er (sie).

Mir war nicht klar, ob der/die Leser(in) das Verschwinden dieser Begriffe gutheißen wollte oder eben nicht. Ist aber unwichtig.

Ich jedenfalls finde es richtig, dass die „Mohrenköpfe“ und „Neger“ zu Sprachkuriositäten geworden sind. Man muss bedenken: Solche Wörter entstammen einem Zeitalter – bzw. einem Zeitgeist, als Europäer wenig Ahnung von der großen Welt hatten. Das Fremdartige hat man entweder pauschal abgelehnt oder sich darüber lustig gemacht – letzteres eine Verlegenheitslösung. Juden, Sinti (früher „Zigeuner“, d.h. „Ziehgauner“- "Gauner" im Sinn von "Ioner", also eigentlich "Griechen"), Türken, sogar Italiener wurden von manchen noch vor dreißig Jahren als „Fremdkörper“ angesehen. Über Exotiken macht man halt Witze. Das ist keine Krankheit. Es geht schließlich um „wir“ und „sie“.

Das war aber damals. Inzwischen hat der Fremde einen Namen und ist vielleicht Ihr Nachbar. Da die Sprache nur selten auf der Stelle tritt, ist es heute kein Wunder, dass man in der Bäckerei keinen „Mohrenkopf“ mehr verlangt (wenn man überhaupt einen in der Bäckerei findet. Ich sehe sie   schon lange nicht mehr).

In Amerika konnte man einst bei der Fastfood-Kette, „Little Black Sambo“ einen netten kleinen Imbiss bestellen. Der Firmenlogo war der Kopf eines schwarzen Jungen. Circa 1970 hat die Geschäftsleitung das Zeichen der Zeit erkannt. Die Kette heißt seitdem nur noch „Sambos“. Schnell wurden der alte Name und das Logo vergessen.

Nur in den „no-go-areas“ des Abendlands hält man an den alten Vokabeln fest. Man träumt dort aber nur ausgeträumte Träume.

Wäre interessant zu wissen, was die Chinesen mit den Begriffen „Tibetaner“ und „Uigur“ alles anstellen, oder welche Sprachironien Christen und Juden in Irak und Afghanistan ausgesetzt werden.

Ach ja, nur nebenbei: Diese heutige Glosse hat mit der politischen Korrektheit absolut nichts zu tun. Allen Ewiggestrigen wünsche ich eine gute Nacht.

Die Sprache der Krankheitserreger

Mit Sicherheit haben Sie von der neuen Theorie über den Tod Mozarts erfahren. Alle Zeitungen, das Fernsehen und auch das Internet haben ausführlich über sie berichtet – dies, obwohl Mozart beileibe kein Michael Jackson war. Es heißt, der Salzburger Wunderknabe sei nicht aufgrund einer exotischen Krankheit gestorben, wie früher spekuliert hat, sondern einer gewöhnlichen Streptokokkeninfektion erlegen.

Diese kugelförmigen Eitererreger waren schon immer gefährlich. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Im Zeitalter der Antibiotiken hat man das aber schnell wieder vergessen.

Im Winter 1791-1792 grassierte in Wien offenbar eine Streptokokkenepidemie. Die meisten Opfer waren in diesem Jahr junge, robuste Männer. Krankheiten sind manchmal ebenso wählerisch wie Menschen. Damals hat niemand verstanden, dass es sich um eine bakterielle Erkrankung handelte. Wahrscheinlich hat man im 18. Jahrhundert gesagt, ein „Fieber“ mache die Runde.

Vielleicht fragen Sie sich, warum ich mich mit Bakterien beschäftige.

Weil auch sie eine Sprache haben.

Nein, dass habe ich noch viel zu unpräzise ausgedrückt. Genauer gesagt: Bakterien – und Viren – sind eine Sprache.

Bedenken Sie: Welche Überlebenschancen hätten ansteckende Bakterien oder Viren, wenn sie nicht in der Lage wären, von Tier zu Tier oder von Mensch zu Mensch zu überspringen? Keine natürlich.

Einen Krankheitserreger, der nicht ansteckend ist, könnte man mit einer Sprache vergleichen, die von nur einem Menschen verstanden, bzw., gesprochen wird. Einsam. Ohne Zukunft also.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich will hier keineswegs die Daseinsberechtigung von gefährlichen Keimen rechtfertigen. Wirklich nicht. Ich denke lediglich über Sprache nach.

Und noch eine Gemeinsamkeit: Auch Menschensprachen können Schlimmes, Zerstörerisches verbreiten und unter Umständen ebenso tödlich wirken wie eine bakterielle oder virale Infektion.

Aber halt. Ich schreibe hier kein Wort zum Sonntag. Ich stelle lediglich ein paar Überlegungen über Sprache im weitesten Sinn an.

In meiner Jugend habe ich einen kurzen Roman – damals noch in englischer Sprache – mit dem Titel „Influenza“ geschrieben. Es handelte sich – zumindest vordergründig – um eine Reihe unerfüllter Liebeswünsche. Das heißt: Er liebt sie, und sie liebt einen anderen , der wiederum eine andere liebt usw. Ich habe eine Art Liebesreigen geschildert – das war lange bevor ich wusste, dass Arthur Schitzler ein Theaterstück namens „Reigen“ geschrieben hat. Damals wusste ich auch noch nicht, wer Arthur Schnitzler war. Was ich aber doch wusste: Die Beziehungen, die ich in meinem kurzen Roman beschrieben habe, wirkten influenzaartig .

Das Buch liegt schon über dreißig Jahre in der Schublade, bleibt aber nach wie vor aktuell und scheint immer noch recht unterhaltsam zu sein.

Doch kehren wir zu Mozart zurück. Was wäre geschehen, wenn die Streptokokken, die ihn damals töteten, Musikliebhaber gewesen wären? Ich weiß, ich stelle eine dumme Frage. Denn Streptokokken verstehen unsere Musik so wenig wie wir die Musik der Walfische.

Jeder ist fest davon überzeugt, dass seine Art die Dinge wahrzunehmen die einzig gültige sein müsse. Ob Bakterie, Virus oder Mensch, jeder spricht die Sätze, die ihm eigen sind. Ende der Predigt.

Warten auf das "Fräulein"

Das Warten ist charakterbildend. Daran habe ich gestern gedacht, als ich drei Stunden beim Doktor wartete, bis ich an die Reihe kam. Ich war nämlich „Einschubpatient“, ich hatte also keinen festen Termin.

Sicherlich steckt seitens der Praxis ein Quäntchen Pädagogik hinter diesem langen Warten. So wird einem klargemacht, dass es keinen Vorteil bringt, den Vordrängler zu spielen.

„Charakterbildend“, dachte ich. Das Wort gefiel mir aber nicht. Es kam mir irgendwie gekünstelt vor, als handelte es sich um einen Begriff aus dem Neudeutschen. Es erinnert nämlich zu sehr ans englische „character building“. Ich habe auf eine unbeholfene Lehnübersetzung getippt. Im sechsbändigen Duden aus den 70er Jahren aber steht „Charakterbildend“ ohne jeden Hinweis auf eine derartige Entlehnung da.

Komisch wie unterschiedlich die Wörter „bilden“ und „build“ sind. „Build“ bedeutet auf Deutsch „bauen“, „aufbauen“, „erbauen“. Im Englischen „one builds a house“ oder seinen Charakter.

Auf Deutsch kann man sich etwas „einbilden“. Man kann sich auch „ausbilden“ (lassen). Wenn man viel weiß, gilt man als „gebildet“ oder manchmal als „eingebildet“. Man bildet sich aber kein Haus. Und etwas „aufbilden“ tut man schon gar nicht.

Sätze kann man bilden, Masken kann man bilden. „Bildhauer“ kann man werden. Man kann eine Regierung, einen Verein, eine Widerstandsgruppe (siehe „Duden“) „bilden“. Ein Vermögen wird „gebildet“. Ein Urteil kann man bilden. Man bildet sich aber kein Haus. Den Charakter hingegen kann man sehr wohl bilden, bzw. bilden lassen.

Schauen Sie: Die Orchidee hat Knospen gebildet. Etwas bildet auch eine Ausnahme.

Warum kann der Deutsche kein Haus bilden? Komisch.

Aber stopp! Nicht das „bilden“, sondern das Warten ist heute mein Thema.

Denn die Stunden, die ich gestern als Einschubpatient verlebte, bilden nur ein Beispiel des Wartens. Noch ein Beispiel: Letzte Woche habe ich mich in einem Restaurant mit W. verabredet. Wir nahmen uns vor, uns über Gott und die Welt zu unterhalten, nur nicht über die Arbeit. Es ist uns beinahe geglückt.

Was hat diese Verabredung mit dem Warten zu tun? Folgendes: Wir wollten die Aufmerksamkeit der Bedienung auf uns lenken. „Weißt du“, sagte ich W., „Früher hat man ‚Fräulein’ gerufen, wenn man die Bedienung zu sich herüberrufen wollte. Doch irgendwie kommt mir diese Ausdrucksweise altmodisch vor. ‚Bedienung!’ hingegen klingt zu kaltschnäuzig. Was kann man heute noch sagen?“

W. war ebenso ratlos wie ich. Wir machten die üblichen Witze über „Frau Oberin“. Doch das ist, wie man sagt, ein Witz mit einem langen Bart.

Als die Bedienung endlich erschien – ich hatte  mit Handgefuchtel auf uns aufmerksam gemacht – fragte ich sie direkt, „Was sagt man heute, wenn man Sie herbeirufen will? ‚Fräulein’ ist bestimmt schon lange out.“

Sie lachte. „Sie haben recht. Viele Leute wissen nicht mehr, was sie sagen sollen. Sie rufen einfach ‚he!’, oder sie gestikulieren wie wild.“

„Wenn ich ganz ehrlich bin, hätte ich am liebsten ‚Fräulein!’ gerufen“, sagte ich. „Ich habe mich nur nicht getraut. Es klingt so…von gestern.“

Wieder lachte sie. „Ja, ist es auch, aber ich finde es nett. Sagen Sie zu mir ruhig ‚Fräulein’. Trauen Sie sich. Sie machen mir damit eine Freude.“

Das werde ich in Zukunft auch tun. Wenn man die Wahl hat, entweder lange auf Öl und Essig zu warten oder „Fräulein“ zu sagen, dann soll man doch ruhig „Fräulein“ ausrufen. Das Reden ist nämlich ebenso charakterbildend wie das Warten.

Eifer Sucht, was Wissen schafft (oder so)

Vor der Bundeswahl hat jeder längst verstanden, was mit der „K-Frage“ gemeint ist. Aber die „W-Frage“? Haben Sie gewusst, dass es eine „W-Frage“ überhaupt gibt?

„W“ wie in „Wissenschaft“.

Freund Wolfgang Goede – er bezeichnet sich als „Wissenschaftsjournalist“ (ein schönes Wort nicht wahr?) – hat mich überzeugt, dass die „W-Frage“ vielleicht um einiges wichtiger ist als die „K-Frage“. Was heißt „W-Frage“. Wolfgang hat mir erklärt, dass es mittlerweile eine hitzige „W-Debatte“ gebe. (Siehe: http://www.teli.de/wissenschaftsdebatte/index.html).

Ich habe die deutsche Sprache stets um ihre schöne Vokabel „Wissenschaft“ beneidet. In meinen Migrantenohren mutet das Wort ausgesprochen urwüchsig an. Haben Sie gewusst, dass dieser Begriff bereits im 14. Jahrhundert im Gebrauch war? Man benutzte es damals im Sinne von „Wissenheit“. Das war irgendwie eine Steigerungsform des „Wissens“ – ja, als handelte es sich um die allererste Sahne auf dem Gebiet des Wissens. „Wissenschaft umb ein Ding haben“, sagte man um das Jahr 1600. Man meinte damit, man könnte fundiert über etwas reden.

Im Vergleich klingt das englische „science“ absolut fade – etwa wie eine heiße Schokolade, die man mit Wasser statt mit Milch zubereitet hat. „Science“ ist ohnehin nur ein Stückchen gelehrtes Latein, das irgendwelche hochnäsige Gentlemen im 17. Jt. zu einer englischen Vokabel erklärten.

Kurzer Szenenwechsel: Einer der ersten Sprüche, die ich in der deutschen Sprache gelernt habe, war: „Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft.“ Er wird übrigens, wie ich jetzt erfahren habe, dem Theologen Friedrich Schleiermacher (1768-1834) zugeschrieben. Meine damalige Freundin hat diese Redewendung ständig, beinahe in einem Singsang, rezitiert. Ich war begeistert. Diese deutsche Sprache hat es in sich, dachte ich. Mit einfachsten Mitteln kann man geistreiche Dinge ausdrücken.

Doch zurück zur „Wissenschaft-Debatte“. Vielleicht fragen Sie sich, um was für eine „W-Debatte“ es sich hier handelt. Eben diese Frage habe ich Freund Wolfgang gestellt, und er hat es mir folgendermaßen erklärt: „Der Stand der Wissenschaft hat auch eine politische Bedeutung. Denn die Politiker treffen Entscheidungen, die den Lauf der Wissenschaft beeinflüssen.“ Er hat mir auch ein paar aktuelle Themen dargelegt: ob Deutschland ein eigenes Mondprogramm brauche; die Lage der Forscher, die nur kurze Vertrage erhalten und mit 45 Jahren unvermittelbar werden; die Frage ob die Abwrackprämie im Bezug auf die Umwelt sinnvoll war. Und so weiter…

Sofort dachte ich an den griechischen Naturwissenschaftler Anaxagoras, der im 5. vorchristlichen Jahrhundert gelebt hat. Er mutmaßte damals – ohne Fernrohr, versteht sich – , dass das Glühen der Milchstraße nicht auf Sonnenlicht, sondern auf Sternenlicht zurückzuführen sei. Anaxagoras wäre im Mittelalter mit dieser Theorie nicht weit gekommen. Man hätte ihm der Gottlosigkeit bezichtigt. Sie sehen: Eine „W-Debatte“ ist – und war – zu jeder Zeit nötig.

Wie kann ich diese „Wissenschaft-Debatte“ fördern? Darüber habe ich lange nachgedacht. Und jetzt habe ich die Antwort gefunden: Ich werde ihr ein Motto schenken! Nämlich: „Streitsucht ist eine Wissenschaft, die mit Streit sucht, was Wissen schafft“.

Ist freilich nur ein Angebot. Wenn es gefällt, dann freue ich mich. So oder so aber weiß ich jedenfalls, dass ich nun auch meinen kleinen Anteil geleistet habe im Kampf der Wissenschaftler um die „W-Frage“.

Eins steht jedenfalls fest: Jeder, der diese Glosse gelesen hat, wird sich für alle Zeiten vorstellen können, was das Wissen schafft.

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