Danke, Roland Emmerich, danke für nichts!
Das würde ich im Jahr 2012, wenn ich Warenhausbesitzer oder Betreiber eines Internetversands wäre, dem Regisseur des neuen Weltuntergangsblockbusters „2012“ sagen.
Warum?
Geht die Welt am 21. Dezember 2012 tatsächlich unter, dann kann man in diesem Jahr die Weihnachtsgeschäfte ganz abschreiben. Wer will Geld für Geschenke ausgeben, wenn er weiß, dass die Bescherung in die Hose geht?
Man kann ebenfalls davon ausgehen, dass, wenn die Geschäfte nur schleppend laufen, schon wieder Menschen auf die Straße gesetzt werden. Wie kann die Geschäftsleitung einen zweistelligen Gewinn erzielen, wenn man auch so viele unnütze Mitarbeiter zu ernähren hat? Außerdem muss man christlich denken: Wer entlassen wird, der rettet den Arbeitsplatz seines Nächsten.
Themenwechsel: Haben die Mayas auch über die Finanzkrise Wichtiges vorhergesagt? Spielt auch die Krise der Banken in deren Kalender eine Rolle? Und was haben die Mayas damals über Michael Jacksons Tod oder über den Selbstmord von Robert Enke schon gewusst?
Das sind Fragen, die ich Herrn Emmerich gerne stellen würde, wenn ich die Gelegenheit hätte, ihn zu interviewen, oder wenn ich Großunternehmer wäre.
Als die ersten spanischen Haudegen an einem Strand im südlichen Mexiko auf ein paar Maya-Spaziergeher stießen, fragten die Spanier: „Como se llama esta tierra?“ Zu Deutsch: „Gibt es hier ein Restaurant?“ Nein, ich mache schon wieder einen dummen Witz. Sie fragten natürlich „Wie heißt dieses Land?“
Die Antwort: „Yukatan“.
Ich weiß, dass ich nicht der Erste bin, der diese berühmte Anekdote erzählt. Wichtig zu wissen ist, dass die Mayas damals kein Wort Spanisch und die Spanier ihrerseits kein Wort der Mayasprache verstanden. Oder: Weil sich die Spanier ihr Land für den Nabel der Welt hielten – zur Erinnerung: Damals herrschte in Spanien der mächtige Habsburger Kaiser Karl V – gingen sie selbstbewusst davon aus, dass alle Menschen Español hablierten.
So gesehen war es klar, dass sie annahmen, „Yukatan“ sei eine ernstzunehmende Antwort auf ihre Frage, und von daher kam der heutige Name des Landes.
In Wirklichkeit aber haben die Mayas in der eigenen Sprache geantwortet: „Esst ihr gerne Leguan?“ Nein, schon wieder ein schlechter Witz. „Yukatan“ bedeutet in der Maya Sprache , so viel ich weiß, „ich verstehe nicht“.
Mit anderen Worten: Das Land „Ich verstehe nicht“ wurde von Menschen die nichts verstanden, entdeckt.
Warum erzähle ich eine Geschichte, die Sie bestimmt schon hundertmal gehört haben?
Weil ich denke: Wenn die Spanier so eingebildet waren, dass sie „ich weiß nicht“ mit dem Namen eines Landes verwechselten, wieso sollen wir dann davon ausgehen, dass die Welt nach ihrem Kalender am 21. Dezember 2012 aus den Fugen gerät?
Vielleicht hat man sich mit dem Datum verrechnet? Vielleicht geht die Welt am 21. Dezember 2011 oder gar am 21. Dezember 2009 bereits hops?
Meinerseits freilich alles nur Spekulationen. Falls das Datum, das für manche heute wahrhaft Goldwert hat, wirklich nicht stimmt und die Welt, sagen wir, ausgerechnet in diesem Jahr, ich meine 2009, knapp vor Weihnachten zugrunde gehen sollte, dann geht wenigstens das Weihnachtsgeschäft nicht in die Hose und es bleiben zumindest einige Arbeitsplätze erhalten, solange die vielen unnützen Mitarbeiter dem erzielten doppelstelligen Gewinn nicht im Wege stehen.
Wie gesagt, ich spekuliere nur. Im Grunde, yukatan.
Rappelkopf hat mir gestern Folgendes geschrieben. Vielleicht haben Sie seine Bemerkungen schon gelesen: „Leider scheint auch Deine Seite Opfer von Spammern geworden zu sein. Es gibt inzwischen auch "Kommentatoren", die irgendeinen Semmel eintragen, nur damit sie dazwischen auch ihre Webseite verlinken können.“
Er spielte damit auf einige auf dieser Seite befindliche falsche „Leserzuschriften“ an.
Ja, lieber Rappelkopf, es stimmt. Dem "Sprachbloggeur" werden manchmal Kuckuckseier ins Nest gelegt. Was Du aber nicht wissen kannst: Ich gehe mit diesen Menschen sehr unterschiedlich um. Beispiel: Einmal beglückte ein hilfloser Spammer mich mit folgender Englisch abgefassten Leserzuschrift: „Great article. I enjoyed it very much.“ Unterschrieben war seine kurze Bemerkung mit einem Link. Leider habe ich vergessen, um was für eine Seite es sich handelte. Vielleicht hatte der Mann in London eine Waschainlage für Autos. Es war jedenfalls etwas völlig an den Haaren Herbeigezogenes. Natürlich hatte ich meinen berechtigten Zweifel, ob er meinen Text wirklich gelesen hat.
Wie habe ich darauf reagiert? Ganz einfach: Ich ließ sein Lob stehen und habe nur den Link zu seinem Geschäft gelöscht. Vorteil „Sprachbloggeur“ (wenn auch sehr klein!).
Es kommt natürlich auch vor, dass mir jemand einen Kommentar unterjubelt, das so dämlich ist, dass ich es sofort lösche. Mir fällt kein Beispiel ein. Doch einmal bekam ich einen Kommentar ganz auf Arabisch. Da meine Arabischkenntnisse sehr dürftig sind, habe ich ihn einfach stehen lassen. Vielleicht war es relevant. Kann man nie wissen. Neulich hat ein Leser die Überschrift seines Kommentars auf Arabisch geschrieben. Die konnte ich aber entziffern. Es war das Wort „dolma“, für mich ein klarer Hinweis , dass sich der Autor auf meinen Weinblättertext Bezug nehmen wollte.
Aber bedenke, lieber Rappelkopf: Wer so verzweifelt ist, dass er ausgerechnet meine Seite, die in einem Vorort der Stadt WehWehWeh liegt, benutzt – bzw. ausnutzt – , um nach Kunden zu jagen, der verdient mein aufrichtiges Mitleid. Ich frage mich ohnehin: Was motiviert einen Menschen, meine Seite zu überfallen, um, z.B., Werbung für eine spanischsprachige Kasinoseite zu machen? Ja, auch das ist neulich vorgekommen.
In diesem Fall habe ich den„Kommentar“ nicht gelöscht, weil es mir klar war, dass sich der Schreiber die Mühe gemacht hat, meinen Beitrag tatsächlich zu lesen. Seine Nachricht – die freilich etwas obskur anmutete – bezog sich immerhin auf meinen Text. Grund also ihn zu belohnen statt zu vernichten. Gleiches gilt für den Immobilienkaufmann, der mich neulich im Kommentar mit einem Link zu seinem Geschäft beglückt hat. Tja, was soll ich sagen. Wenn der Autor des Kommentars wirklich der Meinung ist, dass Schleichwerbung beim „Sprachbloggeur“ die Geschäfte anregt…
Für manche Leser – bzw. Leserinnen – biete ich meine Seite hingegen äußerst gerne als Werbeplattform an. Ich denke an Monika Sims reizende Puppen. Weihnachten ist gleich um die Ecke, lieber Rappelkopf, und Monika ist wahrlich eine begnadete Künstlerin. Nun hat die Schöpferin der „Simcreations“ auch eine neue Seite ins Leben gerufen, die der „Wurstologie“ gewidmet ist. Man freut sich, wenn man Monika (oder auch Dir, lieber Rappelkopf, falls Du ein Geschäft hättest) helfen kann.
Doch letztendlich ist der „Sprachbloggeur“, wie gesagt, kaum mehr als ein Tante-Emma-Geschäft weitab vom Stadtkern.
Liebe Spammer: Auch wenn ich mir kein teueres Überwachungssystem leisten kann wie im großen Supermarkt, schlafe ich bei der Arbeit nicht. Wenn sich jemand eine Dose Bohnen unter die Jacke gesteckt hat, täuscht er sich, wenn er meint, er habe mich bestohlen. Ich habe ihn längst im Visier.
Und wenn ich ihn „unerkannt“ davonschleichen lasse, dann nur, weil ich festgestellt habe, dass er Mundraub begangen hat. Wer sich meine Waren leisten kann und trotzdem mich beklauen will, den frage ich natürlich, ob er vielleicht nicht ganz richtig tickt, wenn er ausgerechnet mich als Opfer ausgesucht hat.
Ja, das Internet ist ein neues, raues Land, das ebenso groß und wild ist wie die Landschaft, die ich letzthin durchquert habe, um meine Mutter von Phoenix, Arizona nach Dallas, Texas umzusiedeln.
Eines Tages werden wir auf diese gesetzlosen Tage zurückblicken und mit einem Hauch von Sentimentalität bemerken: Das waren ja lustige und harmlose Zeiten.
Mit Sicherheit kennen auch Sie solche Tage: Man glaubt sich total vergessen zu sein. Keine Mails, nicht einmal für Viagra. Auch keine Heiratsangebote von einsamen Russinnen aus Siberien.
Ist was mit dem Rechner? fragt man sich. Hat der Server eine Panne?
Dann fällt mir ein, dass mein Unbehagen eigentlich nur angelernt ist. Vor fünfundzwanzig Jahren, als nur die Geeks die Vokabel „Internet“, oder wie immer es damals hieß, verwendeten, habe ich manchmal zwei Wochen keine Post bekommen – geschweige denn Anrufe. Funkstille. Das war besonders schlimm im August, als alle Freunde und Bekannten – außer mir – verreist waren.
Darüber hinaus denke ich an Thomas Paine. Am Anfang des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs veröffentlichte er ein Pamphlet, „Common Sense“ (Der gesunde Menschenverstand). Es wurde damals zum Bestseller. Paine erklärte, dass die Bindung der amerikanischen Kolonien an England sinnlos sei – vor allem, wenn sich einer einbilde, die Engländer könnten Amerika vor Feinden schützen. Bis die Nachricht eines feindlichen Angriffs das Mutterland erreichte und die britische Flotte endlich eintreffe, seien Monate vergangen und der Krieg längst entschieden.
Aber kehren wir in die Gegenwart zurück. So schön es ist, über Fragen der Einsamkeit und der Informationsgeschwindigkeit zu spekulieren, möchte ich Ihnen jetzt lieber etwas weitererzählen, dass ich von Freund Edward über Google erfahren habe.
Ja, Google, beliebtes und unentbehrliches Suchprogramm, von dem man längst ein neudeutsches Verb abgeleitet hat.
Edward hat mir vor ein paar Tagen eine Mail geschickt. (War das die letzte Mail, die ich erhalten habe?). Er erzählte, dass er den Begriff „kebab pie kiosk“ „gegoogelt“ hätte. „Kebab“ kennt jeder. In Englisch bedeutet es „Döner“. „Pie kiosk“, ein Begriff, den ich nicht kannte, scheint in Kombination mit „Kebab“ „Dönerbude“ zu bedeuten. Ich weiß es aber nicht ganz genau.
Wie dem auch sei: Gibt man diesen Suchbegriff bei Google ein, taucht an erster Stelle der Tausende von Treffern die Geschichte vom Mord an einem 25jährigen Russen auf. Drei Obdachlose haben ihn getötet, so heißt es, und dann sein Fleisch kannibalisiert. Die Geschichte wird noch schlimmer. Nach dieser gruseligen Mahlzeit haben die Täter Körperteile des Ermordeten an eine Dönerbude („Kebab and Pie Kiosk“ also) in der Stadt Perm verkauft. Vielleicht haben Sie diese Geschichte selbst schon gelesen. Sie erschien als Kuriosität in fast allen Zeitungen, und sicherlich wurde im Fernsehen darüber berichtet.
Was Edward stützig machte, ist aber Folgendes. Hier O-Ton aus unserem Telefongespräch: „Google wird zunehmend faul. Schau: Wer ‚kebab pie kiosk’ als Suchbegriff eingibt, rechnet eigentlich mit Seiten über Dönerbuden, nicht aber mit einer Geschichte über Kannibalen. Oder?“
„Wieso denn tauchten diese Berichte an erster Stelle auf?“ fragte ich.
„Ganz einfach: Diese unverschämte Verdummung ist von Google gewollt. Google hat nämlich Angst vor der neuen Konkurrenz – sprich Bing – und will mit Sensation anstatt Information die Kunden bei Laune halten.“
„Aber wie stellst du dir das vor? Man bräuchte Millionen von Mitarbeitern, um alle Suchbegriffe nach Sensationslust zu ordnen.“
„Nein, das geht ganz einfach. Man braucht lediglich die Nachrichtenagenturen anzuzapfen – in diesem Fall die BBC – und dann hat man alle Sensationsgeschichten automatisch an erster Stelle. Denn die meisten Nachrichtenagenturen sind heute darauf bedacht, das Unterhaltsame und Gruselige automatisch hervorzuheben.“
„Willst du damit sagen, dass die Nachrichtenagenturen keine Nachrichten mehr liefern?“
„Tja.“
„Tja?“
„Tja.“
I got the age of information blues – ta ta ta TA!
Achtung! Achtung! Hier wird dringend vor dem Sprachbloggeur gewarnt. So höflich er auch ist, in seiner Brust haust ein politisch unkorrekter Mensch. Man weiß nicht, wann er wieder zuschlagen wird.
Sie erinnern sich vielleicht an die Prügelattacke in der Münchener S-Bahn am 14. September. Damals haben zwei Dumpfköpfe einen Mann zu Tode geprügelt, weil er drei Jugendlichen, die von den Schlägern angepöbelt wurden, zu Hilfe geeilt ist.
Es war nicht das erste Mal in den letzten Monaten, dass in München (und auch sonstwo) Schläger ihren Frust auf diese Art abreagiert haben. Diesmal aber ist ein Mensch an den Folgen dieser Stupidität gestorben.
Von mir heute keine Predigt über die Schlechtigkeit der Jugend, über schlechte Zeiten oder über die Rolle der Banken beim Verfall der Gesellschaft.
Ich erinnere an diese bedauerliche Geschichte, weil damals die Münchener Abendzeitung den zu Tode Geprügelten, Dominik Brunner, posthum für seine Zivilcourage ehren wollte. Die Zeitung kam auf die Idee, eine neue Protestbewegung ins Leben zu rufen, um die Zivilcourage zu befördern. Nichts dagegen einzuwenden. In der Zeitung lag ein kleines Klebeplakat mit folgendem Text in schwarzen und in roten Buchstaben vor:
ZIVIL (schwarz)
COURAGE (schwarz)
ZEIGEN! (rot)
AKTION GEGEN GEWALT (schwarz)
Die Idee war: Man sollte das Plakätchen irgendwo hinkleben: ans Auto, an Häuserwände, an Zimmertüren – was weiß ich. Es war jedenfalls ein Aufruf zu mehr Zivilcourage. Wirklich nichts dagegen einzuwenden.
Ich weiß nicht, was an diesem Tag in mich gefahren ist, als ich mir das Plakätchen betrachtete. Vielleicht habe ich mich gelangweilt oder hatte Lust, ein Puzzlespiel zu lösen. Keine Ahnung. Ich habe das edle Plakat einige Minuten konzentriert studiert, holte gleich mein Schweizer Messer aus der Tasche und schnipselte an dem Text herum, bis mir nur folgende Wörter übrigblieben:
ZIVIL
RAGE
ZEIGEN!
AKTION GEWALT
Es handelte sich lediglich um ein Wortspiel – zugegeben ein anarchistisches. Aufgrund meines Spieltriebs gelange es mir aber, eine positive in eine negative Botschaft zu verwandeln. Noch schlimmer: Ich war auf meinen Einfallsreichtum sehr stolz.
Als mein jüngster Sohn nach Hause kam, sagte ich ihm, er sollte sich seine schwarze Kapuze anziehen und sein Gesicht vermummen. Ich steckte ihm mein pervertiertes Plakätchen in die Hand und knipste ein Foto. Ich hatte vor, das Bild an die Abendzeitung zu schicken. Schwarzer Humor sozusagen.
„Sag mal, hast du dein Zivilrage-Foto an die Abendzeitung geschickt?“ fragte mein Sohn gestern.
„Nein“, antwortete ich.
„Ach, was für ein Langweiliger bist du.“
„Nein“, habe ich gesagt, gedacht habe ich aber Folgendes: Nein, ich habe das Foto nicht geschickt, weil ich wusste, ich komme in diesem Augenblick mit meinem schwarzen Humor nicht weit. Keiner hätte verstanden, dass ich lediglich darauf hinweisen wollte, dass auch die besten Absichten (sprich: die Zivilcourage zu fördern) zum Scheitern verurteilt ist, wenn die eigene Losung nicht genau formuliert wird. Letztendlich ist der Sprachbloggeur ein gutmütiger Anarchist. Er hat nicht vor, richtige Chaoten mit guten Ideen zu füttern.
Meine Losung: Vorsicht Worte! Explosionsgefahr!
Machen Sie die Probe aufs Exempel. Sie werden feststellen: Nicht einmal ein Schweizer Messer hilft, diese Worte umzudeuten.
„Geschlagen im Spiel des Lebens“ – so die Überschrift im Spiegel-online. „So erkennen Sie Depressionen“ – große Schlagzeile in der Münchener Abendzeitung.
Ellenlange Texte über „Volkskrankheit Depression“ grassieren in der Presse und natürlich die dazu gehörige Prise Betroffenheit, weil es sich um das Schicksal von Robert Enke handelt.
„Erst muss sich ein Torhüter vor einen Zug werfen, damit die Medien das Phänomen der Depression interessant finden.“ Das habe ich der Zeitungshändlerin im Kiosk heute vorgegrantelt.
„Gell!“, antwortet sie. „Irgendwie makaber. Okay, es ist wirklich traurig, dass er sich das Leben genommen hat, aber plötzlich schreiben alle über die Depression. Alle wollen an seinem Tod verdienen. Es ist wie bei Michael Jackson.“
Depression hat also ihren Posterboy gefunden. Das klingt gemein, so meine ich es aber nicht. Robert Enke war krank und hat eine falsche Entscheidung getroffen. Für ihn gibt es leider kein Zurück.
„Nein, es ist nicht schlimm, dass die Zeitungen über Depression schreiben.“ Das sagte meine Frau. „Die meisten Menschen, die darunter leiden, schämen sich, davon zu reden. Nun hat man eine Gelegenheit gefunden, das Problem zu thematisieren. Vielleicht hilft das.“
Vielleicht hat sie recht. Das bedeutet aber trotzdem: Wenn prominente Menschen sterben – insbesondere eines unnatürlichen Todes – , ist das meistens gut für die Auflage. Die Medienformel muss wohl lauten: Ein toter Torhüter ist mehr Wert als ein toter Nobody.
Damit habe ich über dieses Thema genug gesagt und gehe nahtlos zum nächsten über:
Zum Wort „Depression“ selbst. Fakt ist: Es gibt diese Vokabel im heutigen Sinn kaum einhundert Jahre. Das Wort tauchte erst im 19. Jahrhundert auf und bedeutete damals „Finanzkrise“. Wohl hat der Klang den Psychoanalytikern gefallen, sie haben es eifrig übernommen, um eine gewisse seelische Niedergeschlagenheit zu bezeichnen.
Früher benutzte man ganz andere Wörter für diesen Zustand, zum Beispiel „Schwermut“, „Tristesse“ oder „Verzweifelung“. Der spanische Mystiker, Johannes vom Kreuz“ schrieb im 16. Jahrhundert über „la noche oscura del alma“, („die dunkle Nacht der Seele“). Anschaulicher kann man den Zustand nicht beschreiben.
Heute mutmaßen Mediziner ein chemisches Ungleichgewicht als Ursache für eine chronische Depression. Sie verschreiben Tabletten, die das verlorene Gleichgewicht wiederherstellen soll. Diese Behandlungsmethode erinnert sehr an die der Altgriechen, die die Viersäftelehre praktizierten. Sie glaubten, dass das menschliche Gemüt durch vier Säfte bestimmt werde: durch weiße Galle, schwarze Galle, Blut und Schleim. Hat man einen dieser Säfte in Überfluss, wird man gemütskrank. Wer zu viel schwarze Galle – Griechisch „melanchole“ –hat, der wird folglich „melancholisch“. Die Behandlung war offensichtlich: Man versuchte die Menge der schwarzen Galle zu reduzieren.
Auch in der Bibel kann man eine Fallstudie über Depression lesen. An dieser Krankheit litt nämlich König Saul. Er unterzog sich einer Musiktherapie. Der Hirtenjunge David spielte für ihn auf der Harpfe. Die Therapie hat leider nur begrenzt geholfen.
Warum will ich heute unbedingt über Depression schreiben? Bin ich genauso opportunistisch wie die anderen Medienmenschen? Wahrscheinlich schon. Ich habe aber auch einen anderen Grund, diese Krankheit zu thematisieren.
Ich habe nämlich neulich etwas über Sören Kierkegaard gelesen, einen Menschen, der sehr unter Schwermut gelitten hat. Er hat aber versucht, seine Krankheit durch genaue Selbstanalyse zu ergründen. Seine Schlussfolgerung: Ein Gemütsleiden ist in Wirklichkeit eine Auseinandersetzung mit der Existenz schlechthin. Das heißt: .Für ihn war die Schwermut nichts anders als der Ausdruck eines persönlichen Kampfs, dem Leben einen Sinn zu geben. So gesehen ist jede Depression verständlich. Die Depressiven wollen lediglich verstehen, warum sie überhaupt leben. Sie finden aber keine Antwort.
So gesehen spielt ein Posterboy doch eine wichtige Stellvertreterrolle. Er erinnert daran, dass wir alle irgendwie im selben Boot sitzen, auch die, die sich nicht unbedingt für depressiv halten. Letztendlich hat meine Frau doch recht: Wenn so einer wie Robert Enke stirbt, hat man Gelegenheit, ein wesentliches Problem zu thematisieren – auch wenn die Medien vom Tod eines Posterboys profitieren.
Gott schütze das „Ding“, ein Wort wie ein extra Koffer. Man hat ihn immer dabei für den Notfall. Man kann nie wissen, wann einem die Wörter fehlen. Man hat deshalb jederzeit das „Ding“.
Ein Geschenk des Himmels! Alles kann ein „Ding“ sein. Und das Schönste: Diese Vokabel ist nie hochnäsig, gschamig oder sexistisch. Nein, das „Ding“ ist stets ein bescheidener Diener. Es richtet sich nach Ihren Wünschen.
Genauer gesagt: Das „Ding“ ermöglicht Unpräzision. Nein, noch besser. Das „Ding“ zelebriert die Unpräzision geradezu!
Ich komme nur über einen Gedankensprung auf dieses praktische Wort – so praktisch wie ein Schweizer Messer – zu sprechen. Ich habe mir gestern nämlich, als ich in den Medien ständig mit der Saga vom Mauerfall usw. berieselt wurde, Gedanken über die Unpräzision gemacht. Ich hatte mich erinnert, wie man damals, als die Mauer noch stand, die Begriffe „Kommunismus“ und „Freiheit“ gerne als Gegensätze darstellte. Nur wenige erkannten den logischen Fehler, die Unpräzision dieser Zusammenstellung also.
Denn das Gegenteil von „Kommunismus“ ist – wie jeder heute weiß – „Kapitalismus“. Das Gegenteil von „Freiheit“ ist „Sklaverei“ oder „Unterdrückung“ usw. Vielleicht war diese Ungenauigkeit aus propagandistischen Gründen gewollt. Keiner wäre damals auf den Gedanken gekommen, sie mit dem dienlichen „Ding“ zu ersetzen.
Heute gibt es kaum mehr das, was man früher „Kommunismus“ nannte. Und längst hat es sich in unseren Köpfen gesetzt, dass der „Kapitalismus“ in der Tat mit „Freiheit“ gleichzusetzen ist. Immerhin: Es ist der Kapitalismus, der uns die „freien“ Märkte ermöglicht hat usw. Erst vor wenigen Tagen hat Lloyd Blankfein, Chef von Goldman-Sachs, in einem Interview in der „Sunday Times“ verkündet: „Banken verrichten Gottes Werk“. Falls Sie das Interview nicht gelesen haben, sollen Sie wissen: Ich habe dieses Zitat nicht erfunden. Gottes Werk dreht sich also um den Mehrwert.
Sie merken schon: Ich drifte immer weiter vom „Ding“ ab. Aber so ist es mit den Gedankensprüngen. Und damit komme ich zur nächsten Stufe meiner Suche nach der Formen der Ungenauigkeit. Auch Folgendes habe ich nicht erfunden. Ich habe es aber aus dritter Hand (einer Freundin meiner Frau) gehört, und deshalb bleibe ich mit den Fakten selbst ein bisschen unpräzise:
Eine namhafte Mobiltelefonfirma – wir nennen sie „Ding“, weil ich hier den Namen nicht verraten kann – hat vor wenigen Tagen verkündet, dass sich alle Mitarbeiter einer bestimmten Niederlassung um ihre Arbeitsplätze neu bewerben müssen. Das kommt meines Erachtens einer Kündigung der gesamten Belegschaft gleich. Umso mehr, weil nur 50% der Bewerber den alten Arbeitsplatz zurückbekommen sollen. Diese Neubewerbung veranstaltet die Firma offenbar alle zwei Jahre. So wurde es jedenfalls mir erzählt.
Die Art der Bewerbung ist aber erwähnenswert: Die Mitarbeiter müssen mit einer öffentlichen Präsentation für den Erhalt des Arbeitsplatzes plädieren. Man müsse also für die eigene Unentbehrlichkeit argumentieren. Die Mittel bleiben ihm (oder ihr) überlassen – also „Powerpoint-Präsentation“, Slideshow usw. Hauptsache er (oder sie) leistet erfolgreiche Überzeugungsarbeit.
Es erinnert ein bisschen an „Deutschland sucht einen Superstar“, nicht wahr? Oder an einen Gladiatorenkampf. Offenbar hat diese Aussortierung der Mitarbeiter vor zwei Jahren gut funktioniert. Die Firma hat also gute Erfahrungen mit dieser neuen Art der Arbeitsplätzereduzierung gemacht. Vielleicht handelt es sich um ein zukunftsträchtiges Modell. Wer weiß?
Jetzt sind wir aber weit entfernt von der Welt des „Dings“ gelandet. Schade. Über die Ungenauigkeit zu schreiben erfreut mich allemal mehr als Gedankensprünge in Richtung Arbeitsmarkt der Zukunft zu machen.
Freund A. ist enttäuscht. Was heißt enttäuscht? Er ist sauer, wütend, der kochende Dampf zischt ihm unüberhörbar aus den Ohren. Wenn er die Eisenbahn wäre, würde er an wartenden Passagieren in den Bahnhöfen unbarmherzig vorbeirasen.
Warum ist er so aufgebracht?
Weil er Post von einer Literaturagentur bekommen hat. Genauer gesagt: eine schroffe Abweisung. Die Handlung seines Buchs überzeuge nicht, so hieß die knappe Antwort.
Ich kenne das Problem. Während eines längeren Aufenthalts in den USA hatte ich ein Manuskript – meine Übersetzung des „Untergangs der Stadt Passau“ von Carl Amery – einer Agentur, in New York angeboten. Notabene: einer Agentur nicht einem Verlag. Vergebens wartete ich auf eine Antwort. Nach sechsWochen – lange genug, um anstandshalber nicht übereifrig zu erscheinen, rief ich die Agentur an.
„Haben Sie ein ‚säj-ssie’ beigelegt?“ fragte meine Gesprächspartnerin.
„Entschuldigung, ich verstehe nicht, was Sie meinen. Ein was?“
„Ein ‚säj-ssie’“, sagte sie. „ein self-addressed stamped envelope.“
Aha, SASE meint sie, ein frankiertes Rücksendekuvert. Ich hatte dieses Kürzel noch nie gehört. „Nein, ich habe kein SASE beigelegt.“
„Drum haben Sie von uns nichts gehört.“
„Sie meinen, wenn ich kein SASE beilege, landet mein Manuskript im Papierkorb?“
„Irgendwie schon.“
Was ich dann erwiderte, gebe ich hier weiter. Es genügt zu sagen, ich war nicht minder aufgebracht als Freund A als Eisenbahn. Aber nun Praktisches, liebe aufstrebende Autoren. Wenn Sie einer Agentur ihr Manuskript anbieten, denken Sie immer an Folgendes: Niemals Ihr Manuskript schicken! Klingt paradox, was? Tatsache ist: Man will von Ihnen lediglich eine „Leseprobe“ von 20-50 Seiten haben; hinzu ein Exposé. Und vergessen Sie nicht: immer ein SASE beilegen!
Machen Sie sich aber keine große Hoffnung. Freund A. hat von einer Agentur erfahren, dass sie in den letzten acht Jahren nur viermal unverlangt eingesandte Manuskripte angenommen hat. Zur Erinnerung: Wir reden nach wie vor nur von einer Agentur. Auch wenn Sie das große Los ziehen, ist Ihr Buch noch lange nicht verkauft. Denn nun ist die Agentur an der Reihe. Sie schiebt Ihr Manuskript oder Leseprobe mit Exposé in ein Kuvert (auch mit SASE) und geht selbst damit hausieren.
Übrigens: Sie können den umständlichen und oft demütigenden Ritus mit der Agentur ganz umgehen, indem Sie Ihren Bestseller direkt an den Verlag schicken! Als „Leseprobe“ und Exposé, versteht sich.
Kopf hoch. Gestern habe ich in der International Herald Tribune von einer Schriftstellerin erfahren, deren Buch von 50 (!) Agenturen abgelehnt wurde. Sie preschte aber weiter voran und fand – ganz von alleine – einen Verlag, der das Buch gleich akzeptierte. Inzwischen wurde es 450.000 mal verkauft. Ohne SASE!
Und jetzt ein wichtiger Tipp für geplagte Agenten und Lektoren. Liebe Sklaven der Kulturindustrie, eins dürfen Sie nie außer Acht lassen: Je toller das Buch, umso schlechter gemeinhin das Exposé. Fakt ist: die meisten guten Autoren sind nicht in der Lage, ihr Werk in Form eines Exposés wiederzugeben.
Stellen Sie sich vor: Tom Mann will seinen dicken Schinken „Zauberberg“ einem Verlag (bzw. einer Agentur) anbieten. Natürlich schickt er nur die Leseprobe usw. Der Agent oder Lektor stöhnt: „Alles zu dicht geschrieben. Wäre was, wenn dieser Typ lernen könnte, sich etwas lockerer auszudrücken. Und diese langen Sätze! Wer hält das aus! Das ist zum Piepsen!“
Dann liest er Toms Exposé. „Ich erzähle die Geschichte von Hans Castorp, einem jungen Mann, der seinen Cousin an einer Lungenanstalt in Davos besucht und sich bald einbildet, wie schön es wäre, angesichts der vielen Zuwendungen, selbst lungenkrank zu sein. Und nun passiert es: Der Anstaltsarzt entdeckt während einer Routineuntersuchung Castorps einen Schatten auf dessen Lungen. Hans wird also selbst zu Patienten, und das Patientsein wird zu seiner Lebensaufgabe. Anhand Castorps Erlebnisse in der Lungenanstalt lernt der Leser nicht nur den Alltag des Sanitoriums kennen, sondern des Daseins überhaupt. Die Lungenanstalt wird also zum Metapher für das menschliche Schicksal…“
Der Agent unterbricht an diesem Punkt. Seufz, denkt er. Viel zu dunkel diese Geschichte. Wer will sich so eingehend mit Krankheit befassen? Nein, Herr Mann, Sie haben mich nicht überzeugt. Ich gehe jetzt Mittag essen. Mahlzeit!
Ich habe meinen Ammoniten „Schnecki“ genannt.
Ich gebe zu: Der Name ist nicht besonders original. Ich habe ihn aber so genannt, weil Ammoniten irgendwie schneckenähnlich aussehen.
Ich habe „Schnecki“ vor ein paar Tagen auf den „Mineralien Tagen“ in München preiswert erworben. Damals erfuhr ich, dass Ammoniten zeitgleich mit den Dinosauriern ausgestorben sind.
Mein „Schnecki“ stammt aus Sengenthal im Oberpfalz. Er ist also Bayer – Urbayer sogar. Eigentlich ist er eine Garantiana. So hieß eine Unterart der Ammoniten. Als er in Sengenthal hauste – oder was auch immer dieser Ort damals für einen Namen hatte – , war die Gegend wohl ziemlich unter Wasser. Ammoniten sind nämlich Wassertierchen.
Ich finde es sehr aufregend, dass „Schnecki“ bei mir wohnt. Wie oft hat man einen Hausgenossen, der während der Jurazeit zeitgleich mit den Dinosauriern lebte?
„Erzähle mir von den Dinosauriern, lieber Schnecki“, sagte ich.
Und stellen Sie sich vor: Er hat geantwortet. Ich weiß, dass viele Leser mir nicht glauben werden, dass er gesprochen hat. Es stimmt aber. Schnecki hat wirklich geantwortet. „Was ist zu erzählen?“ sagte er. „Sie waren groß, zum Teil brutal und sehr dumm.“
„Wurdest du jemals von einem Dinosaurier angegriffen?“
„Ich persönlich? Nein, jedenfalls nicht direkt. Das Problem war: Sie nahmen überhaupt keine Notiz von uns. Sie dachten nur an sich selbst. Sie waren stets auf der Suche nach etwas zu vertilgen. Und weil sie ständig im Wasser herumstampften, brachten sie uns kontinuierlich in Gefahr. Wir Ammoniten sind nämlich nicht besonders schnellfüßig. Ich kannte persönlich viele Artgenossen, die von ihnen aus purer Rücksichtslosigkeit zerdrückt wurden. Dinosaurier hatten nur sich selbst im Sinn. Das hat sich aber gerächt, mein lieber Scholli. Und ob!“
„Inwiefern?“ frage ich.
„Sie waren so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie durch ihre blinde Herumstampferei Unmengen von Kleintieren plattmachten. Das wurde ihnen aber zum Verhängnis. Ein Beispiel: Wir Ammoniten haben winzige Flöhe gefressen, die für Dinosaurier gefährlich waren, weil ihr Biss Krankheiten übertrugen. Aber: Da sie so viele von uns zerstampft hatten, konnten sich diese Flöhe fast ungebremst vermehren. Schließlich machten sie den Dinos die Hölle heiß. Hast du jemals einen Dinosaurier sterben sehen?“
„Nein.“
„Das war ein Anblick: ein Dino so groß wie das Deutsche-Bank-Hochhaus in Frankfurt trottet gedankenlos entlang, bleibt kurz stehen – wenn man ihn in die Augen schaut, merkt man, dass ihm jeder Verstand fehlt – und plötzlich fällt er tot um. Einfach so. Das fühlt sich an wie ein Erdbeben.“
„Hat niemand versucht, ihnen die Gefahr ihrer Rücksichtslosigkeit zu verdeutlichen.“
„Aber sicher.“
„In welcher Sprache, übrigens?“
„Ich weiß, die Sprachen interessieren dich sehr, lieber Sprachbloggeur. Ich kann dir aber nur wenig über unsere Sprache erzählen. Mir ist das viel zu kompliziert. Es genügt zu sagen: Wir hatten einander genügend zu sagen. Wie gesagt: Leider haben die Mächtigen unserer Zeit nie auf uns gehört.“
„Das mit dem Meteor als Ursache für das Aussterben der Dinos stimmt also nicht?“
„Nein, nein. Das hat es auch gegeben. Und wir Ammoniten haben öfters versucht, die Hornochsen auch davor zu warnen. Das alles hat sie aber gar nicht interessiert. Hauptsache sie konnten sich den Bauch vollschlagen.“
„Und Ihr Ammoniten, wie kam es, dass auch ihr ausgestorben seid?“
„Wer hat gesagt, dass wir ausgestorben sind? Im Gegenteil. Es geht uns ausgezeichnet. Wir sind aber, wie soll ich sagen… umgezogen – weit weg von den Dinos und deren Nachfolgern, die in hohen Häusern hausen. Unsere neue Adresse verrate ich dir aber nicht. Das wirst du hoffentlich verstehen.“
Heute habe ich eine Mail von Franziska S. erhalten.
Frau S. stellt mir eine schwierige Aufgabe.
Sie arbeite bei einer online-Zeitung, erzählt sie, und niemand könne ihr folgende Frage beantworten: „Was ist der Unterschied zwischen Glosse, Kolumne, Kommentar und Polemik?“
Liebe Frau S., als Autor einer online Glosse – oder soll ich lieber „Kolumne“ oder „Rubrik“ sagen? – , die manchmal eine kommentarartige oder gar polemische Wirkung anstrebt, wage ich mich gerne an Ihre Frage.
Zu Beginn eine eigene Frage: Was ist der Unterschied zwischen einem Fiffi und einem Wauwau?
Ja, liebe Frau S., „Glossen“ und „Kolumnen“ sind wie Fiffi und Wauwau. Es handelt sich also um zwei Wörter, die ziemlich das Gleiche ausdrücken.
Ich, zum Beispiel, betrachte meine Sprachkolumne (bzw., „Sprachrubrik“) als eine „Glosse“, genauer gesagt, als eine „Sprachglosse“. Warum gibt es so viele Wörter für das gleiche Phänomen? Weil Begriffe nicht aus einem zentralen Rechner herausgespuckt werden. Jeder hat das Recht, die Dinge nach eigenem Gutdünken zu benennen. Die Aufnahme in den Wortschatz ist freilich Glückssache.
Das Wort „Kolumne“ hat, wie ich, einen Migrantenhintergrund. Es bedeutet eigentlich „Säule“. In der englischen Zeitungssprache wird diese Vokabel im Sinne von gedruckter „Spalte“ verwendet. Journalisten, denen eine fixe Spalte zugeteilt wird, bezeichnet man schon lange als „Kolumnisten“. Man verfügt sozusagen über eine eigene „Kolumne“. In diesem Sinn wurde der Begriff auch ins Deutsche übernommen.
Der Begriff „Glosse“ hingegen stammt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich „Zunge“ oder „Sprache“. Im Mittelalter bezeichneten die schreibtischtätigen Mönche ihre Randbemerkungen in den alten Manuskripten als „Glossen“. In diesen „Glossen“ hatten sie Gelegenheit, ihre Meinungen auszudrücken. Noch heute ist eine „Glosse“ ein kurzer Text, in dem man seine Meinung wiedergibt.
Aber zurück zu den Hunden.
Die Glossen (oder Kolumnen) gleichen, wie gesagt, den Wörtern, für „Hund“. Bekanntlich aber haben die Hunde verschiedene Charaktereigenschaften. Sie können brav, energisch, spielerisch, bissig usw. sein. Das Gleiche kann man von den Glossen und den Kolumnen behaupten. Es handelt sich gewissermaßen um „Kommentare“. Denn wer eine Glosse schreibt, der „kommentiert“.
Wenn ich meine Meinung besonders passioniert hinschleudere, dann habe ich eine „Polemik“ geschrieben. „Polemos“ auf Griechisch bedeutet „Krieg. Wer eine „Polemik“ schreibt, greift dschihadartig an. (Deshalb wirken polemische Schriften manchmal furchtbar pathetisch. Aber das sage ich nur nebenbei).
Habe ich Sie, liebe Frau S., mit meinen bisherigen Erklärungen schon restlos durcheinander gebracht?
Ach ja, noch etwas. Eins haben all diese Begriffe stets gemeinsam: Sie streben nie Objektivität an. Das dürfte aber nachvollziehbar sein. Bei den Autoren von Glossen usw. handelt es sich fast immer um eingefleischte Grübler. So können Sie jederzeit mit der reinsten Subjektivität rechnen.
Ja, Sie haben mir eine schwierige Aufgabe gestellt, Frau S. Sie verlangen vom Fisch, dass er das Wasser (bzw. vom Hund, dass er seine Nase) beschreibt, und ich stelle mich wie jeder zwanghafte Schriftsteller gerne zu Diensten. Falls es mir trotzdem nicht ganz gelungen ist – und davon gehe ich aus – , Ihnen alle Nuancen dieser Vokabeln zu beleuchten, hätte ich noch einen Vorschlag: Wenden Sie sich an Dr. Bopp (siehe „Links“). Er wird Ihnen die Sache sehr präzise erklären. Das ist schließlich sein Beruf. Der Sprachbloggeur hingegen ist und bleibt ein unverbesserlicher Glossierer.
Am Anfang das Fröschesterben.
Mit Sicherheit haben Sie davon gehört. Denn ich erzähle hier nichts Neues. Schon seit zwanzig Jahren schwinden die Frösche dahin oder werden dreiäugig, fünfbeinig, zweiköpfig usw. geboren.
Lange rätselten die Wissenschaftler über die Ursache. Man munkelte: Die Luftverschmutzung, diverse Umweltsünden oder auch Radioaktivität seien daran schuld. Beweisen konnte man aber nichts.
Nun weiß man: Alle bisherige Theorien sind an den Haaren herbeigezogen. Es ist ein Pilz, genauer gesagt, ein Batrachochytrium Dendrobatidis, der die Frösche dahinrafft. Langsam sickert dieser giftige Pilz durch die glatte Froschhaut, um schließlich den Blutkreislauf der Lurche zu befallen und den Mineralienhaushalt durcheinanderzubringen, bis das amphibische Herz still steht.
Wer hätte das gedacht? Frösche und Batrachochytrium Dendrobatidis sind seit Jahrmillionen bestens miteinander ausgekommen, gute Nachbarn gewesen. Plötzlich verwandelt sich der Freund in einen Killer. Es ist, als würde sich das liebe Lumpi eines Nachts in aller Stille Herrchen oder Frauchen an die Halsschlagader heranmachen.
Nichts kann man dagegen machen. So jedenfalls nach dem heutigen Stand der Dinge. Das habe ich auch gelesen. Geht es weiter so, sind alle Frösche eines Tages weg. Nach den Fröschen: wir.
Prompt denke ich an Carl Amerys „Der Untergang der Stadt Passau“. Amery erzählt von den Rosenheimern und den Passauern, Überlebenden einer namenlosen Seuche, die innerhalb kurzer Zeit etwa 95% der Weltbevölkerung dahingerafft hat.
Die Passauer halten sich für fortschrittlich. Sie tun das, weil sie noch Glühbirnen besitzen. Diese erzeugen Licht, wenn man sie in eine Fassung schraubt. Was die Passauer nicht so ganz verstehen: Nur dank einem alten Wasserkraftwerk stehen die zählbaren Birnen unter Strom. Was sie außerdem nicht bedenken: Sobald der Vorrat an Birnen verbraucht ist, ist es mit dem Kunstlicht endgültig vorbei. Die Rosenheimer– „Rosmer“ genannt – sind hingegen Hinterwäldler, einfache Ackerbauer. Aber Vorsicht: Auch die Ungarn sind auf dem Vormarsch: galoppierende Reiter, die eines Tages Krieg mit Passau führen werden. Ich habe nicht vor, hier die ganze Geschichte zu erzählen.
Meine Horrorgeschichte habe ich noch nicht erzählt, und ich will sie heute nur andeuten. Sie ist freilich sprachlicher Natur – zumindest am Anfang. Genauer gesagt: Sie zeigt, wie die Sprache selbst zu einer Seuche werden kann – einer Seuche, die schlimmer grassiert als jede Schweinegrippe.
Ich habe die Anzeichen dieser Seuche neulich beobachtet, während ich – nur Ihnen zuliebe – in den USA unterwegs war. Dort stellte ich fest, dass die Konsumkultur schwerkrank geworden ist. Da die Konsumkultur als Basis des amerikanischen Wohlstands ist, ist dieser Zustand etwas sehr Schlimmes. Nur: Die meisten Menschen wissen von ihrem Unglück noch nicht. Die meisten Menschen in den USA wissen nicht, dass sie kranke Frösche sind, die kurz vor dem Herzstillstand stehen.
Denn momentan scheint alles noch glatt zu laufen. Die großen Verkaufsketten, Fastfoodketten, Restaurantenketten usw. sind noch nicht in den Konkurs geraten. Die Werbung belämmert nach wie vor im Fernsehen.
Was haben meine Feststellungen mit der Sprache zu tun? Es war stets die Sprache, ich meine eigentlich die Infantilisierung der Sprache, die die Menschen zu Konsumzombies erzogen hat.
Diese Infantilisierung der Sprache war schon immer die wahre Triebfeder der amerikanischen Spaßgesellschaft. Durch billigen Humor, Reality TV, Gruselgeschichten mit Vampiren oder sonstigen ekzentrischen Killern, durch Natursendungen, in denen Tiere andere Tiere live vor der Kamera grausam fressen, durch extreme Formen des Kickboxing usw. hält man den Konsumenten bei Laune, damit er die Prokukte der Sponsoren – iPhones. Playstations, Klingeltöne, Viagra und Waschpulver – kauft.
Doch nun bricht alles zusammen. Nur, man merkt es kaum. Noch. Schließlich haben wir aber Finanzkrise. Und jetzt stellt es sich heraus, dass man bisher erst 25% der „toxischen Papiere“ aufgedeckt hat. Die Spaßgesellschaft fällt lautlos auseinander.
Keinen Grund zur Schadenfreude, liebe Leser. Nein, es gibt keinen Grund zu Überlegenheitsbekundungen. Denn jetzt erzähle ich die wahre Horrorschichte – zumindest den Anfang. Seuchen kennen keine Staatengrenzen. Keine iPhone-Applikationen, keine Playstation, keine Klingeltöne retten auch einen befallenen europäischen Frosch vor dem drohenden Erstickungstod…
Ja Gruselgedanken, weil ich noch immer an meinem Jetlag leide. Nächstes Mal etwas Heiteres. Derweil Happy Hallowe’en!
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