Vorab die Antwort auf eine Frage, die Sie nicht gestellt haben. Sie lautet „Winston Churchill“.
Nun die Frage: „Von wem stammt das geflügelte Wort: ‚Geschichte wird von den Siegern geschrieben’?“
Mir fällt dieser Spruch ein, weil ich gerade an Indianer denke, genauer gesagt, an die Indianer des Bundesfinanzministers Peer Steinbrück.
Rückblick: Vor einer Woche beschimpfte dieser aufgebrachte Politiker die Schweizer Bankiers als Indianer und drohte mit dem Einsatz der Kavallarie, um aufzuräumen. Es handelte sich, wie Sie sicherlich schon wissen, um das Schweizer Bankgeheimnis. Der verbale Angriff artete bald in einen bösen diplomatischen Albtraum aus, auch wenn der Finanzminister seinen Vergleich für humorvoll hielt. Haha. Und bald wurde der taktierende Steinbrück der politischen Unkorrektheit bezichtigt, was nicht falsch ist.
Mich hat sein Indianer-Vergleich von vorneherein stutzig gemacht. Denn jeder weiß: Die Indianer haben nie über ein Bankgeheimnis verfügt. Außerdem hat Herr Steinbrück nie klar angegeben, welchen Stamm er meinte. Sioux? Irokesen? Hopi? Schließlich ist Indianer nicht gleich Indianer. Viele „Native Americans“ aus unterschiedlichen Stämmen betreiben heutzutage Spielkasinos in den USA nicht aber Banken. Mittels dieser Kasinos schaffen sie es mit Bravour, dem weißen Mann sein letztes Hemd auszuziehen. Die Kasinos sorgen für genauso viel Bauchweh wie Montezumas Rache.
Und doch sind es die Sieger, die die Geschichte schreiben. Weil das so ist, sind unsere Kenntnisse über die Katharer in Südfrankreich, die Anfang des 13. Jahrhunderts auf Geheiß des französischen Königs ausgerottet wurden, gleich null. Ihre Schriften wurden damals vernichtet, und alle Berichte über sie stammen von ihren Bezwingern. Gleiches widerfuhr den von Augustinus arg verunglimpften Manichäern. Alles, was man über ihre Lehre weiß, stammt von ihren Feinden. Stellen Sie sich vor: Hu Jintao würde eine Biographie des Dalai Lama veröffentlichen.
In meiner Kindheit haben wir gerne „cowboys and indians“ gespielt, unsere amerikanische Variante des „Räuber und Gendarm“. Für uns waren die cowboys die Anständigen, die Helden also. Die Indianer hingegen waren die Arglistigen. Manchmal spielte ich aber gerne den Indianer. So konnte ich mir besondere Bosheiten ausdenken, um die Cowboys an die Nase herumzuführen. Deutschland die Cowboys, die Schweizer Bankiers die Indianer?
Auch die Redewendung „indian giver“ war – und ist – bei uns gang und gäbe. Ein „gebender Indianer“ war einer, der das zurückhaben wollte, was er bereits geschenkt hatte. Tatsache ist: Das Schenken unter Indianern war eine Art Handel, um Abkommen zu schließen. Die Weißen im 17. und 18. Jahrhundert haben das nicht realisiert. Handel treibende Native Americans verstanden sie als habgierige Wilde.
So sind auch Peer Steinbrücks Indianer: Wilde, Feinde der Zivilisation. Aber Hand aufs Herz: Würden Sie Ihr hart verdientes steuerflüchtiges Geld freiwillig Wilden anvertrauen?
Letztendlich sind Politker aber Machtmenschen. Es fehlt ihnen nicht selten an Feingefühl, zumindest was die Sprache betrifft. Ihre Bilder wirken folglich plakativ und plump – es sei denn, sie sind wie Churchill. Der deutsche Humor, hat er einmal gesagt, ist nichts zum Lachen.
Hand aufs Herz. Halten Sie sich für einen loyalen Menschen?
Selbstverständlich eine Fangfrage. Stellen Sie sich vor. Sie sind Personalchef(in) einer multinationalen Firma und lesen gerade die Bewerbungen der Herren (oder Damen) A und B.
In der Bewerbung von A fallen diverse Zeugnisse ehemaliger Arbeitgeber auf. Inhaltlich sind sie einander sehr ähnlich: „A war stets gutgelaunt, ehrgeizig und verantwortungsvoll. Mit Bedauern haben wir uns von ihm (ihr) getrennt.“
In B’s Bewerbung liegt lediglich ein einziges Zeugnis vor. Darin erfährt man: „B hat stets mit großer Hingabe gearbeit und bestach mit seiner (ihrer) Loyalität. Leider müssen wir uns nach sovielen Jahren von ihm (ihr) wegen der Insolvenz unserer Firma trennen. Wir wünschen ihm (ihr) viel Glück auf seinem (ihrem) weiteren Weg.“
Jetzt müssen Sie entscheiden. Wer soll es sein: A, der (die) Ehrgeizige, oder B, der (die) Loyale? Na?
Natürlich haben Sie sich für A entschieden. „Loyal“ in der Geheimsprache der Zeugnisse löst bei Personalchefs stets Alarmsignale aus. Denn diese Vokabel bedeutet im Zeitalter des späten Turbokapitalismus schlicht und einfach „doof“, „einfallslos“, „träge“, „ängstlich“ usw.
Das war freilich nicht immer der Fall. Früher suchte man gierig nach Menschen wie B, die vorhatten, bei der Firma bis zum Ruhestand zu bleiben. Im Lauf dieser dreißig oder vierzig Jahre könnte sich ein Mitarbeiter, wenn er fleißig und begabt war (oder Glück hatte), hocharbeiten und manchmal sogar die Chefetage erreichen (was natürlich einem Lotteriegewinn gleichkam).
Das war keinesfalls ein deutscher Sonderweg. So war es früher überall – auch in den USA. Noch heute orientieren sich viele japanische Firmen an diesem Prinzip.
Erst im Lauf der 70er Jahre trat ein Sinneswandel, ein frischer Wind, ein, und zwar zunächst in den USA – nicht übrigens von ungefähr zur selben Zeit, als die Saat der heutigen Weltwirtschaftskrise in die Erde gebracht wurde. Das zarte Pflänzchen der neuen Wirtschaft wuchs schnell und kräftig heran. Schon Ende der 80er Jahre war in den USA das geflügelte Wort „leaner and meaner business“ – magereres und gemeineres Geschäftemachen – in aller Munde. Ein besonderer Held dieser Zeit war Al „Chainsaw“ („Kettensäge“) Dunlap, damals Vorstandsvorsitztender der „Scott Paper Company“. Er setzte tausende Mitarbeiter knallhart auf die Straße. Man nannte diesen radikalen Stellenabbau „downsizing“ – etwa „Verkopfkleinerung“. Die Loyalen wurden ob ihrer antiquierten Denkart verlacht.
Doch nehmen wir dieses Wort „loyal“ kurz unter die Lupe. Es stammt aus dem Französischen und wird letztendlich aus dem lateinischen „legalis“, also „gesetzlich“ abgeleitet. Wer „loyal“ ist, agiert also innerhalb der Gesetze. Der „Unloyale“ ist folglich ein Gesetzloser. „Treu“ ist das deutsche Äquivalent für dieses Fremdwort - es ist mit „trauen“ und „vertrauen“ verwandt. Der Wortstamm bedeutete ursprünglich „stark“ und „tapfer“. Das englische „tree“, also „Baum“, ist mit dieser Wurzel verschwägert. „Baumstark“ sagt man noch heute im Deutschen.
Nicht von ungefähr haben Firmen früher „treue“, also „loyale“ Menschen als Mitarbeiter bevorzugt. Denn wer möchte einen „Untreuen“, einen „Gesetzlosen“ als Mitschaffenden im eigenen Haus haben? – genau die Charaktereigenschaften, die die Weltwirtschaft ins Schleudern gebracht haben.
Nun meine Frage an jene Vorstandsvorsitzenden, die sich versehentlich auf diese Seite verirrt haben. Es handelt sich natürlich um eine Fangfrage: Nach allem was Sie mittlerweile über die Kehrseite des Wirtschaftswachstums wissen, würden Sie jetzt lieber A oder B einstellen? Keine Hast. Die Antwort auf diese Frage ist alles anders als einfach.
Für alles gibt es einen Namen; fehlt er, dann wird halt einer erfunden. Nun wissen Sie das Allerwichtigste über den Ursprung der Sprache.
Ich gebe zu: Ich erzähle hier nichts Neues. Schon in der Bibel heißt es, dass Adam alle Geschöpfe mit Namen versehen habe.
Nein, heute kein Bibelunterricht. Der Anlass für obige Plattitüden ist ein Artikel, den ich am Mittwoch in der International Herald Tribune gelesen habe. Die Überschrift lautete: „Airfares rise even as fuel prices fall“, also „Auch bei fallenden Spritkosten steigen die Flugpreise“. Ich werde Sie mit dem Inhalt des langen Textes nicht quälen. Mich interessiert lediglich ein Begriff, den ich im besagten Artikel entdeckte: „yield manager“. Zu Deutsch vielleicht „Mengenverwalter“ oder „Ergebnisverwalter“.
Was macht ein „yield manager“? Ganz einfach: Er ist derjenige, der die unterschiedlichen Preise für ein und denselben Sitzplatz im Flugzeug berechnet. Sie kennen das Phänomen ganz bestimmt. Wenn Sie nach Sitzplatzpreisen im Flugzeug recherchieren, werden Ihnen oft verschiedene Preise für denselben Platz genannt, je nachdem, ob sie das Ticket im Internet, durch eine Reiseagentur, als Pauschalreise oder bei der Fluglinie buchen. Täglich, wenn nicht stündlich, können sich diese Preise ändern. Es handelt sich hier um eine sehr esoterische Wissenschaft. Dem oben zitierten Zeitungsartikel zufolge sind allein bei Air-France-KLM 120 Menschen als „Yield manager“ tätig.
Mir war dieser Begriff fremd. Google bietet zu meinem Erstaunen über 22.000 Treffer dafür an. Einen „Wikipedia“-Beitrag habe ich allerdings nicht gefunden. Außerdem: Die „yield manager“, so habe ich nun erfahren, sind nicht nur im Bereich der Fluglinien tätig.
Auch die unterschiedlichen Preise für gleiche Hotelzimmer werden von eben diesen Managern hervorgezaubert. Darüber hinaus bin ich im Internet zufällig auf ein Stellenangebot des Verlags Gruner + Jahr gestoßen. Man suchte nach einem „Yield Manager/Inventory Manager“. Der Tätigkeitsbereich dieses Managers wird folgendermaßen beschrieben: „Sie sind verantwortlich für die kaufmännische und technische Abwicklung sowie die Optimierung von Werbekampagnen auf unseren Online-Sites.“ Weiter liest man: „Yield Management, das heißt Steigerung des Umsatzes durch bestmögliche Auslastung des Ad-Inventory.“
Hier geht es wohl um eine nagelneue Vokabel aus dem Managerwortschatz.
Auch im Englischen scheint der Begriff kaum bekannt zu sein. Ich habe mehrere englischsprachige Websseiten entdeckt, die auf die Frage eingehen: Was ist ein „yield manager“?
Nun meine Frage: Handelt es sich um einen Beruf, der wegen der Weltwirtsschaftskrise so schnell wieder verschwinden wird wie nach der Jahrtausendwende der der „Y2K“-Experten, oder schauen wir tief in die Zukunft auf eine Berufsbezeichnung, die geradezu massgeschneidert zu sein scheint für die Wirrnisse einer globalisierten Wirtschaft? Ich habe keine Ahnung.
Noch ein wichtiger Punkt über die „Yield Manager“ aber. Im Deutschen wird dieser Begriff bereits als „Yieldmanager“ zusammengeschrieben. An sich ein logischer Schritt. Doch diese Schreibweise hat zufällig eine zweite Bedeutung: „Yieldmanager“ ist auch der Name eines gefürchteten „Spybot“, d.h., eines Spionagenprogramms, das sich in Form eines „Cookie“ hartnäckig wie eine Zecke in Ihrer Festplatte einnisten kann, um alle wichtigen Passwörter usw. an Internetkriminelle weiterzuleiten. Diese Tätigkeit als „Ergbenis-“ oder „Mengenverwaltung“ zu bezeichnen ist eigentlich recht passend. Vorsicht sei also geboten!
Und vergessen Sie nicht: Der Sprachbloggeur hat Sie als erster vor diesen Managern gewarnt!
Wissen Sie, was ein „flogger“ ist?
Ich habe zunächst ans „Auspeitschen“ – die Bedeutung von „to flog“ auf Englisch – gedacht, als ich dieses Wort am Wochenende in der Überschrift eines Artikels in der International Herald Tribune (14. März) entdeckte.
Irrtum. Im Zeitalter der „Blogs“ – also „Web logs“ – sollte man wissen, dass jede Vokabel, in der man die Buchstabenkombination „log“ findet, einen Bezug zum Internet haben muss. Kein Flagellantenverein also die „Flogger“ und „Floggerinnen“. Es sind „Fotoblogger“.
Genauer gesagt: „Flogger“ nennen sich Jugendliche – vorwiegend in Argentinien und in Chile – die eifrig unter sich Fotos austauschen. Triebfeder dieses schnellwachsenden Phänomens ist eine gewisse Augustina Vivero. Sie ist 17 Jahre alt und lebt mit ihrer Familie im Arbeiterviertel San Cristobal in Buenos Aires.
Vor einem Jahr – so Autor Alexei Barrionuevo – pflegte sich Augustina mit ihren vielen Freund(inn)en bei sich zuhause zu treffen, um sich gegenseitig Fotos zu zeigen. Als die Gruppe Zuwachs bekam, verlegten die Jugendlichen ihre Zusammenkünfte in ein großes Einkaufszentrum. Sie zählten nunmehr etwa einhundert Fotofans. Innerhalb weniger Wochen ist ihre Zahl auf 2000 geklettert.
Die Ladenbesitzer im Einkaufszentrum fühlten sich von den aufgepeitschten Jugendlichen gestört und schalteten die Polizei ein. Schnell kam es zu hitzigen Auseinandersetzungen mit den Ordnungshütern. Klar, dass die Fernsehjournalisten eintrafen, um den ganzen Trubel fürs TV-Publikum zu verewigen. Die vife Augustina Vivero wurde rasch als Interviewpartnerin herbeigerufen und alsbald zum Superstar befördert – zumindest in Argentinien und Chile.
Nun sind die „Flogger“ der letzte Schrei in Südamerika geworden, auch wenn sie bei uns kaum bekannt sind. „Flogger möchten die Welt nicht verändern“, schreibt Maria José Hooft, Autorin einer Studie über Jugendkulturen in Argentinien, „Sie möchten überleben, und sie möchten sich austoben, so gut es geht.“ Selbstdarstellerin Augustina, die sich mittlerweile zu einer gut verdienenden Unternehmerin gemausert hat, macht keinen Hehl aus ihrer Homosexualität. Inzwischen will sie das öffentliche Bewusstsein für Aids erweitern – keine Selbstverständlichkeit im machohaften Lateinamerika. Überhaupt wird das Androgynseindürfen von den „Floggern“ zu einer ideologischen Sache erhoben. Leben und leben lassen. Augustina bleibt die Mutter Courage.
Mittlerweile sind die „Flogger“ mit einer eigenen Musikrichtung bestückt. Sie heißt „Cumbio“ und stellt eine Mischung aus lateinamerikanischem Pop und Salsa dar. Ihre bunten Kleider sind längst zu einer Art Uniform geworden. Man macht sich gerne ungekünstelt sichtbar. Und die Fotos. Man darf sie partout nicht vergessen. Denn mit Fotos hat alles eigentlich begonnen. Bei der Fotoplattform fotolog.com finden Sie reichlich Schnappschüsse von Augustina und ihren Leuten.
Schwappt die „Flogger“-Bewegung nach Deutschland über? Sind die hiesigen 13jährigen, die noch eifrig und mit unschuldigem Blick Lego-Roboter basteln und Barbies ankleiden, die „Flogger“ von morgen? Sehen Goths, Emos usw. bald so alt aus wie 68er? Bei den „Floggern“ handelt es sich wahrhaftig um eine Strömung des 21. Jahrhunderts. Denn bei dieser Subkultur ist die virtuelle (sprich Internet-) Präsenz ebenso wesentlich wie die bunte Straßenerscheinung.
Ist das neue Zeitalter schon angebrochen, ohne dass dies überhaupt aufgefallen wäre? Wäre ohnehin nicht das erste Mal. Ach ja: Ich darf die anderen „Flogger“ nicht unerwähnt lassen. Das sind die „Foodblogger“. Mal sehen, ob zwei Gruppen mit gleichem Namen friedlich nebeneinander existieren können.
Hier finden Sie keine Spekulationen über Tim K. Ich befasse mich heute lieber mit dem Begriff „Breaking News“. Ich komme darauf, weil diese Losung gerade im Fernsehbildschirm zu sehen war, als ich am Mittwoch ins Wohnzimmer kam und die „Tagesschau“ zufällig lief.
Ich dachte zunächst, es handele sich um Aufnahmen aus Alabama, wo am Dienstag ein Berserker mehrere Menschen niedergemäht hatte. „Mord und Totschlag made in USA als Unterhaltung in Deutschland“, murrte ich in Richtung meines Sohns.
„Nein“, antwortete er. „Das hat mit Alabama nichts zu tun. Ist gerade passiert. Ein Jugendlicher in Deutschland ist Amok gelaufen.“
Ich war in meinen Gedanken aber schon weit weg. Warum heißt es „Breaking News“, sinnierte ich – und das ausgerechnet in der ARD?
CNN war der erste, der den Begriff „breaking news“ verwendet hat. Vielleicht war es 2001 in Zusammenhang mit dem Terrorangriff gegen das World Trade Center. Ich weiß es nicht mehr. Viel früher war es sicherlich nicht. Die Formulierung klang damals jedenfalls recht pfiffig. „Breaking News“ – anbrechende Ereignisse – das verspricht Dramatisches, fängt die Aufmerksamkeit ein. „Brechen“,„ausbrechen“, „anbrechen“ – die Unmittelbarkeit dieses Wortes ist kaum zu überbieten. Im Deutschen kann man sogar einen Krieg vom Zaun brechen.
Schnell witterte die Konkurrenz in den USA den Wert dieser nützlichen Formulierung. Bald ließ nicht nur CNN die „Breaking News“ krachen. Auch die Kollegen bei den anderen Sendern warben mit dieser spannenden Losung um die Zuschauergunst. Verständlich, dass es so war. Es geht letztendlich um den harten Kampf um die Einschaltquoten. Mehr Zuschauer bedeuten mehr Werbespots.
Ich beneide die Nachrichtenproduzenten nicht. Berichte werden auf die Waage gehauen wie Rinderrouladen. Was gut und schnell an den Mann oder die Frau zu vermitteln ist, bekommt nach diesem Kriterion die Vorzugsbehandlung. Ich erzähle Ihnen aber nichts Neues.
Wer sich in den USA informieren will, muss mittlerweile entweder das Internet nach Nachrichten absuchen, oder er abonniert eine der wenigen Zeitschriften, die noch etwas Tiefgang haben – zum Beispiel die „New York Review of Books“. Im Fernsehen (auch in vielen Zeitungen) sind nur noch „Breaking News“ zu finden. Schnieke Nachrichtensprecher und -sprecherinnen – zumeist in Tandem – berichten mit glatt gebügelten Stimmen und ebenso glatten Frisuren über Blechschäden auf dem Highway, schlimme Einbrüche, Schießereien oder den Tod von Prominenten – alles sauber pauschaliert mit dem dramatischen Schluss nach der Werbung.
Auch in Deutschland sind die „Breaking News“ eingetroffen – vor allem bei den Privaten. Klingt ohnehin schöner als „Eilmeldung“, nicht wahr?
16 Menschenleben wurden in Winnenden auf tragische Weise ausgelöscht, in Darfur werden seit Jahren hunderttausende Menschenleben systematisch ausgerottet. Stellen Sie sich vor. Sie sind Nachrichtenredakteur. Mit welcher dieser beiden Storys würden Sie lieber auf der Pauke hauen? Nicht zu vergessen: Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen, man riecht schon den Nackenschweiß der Konkurrenz.
Letzte Frage: Was bedeutet „Betroffenheit“? .
Böser Travis. Nun ist es so weit. Er hat den guten Leumund seiner Art um Jahrtausende zurückversetzt. Und das ausgerechnet im Darwin-Jahr!
Die Rede ist natürlich vom Schimpansen Travis, der Mitte Februar in einem vornehmen Vorort des US-Bundesstaats Connecticut ausrastete und mit bloßen menschenähnlichen Händen einer Frau sowohl das Gesicht wie auch andere Körperteile demolierte, bevor er von einem beherzten Polizisten niedergestreckt wurde. Der Grund für sein Fehlverhalten liegt nach wie vor im Dunkeln. Eine Theorie: Er habe unter der von Zecken übertragenen Borreliose-Krankheit gelitten. Im dichtbewaldeten Connecticut ist diese Krankheit weit verbreitet und führt gelegentlich – zumindest bei Menschen – zu Wahnvorstellungen.
Travis lebte 14 Jahre – von seiner Entwicklung her war er also wie ein etwa dreißigjähriger Mensch. Er galt als brav, hatte eine Lieblingspuppe, fuhr gerne im Auto mit, war fingerfertig, konnte Türen aufschließen, schlief im Bett mit seiner Betreuerin und hatte eine Karriere als niedliches Äffchen in der Werbung hinter sich. Wahrscheinlich hat er besser verdient als ich.
Soweit ich weiß, zählte er aber nicht zu den Schimpansen, die der Gebärdensprache mächtig waren. Auch hat er nicht wie seine Artgenossin Vicki ein paar Brocken Englisch sprechen gelernt. Vicki wurde Anfang der 50er Jahre von einem Psychologenehepaar wie ein Menschenkind erzogen. Sie krächzte „mama“, „papa“, „cup“ und „up“ in mehr oder weniger verständlichem Englisch. Sie hatte das Staubwischen und Wäschewaschen und vieles andere mehr gelernt, war also ein Musterkind. Dann kam das putzige Äffchen in die Pubertät. Es legte sich – wie die meisten Teenies – mit den Zieheltern an. Schimpansen sind aber sehr stark. Das Psychologenehepaar musste Vicki mit einem Stock züchtigen. Zunehmend verlernte die aufmupfige Äffin die guten Manieren – inklusive Stubenreinheit - der Kinderstube. Bald lehnte sie es ab, in ihrem Bettchen zu schlafen. Sie zog es vor, sich ein Nest einzurichten. Obwohl gut ernährt, schnappte sie für ihr Leben gerne nach Heuschrecken, um sie sogleich zu schnabulieren.
Auch die liebe Lucy von der in den 60er Jahren zu hören war, hat es nicht geschafft, ein Mensch zu werden. Auch die hatte die ersten Jahre – wie Vicki – als Ersatzkind eines Psychologenehepaars verbracht. Musterschülerin am Tisch, eifrige Leserin von Zeitschriften. Der angesehene Primatologe Roger Fouts hatte ihr Englischnachhilfe in Form von 140 Handzeichen aus der Gebärdensprache beigebracht. Alles änderte sich mit der Pubertät. Sie wurde zu einer leidenschaftlichen Gin-Trinkerin, entdeckte die Zeitschrift „Playgirl“ und befriedigte sich mit einem Staubsaugerschlauch, während sie sich in die Bilder vertiefte. Das ist freilich nicht weiter schlimm. Erwachsene haben nunmal ihre Mätzchen. Doch nicht ganz zufällig entschloss sich das Psychologenehepaar um diese Zeit auf Lucys Gesellschaft zu verzichten. Man fand, was die ideale Lösung für ihr künftiges Leben zu sein schien: Man verschiffte den einst so verwöhnten Menschenaffen nach Afrika. In Gambia bezog sie eine Anlage, wo verkorkste Schimpansen lernten, wieder Tiere zu werden. Leider war das Leben als Tier für Lucy zu fremd geworden. Anders als die nach Heuschrecken schnappende Vicki war Lucy völlig instinktlos geblieben, was ein Überleben im Urwald erheblich erschwerte. Die Dschungelprinzessin sehnte sich so sehr nach Menschen, dass sie schließlich zur leichten Beute von Wilderern wurde. Als man das skelettierte Resttier entdeckte, fehlten die Füße und die Hände mit denen sie einst in Gebärdensprache ihre Wünsche ausgedrückt hatte. Sie waren wohl zu einer leckeren Mahlzeit für hungrige Jäger geworden.
Die ersten Schimpansen trafen Ende des 19. Jahrhundert in den USA und in Europa ein. Man bestaunte sie in Tierparks und auf der Varieté-Bühne – und sie bestaunten uns. Im Darwin-Jahr kann man ruhig zugeben, dass wir verwandt sind. Dennoch, liebe Tierfreunde, bleiben unüberbrückbare Unterschiede. Ich bin sicher, dass jeder sprechende Affe dies ohne Wenn und Aber bestätigen würde. Schade, dass Travis nie das Sprechen gelernt hat.
Ich will Ihnen den Schlüssel verraten, um das perfekte Drehbuch zu schreiben. Es wäre vielleicht eine Chance – vor allem zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise – , schnell das große Geld einzuheimsen. Denn auch in den schlechtesten Zeiten kann man mit Unterhaltung gut verdienen – zumindest wenn der Endverbraucher nicht so viel dafür ausgeben muss. Aufgepasst, liebe Verlage. Hier ist ein klarer Wink mit dem Zaunpfahl.
Aber zurück zu besagtem Schlüssel, der übrigens keine Erfindung von mir ist, eher wohl ein Produkt des Hollywood der 30er Jahre. Meines Erachtens ist er sogar noch viel älter, uralt vielleicht. Ich gebe ihn Ihnen aber in der Formulierung des alten Hollywood – und zwar auf Englisch: Boy meets girl, boy loses girl, boy finds girl. Das war es. Neun einfache Wörter, die es aber in sich haben. Ein Junge lernt ein Mädchen kennen, er verliert sie aus den Augen, und am Ende findet er sie wieder. Ungezählte Hollywoodfilme folgen diesem Handlungsmuster. Kein Wunder. Denn es funktioniert immer (solange die Hauptfiguren glaubhaft wirken, versteht sich). In den US-Filmen der 30er Jahre – als die letzte Weltwirtschaftskrise noch wütete – wurde sie in allen Variationen dargeboten. Ein paar Stunden im Kino taten gut, um die täglichen Sorgen mit Zauber und Happyend zu übergießen.
Auch die Babelsberger der Nazizeit haben die Vorteile dieser Flucht in die Fantasie verstanden. So zum Beispiel im Film „Fasching“. Ich glaube, er wurde während des Kriegs gedreht. Die Handlung ist aber schnell erzählt: Ein netter junger Mann lernt im Zug nach München eine hübsche junge Frau kennen. Es funkt zwischen ihnen, und sie möchten sich wiedersehen. Sie verabreden sich also für den nächsten Tag – beide sind in München fremd –vor der Mariensäule am Marienplatz. Was sie aber leider nicht beachtet haben: Der nächste Tag ist Faschingsdienstag. Im Gedränge am Marienplatz finden sie sich natürlich nicht. Boy loses girl. Nun kommt der traurige Teil: Man sucht, und fast will man aufgeben. Auch dieser Teil des Films ist freilich nicht ohne Unterhaltung, und hie und da wird mit ein bisschen Komik aufgeheitert. Doch dann wendet sich das Glück schon wieder. Boy und Girl finden sich endlich! Eine rührende Szene, und kein Auge bleibt trocken. Nebenbei: Im Film sind nirgends Hakenkreuze oder Soldaten zu sehen. Denn auch die damaligen Propagandisten haben verstanden, dass sie mit Nazisymbolen und -slogans nicht gut ankommen. Doch nun ist der Film aus. Die Lichter im Kino leuchten grell, die Ausgangstüre werden jäh aufgeschlagen, und schweren Herzens kehrt man in die Realität zurück. Schließlich ist Krieg, und man lebt in der Diktatur.
Übrigens: Im angehenden 21. Jahrhundert kann man obige Drehbuchhandlung erheblich variieren – zum Beispiel: „girl meets boy, girl loses boy, girl finds boy“. Auch „boy meets boy“ wäre möglich. Siehe „Brokeback Mountain“. Doch bei so einem Film verlässt man schnell das Reich der seichten Unterhaltung. Die Story endet traurig. Andererseits: Ein tragischer Schluss macht eine Geschichte fast automatisch anspruchsvoller. Denken Sie an Romeo und Julia oder Dido und Aeneas.
Wer gewillt ist, kann sich an die anspruchsvolle Version wagen. Viel Glück. Aber Vorsicht: Sie ist schwerer zu verkaufen als eine seichte Schnulze.
Ach ja. Wissen Sie, warum uns diese einfache Handlung immer wieder becirct? Die Antwort liegt so sehr auf der Hand, dass man sie häufig übersieht. Weil sie Sehnsüchte erweckt– genauer gesagt, Sehnsüchte nach einer seelischen Vervollständigung. Ich vermute, dass dieses Empfinden ebenso ein Teil unserer „Programmierung“ ist wie das Bedürfnis nach Essen, Trinken usw.
Aber genug der Spekulationen. Ab in die Arbeit, und wenn Sie Ihr erstes Honorar kassiert haben, denken Sie daran: Sie haben das Drehbuchschreiben beim Sprachbloggeur gelernt.
Ich mache es mir heute nicht einfach.
Ich versuche ein Phänomen zu erfassen, dass ich bereits seit vielen Jahren beobachte.
Das erste Mal vielleicht um das Jahr 1980 in Kalifornien. Damals galt es ausschließlich als Merkmal eines kulturellen Phänomens, das man nur bei den „valley girls“ vernahm. So nannte man jene jungen gewissermaßen verzogenen Frauen (und Mädchen) aus guter Familie, die damals im „San Fernando Valley“, einem riesigen Vorort von Los Angeles, lebten. Die „valley girls“ sind eine Art Prototyp der schnoddrigen, wohlhabenden „party girls“ à la Paris Hilton und Co. Besonders auffällig war ihre Art zu reden. Sie hatten nämlich die Gewohnheit, jeden Satz, den sie sprachen, so zu betonen, als wäre er eine Frage. „Mein Name ist Sandra? Ich wohne in Canoga Park? Ja, und ich gehe in die Hollywood High School?“ usw. Es klang, als würden sie alles in Frage stellen, was sie zu behaupten hatten.
Ich weiß nicht, woher das Phänomen stammte. Irgendwie glaube ich, dass die ersten „valley girls“ diese Tonlage von der kokettierenden Stimme eines damals beliebten Sternchen entlehnt hatten. Vielleicht war es die junge Madonna. Das sage ich nur ganz spontan. Möglicherweise irre ich mich. Diese Art zu sprechen machte jedenfalls Schule. Denn sie blieb nicht nur an den „valley girls“ hängen. Die zögernde, fragende Tonlage wuchs ständig an Einfluss unter der Jugend und breitete sich peu à peu in den ganzen USA aus. Und: nicht nur als Mode unter jungen Frauen. Auch junge Männer – Schüler und Studenten – drücken sich heute so aus.
Wenn ich jemanden so reden höre, kommt es mir vor, als wäre er (oder sie) nicht in der Lage, sich festzulegen – was ausgezeichnet zu einem Zeitalter passt, in dem alles als relativ gilt. Dies ist die Sprache der Zaudernden, der gespielt Schüchternen. Sie kann im Zuhörer aber kein Vertrauen erwecken.
Ich komme auf dieses Thema zu sprechen, weil ich eben diese Tonlage auch im Deutschen vernehme – nur unter jungen Menschen, versteht sich. Gestern, zum Beispiel, hörte ich einen Bericht im Radio über die Bischofskonferenz in Köln. Junge Katholiken wurden nach ihrer Meinung zum ungeschickten Bischof Williamson, dem Holocaustleugner, gefragt. Zunächst antworteten ein Student und eine Studentin auf die Frage. Beide redeten klar und – wie soll ich es sagen? – ganz „normal“. Dann sprach eine 15jährige Schülerin. Auch sie war nicht auf den Mund gefallen. Doch jeden Satz, den sie sprach, endete sie mit einer leichten Erhebung der Stimmlage, als würde sie eine Frage stellen anstatt eine zu beantworten.
Deshalb meine Frage: Werden Deutsch und Englisch künftig zu Tonsprachen wie Chinesisch? Erleben wir in der Gegenwart die ersten phonetischen Vorbereitungen zu einem künftigen Dinesischen oder Chinglischen? Notabene: Chinesisch ist nicht die einzige Tonsprache dieser Welt. Thai, Vietnamesisch, auch Schwedisch werden "vertont". Möglicherweise zählte auch das Altgriechische zu den Tonsprachen.
Eins steht jedenfalls fest: Während Sie diesen Text lesen, wird die Grundlage der deutschen Sprache des 22. Jahrhunderts in aller Ruhe vorbereitet. Kann man, soll man, was dafür oder dagegen unternehmen? Wenn Sie mich fragen: Das Beste, was man sich erhoffen kann, ist ein guter Platz in der ersten Reihe. Ich bin neugierig darauf?
Neueste Nachricht: Deutsch sprechen ist wieder – wie soll ich’s sagen – „in“. Im Klartext: Denglisch ade.
Ich habe diese Botschaft – zwar etwas weniger überspitzt – in einem schönen Artikel der Autoren Sebastian Balzter und Julia Löhr in der Wochenendausgabe der FAZ (14./15. Februar 2009) aufgeklaubt. Darin erfährt man: Die deutschen Großfirmen besinnen sich wieder auf die Landessprache.
Der Grund dafür: Es hat sich herausgestellt, dass viele Mitarbeiter internationaler Unternehmen sich präziser auf Deutsch verständigen als auf Englisch, was nicht überrascht. Lange wurden Meetings auf der Chefetage mit Vorliebe "in English" geführt, mit dem Resultat: Wer die Fremdsprache am besten beherrschte, ergriff am ehesten und am häufigsten das Wort. Die Fremdsprachengenies waren , was die Geschäfte betraf, allerdings nicht immer die hellsten. Wer hingegen gute Ideen hatte, die er (oder sie) nicht in fließendem Englisch habe ausdrücken können, sei verstummt. Ein Lehrbeispiel der darwinschen Selektion.
Ein typischer Fall: In den Jahren 1999 bis 2003 hat die fusionierte Daimler-Chrysler-Firma 30 Milliarden Euro Verluste gemacht. In der gleichen Zeitspanne erzielte Porsche erhebliche Gewinne. Bei ersterer Firma talkten deutsche Manager Englisch, bei letzterer Deutsch. Ob die Sprachwahl eine Rolle in der finanziellen Situation gespielt habe, sagen die Autoren, bleibe freilich dahingestellt.
Ist es nur Zufall, dass manche deutsche Unternehmen zur deutschen Sprache zurückfinden? Neulich habe der Englisch sprechende Vorstandsvorsitzende Josef Ackermann vor Journalisten beteuert – auf Deutsch: „Wir heißen Deutsche Bank und sind Teil von Deutschland.“
Warum erzähle ich alldies? Nein, Sie werden hier keiner müden oder passionierten Polemik gegen das Denglische ausgesetzt. Im Gegenteil. Ich will lediglich darauf hinweisen, was ich stets behaupte: Die ganze Trubel um das Aufgehen des Deutschen im Englischen war schon immer eine Freizeitbeschäftigung aufgeregter Puristen – und natürlich nervöser Verlage, die stets auf der Suche nach aufregenden Themen sind.
Doch nun verrate ich Ihnen ein schmutziges kleines Geheimnis: Die deutsche Sprache war nie in Gefahr, vom Englischen einverleibt zu werden – auch wenn das Englische bis heute als hip, cool und modisch gilt.
Wir befinden uns aber in einer Weltwirtschaftskrise. Man wird im Allgemeinen sparsamer – was auch für die Sprache gilt. Das Spielerische passt momentan nicht so ganz zu der Stimmung der Zeit. Mal sehen, wieviele der allseits beliebten englischen Wörter der Gegenwart den deutschen Pass erhalten werden. Ich vermute, dass der Begriff „shareholder value“ ganz vergilben wird. Der „Airport“ wird sicherlich wieder zum „Flughafen“ werden.
Über die Reinheit der Sprache zu spekulieren, ist nunmal ein Luxus sorgloser Zeiten. Eine Sprache ist (und war schon immer) ein kollektives Projekt. Allen Unterweisungen und Rotstiftmarkierungen der Deutschlehrer zum Trotz verändert sich die Sprache. Das ist ihre Natur.
Herzliches Willkommen in der Wirtschaftskrise, einer Zeit der gnadenlosen Korrektur. Das Thema Denglisch wird bald so sehr nach gestern klingen wie die dicken Boni und die unantastbaren Manager der Gegenwart es sind.
Welchen Wert hat ein Wort? Es handelt sich hier selbstverständlich um eine Fangfrage, die ich stelle, weil ich weiß, dass es im internationalen Blätterwald gang und gäbe ist, freie Mitarbeiter nach Wörtern (z.B., in den USA) oder Anschlägen (in Deutschland) zu bezahlen. Jedes Wort bekommt also einen fixen Wert. Fragen Sie mich nicht nach der Höhe. Ich habe keine Statistik erhoben und will es auch nicht.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich übe hier keine entrüstete Kritik an einem Wirtschaftssystem. Jede wirtschaftliche Leistung hat nunmal ihren Wert. Warum nicht auch die Arbeit der Wortschmiede?
Ja, warum nicht? Weil sich Worte manchmal nicht mit Gold, Silber, Kokain oder Freikarten zum Tina-Turner-Konzert aufwiegen lassen. Weil Worte manchmal so kostbar sind, dass man ihnen kein Preisschild anhängen kann.
Ende der Predigt, die ich mir nur deshalb ausgedacht habe, weil ich von einem schönen Buch erzählen möchte: „Economy of the Unlost“ von der kanadischen Schriftstellerin (und Altphilologin) Anne Carson. Notabene: „Economy“ ist in diesem Titel als vielschichtiges Wortspiel zu verstehen und lässt sich zeitgleich mit „Wirtschaftssystem“, „Sparsamkeit“ und „Haushalten“ übersetzen. „Unlost“ klingt im Englischen ebenso komisch wie „unverloren“ im Deutschen.
Das Buch handelt von zwei Dichtern: Simonides von Keos, der um das Jahr 468 v.Chr. etwa 90 jährig starb, und Paul Celan. Ich befasse mich hier nur mit Simonides. Aus drei Gründen wurde er in der griechischen Antike berühmt: erstens, weil er ein genialer Dichter war (von dessen Werken allerdings leider nur wenige Fetzen noch erhalten geblieben sind); zweitens, weil er als Erfinder der Gedächtniskunst („Mnemotechnik“) gilt (darüber vielleicht ein anderes Mal); und drittens, weil die Griechen behaupteten, er sei der erste Schriftsteller, der sich Geld, sprich Münzen, für seine Arbeit nahm.
Als gäbe es andere Möglichkeiten, von der Schriftstellerei zu leben! Damals schon. Ein Wortschmied suchte nach einem Gönner. Das waren meistens Könige, Statthalter oder Tyrannen. Für die hat man Loblieder und sonstige Unterhaltungen geschrieben. Als Gegenleistung genoss man die Gastfreundschaft des Mäzens. Und die war nicht ohne. Man war also Berufsschmeichler. Wer keinen Gönner fand, nahm an Wettbewerben teil. Das war aber ein hartes Brot. Der Schriftsteller hatte es nicht leicht. Es hat sich bis heute nichts daran geändert.
Ich weiß nicht, nach welchen Kriterien Simonides seine schriftstellerischen Leistungen in Rechnung gestellt hat. Er hatte jedenfalls großen Erfolg. Aber seine Art Geld zu verdienen war so ungewöhnlich, dass er bald den Ruf des Geizhalses hatte. Noch Aristoteles, der immerhin 150 Jahre nach Simonides lebte, schimpfte auf diesen geschäftstüchtigen Berufsdichter.
Letztlich aber machte seine Geschäftsstrategie Schule. Bereits die nächste Generation der Dichterkönige, zum Beispiel Bakchylides (ein Neffe von Simonides) und Pindar tingelten auf der Suche nach tiefen Taschen durch ganz Hellas, um ihre Kunst gegen hard cash zu veräußern. Jahrtausende später haben die Gesetze des Kapitals alles längst auf die Reihe gebracht.
Ende der Geschichte? Auf keinen Fall. Wissen Sie, dass die ersten griechischen Schriftsteller, die nur ein paar Generationen vor Simonides lebten, ihre Tätigkeit ausschließlich als Priester des Wortes ausübten? Genauer gesagt: Ihre Worte galten als heilig. Durch Klang, Rhythmus und Sinngebung sollten in kultischen Handlungen wichtige Botschaften mitgeteilt werden.
Und dann mit einem Mal, zack! Das Wort ist zu einer Ware geworden. Glückwunsch. Sie haben soeben beim Sprachbloggeur eingekauft. Klick! sagt der Zähler.
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