Finden Sie auch, dass das Jahr 2009 rekordverdächtig ist, was neue Wörter und Begriffe betrifft?
Die Wortschmiede aber auch der einfache Verbraucher kommen dieses Jahr reichlich auf ihre Kosten. Und es handelt sich zum Teil um Vokabeln mit richtigem Tiefgang.
So, zum Beispiel „Schweinegrippe“. Das Wort gibt nicht nur den Namen eines Virus wieder. Es schwillt mit Nebenbedeutungen, die auf metasprachlicher Ebene mitvermittelt werden. Etwa: Angst, Hohn, Gleichgültigkeit. Es sind beihnahe soviele Beigeschmäcke wie in einer gut gewürzten Sauce.
Natürlich gehört auch „Conficker“ auf die Liste, oder haben Sie dieses Wort schon vergessen? Denn man hört seit mehreren Wochen nichts mehr über diesen virtuellen Wurm. Warten Sie nur ab. Bald wird es in der Zeitung heißen, dass der gefürchtete Cybererreger einen neuen Termin gesetzt hat, um sämtliche Rechner auf der Welt in blinde Augen zu verwandeln. Alles eine Frage der Zeit. Dann wird fieberhaft nach dem Täter gesucht. Und ich kann Ihnen schon jetzt versprechen: Sollte „Conficker“ die Geschäfte kaputtmachen, wird man mit dem genialen Hacker, der dahinter steckt, kurzen Prozess machen. Denken Sie an die tschetschenischen Oppositionspolitiker.
Und wer möchte an dieser Stelle die „giftigen Papiere“ vergessen? Hätten Sie sich früher vorstellen können, dass Papier giftig sein könnte? In Krimis passiert es gelegentlich. Auch Autoren können giftig sein und verschmähte Liebhaber erst recht. Aber Papier? Hier handelt es freilich um eine sehr gelungene Lehnübersetzung des neuamerikanischen „toxic mortgages“, die „toxischen“ – also „giftigen“ Hypotheken, die Auslöser für die jetzigen Weltfinanzkrise waren. Mit „Papieren“ sind mittlerweile alle wertlose Wertpapiere – nicht nur die Hypotheken – gemeint. Sehr geschickt.
Jawohl! Es macht wirklich Spaß, diese neuen Wörter hier aufzulisten. Doch der Tag ist schnell vorbei, und ich werde diese Aufzählung leider unvollständig lassen müssen. Meine zwei allerliebsten Neuschöpfungen habe ich natürlich für den Schluss aufbewahrt.
Die kennen Sie aber schon, weil ich sie im Titel bereits verraten habe. Meinen Sie auch nicht, dass „bad bank“ als Wortschöpfung kaum zu übertreffen ist? Dieser Begriff ist so nagelneu, dass man ihn noch nicht großschreibt. Aber wenn es so weit ist, wie wird man ihn orthographisch verdeutschen? Wird man ihn zusammenschreiben oder mit Bindestrich zum Tandem machen? Werden beide „B“s großgeschrieben oder nur das erste? Es sind Fragen, für die es momentan keine Antwort gibt. Sicherlich werden uns die Zeitungen es bald vormachen. Doch das Allerschönste an diesem neuen Begriff, ist dass er den eigenen Gegensatz voraussetzt und in die Sprache mitbringt. Ich meine: Wenn es eine „bad bank“ gibt, dann muss man davon ausgehen, dass es auch eine „good bank“ gibt. Ist das nicht schön, die Banken in „gut“ und „böse“ einzuteilen? Ein Signal, dass wir in einem demokratischen Zeitalter leben, wo alles eine Stimme hat.
Aber nun zu meinem zweiten Lieblingswort: „ehrenamtlich“. Zugegeben, dem Anschein nach handelt es sich keineswegs um eine neue Vokabel. Das stimmt aber nicht. Dieses Wort hat in jüngster Zeit eine ganz neue Dynamik gewonnen. Überall wo ich hinschaue, erfahre ich, dass die ehrenamtliche Arbeit total „in“ ist: in den Altersheimen, in den Krankenhäusern, den Schulen und vielleicht bald an Ihrem Arbeitsplatz! Nicht zu vergessen: Wirtschaftskrise is’. Die abgeplagten BWLer sind schwer damit beschäftigt, die Firmen (und die eigenen Stellen) zu retten, koste, was es wolle. Was wäre denn doch sinnvoller als diese kecke Neuheit, die „Ehrenamtlichkeit“, einzuführen? Kostensparend ist es allemal!
Doch nun zu meinem Dilemma: das Wort des Jahres zu wählen. „Bad bank“ und „ehrenamtlich“ sind meines Erachtens beide preisverdächtig, und ich habe große Schwierigkeiten, mich zu entscheiden. Schön wäre es, wenn man dieses Jahr ausnahmsweise zwei Sieger ehren könnte.
Alina ist so groß wie ein Durchschnittshydrant auf einer Straße in New York. Ein Schäferhund wirkt aus ihrer Perspektive wie ein Pferd aus der Perspektive eines Durchschnittserwachsenen. Das hohe Gras eines ungemähten Rasens ist für sie wie ein Dickicht im Wald.
Von meinem Balkon höre ich sie unten im Garten kreischen und brabbeln. Noch letzte Woche brachte sie es sprachlich nicht weiter als „babababa“ und „bwodschs-t-tschra“ usw.
Vorgestern am frühen Abend sagte ihr ihr Vater wieder und wieder im selben steigenden Ton: „A-li-NA? A-li-NA? A-li-NA?“ Natürlich fand sie das alles anders als langweilig. Ihr ist jedes Gespräch, das sie versteht, äußerst spannend.
Anders der Vater. Ihn ermüdete die einseitige Diskussion nach kurzer Zeit. Nun war sie allein, und da ging’s erst los: „ga-di-MA?“, „na-gi-DA?“ und so weiter. Der Ton machte die Musik. Der Kopf kochte vor brennendem Interesse.
Noch bekommen Kinder in diesem Alter keine Noten für Ausdruck oder Sprachformulierung. Aber wer weiß? Vielleicht wird das Übertrittsalter fürs dreigliedrige Schulsystem künftig um ein paar Jahre herabgesetzt, um die geborenen Manager schneller und wirkungsvoller anzuzüchten. Für den Fall möchte ich Alinas Leistung an diesem Tag hiermit mit einem Einser benoten.
Man spürt, wie der Wille im Alinahirn von Minute zu Minute wächst, um das Geheimnis der Mundsprache zu knacken. Man kann beinahe die Verzweigung der Synapsen im Großhirn mithören. Das war aber doch erst der Anfang. Jetzt erzähle ich, was heute passiert ist.
Alina, knapp größer als ein Bowlingkegel, stand stramm im Garten, stolz wie ein Bäumling. Plötzlich schaute sie nach oben und brüllte mit klarer, heller Stimme: „Al-loo! Al-loo! Ha-looo!“ Die Aussprache war perfekt. Eine geborene Muttersprachlerin! Noch Wichtiger: Sie hat genau verstanden, was sie laut vor sich rief. Denn prompt kam die Antwort vom Balkon der Nachbarin: „Hallo!“ trillerte eine nette Dame freundlich zurück. Alina erwiderte sogleich mit einem erneuten begeisterten, „Ha-loooo!“
Zugegeben. Es war kein differenziertes Gespräch über Politik oder die Finanzkrise, wie man es täglich zu führen pflegt. Dafür war es aber ein sehr ehrlicher Austausch. Für Alina, die bestimmt lange für diese Premiere geübt hatte, war es ein Rundumerfolg.
Mit einem Mal hatte sie die Macht der Worte kapiert: Wenn einer „Hallo“ ruft, kann er damit rechnen, dass der andere mit „Hallo“ antwortet.
Es hat ihr offensichtlich so viel Spaß gemacht, ein richtiges Gespräch zu führen, dass sie prompt auch andere Vokabeln aus der Reserve zog: „Mama“, „Papa“ und „Sara“. So heißt ihre große Schwester. Die Stimme war klar wie eine Glocke.
Bedenken Sie: Dem Affen kann man eine Art Sprechen (Zeichensprache) beibringen, doch er tut es nur, wenn wir uns die Mühe machen, ihm es beizubringen.
Menschenkinder hingegen haben stets den Drang zu reden, sobald sie feststellen, dass andere Menschen das Gleiche tun. Auch wenn keiner sich mit ihnen direkt beschäftigt, bringen sie sich selbst im Gegenwart ihrer Artgenossen die Sprache bei.
Kein Wunder auch. Sie nehmen Sprache als ein Stück Freiheit wahr. Auch wenn er nur so groß ist wie ein New Yorker Hydrant, will der Mensch frei sein. Denn Freiheit bedeutet Selbstbestimmung. Und die will jeder Mensch, auch wenn ihm ein Schäferhund so groß vorkommt wie ein Pferd.
An dieser Stelle möchte ich nicht von Niederlagen und dergleichen im Leben eines jeden erzählen.
Heute sage ich nur: Willkommen in der deutschen Sprache, liebe Alina! Hallo!
Gestern hat mich mein Banker angerufen. Notabene: Früher hießen sie auf Deutsch „Bankiers“. Das Wort strahlt Würde, guten Geschmack und Pracht aus. Wenn ich „Banker“ höre, denke ich hingegen an den Klang einer metallenen Tasse, wenn sie auf den Boden fällt: benka-benka-benka-benka.
Anyway, ich bekam gestern einen Anruf vom Kundenbetreuer meiner Bank. Denn so werden sie heute auch genannt. Er wollte mit mir einen Termin vereinbaren, damit wir über die „Gewinnmaximierung“ meines bescheidenen Kontos reden könnten.
Beim Wort „Gewinnmaximierung“ fiel mir spontan ein Gespräch ein, das ich zufällig in der Chefetage eines renommierten Verlagshauses überhört [d.h. "mitgehört" - siehe Kommentare!] habe. Es sprach der mächtige Vorstandsvorsitzende des Hauses mit einem Vorstandsadlatus. Selbstverständlich verrate ich Ihnen weder den Namen des Verlags noch den der Diskutierenden.
Chef: „Gewinnmaximierung. Jawohl, darum geht es.“
Adlatus: „Aber Inhalt kostet Geld.“
Chef: „Wenn er zu teuer wird, dann muss man die Qualität herabsetzen und den Autoren weniger bezahlen. Sie holen sich ihr Content ohnehin aus Wikipedia.“
Adlatus: „Vielleicht deshalb sinken die Auflagen.“
Chef: „Nein, die Auflagen sinken, weil die Printmedien ständig mit dem Internet zu kämpfen haben. Eines Tages werden Printerzeugnisse, so wahr ich hier stehe, ganz verschwinden. Man wird alles digital lesen, wenn man überhaupt noch lesen kann. Die Ökospinner werden sich aber freuen. Sie bekommen ihre Bäume zurück.“
Adlatus: „Die Mitarbeiter stöhnen. Sie fühlen sich verunsichert, sind überarbeitet und beschweren sich, dass die Löhne purzeln während wir uns nur mehr über Shareholdervalue Gedanken machen.“
Chef: „Endlich haben sie die Lage richtig eingeschätzt. Nein, Spaß beiseite. Bei aller Sympathie für deren Verunsicherung, kann ich mich nicht um das Privatleben meiner Mitarbeiter kümmern. Das muss jeder für sich selbst. Schließlich sind wir hier keine Reha-Klinik. Außerdem sitzen wir alle letztendlich im selben Boot. Auch ich lebe ohne Sicherheit. Der Aufsichtsrat kann meinen Vertrag jederzeit kündigen. Auch Sie, lieber Freund, sind kein Paradiesvogel.“
Adlatus: „Aber wir können notfalls mit einer satten Abfindung rechnen.“
Chef: „Natürlich, weil wir die Verantwortung tragen. Das muss eben gewürdigt werden. Aber lasst uns nicht den Teufel an die Wand malen. Reden wir lieber von der Gewinnmaximierung. Ohne sie sind wir, wie die Amerikaner sagen, ‚toast’. Ein witziges Völkchen, die Amis. Aber warte, wer sitzt da in der Ecke und lauscht unserem Gespräch?“
Adlatus: „Ich glaube, es ist der Sprachbloggeur. Er betrachtet sich als Superheld und erscheint überall, wo er eine moralische Krise wittert.“
Chef: „Hmm. Der Sprachbloggeur. Moralische Krise. Vielleicht können wir ihn zum Comichefthelden machen. Sie, Herr Sprachbloggeur, möchten Sie lieber reich oder weise sein?“
Ich: „Ich wäre lieber reich.“
Chef: „Erzählen Sie mir, warum.“
Ich: „Weil ich noch nie einen Reichen gesehen habe, der bei den Weisen die Klinke putzt. Weise hingegen stehen vor den Türen der Reichen in Scharen.“
Chef: „Na also, habe ich nicht recht? Es geht doch um die Gewinnmaximierung.“
Nächste Woche rufe ich meinen Banker zurück. Einstweilen wünscht der Sprachbloggeur allen Gewinnmaximierern ein schönes Wochenende.
„Kommt dir etwas komisch vor, wenn du diesen Satz liest?“
Das habe ich meinen Sohn gefragt, als ich ihm folgenden Text in die Hand drückte:
„Für Angehörige des öffentlichen Dienstes und Empfänger von Versorgungsbezügen ist zuständige Familienkasse in der Regel die mit der Bezügefestsetzung befasste Stelle des jeweiligen öffentlichen-rechtlichen Arbeitgebers bzw. Dienstherrn.“
„Nein“, antwortete er, „er ist völlig in Ordnung. Aber ich weiß, worauf du hinauswillst. Du meinst, es fehlt ein ‚die’ vor ‚zuständige Familienkasse’.“
„Genau.“
„Aber das stimmt nicht. Man kann den Satz so oder so schreiben. Das haben wir in der Schule gelernt. Das nennt man eine Ellipse.“
„Mir kommt es trotzdem falsch vor.“
„Weil du kein Muttersprachler bist. Glaub mir. Es ist ganz akzeptables Deutsch.“
Er hat mich nicht überzeugt. Als meine Frau nach Hause kam, fragte ich sogleich, ob ihr nicht etwas Komisches auffällt, wenn sie den Satz liest. Die Antwort kam unmittelbar. „Ja, das ‚die’ vor ‚zuständige Familienkasse’ fehlt.“
„Du meinst also, dass dieser Satz ohne ‚die’ falsch wäre.“
„Eindeutig.“
Und Sie, liebe Leser, was meinen Sie? Hat mein Sohn recht? Handelt es sich hier um eine akzeptable „Ellipse“? Oder haben wir, d.h., meine Frau und ich, recht? Ich kann die Frage auch anders ausdrücken: Wurde dieser Text, den ich dem Heft „Merkblatt Kindergeld“ des Bundeszentralamts für Steuern entnommen habe, mit Absicht so formuliert, oder handelt es sich vielleicht um einen einfachen Korrekturfehler? Kommt ja in den besten Familien vor. Alles Fragen, die Dr. Bopp oder ib-Klartext genau beantworten könnten (siehe unter „Links“). Sie sind auf diesem Gebiet die wahren Fachleute.
Doch nun ein neuer Gedanke zum fehlenden oder nichtfehlenden „die“: Kann es sein, dass mein Sohn ein ganz anderes Gefühl für seine Sprache hat als seine Eltern? Kann es, zum Beispiel, sein, dass das, was wir, meine Frau und ich, für einen Fehler halten, für sein Ohr fehlerfrei klingt?
Haben wir es hier wohl mit einem Beispiel aus dem Reich des immerwährenden Sprachwandels zu tun? Immerhin: Auch wenn es sich hier tatsächlich um eine unabsichtliche Schlampigkeit seitens eines Korrekturlesers (ein Computerprogramm, nehme ich an) handelt, ist mein Sohn dennoch bereit, diesen Fehler als korrektes Deutsch zu interpretieren.
Welch Überraschung. Ich habe anfangs gemeint, ich würde das Rätsel um das „die“ in ein paar Sätze abfertigen können, um noch andere Beispiele aus der wandelfreudigen deutschen Sprache vorzustellen. Dieses „die“ hat es offensichtlich in sich, und nun denke ich, dass die Zukunft der deutschen Sprache gewissermaßen von ihm abhängt.
Nein, heute keine Witzchen über „Schwein haben“ und dergleichen. Bei einer drohenden Epidemie bzw. Pandemie gibt’s da nichts zu lachen.
In einer Spaßgesellschaft – und so könnte man die momentane Form unserer Gesellschaft nennen – hat man das Fürchten jedoch längst verlernt. Dieter Bohlen, Uri Geller und die Simpsons haben uns voll im Griff.
Wörter, die eine „echte Grippe“ bezeichnen, hat man im Deutschen zwar noch und nöcher. Meine Lieblingsvokabel aus diesem Krankheitswortschatz bleibt aber „Influenza“. Sie stammt aus dem Italienischen, ist mindestens seit dem 15. Jahrhundert im Gebrauch und bedeutete ursprünglich „Ansteckung“ – so jedenfalls „Kluge“ („Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache“).
Wörtlich bedeutet sie freilich „Einfluss“. Ja, eine „Influenza“ übt einen Einfluss aus. Eigentlich ganz logisch.
Auch „Deutschland sucht einen Superstar“ oder „Der nächste Uri Geller“ usw. üben in unserer Gesellschaft einen gewissen Einfluss aus. Durch Mundpropaganda, gezielte Werbekampagnen und hitzige Besprechungen in der Zeitung wird man schnell zum neugierigen und dann eifrigen Zuschauer. Keiner käme jedoch auf die Idee , Erzeugnisse der Popkultur als „Influenza“ oder gar als „Grippe“ zu kennzeichnen .
Nebenbei: Das Wort „Grippe“, ein Import aus dem Französischen im 18. Jahrhundert, meinte einst eine „Laune“ oder eine „Mode“.
Moden können in der Tat so „ansteckend“ sein wie Krankheiten. Nur: Bei Moden entscheidet man freiwillig, ob man mitmacht oder nicht. Krankheiten usurpieren den freien Willen ganz.
Die „Schweinegrippe“ stammt offenbar aus Mexiko und gehört der „H1N1“-Familie an – so jedenfalls die Experten. Das „H“ steht übrigens für „Hämagglutinin“, also „blutverklumpend“; das „N“ für „Neuraminidase“, etwa „nervenangreifend“. Die Pathologen geben Influenzaviren gerne einen Namen, der ein „H“ und ein „N“ hat, weil diese Viren hauptsächlich im Blut und in den Nerven randalieren. Diese „Ha-ens“ werden zusätzlich mit Zahlen, 1,2,3 etc. weiter individualisiert. Außerdem werden sie in Typen, „A“ oder „B“ eingeteilt. Das neue Virus gilt von daher als mutierter H1N1-A-Erreger. Genaueres zum Thema finden Sie mit Sicherheit im WehWehWeh.
Früher hat man Seuchen sehr ernst genommen. Noch in meiner Kindheit hat man sich sehr vor Kinderlähmungsausbrüchen gefürchtet. Wir Kinder sollten deshalb im Monat August einen Bogen um die Mülltonnen machen. Dort, so glaubte man, lauerten die gefährlichen Krankheitserreger. Nicht von ungefähr gelobten die Bewohner von Oberammergau 1634, als ihr Dorf einer todbringenden Seuche glimpflich entkommen war, in aller Ewigkeit alle zehn Jahre, ein Passionsspiel aufzuführen.
Im heutigen Europa ahnen nur die Börsianer die möglichen Wirkungen einer Seuche. Kein Wunder, dass die „Vogelgrippe“ und SARS die Börsenindizes seinerzeit weltweit nach unten drückten.
Bisher ist 2009 ein ausgesprochen aufregendes Jahr, ein Jahr der manigfaltigen virulenten Einflüsse: giftige Hypotheken, Finanzkrise, „Conficker“ und Co., also die virtuellen „Viren“. Und jetzt die „Schweinegrippe“, die möglicherweise gar nichts mit Schweinen zu tun hat. Der Name irritiert sowohl die Schweinezüchter wie auch die Bevölkerungen jener Länder, wo der Verzehr von Schweinefleisch aus religiösen Gründen verpönt ist. Manche möchte das Virus deshalb lieber „Mexikanische“ oder „Nordamerikanische“ Grippe oder gar „das Neue Virus“ nennen.
Wie dem auch sei. H1N1-A bleibt für jede Spaßgesellschaft ein echter Spielverderber.
Wie soll ich anfangen, ohne gleich ins Fettnäpfchen zu treten?
Mit einer Geschichte natürlich! Vor dreißig Jahren saß ich mit Kamal in einem Münchner Café. „Weißt du eigentlich, dass das Alte Testament die Ankunft des Propheten vorraussagt?“ sagte er mir.
„Das glaube ich nicht“, antwortete ich.
„Doch“, und nun zeigte er mir ein Zitat – ich habe leider vergessen, wo das im Alten Testament war – , in dem der hebräische Wortstamm „hamad“ zu lesen ist. Diese Vokabel bedeutet in der biblischen Sprache „begehren“, „Gefallen finden“ und als Partizip „Liebling“.
Sie müssen wissen: Hebräisch und Arabisch sind beinahe so eng verwandt wie das Schwäbische und das Bayrische – ich übertreibe ein bisschen. Sie haben jedenfalls viele Wortstämme gemeinsam, und auch grammatisch haben sie viele Ähnlichkeiten. Nur: Manche Wortstämme haben in diesen beiden Sprachen unterschiedliche Bedeutungen. Das kennt man auch, wenn man deutsche und englische Wörter vergleicht. Das deutsche „Tier“ ist, z.B., mit dem englischen „deer“ verwandt. Im Englischen ist „deer“ aber kein pauschaler Begriff, es bezeichnet eine einzige Tierart, nämlich das Reh.
Das arabische Verb „hamida“, auch wenn es mit dem hebräischen „hamad“ fast identisch ist, hat den Sinn „loben“. „Mohammed“ auf Arabisch bedeutet, genau genommen, „der Gepriesene“.
So weit so gut. Doch oben war von einem „Fettnäpfchen“ die Rede. Eigentlich habe ich nicht vor, in eins zu treten. Dennoch scheint mir, dass man heute kaum mehr in der Lage ist, ein Thema im Bereich des Islam anzusprechen, ohne gleich an eins zu denken.
Das war eindeutig nicht der Fall, als Kamal und ich vor dreißig Jahren über das Vorkommen des Namens „Mohammed“ im Alten Testament diskutierten. Wir hatten beide unsere Meinung, und, wie man auf Englisch sagt: „We agreed to disagree.“
Ich bin überzeugt, dass Kamal und ich dieses Thema auch heute unter gleichen Voraussetzungen problemlos aufgreifen könnten. Schließlich ist Religion ja Glaubenssache.
Und nun komme ich zu meiner Frage: „Mohammed“ oder „der Prophet“? Ich stelle diese Frage, weil ich in den letzten Jahren Merkwürdiges konstatiere: Manche Journalisten – vor allem in der angelsächsischen Presse doch gelegentlich auch in der deutschsprachigen – scheinen Probleme mit dem Unterschied zu haben. Muslime schreiben auch in einem säkularen Text gerne „der Prophet“, wenn sie ihren Religionsstifter thematisieren. Das ist verständlich, so wie wenn ein gläubiger Christ in einem sonst säkularen Text vom „Heiland“ erzählt.
Wenn aber Nichtmuslime in ihrem Texten „der Prophet“ anstatt „Mohammed“, bzw., „der islamische Prophet Mohammed“ schreiben, wittere ich seitens des Autors eine tiefe Verunsicherung – als hätte er Angst, muslimische Leser zu kränken oder sich sonst in Gefahr zu begeben.
Trotzdem bin ich überzeugt, dass man als Nichtmuslim keinen Fehler begeht, wenn man , Mohammed in einem Text als „Mohammed“ und nicht als „der Prophet“ figurieren lässt. Dass ich diese Sache zu einem Thema gemacht habe, zeigt, wie sehr sich eine unterschwellige Nervosität ausgebreitet hat. Heutzutage fühlen sich manche Muslime misverstanden; manche Nichtmuslime sehen Dschihadisten hingegen hinter jedem Baum.
Normalität ist mir lieber.
Nein, Kamal, du hast mich immer noch nicht überzeugt, dass der Name Mohammed im Alten Testament zu finden ist. Wie geht’s der Familie?
Wie soll ich anfangen, ohne gleich ins Fettnäpfchen zu treten?
Mit einer Geschichte natürlich! Vor dreißig Jahren saß ich mit Kamal in einem Münchner Café. „Weißt du eigentlich, dass das Alte Testament die Ankunft des Propheten vorraussagt?“ sagte er mir.
„Das glaube ich nicht“, antwortete ich.
„Doch“, und nun zeigte er mir ein Zitat – ich habe leider vergessen, wo das im Alten Testament war – , in dem der hebräische Wortstamm „hamad“ zu lesen ist. Diese Vokabel bedeutet in der biblischen Sprache „begehren“, „Gefallen finden“ und als Partizip „Liebling“.
Sie müssen wissen: Hebräisch und Arabisch sind beinahe so eng verwandt wie das Schwäbische und das Bayrische – ich übertreibe ein bisschen. Sie haben jedenfalls viele Wortstämme gemeinsam, und auch grammatisch haben sie viele Ähnlichkeiten. Nur: Manche Wortstämme haben in diesen beiden Sprachen unterschiedliche Bedeutungen. Das kennt man auch, wenn man deutsche und englische Wörter vergleicht. Das deutsche „Tier“ ist, z.B., mit dem englischen „deer“ verwandt. Im Englischen ist „deer“ aber kein pauschaler Begriff, es bezeichnet eine einzige Tierart, nämlich das Reh.
Das arabische Verb „hamida“, auch wenn es mit dem hebräischen „hamad“ fast identisch ist, hat den Sinn „loben“. „Mohammed“ auf Arabisch bedeutet, genau genommen, „der Gepriesene“.
So weit so gut. Doch oben war von einem „Fettnäpfchen“ die Rede. Eigentlich habe ich nicht vor, in eins zu treten. Dennoch scheint mir, dass man heute kaum mehr in der Lage ist, ein Thema im Bereich des Islam anzusprechen, ohne gleich an eins zu denken.
Das war eindeutig nicht der Fall, als Kamal und ich vor dreißig Jahren über das Vorkommen des Namens „Mohammed“ im Alten Testament diskutierten. Wir hatten beide unsere Meinung, und, wie man auf Englisch sagt: „We agreed to disagree.“
Ich bin überzeugt, dass Kamal und ich dieses Thema auch heute unter gleichen Voraussetzungen problemlos aufgreifen könnten. Schließlich ist Religion ja Glaubenssache.
Und nun komme ich zu meiner Frage: „Mohammed“ oder „der Prophet“? Ich stelle diese Frage, weil ich in den letzten Jahren Merkwürdiges konstatiere: Manche Journalisten – vor allem in der angelsächsischen Presse doch gelegentlich auch in der deutschsprachigen – scheinen Probleme mit dem Unterschied zu haben. Muslime schreiben auch in einem säkularen Text gerne „der Prophet“, wenn sie ihren Religionsstifter thematisieren. Das ist verständlich, so wie wenn ein gläubiger Christ in einem sonst säkularen Text vom „Heiland“ erzählt.
Wenn aber Nichtmuslime in ihrem Texten „der Prophet“ anstatt „Mohammed“, bzw., „der islamische Prophet Mohammed“ schreiben, wittere ich seitens des Autors eine tiefe Verunsicherung – als hätte er Angst, muslimische Leser zu kränken oder sich sonst in Gefahr zu begeben.
Trotzdem bin ich überzeugt, dass man als Nichtmuslim keinen Fehler begeht, wenn man , Mohammed in einem Text als „Mohammed“ und nicht als „der Prophet“ figurieren lässt. Dass ich diese Sache zu einem Thema gemacht habe, zeigt, wie sehr sich eine unterschwellige Nervosität ausgebreitet hat. Heutzutage fühlen sich manche Muslime misverstanden; manche Nichtmuslime sehen Dschihadisten hingegen hinter jedem Baum.
Normalität ist mir lieber.
Nein, Kamal, du hast mich immer noch nicht überzeugt, dass der Name Mohammed im Alten Testament zu finden ist. Wie geht’s der Familie?
Wie soll ich anfangen, ohne gleich ins Fettnäpfchen zu treten?
Mit einer Geschichte natürlich! Vor dreißig Jahren saß ich mit Kamal in einem Münchner Café. „Weißt du eigentlich, dass das Alte Testament die Ankunft des Propheten vorraussagt?“ sagte er mir.
„Das glaube ich nicht“, antwortete ich.
„Doch“, und nun zeigte er mir ein Zitat – ich habe leider vergessen, wo das im Alten Testament war – , in dem der hebräische Wortstamm „hamad“ zu lesen ist. Diese Vokabel bedeutet in der biblischen Sprache „begehren“, „Gefallen finden“ und als Partizip „Liebling“.
Sie müssen wissen: Hebräisch und Arabisch sind beinahe so eng verwandt wie das Schwäbische und das Bayrische – ich übertreibe ein bisschen. Sie haben jedenfalls viele Wortstämme gemeinsam, und auch grammatisch haben sie viele Ähnlichkeiten. Nur: Manche Wortstämme haben in diesen beiden Sprachen unterschiedliche Bedeutungen. Das kennt man auch, wenn man deutsche und englische Wörter vergleicht. Das deutsche „Tier“ ist, z.B., mit dem englischen „deer“ verwandt. Im Englischen ist „deer“ aber kein pauschaler Begriff, es bezeichnet eine einzige Tierart, nämlich das Reh.
Das arabische Verb „hamida“, auch wenn es mit dem hebräischen „hamad“ fast identisch ist, hat den Sinn „loben“. „Mohammed“ auf Arabisch bedeutet, genau genommen, „der Gepriesene“.
So weit so gut. Doch oben war von einem „Fettnäpfchen“ die Rede. Eigentlich habe ich nicht vor, in eins zu treten. Dennoch scheint mir, dass man heute kaum mehr in der Lage ist, ein Thema im Bereich des Islam anzusprechen, ohne gleich an eins zu denken.
Das war eindeutig nicht der Fall, als Kamal und ich vor dreißig Jahren über das Vorkommen des Namens „Mohammed“ im Alten Testament diskutierten. Wir hatten beide unsere Meinung, und, wie man auf Englisch sagt: „We agreed to disagree.“
Ich bin überzeugt, dass Kamal und ich dieses Thema auch heute unter gleichen Voraussetzungen problemlos aufgreifen könnten. Schließlich ist Religion ja Glaubenssache.
Und nun komme ich zu meiner Frage: „Mohammed“ oder „der Prophet“? Ich stelle diese Frage, weil ich in den letzten Jahren Merkwürdiges konstatiere: Manche Journalisten – vor allem in der angelsächsischen Presse doch gelegentlich auch in der deutschsprachigen – scheinen Probleme mit dem Unterschied zu haben. Muslime schreiben auch in einem säkularen Text gerne „der Prophet“, wenn sie ihren Religionsstifter thematisieren. Das ist verständlich, so wie wenn ein gläubiger Christ in einem sonst säkularen Text vom „Heiland“ erzählt.
Wenn aber Nichtmuslime in ihrem Texten „der Prophet“ anstatt „Mohammed“, bzw., „der islamische Prophet Mohammed“ schreiben, wittere ich seitens des Autors eine tiefe Verunsicherung – als hätte er Angst, muslimische Leser zu kränken oder sich sonst in Gefahr zu begeben.
Trotzdem bin ich überzeugt, dass man als Nichtmuslim keinen Fehler begeht, wenn man , Mohammed in einem Text als „Mohammed“ und nicht als „der Prophet“ figurieren lässt. Dass ich diese Sache zu einem Thema gemacht habe, zeigt, wie sehr sich eine unterschwellige Nervosität ausgebreitet hat. Heutzutage fühlen sich manche Muslime misverstanden; manche Nichtmuslime sehen Dschihadisten hingegen hinter jedem Baum.
Normalität ist mir lieber.
Nein, Kamal, du hast mich immer noch nicht überzeugt, dass der Name Mohammed im Alten Testament zu finden ist. Wie geht’s der Familie?
Wie soll ich anfangen, ohne gleich ins Fettnäpfchen zu treten?
Mit einer Geschichte natürlich! Vor dreißig Jahren saß ich mit Kamal in einem Münchner Café. „Weißt du eigentlich, dass das Alte Testament die Ankunft des Propheten vorraussagt?“ sagte er mir.
„Das glaube ich nicht“, antwortete ich.
„Doch“, und nun zeigte er mir ein Zitat – ich habe leider vergessen, wo das im Alten Testament war – , in dem der hebräische Wortstamm „hamad“ zu lesen ist. Diese Vokabel bedeutet in der biblischen Sprache „begehren“, „Gefallen finden“ und als Partizip „Liebling“.
Sie müssen wissen: Hebräisch und Arabisch sind beinahe so eng verwandt wie das Schwäbische und das Bayrische – ich übertreibe ein bisschen. Sie haben jedenfalls viele Wortstämme gemeinsam, und auch grammatisch haben sie viele Ähnlichkeiten. Nur: Manche Wortstämme haben in diesen beiden Sprachen unterschiedliche Bedeutungen. Das kennt man auch, wenn man deutsche und englische Wörter vergleicht. Das deutsche „Tier“ ist, z.B., mit dem englischen „deer“ verwandt. Im Englischen ist „deer“ aber kein pauschaler Begriff, es bezeichnet eine einzige Tierart, nämlich das Reh.
Das arabische Verb „hamida“, auch wenn es mit dem hebräischen „hamad“ fast identisch ist, hat den Sinn „loben“. „Mohammed“ auf Arabisch bedeutet, genau genommen, „der Gepriesene“.
So weit so gut. Doch oben war von einem „Fettnäpfchen“ die Rede. Eigentlich habe ich nicht vor, in eins zu treten. Dennoch scheint mir, dass man heute kaum mehr in der Lage ist, ein Thema im Bereich des Islam anzusprechen, ohne gleich an eins zu denken.
Das war eindeutig nicht der Fall, als Kamal und ich vor dreißig Jahren über das Vorkommen des Namens „Mohammed“ im Alten Testament diskutierten. Wir hatten beide unsere Meinung, und, wie man auf Englisch sagt: „We agreed to disagree.“
Ich bin überzeugt, dass Kamal und ich dieses Thema auch heute unter gleichen Voraussetzungen problemlos aufgreifen könnten. Schließlich ist Religion ja Glaubenssache.
Und nun komme ich zu meiner Frage: „Mohammed“ oder „der Prophet“? Ich stelle diese Frage, weil ich in den letzten Jahren Merkwürdiges konstatiere: Manche Journalisten – vor allem in der angelsächsischen Presse doch gelegentlich auch in der deutschsprachigen – scheinen Probleme mit dem Unterschied zu haben. Muslime schreiben auch in einem säkularen Text gerne „der Prophet“, wenn sie ihren Religionsstifter thematisieren. Das ist verständlich, so wie wenn ein gläubiger Christ in einem sonst säkularen Text vom „Heiland“ erzählt.
Wenn aber Nichtmuslime in ihrem Texten „der Prophet“ anstatt „Mohammed“, bzw., „der islamische Prophet Mohammed“ schreiben, wittere ich seitens des Autors eine tiefe Verunsicherung – als hätte er Angst, muslimische Leser zu kränken oder sich sonst in Gefahr zu begeben.
Trotzdem bin ich überzeugt, dass man als Nichtmuslim keinen Fehler begeht, wenn man , Mohammed in einem Text als „Mohammed“ und nicht als „der Prophet“ figurieren lässt. Dass ich diese Sache zu einem Thema gemacht habe, zeigt, wie sehr sich eine unterschwellige Nervosität ausgebreitet hat. Heutzutage fühlen sich manche Muslime misverstanden; manche Nichtmuslime sehen Dschihadisten hingegen hinter jedem Baum.
Normalität ist mir lieber.
Nein, Kamal, du hast mich immer noch nicht überzeugt, dass der Name Mohammed im Alten Testament zu finden ist. Wie geht’s der Familie?
Für den Fall, dass Sie noch nichts über Ma Cheng erfahren haben, hier die Geschichte, die ich am Dienstag in der International Herald Tribune gelesen habe.
Ma Cheng ist 26 Jahre alt und lebt in Peking. Vor einem Jahr erfuhr sie vom Amt für die Öffentliche Sicherheit (etwa Kreisverwaltungsreferat), dass ihr Vorname, Cheng, nicht länger zulässig ist. Der Grund: Er sei zu obskur. Es handelt sich in der Tat um einen exotischen Namen. Fürs chinesische Ohr klingt „Cheng“, so nehme ich jedenfalls an, wie „Ludger“ oder „Norwin“ oder „Sverre“ – einfach ungewöhnlich.
Ihr Nachname „Ma“ hingegen gilt in China als Alltagsname. Laut der IHT tragen etwa 17 Millionen Chinesen diesen Familiennamen, der übrigens „Pferd“ bedeutet. Längst hat er Rang 13 der beliebtesten Nachnamen des Landes erobert. Wohl klingt Ma Cheng für einen Chinesen wie Femke Huber, was allerdings in Deutschland kein Problem fürs KVR wäre. Bei uns werden Wörter, bzw., Namen buchstabiert. Jeder kann einen Namen wie „Crisula“ oder „Femke“ lesen, auch, wenn er ihm noch nie begegnet war.
Im Chinesischen ist die Sache freilich ganz anders. Jedes Wort dieser Sprache wird durch Bildzeichen dargestellt. Wenn ein Wort, bzw., ein Name, obskur ist, kann man davon ausgehen, dass die meisten Menschen das entsprechende Bildzeichen – in diesem Fall „Cheng“ – nicht wiedererkennen werden.
Die Gesamtzahl chinesischer Bildzeichen liegt bei ca. 55.000. Das Amt für die Öffentliche Sicherheit hat auf seinen Rechnern aber lediglich 32.252 gespeichert. „Cheng“, das Wort bedeutet übrigens „galoppierende Hengste“ steht nicht darunter. Das Amt wolle keine Sonderanfertigungen mehr zulassen, heißt es. Cheng ade.
Wobei Chengs Großvater den Namen für seine Enkelin extra ausgesucht hat, damit sie nicht zu den Null-acht-fünfzehnen der „Ma“-Menschen zählen müsste. Er wollte ihr eine gewisse Individualität gewährleisten, was in China ohnehin kein Vorteil ist. Der Nagel, der hervorsticht, wird niedergeklopft, heißt es im Land der Mitte.
Nebenbei: „Null-acht-fünfzehn“ ist der Name eines Maschinengewehrs, das im Jahr 1908 (Null-acht) produziert wurde und während des Ersten Weltkriegs, genauer gesagt 1915 (fünfzehn) mit ein paar Veränderungen an die Truppen ausgegeben wurde. Wer das 0815 bekam, war im Besitz der allgemein gültigen Waffe.
Doch zurück zu Ma Cheng. Ihre Geschichte hat mich nachdenklich gemacht. Umso mehr als ich im Artikel erfuhr, dass die chinesische Regierung seit 2003 bemüht ist, die bereits existierende Zahl der Schriftzeichen um einiges zu reduzieren. Notabene: Im tagtäglichen Leben sind ca. 3.500 im Gebrauch.
Obskure Zeichen werden also als erste ausgemustert. Kann es sein, so habe ich gedacht, dass mit dem Ausscheiden „obskurer“ Bildzeichen vielleicht auch „obskure“ Ideen ausgemustert werden? Immerhin: Fehlt das Zeichen, so geht auch der Begriff, der vom Zeichen dargestellt wird, zeitgleich verloren. George Orwells „Neusprech“, die Sprache des Totalitarismus, wird auf gerade diesem Prinzip gebaut. Ziel des Neusprechs ist es, unliebsame Ideen aus dem Wörterbuch und den Printmedien zu verbannen, bis man ganz vergessen hat, dass sie jemals existiert hatten.
Doch auch wenn es das Neusprech in Europa gäbe, könnte jeder dennoch jederzeit die verschollenen Wörter zumindest lesen, falls er auf sie stoßen würde. Denn unsere Wörter werden phonetisch, also alphabetisch, geschrieben.
Im Chinesischen ist die Sache schwieriger. Ist das Schriftzeichen nicht zu entziffern, weißt man nicht, wie das Wort klingt Fazit: Die chinesische Bilderschrift wäre geradezu ideal für die Realisierung des Neusprechs. Trotzdem bezweifele ich, dass es jemals dazu kommen wird, kann. Auch nicht in China. Keine Sprache ist ganz steuerbar. Denn eine Sprache ist stets das Produkt des kollektiven Willens. Nicht einmal das Amt für die Öffentliche Sicherheit kann diesen brüllenden Tiger namens Sprache ganz bändigen. Es lebe Ma Cheng. Gambej!
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