Letzte Woche war ich im Paradies. So heißt das Obstgeschäft um die Ecke, und glauben Sie mir, der Name ist gut gewählt. Doch ich will hier nicht nur Schleichwerbung machen. Ich will von einem Gespräch berichten, das ich im Paradies mitgehört habe.
Während eine Kundin mit den Augen genau folgte, legte die Geschäftsführerin, nennen wir sie Frau M., zwei Papayahälften auf die Waage.
Frau M.: „Welchen möchten Sie?“
Kundin: „Den.“
Frau M.: „Das da?“
Kundin: „Ja.“
Frau M. nahm das bevorzugte Stück, lieferte einen kurzen, heiteren Kommentar zur Qualität der Ware und tütelte den guten Teil ein. Ende der Geschichte.
Ist Ihnen hier etwas Außergewöhnliches aufgefallen? Ich vermute: nein. Ich gehe vielmehr davon aus, dass sich obiges Gespräch täglich tausendfach in diversen Obstmärkten wiederholt – ohne die geringste Irritation zu verursachen.
Nur ich musste rätseln.
Nachdem die Kundin das Paradies verlassen hatte, fragte ich Frau M., „Sagen Sie, woran haben Sie eben gedacht, als Sie die Kundin ‚Welchen möchten Sie?’ gefragt haben?"
Frau M. kennt mich lange genug, um zu wissen, dass ich meine Fragen nicht von ungefähr stelle. Dennoch wusste sie immer noch nicht, worauf ich hinaus wollte. „Wie meinen Sie das?“
„Ich meine: Sie haben eben ‚Welchen möchten Sie?’ gesagt, und ich habe nach einem grammatischen Bezug gesucht. Ich fragte mich: Warum hat sie ‚welchen’ und nicht ‚welche’ gesagt? Ich habe nämlich an ‚die Hälfte’ gedacht. Sie offensichtlich nicht.“
„So genau habe ich das Ganze nicht in Erinnerung.“
„Irgendeinen Bezug hatten Sie in Gedanken sicher. Denn die Kundin hat mit ‚Den da’ gleich geantwortet. Sie reagierte also auf Ihr ‚“Welchen?’, als wüsste sie, um was für ein ‚den’ es sich handelte. Doch dann setzten Sie mit ‚Das da?’, also mit einem Neutrum, fort., was niemanden zu stören schien.“
„Man redet halt im Eifer des Gefechts“, lachte Frau M. „Hauptsache man hat sich verständigt. Aber ich habe wahrscheinlich an einen ‚Teil’ gedacht.“
„Aha! Das würde das ‚Wen’ erklären. Sie haben an ‚Teil’ gedacht, ich wiederum an ‚Hälfte’. Ein anderer hätte die zwei Teile bzw. Hälften vielleicht als ‚Stücke’ aufgefasst. Dann hätte er gefragt, ‚Welches möchten Sie?’“
„Sie machen mich ganz verrückt mit Ihrer Fragerei. Soviel denke ich nicht, wenn ich spreche. Ich rede einfach darauf los.“
Tja. Ein deutsches Phänomen, liebe Muttersprachler. Obiges Gespräch könnte ich schwerlich ins Englische übersetzen, ohne es reichlich mit Fußnoten zu versehen. Fazit: Wer Deutsch spricht, muss nicht nur auf das Gesprochene achten. Er muss in der Lage sein, zugleich die Gedanken seines Gesprächspartners zu lesen. Sonst würde er nie verstehen, was mit „den da“ gemeint ist. Das habe ich erst jetzt im Paradies kapiert.
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