Die Leber hat es gut – zumindest sprachlich. Wenn sich einer ärgert, fragen seine Mitmenschen, ob ihm eine Laus über die Leber gelaufen ist. Man stellt sich vor, wie so ein kleines Viech über die braunroten Lappen krabbelt und den Betroffenen dabei so quält, dass der Gepeinigte besonders ungehalten wirkt. Man möchte glauben, dass es Leberläuse wirklich gibt.
Die Galle hat es weniger gut. Nur laue Redewendungen herrschen im Bezug auf dieses Organ vor. Etwa: „Ihm kommt die Galle hoch“, oder „die Galle läuft ihm über.“ Man sagt „Galle“ und meint „Zorn“, „Ärger“.
Nur über Gallensteine versteht die deutsche Sprache ein bisschen Spaß. „Seine Gallensteine klappern“, sagt man über einen besonders Grießgrämigen. Haha.
Immerhin hat Julius Cäsar über die Galle gesagt, sie habe drei Teile. Nein, nur ein schlechter Witz. Das war nicht die Galle, das war Gallien, die Heimat der Gallier. Jeder Schriftsteller macht gerne schlechte Witze. Es ist eine Art Mutprobe.
Im Deutschen wird „Galle“ als eine negative Eigenschaft ausgelegt. Das englische „gall“ (sprich „gol“) – mit „Galle“ etymologisch eng verwandt – wird indes auch positiv bewertet. „What gall!“, sagt man, wenn einer sich etwas besonders Dreistes leistet. Der Hauch Bewunderung ist nicht zu überhören.
Das Englische verfügt über zwei Wörter für „Galle“. Neben dem germanischen „gall“, steht das französische „bile“ (sprich „beil“) zur Wahl. Letzteres verwendet man, um auf den bitteren Geschmack des Gallensafts hinzuweisen. Oder man benutzt es im übertragenen Sinn. Beschreibt man eine Person, als „bilious“, dann will man damit sagen, dass sie „verbittert“, „verärgert“ ist, dass ihr quasi eine Laus über die Leber gelaufen ist. Kein bisschen Bewunderung ist hier herauszuhören. „Voll Galle“ ist der „bilious“ Mensch.
Ich komme auf dieses bittere Thema nicht von ungefähr zu sprechen. Fakt ist: Meine Gallenblase wird seit langem von vielen Läusen heimgesucht. Genauer gesagt, sie ist, so behaupten die Ärzte, mit „Gries“ oder „Sand“ gefüllt – das sind Ministeine. „Sludge“, englisch für dickflüssigen Schlamm, heißt es bei den Medizinern.
Ich erzähle Ihnen davon, weil ich, wie viele Schriftsteller, ein Selbstdarsteller bin. Wir treten in die Öffentlichkeit, um unsere schmutzige Wäsche, Ideen und sonstige vergrieste Vorstellungen berufsmäßig zur Schau zu stellen.
Doch bevor ich zu sehr zu einem hartgesottenen Gallenpatron werde, gehe ich lieber in „Gallensteins Lager“, um mich von meinem verärgerten Organ zu trennen. Ich habe lange mit der Entscheidung gekämpft. Erwarten Sie am Freitag also keine Glosse vom genesenden Schriftsteller.
Ich bin sehr erfahren im Reich der Tapferkeit. Das heißt: Ich schiebe die Sachen vor mir her, so lange das geht. Das habe ich auch mit meinem letzten Weisheitszahn getan. Auch er ist nun weg.
Nun stehe ich völlig ohne Weisheit da. Vielleicht wird mich auch die Zankfertigkeit bald verlassen. Dann werde ich zu jenem Menschenschlag zählen, von dem man sagt, „Er hat keine Galle im Leib“.
Schon wieder die Jugendsprache, nachdem ich sie vor wenigen Tagen thematisiert habe.
Warum heute wieder?
Weil mich ein lieber Freund auf einen Text in der „Welt-Online“ (7. April) aufmerksam gemacht hat. Der Titel: „Wie sich der Duden bei der Jugend einschleimt“.
In diesem schön geschriebenen Artikel behauptet Autor Hendrik Werner, dass der Langenscheidt-Verlag und der Duden-Verlag um die Gunst der Jugend buhlen. Letztes Jahr habe Langenscheidt sogar einen Wettbewerb, „Jugendwort des Jahres“ gesponsert. 25.000 Jugendliche haben dem Verlag ihre Lieblingswörter aus der Jugendsprache eingeschickt in der Hoffnung, das eigene Wort könnte zum schönsten gekürt werden. Viele lustige Begriffe waren offenbar dabei: „Gammelfleischparty“ (Eine Party für Menschen ab dreißig), „Stockente“ (einer, der ganz verbissen „Nordic Walking“ praktiziert). Im Artikel erfuhr man leider nicht, welche pfiffige Vokabel gesiegt hat. Ich war zu faul, um nachzuschlagen.
Auch der Duden-Verlag, so Herr Werner, wolle die Jugend mit einem „Wörterbuch der Szenensprachen“ umgarnen. Auch er gebe Jugendlichen Gelegenheit, ihre allerliebsten Redewendungen einzuschicken. Inzwischen sei einiges zusammengekommen. Zum Beispiel: „Fratzengeballer“, d.h., ein gewaltverherrlichendes Computerspiel, „Dreckberry“ für „Blackberry“, „Mopfer“, also Mobbingopfer.
Nebenbei: Pons hat vor einigen Jahren ein „Wörterbuch der Jugendsprache“ veröffentlicht. Auf dem Cover heißt es unverblümt: „Unzensiert! Von Jugendlichen für Jugendliche“. In diesem Bändchen findet man „Hülsenfrucht“ (Bierdose), „Terrorkrümel“ (Nervensäge), „Murmelschuppen“ (Kirche) und und und.
Wie schon gesagt, meint Herr Werner, die Verlage wollten sich bei den Jugendlichen einschleimen. Vielleicht hat er recht. Oder vielleicht sind es die fleißigen Marketingleute, wie immer an allen Fronten tätig, die nach neuen Märkten suchen. Ich weiß es nicht und möchte nicht darüber spekulieren. Ich frage mich vielmehr, ob es überhaupt möglich ist, aus der Jugendsprache ein ganzes Lexikon, bestehend aus tausenden bunten Redewendungen und Neologismen, zu machen. Ich behaupte: nein.
Auch ich war mal Jugendlicher, wenn dies auch viele Jahre zurückliegt, und ich beherrschte den damaligen Jugendslang mit Bravour. Wenn ich darüber nachdenke, fällt mir aber auf, dass unsere Geheimsprache ganz spärlich eingerichtet war. Sie bestand aus schätzungsweise einhundert Wörtern, die wir ständig einsetzten. Diese kreisten hauptsächlich um das Wichtigste: Sex, Alkohol, Drogen, Essen, Mobilität (d.h., „kommen“, „gehen“), Lob und Tadel. Ich wage zu sagen, dass die Situation der heutigen Jugend kaum anders sein dürfte. „Assi“, „checken“, „schlonzen“, „chillen“ und sicherlich noch siebzig oder achtzig Begriffe werden unentwegt gebraucht – allerdings mit regionalen Unterschieden. Es handelt sich, so meine ich, um einen reduzierten Wortschatz, viel zu wenig Begriffe, um daraus ein Wörterbuch zu machen.
Ich fragte meinen Sohn, ob er bunte Ausdrücke wie „Hülsenfrüchte“, „Stockente“, „Arschfax“ usw. verwendet. In seinem Kreis seien sie nicht geläufig, gab er zu. „Wir reden aber eine bayerische Jugendsprache.“ Seine Beispiele aus dem Bayerischen überzeugten mich aber auch nicht. Es war die handelsübliche bayerische Umgangssprache: „Ische“ (Frau), „schiach“ (schlecht), „gema“ usw. Ich hätte diese Wörter selbst benutzen dürfen.
Meine Theorie: Die schönsten Wörter der Jugendsprache sind kaum mehr als ironisierende Eintagsfliegen, die nur lokal verwendet werden – wenn überhaupt. Manche werden vielleicht von Sprachgenies erfunden, um Duden, Langenscheidt und Co. übers Ohr zu hauen. Wörterbücher mit solchen putzigen Blüten zu füllen, macht vielleicht Spaß, hilft einem Touristen im Jugendmilieu wenig, wenn er auf seine Kosten kommen will.
„Checkst du, Mann?“
„Dick, du Penner, was göbelst du daher?“
An der Zeit, mich wieder heftig zu blamieren.
„Hast du ein paar neue Wörter für mich?“ frage ich meinen Sohn.
Er schaut mich mit der üblichen Ungeduld an, hält kurz inne und antwortet. O Freude! Mit einer Antwort habe ich gar nicht gerechnet. „Ja, was man in letzter Zeit oft sagt, ist ‚abatzen’.“
„Und was bedeutet ‚abatzen’?“ Es folgt ein fassungsloser Blick. „Das ist eben das Problem. Ich kann es dir nicht erklären. Man kann diese Wörter ja gar nicht erklären.“
„Warum nicht? Wenn du ein Wort verwendest, dann musst du wissen, was es bedeutet.“
„Abatzen…es ist mit ‚Atze’ verwandt. Du bist der große Atzenexpert.“
Er bezieht sich auf meine Glosse über die Atzen, die mittlerweile über 45.000 mal angeklickt wurde – was mich übrigens sehr überrascht hat. „Kannst du mir wenigstens einen Beispielsatz sagen?“
„Ja, man sagt es, wenn man nichts tut.“
„Es bedeutet also ‚herumlungern’?“
„Irgendwie sowas.“ „Kann man, zum Beispiel, sagen ‚die atzen den ganzen Tag ab’?“
„Meinetwegen. Es klingt aber sehr komisch, wenn du es benutzt. Man ist halt voll am Abatzen. Mehr kann ich nicht dazu sagen.“
„Hast du noch andere neue Wörter?“
„Nein.“
Ende des Gesprächs, aber nur halb so schlimm, und ehrlich gesagt, bin ich nicht überzeugt, dass ich das Wort auch nur annähernd verstanden habe. Eine anschließende Google-Suche ergibt bescheidene 380 Treffer, wovon die meisten wohl so gut wie nichts mit „voll am Abatzen“ zu tun haben. Sie beziehen sich vielmehr auf ein falsch buchstabiertes „abätzen“. Nur bei einer (mir) obskuren Seite, ILST XIII, entdeckte ich den Fetzen eines „Chats“ vom Dezember 2007 – uralt also. Olaf F. schreibt: „lieber Islt13 Ihr müsst mehr feiern gehen!! Was soll der scheiss? wer hat diese ****** Homepage programmiert? Kein Logo, kein Motto,Risotto,spielt lieber Lotto!!! wer lernt, kann durchfallen. wer nicht lernt ist schon durchgefallen!“ Dido antwortet: „ich stehe auch auf abatzen! wollen wir uns vielleicht mal treffen? und dann zusammen abatzen!? würd mich freuen! wollte schon immer mal mit so einem wie dir abatzen! deine dido“
Vielversprechend klingt das Angebot, ist wahrscheinlich absolut harmlos.
Wie dem auch sei. Bin ich heute auf ein nagelneues Wort aus der Jugendsprachefabrik gestoßen? Wenn ja, dann habe ich dessen Sinn noch kaum verstanden. Aber vielleicht hat mein Sohn doch recht. Manche Wörter sagt man, ohne sie erklären zu können, zu müssen. Dabei sein ist wohl alles. An dieser Stelle atze ich selbst ab.
Zuerst eine gute Nachricht: Der Name dieses üblen Computerwurms, „Conficker“, von dem man sagte, er würde sich am 1. April weltweit abermillione Computer bemächtigen, könnte aus dem Deutschen oder zumindest dem Germlischen stammen. Noch ist die deutsche Sprache also nicht verloren.
„Conficker“ ist eine Hybride, eine Mischung aus dem englischen „configure“ (wie in „konfigurieren“) und „ficken“. Millionen von Rechnern sollten also „konfickuriert“ werden. Da der Geschlechtsakt hier im negativen Sinn verwendet wird, was im Englischen üblicher ist als im Deutschen, frage ich mich, ob der Wortschmied Deutscher oder Amerikaner war. Egal.
Noch eine gute Nachricht: Am zweiten Tag nach dem mit Bange erwarteten Hackerangriff am ersten April geht die Cyberluft allmählich aus dem „Conficker“. Die Chose scheint etwas zu sehr von den Medien aufgeblasen gewesen zu sein. Aber he! Das Anzeigengeschäft läuft miserabel, und schließlich haben wir Weltwirtschaftskrise. Im Nachhinein scheint der „Conficker“ nur ein handelsüblicher Cyberwurm zu sein. Das heißt: destruktiv aber keinen Deut wichtiger als viele Mitwürmer, die es in der bewegten Geschichte des WehWehWeh gegeben hat.
Immerhin haben wir wieder ein neues Wort gelernt. Staunen Sie nicht - wie ich - über die Fülle der Begriffe, die uns die Informationsrevolution beschert hat? Wer hätte vor drei Jahren denken können, dass er im Jahr 2009 Wörter wie „Bot“, „Trojaner“, „Malware“, „Zombies“ oder „Troller“ in den Mund nehmen würde? Vor fünfzehn Jahren waren viele Menschen noch nicht in der Lage zwischen einem „Byte“ und einem „Bit“ zu unterscheiden. Dann kamen die „Kilobytes“, „Megabytes“, „Gigabytes“, „Terabytes“ etc. Gewitzte Hacker und Informatiker sind ständig mit der Erschaffung neuer Begriffe beschäftigt. Diese flutschen mühelos in die Sprache, denn man braucht sie, um die neue Welt zu beschreiben.
Aber nun die schlechte Nachricht: Auch wenn sich herausstellen sollte, dass der „Conficker“ lediglich ein ganz langweiliger Wurm war, ist die Gefahr eines Cyberüberfalls doch nicht gebannt. Die nächste Attacke kommt bestimmt. Denn die Würmer und Trojaner werden kaum mehr aus Jux und Tollerei ins Netz geschleudert. Es gibt tatsächlich Menschen, die gerne Ihre Kontonummer, Passwörter usw. erfahren möchten, um Sie zu beklauen.
Es muss aber nicht nur die Kontonummer sein, wonach der Cyberdieb lechzt. Am Montag habe ich in der International Herald Tribune gelesen, dass spionierende Computer aus China letztes Jahr Millionenen von Rechnern in 103 Ländern geknackt haben, um Auskunft über den Erzfeind den Dalai Lama zu sammeln. Manche vermuten, die chinesische Regierung könnte dahinterstecken. Bewiesen wurde bisher nichts. Die Aktion sei aber derart umfangreich gewesen, so John Markoff, Autor des Artikels, dass man sie nicht als „phishing“ bezeichnete, sondern „whaling“. Die chinesischen Rechner jagten also nach Moby Dick. Die raffinierte „Malware“ der chinesischen Hacker seien aber in der Lage, auch Webcams und Mikrofone fernzusteuern, um Stimmen und Bilder aufzunehmen. Hier geht es freilich um ein Musterbeispiel, wie das Internet von Paranoikern missbraucht werden kann, was uns einen Vorgeschmack liefert, wie der Computer eines Tages zum „Großen Bruder“ werden könnte. Dagegen sind die Bemühungen der Cyberkriminellen nur ein böser Bubenstreich.
Immerhin: Die deutsche Sprache lebt noch, und den „Conficker“-Wurm wird man neben den „Millenium-Bug“, „Y2K“, zur Ruhe legen können. Der Weg in die elektronische Kommunikation ist nunmal sehr holprig. Aber nicht ganz verzagen: Auch die Eisenbahn wurde Jahrzehnte lang von Banditen überfallen. Und bedenken Sie: Die Autobahn hat Hitler um viele Jahre überdauert.
Warnung: Es folgt eine Sexgeschichte. Falls Sie daran Anstoß nehmen könnten, lesen Sie bitte nicht weiter.
Es geht los: Ein junger Mann, Sohn eines Grammatiklehrers, lernt ein bildhübsches Mädchen kennen und verliebt sich auf der Stelle. Auch seiner Familie soll seine neue Flamme vorgestellt werden.
Endlich kommt der große Abend. Der junge Mann betritt mit seiner Angebeteten das Elternhaus, beide strahlen wie Himmelskörper.
„Das ist also dein neues Mädchen“, sagt der Vater.
„Ja“, antwortet der Sohn. „Und wie heißt es?“
Stopp. Der Autor kann leider nicht weiter, und das Mädchen wahrscheinlich ebensowenig. „Wie heißt es?!“ Streng genommen, hat der Vater recht, wenn er „das Mädchen“ als ein „es“ bezeichnet. Immerhin haben wir es hier mit einem berufsmäßigen Grammatiker zu tun, und das „es“ bezieht sich korrekterweise auf das neutrale „Mädchen“.
Natürlich habe ich hier die Sache etwas überspitzt dargestellt. Schon im Grimm’schen Wörterbuch wird unter Schlagwort „Mädchen“ darauf hingewiesen, dass man (oder frau) bei diesem Wort auf das natürliche Genus zurückgreifen darf. Trotzdem bleibt das „Mädchen“ für die Lektoren schon eine knifflige Angelegenheit – auch in den aktuellen Zeitungsberichten ist dies so.
Ich erzähle obige Geschichte aus zwei Gründen: 1.) um Sie vermittels des Wortes „Sex“ zum Weiterlesen zu animieren und 2.) weil ich eine kurze Polemik zum Thema Genus in der Schweizer „Weltwoche“ (Nr. 12/09) kommentieren möchte. Der Autor Thomas Meyer, ein Werbefachmann, beklagt sich über den Einfluss des Feminismus auf die deutsche Sprache. Insbesondere stören ihn geschlechtsneutrale Neologismen wie „StudentInnen“, wo früher „Studenten“ gereicht hätte, um beide Geschlechter zu kennzeichnen. Ich erzähle Ihnen nichts Neues. Um das sperrige „StudentInnen“ zu umgehen, sei man in der Schweiz allerdings zu „Studierende“ übergegangen. Meyer findet auch diese Formulierung eine Zumutung und macht etliche Witze über „Zuhaltende“, „Mädchenbeschneidende“ usw.
Nebenbei: Mein Sohn hat mir soeben bestätigt, dass sich „Studierende“ auch in der hiesigen Uni längst eingebürgert hat.
Meine Frau, eine gelernte theoretische Sprachwissenschaftlerin, hat mir die Sache mittlerweile erklärt: Es gebe in jeder Sprache „markierte“ und „unmarkierte“ Bezüge. Wenn sich „Studenten“, „Leser“, „Freunde“ auf beide Geschlechter beziehen, dann gelte im Deutschen das Maskulinum als „markiert“ und das Femininum als „unmarkiert“. Das markierte Maskulinum habe im Deutschen eine lange Tradition, wohl als Erbe einer einstigen patriarchalischen Gesellschaftsform unter den Germanen.
So weit so gut. Zu bemerken aber: In manchen Sprachen können auch weibliche Formen markiert sein. Wie wäre sonst zu erklären, dass im Lateinischen manche sehr burschikose Berufe, etwa „nauta“ (der Matrose) und „agricola“ (der Bauer) eine weibliche Form haben? Auch der Dichter, „poeta“, ist weiblich, egal ob es sich um einen Dichter oder eine Dichterin handelt. Im Altgriechischen gibt es eine eigene Kategorie für männliche Nomen, die weiblich gebeugt werden.
Im heutigen Deutsch ist man (oder frau) mit Gewalt dabei, eine neue, geschlechtsneutrale Markierung zu erzwingen. Auch im Englischen ist dieses Phänomen zu beobachten. Der „postman“ (Briefträger) ist nunmehr zum neutralen „letter carrier“ geworden. Der „chairman“ (Vorsitzende) hat sich zu einem „chair“ verwandelt. Anstatt „Mankind“ (die Menschheit) zu rühmen, preist man zusehends „humankind“ usw.
Mein Ohr rebelliert, auch wenn ich kein dogmatischer Sprachpurist bin und manchmal ganz bewusst auf „er“ und „sie“ hinweisen will. Mir ist aber klar: Letztendlich muss man sich, was die Sprache betrifft, stets der Mehrheit anschließen. Wer kann, die kann.
PS: Leserin Kristin - siehe Kommentar "Verwechs- & Meinung" hat mich aufgeklärt: Ich habe die Begriffe "markiert" und "unmarkiert" vertauscht.
PPS: Lesen Sie Kristins Blog. Siehe Link.
Vorab die Antwort auf eine Frage, die Sie nicht gestellt haben. Sie lautet „Winston Churchill“.
Nun die Frage: „Von wem stammt das geflügelte Wort: ‚Geschichte wird von den Siegern geschrieben’?“
Mir fällt dieser Spruch ein, weil ich gerade an Indianer denke, genauer gesagt, an die Indianer des Bundesfinanzministers Peer Steinbrück.
Rückblick: Vor einer Woche beschimpfte dieser aufgebrachte Politiker die Schweizer Bankiers als Indianer und drohte mit dem Einsatz der Kavallarie, um aufzuräumen. Es handelte sich, wie Sie sicherlich schon wissen, um das Schweizer Bankgeheimnis. Der verbale Angriff artete bald in einen bösen diplomatischen Albtraum aus, auch wenn der Finanzminister seinen Vergleich für humorvoll hielt. Haha. Und bald wurde der taktierende Steinbrück der politischen Unkorrektheit bezichtigt, was nicht falsch ist.
Mich hat sein Indianer-Vergleich von vorneherein stutzig gemacht. Denn jeder weiß: Die Indianer haben nie über ein Bankgeheimnis verfügt. Außerdem hat Herr Steinbrück nie klar angegeben, welchen Stamm er meinte. Sioux? Irokesen? Hopi? Schließlich ist Indianer nicht gleich Indianer. Viele „Native Americans“ aus unterschiedlichen Stämmen betreiben heutzutage Spielkasinos in den USA nicht aber Banken. Mittels dieser Kasinos schaffen sie es mit Bravour, dem weißen Mann sein letztes Hemd auszuziehen. Die Kasinos sorgen für genauso viel Bauchweh wie Montezumas Rache.
Und doch sind es die Sieger, die die Geschichte schreiben. Weil das so ist, sind unsere Kenntnisse über die Katharer in Südfrankreich, die Anfang des 13. Jahrhunderts auf Geheiß des französischen Königs ausgerottet wurden, gleich null. Ihre Schriften wurden damals vernichtet, und alle Berichte über sie stammen von ihren Bezwingern. Gleiches widerfuhr den von Augustinus arg verunglimpften Manichäern. Alles, was man über ihre Lehre weiß, stammt von ihren Feinden. Stellen Sie sich vor: Hu Jintao würde eine Biographie des Dalai Lama veröffentlichen.
In meiner Kindheit haben wir gerne „cowboys and indians“ gespielt, unsere amerikanische Variante des „Räuber und Gendarm“. Für uns waren die cowboys die Anständigen, die Helden also. Die Indianer hingegen waren die Arglistigen. Manchmal spielte ich aber gerne den Indianer. So konnte ich mir besondere Bosheiten ausdenken, um die Cowboys an die Nase herumzuführen. Deutschland die Cowboys, die Schweizer Bankiers die Indianer?
Auch die Redewendung „indian giver“ war – und ist – bei uns gang und gäbe. Ein „gebender Indianer“ war einer, der das zurückhaben wollte, was er bereits geschenkt hatte. Tatsache ist: Das Schenken unter Indianern war eine Art Handel, um Abkommen zu schließen. Die Weißen im 17. und 18. Jahrhundert haben das nicht realisiert. Handel treibende Native Americans verstanden sie als habgierige Wilde.
So sind auch Peer Steinbrücks Indianer: Wilde, Feinde der Zivilisation. Aber Hand aufs Herz: Würden Sie Ihr hart verdientes steuerflüchtiges Geld freiwillig Wilden anvertrauen?
Letztendlich sind Politker aber Machtmenschen. Es fehlt ihnen nicht selten an Feingefühl, zumindest was die Sprache betrifft. Ihre Bilder wirken folglich plakativ und plump – es sei denn, sie sind wie Churchill. Der deutsche Humor, hat er einmal gesagt, ist nichts zum Lachen.
Hand aufs Herz. Halten Sie sich für einen loyalen Menschen?
Selbstverständlich eine Fangfrage. Stellen Sie sich vor. Sie sind Personalchef(in) einer multinationalen Firma und lesen gerade die Bewerbungen der Herren (oder Damen) A und B.
In der Bewerbung von A fallen diverse Zeugnisse ehemaliger Arbeitgeber auf. Inhaltlich sind sie einander sehr ähnlich: „A war stets gutgelaunt, ehrgeizig und verantwortungsvoll. Mit Bedauern haben wir uns von ihm (ihr) getrennt.“
In B’s Bewerbung liegt lediglich ein einziges Zeugnis vor. Darin erfährt man: „B hat stets mit großer Hingabe gearbeit und bestach mit seiner (ihrer) Loyalität. Leider müssen wir uns nach sovielen Jahren von ihm (ihr) wegen der Insolvenz unserer Firma trennen. Wir wünschen ihm (ihr) viel Glück auf seinem (ihrem) weiteren Weg.“
Jetzt müssen Sie entscheiden. Wer soll es sein: A, der (die) Ehrgeizige, oder B, der (die) Loyale? Na?
Natürlich haben Sie sich für A entschieden. „Loyal“ in der Geheimsprache der Zeugnisse löst bei Personalchefs stets Alarmsignale aus. Denn diese Vokabel bedeutet im Zeitalter des späten Turbokapitalismus schlicht und einfach „doof“, „einfallslos“, „träge“, „ängstlich“ usw.
Das war freilich nicht immer der Fall. Früher suchte man gierig nach Menschen wie B, die vorhatten, bei der Firma bis zum Ruhestand zu bleiben. Im Lauf dieser dreißig oder vierzig Jahre könnte sich ein Mitarbeiter, wenn er fleißig und begabt war (oder Glück hatte), hocharbeiten und manchmal sogar die Chefetage erreichen (was natürlich einem Lotteriegewinn gleichkam).
Das war keinesfalls ein deutscher Sonderweg. So war es früher überall – auch in den USA. Noch heute orientieren sich viele japanische Firmen an diesem Prinzip.
Erst im Lauf der 70er Jahre trat ein Sinneswandel, ein frischer Wind, ein, und zwar zunächst in den USA – nicht übrigens von ungefähr zur selben Zeit, als die Saat der heutigen Weltwirtschaftskrise in die Erde gebracht wurde. Das zarte Pflänzchen der neuen Wirtschaft wuchs schnell und kräftig heran. Schon Ende der 80er Jahre war in den USA das geflügelte Wort „leaner and meaner business“ – magereres und gemeineres Geschäftemachen – in aller Munde. Ein besonderer Held dieser Zeit war Al „Chainsaw“ („Kettensäge“) Dunlap, damals Vorstandsvorsitztender der „Scott Paper Company“. Er setzte tausende Mitarbeiter knallhart auf die Straße. Man nannte diesen radikalen Stellenabbau „downsizing“ – etwa „Verkopfkleinerung“. Die Loyalen wurden ob ihrer antiquierten Denkart verlacht.
Doch nehmen wir dieses Wort „loyal“ kurz unter die Lupe. Es stammt aus dem Französischen und wird letztendlich aus dem lateinischen „legalis“, also „gesetzlich“ abgeleitet. Wer „loyal“ ist, agiert also innerhalb der Gesetze. Der „Unloyale“ ist folglich ein Gesetzloser. „Treu“ ist das deutsche Äquivalent für dieses Fremdwort - es ist mit „trauen“ und „vertrauen“ verwandt. Der Wortstamm bedeutete ursprünglich „stark“ und „tapfer“. Das englische „tree“, also „Baum“, ist mit dieser Wurzel verschwägert. „Baumstark“ sagt man noch heute im Deutschen.
Nicht von ungefähr haben Firmen früher „treue“, also „loyale“ Menschen als Mitarbeiter bevorzugt. Denn wer möchte einen „Untreuen“, einen „Gesetzlosen“ als Mitschaffenden im eigenen Haus haben? – genau die Charaktereigenschaften, die die Weltwirtschaft ins Schleudern gebracht haben.
Nun meine Frage an jene Vorstandsvorsitzenden, die sich versehentlich auf diese Seite verirrt haben. Es handelt sich natürlich um eine Fangfrage: Nach allem was Sie mittlerweile über die Kehrseite des Wirtschaftswachstums wissen, würden Sie jetzt lieber A oder B einstellen? Keine Hast. Die Antwort auf diese Frage ist alles anders als einfach.
Für alles gibt es einen Namen; fehlt er, dann wird halt einer erfunden. Nun wissen Sie das Allerwichtigste über den Ursprung der Sprache.
Ich gebe zu: Ich erzähle hier nichts Neues. Schon in der Bibel heißt es, dass Adam alle Geschöpfe mit Namen versehen habe.
Nein, heute kein Bibelunterricht. Der Anlass für obige Plattitüden ist ein Artikel, den ich am Mittwoch in der International Herald Tribune gelesen habe. Die Überschrift lautete: „Airfares rise even as fuel prices fall“, also „Auch bei fallenden Spritkosten steigen die Flugpreise“. Ich werde Sie mit dem Inhalt des langen Textes nicht quälen. Mich interessiert lediglich ein Begriff, den ich im besagten Artikel entdeckte: „yield manager“. Zu Deutsch vielleicht „Mengenverwalter“ oder „Ergebnisverwalter“.
Was macht ein „yield manager“? Ganz einfach: Er ist derjenige, der die unterschiedlichen Preise für ein und denselben Sitzplatz im Flugzeug berechnet. Sie kennen das Phänomen ganz bestimmt. Wenn Sie nach Sitzplatzpreisen im Flugzeug recherchieren, werden Ihnen oft verschiedene Preise für denselben Platz genannt, je nachdem, ob sie das Ticket im Internet, durch eine Reiseagentur, als Pauschalreise oder bei der Fluglinie buchen. Täglich, wenn nicht stündlich, können sich diese Preise ändern. Es handelt sich hier um eine sehr esoterische Wissenschaft. Dem oben zitierten Zeitungsartikel zufolge sind allein bei Air-France-KLM 120 Menschen als „Yield manager“ tätig.
Mir war dieser Begriff fremd. Google bietet zu meinem Erstaunen über 22.000 Treffer dafür an. Einen „Wikipedia“-Beitrag habe ich allerdings nicht gefunden. Außerdem: Die „yield manager“, so habe ich nun erfahren, sind nicht nur im Bereich der Fluglinien tätig.
Auch die unterschiedlichen Preise für gleiche Hotelzimmer werden von eben diesen Managern hervorgezaubert. Darüber hinaus bin ich im Internet zufällig auf ein Stellenangebot des Verlags Gruner + Jahr gestoßen. Man suchte nach einem „Yield Manager/Inventory Manager“. Der Tätigkeitsbereich dieses Managers wird folgendermaßen beschrieben: „Sie sind verantwortlich für die kaufmännische und technische Abwicklung sowie die Optimierung von Werbekampagnen auf unseren Online-Sites.“ Weiter liest man: „Yield Management, das heißt Steigerung des Umsatzes durch bestmögliche Auslastung des Ad-Inventory.“
Hier geht es wohl um eine nagelneue Vokabel aus dem Managerwortschatz.
Auch im Englischen scheint der Begriff kaum bekannt zu sein. Ich habe mehrere englischsprachige Websseiten entdeckt, die auf die Frage eingehen: Was ist ein „yield manager“?
Nun meine Frage: Handelt es sich um einen Beruf, der wegen der Weltwirtsschaftskrise so schnell wieder verschwinden wird wie nach der Jahrtausendwende der der „Y2K“-Experten, oder schauen wir tief in die Zukunft auf eine Berufsbezeichnung, die geradezu massgeschneidert zu sein scheint für die Wirrnisse einer globalisierten Wirtschaft? Ich habe keine Ahnung.
Noch ein wichtiger Punkt über die „Yield Manager“ aber. Im Deutschen wird dieser Begriff bereits als „Yieldmanager“ zusammengeschrieben. An sich ein logischer Schritt. Doch diese Schreibweise hat zufällig eine zweite Bedeutung: „Yieldmanager“ ist auch der Name eines gefürchteten „Spybot“, d.h., eines Spionagenprogramms, das sich in Form eines „Cookie“ hartnäckig wie eine Zecke in Ihrer Festplatte einnisten kann, um alle wichtigen Passwörter usw. an Internetkriminelle weiterzuleiten. Diese Tätigkeit als „Ergbenis-“ oder „Mengenverwaltung“ zu bezeichnen ist eigentlich recht passend. Vorsicht sei also geboten!
Und vergessen Sie nicht: Der Sprachbloggeur hat Sie als erster vor diesen Managern gewarnt!
Wissen Sie, was ein „flogger“ ist?
Ich habe zunächst ans „Auspeitschen“ – die Bedeutung von „to flog“ auf Englisch – gedacht, als ich dieses Wort am Wochenende in der Überschrift eines Artikels in der International Herald Tribune (14. März) entdeckte.
Irrtum. Im Zeitalter der „Blogs“ – also „Web logs“ – sollte man wissen, dass jede Vokabel, in der man die Buchstabenkombination „log“ findet, einen Bezug zum Internet haben muss. Kein Flagellantenverein also die „Flogger“ und „Floggerinnen“. Es sind „Fotoblogger“.
Genauer gesagt: „Flogger“ nennen sich Jugendliche – vorwiegend in Argentinien und in Chile – die eifrig unter sich Fotos austauschen. Triebfeder dieses schnellwachsenden Phänomens ist eine gewisse Augustina Vivero. Sie ist 17 Jahre alt und lebt mit ihrer Familie im Arbeiterviertel San Cristobal in Buenos Aires.
Vor einem Jahr – so Autor Alexei Barrionuevo – pflegte sich Augustina mit ihren vielen Freund(inn)en bei sich zuhause zu treffen, um sich gegenseitig Fotos zu zeigen. Als die Gruppe Zuwachs bekam, verlegten die Jugendlichen ihre Zusammenkünfte in ein großes Einkaufszentrum. Sie zählten nunmehr etwa einhundert Fotofans. Innerhalb weniger Wochen ist ihre Zahl auf 2000 geklettert.
Die Ladenbesitzer im Einkaufszentrum fühlten sich von den aufgepeitschten Jugendlichen gestört und schalteten die Polizei ein. Schnell kam es zu hitzigen Auseinandersetzungen mit den Ordnungshütern. Klar, dass die Fernsehjournalisten eintrafen, um den ganzen Trubel fürs TV-Publikum zu verewigen. Die vife Augustina Vivero wurde rasch als Interviewpartnerin herbeigerufen und alsbald zum Superstar befördert – zumindest in Argentinien und Chile.
Nun sind die „Flogger“ der letzte Schrei in Südamerika geworden, auch wenn sie bei uns kaum bekannt sind. „Flogger möchten die Welt nicht verändern“, schreibt Maria José Hooft, Autorin einer Studie über Jugendkulturen in Argentinien, „Sie möchten überleben, und sie möchten sich austoben, so gut es geht.“ Selbstdarstellerin Augustina, die sich mittlerweile zu einer gut verdienenden Unternehmerin gemausert hat, macht keinen Hehl aus ihrer Homosexualität. Inzwischen will sie das öffentliche Bewusstsein für Aids erweitern – keine Selbstverständlichkeit im machohaften Lateinamerika. Überhaupt wird das Androgynseindürfen von den „Floggern“ zu einer ideologischen Sache erhoben. Leben und leben lassen. Augustina bleibt die Mutter Courage.
Mittlerweile sind die „Flogger“ mit einer eigenen Musikrichtung bestückt. Sie heißt „Cumbio“ und stellt eine Mischung aus lateinamerikanischem Pop und Salsa dar. Ihre bunten Kleider sind längst zu einer Art Uniform geworden. Man macht sich gerne ungekünstelt sichtbar. Und die Fotos. Man darf sie partout nicht vergessen. Denn mit Fotos hat alles eigentlich begonnen. Bei der Fotoplattform fotolog.com finden Sie reichlich Schnappschüsse von Augustina und ihren Leuten.
Schwappt die „Flogger“-Bewegung nach Deutschland über? Sind die hiesigen 13jährigen, die noch eifrig und mit unschuldigem Blick Lego-Roboter basteln und Barbies ankleiden, die „Flogger“ von morgen? Sehen Goths, Emos usw. bald so alt aus wie 68er? Bei den „Floggern“ handelt es sich wahrhaftig um eine Strömung des 21. Jahrhunderts. Denn bei dieser Subkultur ist die virtuelle (sprich Internet-) Präsenz ebenso wesentlich wie die bunte Straßenerscheinung.
Ist das neue Zeitalter schon angebrochen, ohne dass dies überhaupt aufgefallen wäre? Wäre ohnehin nicht das erste Mal. Ach ja: Ich darf die anderen „Flogger“ nicht unerwähnt lassen. Das sind die „Foodblogger“. Mal sehen, ob zwei Gruppen mit gleichem Namen friedlich nebeneinander existieren können.
Hier finden Sie keine Spekulationen über Tim K. Ich befasse mich heute lieber mit dem Begriff „Breaking News“. Ich komme darauf, weil diese Losung gerade im Fernsehbildschirm zu sehen war, als ich am Mittwoch ins Wohnzimmer kam und die „Tagesschau“ zufällig lief.
Ich dachte zunächst, es handele sich um Aufnahmen aus Alabama, wo am Dienstag ein Berserker mehrere Menschen niedergemäht hatte. „Mord und Totschlag made in USA als Unterhaltung in Deutschland“, murrte ich in Richtung meines Sohns.
„Nein“, antwortete er. „Das hat mit Alabama nichts zu tun. Ist gerade passiert. Ein Jugendlicher in Deutschland ist Amok gelaufen.“
Ich war in meinen Gedanken aber schon weit weg. Warum heißt es „Breaking News“, sinnierte ich – und das ausgerechnet in der ARD?
CNN war der erste, der den Begriff „breaking news“ verwendet hat. Vielleicht war es 2001 in Zusammenhang mit dem Terrorangriff gegen das World Trade Center. Ich weiß es nicht mehr. Viel früher war es sicherlich nicht. Die Formulierung klang damals jedenfalls recht pfiffig. „Breaking News“ – anbrechende Ereignisse – das verspricht Dramatisches, fängt die Aufmerksamkeit ein. „Brechen“,„ausbrechen“, „anbrechen“ – die Unmittelbarkeit dieses Wortes ist kaum zu überbieten. Im Deutschen kann man sogar einen Krieg vom Zaun brechen.
Schnell witterte die Konkurrenz in den USA den Wert dieser nützlichen Formulierung. Bald ließ nicht nur CNN die „Breaking News“ krachen. Auch die Kollegen bei den anderen Sendern warben mit dieser spannenden Losung um die Zuschauergunst. Verständlich, dass es so war. Es geht letztendlich um den harten Kampf um die Einschaltquoten. Mehr Zuschauer bedeuten mehr Werbespots.
Ich beneide die Nachrichtenproduzenten nicht. Berichte werden auf die Waage gehauen wie Rinderrouladen. Was gut und schnell an den Mann oder die Frau zu vermitteln ist, bekommt nach diesem Kriterion die Vorzugsbehandlung. Ich erzähle Ihnen aber nichts Neues.
Wer sich in den USA informieren will, muss mittlerweile entweder das Internet nach Nachrichten absuchen, oder er abonniert eine der wenigen Zeitschriften, die noch etwas Tiefgang haben – zum Beispiel die „New York Review of Books“. Im Fernsehen (auch in vielen Zeitungen) sind nur noch „Breaking News“ zu finden. Schnieke Nachrichtensprecher und -sprecherinnen – zumeist in Tandem – berichten mit glatt gebügelten Stimmen und ebenso glatten Frisuren über Blechschäden auf dem Highway, schlimme Einbrüche, Schießereien oder den Tod von Prominenten – alles sauber pauschaliert mit dem dramatischen Schluss nach der Werbung.
Auch in Deutschland sind die „Breaking News“ eingetroffen – vor allem bei den Privaten. Klingt ohnehin schöner als „Eilmeldung“, nicht wahr?
16 Menschenleben wurden in Winnenden auf tragische Weise ausgelöscht, in Darfur werden seit Jahren hunderttausende Menschenleben systematisch ausgerottet. Stellen Sie sich vor. Sie sind Nachrichtenredakteur. Mit welcher dieser beiden Storys würden Sie lieber auf der Pauke hauen? Nicht zu vergessen: Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen, man riecht schon den Nackenschweiß der Konkurrenz.
Letzte Frage: Was bedeutet „Betroffenheit“? .
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