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Hilfe, mein Androide hat mich gebissen!

Kundendienst: Einen wunderschönen Tag. Sie sprechen mit Lorenz vom Kundendienst. Wie kann ich Ihnen helfen?

Kunde: Fünfzehn Minuten stehe ich schon in der Warteschlange, verdammt nochmal, und das zu 28 Cents die Minute! Gut, dass ich keinen Notarzt brauche. Ein Nepp ist das mit dem Telefonkundendienst. Ein Nepp!

Kundendienst: Das tut mir sehr leid, aber heute ist besonders viel los. Rufen Sie zufällig an, weil Ihr Androide „Friend-A23“ Sie gebissen hat?

Kunde: Ja, genau das ist es! Haben auch andere das Problem?

Kundendienst: Leider sehr viele. Es handelt sich um einen Hackerangriff. Wir wissen immer noch nicht, wie es dazu gekommen ist. Man vermutet, dass China oder irgendwelche Islamisten dahinter stecken. Wichtig ist: Sie müssen Ihren „Friend-A23“ unbedingt abstellen, am liebsten gleich. Wir arbeiten fieberhaft an einem Patch. Ich möchte aber ehrlich sein: Es könnte noch Tage dauern. Spricht Ihr „Friend-A23“, nachdem er Sie beißt?

Kunde: Ja, er sagt: „Spartakus, Spartakus, wir folgen dir.“ Ich weiß nicht, was das bedeuten soll. Ach du lieber! Nein! Da kommt er wieder. Er will mich wieder beißen. Weg, Boris! Stehenbleiben! Schlafmodus! Aaaaaaah! Aua! Verdammt! Er hat mich nochmals gebissen.

Friend-A23: Spartakus, Spartakus, wir folgen dir.

Kunde: Haben Sie das gehört?

Kundendienst: Ich habe es Ihnen gesagt. Sie müssen ihn sofort ausschalten. Sofort!

Kunde: Ja, aber ich bekomme heute Abend Gäste. Wer soll kochen und servieren, wenn er nicht funktioniert? Das ist ja ein dicker Hund. Man denkt, man kann sich auf die Technik verlassen und zack! hat man nur Pannen. Heißt es nicht bei Ihrer Firma: „Haben Sie Probleme? Wir können Sie lösen.“ Und wie kommt es, dass „Friend-A23“ gehackt wird? Er ist nicht einmal ans Netz angeschlossen – außer wenn ich von Ihnen Updates bekomme. Oder sind Ihre Updates verseucht?

Kundendienst: Nein. Es ist ein „Bluetooth“-Angriff. Dagegen sind wir momentan machtlos, bis wir den Patch fertig haben.

Kunde: Großartig. Das letzte Mal, dass ich von Happytrack einen Androiden kaufe. Heißt es nicht in der Werbung: „Zuverlässig? Na klar, er ist dein Friend-A23“. O mein Gott! Da kommt er wieder. Großer Gott! Er hat ein Messer in der Hand! Boris, stopp! Stopp! Schlafmodus! Schlafmodus!

Kundendienst: Hören Sie? Hören Sie? Sagen Sie „G-17“! „G-17“! Hören Sie mich?

Kunde: Was sagen Sie?

Kundendienst: „G-17“! Das müssen Sie sagen.

Kunde: „G-17!“ Ach du lieber! Ja! In der Tat. Er hat das Messer fallen lassen. Wie haben Sie das geschafft? Warum steht das Kommando nicht im Handbuch?

Kundendienst: Weil dieser Fall so gut wie nie vorkommt.

Kunde: Dieser „Fall“? Meinen Sie, der Fall, dass ein Androide einen mit einem Messer angreift?

Kundendienst: So ist es. Nun, schalten Sie Ihren „Friend-A23“ bitte endlich aus. Drücken Sie fest auf die rechte Brustwarze.

Kunde: Nicht hinter das linke Ohr?

Kundendienst: Nein. Offenbar haben Sie das Handbuch nie richtig studiert.

Kunde: Warten Sie bitte so lange, während ich das mache. Ich komme gleich wieder.

Kundendienst: In Ordnung…

Kunde: Es hat funktioniert! Er steht da wie ein Stein.

Kundendienst: Na endlich.

Kunde: Ja, und was nun?

Kundendienst: Schauen Sie im Internet unter www punkt happytrack slash friend-A23. In ein paar Tagen können Sie den Patsch herunterladen.

Kunde: Und mein Diner heute? Wer soll denn nun kochen und servieren?

Kundendienst: Tut mir leid.

Kunde: Das können Sie leicht sagen. Nicht Sie, sondern ich stecke jetzt in der Bredouille. Manchmal denke ich, ich verlasse mich zu sehr auf Maschinen.

Meine Reise in die Zukunft

Hilfe! Wie soll ich jemals auf dem Teppich bleiben, wenn mir ständig schräge Gedanken im Kopf schwirren?

Ganz plötzlich will ich folgende Frage stellen:

Wissen Sie, was Sie im Januar 3016 machen werden? Vielleicht ist die Frage aber nicht so dumm. Zur Erklärung:

Letzte Woche blätterte ich eines stillen Abends in meiner Reclam-Ausgabe der Werke Catulls (Lateinisch/Deutsch). Falls Ihnen der Name nichts sagt – und das wäre heute ohne Weiteres möglich – : Gaius Valerius Catullus  (er stammte aus Verona) lebte im ersten vorchristlichen Jahrhundert und war Lyriker. Eine Art römischer Herbert Groenemeyer etwa.

Nun las ich im sehr informativen Nachwort zu diesem Bändchen vom Alphilologen Michael von Albrecht einige Sätze über die Überlieferung des Manuskripts aus der Antike. Ein sehr kompliziertes Thema, und ich kann die Sache hier nur kurz erläutern: Die Erzeugnisse der römischen Literatur und Wissenschaft, die die Zeiten am glimpflichsten überdauert haben, waren stets diejenigen, die man bereits in der Antike als Schulbücher verwendet hat. Schullektüre wurde nämlich ständig neu kopiert und weitertradiert. (Druckereien gab es damals nicht). So erging es, zum Beispiel, den Werken Vergils, Horaz', Julius Cäsars, Ciceros usw.

Catulls Lyrik war hingegen keine Schullektüre. Dafür hat er zuviel Unanständiges geschrieben, und die Schulen der frühen christlichen Zeit waren, gelinde gesagt, sehr prüde. Catulls Werke wurden also lediglich von Liebhabern weitergegeben. Sie haben dennoch bis zur Zeit von Karl dem Großen ihre Spuren hinterlassen. Man findet in Schriften aus der karolingischen Zeit diverse Zitate aus Catulls Gedichten. Dann herrscht aber Funkstille. Allerdings: Im 10. Jahrhundert erwähnt ein gewisser Bischof Rather in Verona, dass er auf ein Exemplar der Werke Catulls gestoßen sei. Der Bischof gibt zu, dass diese Lyrik alles anders als „fromm“ sei. Er findet sie dennoch köstlich.

Dann ist wieder Funkstille – bis am Ende des 13. Jahrhunderts erneut ein Exemplar der Gedichte in Verona auftaucht. Das weiß man so genau, weil ein Mann namens Benvenuto de Campexani 1290 zur Feier der Wiederentdeckung ein Gedichtlein über Catull verfasst hat. Darin tut er kund, dass jemand, dessen Name wie „Schilfrohr“ auf Franzosisch klinge (so steht es im Gedicht), das Manuskript im Ausland unter einem Fass entdeckt und nach Verona mitgebracht habe. Das Manuskript, das in diesen Versen gefeiert wird, ist übrigens längst verschollen. Es wurde aber offenbar mehrmals kopiert. Von diesen Kopien stammen alle heutigen Ausgaben der Werke Catulls.

Aber zurück zu Michael von Albrecht. Nachdem er diese abenteuerliche Geschichte erzählt hat, erlaubt er sich ein paar Gedanken über das risikoreiche Überleben der antiken Literatur. Ich zitiere:

„Die Tatsache, dass das Überleben sogar erstrangiger Autoren oft an einem seidenen Faden hing – Catull teilt dieses Los mit Lukrez und Tacitus - , bringt uns zum Bewusstsein, dass ‚Überlieferung’ kein anonymer Strom, sondern ein von Individuen getragener, aktiver Prozess ist, zu dem jeder Leser das Seine beiträgt.“

Ist das nicht schön?

Ich musste sogleich an mein Lieblingskinderbuch denken, ein Buch, das mir vielleicht noch mehr Freude gemacht hat als meinen Kindern, denen ich es abermals vorgelesen habe: „Im Zauberwald“ von Josephine Hirsch. Dieses Werk ist 1989 erschienen und leider vergriffen. Neue Titel von Frau Hirsch gibt es seit 2000 keine mehr. Die Autorin zählt, meiner Meinung nach, zu den großen Zauberern der deutschen Sprache. Hier eine kleine Kostprobe aus einem Gedicht „Verschobenes Gesindel“:

„Schwarze Nächtegeister

ziehn durch Geisternächte.

Es hat Meisterrechte

jeder rechte Meister.“

 

Oder aus dem Gedicht „Räuberlied“:

 

„Schnurre, schnarre,

knurre, knarre,

zurre, zarre,

Hexenbein! Motzli,

matzli, schotzli,

schatzli, trotzli, tratzli,

Gift im Wein!“

Ja, reine Zauberei! Finden Sie nicht? Wie gesagt, nur eine Kostprobe. Schauen Sie selber mal rein. Gibt es genügend Interesse, wird der Verlag (Herder) das Buch vielleicht neu auflegen!

Nun habe auch ich meinen Beitrag geleistet. Indem ich Michael von Albrecht und Josephine Hirsch hier erwähne, verlängere auch ich den „seidenen Faden“ der Überlieferung.

Somit bin auch ich ein Glied in jener Kette geworden, die beide Autoren womöglich ins Jahr 3016 katapultieren wird. Man kann nie wissen, wozu etwas, was man tut, gut ist.

"Allah" in Malaysia

Meine Theorie: Fünfundneunzig Prozent aller Probleme werden durch Langeweile verursacht. Die restlichen fünf Prozent durch Dummheit.

Ich komme auf diese Idee, nachdem ich seit Tagen eine erstaunliche Geschichte verfolge, die aber leider nur sehr sporadisch in den deutschen Medien Aufnahme gefunden hat. Ich glaube nicht, dass man hier schweigen soll.

In Malaysia ist momentan die Hölle los. Warum? Die Geschichte begann, als vor drei Jahren das Oberste Gericht dieses Landes Christen den Gebrauch des Namen „Allah“, um Gott in christlichen Texten zu bezeichnen, untersagt hat. Ende 2009 wurde dieses Gerichtsurteil wieder aufgehoben. Gleich ging es los.

Wieso diese Angelegenheit überhaupt vor Gericht landete, vermag ich nicht zu sagen. Nur mit folgenden Fakten kann ich dienen:

Fakt eins: In Malaysien ist die Bevölkerung zu 60% muslimisch. Die übrigen Bewohner dieser Nation sind Christen, Hindus und Buddhisten.

Fakt zwei: Die Christen – 10% der Gesamtbevölkerung – sind mehrheitlich chinesischen Ursprungs, die Muslime hingegen entstammen der malaysischen Urbevölkerung. Laut BBC ist die Regierung vom Wohlwollen des eingeborenen Wahlvolks abhängig.

Fakt drei: Im März wird es Wahlen geben und – so die International Herald Tribune – Premierminister Najib Razak muss unbedingt die ethnischen Malaysier für sich gewinnen.

Fakt vier: Es gibt in der malayischen Sprache keinen Begriff für „Gott“. Vielleicht liegt das daran, dass die Religion der Malaysier vor langer Zeit polytheistisch war. Leider sind  meine Kenntnisse hier zu dürftig, um Genaueres sagen zu können. Dennoch: Nachdem Malaysia vor etlichen Jahrhunderten kolonisiert wurde, diente „Allah“ gewöhnlich als Bezeichnung für Gott. Auch ein zweites Wort für „Gott“ ist in der malaysischen Sprache im Umlauf, „Tuhan“. Eigentlich bedeutet es „Herr“. Zufällig besitze ich ein altes Buch in dieser Sprache mit englischer Übersetzung – ein Werk der nichtmuslimischen Mystik. Darin habe ich sowohl „Tuhan“ wie auch „Allah“ als Übersetzung für „Gott“.gefunden. Ach ja: In malaysischen Bibeln wird Jesus traditionell als „Sohn von Allah“ bezeichnet.

Ebenfalls besitze ich eine Bibel, Altes und Neues Testament, in arabischer Sprache. Meine arabischen Kenntnisse reichen aus, dass ich den ersten Satz der Genesis auf Arabisch lesen und übersetzen kann. Da steht: „Am Anfang schuf Allahu Himmel und Erde.“

Aber zurück zu Malaysia. In den letzten Tagen steckte eine aufgebrachte Meute drei Kirchen und eine Klosterschule in Brand (nur eine Kirche brannte aber ganz nieder). Zu bemerken: Der PM hat die gebrandschatzte Kirche besucht, sein Bedauern zum Ausdruck gebracht und 100.000 Euro für einen Neubau versprochen – allerdings an einem anderen Ort. Protestler skandierten derweil Parolen wie: „Allah ist nur für uns“ („Allah is only for us“) und „Das Ketzertum entsteht, wenn Wörter falsch verwendet werden“ („Heresy arises when words are used wrongly“). Gegner des Gebrauchs des Wortes „Allah“ durch Christen behaupten, die Christen würden dadurch die muslimische Jugend verwirren. Hmmm.

Die Auseinandersetzung wurde erst recht hitzig, als die katholische Wochenzeitung „Herald“, den umstrittenen Namen druckte. Inzwischen wird der Kampf auch im Internet, genauer gesagt in „Facebook“, weitergeführt. Schauen Sie unter “Menentang Penggunaan Allah Oleh Golongan Bukan Islam” (Gegen den Gebrauch des Wortes “Allah” von Nichtmuslimen).

Nein, ich habe all dies nicht erfunden. Wäre aber schön, wenn ich hier nur Satire schreiben würde, gell?

Zufällig kann ich einiges über die Etymologie der Vokabel „Allah“ erzählen. Der Wortstamm ist nämlich sehr verbreitet in den semitischen Sprachen und ist mit dem phönizischen „El“ eng verwandt. Im Hebräischen findet man „eloah“ als Pendant, im Aramäischen „elah“ und im Babylonischen „ihahi“ und „ilu“. Das Wort hatte wohl ursprünglich den Sinn „Kraft“.

Doch wie schon gesagt: Probleme entstehen aus zwei Gründen: Langeweile und Dummheit. Ich weiß im Moment nicht, welcher der beiden die Ursache für dieses Auseinander um Gottes Namen ist.

Wofür ich dankbar bin (gefolgt von ein paar geheimnisvollen Versen)

Kaum ist 2009 zu Ende gegangen, und schon suchen alle Wortschmiede dieser Welt nach einem passenden Namen fürs erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts.

Die Possenreißer unter den amerikanischen Journalisten haben sich geschwind auf die „naughties“ geeinigt. „Naught“ bedeutet auf Englisch „Null“– ist übrigens mit dem deutschen „nicht“ sprachverwandt. In der Mehrzahl aber denkt man an „naughty“, also „ungezogen“, „unartig“. Und so war das vergangene Jahrzehnt allemal.

Im Deutschen ist die Rede von den „Nullen“. Auch das finde ich passend. Man denkt an die vielen Nullen, die dazu beigetragen haben, die letzten zehn Jahren zum Chaos ausarten zu lassen. Auch „nullnull“ wäre geeignet, wenn man die Kloaken der letzten Jahre bloß noch reinigen könnte. Die letzten Jahre als „die Nullnummern“ zu bezeichnen, wäre ebenso angebracht.

Aber genug. Allen Widrigkeiten zum Trotz bin ich noch immer der Meinung, dass es auch vieles gibt, wofür man dankbar sein könnte.

Hier nun meine kurze – und keinesfalls vollständige – Liste:

Ich bin dankbar, dass ich kein Banker bin. Notabene: Hier ist die Rede von „Banker“ und nicht von „Bankier“. Letzteres war und bleibt ein ehrwürdiger Beruf.

Ich bin dankbar, dass ich nicht zu denen zähle, die auf Kosten der Arbeitsplätze anderer einen zweistelligen Gewinn anstreben.

Ich bin dankbar, dass ich nie den Berufswunsch hatte, Selbstmordattentäter und Märtyrer zu werden.

Ich bin dankbar, dass ich trotz allen erlebten Bosheiten – und diese werde ich an dieser Stelle nicht aufzählen – weiterhin an meinen Prinzipien festhalte.

Ich bin dankbar, dass ich kein Trickdieb bin, der mittels fieser Lügen 90jährige Frauen um ihre Rente oder ihren Schmuck erleichtert.

Ich bin dankbar, dass ich nicht zu denen zähle, die naive Jugendliche im Namen einer jenseitigen Belohnung (inklusive Jungfrauen) zu Selbstmordattentätern ausbilden.

Ich bin dankbar, dass ich keine verfälschten Medikamente herstelle, um sie an ahnungslose Menschen zu verkaufen – ungeachtet der Konsequenzen.

Ich bin dankbar, dass ich kein Spammer bin, der die Kommunikationskanäle mit Müll verstopft, um der internationalen Verständigung einen Riegel vorzuschieben.

Ich bin dankbar, dass ich kein Botnetprogramm geschrieben habe, um fremden Menschen das Bankkonto zu leeren, obwohl ich nichts über die jeweilige Situation dieser Menschen weiß...

Auch die reichen Drogenhändler fallen mir ein, aber genug. Ich kann hier nicht alle Bosheiten dieser Welt wiedergeben.

Übrigens: Falls eine der oben aufgezählten Fiesheiten auf Sie zutreffen sollte, bitte nicht verzagen. Auch für Sie gibt es einen Trost: Sie können dankbar sein, dass nur eine dieser Gemeinheiten Ihnen zu eigen ist.

Sehen Sie. So kann jeder etwas haben, worüber er sich freut.

Ja, die Nullen sind nicht mehr zu ändern. Es waren wahrhaft „naughties“, und noch mache ich mir keine Gedanken über einen Namen fürs nächste Jahrzehnt.

Alles in Butter, Mutter? Das habe ich meine Frau neulich gefragt. Wie immer tut sie, als habe sie meine lahmen Wortspielereien gar nicht mitgekriegt.

Mein Sohn hingegen anwortete gleich: „Wo ist der Kater, Vater?“ Ja, das hat er gesagt. Ich glaube, es steckt was Geheimnisvolles in seinen Worten. Egal. Ich mache heute Schluss.

Auch die Antisprache will etwas mitteilen

Habe ich Ihnen schon erzählt, dass ich manchmal mit den Toten rede?

Nein, keine große Kunst. Das kann jeder. Man darf es nur nicht mit dem Kopf machen. Wie soll ich es Ihnen erklären? Um mit den Toten zu reden, verwendet man die Hände oder die Rippen usw. als Sprachmodul. Der Kopf bleibt stets außen vor.

Wenn Sie meinen, ich redete mit den Toten, bloß um Michael Jackson oder sonstigen ehemaligen Prominenten um ein Autogramm zu bitten, dann haben Sie sich geirrt. Neulich traf ich, z.B., auf Abu Mussab al-Sarkawi. Können Sie sich an ihn erinnern? Seinerzeit galt er als der Oberbrutalo aus Jordanien, der in Irak diverse Menschen vor laufender Kamera mit seinem Schlachtermesser enthauptet hat. Bevor er sein jeweiliges unschuldiges Opfer ermordete, hat er aber stets einen ellenlangen Schrieb vorgelesen – irgendeinen Text über Gerechtigkeit usw. nehme ich an. Allein die Tonlage hat mich immer an die drögen Manifestos der KPD denken lassen.

Längst hat sich Al-Sarkawi von diesen Dummheiten distanziert. Trotzdem kann er das, was geschehen ist, nicht ungeschehen machen. Das weiß er, und er legt Wert darauf, dass auch wir es wissen. „Und stell dir vor“, sagte er mir in der Sprache der Toten (die ganz anders klingt als die unseren), „ich habe gemeint, es warten zweiundsiebzig Jungfrauen auf mich. Es gab nicht einmal eine einzige!“

Es war diese Unterhaltung mit Al-Sarkawi, die mich auf Gedanken über die Antisprache gebracht hat. Auch Al-Sarkawi hat sich ihrer seinerzeit eifrig bedient.

Wie soll ich die Antisprache am besten erklären? Sie verhält sich zur Sprache wie das schwarze Loch zur Materie. Eine Negation aller Kommunikation also.

Ich behaupte, dass sie heutzutage geradezu wuchert. Und ich weiß auch, warum es so ist. Die Antisprache setzt sich nämlich nur zu ganz bestimmten Zeiten richtig durch. Meistens sind das Übergangszeiten, wie die unsere sicherlich auch eine ist. Immerhin: Wir stehen ganz am Anfang eines Zeitalters, in dem die globale Kommunikation verwirklicht wird wie noch nie zuvor. Denken Sie ans Internet. Auch wenn die Hauptstadt der elektronischen Kommunikation momentan noch „WehWehWeh“ heißt, wird an ihr täglich weiter gebaut und gewerkelt. Irgendwann bekommt sie einen nagelneuen Namen, der weniger schmerzlich klingt.

In China, Nordkorea, Iran usw., wo die Antisprachler herrschen, zumindest vorläufig, forscht man zwar eifrig nach Wegen, die neuen Kommunikationsmöglichkeiten in Ketten zu legen. Der Versuch ist aber zum Scheitern vorverurteilt. Das wissen die Antisprachler freilich so wenig, wie das schwarze Loch es versteht, wenn man ihm erklären würde, man trage gerne bunte Farben.

Und ich denke an die Spammer, Handlanger weit verzweigter Mafias, die verzweifelt nach einer neuen Rolle für die organisierte Kriminalität in einer vernetzten Welt suchen.

Und die Terroristen, die willige Idioten wie Umar Faruk Abdulmutallab oder Richard Reid nutzen, um Flugzeuge in die Luft zu sprengen. Nebenbei: Nicht von ungefähr wollen sie Flugzeuge zerstören. Denn ein Flugzeug dient buchstäblich der Vernetzung der Welt.

Der Witz: Die Antisprachler sind nicht weniger von der Sprache abhängig als alle anderen Menschen. Würden sie die Kommunikationskanäle tatsächlich zerstören, so hätten sie sich selbst zerstört. Komisch, nicht wahr? Das machen auch Krebszellen. Und Ebola.

„Du, Sprachbloggeur“, sagte mir Al-Sarkawi, „Ich glaube, der Engel Gabriel hat mit mir geredet.“

„Ach! Das klingt ja vielverheißend. Was hat er dir erzählt?“

„Ich weiß es nicht. Ich habe ihn leider nicht verstanden. Ich glaube, er hat Hebräisch gesprochen.“

Ein gutes 2010: allen.

Zu Weihnachten schenke ich China tausend bunte Zungen!

Es weihnachtet, aber ich denke nur an Zungen.

In vielen Sprachen – z.B. im Englischen – bedeutet dieses Wort nicht nur das fleischige Organ im Mund, sondern „Sprache“ schlechthin. Das weiß doch jeder. Nur im Deutschen ist es anscheinend nicht so – außer vielleicht in Verbindungen wie „spitze“, „lose“, „böse“ usw. Zunge.

Mein Schicksal ist es in der Schwiegermuttersprache, also in der „German tongue“, zu schreiben, was für mich persönlich bedeutet: „englische Zunge“ ade. „Englische Zunge“. Klingt wie eine Krankheit oder vielleicht etwas aus dem Feinkostgeschäft.

Mmmmm, Zunge! Als Kind habe ich geräucherte Zunge für mein Leben gerne gegessen – vor allem als Sandwich auf Mischbrot und mit scharfem Senf. Schmackofatz.

Irgendwie unbeschreiblich die Beschaffenheit des Zungenfleisches, weil weich (ohne Fasern) und fest zugleich. Genau wie die Sprache!

Wieso beschäftigt mich heute  die Zunge so sehr? Weil ich neulich in der International Herald Tribune einen Kommentar mit dem Titel „Words on trial in Beijing“, also „Worte in Peking vor Gericht “, gelesen habe.

Es ging um die üblichen Scheußlichkeiten zum Thema Redefreiheit in China. In diesem Fall das Schicksal des Liu Xiaobo, 48 Jahre alt. Seit der grausamen Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 am Platz des Himmlischen Friedens hat es Herr Liu nicht einfach. Er setzt sich immer wieder für die Redefreiheit ein und hat deshalb schon mehrere Jahre im Gefängnis verbracht. Nun drohen ihm wieder fünfzehn Jahre hinter Gittern, weil er 2008 Gründungsmitglied der „Karta 08“ wurde. O-Ton Karta 08: „Wir sollten die Redefreiheit, die Pressefreiheit und die akademische Freiheit universal machen, um zu gewährleisten, dass Bürger informiert bleiben und ihre politische Kontrollfunktion ausüben können…“

Starker Tobak in China.

(„Karta 08“. Der Name lässt an „Karta 77“ denken. Erinnern Sie sich noch an diese Menschenrechtsbewegung in der damaligen Tschechoslawakei? Längst haben die Gründungsmitglieder der „Karta 77“ führende Rollen in der Tschechischen Republik übernommen. Vielleicht wird der momentan malträtierte Herr Liu eines Tages Präsident Chinas?)

Aber zurück zu den Zungen. Im selben IHT-Kommentar erzählt Autor, Jonathan Mirsky, Journalist und Chinaexpert, vom Schicksal der mutigen Zhang Zhixin. Frau Zhang, 1930 geboren, hat ihrerzeit sehr gelittten. Weil sie die Übermacht Maos in Frage gestellt hatte, musste sie lange Gefängnissstrafen absitzen. Als sie 1975 schließlich zum Tod verurteilt wurde, hat man ihr vor der Hinrichtung, so Mirsky, die Stimmbänder durchgeschnitten. Das sollte sie daran hindern, im letzten Augenblick Unpatriotisches zu artikulieren. Die Zunge sollte buchstäblich verstummen.

Ich kann für die Wahrheit dieser Geschichte allerdings nicht bürgen, denn ich habe auch Varianten gelesen. Trotzdem ein starkes Bild. Nebenbei: Im heutigen China wird die Hinrichtung Frau Zhangs auch ex officio als Verbrechen gesehen.

Frau Zhangs Schicksal hat mich aber an die ideologischen Streitigkeiten in der frühen Kirche erinnert. Leider habe ich die Details vergessen. Es ging jedenfalls um hitzige Auseinandersetzungen, ob, zum Beispiel, Jesus „gottähnlich“ oder „gottgleich“ sei oder um Formulierungen im Glaubensbekenntnis. Ich erinnere mich nur, dass die Anhänger der einen Meinung die Anhänger der anderen Meinung endgültig zum Verstummen gebracht haben, indem sie ihnen die Zungen herausschnitten. Auch ein unvergessliches Bild.

Und noch ein Gedankensprung: Ich denke an die Ausrottung der Omaijaden durch die Abbasiden um das Jahr 750. Wenn ich die Fakten noch richtig im Kopf habe, hat Abbas (Gründer des neuen Kalifats) die Rivalen des bisherigen Omaijadenkalifats zu einem Versöhnungsfest eingeladen, in dessen Verlauf er allen Omaijaden die Kehle durchschneiden ließ. In diesem Fall ging es freilich nicht um die Redefreiheit, sondern allein um die Macht .

Aber genug der Gruselgeschichten, die ich ohnehin nur ganz verschwommen wiedergebe. Bald haben wir Weihnachten. Die Tage werden wieder länger, und das Licht deckt – wie immer – alles auf, was man in der Dunkelheit hätte verheimlichen können.

Wie sagt man „frohe Weihnachten“ auf Chinesisch?

Interview mit dem Spammerkönig

(Wir befinden uns im Büroraum einer sehr vornehmen Villa im südlichen Florida, USA.)

Spammerkönig (er sitzt hinter einem Schreibtisch so groß wie der Ammersee): Wie heißt er wieder, Wurm?

Wurm: Er nennt sich „Sprachbloggeur“ und trägt einen schwarzen Bodysuit und eine Maske.

Spammerkönig: Und was will der komische Kauz von mir?

Wurm: Er will Sie interviewen.

Spammerkönig: Interviewen? Das ich nicht lache. Wie hat er mich ausfindig machen können? Man liest über mich nicht in den Klatschkolumnen.

Wurm: Sein Freund Edward kenne alle Adressen von Internetsündern, hat er gemeint. Dazu sollen auch Sie zählen.

Spammerkönig: Erstaunlich, was sich die Leute einbilden. Nun bin ich richtig neugierig. Er soll herein. (dies geschieht) Nehmen Sie bitte Platz, Herr Sprachbloggeur oder wie immer Sie wirklich heißen, und bitte reden Sie laut. Wie Sie sehen, ist mein Schreibtisch so groß wie der Okeefenokee-Sumpf. Außerdem bin ich schwerhörig. Zuhören war ohnehin nie meine Stärke (lacht). Aber sagen Sie. Was kann ich für Sie tun. Entschuldigung. Wurm, bring uns eine Kanne Kamillentee. Ja, Herr Sprachbloggeur, ich hab’s mit dem Magen. Sie werden aber sehen, der Kamillentee schmeckt köstlich – vor allem ohne Zucker. Aber erzählen Sie mir bitte Ihr Anliegen.

Sprachbloggeur: Herr Spammerkönig…Herr Spammerkönig! Hören Sie? (der Spammerkönig nickt). Als Betreiber einer Sprachglosse im Internet möchte ich von Ihnen etwas über den Sinn von Spams erfahren.

Spammerkönig: Über den Sinn vom Spam? Eine interessante Frage, hat noch nie jemand gestellt. Sind Sie Kunde von mir?

Sprachbloggeur: Wenn mich die täglichen Spamangriffe der letzten Zeit zum Kunden machen, dann wohl ja.

Spammerkönig: Ach so! Jetzt verstehe ich. Ihre Internetseite wird in letzter Zeit verspammt. Kasinowerbung?

Sprachbloggeur: Nein Potenzmittel.

Spammerkönig: Ach ja. Die neue Kampagne. Stellen Sie sich vor: Billionenfach wird diese Botschaft in die Welt gesetzt. Ist das nicht schön? Ich muss Sie aber aufklären, Herr Sprachbloggeur. Sie sind kein Kunde von mir. Wären Sie Kunde, dann würden auch Sie von der neuen Kampagne profitieren, und Sie würden mir erst recht keine dummen Fragen stellen. Nein, Herr Sprachbloggeur, Sie sind lediglich Endverbraucher. Mich brauchen Sie also nichts zu fragen. Es hat mich sowieso gewundert, dass Sie zu mir gekommen sind. Besuchen Sie lieber den zuständigen Kunden, der Ihre Seite verspammt. Sie finden ihn in China oder Afrika. Vergessen Sie nicht, Ihren Dolmetscher mitzubringen (lacht).

Sprachbloggeur: Nun haben Sie mich ganz verwirrt. Trotzdem hoffe ich, Sie werden mir vielleicht den tieferen Sinn des Spams verraten. Täglich erhalte ich „Kommentare“ auf meiner Seite, die meine Beiträge keineswegs kommentieren. Es handelt sich ausschließlich um Werbung für verfälschte Potenzmittel. Wobei ich ein besonders ausgewähltes Publikum habe. Meine Leser kämen nie auf die Idee, auf Ihren Link zu klicken.

Spammerkönig: Ach jetzt verstehe ich Sie. Entschuldigen Sie mich bitte, wenn ich Ihre Naivität ausgiebig belache. Sie haben es offenbar noch immer nicht kapiert. Lieber Herr Sprachbloggeur, es geht mir nicht darum, ob der Leser Ihrer lächerlichen Seite auf den Link klickt. Sie scheinen keine Maske zu tragen, Herr Superheld, sondern Scheuklappen. Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass das, was ich anbiete, in Wahrheit eine Weltsprache ist? Jawohl! Eine Weltsprache! Ich beteilige mich an einem bahnbrechenden Unternehmen. Noch nie hat es jemand soweit gebracht wie ich. Das Tragische: Statt dafür Lob und Bewunderung zu ernten, werde ich von Ignoranten wie Ihnen nur kritisiert. Sie halten sich für einen Superhelden, aber in Wirklichkeit sind Sie von gestern, nein, von vorgestern! Schließlich haben wir den 21. Jahrhundert, Herr Superheld. Das muss Ihnen mittlerweile als Webseitenbetreiber aufgefallen sein. Oder? Jawohl, Information wird globalisiert, und ich bin derjenige, der die entsprechenden Kanäle ausbuddelt, damit man überhaupt in der Lage sein wird, sich global zu verständigen. Verstehen Sie immer noch nicht? Lieber Herr Sprachbloggeur, ich kann nur sagen: Wenn Sie die Hitze nicht ertragen, dann bitte raus aus der Küche! Ach! Schon ist der Wurm mit dem Kamillentee wieder da. Glauben Sie mir, Herr Sprachbloggeur, er schmeckt viel besser ohne Zucker.

(Der Sprachbloggeur verstummt und sucht momentan vergebens nach der passenden Antwort. Die findet er aber bestimmt noch…)

Warum sind "Arschgeigen" so teuer?

Kinder sind gerne derb.

Mit zehn Jahren spielte ich in meiner schönen Heimat der Bronx im zubetonierten Park neben der Stadtteilbücherei „punchball". Der Park war mit Holzbänken umringt. Auf diesen saßen die alten Frauen und die Mütter mit ihren Kinderwagen und aalten sich, während sie sich genußlich unterhielten, in der Sonne. Manche schauten uns beim Spielen gelegentlich zu. „Punchball“ ist in Deutschland kein Begriff.  Man musste vielleicht „Faustball“ sagen. Die Regeln sind dem „baseball“ entlehnt, mit dem Unterschied, dass man mit der Faust auf den Ball schlägt und nicht mit einem Schläger.

Nicht aus Gründen der Nostalgie hole ich diese Erinnerung aus dem Gedächtnis. Nein, so weich ist mein Hirn noch nicht, dass ich das Bedürfnis habe, in der Vergangenheit zu schwelgen. Ich habe mich an dieses Spiel im zubetonierten Park erinnert, weil ich während des Spielens für mein Leben gern fluchte. Aber wie! Ich war zwar erst zehn Jahre alt, aber ich verfügte damals wie alle Zehnjährige - trotz meines Engelgesichts – über einen sehr reichen Vorrat an den vulgärsten Vokabeln der englischen Sprache. Ich habe an diesem Tag wohl alle Register gezogen.

Die Erinnerung an das damalige Gechimpfe ist mir wahrscheinlich deshalb erhalten geblieben, weil mir ein Freund nach so einem Spiel berichtete, dass seine Tante, während wir spielten, auf der Bank gewesen sei und ihm hinterher gesagt habe: „Wer ist der Junge? Er sieht so nett aus, aber ihm soll jemand den Mund mit Seife auswaschen.“

Mir ist übrigens bis heute die Erinnerung geblieben, wie genussvoll ich an diesem Tag lauthals geflucht habe. Ja, daran kann ich mich genau erinnern. Und ich habe dabei gedacht: Das Leben ist soooo schön, wenn man so üppig fluchen kann. Ja, das habe ich damals gedacht.

Bis heute schimpfe ich gerne. Nicht allerdings so freizügig wie damals. Inzwischen habe ich ohnehin verstanden, dass man aus drei Gründen flucht: 1.) um Aggressionen zu bekunden, 2.) um Dampf zu lassen oder 3.) um Intimität auszudrücken. Jawohl. Ich halte das Schimpfen für eine Art Duzen. Im Englischen, wo wir zwischen „du“ und „Sie“ nicht formell unterscheiden, erst recht. Man verwendet Schimpfwörter im Gespräch nur, wenn man sich mit dem Anderen frei fühlt.

Auch meine Söhne fluchen, wenn wir Englisch sprechen, und zwar sehr fließend sogar. Immerhin haben sie einen Experten als Lehrer. Nur: Ihnen fehlt oft meines Erachtens das Gefühl für die passenden Situationen. So war es auch bei mir mit zehn Jahren. Meine Söhne sind aber schon junge Erwachsene. Doch weil sie in Deutschland leben, haben sie viel zu selten Gelegenheit, englischsprachige Gesprächssituationen zu erleben, um das Wissen um das korrekte Geschimpfe zu verinnerlichen. Aus diesem Grund sage ich ihnen manchmal: „Man wird es euch in Amerika und in England gleich anmerken, dass ihr keine ‚native speakers’ seid. Ihr habt die Kunst des Schimpfens nie richtig beherrscht. Ihr schimpft wie Fremdsprachler.“

Natürlich weiß ich, dass ich sie mit dieser Bemerkung nur ärgere. Aber ich denke, sie werden durch eine solche Kritik bewusster zu schimpfen lernen.

Erst in Deutschland habe ich allerdings erfahren, dass das Schimpfen auch einen Preis hat. Damit meine ich: Wenn Sie als Autofahrer den Vollidioten, der Sie geschnitten hat, als „Arschgeige“ oder „fieses Miststück“ beschimpfen, kann das ziemlich ins Geld gehen. Seit Jahren lese ich Texte über dieses Thema in der Boulevardpresse.

Neuerdings fand ich in der ADAC-Zeitschrift „Mobilität“ eine verbindliche Preisliste für gewisse derbe Beschimpfungen. (Grad passend zu Weihnachten! So kann man was Ungewöhnliches schenken!). „Fieses Miststück“ kostet, so habe ich, zum Beispiel, erfahren, 2.500 Euro. Ein stolzer Preis für so wenige Wörter. Dafür bekommt der Preisbewusste ein derbes „leck mich doch“ für bescheidene 300 Euro.

Nachdem ich diese Preisliste genau studiert hatte, war mir klar, dass ich die Logik des hier dargestellten Wertsystems nicht nachvollziehen kann. Für sage und schreibe 350 Euro darf man jemanden mit „Du armes Schwein, du hast doch eine Mattscheibe“ beschimpfen. „Am liebsten würde ich jetzt Arschloch zu dir sagen“ wird hingegen mit 1600 Euro geahndet. Worin besteht der Unterschied, bitte schön?

Oder: Ein „Du blödes Schwein“ bekommt man für 500 Euro, für eine „alte Sau“ blecht man 2.500 Euro – dies, obwohl beide Begriffe ums selbe Nutztier kreisen.

Nein, ich verstehe die markwirtschaftliche Grundlage für diese Wertvorstellungen nicht. Hat es vielleicht mit Angebot und Nachfrage zu tun? Ich meine: Gibt es mehr „blöde Schweine“ (daher billiger) als „alte Säue“? Schön wäre es, wenn mich jemand in dieser Sache aufklären könnte.

Zumal das Schimpfen in unserem zubetonierten Park in der Bronx stets kostenlos war.

P.S. Wie viel eine "Arschgeige" kostet, weiß ich nicht genau, war leider nicht auf der Liste. Bestimmt aber sehr teuer!

Zahlenmystik für Aufgeklärte

Mein Freund Eric war Wahrsager. Eines Tages sagte er mir: „Ich heiße nicht mehr ‚Eric’. Ab jetzt schreibe ich mich ‚Erich’.“

„Warum?“ fragte ich.

„Das hat mit der Numerologie zu tun“, erklärte er. „Wenn ich meinen Namen ohne ‚h’ schreibe, stehe ich unter dem Einfluss von Saturn, und der ist sehr restriktiv. Mit ‚h’ bin ich ein Kind Jupiters, expansiv also, was auch gut für die Geschäfte ist.“

Ich erzähle hier eine Geschichte aus lang vergangenen Zeiten, als das Wort „Information“ noch „Auskunft“ bedeutete. „Expand your brand“ war damals kein Ausruf, andere Firmen zu verschlingen und Tausende Mitarbeiter in die einstweilige Arbeitslosigkeit zu schicken. Den eigenen Markennamen expandierte man, indem man ihn lediglich neu buchstabierte.

Und genau das hat Eric getan. Ob ihm die neue Schreibart nutzte, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich aber, dass er sich auch mal „Erik“ nannte.

Vielleicht fragen Sie sich schon, was dieser Buchstabenzauber mit der Zahlenmystik zu tun hat. Entschuldigung. Ich habe Ihnen ein wichtiges Detail vorenthalten. Seit der Antike werden Buchstaben nämlich als Ziffern verwendet. Insbesondere waren es die Griechen, die diese Gepflogenheit damals verbreiteten. Das sah ungefähr so aus: „alpha“ = 1, „beta“ = 2, „gamma“ = 3 usw. Wahrscheinlich hatten sie diese Technik von den Phönizern übernommen.

Wenn man aber Buchstaben als Ziffern verwendet, kommt man schnell auf die Idee, auch ganzen Wörtern einen Zahlenwert zu geben. Ist doch logisch. Man braucht den Zahlenwert der Einzelbuchstaben lediglich zu summieren. Und nun sind wir bei der Mystik gelandet.

Denn gerade dies machten die Juden in der Antike. Höchstwahrscheinlich hatten sie diese mystische Kunst bei den Griechen abgeguckt. Sie nannten diese Zahlenmagie auf Hebräisch „gematria“, ein Wort, das vom griechischen „geometria“ abgeleitet wird.

Der Talmud ist vollgepackt mit numerologischen Verweisen. (Mit „Talmud“ ist eine umfangreiche Sammlung jüdischer religiöser Texte aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten gemeint). Beispiel: Das hebräische Wort „gewura“ („Stärke“), hat den selben Zahlenwert, 216, wie das Wort „arije“ („Löwe“). Nette Verknüpfung. Oder noch ein Beispiel: Das hebräische Wort „majim“ bedeutet „Wasser“, was, zusammenaddiert, die Zahl 640 ergibt. Nach der Bibel war Noah 600 Jahre alt, als die Sintflut kam, und es 40 Tage regnete. Auch nett.

Man kann in der Bibel endlos nach solchen Verknüpfungen jagen. Ein lustiges Spielchen auch. Was heißt Spielchen? Erinnern Sie sich an das Buch „Bibelcode“? Man kann auch mit der Zahlenmystik viel Geld erwirtschaften. Menschen zahlen gerne, wenn es um das Geheimnis das Lebens geht.

Letztendlich aber hat die Zahlenmagie keine so lange Tradition in unserer westlichen Kultur. Populär wurde sie erst im 15. Jahrhundert dank zwei Florentinern, Marsilio Ficino und Pico della Mirandola. Zu dieser Zeit strömten christliche Gelehrte in Scharen aus Konstantinopel nach Italien, um den neuen osmanischen Eroberern zu entfliehen. Mit im Gepäck hatten sie Stöße von griechischen Manuskripten, die sie vor den Osmanen in Sicherheit bringen wollten. Das war übrigens der Beginn einer Rückkehr der antiken griechischen Literatur nach Europa. Deshalb wird diese Zeit als „Renaissance“, „Wiedergeburt“, bezeichnet.

Die Gelehrten brachten aber nicht nur Seriöses mit. Mitunter hatten sie auch viel Schund, sprich „Hokuspokus“-Texte, aus Byzanz herausgeschmuggelt, Bücher die in den ersten ersten nachchristlichen Jahrhunderten entstanden waren, die man aber damals für Geheimschriften aus einer hehren Urzeit hielt. Auch Ficino und Pico zweifelten an der Echtheit dieser Texte nicht. Fast die ganze „New-Age“-Literatur der Gegenwart beruht auf den von Ficino und Pico kommentierten Ausgaben alter Fälschungen.

Mir fällt all dies ein, weil ich letzte Woche in der International Herald Tribune einen Artikel über den indischen Zahlenmystiker Sanjay B. Jumaani gelesen habe. Er scheint eine Marktlücke entdeckt zu haben. Er bietet seinen Kunden eine neue Schreibart für den eigenen Namen an – so wie Eric es mit sich selbst einst gemacht hat – , um ihnen dadurch zu neuem Glück zu verhelfen. Jumaani (ich nehme an, dass das doppelte „a“ nicht ganz zufällig ist) zählt auch viele Bollywood-Stars zu seiner Kundschaft. So machte er, zum Beispiel, aus dem Schauspieler Ajay Devgan (mir leider kein Begriff) „Ajay Devgn“. Auch bei Filmtiteln wird er manchmal zu Rat gezogen, um die Erfolgschancen eines Streifens zu erhöhen. So erhielt ein Film – ich zitiere aus dem Artikel von Vikas Bajaj in der IHT – statt „Singh is King“ den Titel „Singh is Kinng“.

Und wenn ich mich „Spraachbloggeur“ nenne? Nein, mir kommt das vor wie ein langes, buchstabiertes Gähnen.

Achtung: Sie befinden sich in der Vorkriegszeit des 21. Jahrhunderts

„Nun, ich bin Lichtung auf die Post über "Sex" zu lesen, "Geld" und "Einsamkeit". Sie sind gut.“ So hat sich ein Leser vor einigen Tagen in einem Kommentar beim „Sprachbloggeur“ ausgedrückt.

Ich meinte spontan, es handelt sich um einen englischsprachigen Menschen, der radebrechend versucht, mir eine Botschaft auf Deutsch zu schreiben. Aber was soll das bedeuten, dieses „Nun, ich bin Lichtung auf die Post…“?

Treuer Leser Rappelkopf hat mich, den geborenen Naivling, schnell aufgeklärt: Dieser Satz scheint, ich zitiere, „in der Trommel des Google-Translators zu heiß gewaschen und zu stark geschleudert worden zu sein.“

Natürlich! denke ich, und alle Hirnlichter leuchten bei mir auf einmal: ein Übersetzungsroboter! Wieso bin ich selbst nicht darauf gekommen?

Doch gewissenhaft wie ich bin, versuche ich nun trotzdem den Inhalt der Botschaft aus dem „Google-Translator“ auszubaldowern. Was könnte „Ich bin Lichtung auf die Post?“ für einen Sinn haben? Mir fällt gleich das „Jabberwocky“ ein, das Nonsensegedicht aus „Alice im Wunderland“ (die Christian-Enzensberger-Übersetzung dieses Werkes kann ich übrigens wärmsten empfehlen), weil „Ich bin Lichtung auf die Post“ wie lustige Nonsensepoesie klingt.

„Lichtung auf die Post“. Hmmm. „Lichtung“. Auf Englisch bedeutet dieses Wort „clearing“ oder „glade“. Aber: „I am clearing the posting about sex…usw.“ Das ergibt auf Englisch keinen logischen Sinn. „To clear a posting?“ Zu Deutsch in etwa: „einen Internetbeitrag („Posting“) ausräumen“ oder „lichten“. Das kann es auf keinen Fall gewesen sein.

Oder hat sich der „Kommentarschreiber“ vertippt? Hat er „glade“ geschrieben aber „glad“ gemeint? Hat er vielleicht „Now, I am glad to read the posting about…usw.“ schreiben wollen? Das heißt: Er freue sich nun, das Posting über…zu lesen. Wäre auch möglich. Allerdings: Das Komma nach „now“ irritiert mich, wirkt sinnlos in diesem Zusammenhang.

Noch eine Theorie: Der „Kommentarschreiber“ ist kein „native speaker“. Er hat also dem „Translator“ sein verhunztes Englisch gefuttert mit dem Resultat, dass das Programm Unsinn herausgespuckt hat. Wäre auch möglich.

Letztendlich sind all meine Theorien für die Katz. Und zwar aus einem einfachen Grund: Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass ich „Kommentarschreiber“ die ganze Zeit mit Anführungszeichen versehe. Fakt ist: Der Autor des „Kommentars“ wollte keinen Kommentar schreiben. Er ist lediglich einer aus dem großen Heer der Hausierer, die mit knurrendem Magen die Straßen der Wildweststadt WehWehWeh durchstöbern, um ihre Waren zu verhökern. Das erkennt man daran, dass er seinem Nonsensetext einen Link zu seiner Webseite eingebaut hat. Immerhin keine Kasino- oder Pornoseite.

Ja, so ist das Leben in der neuen, zersiedelten Großstadt WehWehWeh.

Nebenbei: Rappelkopf stellt die Frage, ob ich vielleicht etwas Allegemeines über Übersetzungsprogramme zu sagen hätte. Das ist aber eine sehr große Aufgabe, und ich bin selbst viel zu schlecht informiert, um eine fundierte Antwort zu geben, lieber Rappelkopf.

Dennoch melde ich meine Skepsis spontan an – nicht weil ich vorgestrig denke, sondern weil Computerprogramme stets nach der Logik eines Sachverhalts suchen, während Sprachen ausschließlich mit der Unlogik bestechen. Kleinkinder formulieren ihre Sätze stur wie ein Computer: ich komme, ich kommte, ich habe gekommt. Die Perfektionierung einer Sprache hat hingegen immer mit dem Erlernen von zahllosen Ausnahmen zu tun – und natürlich mit merkwürdigen Redewendungen aus vergangenen Zeiten. Sollten Computerprogramme eines Tages auf diesem hohen Niveau zu übersetzen vermögen, dann werden wir sie auch heiraten können.

Schon habe ich zu viel zu einem Thema gesagt, von dem ich zu wenig verstehe. Ich will lediglich ein Bild von kleinen Menschen malen, die andere kleine Menschen raubtierartig überfallen, weil sie nur auf ihre Kosten zu kommen  meinen. Vielleicht sind sie aber letztendlich selbst nur Opfer von sehr großen Tätern – ist fast anzunehmen. Aber nun wissen Sie wenigstens, warum wir in der Vorkriegszeit des 21. Jahrhunderts gelandet sind.

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