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Der Freund der Freundin der Freundin – ein Gedächtnisprotokoll

Ich habe den Namen längst vergessen und bin froh darum.

Er rief mich eines Tages – ich denke vor etwa zwanzig Jahren – an. Er war Amerikaner und erzählte mir, er habe meine Telefonnummer von Brenda bekommen. Er fragte, ob er  ein paar Tage bei uns wohnen könnte. Es war gerade Wiesnzeit, er war geschäftlich in München.

„Aber natürlich!“ sagte ich. „Wie geht es Brenda?“

„Bestens.“

„Was treibt sie heutzutage?“

„Sie arbeitet viel.“

Brenda war eine Lebensabschnittspartnerin meiner Jugend. Wir haben uns in San Franzisko kennen gelernt. Intimes werde ich hier nicht verraten. So etwas tue ich nur in meinen noch nicht erschienenen Büchern, dann aber ohnehin verschlüsselt und reichlich mit Fantasie vermischt.

Hier möchte ich es mit einer Anekdote bewenden lassen, in der sie überdies nur eine Nebenrolle spielt: Brenda war Anhängerin von EST, „Erhard Sensitivity Training“, ein damals - zumindest für Mr. Erhard - sehr lukratives „Human-Potential“-Geschäft.  Abertausende belegten die keineswegs billigen EST-Kurse in der Hoffnung – und jetzt muss ich kurz ins Englische wechseln: „to get it“, also „es zu kapieren“, „es zu begreifen.“ „Do you get it?“ war die Frage, „Hat es bei euch geschnackelt?“

Brenda schwärmte von EST. Ich war skeptisch. Wir hatten lange Diskussionen darüber. Einmal fragte sie, ob ich sie zu einem Einführungsseminar begleiten möchte, damit es auch bei mir schnackele. Ich sagte zu.

Die Veranstaltung fand in einem großen, edlen San Franzisko Hotel statt.  Am Eingang gab es ein Begrüßungsgetränk und dann wurde jeder nach dem Namen gefragt und bekam ein Namensetikett. Nur ich habe mich geweigert, meinen Namen an der Brusttasche zu tragen. Ich wurde schnell als „unkooperativ“ erkannt. Nach und nach wurde die große Menschenherde in einen Hörsaal getrieben. Dort sprachen diverse Redner (manche mit britischen Akzenten – was in den USA vornehm und exotisch klingt) über EST. Keine Ahnung, was sie sagten. Plötzlich erschien Mr. Erhard  mit großem "Hoppla" höchstpersönlich. Man erklärte uns, dies sei eine fantastische Überraschung. Denn der vielgereiste Gründer von EST war, wie es hieß, nur zufällig in der Stadt. Von Erhards Rede ist mir nur ein Satz im Gedächtnis geblieben . Er sagte, dass sich der Black-Panther-Führer Eldridge Cleaver längst zu EST bekannte. Aus dem Publikum hörte man ein „Uuuu!“ des Erstaunens. Dann fügte Erhard hinzu, dass Cleaver viel Zeit im Gefängnis – „behind bars“ auf Englisch, also „hinter Gittern“ – verbracht hätte, was sein Bewusstein erheblich erweitert hätte. Wieder „Uuuuu!“. Nun folgte die Bemerkung: „Auch mir sind Bars nicht fremd…“ Diesmal meinte er jedoch „Kneipen“. Es sollte ein Wortwitz sein. Und tatsächlich: Viele im Publikum haben gelacht.

Schließlich wurden wir in Gruppen eingeteilt. Ich weiß nicht mehr, ob Brenda und ich in der selben Gruppe waren. Ich erinnere mich nur daran, dass ich mich mit etwa 50 Personen in einem Raum befand und dass unser Kursleiter, jung, sehr männlich, braungebrannt und wortbewandt war.

Er redete  sage und schreibe zwei Stunden ohne Pause. Vielleicht war er auch unterhaltsam. Was er sagte, hat mich offenbar wenig beeindrückt. Denn ich weiß den Inhalt nicht mehr. Es ging irgendwie darum, dass wir „es begreifen sollten“.

Ich habe es jedenfalls sehr schnell begriffen. Denn ich musste immer dringender auf die Toilette. Nur: Man durfte den Raum nicht verlassen. Das gehörte zu den Grundregeln des Seminars. Ich war offensichtlich nicht der einzige, der auf die Toilette musste. Schließlich hatten alle das gleiche Begrüßungsgetränk konsumiert wie ich. Was ich begriffen habe: Das Bedürfnis, „es kapieren zu wollen“ wurde immer intensiver, je dringender ich mal musste. Nach zwei Stunden beglückte er uns mit einer hochtrabenden Platitüde, deren Inhalt ich gleichfalls nicht mehr weiß, die für viele aber  wie der Weisheit letzter Schluss klang. Dann entließ er uns in die Welt. Man strömte en masse in die Toiletten, um sich von der schweren Botschaft zu erleichtern.

Soviel über Brenda.

Ihr Freund wohnte  drei oder vier Tage bei uns. Wir gaben ihm zu essen, wir unterhielten uns mit ihm über dies und jenes. Komischerweise ist er meinen Fragen über das Befinden Brendas stets ausgewichen.

„Geht es ihr vielleicht nicht gut?“ fragte ich.

Kurz bevor er sich von uns verabschiedete, rückte er endlich mit der Sprache  raus: „Hör mal. Ich kenne Brenda nicht persönlich . Sie ist die Freundin einer Freundin. Ich habe eure Telefonnummer von meiner Freundin bekommen. Brenda hatte ihr gesagt, ich könnte bei euch anrufen, falls ich Schwierigkeiten hätte. Ich hatte keine Schwierigkeiten. Die Hotels waren mir aber zu teuer.“

Immerhin hat er meiner Frau vom Oktoberfest ein Herzerl mitgebracht, worauf „Mei Schatzerl“ zu lesen war. Nach einer Woche kam ein Päckchen aus Zürich, wo er auch geschäftlich zu tun hatte. Es enthielt zwei winzig kleine Schweizer Messer und eine Dankeschönkarte geschickt. Get it? Ich nicht. Ich weiß ohnehin nicht mehr, wie er hieß. Wenn ich es wüsste, könnte er heute mein „Facebook“-„Freund“ werden.

Gibt es einen Himmel und eine Hölle? Hier eine verbindliche Antwort!

Es dürfte vor etwa zehn Jahren gewesen sein, als ich Ethel wiederentdeckte. Es war auf der Bronx-Seite, einem Heimatforum im Internet. Die Bronx ist meine – und Ethels – Heimat.

Ethel und ihre Schwester Leni wohnten mit ihren Eltern ein Stockwerk tiefer als meine Familie. Da Ethel etwa neun Jahre älter ist als ich, hat sie als Babysitterin auf meinen Bruder und mich aufgepasst. (Notabene: Der Name „Ethel“ ist Angelsächsisch und bedeutet „adel“, ist allerdings aus der Mode gekommen). Ich kann mich an diese Zeit nur sehr dunkel erinnern, z.B., wie ich eines Nachts Kopfweh hatte und elendiglich jammerte. Das arme Mädchen war überfordert, musste ihren Vater holen, der mir damals wie ein deus ex machina vorkam und mir eine halbe Aspirintablette verabreichte. Damals wusste man noch nicht, dass Aspirin unter seltenen Umständen für Kleinkinder lebensgefährlich sein kann. Egal. Ich erzähle hier nicht die Geschichte eines Schmerzmittels (obwohl sie nicht uninteressant ist). Ich möchte vom Wunder des Internets berichten.

Denn als ich Ethel wiederentdeckte, hatte ich  seit über vierzig Jahren keinen Kontakt mehr zu ihr gehabt. (Für Leser unter 35 folgender Hinweis: Vierzig Jahre sind wirklich nicht so viel Zeit – zumindest nicht, wenn man sie mit Erinnerungen füllen kann).

Wie soll ich dieses Ereignis beschreiben? Das WehWehWeh, dieser Sündenpfuhl, diese Informationswildnis, dieser wilde Westen für postpostmoderne Kaufmenschen, ist zugleich ein Sinnbild für das Leben nach dem Tod.

Damit meine ich: Alles findet sich wieder. Was längst als verschollen galt, ist plötzlich wieder da. So war es, zum Beispiel, im Fall von Ethel und mir. Die Biographie eines jeden Einzelmenschen wird im Internet globalisiert, anderen zugänglich gemacht. Die Spuren (fast) aller Menschen, die jemals eine Rolle im eigenen Leben gespielt haben, findet man wieder, egal wo sie sich momentan aufhalten. Das Internet kennt keine geographischen oder sonstigen Grenzen.

Als ich Ethel vor zehn Jahren wiederentdeckte, war diese Art von elektronischem Erlebnis noch immer ein Novum. Heute im Zeitalter des „Social Networking“ ist es zur Alltäglichkeit geworden. Allein „Facebook“ zählt weltweit 500 Millionen „Mitglieder“. (Ich bin nicht eins von ihnen, das ist aber eine andere Geschichte – die ich bereits geschrieben habe – siehe „Big Facebook is watching YOU!“). Dennoch habe auch ich manchmal neugierig nach den Spuren alter Liebschaften, Freundschaften und Feindschaften im Gesichtsbuch herumgeschnuffelt.

Im Leben nach dem Tod will man freilich nicht jeden Menschen, mit dem man einst die Schulbank gedrückt hat, wiedersehen. Wozu auch? Man geht nunmal verschiedene Wege im Leben. Man hat einander oft viel zu wenig zu sagen. Die „guten alten Zeiten“ zu feiern, wird schnell zur grausamen Öde. Mit Ethel ist das übrigens anders. Sie ist wie Familie. Wir schreiben uns regelmäßig und erzählen uns ausschließlich aus der Gegenwart.

Soviel zum Leben nach dem Tod. Nun eine ganz andere Sinngebung für das WehWehWeh, auf die ich erst seit ein paar Tagen gekommen bin.

Kollege Jeffrey Rosen hat im „New York Times Magazine“ einen äußerst interessanten Text über das „Social Networking“ veröffentlicht, in dem er auf eine neue digitale Gefahrenzone hinweist. Nämlich: Das Internet vergisst nichts. Das heißt: Auch Jahre nachdem man einen blöden Text oder ein peinliches Bild ins Netz geschickt hat, geistert dieser Abklatsch des Gewesenen fürderhin herum. Das kann auch Konsequenzen nach sich ziehen.

Rosen berichtet, zum Beispiel, von der jungen Lehrerin, die vor fünf Jahren, als sie fünfundzwanzig war, ein freizügiges Party-Foto mit kühnem Spruch ins Netz hochgeladen hatte. Ausgerechnet wegen dieses Bildes wurde ihr aber neulich die Zulassung als Lehrerin verweigert. Eine dumme Geschichte. Für mich aber der Hinweis, dass das Internet vielleicht als Abbildung der Menschenseele herhalten könnte.

Damit meine ich: Das Internet ist, wie die Menschenseele, ein enormer Speicher. Nichts, was jemals eingeprägt wurde, wird wieder gelöscht, höchstens verdrängt oder vergessen. Jegliche Belanglosigkeit aus der Vergangenheit, ja jedes Verbrechen, das einmal „gespeichert“ wurde, besteht weiter, auch wenn man diese lange nicht beachtet.

Bestimmt haben Sie die Erfahrung gemacht: Wie aus dem Nichts erinnern Sie sich plötzlich an etwas, was lange verschüttet war. Ja, es ist alles vorhanden. Alles. Meine Theorie: Das Gehirn ist ein Filter, dessen Aufgabe es ist, das Vergessen zuzulassen. So gesehen, ist das, was wir „Bewusstsein“ nennen, lediglich ein filtriertes Erinnern.

Die Toten werden aber zu gehirnlosen Wesen. In diesem Zustand verfügt die Seele über kein Filter mehr. Mit der Folge: Nichts bleibt ihr verborgen. Ein Vergessen ist nicht mehr möglich. Wer braucht Himmel und Hölle, wenn man das eigene Gedächtnis hat?

Zugegeben: Ich spekuliere nur. Schließlich bin ich aber Schriftsteller, und das Spekulieren ist nun mal mein Geschäft.

He! Dieter Bohlen*! Deutschland sucht eine Redewendung!

„FBI und Aussenministerium in Washington zürnen der Regierung in Larnaka, dass diese ausgrerechnet den dicksten Fisch des Agentenrings vom Haken gelassen hat.“

Ein Zitat aus der Schweizer Weltwoche (zu bemerken: kein Eszett!). Vom Kollegen Matthias Rüb geschrieben.

Manche Leser werden diesen Satz einfach so über sich ergehen lassen. Denn er klingt ganz normal und ist auch bildlich, was ihn schön macht. Ich hingegen bin gleich drüber gestolpert.

Es geht um das „vom Haken gelassen“. Nach kurzem Stutzen habe ich diese drei Worte ins Englisch rückübersetzt. Gleich fand ich meinen Verdacht bestätigt: Es handelte sich um das Idiom „to let someone off the hook“ , das einst aus der Anglersprache entlehnt wurde und heute im übertragenen Sinn „jemanden herauspauken“ oder „jemanden davonkommen lassen“ bedeutet. Etwa: „The judge could have sent him to prison for ten years, but he let him off the hook.“

Neugierig googelte ich „vom Haken lassen“, um zu eruieren, ob sich das oben entdeckte deutsche Pendant nur mir unbekannt war. Und siehe: Man findet es im online Wörterbuch „dict.cc“ als deutsches Idiom. Aber hold your horses (das heißt: Keine voreilige Schlüße ziehen):

In der Badischen Zeitung vom 29. August 2009 entdeckte ich folgenden Satz: „Dank ihm kann der Angler den Fisch – wie in diesem Fall – wieder unbeschadet vom Haken lassen.“ In diesem Fall kann man die Wendung nur wörtlich verstehen. D.h.: Der Haken ist ein Haken, der Fisch ein Fisch. Gleiches gilt auch für ein Beispiel des Tamalan Theaters: „Einen sprechenden Butt sollte man gleich wieder vom Haken lassen, erst recht, wenn er Wünsche erfüllen kann.“ Fazit: Auch ein sprechender Butt ist nur ein Fisch, den man fangen kann.

Aber nun bin ich auf folgendes Beispiel in der Süddeutsche Zeitung gestoßen: „Rechtzeitig vom Haken lassen“, lautete eine Überschrift vom 24. Oktober 2006. Und weiter: „Autos mit Katalysator sollten nicht zu lange "angeschleppt" werden.“

Merken Sie sich diese Sätze genau. Sie sehen hier womöglich den Geburtsmoment eines wahrhaften Idioms. Der Autor hat sich ein Wortspiel erlaubt (so was machen gelangweilte Journalisten gerne); er will den Abschlepphaken mit dem Anglerhaken unter einen Hut bringen. Haken also im übertragenen Sinn. Zum Vergleich folgendes Beispiel aus einem juristischen Text: „Der Abschleppunternehmer muss daraufhin das Fahrzeug wieder vom Haken lassen…usw.“

Und schlussendlich ein Text  der „Österreichisch Kubanischen Gesellschaft“ (ÖKG) vom August 2004. Es geht um einen jungen Mann namens Sherman Austin, der damals wohl Probleme mit der amerikanischen Justiz hatte. Zitat: „Der Staatsanwalt wollte ihn nicht mehr "vom Haken" lassen.“ Notabene. Der Autor von der ÖKG setzt sein „vom Haken“ in Anführungszeichen. Was nur bedeuten kann, dass es für ihn noch ein exotisches Idiom ist.

Insgesamt becircte Google mit ca. 20.000 Treffer für mein Stichwort. Ich habe freilich nur wenige unter die Lupe genommen (nehmen wollen). Trotzdem bin ich überzeugt, dass wir es hier mit der Geburt eines Idioms zu tun haben.

Puristen werden stöhnen: „Schon wieder Denglisch!“ Aber so what. Ich bin der Meinung, das „jemanden vom Haken lassen“ eine schöne Bereicherung für die deutsche Sprache werden wird.

Als Ausgleich erkläre ich mich bereit, ein deutsches Idiom ins Englische hineinzuschmuggeln. Wie wäre es mit „He doesn’t have all his teacups in the cupboard“? Sie sollten aber wissen: Mein Einfluss auf die englische Sprache ist seit vielen Jahren sehr gering geworden und schwindet ob meiner deutschen Lebensweise weiterhin zusehends dahin.

Es würde sicherlich helfen, wenn „vom Haken lassen“ mal prominente Unterstützung bekäme. Ich schlage Dieter Bohlen als Paten für dieses nette neue Idiom vor. Er könnte, zum Beispiel, dem angehenden Hiphop-Tänzer oder der coolen Sängerin sagen: „Du hast mich nicht ganz überzeugt, aber diesmal lass ich dich vom Haken. Du kommst in die nächste Runde.“

Im Nu würde sich dieses neue Idiom ausbreiten wie Mehltau im feuchten Keller.

*Für Sprachbloggeurleser im Jahr 2040 folgender Hinweis: Dieter Bohlen war ehemals ein Entertainer in der Popszene. Der Name war einst sehr bekannt.

Warum mir das Kiefergelenk wehtut

Die Selbstdarstellung ist für den Schriftsteller wie der Striptease für die Reeperbahnkneipe: Es geht darum, die Hüllen fallen zu lassen.

Aus diesem Grund möchte ich von meinem Kiefergelenk erzählen.

Ich bin den Zahnärzten schon länger ein Ärgernis. Denn ich kann bei bestem Willen den Mund nicht weit aufmachen, ohne dass es mir wehtut. Leidensgenossen werden diesen Zustand sicherlich nachempfinden können.

Oft vernimmt der Neben-mir-Stehende, wenn ich den Mund aufmache, ein hörbares Knacksen, was für ihn wohl so unangenehm klingt wie das Kreischen der Kreide auf der Schiefertafel. Seit Jahren lebe ich mit der Angst, dass sich das Gelenk eines Tages beim Gähnen plötzlich ganz aushängen könnte. Mit dem Ergebnis: Ich würde den Mund nicht mehr zumachen können. Ein Alptraum für einen Schriftsteller. Denn die verschlossene Stille zwischen den Worten ist für ihn wie die Nachtruhe für die Blumen.

Ich habe Zeiten erlebt, wo ich nicht in der Lage war, Hartes zu kauen, ohne höllische Schmerzen zu empfinden. „Sie dürfen nur Weiches essen“, sagte mir einst ein Zahnarzt. „Sie müssen sich vorstellen: Wenn Ihr Kiefergelenk ein Ellenbogen oder ein Knie wäre, würde ich den kranken Teil als Arzt ruhig stellen, in Gips einpacken. Das kann man aber mit einem Kiefergelenk leider nicht machen, denn schließlich müssen Sie essen – und vielleicht auch reden, hihi.“

Zwei Wochen habe ich mich ausschließlich von weichen Kartoffeln, Haferschleim, Reis und Fisch ernährt. Nachts trug ich einen Beißring – mir kam der Fremdkörper im Mund vor wie ein Würgring.

Seit Jahren ertrage dieses Leiden mit Würde. Es bleibt einem Leidenden ohnehin nichts anderes übrig. Jeder hat seinen Schwachpunkt, so denke ich. Der meine ist halt der Kiefer.

Doch nun endlich weiß ich, woher ich diese Schwäche habe. Denn eins ist sicher: Es handelt sich in meinem Fall nicht um eine Erbkrankheit. Weder mein Vater noch meine Mutter haben unter einer derartigen Maladie gelitten. Auch mein Bruder nicht und ebenso wenig meine Großeltern.

Warum ausgerechnet ich? Die Antwort wird Sie überraschen.

Weil ich seit Jahrzehnten zwischen zwei Sprachen lebe. Genauer gesagt: Ich spreche täglich ebenso viel Englisch wie Deutsch. Was hat das für eine Bewandtnis, fragen Sie sich vielleicht?

Ganz einfach:

Diese zwei Sprachen beanspruchen die Kiefermuskulatur auf sehr unterschiedliche Weisen. Wenn man Deutsch spricht, wird der Kiefer überproportional nach vorne geschoben. Ist Ihnen wahrscheinlich nicht so ganz bewusst. Fakt ist aber: Die Sprachtätigkeit des Deutsch Sprechenden spielt sich häufig im Lippenbereich ab. Merke ich da eine gewisse Skepsis? Na schön. Sprechen Sie dann folgenden Satz vor: „Bübchen hat die Torte in die Tüte verstaut, und nun ist sie ganz matschig geworden.“

Habe ich recht, oder habe ich recht? Vorne laboriert der Mund, und man schürzt dabei die Lippen ungemein viel.

Wenn ich hingegen Englisch spreche, geschieht genau das Gegenteil. Englische Vokale tönen nämlich breiter und länger als die deutschen. Es spielt sich folglich Weniger im vorderen mündlichen Bereich ab. Die Lippen werden von daher weniger gespitzt. Die Kiefermuskulatur wird hauptsächlich hinten beansprucht. Hier ein Beispiel: „I’m a happy guy, and I’m having lots of fun.”

Bedenken Sie: Täglich wechsele ich zwischen diesen zwei Arten der sprachlichen Muskelbeanspruchung. Es kann nicht gut funktionieren. Armes Kiefergelenk.

Übrigens: Ich zähle Französisch zu den Kiefer-vorne-Sprachen (wie Deutsch), Spanisch hingegen zu den Kiefer-nach hinten-Sprachen (wie Englisch). Ich will hier aber keine Doktorarbeit schreiben. Das überlasse ich lieber einem anderen Kenner der Materie.

Ist Sex eine Krankheit?

Sexpille für Frauen: Nein, danke. So ungefähr lautete neulich eine Schlagzeile in der International Herald Tribune (18. Juni). Im Ernst.

Normalerweise überspringe ich Storys über Sexpillen. Das kommt vor, wenn man älter wird. Man findet die langweiligen Gesprächsrunden im Fernsehen allemal interessanter als „Big Brother“.

Doch diese Überschrift hat mich neugierig gemacht, und ich habe den Text fast bis zum Schluss gelesen.

Nun weiß ich, dass ein gewisser deutscher Pharmariese (Meine Devise: Ohne Honorar keine Schleichwerbung) auf die erwähnte Wunderpille ganz zufällig gestoßen ist. Der IHT zufolge hat sie allerdings noch ein paar – nennen wir sie – „Nebenwirkungen“. Nichts Ernstes. Man leidet nach der Einnahme lediglich unter Schwindel, Übelkeit und Mattheit. Aber bitte, was tut man nicht für ein tolles Sexleben?

Offenbar tut man wenig, zumal wenn „man“ Frau ist.

Es stellt sich nämlich heraus, dass viele Frauen das Dogma vom unteraktiven Sextrieb nicht hinnehmen wollen. Sie entgegnen, dass der Geschlechtstrieb etwas völlig Individuelles sei: Der (bzw. die) eine will mehr, der/die/das andere will weniger.

Klingt eigentlich nachvollziehbar.

Wussten Sie, dass die sexuelle Unteraktivität zu den „Geisteskrankheiten“ zählt? So jedenfalls dem „Statistical Manual of Mental Illnesses“ zufolge. In diesem Werk wird sie als „hypoactive sexual desire disorder“, etwa „unteraktive sexuelle Begierdekrankheit“ aufgeführt.

Notabene: Das „Statistical Manual of Mental Illnesses“ gilt für die Psychiatrie und für die Versicherungen quasi als Bibel. Das, was das SMMI für krankhaft hält, soll man also als unwiderruflich krankhaft verstehen.

Nein, nicht ganz. Vor einigen Monaten las ich– auch in der IHT (leider habe ich den Artikel längst verschlampt) Folgendes: Das sogenannte Asperger Syndrom, das als abgemilderte Form des Autismus gilt, wurde neuerdings vom SMMI gekippt. Man habe nämlich festgestellt, dass ein krankhafter und ein – sagen wir – normaler Autismus nicht so ohne Weiteres auseinanderzuhalten seien. Es gibt nun also eine Krankheit weniger auf der Welt.

Man sieht: Krankheiten kommen, Krankheiten gehen. Hermann Göring hätte dazu gesagt: „Wer krank ist, bestimme ich.“ Das hat er freilich nie so gesagt. Sein Satz lautete: „Wer Jude ist, bestimme ich.“

Und jetzt ein nagelneuer Begriff: „disease branding“. Das bedeutet so viel wie „eine Krankheit in einen Markennamen verwandeln“. Das heißt: Man kann aus Zuständen nach Belieben Krankheiten machen. Das gilt nicht nur für die sexuelle Unteraktivität. Auch die Homosexualität wird zuweilen als „Krankheit“ bezeichnet, die man „heilen“ kann. Zum Beispiel in Indonesien – und bis vor etwa vierzig Jahren im Abendland. Seit Jahrzehnten ist das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom zur Modekrankheit geworden – erst in den USA und jetzt auch in Europa.

Erinnern Sie sich noch an die hysterische Paralyse? Die hat Freud in die Welt gesetzt. Ein Gewinn für Hollywood. Es gab schöne Filme über hysterische Paralytiker, die sich verlieben und dann wieder normal werden. Inzwischen hat das Interesse einigermaßen nachgelassen. Die Zahl der hysterischen Paralytiker ist in den letzten Jahren stark rückgängig geworden.

Will ich hier etwas Wichtiges sagen? Wahrscheinlich nicht. Jeder soll Sex und Krankheit auf seine Art genießen. Wählen Sie Ihre Ärzte aber mit Sorgfalt aus, und gute Besserung – egal, ob Sie krank sind oder nicht.

PS - Hier in eigener Sache: Die nächsten zwei Wochen werden höchstwahrscheinlich keine Beiträge von mir erscheinen. Ich mache (endlich!) wieder Urlaub. Wer weiß? Vielleicht tauche ich in Ihrer Gegend auf. Stets auf der Suche nach Schillerndem aus der Welt der Wirklichkeit. Bis bald. Ihr Sprachbloggeur.

Der Sprachbloggeur ist amüsiert

Frau Merkel war nicht amüsiert.

Stört Sie dieser Satz? Ich habe ihn letzte Woche (womöglich leicht abgewandelt) in den ZDF-Nachrichten gehört.

Ich habe gleich geseufzt.

Warum war Frau Merkel nicht amüsiert? Ich weiß es nicht mehr. Wahrscheinlich spielten die Gurkentruppen, Wildsäue und Rumpelstilzchen der vergangenen politischen Polterwoche eine Rolle.

(Notabene: Über die Gurkentruppen, Wildsäue und Rumpelstilzchen habe ich hier nichts zu sagen außer Eins: Die Politik war schon immer ein fruchtbarer Schauplatz für das schöpferische Schimpfen).

Aber weiter: Am Wochenende las ich in der FAZ ein Interview mit Frau Merkel. Die Reporter, Günter Bannas und Berthold Kohler, stellten folgende Frage: „In Frankreich ist man über das ‚größte Sparpaket in der Geschichte der Bundesrepublik’ nicht amüsiert…“etc. Welcher der beiden Reporter, die Frage stellte, die ich hier nur teilweise wiedergebe, ist mir unbekannt.

Ich habe schon wieder geseufzt.

Warum?

Weil ich vor zwanzig Jahren einen Artikel für die Münchener Abendzeitung geschrieben habe, in dem folgender Satz vorkam: „Die Queen war nicht amüsiert.“ Leider weiß ich nicht mehr, was der übrige Inhalt des Artikels war. Dieser eine Satz bleibt mir aber im Gedächtnis eingebrannt.

Warum?

Weil mir der zuständige Redakteur sagte: „Das können wir auf Deutsch nicht ohne Weiteres so stehen lassen, Herr Blumenthal. ‚Amüsieren’ hat in unserer Sprache eine ganz andere Bedeutung. Man ‚amüsiert sich’. Man lenkt sich also mit Heiterem ab. Oder man macht sich über einen anderen lustig. Vielleicht sollten wir es in Ihrem Text ein bisschen anders formulieren. Wir schreiben: ‚Die Queen war nicht amused’. Dann versteht jeder, was gemeint ist.“

Und so geschah es auch. Meine Queen war „amused“, durfte also nicht „amüsiert“ sein. Ich wiederum war weder amused noch amüsiert, sondern nur verdutzt. Ich meinte: Schon wieder bin ich über einen „falschen Freund“ (damals noch kein Begriff) gestoßen. Ich werde diese Sprache nie beherrschen lernen.

Typisch Ausländer: Wenn er die Fremdsprache mit Neuem, Dreistem beglücken will, wird seine Kreativität von den anderen als „Fehler“ gedeutet. Der Muttersprachler wiederum kann so falsch reden wie er will, und es fällt kaum auf. Seine Neologismen können sogar beflügeln.

Ich weiß nicht, welcher Deutsch-Muttersprachler als Erster „amüsieren“ (im englischen Sinn) ins Deutsche eingeführt hat. Ist doch egal. Fest steht: Eine Sprache ist wie eine Naturkatastrophe, sie kümmert sich nie um Urheberrechte. Auf jeden Fall: Wenn ich heute meinen damaligen Text der AZ anböte, wäre ich der damaligen Belehrung nicht mehr ausgesetzt. (Oder der Redakteur würde mir sagen: „Mir kommt dieses ‚amüsiert’ ein bisschen abgedroschen vor. Vielleicht versuchen wir es mit ‚amused’. Klingt allemal amüsanter.“)

Notabene: Es geht hier um bescheidene zwanzig Jahre. Während dieser kurzen Zeit wurde offenbar radikal neu über „amüsiert“ entschieden. Wenn ich ehrlich bin, find ich diesen Sprachwandel interessant und zum höchsten Grad „amüsierend“.

Falls „amüsierend“ in diesem Sinn noch kein deutsches Wort ist, warten Sie nur ab. In zwanzig Jahren wird alles wieder ganz anders sein. Denken Sie dann an den Sprachbloggeur, und reden Sie weiter.

Gauck oder ich?

Ich war letzte Woche drauf und dran, meine Kanditatur für das Amt des Bundespräsidenten zu verkünden. The more the merrier, sagen wir auf Englisch – in etwa aber nicht wörtlich: Je später der Abend, desto schöner die Gäste.

Glauben Sie mir, ich wäre der perfekte Kandidat gewesen. Vor allem, weil ich nicht so dünnhäutig bin wie mein Vorgänger. Wie hieß er denn wieder? Entschuldigung: Ich hatte schon immer ein schlechtes Namensgedächtnis.

Als Ursula von der Leyen ins Gespräch kam als Kronprinzessin, war ich noch überzeugter, dass ich und nicht sie der bessere Kandidat wäre. Verstehen Sie mich nicht falsch. Sie ist ziemlich in Ordnung. Nur: Ich finde meine Frisur schöner als ihre.

Doch dann begann es im Politeintopf richtig zu kochen. Urplötzlich wurde von der Leyen aus der Suppe gelöffelt, und zack! hat Merkel den Wulff der Presse vorgestellt. Ich glaube, sie hat dabei dasselbe Redemanuskript benutzt wie damals, als sie den Vorgänger vorgestellte. Natürlich hat sie den Namen geändert.

Meine erste Reaktion: Wulff ist mir beestimmt nicht gewachsen. Verzeihen Sie mir, wenn ich das so deutlich sage. Ich habe aber endlich verstanden: Mit falscher Bescheidenheit kommt man nicht weit. Auch in seinem Fall gefällt mir die Frisur nicht. Zugegeben: In den Aufnahmen von ihm als junger Draufgänger hat er schöne Haare gehabt. Heute kommt er mir vor wie Barbies (ex)Freund Ken. Einfach zu glatt. Sonst habe ich nichts gegen ihn. Ich frage nur: Christian wer?

Dann die nächste Überraschung: Die Sozialdemokraten und die Grünen haben Gauck vorgeschlagen. Wirklich ein schlauer Schachzug, aber einer, der mir persönlich weh tut. Denn Gauck kann tatsächlich einiges, was ich nicht kann. Er kann nämlich aufräumen. Ihm ist gelungen, einen ganzen Raum voller alter Unterlagen zu sortieren und bearbeiten. Das habe ich in meinem Arbeitszimmer seit Jahren noch nicht geschafft. Ich beuge mich vor Menschen wie Gauck, die so verdammt methodisch ordentlich sind.

Ich merke, dass ich gegen so einen schnell den Kürzeren ziehen würde. Also werde ich doch auf meine Kandidatur verzichten. Meinen Anhängern sage ich schon jetzt: Sorry aber Fakten sind Fakten. Vielleicht ist meine Entscheidung letztendlich doch richtig. Immerhin: Nun muss ich mich nicht mehr darum bemühen, bis spätestens Ende Juni die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen und zu erhalten.

Trotz alledem bin ich überzeugt, ich wäre ein Gewinn für Deutschland gewesen: multikulti und dennoch in der Lage, beinahe fließend Deutsch zu sprechen – wenn ich hie und da auch mal ein paar Fehlerchen mache. Aber he! Wer ist denn perfekt? Haben Sie gewusst, dass Giorgios Papandreou Fehler macht, wenn er Griechisch spricht? Kein Wunder. Er wurde wie ich in den USA geboren und spricht Englisch – oder wie man in Deutschland sagt „Amerikanisch“ – vielleicht besser als ich. Mein Problem: Ich kann mich in keiner Sprache fehlerfrei ausdrücken. Deswegen bin ich Schriftsteller geworden. Das wäre in der Politik vielleicht auch ein Vorteil. Ich glaube, dass Gauck die deutsche Sprache perfekt beherrscht. Das dürfte wohl auch bei Christian Wulff der Fall sein.

Schade, dass ich nicht Bundespräsident werde. Ich könnte die 280.000 Euro jährlich  plus Dienstwagen, Fahrer, Büro, Angestellte, Spesen usw. nämlich gut brauchen. Übrigens: Ich wäre aber bestimmt sparsamer gewesen als alle andere Kandidaten – auch Gauck. Denn ich wäre bereit gewesen, den ganzen öffentlichen Salat für bescheidene 250.000 Euro zu waschen. Außerdem wäre ich bereit gewesen, meinen Dienstwagen selbst zu fahren – und ihn sogar wöchtentlich in die Waschanlage zu lotsen. Auch über den „Ehrensold“ hätte ich mit mir reden lassen. „Ehrensold“. So nennt man die Rente eines Bundespräsidenten, bzw., Bundeskanzlers: Man bekommt das gleiche Gehalt wie zu Amtszeit plus Dienstwagen, Fahrer usw. – und zwar ein Leben lang. Ich wäre bereit gewesen, lausige hunderttausend zu akzeptieren plus eine Monatskarte für die U-Bahn und eine Bahnkarte 2. Klasse. Ich hätte der Republik reichlich Kohle gespart, was angesichts der jetzigen schwierigen Wirtschaftslage nicht zu verschmähen wäre.

Na, liebe Frau Merkel, lieber Herr Westerwelle? Was meinen Sie? Komme ich vielleicht doch in Frage? Bier ist Bier, Schnapps ist Schnapps, aber Geld ist nunmal Geld. Nicht wahr?

Wer hätte gedacht, dass ich mich in meinen alten Jahren zu einem deutschen Patrioten mausern würde? Echte Patrioten werden aber nicht geboren. Sie tauchen in Zeiten der Not von alleine auf.

Köhler, Lena (unsere Lena), Ballack, iPads und das unerbittliche Gesetz…

Eben habe ich erfahren, dass Horst Köhler, nachdem er ein feuchtfrohes Fest verlassen hatte, bei Rot über die Straße gefahren ist. Die Polizei hat ihn angehalten, und dann musste er in die Röhre pusten, und jetzt ist er sein Amt als Landesbischof los. Oder irgendwie ähnlich war das. Es handelte sich jedenfalls um ein Ehrenwort. Die Details vergisst man so schnell.

Meinen Sie auch, dass in den letzten Tagen so viel passiert ist? Zum Beispiel: Ballacks Sprunggelenk, die Kriegstrommel in Gaza, Dennis Hoppers Tod, die Abwertung des spanischen Ratings, ja und das „top kill“-Debakel im Golf von Mexiko, und natürlich auch Lena…unsere Lena…die Lena mit dem total uneinprägbaren Familiennamen, den sie schleunigst ändern muss, wenn sie nicht zu einer von jenen Eintagsfliegen werden will, die von den Medien bei lebendigem Leib gefressen werden, bis jegliche Allüre in klingende Euros (Geld stinkt nie, wenn es auch entwertetet wird) verwandelt worden ist und nur die leere, etwas verbrauchte Hülle eines einst strahlenden Begriffs (in diesem Fall „Lena“ „unsere Lena“) übrig bleibt. Hoffen wir das natürlich nicht. Geht Lena noch auf den Abi-Ball? Eine Frage, die man sich in unserem Zeitalter erlauben darf.

Sicherlich lesen manche von Ihnen den „Sprachbloggeur“ bereits auf Ihrem strahlend neuen iPad. Sehe ich schöner aus?

Ja, heute geht es um Neuigkeiten. Denn es sind die Neuigkeiten, die das Leben so spannend machen. Als verkrusteter Altphilologe weiß ich jedoch, wie schnell auch Neuigkeiten zu Altertümlichkeiten werden.

Zum Beispiel, die folgenden vier Namen: Eudoxos von Knidos, Hipparchos (ich weiß nicht, woher er kommt), Aristarchos von Samos und Claudius Ptolemäus. Womöglich sagt Ihnen keiner dieser Namen etwas zu. Wenn ja, dann wohl den von Claudius Ptolemäus. Sein „Almagest“ (wie es heute genannt wird) hat er vor ca. 1900 Jahren geschrieben. Eigentlich ein dicker mathematischer Traktat über die Dreieckslehre. Ptolemäus spricht ausführlich in diesem Werk aber über die Himmelskunde, was allerdings nicht ohne Konsequenzen war:

Dank Ptlolemäus glaubte man fünfzehnhundert Jahre, dass die Erde Mittelpunkt des Weltalls sei und dass die Sonne samt Planeten und Fixsternen um die Erde kreise. Erst Kopernikus hat eine Alternative zu diesem Modell präsentiert. Sie erschien allerdings erst nach seinem Tod – so sehr hatte er Bammel davor, den großen Ptolemäus zu widerlegen.

Was die anderen drei Namen betrifft: Es handelt sich um Vorgänger von Ptolemäus, deren Werke Ptolemäus in seinem mathematischen Traktat erwähnt und – dies muss ich fairerweise betonen – gebührend ehrt.

Ptolemäus’ „Almagest“ war ein antiker Bestseller, und weil Ptolemäus so viel über die Ideen seiner Vorgänger schrieb, wurden deren Werke in der Antike immer seltener kopiert und tradiert. Sie sind deshalb restlos verschwunden. Alle.

Schade. Denn das Werk von zumindest eines dieser Vorgänger hatte es in sich. Aristarchos von Samos war nämlich der Meinung, dass nicht die Erde, sondern die Sonne Mittelpunkt unseres Planetensystems sei. Meinen Sie nicht, dass die Menschheitgeschichte anders geworden wäre, wenn man Aristarachos statt Ptolemäus im römischen Kaiserreich und im Mittelalter gefolgt wäre?

Nur am heutigen Tag, dem 1. Juni 2010, ein kleines Gedankenspiel über ehemalige Neuigkeiten. Ptolemäus war übrigens der Meinung, dass Aristarchos ein Spinner war.

Auch der 31. Mai 2010 ist schon vorbei. Horst Köhler ist sein Amt los. Ballack humpelt rum und hadert mit seinem Schicksal. Die Kapazitäten der Uno verhandeln über Gaza. Dennis Hopper driftet immer weiter weg von der irdischen Sphäre, das Öl glubbert stur weiter in den Golf, die Spanier grummeln auf den Straßen über die Rating Companies, über den Euro wird geschimpft, während er von manchen noch gepriesen wird, und Lena…unsere Lena…schreitet selbstbewusst und blindlings (wie jeder) in die Zukunft. Viel Spaß auf dem Abi-Ball, o Wunderkind!

Der Sprachbloggeur erklärt – mittels anschaulicher Beispiele – den „Leerverkauf“

Bestimmt haben Sie schon vom sogenannten „Leerverkauf“ gehört. Der mache uns die Wirtschaft kaputt, heißt es. Heute erläutert Ihnen der Sprachbloggeur alles, was Sie darüber wissen müssen – und zwar in Form von hübschen, lehrreichen Beispielen.

Beispiel eins: Neulich habe ich folgenden Kommentar erhalten: „Hi there, I dont know if I am writing in a proper board but I have got a problem with activation, link i receive in email is not working…“ Bald tauchte er wiederholt auf dieser Seite auf, was mich stützig machte. Verzeihen Sie, wenn ich den Text nicht übersetze. Die wichtigsten Stichwörter sind jedenfalls „problem with activation“, was auch immer das bedeutet.

Wundern Sie sich, wenn Sie diese Texte auf dieser Seite nie gesehen haben, liebe Leser. Ich pflege seit geräumer Zeit Kommentare erst zu veröffentlichen, nachdem ich mich vergewissert habe, dass sie keinen Spam enthalten. Wenn Sie nur wüßten, was ich Ihnen an Leerläufen erspart habe.

Obiger Text hat mich jedenfalls neugierig gemacht. Folglich habe ich unter besagten Stichwörtern gegoogelt und erfuhr, dass dieser Text bereits an sage und schreibe 350.000 Webseiten geschickt wurde. Notabene: Es handelt sich hier um reine Handarbeit. Jemand muss sich die Mühe machen, den Text durch eine „Captcha“-Einrichtung zu schleusen. Stellen Sie sich vor: 350.000 x ca. 10 Versuche. Dazu bräuchte man wohl eine Belegschaft so groß wie Siemens. Selbstverständlich muss man die Leute auch bezahlen. Über die fleißigen Mitarbeiter, die solche Texte in die Pipeline geben, habe ich erst vor zwei Wochen berichtet (siehe da).

Zudem: Der „problem with activation-Text dient ohnehin nur als Vorhut. Die „Captcha“-Knacker müssen stets nachprüfen, ob die Nachricht, es auch geschafft hat, online zu gelangen. Wenn ja, dann weiß man: Hier können wir unsere Werbung für gefälschte Potenzmittel an den Mann bringen.

Wie ich aber schon berichtet habe: Das Geschäft mit den gefälschten Potenzmitteln läuft in letzter Zeit zunehmend schlechter. Die genervten Mafias finden fast nirgends mehr einen Trottel, der so dumm ist, seine Euros, Yen, Yuan, Pfund, Dollar usw. für wertloses Potenzzeug auszugeben.

Wer ist also der Dumme? Letztendlich derjenige, der gefälschte Potenzmittel verhökert. Die ganzen Gewinne aus der goldenen Frühzeit gibt er gleich wieder zurück, weil er nicht verstanden hat, er ist bereits zu weit gegangen. Er geht also leer aus.

Beispiel zwei: die Experten von British Petroleum. Seit einem Monat sind sie nicht in der Lage das Ölleck am Meeresboden des Golfs von Mexiko zu stopfen. Stellen Sie sich vor: Täglich glubbern 800.000 Liter Rohöl in den Golf. 30 x 800.000 = GAU. Allmählich gibt BP zu: Die Firma sei ratlos. Auch die amerikanische Regierung ist ratlos. Keiner weiß, wie man ein Loch ungefähr so breit wie der Starnberger See und noch dazu 1500 Meter unter der Meeresoberfläche wieder zumacht. Inzwischen hat das Öl die Louisiana-Küste erreicht (Nebenbei: Es heißt „lu-I-si-a-na“ und nicht „LU-si-a-na“. Letzteres sagen nur Einheimische in ihrem zähen Dialekt) und demnächst erreicht das klebrige Zeug die Kanarischen Inseln oder Cannes. Ja, und was wird aus BP? Ganz klar: Leerverkauf!

Beispiel drei: Nachdem die Taliban 1996 Afghanistan im Handumdrehen erobert hatten, waren Mitglieder der US-Regierung überzeugt: „Das sind Leute mit denen wir zusammenarbeiten können.“ Hank Brown, Senator aus Colorado, hat die Taliban folgendermaßen verteidigt: „Diese Kerle sind tief religiös und sehr anti-sowjetisch.“ Er hat sie praktisch als eine Art islamische wiedergeborene Christen-Sekte verstanden, was sie für Amerikaner sympathisch machte. Ein anderer Experte– ich habe den Namen schon vergessen – behauptete: „Ich habe mit ihnen geredet. Sie haben einen sehr feinen Sinn für Humor.“ Und jetzt zur Gegenwart: Bald fließt das ganze Staatsbudget der USA und sämtlicher Nato-Länder – ohnehin aus Defiziten bestehend – in einen fruchtlosen Krieg in Afghanistan. Ja, Sie haben es erraten: Leerverkauf!

Tausende von Experten haben ihren gelehrten Senf zu diesem Thema gegeben, während ich, ein vernarrter Altphiloge, mir einbilde, ich hätte eine Mission zu erfüllen und mir das lächerliche Kostüm eines Superhelden anziehe , um die Welt vor Experten zu warnen.

Eins steht fest: Wer Leeres kauft, geht leer aus.

Jetzt habe ich Ihnen alles beigebracht, was Sie über die heutige Finanzkrise wissen müssen.

Krieg der Euros – bald auch in Ihrem Kino

Zum Anfang der Schluss: Geld ist eine Illusion. So ungefähr sagte es Volker Looman, ein Finanzanalytiker am Wochenende in der FAZ. Sein Artikel hieß: „Angst vor Inflation und Verlust treibt die Anleger zur Verzweiflung.

Damit meinte er, dass Wert eine Illusion sei, vor allem, wenn man in einer Krise nach Sicherheit sucht.

Wirtschaft? Sicherheit? Ha!

Und jetzt zu den Zauberern. Das sind die Bazis, die momentan mit ihren Unkenrufen dem Euro schwer zu schaffen machen.

Ich habe viel über dieses Thema nachgedacht, und ich bin zum Schluss gekommen, dass es Hexenmeister – nur Hexenmeister – sind, die eine Wirtschaft, eine Währung durch Schlechtreden kaputtmachen.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich möchte hiermit nicht meine Liebe zum Euro bekunden. Von Anfang an habe die Euromünzen gehasst. Potthässlich wie Einkaufswagenmarken. Die Banknoten sind auch nicht besser: lauter seelenlose Bilder von nichtssagenden Brücken. Wenn ich an die schönen D-Mark-Banknoten denke...ahhhh. Auch die Münzen – zumindest einige – waren hübsch: die Mark, das Fuchsgerl, das Zehnerl. Nur die Zweimark- und Fünfmarkstücke kamen mir wie schlechte Witze eines sadistischen Oberbankers vor.

Aber nun haben wir den Salat. Und plötzlich sagt man, er schmeckt nicht.

Es sind die Hexenmeister am Werk.

Glauben Sie an Magie? Wenn nicht, überlegen Sie nur, wozu die Zauberer fähig sind. Seit wenigen Wochen haben sie mit ihrem endlosen Geflüster den Euro verhext.

Sie wispern ihre Sprüche über den Euro und zack! fällt er wieder ein paar Cent mehr gegen den Dollar. Man sagt, dass es Menschen gibt, die aus der Entwertung des Euros Gewinn ziehen. Ich habe noch nie verstanden, wie das funktioniert. Ich werde mich aber schlau machen.

Was ich jedoch weiß: Maßnahmen werden getroffen, um den Euro zu stützen. Im Nu haben die Hexenmeister einen neuen Zauberspruch parat, um den Sturz fortzusetzen.

Glücklicherweise gibt es auch Zauberer für die andere Seite. Sie versuchen das Gegenteil zu bewirken. Nehmen Sie, zum Beispiel, Theo Waigel. Letzte Woche fragte ihn Redakteurin Angela Böhm von der Münchner Abendzeitung: „Wird aus der harten eine weiche Euro-Währung?“. Waigels Antwort, „Wenn der Euro im Moment 1,27 oder 1,28 wert ist, dann ist er um zehn Cent das sind zwanzig Pfennig, mehr wert als die D-Mark bei ihrem Abschied. Da komme mir doch niemand und behaupte, der Euro sei eine Weichwährung.“ Das hört man gerne.

Das war aber letzte Woche. Inzwischen haben die Unkenrufer viel Zeit gehabt, sämtliche Stabiltätsmaßnahmen als „zweifelhaft“ umzudeuten. Warum macht man das? Für die üblichen Gründe: Böser Wille, Neid, Gier. Nichts Neues. Eben habe ich in wenigen Worten die Geschichte der Welt  erzählt.

Mich persönlich bringt das Spiel auf die Palme, weil ich vor sechs Wochen Bücher aus England bestellt habe. Sie sind immer noch nicht da und werden täglich teurer.

Jeder hat eigene Gründe, sich für die Wirtschaft zu interessieren.

Immerhin hat der ehemalige Federal Reserve Vorsitzende, Paul A. Volcker, neulich erklärt, er sei „emotionally attached to the Euro“. Und weiter: „Er war eine gute Idee.“ Ich habe ihn prompt den guten Zauberern eingereiht. Doch dann machte er einen Rückzieher und drückte seinen Zweifel aus. Plumps! Und wieder ist der Euro gestürzt.

Ja, liebe Sportfreunde. Nun wird es spannend: Krieg der Zauberersprüche und Fortsetzung folgt.

Wer soll ins Kino gehen, wenn das Leben so aufregend – und unsicher – ist? Willkommen in meiner Welt.

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