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Warum sind "Arschgeigen" so teuer?

Kinder sind gerne derb.

Mit zehn Jahren spielte ich in meiner schönen Heimat der Bronx im zubetonierten Park neben der Stadtteilbücherei „punchball". Der Park war mit Holzbänken umringt. Auf diesen saßen die alten Frauen und die Mütter mit ihren Kinderwagen und aalten sich, während sie sich genußlich unterhielten, in der Sonne. Manche schauten uns beim Spielen gelegentlich zu. „Punchball“ ist in Deutschland kein Begriff.  Man musste vielleicht „Faustball“ sagen. Die Regeln sind dem „baseball“ entlehnt, mit dem Unterschied, dass man mit der Faust auf den Ball schlägt und nicht mit einem Schläger.

Nicht aus Gründen der Nostalgie hole ich diese Erinnerung aus dem Gedächtnis. Nein, so weich ist mein Hirn noch nicht, dass ich das Bedürfnis habe, in der Vergangenheit zu schwelgen. Ich habe mich an dieses Spiel im zubetonierten Park erinnert, weil ich während des Spielens für mein Leben gern fluchte. Aber wie! Ich war zwar erst zehn Jahre alt, aber ich verfügte damals wie alle Zehnjährige - trotz meines Engelgesichts – über einen sehr reichen Vorrat an den vulgärsten Vokabeln der englischen Sprache. Ich habe an diesem Tag wohl alle Register gezogen.

Die Erinnerung an das damalige Gechimpfe ist mir wahrscheinlich deshalb erhalten geblieben, weil mir ein Freund nach so einem Spiel berichtete, dass seine Tante, während wir spielten, auf der Bank gewesen sei und ihm hinterher gesagt habe: „Wer ist der Junge? Er sieht so nett aus, aber ihm soll jemand den Mund mit Seife auswaschen.“

Mir ist übrigens bis heute die Erinnerung geblieben, wie genussvoll ich an diesem Tag lauthals geflucht habe. Ja, daran kann ich mich genau erinnern. Und ich habe dabei gedacht: Das Leben ist soooo schön, wenn man so üppig fluchen kann. Ja, das habe ich damals gedacht.

Bis heute schimpfe ich gerne. Nicht allerdings so freizügig wie damals. Inzwischen habe ich ohnehin verstanden, dass man aus drei Gründen flucht: 1.) um Aggressionen zu bekunden, 2.) um Dampf zu lassen oder 3.) um Intimität auszudrücken. Jawohl. Ich halte das Schimpfen für eine Art Duzen. Im Englischen, wo wir zwischen „du“ und „Sie“ nicht formell unterscheiden, erst recht. Man verwendet Schimpfwörter im Gespräch nur, wenn man sich mit dem Anderen frei fühlt.

Auch meine Söhne fluchen, wenn wir Englisch sprechen, und zwar sehr fließend sogar. Immerhin haben sie einen Experten als Lehrer. Nur: Ihnen fehlt oft meines Erachtens das Gefühl für die passenden Situationen. So war es auch bei mir mit zehn Jahren. Meine Söhne sind aber schon junge Erwachsene. Doch weil sie in Deutschland leben, haben sie viel zu selten Gelegenheit, englischsprachige Gesprächssituationen zu erleben, um das Wissen um das korrekte Geschimpfe zu verinnerlichen. Aus diesem Grund sage ich ihnen manchmal: „Man wird es euch in Amerika und in England gleich anmerken, dass ihr keine ‚native speakers’ seid. Ihr habt die Kunst des Schimpfens nie richtig beherrscht. Ihr schimpft wie Fremdsprachler.“

Natürlich weiß ich, dass ich sie mit dieser Bemerkung nur ärgere. Aber ich denke, sie werden durch eine solche Kritik bewusster zu schimpfen lernen.

Erst in Deutschland habe ich allerdings erfahren, dass das Schimpfen auch einen Preis hat. Damit meine ich: Wenn Sie als Autofahrer den Vollidioten, der Sie geschnitten hat, als „Arschgeige“ oder „fieses Miststück“ beschimpfen, kann das ziemlich ins Geld gehen. Seit Jahren lese ich Texte über dieses Thema in der Boulevardpresse.

Neuerdings fand ich in der ADAC-Zeitschrift „Mobilität“ eine verbindliche Preisliste für gewisse derbe Beschimpfungen. (Grad passend zu Weihnachten! So kann man was Ungewöhnliches schenken!). „Fieses Miststück“ kostet, so habe ich, zum Beispiel, erfahren, 2.500 Euro. Ein stolzer Preis für so wenige Wörter. Dafür bekommt der Preisbewusste ein derbes „leck mich doch“ für bescheidene 300 Euro.

Nachdem ich diese Preisliste genau studiert hatte, war mir klar, dass ich die Logik des hier dargestellten Wertsystems nicht nachvollziehen kann. Für sage und schreibe 350 Euro darf man jemanden mit „Du armes Schwein, du hast doch eine Mattscheibe“ beschimpfen. „Am liebsten würde ich jetzt Arschloch zu dir sagen“ wird hingegen mit 1600 Euro geahndet. Worin besteht der Unterschied, bitte schön?

Oder: Ein „Du blödes Schwein“ bekommt man für 500 Euro, für eine „alte Sau“ blecht man 2.500 Euro – dies, obwohl beide Begriffe ums selbe Nutztier kreisen.

Nein, ich verstehe die markwirtschaftliche Grundlage für diese Wertvorstellungen nicht. Hat es vielleicht mit Angebot und Nachfrage zu tun? Ich meine: Gibt es mehr „blöde Schweine“ (daher billiger) als „alte Säue“? Schön wäre es, wenn mich jemand in dieser Sache aufklären könnte.

Zumal das Schimpfen in unserem zubetonierten Park in der Bronx stets kostenlos war.

P.S. Wie viel eine "Arschgeige" kostet, weiß ich nicht genau, war leider nicht auf der Liste. Bestimmt aber sehr teuer!

Zahlenmystik für Aufgeklärte

Mein Freund Eric war Wahrsager. Eines Tages sagte er mir: „Ich heiße nicht mehr ‚Eric’. Ab jetzt schreibe ich mich ‚Erich’.“

„Warum?“ fragte ich.

„Das hat mit der Numerologie zu tun“, erklärte er. „Wenn ich meinen Namen ohne ‚h’ schreibe, stehe ich unter dem Einfluss von Saturn, und der ist sehr restriktiv. Mit ‚h’ bin ich ein Kind Jupiters, expansiv also, was auch gut für die Geschäfte ist.“

Ich erzähle hier eine Geschichte aus lang vergangenen Zeiten, als das Wort „Information“ noch „Auskunft“ bedeutete. „Expand your brand“ war damals kein Ausruf, andere Firmen zu verschlingen und Tausende Mitarbeiter in die einstweilige Arbeitslosigkeit zu schicken. Den eigenen Markennamen expandierte man, indem man ihn lediglich neu buchstabierte.

Und genau das hat Eric getan. Ob ihm die neue Schreibart nutzte, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich aber, dass er sich auch mal „Erik“ nannte.

Vielleicht fragen Sie sich schon, was dieser Buchstabenzauber mit der Zahlenmystik zu tun hat. Entschuldigung. Ich habe Ihnen ein wichtiges Detail vorenthalten. Seit der Antike werden Buchstaben nämlich als Ziffern verwendet. Insbesondere waren es die Griechen, die diese Gepflogenheit damals verbreiteten. Das sah ungefähr so aus: „alpha“ = 1, „beta“ = 2, „gamma“ = 3 usw. Wahrscheinlich hatten sie diese Technik von den Phönizern übernommen.

Wenn man aber Buchstaben als Ziffern verwendet, kommt man schnell auf die Idee, auch ganzen Wörtern einen Zahlenwert zu geben. Ist doch logisch. Man braucht den Zahlenwert der Einzelbuchstaben lediglich zu summieren. Und nun sind wir bei der Mystik gelandet.

Denn gerade dies machten die Juden in der Antike. Höchstwahrscheinlich hatten sie diese mystische Kunst bei den Griechen abgeguckt. Sie nannten diese Zahlenmagie auf Hebräisch „gematria“, ein Wort, das vom griechischen „geometria“ abgeleitet wird.

Der Talmud ist vollgepackt mit numerologischen Verweisen. (Mit „Talmud“ ist eine umfangreiche Sammlung jüdischer religiöser Texte aus den ersten nachchristlichen Jahrhunderten gemeint). Beispiel: Das hebräische Wort „gewura“ („Stärke“), hat den selben Zahlenwert, 216, wie das Wort „arije“ („Löwe“). Nette Verknüpfung. Oder noch ein Beispiel: Das hebräische Wort „majim“ bedeutet „Wasser“, was, zusammenaddiert, die Zahl 640 ergibt. Nach der Bibel war Noah 600 Jahre alt, als die Sintflut kam, und es 40 Tage regnete. Auch nett.

Man kann in der Bibel endlos nach solchen Verknüpfungen jagen. Ein lustiges Spielchen auch. Was heißt Spielchen? Erinnern Sie sich an das Buch „Bibelcode“? Man kann auch mit der Zahlenmystik viel Geld erwirtschaften. Menschen zahlen gerne, wenn es um das Geheimnis das Lebens geht.

Letztendlich aber hat die Zahlenmagie keine so lange Tradition in unserer westlichen Kultur. Populär wurde sie erst im 15. Jahrhundert dank zwei Florentinern, Marsilio Ficino und Pico della Mirandola. Zu dieser Zeit strömten christliche Gelehrte in Scharen aus Konstantinopel nach Italien, um den neuen osmanischen Eroberern zu entfliehen. Mit im Gepäck hatten sie Stöße von griechischen Manuskripten, die sie vor den Osmanen in Sicherheit bringen wollten. Das war übrigens der Beginn einer Rückkehr der antiken griechischen Literatur nach Europa. Deshalb wird diese Zeit als „Renaissance“, „Wiedergeburt“, bezeichnet.

Die Gelehrten brachten aber nicht nur Seriöses mit. Mitunter hatten sie auch viel Schund, sprich „Hokuspokus“-Texte, aus Byzanz herausgeschmuggelt, Bücher die in den ersten ersten nachchristlichen Jahrhunderten entstanden waren, die man aber damals für Geheimschriften aus einer hehren Urzeit hielt. Auch Ficino und Pico zweifelten an der Echtheit dieser Texte nicht. Fast die ganze „New-Age“-Literatur der Gegenwart beruht auf den von Ficino und Pico kommentierten Ausgaben alter Fälschungen.

Mir fällt all dies ein, weil ich letzte Woche in der International Herald Tribune einen Artikel über den indischen Zahlenmystiker Sanjay B. Jumaani gelesen habe. Er scheint eine Marktlücke entdeckt zu haben. Er bietet seinen Kunden eine neue Schreibart für den eigenen Namen an – so wie Eric es mit sich selbst einst gemacht hat – , um ihnen dadurch zu neuem Glück zu verhelfen. Jumaani (ich nehme an, dass das doppelte „a“ nicht ganz zufällig ist) zählt auch viele Bollywood-Stars zu seiner Kundschaft. So machte er, zum Beispiel, aus dem Schauspieler Ajay Devgan (mir leider kein Begriff) „Ajay Devgn“. Auch bei Filmtiteln wird er manchmal zu Rat gezogen, um die Erfolgschancen eines Streifens zu erhöhen. So erhielt ein Film – ich zitiere aus dem Artikel von Vikas Bajaj in der IHT – statt „Singh is King“ den Titel „Singh is Kinng“.

Und wenn ich mich „Spraachbloggeur“ nenne? Nein, mir kommt das vor wie ein langes, buchstabiertes Gähnen.

Achtung: Sie befinden sich in der Vorkriegszeit des 21. Jahrhunderts

„Nun, ich bin Lichtung auf die Post über "Sex" zu lesen, "Geld" und "Einsamkeit". Sie sind gut.“ So hat sich ein Leser vor einigen Tagen in einem Kommentar beim „Sprachbloggeur“ ausgedrückt.

Ich meinte spontan, es handelt sich um einen englischsprachigen Menschen, der radebrechend versucht, mir eine Botschaft auf Deutsch zu schreiben. Aber was soll das bedeuten, dieses „Nun, ich bin Lichtung auf die Post…“?

Treuer Leser Rappelkopf hat mich, den geborenen Naivling, schnell aufgeklärt: Dieser Satz scheint, ich zitiere, „in der Trommel des Google-Translators zu heiß gewaschen und zu stark geschleudert worden zu sein.“

Natürlich! denke ich, und alle Hirnlichter leuchten bei mir auf einmal: ein Übersetzungsroboter! Wieso bin ich selbst nicht darauf gekommen?

Doch gewissenhaft wie ich bin, versuche ich nun trotzdem den Inhalt der Botschaft aus dem „Google-Translator“ auszubaldowern. Was könnte „Ich bin Lichtung auf die Post?“ für einen Sinn haben? Mir fällt gleich das „Jabberwocky“ ein, das Nonsensegedicht aus „Alice im Wunderland“ (die Christian-Enzensberger-Übersetzung dieses Werkes kann ich übrigens wärmsten empfehlen), weil „Ich bin Lichtung auf die Post“ wie lustige Nonsensepoesie klingt.

„Lichtung auf die Post“. Hmmm. „Lichtung“. Auf Englisch bedeutet dieses Wort „clearing“ oder „glade“. Aber: „I am clearing the posting about sex…usw.“ Das ergibt auf Englisch keinen logischen Sinn. „To clear a posting?“ Zu Deutsch in etwa: „einen Internetbeitrag („Posting“) ausräumen“ oder „lichten“. Das kann es auf keinen Fall gewesen sein.

Oder hat sich der „Kommentarschreiber“ vertippt? Hat er „glade“ geschrieben aber „glad“ gemeint? Hat er vielleicht „Now, I am glad to read the posting about…usw.“ schreiben wollen? Das heißt: Er freue sich nun, das Posting über…zu lesen. Wäre auch möglich. Allerdings: Das Komma nach „now“ irritiert mich, wirkt sinnlos in diesem Zusammenhang.

Noch eine Theorie: Der „Kommentarschreiber“ ist kein „native speaker“. Er hat also dem „Translator“ sein verhunztes Englisch gefuttert mit dem Resultat, dass das Programm Unsinn herausgespuckt hat. Wäre auch möglich.

Letztendlich sind all meine Theorien für die Katz. Und zwar aus einem einfachen Grund: Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass ich „Kommentarschreiber“ die ganze Zeit mit Anführungszeichen versehe. Fakt ist: Der Autor des „Kommentars“ wollte keinen Kommentar schreiben. Er ist lediglich einer aus dem großen Heer der Hausierer, die mit knurrendem Magen die Straßen der Wildweststadt WehWehWeh durchstöbern, um ihre Waren zu verhökern. Das erkennt man daran, dass er seinem Nonsensetext einen Link zu seiner Webseite eingebaut hat. Immerhin keine Kasino- oder Pornoseite.

Ja, so ist das Leben in der neuen, zersiedelten Großstadt WehWehWeh.

Nebenbei: Rappelkopf stellt die Frage, ob ich vielleicht etwas Allegemeines über Übersetzungsprogramme zu sagen hätte. Das ist aber eine sehr große Aufgabe, und ich bin selbst viel zu schlecht informiert, um eine fundierte Antwort zu geben, lieber Rappelkopf.

Dennoch melde ich meine Skepsis spontan an – nicht weil ich vorgestrig denke, sondern weil Computerprogramme stets nach der Logik eines Sachverhalts suchen, während Sprachen ausschließlich mit der Unlogik bestechen. Kleinkinder formulieren ihre Sätze stur wie ein Computer: ich komme, ich kommte, ich habe gekommt. Die Perfektionierung einer Sprache hat hingegen immer mit dem Erlernen von zahllosen Ausnahmen zu tun – und natürlich mit merkwürdigen Redewendungen aus vergangenen Zeiten. Sollten Computerprogramme eines Tages auf diesem hohen Niveau zu übersetzen vermögen, dann werden wir sie auch heiraten können.

Schon habe ich zu viel zu einem Thema gesagt, von dem ich zu wenig verstehe. Ich will lediglich ein Bild von kleinen Menschen malen, die andere kleine Menschen raubtierartig überfallen, weil sie nur auf ihre Kosten zu kommen  meinen. Vielleicht sind sie aber letztendlich selbst nur Opfer von sehr großen Tätern – ist fast anzunehmen. Aber nun wissen Sie wenigstens, warum wir in der Vorkriegszeit des 21. Jahrhunderts gelandet sind.

Hier exklusiv: Chefetagengeflüster!

Wir befinden uns in der obersten Etage eines renommierten Verlagshauses in Deutschland. Bitte erwarten Sie von mir nicht, dass ich hier irgendwelche Namen ausplaudere.

Was ich an dieser Stelle zu erzählen habe, ist – das werden Sie verstehen – streng vertraulich, und ich bitte daher um Ihre Diskretion.

Vorstandsvorsitzender: Was ist das für ein Lärm da draußen?

Adlatus: O Herr, es sind die Entlassenen. Jetzt drohen sie damit, das Haus zu stürmen und uns aus dem Fenster zu werfen.

Vorstandsvorsitzender: Aus dem Fenster werfen? Ha! Unmöglich. Wissen die nicht, dass man diese Fenster nicht öffnen kann, außer dem schmalen Belüftungsschlitz ganz oben. Immerhin ist das Haus vollklimatisiert! Ignorant ist der Pöbel, das sage ich immer, und außerdem schrecklich ichbezogen . Als hätten wir so viele Leute aus nichtigen Gründen vor die Tür gesetzt! Man muss bedenken: Ihr Opfer bedeutet, dass andere Arbeitsplätze gerettet werden. Wissen die das vielleicht nicht?

Adlatus: Sie meinen, o Herr, dass wir ihre Arbeitsplätze hätten erhalten können, wenn wir von der Idee des zweistelligen Gewinns abgerückt wären.

Vorstandsvorsitzender: Vom zweistelligen Gewinn abrücken? Dass ich nicht lache! Vielleicht können Sie mir diese bodenlose Naivität erklären. Wissen die nicht, dass wir im 21. Jahrhundert leben und hier kein Wohltätigkeitsverein sind. Da draußen (er zeigt aus dem Fenster) herrschen raue Sitten. Jawohl! Sollen wir uns etwa von einer Firma in Abu Dhabi oder Neu Delhi feindlich übernehmen lassen? Na bitte, wo ist dann die Gerechtigkeit? Jeder denkt nur an sich, ohne sich das Gesamtbild vor Augen zu halten.

Adlatus: Sie sagen aber, wenn so viele Menschen arbeitslos sind, dann gibt es kein Publikum mehr, das unsere Produkte kauft.

Vorstandsvorsitzender: Unsinn. Jeder will lesen, erst recht, wenn die Zeiten schlecht sind.

Adlatus: Sie behaupten aber, sie hätten kein Geld mehr, nicht einmal fürs Brot.

Vorstandsvorsitzender: Dann sollen sie lieber Kuchen essen! (Pause) Hahaha. Das ist ja lustig. Das muss ich aufschreiben: Wenn sie kein Brot haben, sollen sie Kuchen essen. Ich glaube, ich habe einen Spruch für die Ewigkeit geprägt. Was sind das für Trottel! Haben sie denn kein Hartz IV? Wozu bezahle ich meine hohen Steuern? Fakt ist: Mit meinem Steuergeld finanziere ich die ganze faule Rotte. Was ist denn der Unterschied, ob ich sie durch Abgaben ans Finanzamt unterhalte oder mit einem Gehalt. So oder so bin ich ihr Arbeitgeber. Schließlich leben wir nicht mehr im Mittelalter. Keiner muss in Deutschland verhungern.

Adlatus: Sie meinen aber, wir hätten ihre Arbeitsstellen wegen Managerfehler aufs Spiel gesetzt, wir hätten nur ans Expandieren gedacht, bis dann alles in die Hose gegangen sei, sozusagen.

Vorstandsvorsitzender: Da gebe ich ihnen sogar recht. Wir waren zu expansiv. Und deshalb rudern wir jetzt zurück. Deshalb haben wir diese vielen Idioten gefeuert, pardon, entlassen. Lieber, Adlatus, Sie schauen auf einmal so skeptisch. Wollen Sie mir etwa Ihren Missmut zeigen? Sind Sie vielleicht einer von ihnen geworden? Meinetwegen. Sie wissen schon, wo die Tür ist.

Adlatus: Nein, um Gottes willen. Ich stelle nur zum ersten Mal fest, dass wir hier nicht allein sind. Da sitzt jemand drüben am großen Tisch und schreibt fleißig mit.

Vorstandsvorsitzender: Ach der. Das ist bloß der Sprachbloggeur. Machen Sie sich keine Gedanken. Wissen Sie, er hält sich für einen Superhelden, aber er scheint vergessen zu haben, dass es heute keine Superhelden mehr gibt. Manchmal mault er im Internet über uns, so habe ich jedenfalls erfahren. Man sagt, er habe einen kleinen Laden in einem Vorort der Stadt WehWehWeh. Von dort aus posaune er seine lächerlichen Klagen und sonstigen Ergüsse in die Welt hinaus. Sie dürfen ihn aber ruhig übersehen. Es hört ihm eh keiner zu. Wir können weiterreden, als wären wir unter vier Augen. Außerdem: Auch wenn er berichten sollte, was wir hier besprochen haben, wer wird ihn schon ernst nehmen? So ist es heute eben  mit den Superhelden und mit der Redefreiheit.

Minarette für Anfänger

Am besten fangen wir einfach an.

Das Wort „Minarett“ fand seinen Weg in die europäischen Sprachen über das türkische „minare“, das wiederum aus dem arabischen „manare“ entlehnt wurde. Auf Arabisch bedeutet diese Vokabel „Leuchtturm“ und wird vom arabischen Wortstamm „nur“, „Licht“, abgeleitet.

Eine schöne Vorstellung, nicht wahr? Ein Turm, der (er)leuchtet. Was wünscht man sich sonst von einem Glauben?

So weit so gut. Nun wird es aber ein bisschen komplizierter. In der heutigen arabischen Sprache wird dieser Turm als „ma’thana“ (das „th“ spricht man wie im englischen „the“ aus) bezeichnet. Es bedeutet mehr oder weniger „Ort des Verkündens“. Denn oben auf dem Turm steht der „mu’aththin“, der Mann, der die Gebetszeiten verkündet.

Bisher bewegen wir uns noch immer im grünen Bereich eines heiklen Themas. Ab jetzt wird es brenzlig.

Damit will ich sagen. Dieses Wort hat – zumindest seit vorgestern, als die Schweizer mehrheitlich einem Minarettverbot zugestimmt haben – ein Eigenleben angenommen.

Für Muslime ist das Minarett ein stolzes Symbol der öffentlichen Selbstdarstellung im Gastland, bzw., in der neuen Heimat. Für viele (ja, viele) Nichtmuslime hingegen ist es zum Symbol einer schleichenden und wohl unerwünschten Einflussnahme von Muslimen in Europa geworden.

Nun eine provokative Frage: Haben Muslime das Recht sich in Europa zu etablieren und die Symbole ihres Glaubens öffentlich zur Schau zu stellen? Meine Antwort: Selbstverständlich haben sie dieses Recht.

Und noch eine provokative Frage: Haben nichtmuslimische Europäer das Recht auf die Neuankömmlinge argwöhnisch zu schielen? Auch dieses Recht halte ich für gerechtfertigt.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich meine nicht, dass man auf die Zugereisten schielen darf, nur weil sie Muslime sind. Man schielt, weil in den letzten Jahren eine fantatische Minderheit im Namen des Islams hinausposaunt, dass ihnen die europäische Gesellschaftsform nicht akzeptabel ist. Und es bleibt nicht nur bei der verbalen Kritik. Die Anschläge in London und Madrid, der vereitelte Anschlag in Deutschland, der Mordanschlag gegen Theo van Gogh in Amsterdam usw. sprechen eine sehr klare Sprache. Oder wenn protestierende Muslime in London, die Abschaffung des Rechtstaates zugunsten der Scharia ausrufen – tja, Beispiele, die beunruhigen – nicht weniger als die Nachrichten von geköpften Geiseln, Ehrenmorden usw.

Zugegeben: Es handelt sich in obigen Beispielen, wie schon gesagt, um die Wirkung einer virulenten Minderheit. Meine Frage: Warum schweigt denn die Mehrheit der neuen Europäer? Hat auch sie Angst vor den Fanatikern wie afganische Dorfbewohner vor dem Taliban?

Aber zurück zur nichtmuslimischen Meinung: Die Ablehnung von Minaretten darf man keinesfalls als Erfolgsmeldung für gewiefte Rechtsradikale missverstehen. Nein, sie war lediglich ein wichtiges Stimmungsbarometer. Und nach der Abstimmung in der Schweiz hat es das „Spiegel-Online“ mit einer eigenen Umfrage probiert. Man fragte, ob ein Minarettverbot auch in Deutschland angebracht wäre. Nach einem Tag hatten über 26.000 Leser ihre anonyme Stimme abgegeben. Das Resultat: Über 77% hatten ein solches Verbot bejaht. Wie reagierte das „Spiegel-Online“? Es ließ die Umfrage vom Onlineangebot leise verschwinden. Schade. Dies wäre die perfekte Gelegenheit gewesen, die Bedeutung dieser ablehnenden Stimmung zu kommentieren.

Statt dessen haben sowohl die Politik (in ganz Europa) wie auch die meisten Medien mit scheinheiligem Entsetzen über die Ergebnisse in der Schweiz reagiert. Hier hat die politische Korrektheit eine Chance verpasst, Ängste ernst zu nehmen, meine ich. Oder hatten Politiker und Meinungsmacher vielleicht selbst Angst vor Repressalien, sollten sie dieses große Problem beleuchten? Kein Wunder, dass die rechten Parteien mit dem Antiislamismus punkten.

Wenn die nichtmuslimischen Instanzen aus Feigheit oder Verlegenheit schweigen, dann, sage ich, ist die muslimische Gemeinde selbst am Zuge. Ja, sie muss jetzt – fast im Alleingang – die Öffentlichkeitsarbeit auf sich nehmen, um das gemäßigte Image des Islams in Europa – und die meisten Muslime sind wirklich keine Staatsfeinde – unmissverständlich zu verkünden. Es hilft übrigens nicht, wenn der türkische Ministerpräsident Erdogan Minarette mit „Bajonetten“ vergleicht.

Nebenbei: Die Kritik aus manchen muslimischen Ländern zur Minarettfrage in Europa mutet wie Hohn an. Wie können Saudis, die gar keine Kirchen in ihrem Land zulassen, die Ablehnung von Minaretten seitens Europäer kritisieren? In Qatar durfte vor zwei Jahren – zum ersten Mal seit Jahrhunderten – eine Kirche errichtet werden. Es gab allerdings eine Auflage: keine äußerlichen religiösen Zeichen seien erlaubt. Genauer gesagt: Es sollte eine Kirche ohne Turm sein. Auch in der Türkei wird der Bau von neuen Kirchen untersagt.

Dass das Minarett zu einem derart aussagekräftigen Symbol geworden ist, halte ich für eine günstige Gelegenheit. Endlich weiß jeder, dass es ein Problem gibt. „Minarett“ ist bloß die erste Vokabel, die aus der beidseitigen Sprachlosigkeit führen könnte. Der nächste Schritt ist auch klar:  Man wird lernen müssen, diesem Wort Normalität zu schenken.

Das reicht für heute.

Haben die Mayas die Finanzkrise vorhergesehen?

Danke, Roland Emmerich, danke für nichts!

Das würde ich im Jahr 2012, wenn ich Warenhausbesitzer oder Betreiber eines Internetversands wäre, dem Regisseur des neuen Weltuntergangsblockbusters „2012“ sagen.

Warum?

Geht die Welt am 21. Dezember 2012 tatsächlich unter, dann kann man in diesem Jahr die Weihnachtsgeschäfte ganz abschreiben. Wer will Geld für Geschenke ausgeben, wenn er weiß, dass die Bescherung in die Hose geht?

Man kann ebenfalls davon ausgehen, dass, wenn die Geschäfte nur schleppend laufen, schon wieder Menschen auf die Straße gesetzt werden. Wie kann die Geschäftsleitung einen zweistelligen Gewinn erzielen, wenn man auch so viele unnütze Mitarbeiter zu ernähren hat? Außerdem muss man christlich denken: Wer entlassen wird, der rettet den Arbeitsplatz seines Nächsten.

Themenwechsel: Haben die Mayas auch über die Finanzkrise Wichtiges vorhergesagt? Spielt auch die Krise der Banken in deren Kalender eine Rolle? Und was haben die Mayas damals über Michael Jacksons Tod  oder über den Selbstmord von Robert Enke schon gewusst?

Das sind Fragen, die ich Herrn Emmerich gerne stellen würde, wenn ich die Gelegenheit hätte, ihn zu interviewen, oder wenn ich Großunternehmer wäre.

Als die ersten spanischen Haudegen an einem Strand im südlichen Mexiko auf ein paar Maya-Spaziergeher stießen, fragten die Spanier: „Como se llama esta tierra?“ Zu Deutsch: „Gibt es hier ein Restaurant?“ Nein, ich mache schon wieder einen dummen Witz. Sie fragten natürlich „Wie heißt dieses Land?“

Die Antwort: „Yukatan“.

Ich weiß, dass ich nicht der Erste bin, der diese berühmte Anekdote erzählt. Wichtig zu wissen ist, dass die Mayas damals kein Wort Spanisch und die Spanier ihrerseits kein Wort der Mayasprache verstanden. Oder: Weil sich die Spanier ihr Land für den Nabel der Welt hielten – zur Erinnerung: Damals herrschte in Spanien der mächtige Habsburger Kaiser Karl V – gingen sie selbstbewusst davon aus, dass alle Menschen Español hablierten.

So gesehen war es klar, dass sie annahmen, „Yukatan“ sei eine ernstzunehmende Antwort auf ihre Frage, und von daher kam der heutige Name des Landes.

In Wirklichkeit aber haben die Mayas in der eigenen Sprache geantwortet: „Esst ihr gerne Leguan?“ Nein, schon wieder ein schlechter Witz. „Yukatan“ bedeutet in der Maya Sprache , so viel ich weiß, „ich verstehe nicht“.

Mit anderen Worten: Das Land „Ich verstehe nicht“ wurde von Menschen die nichts verstanden, entdeckt.

Warum erzähle ich eine Geschichte, die Sie bestimmt schon hundertmal gehört haben?

Weil ich denke: Wenn die Spanier so eingebildet waren, dass sie „ich weiß nicht“ mit dem Namen eines Landes verwechselten, wieso sollen wir dann davon ausgehen, dass die Welt nach ihrem Kalender am 21. Dezember 2012 aus den Fugen gerät?

Vielleicht hat man sich mit dem Datum verrechnet? Vielleicht geht die Welt am 21. Dezember 2011 oder gar am 21. Dezember 2009 bereits hops?

Meinerseits freilich alles nur Spekulationen. Falls das Datum, das für manche heute wahrhaft Goldwert hat, wirklich nicht stimmt und die Welt, sagen wir, ausgerechnet in diesem Jahr, ich meine 2009, knapp vor Weihnachten zugrunde gehen sollte, dann geht wenigstens das Weihnachtsgeschäft nicht in die Hose und es bleiben zumindest einige Arbeitsplätze erhalten, solange die vielen unnützen Mitarbeiter dem erzielten doppelstelligen Gewinn nicht im Wege stehen.

Wie gesagt, ich spekuliere nur. Im Grunde, yukatan.

Auch Spammer sind (manchmal) nur Menschen

Rappelkopf hat mir gestern Folgendes geschrieben. Vielleicht haben Sie seine Bemerkungen schon gelesen: „Leider scheint auch Deine Seite Opfer von Spammern geworden zu sein. Es gibt inzwischen auch "Kommentatoren", die irgendeinen Semmel eintragen, nur damit sie dazwischen auch ihre Webseite verlinken können.“

Er spielte damit auf einige auf dieser Seite befindliche falsche „Leserzuschriften“ an.

Ja, lieber Rappelkopf, es stimmt. Dem "Sprachbloggeur" werden manchmal Kuckuckseier ins Nest gelegt. Was Du aber nicht wissen kannst: Ich gehe mit diesen Menschen sehr unterschiedlich um. Beispiel: Einmal beglückte ein hilfloser Spammer mich mit folgender Englisch abgefassten Leserzuschrift:  „Great article. I enjoyed it very much.“ Unterschrieben war seine kurze Bemerkung mit einem Link. Leider habe ich vergessen, um was für eine Seite es sich handelte. Vielleicht hatte der Mann in London eine Waschainlage für Autos. Es war jedenfalls etwas völlig an den Haaren Herbeigezogenes. Natürlich hatte ich meinen berechtigten Zweifel, ob er meinen Text wirklich gelesen hat.

Wie habe ich darauf reagiert? Ganz einfach: Ich ließ sein Lob stehen und habe nur den Link zu seinem Geschäft gelöscht. Vorteil „Sprachbloggeur“ (wenn auch sehr klein!).

Es kommt natürlich auch vor, dass mir jemand einen Kommentar unterjubelt, das so dämlich ist, dass ich es sofort lösche. Mir fällt kein Beispiel ein. Doch einmal bekam ich einen Kommentar ganz auf Arabisch. Da meine Arabischkenntnisse sehr dürftig sind, habe ich ihn einfach stehen lassen.   Vielleicht war es relevant. Kann man nie wissen. Neulich hat ein Leser die Überschrift seines Kommentars auf Arabisch geschrieben. Die konnte ich aber entziffern. Es war das Wort „dolma“, für mich ein klarer Hinweis , dass sich der Autor auf meinen Weinblättertext Bezug nehmen wollte.

Aber bedenke, lieber Rappelkopf: Wer so verzweifelt ist, dass er ausgerechnet meine Seite, die in einem Vorort der Stadt WehWehWeh liegt, benutzt – bzw. ausnutzt – , um nach Kunden zu jagen, der verdient mein aufrichtiges Mitleid. Ich frage mich ohnehin: Was motiviert einen Menschen, meine Seite zu überfallen, um, z.B., Werbung für eine spanischsprachige Kasinoseite zu machen? Ja, auch das ist neulich vorgekommen.

In diesem Fall habe ich den„Kommentar“ nicht gelöscht, weil es mir klar war, dass sich der Schreiber die Mühe gemacht hat, meinen Beitrag tatsächlich zu lesen. Seine Nachricht – die freilich etwas obskur anmutete – bezog sich immerhin auf meinen Text. Grund also ihn zu belohnen statt zu vernichten. Gleiches gilt für den Immobilienkaufmann, der mich neulich im Kommentar mit einem Link zu seinem Geschäft beglückt hat. Tja, was soll ich sagen. Wenn der Autor des Kommentars wirklich der Meinung ist, dass Schleichwerbung beim „Sprachbloggeur“ die Geschäfte anregt…

Für manche Leser – bzw. Leserinnen – biete ich meine Seite hingegen äußerst gerne als Werbeplattform an. Ich denke an Monika Sims reizende Puppen. Weihnachten ist gleich um die Ecke, lieber Rappelkopf, und Monika ist wahrlich eine begnadete Künstlerin. Nun hat die Schöpferin der „Simcreations“ auch eine neue Seite ins Leben gerufen, die der „Wurstologie“ gewidmet ist. Man freut sich, wenn man Monika (oder auch Dir, lieber Rappelkopf, falls Du ein Geschäft hättest) helfen kann.

Doch letztendlich ist der „Sprachbloggeur“, wie gesagt, kaum mehr als ein Tante-Emma-Geschäft weitab vom Stadtkern.

Liebe Spammer: Auch wenn ich mir kein teueres Überwachungssystem leisten kann wie im großen Supermarkt, schlafe ich bei der Arbeit nicht. Wenn sich jemand eine Dose Bohnen unter die Jacke gesteckt hat, täuscht er sich, wenn er meint, er habe mich bestohlen. Ich habe ihn längst im Visier.

Und wenn ich ihn „unerkannt“ davonschleichen lasse, dann nur, weil ich festgestellt habe, dass er Mundraub begangen hat. Wer sich meine Waren leisten kann und trotzdem mich beklauen will, den frage ich natürlich, ob er vielleicht nicht ganz richtig tickt, wenn er ausgerechnet mich als Opfer ausgesucht hat.

Ja, das Internet ist ein neues, raues Land, das ebenso groß und wild ist wie die Landschaft, die ich letzthin durchquert habe, um meine Mutter von Phoenix, Arizona nach Dallas, Texas umzusiedeln.

Eines Tages werden wir auf diese gesetzlosen Tage zurückblicken und mit einem Hauch von Sentimentalität bemerken: Das waren ja lustige und harmlose Zeiten.

Oh oh oh, ich hab die Informationszeitalter-Blues!

Mit Sicherheit kennen auch Sie solche Tage: Man glaubt sich total vergessen zu sein. Keine Mails, nicht einmal für Viagra. Auch keine Heiratsangebote von einsamen Russinnen aus Siberien.

Ist was mit dem Rechner? fragt man sich. Hat der Server eine Panne?

Dann fällt mir ein, dass mein Unbehagen eigentlich nur angelernt ist. Vor fünfundzwanzig Jahren, als nur die Geeks die Vokabel „Internet“, oder wie immer es damals hieß, verwendeten, habe ich manchmal zwei Wochen keine Post bekommen – geschweige denn Anrufe. Funkstille. Das war besonders schlimm im August, als alle Freunde und Bekannten – außer mir – verreist waren.

Darüber hinaus denke ich an Thomas Paine. Am Anfang des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs veröffentlichte er ein Pamphlet, „Common Sense“ (Der gesunde Menschenverstand). Es wurde damals zum Bestseller. Paine erklärte, dass die Bindung der amerikanischen Kolonien an England sinnlos sei – vor allem, wenn sich einer einbilde, die Engländer könnten Amerika vor Feinden schützen. Bis die Nachricht eines feindlichen Angriffs das Mutterland erreichte und die britische Flotte endlich eintreffe, seien Monate vergangen und der Krieg längst entschieden.

Aber kehren wir in die Gegenwart zurück. So schön es ist, über Fragen der Einsamkeit und der Informationsgeschwindigkeit zu spekulieren, möchte ich Ihnen jetzt lieber etwas weitererzählen, dass ich von Freund Edward über Google erfahren habe.

Ja, Google, beliebtes und unentbehrliches Suchprogramm, von dem man längst ein neudeutsches Verb abgeleitet hat.

Edward hat mir vor ein paar Tagen eine Mail geschickt. (War das die letzte Mail, die ich erhalten habe?). Er erzählte, dass er den Begriff „kebab pie kiosk“ „gegoogelt“ hätte. „Kebab“ kennt jeder. In Englisch bedeutet es „Döner“. „Pie kiosk“, ein Begriff, den ich nicht kannte, scheint in Kombination mit „Kebab“ „Dönerbude“ zu bedeuten. Ich weiß es aber nicht ganz genau.

Wie dem auch sei: Gibt man diesen Suchbegriff bei Google ein, taucht an erster Stelle der Tausende von Treffern die Geschichte vom Mord an einem 25jährigen Russen auf. Drei Obdachlose haben ihn getötet, so heißt es, und dann sein Fleisch kannibalisiert. Die Geschichte wird noch schlimmer. Nach dieser gruseligen Mahlzeit haben die Täter Körperteile des Ermordeten an eine Dönerbude („Kebab and Pie Kiosk“ also) in der Stadt Perm verkauft. Vielleicht haben Sie diese Geschichte selbst schon gelesen. Sie erschien als Kuriosität in fast allen Zeitungen, und sicherlich wurde im Fernsehen darüber berichtet.

Was Edward stützig machte, ist aber Folgendes. Hier O-Ton aus unserem Telefongespräch: „Google wird zunehmend faul. Schau: Wer ‚kebab pie kiosk’ als Suchbegriff eingibt, rechnet eigentlich mit Seiten über Dönerbuden, nicht aber mit einer Geschichte über Kannibalen. Oder?“

„Wieso denn tauchten diese Berichte an erster Stelle auf?“ fragte ich.

„Ganz einfach: Diese unverschämte Verdummung ist von Google gewollt. Google hat nämlich Angst vor der neuen Konkurrenz – sprich Bing – und will mit Sensation anstatt Information die Kunden bei Laune halten.“

„Aber wie stellst du dir das vor? Man bräuchte Millionen von Mitarbeitern, um alle Suchbegriffe nach Sensationslust zu ordnen.“

„Nein, das geht ganz einfach. Man braucht lediglich die Nachrichtenagenturen anzuzapfen – in diesem Fall die BBC – und dann hat man alle Sensationsgeschichten automatisch an erster Stelle. Denn die meisten Nachrichtenagenturen sind heute darauf bedacht, das Unterhaltsame und Gruselige automatisch hervorzuheben.“

„Willst du damit sagen, dass die Nachrichtenagenturen keine Nachrichten mehr liefern?“

„Tja.“

„Tja?“

„Tja.“

I got the age of information blues – ta ta ta TA!

Vorsicht Worte! Explosionsgefahr!

Achtung! Achtung! Hier wird dringend vor dem Sprachbloggeur gewarnt. So höflich er auch ist, in seiner Brust haust ein politisch unkorrekter Mensch. Man weiß nicht, wann er wieder zuschlagen wird.

Sie erinnern sich vielleicht an die Prügelattacke in der Münchener S-Bahn am 14. September. Damals haben zwei Dumpfköpfe einen Mann zu Tode geprügelt, weil er drei Jugendlichen, die von den Schlägern angepöbelt wurden, zu Hilfe geeilt ist.

Es war nicht das erste Mal in den letzten Monaten, dass in München (und auch sonstwo) Schläger ihren Frust auf diese Art abreagiert haben. Diesmal aber ist ein Mensch an den Folgen dieser Stupidität gestorben.

Von mir heute keine Predigt über die Schlechtigkeit der Jugend, über schlechte Zeiten oder über die Rolle der Banken beim Verfall der Gesellschaft.

Ich erinnere an diese bedauerliche Geschichte, weil damals die Münchener Abendzeitung den zu Tode Geprügelten, Dominik Brunner, posthum für seine Zivilcourage ehren wollte. Die Zeitung kam auf die Idee, eine neue Protestbewegung ins Leben zu rufen, um die Zivilcourage zu befördern. Nichts dagegen einzuwenden. In der Zeitung lag ein kleines Klebeplakat mit folgendem Text in schwarzen und in roten Buchstaben vor:

                                   ZIVIL (schwarz)

                                   COURAGE (schwarz)

                                   ZEIGEN! (rot)

                                   AKTION GEGEN GEWALT (schwarz)

Die Idee war: Man sollte das Plakätchen irgendwo hinkleben: ans Auto, an Häuserwände, an Zimmertüren – was weiß ich. Es war jedenfalls ein Aufruf zu mehr Zivilcourage. Wirklich nichts dagegen einzuwenden.

Ich weiß nicht, was an diesem Tag in mich gefahren ist, als ich mir das Plakätchen betrachtete. Vielleicht habe ich mich gelangweilt oder hatte Lust, ein Puzzlespiel zu lösen. Keine Ahnung. Ich habe das edle Plakat einige Minuten konzentriert studiert, holte gleich mein Schweizer Messer aus der Tasche und schnipselte an dem Text herum, bis mir nur folgende Wörter übrigblieben:

                                   ZIVIL

                                   RAGE

                                   ZEIGEN!

                                   AKTION GEWALT

Es handelte sich lediglich um ein Wortspiel – zugegeben ein anarchistisches. Aufgrund meines Spieltriebs gelange es mir aber, eine positive in eine negative Botschaft zu verwandeln. Noch schlimmer: Ich war auf meinen Einfallsreichtum sehr stolz.

Als mein jüngster Sohn nach Hause kam, sagte ich ihm, er sollte sich seine schwarze Kapuze anziehen und sein Gesicht vermummen. Ich steckte ihm mein pervertiertes Plakätchen in die Hand und knipste ein Foto. Ich hatte vor, das Bild an die Abendzeitung zu schicken. Schwarzer Humor sozusagen.

„Sag mal, hast du dein Zivilrage-Foto an die Abendzeitung geschickt?“ fragte mein Sohn gestern.

„Nein“, antwortete ich.

„Ach, was für ein Langweiliger bist du.“

„Nein“, habe ich gesagt, gedacht habe ich aber Folgendes: Nein, ich habe das Foto nicht geschickt, weil ich wusste, ich komme in diesem Augenblick mit meinem schwarzen Humor nicht weit. Keiner hätte verstanden, dass ich lediglich darauf hinweisen wollte, dass auch die besten Absichten (sprich: die Zivilcourage zu fördern) zum Scheitern verurteilt ist, wenn die eigene Losung nicht genau formuliert wird. Letztendlich ist der Sprachbloggeur ein gutmütiger Anarchist. Er hat nicht vor, richtige Chaoten mit guten Ideen zu füttern.

Meine Losung: Vorsicht Worte! Explosionsgefahr!

Machen Sie die Probe aufs Exempel. Sie werden feststellen: Nicht einmal ein Schweizer Messer hilft, diese Worte umzudeuten.

Depression hat einen Posterboy gefunden

„Geschlagen im Spiel des Lebens“ – so die Überschrift im Spiegel-online. „So erkennen Sie Depressionen“ – große Schlagzeile in der Münchener Abendzeitung.

Ellenlange Texte über „Volkskrankheit Depression“ grassieren in der Presse und natürlich die dazu gehörige Prise Betroffenheit, weil es sich um das Schicksal von Robert Enke handelt.

„Erst muss sich ein Torhüter vor einen Zug werfen, damit die Medien das Phänomen der Depression interessant finden.“ Das habe ich der Zeitungshändlerin im Kiosk heute vorgegrantelt.

„Gell!“, antwortet sie. „Irgendwie makaber. Okay, es ist wirklich traurig, dass er sich das Leben genommen hat, aber plötzlich schreiben alle über die Depression. Alle wollen an seinem Tod verdienen. Es ist wie bei Michael Jackson.“

Depression hat also ihren Posterboy gefunden. Das klingt gemein, so meine ich es aber nicht. Robert Enke war krank und hat eine falsche Entscheidung getroffen. Für ihn gibt es leider kein Zurück.

„Nein, es ist nicht schlimm, dass die Zeitungen über Depression schreiben.“ Das sagte meine Frau. „Die meisten Menschen, die darunter leiden, schämen sich, davon zu reden. Nun hat man eine Gelegenheit gefunden, das Problem zu thematisieren. Vielleicht hilft das.“

Vielleicht hat sie recht. Das bedeutet aber trotzdem: Wenn prominente Menschen sterben – insbesondere eines unnatürlichen Todes – , ist das meistens gut für die Auflage. Die Medienformel muss wohl lauten: Ein toter Torhüter ist mehr Wert als ein toter Nobody.

Damit habe ich über dieses Thema genug gesagt und gehe nahtlos zum nächsten über:

Zum Wort „Depression“ selbst. Fakt ist: Es gibt diese Vokabel im heutigen Sinn kaum einhundert Jahre. Das Wort tauchte erst im 19. Jahrhundert auf und bedeutete damals „Finanzkrise“. Wohl hat der Klang den Psychoanalytikern gefallen, sie haben es eifrig übernommen, um eine gewisse seelische Niedergeschlagenheit zu bezeichnen.

Früher benutzte man ganz andere Wörter für diesen Zustand, zum Beispiel „Schwermut“, „Tristesse“ oder „Verzweifelung“. Der spanische Mystiker, Johannes vom Kreuz“ schrieb im 16. Jahrhundert über „la noche oscura del alma“, („die dunkle Nacht der Seele“). Anschaulicher kann man den Zustand nicht beschreiben.

Heute mutmaßen Mediziner ein chemisches Ungleichgewicht als Ursache für eine chronische Depression. Sie verschreiben Tabletten, die das verlorene Gleichgewicht wiederherstellen soll. Diese Behandlungsmethode erinnert sehr an die der Altgriechen, die die Viersäftelehre praktizierten. Sie glaubten, dass das menschliche Gemüt durch vier Säfte bestimmt werde: durch weiße Galle, schwarze Galle, Blut und Schleim. Hat man einen dieser Säfte in Überfluss, wird man gemütskrank. Wer zu viel schwarze Galle – Griechisch „melanchole“ –hat, der wird folglich „melancholisch“. Die Behandlung war offensichtlich: Man versuchte die Menge der schwarzen Galle zu reduzieren.

Auch in der Bibel kann man eine Fallstudie über Depression lesen. An dieser Krankheit litt nämlich König Saul. Er unterzog sich einer Musiktherapie. Der Hirtenjunge David spielte für ihn auf der Harpfe. Die Therapie hat leider nur begrenzt geholfen.

Warum will ich heute unbedingt über Depression schreiben? Bin ich genauso opportunistisch wie die anderen Medienmenschen? Wahrscheinlich schon. Ich habe aber auch einen anderen Grund, diese Krankheit zu thematisieren.

Ich habe nämlich neulich etwas über Sören Kierkegaard gelesen, einen Menschen, der sehr unter Schwermut gelitten hat. Er hat aber versucht, seine Krankheit durch genaue Selbstanalyse zu ergründen. Seine Schlussfolgerung: Ein Gemütsleiden ist in Wirklichkeit eine Auseinandersetzung mit der Existenz schlechthin. Das heißt: .Für ihn war die Schwermut nichts anders als der Ausdruck eines persönlichen Kampfs,  dem Leben einen Sinn zu geben. So gesehen ist jede Depression verständlich. Die Depressiven wollen lediglich verstehen, warum sie überhaupt leben. Sie finden aber keine Antwort.

So gesehen spielt ein Posterboy doch eine wichtige Stellvertreterrolle. Er erinnert daran, dass wir alle irgendwie im selben Boot sitzen, auch die, die sich nicht unbedingt für depressiv halten. Letztendlich hat meine Frau doch recht: Wenn so einer wie Robert Enke stirbt, hat man Gelegenheit, ein wesentliches Problem zu thematisieren – auch wenn die Medien vom Tod eines Posterboys profitieren.

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