250 Bücher. Alte Weggefährten. Manche haben mich über vierzig Jahre durch das Leben begleitet. Am Wochenende habe ich sie in drei Kartons gepackt und zack! Deckel zu. Nein, nicht ganz. Mein Sohn hat schnell wieder aufgemacht und drei Bücher herausgefischt, die er haben wollte. Meinetwegen.
„Ausmisten“, sagt man. Bücher als Mist.
Ade „The Medicis“! Ade „Chang und Eng“! Ade „Meine Autobiographie“ von Leon Trotzki! Ade…Komisch. Mir fallen nach so vielen intimen Jahren nur noch zehn oder fünfzehn Titel ein.
Ich habe sie gestern auf eine Sackkarre gehievt, mit Gummibändern gefestigt, und durch die Straßen Schwabings zum nächsten Antiquariat geschoben. War sehr anstrengend.
Ich war aber überzeugt, dass der Ladenbesitzer mit meiner Auswahl höchstzufrieden sein würde. Meine Bücher passten gut in sein Sortiment.
Ich kam mir allerdings vor wie der Biobauer, der seine liebgewonnenen Schweinderl zum Markt karrt. Jedes Tier hat seinen Namen: „Grunzi“, „Heloise“, „Knickschwanzerl“, „Flappsi“ usw. In wenigen Stunden würde jemand den Weggefährten die Kehle durchschneiden.
Sie meinen vielleicht, Bücher seien keine Schweine und hätten erst recht keine Kehle. Haben Sie eine Ahnung.
Ein nüchterner Typ, der Ladenbesitzer. Noch nie habe ich ihn lächeln gesehen. Lieblos wühlte er durch die Kartons und legte diverse Bücher auf einen oder den anderen Stapel. Was haben diese Stapel zu bedeuten? sinnierte ich. Eine Selektion? Nein, ich habe nicht an Auschwitz gedacht. Im Gegenteil. Ich meinte, er ordne alles nach Sachgebieten oder nach Wert ein: die Fünf-Euro-Bücher, die für zehn Euro, die Luxusware für zwanzig Euro. Auf einem Stapel landete mein Fraktur-Spinoza, auf einem anderen mein englischer Marcus Aurelius, auf einem dritten die Karl Steinbuch-Bücher.
Beim zweiten Karton machte er noch schneller. Er mag doch alles! Das habe ich gedacht. Erst beim dritten begann ich allmählich zu zweifeln. Einen Henri Pirenne „Economic and Social History of Medieval Europe“ hat er einfach plumpsen lassen. Das Cover bekam sofort einen Knick. Ruppiger Kerl. Liebt er seine Bücher nicht? Vielleicht doch ein Bücherauschwitz.
„Das meiste kann ich gar nicht gebrauchen“, nuschelte er schließlich.
„Aber genau solche Bücher sehe ich immer wieder in Ihrem Laden.“
„Die bringen bloß zwei Euro, wenn es gut geht. Fast alles wertlos, Ihre Bücher. Schrott.“
„Du liebe Scheiße. Ich kann das alles aber nicht wieder nach Hause karren. Ich will es alles nicht mehr sehen.“ „‚Flappsi’, ‚Knickschwanzerl’, ‚Heloise’, Ihr bleibt bei dem netten Mann, der euch bald die Kehle aufschlitzen wird.“
Er zuckte aber gleichgültig mit den Achseln. „Das meiste schmeiße ich ohnehin weg. Keine Sau interessiert sich doch heute für Karl Steinbuch und seine dröge Informatik aus den 60er Jahren. Alles nur Ladenhüter. Müll.“
„Und Trotzkis Autobiographie? Herder? Spinoza?“
Er schaute mich nur finster an. „Nehmen Sie sich ein Buch im Wert von 20 Euro. Dann sind wir quitt.“
Ich gebe zu. Ich habe schon die ganze Zeit nicht viel erwartet, hatte allerdings gehofft, dass ich wenigstens vier Bücher im Kaufwert von etwa hundert Euro im Tausch bekäme.
Stracks ergriff ich „Die Enzyklopädie des Isidor von Sevilla“. Noch nie davon gehört? Isidor von Sevilla lebte im 6. und 7. Jahrhunderten und gilt als letzter Autor der Antike, von dem man behaupten kann, seine Muttersprache sei Lateinisch gewesen. Seine Enzyklopädie entstand in einer Zeit des Zusammenbruchs. Sie war im Grunde die Quintessenz von Tausenden von verschollenen Büchern der Antike – so wie mein Exemplar seines Werkes zum Ersatz für meine 250 Bücher werden sollte.
„Flappsi“, „Knickschwanzerl“, „Heloise“ und Co., meinetwegen sollt ihr verrecken. Ich überlasse euch eurem Schicksal. Sentimentalität ade.
Schließlich ist auf Erden nichts für die Ewigkeit.
PS: Im letzten Augenblick habe ich eine Schubert-Biographie aus einem Karton gerettet. So ist es halt mit dem Schicksal der Dinge.
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