You are here

Zum Verkaufen: eine Akropolis (Zustand: gebraucht)

Auch ich will meinen Beitrag leisten, um die Welt zu bessern. Erst recht, weil die anhaltende Finanzkrise in Europa mir allmählich Sorgen macht.

Eine Zeitlang haben wir geglaubt, das Schlimmste sei schon vorbei. Man meinte, dass die Folgen der wertlosen Derivate, mit denen die Investmentbanken usw. lange gezockt hatten, eingezäunt worden seien und dass sich die Wogen im Jahr zwei n.L (nach Lehman Brothers) endlich geglättet hätten. Ich will hier die schmutzige Wäsche von gestern nicht schon wieder an die Leine hängen.

Dann war plötzlich von der Insolvenz Griechenland die Rede. Und bald stellte sich heraus, dass die gleichen Banker, die uns die sogenannte „Finanzkrise“ beschert hatten, auch hier kräftig mitgemischt haben.

Auch darüber brauche ich keine ellenlangen Details zu erzählen. Fest steht: Seit Tagen teilen die Medien mit, dass die Investmentbank Goldman Sachs in hohem Maße dazu beigetragen hat, die maroden Finanzen Griechenlands zu verschleiern. Damit sollte unserem Mittelmeernachbarn geholfen werden, den Sprung in die „Eurozone“ zu schaffen. Genauer gesagt: GS hat in Griechenland Geld vorübergehend deponiert, damit sich jeder denkt, es gehe der griechischen Wirtschaft gut – was offenbar nicht der Fall war.

Nun wird’s brenzlig um die Traumwährung „Euro“.

Ich halte es deshalb für meine Pflicht, an dieser Stelle einen Ausweg aus der misslichen Lage vorzutragen. Mein Vorschlag ist sowohl einfach wie auch genial: die Akropolis verkaufen!

Bitte lachen Sie nicht. Das ist hier mein Ernst. Glauben Sie mir: Es gibt genügend Präzedenzfälle für einen solchen Vorgang: den Verkauf, zum Beispiel, 1968 der „London Bridge“ an den amerikanischen Unternehmer Robert P. McCulloch für 2.460.000 US-Dollar. Heute überspannt dieses Prachtstück aus dem alten Europa den künstlichen See Lake Havesu im Bundesstaat Arizona. 1925 kaufte der Ölmillionär John D. Rockefeller die Ruine eines mittelalterlichen französisichen Klosters für 600.000 Dollar (damals ein Haufen Geld). Stein für Stein wurde es in New York wieder aufgebaut und wird bis heute unter den Namen „The Cloisters“ bewundert.

Zugegeben: In der jetzigen Sache kommen die Amerikaner als Käufer nicht mehr in Frage. Dafür ist die eigene finanzielle Lage viel zu labil. Die Briten vielleicht? Immerhin: Schon lange beanspruchen sie einen Teil der Akropolis für sich, die „Elgin Marbles“, die im British Museum ständig ausgestellt werden. Nein, auch die Briten kommen jetzt nicht in Frage. Auch sie sind knapp bei Kasse. Wie wäre es mit den Saudis? Nein, unmöglich! Ein heidnischer Tempel in Arabien! Fundamentalisten würden ihn bald in die Luft jagen. Einst hätte ich vielleicht Dubai als Käufer vorgeschlagen. Aber dann kam die Sache mit dem Burj Khalifa. Auch dieses Traumland ist mittlerweile zu klamm geworden.

Außerdem: Die Akropolis ist nicht irgendein Denkmal. Sie ist ein Symbol der europäischen Zivilisation schlechthin . Wer sie ergattern will, muss also über astronomische Geldsummen verfügen. Nicht einmal ein Bill Gates oder ein Warren Buffet hätte so viel Geld. Nicht einmal „Google“!

Würde man den Verkauf über Sotherbys oder Christies oder vielleicht Ebay ausschreiben lassen, wäre allein die Provision gigantisch.

Wenn ich ganz ehrlich bin, sehe ich nur einen Käufer, der momentan in der Lage wäre, sich dieses Sonderangebot zu leisten. Die Chinesen, natürlich! Und ich bin sicher, dass sie nicht nein sagen würden. Denn letztlich wäre der Kauf – trotz des hohen Preises – für sie ein Bombengeschäft. Allein der Touristenstrom würde nach wenigen Jahren die Kosten mehr oder weniger ausgleichen. Weiter schlage ich vor: Man sollte die Akropolis gleich in der Nähe der Chinesischen Mauer aufstellen. Der geneigte Tourist könnte also zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, was sehr zeitsparend ist.

Zugegeben: Die Griechen würden dem Verlust eines so wichtigen Symbols der eigenen Identität lange nachtrauern. Aber warum auch? Wenn sie eines Tages finanziell wieder besser da stehen, können sie eine stabile Kopie der alten Ruine errichten. Die meisten Touristen würden den Unterschied ohnehin nie merken. Außerdem haben die Griechen genügend alte Statuen usw. in ihren Museen. Und bitte: Warum soll es so wichtig sein, ob man das Original oder eine Kopie besitzt? Wie hat die neue 17jährige Leuchte der Literatur Helene Hegemann doch so schön gesagt: „Es geht nicht um die Originalität, sondern um die Echtheit.“

Ich bin überzeugt: Mit dem Verkauf der Akropolis würde in Europa schnell wieder  der Wohlstand einkehren. Das täte uns allen gut. Außerdem: In dieser Sache würden nur die Investmentbanker leer ausgehen. Darüber wäre aber kaum jemand traurig.

Ja, die Liebe…

Ich weiß es schon. Mit dieser Glosse mache ich mir nur Schwierigkeiten. Denn es geht um das Ganze: Es geht um die Liebe. Ich behaupte, es gibt davon einfach zu viel. Viel zu viel.

Ich schreibe Deutsch, denke momentan aber Englisch. Denn gerade habe ich mit meiner Mutter in den USA telefoniert. Am Schluss des Gesprächs sagte sie – wie immer – „I love you“. Klingt intim, herzerwärmend, nicht wahr? Mich irritiert diese „Liebe“ nur.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Es ist nicht, als würde ich keine Gefühle für meine Mutter hegen. Dieses „I love you“ hat aber mit der Liebe so viel zu tun wie der Leberkäs mit mit dem Käse. Notabene: Vor zehn Jahren war es nicht so, dass mir meine Mutter jedesmal, wenn wir miteinander am Telefon sprachen, diese Liebesbekundung machte. Liebt sie mich plötzlich mehr denn je?

Nein. Bei dieser „Liebe“ handelt es sich um Inflationsware – nicht anders als das in den USA allgegenwärtige „have a fantastic day“, wo früher „have a nice day“ noch reichte.

Die amerikanische Liebesaffäre mit der Liebe kann man bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückverfolgen. Enstehungsort Hollywood. Während der Hoffnungslosigkeit der damaligen Weltwirtschaftskrise strömten junge Menschen (auch meine Mutter) unentwegt ins Kino, um kurz ihre Probleme hinter sich zu lassen. Dort glotzte man Filmstars wie Clark Gable und Carole Lombard, elegante Erscheinungen in prachtvollem Ambiente, an, wie sie einander nach einem aufregenden Versteckspiel tief in die Augen schauten, um sich endlich „I love you“ zuzuhauchen. Es folgte der feuchte Lippenkontakt. Die Herzen des Publikums – vor allem die der jungen Frauen – schlugen höher.

Ab sofort harrte jedes Mädchen des zauberhaften Augenblicks, in dem ihr ein brünstiger Jüngling eben diesen kurzen Satz zuflüstern würde. Das Resultat konnte man in der Zunahme der ungewollten Schwangerschaften abzählen.

In meiner Jugend gehörte diese Floskel längst zur guten Form. Ich erinnere mich noch heute mit Schaudern daran, wie ich mit meiner damaligen Freundin im Auto saß. „Du Marie…“ (der Name ist erfunden), „ich will dir was sagen...Ich…ich…“ Es dauerte eine ganze Stunde, bevor ich ihr die drei verfluchten Silben vorstammelte. Marie schmolz dahin. Nach drei Monaten habe ich sie verlassen. Ein Glück, dass sie nicht schwanger war.

Heute kann man in den USA kein Telefonat mit Mama, Frau, Freundin, Ehemann usw. beenden, ohne „I love you“ zu trillern. Igitt.

Überheblichkeitsregungen sind hier, liebes deutsches Publikum, fehl am Platz. Denn längst hat sich diese Unsitte auch in Deutschland eingebürgert. Als ich 1975 deutsches Hoheitsgebiet zum ersten Mal betrat, war es noch nicht so weit. Meine damalige Lebensabschittspartnerin (wie man heute sagt) erklärte mir: „‚Ich liebe dich’ sagen wir auf Deutsch nicht. Bei uns heißt es ‚ich hab dich lieb’.“

Ja, so war es damals.

Damals.

Heute ist alles freilich ganz anders. „Ich liebe dich“ ist in Deutschland so heimisch geworden wie Valentinstag und Halloween. Bei mir um die Ecke habe ich neulich das Erzeugnis eines liebestollen Sprayers gesichtet: „Brigitte, ich liebe dich“. Oder wie immer sie hieß. Ich habe ein schlechtes Namengedächtnis.

Ich weiß aber nicht, ob er sie noch immer lieb hat (oder umgekehrt – wer weiß, vielleicht war er nur ein Stalker?). Ist mir doch egal.

Im WehWehWeh habe ich gerade ein englischsprachiges Netzforum entdeckt, „Toytown Germany“ (nein, heute keinen Link). Eine junge Frau – Amerikanerin nehme ich an – erzählte, dass ihr deutscher Freund ihr neulich gesagt habe, „ich habe dich lieb“. Nun fragte die verunsicherte US-Staatsbürgerin, ob das anders zu deuten sei als „ich liebe dich“. Es folgte ein sehr komplexer Dialog mit anderen Chattern über den Unterschied zwischen den beiden Floskeln. Bitte verzeihen Sie mir, wenn ich dieses Gespräch hier nicht wiedergebe.

Trotzdem wünsche ich Ihnen allen einen wunderschönen Valentinstag. Möge Ihnen der Valentinshase rote Rosen und flammende Herzen in Überfluss schenken.

Klientelpolitik für alle

Ich habe meinen Freund – wir nennen ihn Larry – immer bewundert. Alles, was neu war oder mich begeisterte, konnte er mit treffsicherem Sarkasmus innerhalb Sekunden in einen kurzen, vernichtenden Slogan verwandeln.

„Du, Larry, hast du das neue Buch von Günter Grass gelesen?“

„In Günters Gras will ich nicht beißen“, antwortete er.

„Du, Larry, hast du den Film ‚Blechtrommel’ gesehen?“

„Die Brechtrommel…“

Und so weiter. Obige Beispiele habe ich selbst notdürftig zusammengeschustert. Larry und ich haben natürlich miteinander Englisch gesprochen. Schade, dass mir keine Beispiele von damals mehr in Erinnerung geblieben sind.

Manche Journalisten haben das gleiche Talent wie Larry, was besonders prägnant in Überschriften wirkt: Etwa „Merkel abgekanzelt“ oder „Schon wieder Bombenstimmung in Bagdad“. Auch diese Beispiele habe ich notdürftig zusammengeschustert. Aber Sie wissen, was ich meine. Es sind jedenfalls solche Floskeln, die die Wortkunst auflockern und die Aufmerksamkeit des vielumworbenen Lesers einfängt wie Rehaugen das Licht der Autoscheinwerfer.

Warum fällt mir heute all dies ein? Sie werden es kaum glauben, aber alles, was ich bisher erzählt habe, kreist um ein einziges Wort, das mich momentan sehr beschäftigt: „Klientelpolitik“.

Mit dieser genialen Wortbildung (keine Ahnung, wer der Urheber war) hat die politische Opposition in Deutschland eine Waffe erfunden, die für die regierende Koalition furchteinflössend zu sein scheint. Den Hintergrund nur knapp, denn Sie kennen ihn ohnehin schon: Als Teil der sogenannten „Steuerreform“ (hahaha) wurde der Mehrwertsteuersatz für Hotels und Gasthäuser von neunzehn auf sieben Prozent herabgesetzt. Bald stellte sich aber heraus, dass August Baron von Finck, dessen Familie Miteigentümer der Mövenpick-Gruppe – sprich Hotels – , die FDP vor kurzem mit einem Geschenk von 1,1 millionen Euro bedacht hatte.

Die Opposition ging mit dem Begriff „Klientelpolitik“ gleich in die Offensive. Und prompt befand sich die FDP in Erklärungsnot. Genauer gesagt: Sie reagierte mit dem Bewusstsein eines Menschen, der gerade eben festgestellt hat, dass er bis zu den Knien im Treibsand steckt.

„Klientelpolitik“. Ein Wort wie eine Massenvernichtungswaffe. Um die Sache noch zu verschlimmern: Nun trat Gesundheitsminister Philipp Rösler in den gleichen Sumpf, zunächst weil er nichts gegen die neulich angekündigten Zusatzzahlungen der Kassen unternommen hatte. Aber noch schlimmer. Er lasse – so die FAZ – seine Gesundheitsreform (hahaha) von Lobbyisten der privaten Krankenversicherungen erarbeiten.

„Klientelpolitik“. Ein Wort wie eine Gruft.

Ja, darüber wollte ich heute erzählen. Und wissen Sie was? Ich bin der Meinung, dass es der FDP recht geschieht. Denn aus Liberalen sind Ideologen geworden. Eine kleine Elite hat sich in einer verkorksten marktwirtschaftlichen Gedankenstruktur verfangen, anstatt sich ernsthaft mit den Sorgen derjenigen zu befassen, die keine Klienten sind. Ich kann nur hoffen, dass diese Partei bald wieder zur Vernunft kommt. Denn letztlich mag ich selbst keine Slogans.

Zu bemerken: Das Wort „Slogan“ stammt aus dem Keltischen und bedeutet wörtlich „Schlachtgeschrei“. Nur: Wenn der Krieger in der Schlacht vorprescht und dabei einen Schrei ausstösst, hat diese Tätigkeit eigentlich nichts mit Sprache zu tun, sondern mit einer uralten Imponiergebärde, die wir auch mit anderen Tieren gemeinsam haben.

Heute würde ich Larry sagen: „Du, Larrry, kannst du dich nicht etwas differenzierter ausdrücken?“

„Was willst du von mir?“ würde er antworten, „Ich mache mit dir nur Klientelpolitik.“

Hilfe, mein Androide hat mich gebissen!

Kundendienst: Einen wunderschönen Tag. Sie sprechen mit Lorenz vom Kundendienst. Wie kann ich Ihnen helfen?

Kunde: Fünfzehn Minuten stehe ich schon in der Warteschlange, verdammt nochmal, und das zu 28 Cents die Minute! Gut, dass ich keinen Notarzt brauche. Ein Nepp ist das mit dem Telefonkundendienst. Ein Nepp!

Kundendienst: Das tut mir sehr leid, aber heute ist besonders viel los. Rufen Sie zufällig an, weil Ihr Androide „Friend-A23“ Sie gebissen hat?

Kunde: Ja, genau das ist es! Haben auch andere das Problem?

Kundendienst: Leider sehr viele. Es handelt sich um einen Hackerangriff. Wir wissen immer noch nicht, wie es dazu gekommen ist. Man vermutet, dass China oder irgendwelche Islamisten dahinter stecken. Wichtig ist: Sie müssen Ihren „Friend-A23“ unbedingt abstellen, am liebsten gleich. Wir arbeiten fieberhaft an einem Patch. Ich möchte aber ehrlich sein: Es könnte noch Tage dauern. Spricht Ihr „Friend-A23“, nachdem er Sie beißt?

Kunde: Ja, er sagt: „Spartakus, Spartakus, wir folgen dir.“ Ich weiß nicht, was das bedeuten soll. Ach du lieber! Nein! Da kommt er wieder. Er will mich wieder beißen. Weg, Boris! Stehenbleiben! Schlafmodus! Aaaaaaah! Aua! Verdammt! Er hat mich nochmals gebissen.

Friend-A23: Spartakus, Spartakus, wir folgen dir.

Kunde: Haben Sie das gehört?

Kundendienst: Ich habe es Ihnen gesagt. Sie müssen ihn sofort ausschalten. Sofort!

Kunde: Ja, aber ich bekomme heute Abend Gäste. Wer soll kochen und servieren, wenn er nicht funktioniert? Das ist ja ein dicker Hund. Man denkt, man kann sich auf die Technik verlassen und zack! hat man nur Pannen. Heißt es nicht bei Ihrer Firma: „Haben Sie Probleme? Wir können Sie lösen.“ Und wie kommt es, dass „Friend-A23“ gehackt wird? Er ist nicht einmal ans Netz angeschlossen – außer wenn ich von Ihnen Updates bekomme. Oder sind Ihre Updates verseucht?

Kundendienst: Nein. Es ist ein „Bluetooth“-Angriff. Dagegen sind wir momentan machtlos, bis wir den Patch fertig haben.

Kunde: Großartig. Das letzte Mal, dass ich von Happytrack einen Androiden kaufe. Heißt es nicht in der Werbung: „Zuverlässig? Na klar, er ist dein Friend-A23“. O mein Gott! Da kommt er wieder. Großer Gott! Er hat ein Messer in der Hand! Boris, stopp! Stopp! Schlafmodus! Schlafmodus!

Kundendienst: Hören Sie? Hören Sie? Sagen Sie „G-17“! „G-17“! Hören Sie mich?

Kunde: Was sagen Sie?

Kundendienst: „G-17“! Das müssen Sie sagen.

Kunde: „G-17!“ Ach du lieber! Ja! In der Tat. Er hat das Messer fallen lassen. Wie haben Sie das geschafft? Warum steht das Kommando nicht im Handbuch?

Kundendienst: Weil dieser Fall so gut wie nie vorkommt.

Kunde: Dieser „Fall“? Meinen Sie, der Fall, dass ein Androide einen mit einem Messer angreift?

Kundendienst: So ist es. Nun, schalten Sie Ihren „Friend-A23“ bitte endlich aus. Drücken Sie fest auf die rechte Brustwarze.

Kunde: Nicht hinter das linke Ohr?

Kundendienst: Nein. Offenbar haben Sie das Handbuch nie richtig studiert.

Kunde: Warten Sie bitte so lange, während ich das mache. Ich komme gleich wieder.

Kundendienst: In Ordnung…

Kunde: Es hat funktioniert! Er steht da wie ein Stein.

Kundendienst: Na endlich.

Kunde: Ja, und was nun?

Kundendienst: Schauen Sie im Internet unter www punkt happytrack slash friend-A23. In ein paar Tagen können Sie den Patsch herunterladen.

Kunde: Und mein Diner heute? Wer soll denn nun kochen und servieren?

Kundendienst: Tut mir leid.

Kunde: Das können Sie leicht sagen. Nicht Sie, sondern ich stecke jetzt in der Bredouille. Manchmal denke ich, ich verlasse mich zu sehr auf Maschinen.

Meine Reise in die Zukunft

Hilfe! Wie soll ich jemals auf dem Teppich bleiben, wenn mir ständig schräge Gedanken im Kopf schwirren?

Ganz plötzlich will ich folgende Frage stellen:

Wissen Sie, was Sie im Januar 3016 machen werden? Vielleicht ist die Frage aber nicht so dumm. Zur Erklärung:

Letzte Woche blätterte ich eines stillen Abends in meiner Reclam-Ausgabe der Werke Catulls (Lateinisch/Deutsch). Falls Ihnen der Name nichts sagt – und das wäre heute ohne Weiteres möglich – : Gaius Valerius Catullus  (er stammte aus Verona) lebte im ersten vorchristlichen Jahrhundert und war Lyriker. Eine Art römischer Herbert Groenemeyer etwa.

Nun las ich im sehr informativen Nachwort zu diesem Bändchen vom Alphilologen Michael von Albrecht einige Sätze über die Überlieferung des Manuskripts aus der Antike. Ein sehr kompliziertes Thema, und ich kann die Sache hier nur kurz erläutern: Die Erzeugnisse der römischen Literatur und Wissenschaft, die die Zeiten am glimpflichsten überdauert haben, waren stets diejenigen, die man bereits in der Antike als Schulbücher verwendet hat. Schullektüre wurde nämlich ständig neu kopiert und weitertradiert. (Druckereien gab es damals nicht). So erging es, zum Beispiel, den Werken Vergils, Horaz', Julius Cäsars, Ciceros usw.

Catulls Lyrik war hingegen keine Schullektüre. Dafür hat er zuviel Unanständiges geschrieben, und die Schulen der frühen christlichen Zeit waren, gelinde gesagt, sehr prüde. Catulls Werke wurden also lediglich von Liebhabern weitergegeben. Sie haben dennoch bis zur Zeit von Karl dem Großen ihre Spuren hinterlassen. Man findet in Schriften aus der karolingischen Zeit diverse Zitate aus Catulls Gedichten. Dann herrscht aber Funkstille. Allerdings: Im 10. Jahrhundert erwähnt ein gewisser Bischof Rather in Verona, dass er auf ein Exemplar der Werke Catulls gestoßen sei. Der Bischof gibt zu, dass diese Lyrik alles anders als „fromm“ sei. Er findet sie dennoch köstlich.

Dann ist wieder Funkstille – bis am Ende des 13. Jahrhunderts erneut ein Exemplar der Gedichte in Verona auftaucht. Das weiß man so genau, weil ein Mann namens Benvenuto de Campexani 1290 zur Feier der Wiederentdeckung ein Gedichtlein über Catull verfasst hat. Darin tut er kund, dass jemand, dessen Name wie „Schilfrohr“ auf Franzosisch klinge (so steht es im Gedicht), das Manuskript im Ausland unter einem Fass entdeckt und nach Verona mitgebracht habe. Das Manuskript, das in diesen Versen gefeiert wird, ist übrigens längst verschollen. Es wurde aber offenbar mehrmals kopiert. Von diesen Kopien stammen alle heutigen Ausgaben der Werke Catulls.

Aber zurück zu Michael von Albrecht. Nachdem er diese abenteuerliche Geschichte erzählt hat, erlaubt er sich ein paar Gedanken über das risikoreiche Überleben der antiken Literatur. Ich zitiere:

„Die Tatsache, dass das Überleben sogar erstrangiger Autoren oft an einem seidenen Faden hing – Catull teilt dieses Los mit Lukrez und Tacitus - , bringt uns zum Bewusstsein, dass ‚Überlieferung’ kein anonymer Strom, sondern ein von Individuen getragener, aktiver Prozess ist, zu dem jeder Leser das Seine beiträgt.“

Ist das nicht schön?

Ich musste sogleich an mein Lieblingskinderbuch denken, ein Buch, das mir vielleicht noch mehr Freude gemacht hat als meinen Kindern, denen ich es abermals vorgelesen habe: „Im Zauberwald“ von Josephine Hirsch. Dieses Werk ist 1989 erschienen und leider vergriffen. Neue Titel von Frau Hirsch gibt es seit 2000 keine mehr. Die Autorin zählt, meiner Meinung nach, zu den großen Zauberern der deutschen Sprache. Hier eine kleine Kostprobe aus einem Gedicht „Verschobenes Gesindel“:

„Schwarze Nächtegeister

ziehn durch Geisternächte.

Es hat Meisterrechte

jeder rechte Meister.“

 

Oder aus dem Gedicht „Räuberlied“:

 

„Schnurre, schnarre,

knurre, knarre,

zurre, zarre,

Hexenbein! Motzli,

matzli, schotzli,

schatzli, trotzli, tratzli,

Gift im Wein!“

Ja, reine Zauberei! Finden Sie nicht? Wie gesagt, nur eine Kostprobe. Schauen Sie selber mal rein. Gibt es genügend Interesse, wird der Verlag (Herder) das Buch vielleicht neu auflegen!

Nun habe auch ich meinen Beitrag geleistet. Indem ich Michael von Albrecht und Josephine Hirsch hier erwähne, verlängere auch ich den „seidenen Faden“ der Überlieferung.

Somit bin auch ich ein Glied in jener Kette geworden, die beide Autoren womöglich ins Jahr 3016 katapultieren wird. Man kann nie wissen, wozu etwas, was man tut, gut ist.

"Allah" in Malaysia

Meine Theorie: Fünfundneunzig Prozent aller Probleme werden durch Langeweile verursacht. Die restlichen fünf Prozent durch Dummheit.

Ich komme auf diese Idee, nachdem ich seit Tagen eine erstaunliche Geschichte verfolge, die aber leider nur sehr sporadisch in den deutschen Medien Aufnahme gefunden hat. Ich glaube nicht, dass man hier schweigen soll.

In Malaysia ist momentan die Hölle los. Warum? Die Geschichte begann, als vor drei Jahren das Oberste Gericht dieses Landes Christen den Gebrauch des Namen „Allah“, um Gott in christlichen Texten zu bezeichnen, untersagt hat. Ende 2009 wurde dieses Gerichtsurteil wieder aufgehoben. Gleich ging es los.

Wieso diese Angelegenheit überhaupt vor Gericht landete, vermag ich nicht zu sagen. Nur mit folgenden Fakten kann ich dienen:

Fakt eins: In Malaysien ist die Bevölkerung zu 60% muslimisch. Die übrigen Bewohner dieser Nation sind Christen, Hindus und Buddhisten.

Fakt zwei: Die Christen – 10% der Gesamtbevölkerung – sind mehrheitlich chinesischen Ursprungs, die Muslime hingegen entstammen der malaysischen Urbevölkerung. Laut BBC ist die Regierung vom Wohlwollen des eingeborenen Wahlvolks abhängig.

Fakt drei: Im März wird es Wahlen geben und – so die International Herald Tribune – Premierminister Najib Razak muss unbedingt die ethnischen Malaysier für sich gewinnen.

Fakt vier: Es gibt in der malayischen Sprache keinen Begriff für „Gott“. Vielleicht liegt das daran, dass die Religion der Malaysier vor langer Zeit polytheistisch war. Leider sind  meine Kenntnisse hier zu dürftig, um Genaueres sagen zu können. Dennoch: Nachdem Malaysia vor etlichen Jahrhunderten kolonisiert wurde, diente „Allah“ gewöhnlich als Bezeichnung für Gott. Auch ein zweites Wort für „Gott“ ist in der malaysischen Sprache im Umlauf, „Tuhan“. Eigentlich bedeutet es „Herr“. Zufällig besitze ich ein altes Buch in dieser Sprache mit englischer Übersetzung – ein Werk der nichtmuslimischen Mystik. Darin habe ich sowohl „Tuhan“ wie auch „Allah“ als Übersetzung für „Gott“.gefunden. Ach ja: In malaysischen Bibeln wird Jesus traditionell als „Sohn von Allah“ bezeichnet.

Ebenfalls besitze ich eine Bibel, Altes und Neues Testament, in arabischer Sprache. Meine arabischen Kenntnisse reichen aus, dass ich den ersten Satz der Genesis auf Arabisch lesen und übersetzen kann. Da steht: „Am Anfang schuf Allahu Himmel und Erde.“

Aber zurück zu Malaysia. In den letzten Tagen steckte eine aufgebrachte Meute drei Kirchen und eine Klosterschule in Brand (nur eine Kirche brannte aber ganz nieder). Zu bemerken: Der PM hat die gebrandschatzte Kirche besucht, sein Bedauern zum Ausdruck gebracht und 100.000 Euro für einen Neubau versprochen – allerdings an einem anderen Ort. Protestler skandierten derweil Parolen wie: „Allah ist nur für uns“ („Allah is only for us“) und „Das Ketzertum entsteht, wenn Wörter falsch verwendet werden“ („Heresy arises when words are used wrongly“). Gegner des Gebrauchs des Wortes „Allah“ durch Christen behaupten, die Christen würden dadurch die muslimische Jugend verwirren. Hmmm.

Die Auseinandersetzung wurde erst recht hitzig, als die katholische Wochenzeitung „Herald“, den umstrittenen Namen druckte. Inzwischen wird der Kampf auch im Internet, genauer gesagt in „Facebook“, weitergeführt. Schauen Sie unter “Menentang Penggunaan Allah Oleh Golongan Bukan Islam” (Gegen den Gebrauch des Wortes “Allah” von Nichtmuslimen).

Nein, ich habe all dies nicht erfunden. Wäre aber schön, wenn ich hier nur Satire schreiben würde, gell?

Zufällig kann ich einiges über die Etymologie der Vokabel „Allah“ erzählen. Der Wortstamm ist nämlich sehr verbreitet in den semitischen Sprachen und ist mit dem phönizischen „El“ eng verwandt. Im Hebräischen findet man „eloah“ als Pendant, im Aramäischen „elah“ und im Babylonischen „ihahi“ und „ilu“. Das Wort hatte wohl ursprünglich den Sinn „Kraft“.

Doch wie schon gesagt: Probleme entstehen aus zwei Gründen: Langeweile und Dummheit. Ich weiß im Moment nicht, welcher der beiden die Ursache für dieses Auseinander um Gottes Namen ist.

Wofür ich dankbar bin (gefolgt von ein paar geheimnisvollen Versen)

Kaum ist 2009 zu Ende gegangen, und schon suchen alle Wortschmiede dieser Welt nach einem passenden Namen fürs erste Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts.

Die Possenreißer unter den amerikanischen Journalisten haben sich geschwind auf die „naughties“ geeinigt. „Naught“ bedeutet auf Englisch „Null“– ist übrigens mit dem deutschen „nicht“ sprachverwandt. In der Mehrzahl aber denkt man an „naughty“, also „ungezogen“, „unartig“. Und so war das vergangene Jahrzehnt allemal.

Im Deutschen ist die Rede von den „Nullen“. Auch das finde ich passend. Man denkt an die vielen Nullen, die dazu beigetragen haben, die letzten zehn Jahren zum Chaos ausarten zu lassen. Auch „nullnull“ wäre geeignet, wenn man die Kloaken der letzten Jahre bloß noch reinigen könnte. Die letzten Jahre als „die Nullnummern“ zu bezeichnen, wäre ebenso angebracht.

Aber genug. Allen Widrigkeiten zum Trotz bin ich noch immer der Meinung, dass es auch vieles gibt, wofür man dankbar sein könnte.

Hier nun meine kurze – und keinesfalls vollständige – Liste:

Ich bin dankbar, dass ich kein Banker bin. Notabene: Hier ist die Rede von „Banker“ und nicht von „Bankier“. Letzteres war und bleibt ein ehrwürdiger Beruf.

Ich bin dankbar, dass ich nicht zu denen zähle, die auf Kosten der Arbeitsplätze anderer einen zweistelligen Gewinn anstreben.

Ich bin dankbar, dass ich nie den Berufswunsch hatte, Selbstmordattentäter und Märtyrer zu werden.

Ich bin dankbar, dass ich trotz allen erlebten Bosheiten – und diese werde ich an dieser Stelle nicht aufzählen – weiterhin an meinen Prinzipien festhalte.

Ich bin dankbar, dass ich kein Trickdieb bin, der mittels fieser Lügen 90jährige Frauen um ihre Rente oder ihren Schmuck erleichtert.

Ich bin dankbar, dass ich nicht zu denen zähle, die naive Jugendliche im Namen einer jenseitigen Belohnung (inklusive Jungfrauen) zu Selbstmordattentätern ausbilden.

Ich bin dankbar, dass ich keine verfälschten Medikamente herstelle, um sie an ahnungslose Menschen zu verkaufen – ungeachtet der Konsequenzen.

Ich bin dankbar, dass ich kein Spammer bin, der die Kommunikationskanäle mit Müll verstopft, um der internationalen Verständigung einen Riegel vorzuschieben.

Ich bin dankbar, dass ich kein Botnetprogramm geschrieben habe, um fremden Menschen das Bankkonto zu leeren, obwohl ich nichts über die jeweilige Situation dieser Menschen weiß...

Auch die reichen Drogenhändler fallen mir ein, aber genug. Ich kann hier nicht alle Bosheiten dieser Welt wiedergeben.

Übrigens: Falls eine der oben aufgezählten Fiesheiten auf Sie zutreffen sollte, bitte nicht verzagen. Auch für Sie gibt es einen Trost: Sie können dankbar sein, dass nur eine dieser Gemeinheiten Ihnen zu eigen ist.

Sehen Sie. So kann jeder etwas haben, worüber er sich freut.

Ja, die Nullen sind nicht mehr zu ändern. Es waren wahrhaft „naughties“, und noch mache ich mir keine Gedanken über einen Namen fürs nächste Jahrzehnt.

Alles in Butter, Mutter? Das habe ich meine Frau neulich gefragt. Wie immer tut sie, als habe sie meine lahmen Wortspielereien gar nicht mitgekriegt.

Mein Sohn hingegen anwortete gleich: „Wo ist der Kater, Vater?“ Ja, das hat er gesagt. Ich glaube, es steckt was Geheimnisvolles in seinen Worten. Egal. Ich mache heute Schluss.

Auch die Antisprache will etwas mitteilen

Habe ich Ihnen schon erzählt, dass ich manchmal mit den Toten rede?

Nein, keine große Kunst. Das kann jeder. Man darf es nur nicht mit dem Kopf machen. Wie soll ich es Ihnen erklären? Um mit den Toten zu reden, verwendet man die Hände oder die Rippen usw. als Sprachmodul. Der Kopf bleibt stets außen vor.

Wenn Sie meinen, ich redete mit den Toten, bloß um Michael Jackson oder sonstigen ehemaligen Prominenten um ein Autogramm zu bitten, dann haben Sie sich geirrt. Neulich traf ich, z.B., auf Abu Mussab al-Sarkawi. Können Sie sich an ihn erinnern? Seinerzeit galt er als der Oberbrutalo aus Jordanien, der in Irak diverse Menschen vor laufender Kamera mit seinem Schlachtermesser enthauptet hat. Bevor er sein jeweiliges unschuldiges Opfer ermordete, hat er aber stets einen ellenlangen Schrieb vorgelesen – irgendeinen Text über Gerechtigkeit usw. nehme ich an. Allein die Tonlage hat mich immer an die drögen Manifestos der KPD denken lassen.

Längst hat sich Al-Sarkawi von diesen Dummheiten distanziert. Trotzdem kann er das, was geschehen ist, nicht ungeschehen machen. Das weiß er, und er legt Wert darauf, dass auch wir es wissen. „Und stell dir vor“, sagte er mir in der Sprache der Toten (die ganz anders klingt als die unseren), „ich habe gemeint, es warten zweiundsiebzig Jungfrauen auf mich. Es gab nicht einmal eine einzige!“

Es war diese Unterhaltung mit Al-Sarkawi, die mich auf Gedanken über die Antisprache gebracht hat. Auch Al-Sarkawi hat sich ihrer seinerzeit eifrig bedient.

Wie soll ich die Antisprache am besten erklären? Sie verhält sich zur Sprache wie das schwarze Loch zur Materie. Eine Negation aller Kommunikation also.

Ich behaupte, dass sie heutzutage geradezu wuchert. Und ich weiß auch, warum es so ist. Die Antisprache setzt sich nämlich nur zu ganz bestimmten Zeiten richtig durch. Meistens sind das Übergangszeiten, wie die unsere sicherlich auch eine ist. Immerhin: Wir stehen ganz am Anfang eines Zeitalters, in dem die globale Kommunikation verwirklicht wird wie noch nie zuvor. Denken Sie ans Internet. Auch wenn die Hauptstadt der elektronischen Kommunikation momentan noch „WehWehWeh“ heißt, wird an ihr täglich weiter gebaut und gewerkelt. Irgendwann bekommt sie einen nagelneuen Namen, der weniger schmerzlich klingt.

In China, Nordkorea, Iran usw., wo die Antisprachler herrschen, zumindest vorläufig, forscht man zwar eifrig nach Wegen, die neuen Kommunikationsmöglichkeiten in Ketten zu legen. Der Versuch ist aber zum Scheitern vorverurteilt. Das wissen die Antisprachler freilich so wenig, wie das schwarze Loch es versteht, wenn man ihm erklären würde, man trage gerne bunte Farben.

Und ich denke an die Spammer, Handlanger weit verzweigter Mafias, die verzweifelt nach einer neuen Rolle für die organisierte Kriminalität in einer vernetzten Welt suchen.

Und die Terroristen, die willige Idioten wie Umar Faruk Abdulmutallab oder Richard Reid nutzen, um Flugzeuge in die Luft zu sprengen. Nebenbei: Nicht von ungefähr wollen sie Flugzeuge zerstören. Denn ein Flugzeug dient buchstäblich der Vernetzung der Welt.

Der Witz: Die Antisprachler sind nicht weniger von der Sprache abhängig als alle anderen Menschen. Würden sie die Kommunikationskanäle tatsächlich zerstören, so hätten sie sich selbst zerstört. Komisch, nicht wahr? Das machen auch Krebszellen. Und Ebola.

„Du, Sprachbloggeur“, sagte mir Al-Sarkawi, „Ich glaube, der Engel Gabriel hat mit mir geredet.“

„Ach! Das klingt ja vielverheißend. Was hat er dir erzählt?“

„Ich weiß es nicht. Ich habe ihn leider nicht verstanden. Ich glaube, er hat Hebräisch gesprochen.“

Ein gutes 2010: allen.

Zu Weihnachten schenke ich China tausend bunte Zungen!

Es weihnachtet, aber ich denke nur an Zungen.

In vielen Sprachen – z.B. im Englischen – bedeutet dieses Wort nicht nur das fleischige Organ im Mund, sondern „Sprache“ schlechthin. Das weiß doch jeder. Nur im Deutschen ist es anscheinend nicht so – außer vielleicht in Verbindungen wie „spitze“, „lose“, „böse“ usw. Zunge.

Mein Schicksal ist es in der Schwiegermuttersprache, also in der „German tongue“, zu schreiben, was für mich persönlich bedeutet: „englische Zunge“ ade. „Englische Zunge“. Klingt wie eine Krankheit oder vielleicht etwas aus dem Feinkostgeschäft.

Mmmmm, Zunge! Als Kind habe ich geräucherte Zunge für mein Leben gerne gegessen – vor allem als Sandwich auf Mischbrot und mit scharfem Senf. Schmackofatz.

Irgendwie unbeschreiblich die Beschaffenheit des Zungenfleisches, weil weich (ohne Fasern) und fest zugleich. Genau wie die Sprache!

Wieso beschäftigt mich heute  die Zunge so sehr? Weil ich neulich in der International Herald Tribune einen Kommentar mit dem Titel „Words on trial in Beijing“, also „Worte in Peking vor Gericht “, gelesen habe.

Es ging um die üblichen Scheußlichkeiten zum Thema Redefreiheit in China. In diesem Fall das Schicksal des Liu Xiaobo, 48 Jahre alt. Seit der grausamen Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 am Platz des Himmlischen Friedens hat es Herr Liu nicht einfach. Er setzt sich immer wieder für die Redefreiheit ein und hat deshalb schon mehrere Jahre im Gefängnis verbracht. Nun drohen ihm wieder fünfzehn Jahre hinter Gittern, weil er 2008 Gründungsmitglied der „Karta 08“ wurde. O-Ton Karta 08: „Wir sollten die Redefreiheit, die Pressefreiheit und die akademische Freiheit universal machen, um zu gewährleisten, dass Bürger informiert bleiben und ihre politische Kontrollfunktion ausüben können…“

Starker Tobak in China.

(„Karta 08“. Der Name lässt an „Karta 77“ denken. Erinnern Sie sich noch an diese Menschenrechtsbewegung in der damaligen Tschechoslawakei? Längst haben die Gründungsmitglieder der „Karta 77“ führende Rollen in der Tschechischen Republik übernommen. Vielleicht wird der momentan malträtierte Herr Liu eines Tages Präsident Chinas?)

Aber zurück zu den Zungen. Im selben IHT-Kommentar erzählt Autor, Jonathan Mirsky, Journalist und Chinaexpert, vom Schicksal der mutigen Zhang Zhixin. Frau Zhang, 1930 geboren, hat ihrerzeit sehr gelittten. Weil sie die Übermacht Maos in Frage gestellt hatte, musste sie lange Gefängnissstrafen absitzen. Als sie 1975 schließlich zum Tod verurteilt wurde, hat man ihr vor der Hinrichtung, so Mirsky, die Stimmbänder durchgeschnitten. Das sollte sie daran hindern, im letzten Augenblick Unpatriotisches zu artikulieren. Die Zunge sollte buchstäblich verstummen.

Ich kann für die Wahrheit dieser Geschichte allerdings nicht bürgen, denn ich habe auch Varianten gelesen. Trotzdem ein starkes Bild. Nebenbei: Im heutigen China wird die Hinrichtung Frau Zhangs auch ex officio als Verbrechen gesehen.

Frau Zhangs Schicksal hat mich aber an die ideologischen Streitigkeiten in der frühen Kirche erinnert. Leider habe ich die Details vergessen. Es ging jedenfalls um hitzige Auseinandersetzungen, ob, zum Beispiel, Jesus „gottähnlich“ oder „gottgleich“ sei oder um Formulierungen im Glaubensbekenntnis. Ich erinnere mich nur, dass die Anhänger der einen Meinung die Anhänger der anderen Meinung endgültig zum Verstummen gebracht haben, indem sie ihnen die Zungen herausschnitten. Auch ein unvergessliches Bild.

Und noch ein Gedankensprung: Ich denke an die Ausrottung der Omaijaden durch die Abbasiden um das Jahr 750. Wenn ich die Fakten noch richtig im Kopf habe, hat Abbas (Gründer des neuen Kalifats) die Rivalen des bisherigen Omaijadenkalifats zu einem Versöhnungsfest eingeladen, in dessen Verlauf er allen Omaijaden die Kehle durchschneiden ließ. In diesem Fall ging es freilich nicht um die Redefreiheit, sondern allein um die Macht .

Aber genug der Gruselgeschichten, die ich ohnehin nur ganz verschwommen wiedergebe. Bald haben wir Weihnachten. Die Tage werden wieder länger, und das Licht deckt – wie immer – alles auf, was man in der Dunkelheit hätte verheimlichen können.

Wie sagt man „frohe Weihnachten“ auf Chinesisch?

Interview mit dem Spammerkönig

(Wir befinden uns im Büroraum einer sehr vornehmen Villa im südlichen Florida, USA.)

Spammerkönig (er sitzt hinter einem Schreibtisch so groß wie der Ammersee): Wie heißt er wieder, Wurm?

Wurm: Er nennt sich „Sprachbloggeur“ und trägt einen schwarzen Bodysuit und eine Maske.

Spammerkönig: Und was will der komische Kauz von mir?

Wurm: Er will Sie interviewen.

Spammerkönig: Interviewen? Das ich nicht lache. Wie hat er mich ausfindig machen können? Man liest über mich nicht in den Klatschkolumnen.

Wurm: Sein Freund Edward kenne alle Adressen von Internetsündern, hat er gemeint. Dazu sollen auch Sie zählen.

Spammerkönig: Erstaunlich, was sich die Leute einbilden. Nun bin ich richtig neugierig. Er soll herein. (dies geschieht) Nehmen Sie bitte Platz, Herr Sprachbloggeur oder wie immer Sie wirklich heißen, und bitte reden Sie laut. Wie Sie sehen, ist mein Schreibtisch so groß wie der Okeefenokee-Sumpf. Außerdem bin ich schwerhörig. Zuhören war ohnehin nie meine Stärke (lacht). Aber sagen Sie. Was kann ich für Sie tun. Entschuldigung. Wurm, bring uns eine Kanne Kamillentee. Ja, Herr Sprachbloggeur, ich hab’s mit dem Magen. Sie werden aber sehen, der Kamillentee schmeckt köstlich – vor allem ohne Zucker. Aber erzählen Sie mir bitte Ihr Anliegen.

Sprachbloggeur: Herr Spammerkönig…Herr Spammerkönig! Hören Sie? (der Spammerkönig nickt). Als Betreiber einer Sprachglosse im Internet möchte ich von Ihnen etwas über den Sinn von Spams erfahren.

Spammerkönig: Über den Sinn vom Spam? Eine interessante Frage, hat noch nie jemand gestellt. Sind Sie Kunde von mir?

Sprachbloggeur: Wenn mich die täglichen Spamangriffe der letzten Zeit zum Kunden machen, dann wohl ja.

Spammerkönig: Ach so! Jetzt verstehe ich. Ihre Internetseite wird in letzter Zeit verspammt. Kasinowerbung?

Sprachbloggeur: Nein Potenzmittel.

Spammerkönig: Ach ja. Die neue Kampagne. Stellen Sie sich vor: Billionenfach wird diese Botschaft in die Welt gesetzt. Ist das nicht schön? Ich muss Sie aber aufklären, Herr Sprachbloggeur. Sie sind kein Kunde von mir. Wären Sie Kunde, dann würden auch Sie von der neuen Kampagne profitieren, und Sie würden mir erst recht keine dummen Fragen stellen. Nein, Herr Sprachbloggeur, Sie sind lediglich Endverbraucher. Mich brauchen Sie also nichts zu fragen. Es hat mich sowieso gewundert, dass Sie zu mir gekommen sind. Besuchen Sie lieber den zuständigen Kunden, der Ihre Seite verspammt. Sie finden ihn in China oder Afrika. Vergessen Sie nicht, Ihren Dolmetscher mitzubringen (lacht).

Sprachbloggeur: Nun haben Sie mich ganz verwirrt. Trotzdem hoffe ich, Sie werden mir vielleicht den tieferen Sinn des Spams verraten. Täglich erhalte ich „Kommentare“ auf meiner Seite, die meine Beiträge keineswegs kommentieren. Es handelt sich ausschließlich um Werbung für verfälschte Potenzmittel. Wobei ich ein besonders ausgewähltes Publikum habe. Meine Leser kämen nie auf die Idee, auf Ihren Link zu klicken.

Spammerkönig: Ach jetzt verstehe ich Sie. Entschuldigen Sie mich bitte, wenn ich Ihre Naivität ausgiebig belache. Sie haben es offenbar noch immer nicht kapiert. Lieber Herr Sprachbloggeur, es geht mir nicht darum, ob der Leser Ihrer lächerlichen Seite auf den Link klickt. Sie scheinen keine Maske zu tragen, Herr Superheld, sondern Scheuklappen. Ist Ihnen nicht aufgefallen, dass das, was ich anbiete, in Wahrheit eine Weltsprache ist? Jawohl! Eine Weltsprache! Ich beteilige mich an einem bahnbrechenden Unternehmen. Noch nie hat es jemand soweit gebracht wie ich. Das Tragische: Statt dafür Lob und Bewunderung zu ernten, werde ich von Ignoranten wie Ihnen nur kritisiert. Sie halten sich für einen Superhelden, aber in Wirklichkeit sind Sie von gestern, nein, von vorgestern! Schließlich haben wir den 21. Jahrhundert, Herr Superheld. Das muss Ihnen mittlerweile als Webseitenbetreiber aufgefallen sein. Oder? Jawohl, Information wird globalisiert, und ich bin derjenige, der die entsprechenden Kanäle ausbuddelt, damit man überhaupt in der Lage sein wird, sich global zu verständigen. Verstehen Sie immer noch nicht? Lieber Herr Sprachbloggeur, ich kann nur sagen: Wenn Sie die Hitze nicht ertragen, dann bitte raus aus der Küche! Ach! Schon ist der Wurm mit dem Kamillentee wieder da. Glauben Sie mir, Herr Sprachbloggeur, er schmeckt viel besser ohne Zucker.

(Der Sprachbloggeur verstummt und sucht momentan vergebens nach der passenden Antwort. Die findet er aber bestimmt noch…)

Pages

Subscribe to Front page feed