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Gauck oder ich?

Ich war letzte Woche drauf und dran, meine Kanditatur für das Amt des Bundespräsidenten zu verkünden. The more the merrier, sagen wir auf Englisch – in etwa aber nicht wörtlich: Je später der Abend, desto schöner die Gäste.

Glauben Sie mir, ich wäre der perfekte Kandidat gewesen. Vor allem, weil ich nicht so dünnhäutig bin wie mein Vorgänger. Wie hieß er denn wieder? Entschuldigung: Ich hatte schon immer ein schlechtes Namensgedächtnis.

Als Ursula von der Leyen ins Gespräch kam als Kronprinzessin, war ich noch überzeugter, dass ich und nicht sie der bessere Kandidat wäre. Verstehen Sie mich nicht falsch. Sie ist ziemlich in Ordnung. Nur: Ich finde meine Frisur schöner als ihre.

Doch dann begann es im Politeintopf richtig zu kochen. Urplötzlich wurde von der Leyen aus der Suppe gelöffelt, und zack! hat Merkel den Wulff der Presse vorgestellt. Ich glaube, sie hat dabei dasselbe Redemanuskript benutzt wie damals, als sie den Vorgänger vorgestellte. Natürlich hat sie den Namen geändert.

Meine erste Reaktion: Wulff ist mir beestimmt nicht gewachsen. Verzeihen Sie mir, wenn ich das so deutlich sage. Ich habe aber endlich verstanden: Mit falscher Bescheidenheit kommt man nicht weit. Auch in seinem Fall gefällt mir die Frisur nicht. Zugegeben: In den Aufnahmen von ihm als junger Draufgänger hat er schöne Haare gehabt. Heute kommt er mir vor wie Barbies (ex)Freund Ken. Einfach zu glatt. Sonst habe ich nichts gegen ihn. Ich frage nur: Christian wer?

Dann die nächste Überraschung: Die Sozialdemokraten und die Grünen haben Gauck vorgeschlagen. Wirklich ein schlauer Schachzug, aber einer, der mir persönlich weh tut. Denn Gauck kann tatsächlich einiges, was ich nicht kann. Er kann nämlich aufräumen. Ihm ist gelungen, einen ganzen Raum voller alter Unterlagen zu sortieren und bearbeiten. Das habe ich in meinem Arbeitszimmer seit Jahren noch nicht geschafft. Ich beuge mich vor Menschen wie Gauck, die so verdammt methodisch ordentlich sind.

Ich merke, dass ich gegen so einen schnell den Kürzeren ziehen würde. Also werde ich doch auf meine Kandidatur verzichten. Meinen Anhängern sage ich schon jetzt: Sorry aber Fakten sind Fakten. Vielleicht ist meine Entscheidung letztendlich doch richtig. Immerhin: Nun muss ich mich nicht mehr darum bemühen, bis spätestens Ende Juni die deutsche Staatsangehörigkeit zu beantragen und zu erhalten.

Trotz alledem bin ich überzeugt, ich wäre ein Gewinn für Deutschland gewesen: multikulti und dennoch in der Lage, beinahe fließend Deutsch zu sprechen – wenn ich hie und da auch mal ein paar Fehlerchen mache. Aber he! Wer ist denn perfekt? Haben Sie gewusst, dass Giorgios Papandreou Fehler macht, wenn er Griechisch spricht? Kein Wunder. Er wurde wie ich in den USA geboren und spricht Englisch – oder wie man in Deutschland sagt „Amerikanisch“ – vielleicht besser als ich. Mein Problem: Ich kann mich in keiner Sprache fehlerfrei ausdrücken. Deswegen bin ich Schriftsteller geworden. Das wäre in der Politik vielleicht auch ein Vorteil. Ich glaube, dass Gauck die deutsche Sprache perfekt beherrscht. Das dürfte wohl auch bei Christian Wulff der Fall sein.

Schade, dass ich nicht Bundespräsident werde. Ich könnte die 280.000 Euro jährlich  plus Dienstwagen, Fahrer, Büro, Angestellte, Spesen usw. nämlich gut brauchen. Übrigens: Ich wäre aber bestimmt sparsamer gewesen als alle andere Kandidaten – auch Gauck. Denn ich wäre bereit gewesen, den ganzen öffentlichen Salat für bescheidene 250.000 Euro zu waschen. Außerdem wäre ich bereit gewesen, meinen Dienstwagen selbst zu fahren – und ihn sogar wöchtentlich in die Waschanlage zu lotsen. Auch über den „Ehrensold“ hätte ich mit mir reden lassen. „Ehrensold“. So nennt man die Rente eines Bundespräsidenten, bzw., Bundeskanzlers: Man bekommt das gleiche Gehalt wie zu Amtszeit plus Dienstwagen, Fahrer usw. – und zwar ein Leben lang. Ich wäre bereit gewesen, lausige hunderttausend zu akzeptieren plus eine Monatskarte für die U-Bahn und eine Bahnkarte 2. Klasse. Ich hätte der Republik reichlich Kohle gespart, was angesichts der jetzigen schwierigen Wirtschaftslage nicht zu verschmähen wäre.

Na, liebe Frau Merkel, lieber Herr Westerwelle? Was meinen Sie? Komme ich vielleicht doch in Frage? Bier ist Bier, Schnapps ist Schnapps, aber Geld ist nunmal Geld. Nicht wahr?

Wer hätte gedacht, dass ich mich in meinen alten Jahren zu einem deutschen Patrioten mausern würde? Echte Patrioten werden aber nicht geboren. Sie tauchen in Zeiten der Not von alleine auf.

Köhler, Lena (unsere Lena), Ballack, iPads und das unerbittliche Gesetz…

Eben habe ich erfahren, dass Horst Köhler, nachdem er ein feuchtfrohes Fest verlassen hatte, bei Rot über die Straße gefahren ist. Die Polizei hat ihn angehalten, und dann musste er in die Röhre pusten, und jetzt ist er sein Amt als Landesbischof los. Oder irgendwie ähnlich war das. Es handelte sich jedenfalls um ein Ehrenwort. Die Details vergisst man so schnell.

Meinen Sie auch, dass in den letzten Tagen so viel passiert ist? Zum Beispiel: Ballacks Sprunggelenk, die Kriegstrommel in Gaza, Dennis Hoppers Tod, die Abwertung des spanischen Ratings, ja und das „top kill“-Debakel im Golf von Mexiko, und natürlich auch Lena…unsere Lena…die Lena mit dem total uneinprägbaren Familiennamen, den sie schleunigst ändern muss, wenn sie nicht zu einer von jenen Eintagsfliegen werden will, die von den Medien bei lebendigem Leib gefressen werden, bis jegliche Allüre in klingende Euros (Geld stinkt nie, wenn es auch entwertetet wird) verwandelt worden ist und nur die leere, etwas verbrauchte Hülle eines einst strahlenden Begriffs (in diesem Fall „Lena“ „unsere Lena“) übrig bleibt. Hoffen wir das natürlich nicht. Geht Lena noch auf den Abi-Ball? Eine Frage, die man sich in unserem Zeitalter erlauben darf.

Sicherlich lesen manche von Ihnen den „Sprachbloggeur“ bereits auf Ihrem strahlend neuen iPad. Sehe ich schöner aus?

Ja, heute geht es um Neuigkeiten. Denn es sind die Neuigkeiten, die das Leben so spannend machen. Als verkrusteter Altphilologe weiß ich jedoch, wie schnell auch Neuigkeiten zu Altertümlichkeiten werden.

Zum Beispiel, die folgenden vier Namen: Eudoxos von Knidos, Hipparchos (ich weiß nicht, woher er kommt), Aristarchos von Samos und Claudius Ptolemäus. Womöglich sagt Ihnen keiner dieser Namen etwas zu. Wenn ja, dann wohl den von Claudius Ptolemäus. Sein „Almagest“ (wie es heute genannt wird) hat er vor ca. 1900 Jahren geschrieben. Eigentlich ein dicker mathematischer Traktat über die Dreieckslehre. Ptolemäus spricht ausführlich in diesem Werk aber über die Himmelskunde, was allerdings nicht ohne Konsequenzen war:

Dank Ptlolemäus glaubte man fünfzehnhundert Jahre, dass die Erde Mittelpunkt des Weltalls sei und dass die Sonne samt Planeten und Fixsternen um die Erde kreise. Erst Kopernikus hat eine Alternative zu diesem Modell präsentiert. Sie erschien allerdings erst nach seinem Tod – so sehr hatte er Bammel davor, den großen Ptolemäus zu widerlegen.

Was die anderen drei Namen betrifft: Es handelt sich um Vorgänger von Ptolemäus, deren Werke Ptolemäus in seinem mathematischen Traktat erwähnt und – dies muss ich fairerweise betonen – gebührend ehrt.

Ptolemäus’ „Almagest“ war ein antiker Bestseller, und weil Ptolemäus so viel über die Ideen seiner Vorgänger schrieb, wurden deren Werke in der Antike immer seltener kopiert und tradiert. Sie sind deshalb restlos verschwunden. Alle.

Schade. Denn das Werk von zumindest eines dieser Vorgänger hatte es in sich. Aristarchos von Samos war nämlich der Meinung, dass nicht die Erde, sondern die Sonne Mittelpunkt unseres Planetensystems sei. Meinen Sie nicht, dass die Menschheitgeschichte anders geworden wäre, wenn man Aristarachos statt Ptolemäus im römischen Kaiserreich und im Mittelalter gefolgt wäre?

Nur am heutigen Tag, dem 1. Juni 2010, ein kleines Gedankenspiel über ehemalige Neuigkeiten. Ptolemäus war übrigens der Meinung, dass Aristarchos ein Spinner war.

Auch der 31. Mai 2010 ist schon vorbei. Horst Köhler ist sein Amt los. Ballack humpelt rum und hadert mit seinem Schicksal. Die Kapazitäten der Uno verhandeln über Gaza. Dennis Hopper driftet immer weiter weg von der irdischen Sphäre, das Öl glubbert stur weiter in den Golf, die Spanier grummeln auf den Straßen über die Rating Companies, über den Euro wird geschimpft, während er von manchen noch gepriesen wird, und Lena…unsere Lena…schreitet selbstbewusst und blindlings (wie jeder) in die Zukunft. Viel Spaß auf dem Abi-Ball, o Wunderkind!

Der Sprachbloggeur erklärt – mittels anschaulicher Beispiele – den „Leerverkauf“

Bestimmt haben Sie schon vom sogenannten „Leerverkauf“ gehört. Der mache uns die Wirtschaft kaputt, heißt es. Heute erläutert Ihnen der Sprachbloggeur alles, was Sie darüber wissen müssen – und zwar in Form von hübschen, lehrreichen Beispielen.

Beispiel eins: Neulich habe ich folgenden Kommentar erhalten: „Hi there, I dont know if I am writing in a proper board but I have got a problem with activation, link i receive in email is not working…“ Bald tauchte er wiederholt auf dieser Seite auf, was mich stützig machte. Verzeihen Sie, wenn ich den Text nicht übersetze. Die wichtigsten Stichwörter sind jedenfalls „problem with activation“, was auch immer das bedeutet.

Wundern Sie sich, wenn Sie diese Texte auf dieser Seite nie gesehen haben, liebe Leser. Ich pflege seit geräumer Zeit Kommentare erst zu veröffentlichen, nachdem ich mich vergewissert habe, dass sie keinen Spam enthalten. Wenn Sie nur wüßten, was ich Ihnen an Leerläufen erspart habe.

Obiger Text hat mich jedenfalls neugierig gemacht. Folglich habe ich unter besagten Stichwörtern gegoogelt und erfuhr, dass dieser Text bereits an sage und schreibe 350.000 Webseiten geschickt wurde. Notabene: Es handelt sich hier um reine Handarbeit. Jemand muss sich die Mühe machen, den Text durch eine „Captcha“-Einrichtung zu schleusen. Stellen Sie sich vor: 350.000 x ca. 10 Versuche. Dazu bräuchte man wohl eine Belegschaft so groß wie Siemens. Selbstverständlich muss man die Leute auch bezahlen. Über die fleißigen Mitarbeiter, die solche Texte in die Pipeline geben, habe ich erst vor zwei Wochen berichtet (siehe da).

Zudem: Der „problem with activation-Text dient ohnehin nur als Vorhut. Die „Captcha“-Knacker müssen stets nachprüfen, ob die Nachricht, es auch geschafft hat, online zu gelangen. Wenn ja, dann weiß man: Hier können wir unsere Werbung für gefälschte Potenzmittel an den Mann bringen.

Wie ich aber schon berichtet habe: Das Geschäft mit den gefälschten Potenzmitteln läuft in letzter Zeit zunehmend schlechter. Die genervten Mafias finden fast nirgends mehr einen Trottel, der so dumm ist, seine Euros, Yen, Yuan, Pfund, Dollar usw. für wertloses Potenzzeug auszugeben.

Wer ist also der Dumme? Letztendlich derjenige, der gefälschte Potenzmittel verhökert. Die ganzen Gewinne aus der goldenen Frühzeit gibt er gleich wieder zurück, weil er nicht verstanden hat, er ist bereits zu weit gegangen. Er geht also leer aus.

Beispiel zwei: die Experten von British Petroleum. Seit einem Monat sind sie nicht in der Lage das Ölleck am Meeresboden des Golfs von Mexiko zu stopfen. Stellen Sie sich vor: Täglich glubbern 800.000 Liter Rohöl in den Golf. 30 x 800.000 = GAU. Allmählich gibt BP zu: Die Firma sei ratlos. Auch die amerikanische Regierung ist ratlos. Keiner weiß, wie man ein Loch ungefähr so breit wie der Starnberger See und noch dazu 1500 Meter unter der Meeresoberfläche wieder zumacht. Inzwischen hat das Öl die Louisiana-Küste erreicht (Nebenbei: Es heißt „lu-I-si-a-na“ und nicht „LU-si-a-na“. Letzteres sagen nur Einheimische in ihrem zähen Dialekt) und demnächst erreicht das klebrige Zeug die Kanarischen Inseln oder Cannes. Ja, und was wird aus BP? Ganz klar: Leerverkauf!

Beispiel drei: Nachdem die Taliban 1996 Afghanistan im Handumdrehen erobert hatten, waren Mitglieder der US-Regierung überzeugt: „Das sind Leute mit denen wir zusammenarbeiten können.“ Hank Brown, Senator aus Colorado, hat die Taliban folgendermaßen verteidigt: „Diese Kerle sind tief religiös und sehr anti-sowjetisch.“ Er hat sie praktisch als eine Art islamische wiedergeborene Christen-Sekte verstanden, was sie für Amerikaner sympathisch machte. Ein anderer Experte– ich habe den Namen schon vergessen – behauptete: „Ich habe mit ihnen geredet. Sie haben einen sehr feinen Sinn für Humor.“ Und jetzt zur Gegenwart: Bald fließt das ganze Staatsbudget der USA und sämtlicher Nato-Länder – ohnehin aus Defiziten bestehend – in einen fruchtlosen Krieg in Afghanistan. Ja, Sie haben es erraten: Leerverkauf!

Tausende von Experten haben ihren gelehrten Senf zu diesem Thema gegeben, während ich, ein vernarrter Altphiloge, mir einbilde, ich hätte eine Mission zu erfüllen und mir das lächerliche Kostüm eines Superhelden anziehe , um die Welt vor Experten zu warnen.

Eins steht fest: Wer Leeres kauft, geht leer aus.

Jetzt habe ich Ihnen alles beigebracht, was Sie über die heutige Finanzkrise wissen müssen.

Krieg der Euros – bald auch in Ihrem Kino

Zum Anfang der Schluss: Geld ist eine Illusion. So ungefähr sagte es Volker Looman, ein Finanzanalytiker am Wochenende in der FAZ. Sein Artikel hieß: „Angst vor Inflation und Verlust treibt die Anleger zur Verzweiflung.

Damit meinte er, dass Wert eine Illusion sei, vor allem, wenn man in einer Krise nach Sicherheit sucht.

Wirtschaft? Sicherheit? Ha!

Und jetzt zu den Zauberern. Das sind die Bazis, die momentan mit ihren Unkenrufen dem Euro schwer zu schaffen machen.

Ich habe viel über dieses Thema nachgedacht, und ich bin zum Schluss gekommen, dass es Hexenmeister – nur Hexenmeister – sind, die eine Wirtschaft, eine Währung durch Schlechtreden kaputtmachen.

Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich möchte hiermit nicht meine Liebe zum Euro bekunden. Von Anfang an habe die Euromünzen gehasst. Potthässlich wie Einkaufswagenmarken. Die Banknoten sind auch nicht besser: lauter seelenlose Bilder von nichtssagenden Brücken. Wenn ich an die schönen D-Mark-Banknoten denke...ahhhh. Auch die Münzen – zumindest einige – waren hübsch: die Mark, das Fuchsgerl, das Zehnerl. Nur die Zweimark- und Fünfmarkstücke kamen mir wie schlechte Witze eines sadistischen Oberbankers vor.

Aber nun haben wir den Salat. Und plötzlich sagt man, er schmeckt nicht.

Es sind die Hexenmeister am Werk.

Glauben Sie an Magie? Wenn nicht, überlegen Sie nur, wozu die Zauberer fähig sind. Seit wenigen Wochen haben sie mit ihrem endlosen Geflüster den Euro verhext.

Sie wispern ihre Sprüche über den Euro und zack! fällt er wieder ein paar Cent mehr gegen den Dollar. Man sagt, dass es Menschen gibt, die aus der Entwertung des Euros Gewinn ziehen. Ich habe noch nie verstanden, wie das funktioniert. Ich werde mich aber schlau machen.

Was ich jedoch weiß: Maßnahmen werden getroffen, um den Euro zu stützen. Im Nu haben die Hexenmeister einen neuen Zauberspruch parat, um den Sturz fortzusetzen.

Glücklicherweise gibt es auch Zauberer für die andere Seite. Sie versuchen das Gegenteil zu bewirken. Nehmen Sie, zum Beispiel, Theo Waigel. Letzte Woche fragte ihn Redakteurin Angela Böhm von der Münchner Abendzeitung: „Wird aus der harten eine weiche Euro-Währung?“. Waigels Antwort, „Wenn der Euro im Moment 1,27 oder 1,28 wert ist, dann ist er um zehn Cent das sind zwanzig Pfennig, mehr wert als die D-Mark bei ihrem Abschied. Da komme mir doch niemand und behaupte, der Euro sei eine Weichwährung.“ Das hört man gerne.

Das war aber letzte Woche. Inzwischen haben die Unkenrufer viel Zeit gehabt, sämtliche Stabiltätsmaßnahmen als „zweifelhaft“ umzudeuten. Warum macht man das? Für die üblichen Gründe: Böser Wille, Neid, Gier. Nichts Neues. Eben habe ich in wenigen Worten die Geschichte der Welt  erzählt.

Mich persönlich bringt das Spiel auf die Palme, weil ich vor sechs Wochen Bücher aus England bestellt habe. Sie sind immer noch nicht da und werden täglich teurer.

Jeder hat eigene Gründe, sich für die Wirtschaft zu interessieren.

Immerhin hat der ehemalige Federal Reserve Vorsitzende, Paul A. Volcker, neulich erklärt, er sei „emotionally attached to the Euro“. Und weiter: „Er war eine gute Idee.“ Ich habe ihn prompt den guten Zauberern eingereiht. Doch dann machte er einen Rückzieher und drückte seinen Zweifel aus. Plumps! Und wieder ist der Euro gestürzt.

Ja, liebe Sportfreunde. Nun wird es spannend: Krieg der Zauberersprüche und Fortsetzung folgt.

Wer soll ins Kino gehen, wenn das Leben so aufregend – und unsicher – ist? Willkommen in meiner Welt.

Adoptieren Sie einen „Captcha“-Boy! Noch heute!

Kennen Sie Ariful Islam Shaon? Nicht? Die Chancen sind gut, dass er Sie kennt. Er ist zwanzig Jahre alt und studiert an der Universität in Bangladesch. Was genau er studiert, weiß ich nicht – ich tippe auf Betriebswirtschaft.

Ariful spielt eine sehr wichtige Rolle bei der Gestaltung dieser Seite, also des „Sprachbloggeurs“. Verzeihung, er spielt eine wichtige Rolle bei der Gestaltung vieler Internet-Seiten.

Aber hier rede ich nur von mir:

Fangen wir mit den Spamrobotern an, die den „Sprachbloggeur“ früher mit endlosen Werbesprüchen für gefälschte Potenzmittel aus Asien zu bombardieren pflegten. Diese wurden quasi als „Kommentare“ veröffentlicht. Um dieser Invasion Einhalt zu gebieten, habe ich diese Seite mit einer „Captcha“-Einrichtung ausgerüstet: Das sind jene verformten Buchstaben oder Zahlen, die ein Kommentarschreiber manuell eingibt, wenn er einen Kommentar abgeben will. Mit dem „Captcha“ (vom englischen „capture“, also „(Ab)fang“-)Programm wird Spamrobotern das Handwerk schnell gelegt.

So weit so gut. Jetzt komme ich zu Ariful Islam Shaon. Der clevere Student hat in seiner Heimat eine Firma gegründet und beschäftigt 30 Kommilitonen, die für ihn täglich 3-4 Stunden arbeiten. Sie hocken vor dem Rechner und geben die verformten „captcha“-Buchstaben ein, um dann Werbung für gefälschte Potenzmittel aus Asien als Kommentare beim „Sprachbloggeur“ zu veröffentlichen. Reine Handarbeit. Hut ab.

Arifuls Mitarbeiter bekommen für ihre Arbeit alle zwei Wochen etwa sechs Dollar. Das mag vielleicht sehr mager klingen. In Bangladesch ist das jedoch ein schönes Taschengeld für einen Studenten.

Ariful kennt seine Auftragsgeber nicht. Dies hat er jedenfalls gegenüber einem Reporter der New York Times, Vikas Bajaj, behauptet. Von Bajaj habe ich nämlich diese schillernden Informationen. Ich persönlich möchte für Arifuls Ehrlichkeit, was diese Behauptung betrifft, nicht bürgen. Ist aber egal.

Ariful ist freilich nicht der einzige Jungunternehmer, der in Asien auf diesem Gebiet tätig ist. Sein Kollege „Workcaptcha“, z.B., von freelancer.com (so Bajaj), beschäftige noch mehr „captcha“-Knacker als Ariful.

Der rasende Reporter Bajaj hat verschiedene Menschen aus der Branche interviewt. Einer plauderte besonders ehrlich aus dem Nähkästchen und gab zu, dass die Geschäfte zunehmend schlechter laufen. Fakt ist: Trotz der Unmenge Werbung, die von den fleißigen Mitarbeitern getätigt wird, werden im Laden gefälschte Waren im Wert von gerade mal $200 im Monat verhökert. Im Klartext: Es gibt immer weniger Naivlinge, die bereit sind, gefälschte asiatische Potenzmittel aus der Spamwerbung zu erwerben. Von diesen $200 muss der Unternehmer dann auch das Gehalt seiner „Captcha“-Knacker bezahlen. Der Gewinn ist, gelinde gesagt, zum Kotzen.

Unternehmer wie Ariful und „Workcaptcha“ beginnen neuerdings damit, eine Kostennutzenrechnung zu stellen. Man sieht, was die Zukunft der Branche betrifft, allmählich sehr schwarz.

Auch ich zähle zu den Spielverderbern. Denn bis auf Weiteres werden beim „Sprachbloggeur“ keine Kommentare unvermittelt veröffentlicht. Das heißt: Alle Kommentare werden vom Chef – also mir – höchst persönlich offline begutachtet. Somit habe ich die Möglichkeit, Arifuls Mitteilungen schnell zu löschen. Kein Mensch außer mir sieht sie. Für Arifuls Mitarbeiter wird die ganze Arbeit eine vergebliche Liebesmühe. Sorry, Ariful.

Verstehen Sie mich nicht falsch, liebe Leser des „Sprachbloggeurs“. Um ganz ehrlich zu sein: Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich weiß, dass ich die Studentenschaft in Bangladesch arbeitslos mache.

Daher folgende Bitte: Adoptieren Sie einen Studenten aus Bangladesch! So investieren Sie mit wenigen Dollar oder Euro in eine strahlende Zukunft. Wenden Sie sich an Ariful direkt unter „Billige Potenzmittel“ punkt com. Er wird sich freuen. Sagen Sie ihm: Der Sprachbloggeur hat Sie geschickt.

Alles, was Sie über die Bigotterie wissen müssen

Fangen wir mit dem bemitleidenswerten Gordon Brown an. Falls Sie zufällig Außerirdischer sind und dies Ihr erster Besuch in Europa ist: Brown ist (noch) Premierminister von Großbritannien, einem Inselländchen ein bisschen westlich von Köln.

Aber zurück zu Mr. Brown. (Achtung, Englischlernende: Wir Amerikaner setzen nach der Abkürzung „Mr.“ stets einen Punkt, die Engländer tun das nicht. So kann man gleich erkennen, ob man es mit einem amerikanischen oder einem britischen Text zu tun hat. Außerdem ist die Aussprache unterschiedlich).

Vielleicht haben Sie letzte Woche gelesen, dass sich Kandidat Brown – im UK wird bald gewählt – mit einer Wählerin auf einer Straße in Rochdale, England (Noch nie davon gehört? Liegt nicht weit von Healey) unterhalten hatte. Die Rentnerin, Gillian Duffy, eine Anhängerin von Labour, Browns Partei, stellte plötzlich unbequeme Fragen – zum Beispiel über Studiengebühren und Immigration. Politiker Brown versuchte die unbequemen Fragen, so gut es ging, zu entschärfen mit Fragen über Duffys Enkelkinder – das macht jeder Politiker – , bevor er die lästige Wählerin endlich abhängen konnte.

Dann stieg er in seinen Wagen und beklagte sich, dass er sich auf ein Gespräch mit einer derart „bigotted“ Person habe einlassen müssen. Was er nicht wissen konnte: Ein Fernsehmikrofon nahm seine private Schimpftirade auf. Es folgte, was die englische Presse nun „bigotgate“ nennt. Erfinderisch sind die Journalisten allemal.

„Bigotted“.

Das Wort wurde in der deutschen Berichterstattung mit „borniert“ wiedergeben. Das klingt sinvoll, ist leider sehr an den Haaren herbeigezogen. „Borniert“ und „bigotted“ sind, wie die deutsche Redewendug so bildlich sagt, zwei paar Stiefel. Die FAZ versuchte es dann mit „bigott“. Doch auch sie hat sich in der Sache arg verstiefelt.

Ja, liebe Sprachenvernarrten, hier haben wir es wieder einmal mit einem der vielbeschworenen „falschen Freunde“ zu tun. Was sind „falsche Freunde?“ Ganz einfach: Das sind Leute die, wenn Sie bei „Facebook“ sind, an Ihrer „Türe“ klopfen. Nein, ich mache hier nur einen schlechten Witz.

Bei den „falschen Freunden“ handelt es sich um Wörter aus zwei (oft verwandten) Sprachen, die zwar ähnlich klingen, aber unterschiedliche Bedeutungen haben. Gern gegebenes, lustiges Musterbeispiel ist die deutsche (und englische) Vokabel „Mist“. Auch „bigotted“ und „bigott“ sind „falsche Freunde“.

Jemand gilt im Deutschen als „bigott“, wenn er engstirnig ist, vor allem in Glaubensfragen. „Borniert“ bedeutet Ähnliches. Im Deutschen kann man allerdings auch im Bezug auf nichtreligiöse Dinge „borniert“ sein. Etwa die Politik.

Nur: Wir Englisch-Muttersprachler meinen mit „Bigotted“ etwas ganz  anders. Dieses Wort bedeutet für uns schlicht und einfach „rassistisch“ – im weitesten Sinn. Man kann „bigotted“ sein gegen Rassen, Kulturen und Religionen.

Und gerade das meinte Pechvogel Brown, als er über Ms. Duffy herzog. Es ging ausschließlich um ihre Einstellung zu Ausländern. Mag sein, dass die auch borniert und bigott war. Das war aber nicht maßgebend.

Alas and alack. In Großbritannien ist aber Wahlkampf. Wenn man keine triftigeren Argumente hat, um den Premierminister dieses maroden Ländchen westlich von Köln abzusetzen, dann hilft stets ein saftiges Skandälchen.

Was wirft man Brown vor? Ganz klar: Er hat das Schlimmste getan, was ein Politiker tun kann: Er hat die Wahrheit gesagt.

Aber genug der Miseren des (noch) Premierministers. Jetzt erkläre ich, woher dieses Wort „bigot“ bzw. „bigott“ kommt. Es taucht zum ersten Mal auf, kurz nachdem die Normannen England erobert haben. Notabene: Die Normannen haben damals Altfranzösisch, die Engländer Angelsächsisch gesprochen. Offenbar haben die entsetzten Angelsachsen damals des öfteren „bi God!“ ausgerufen. Auf Neuenglisch würde man „by God!“ sagen, auf Französisch „mon Dieu!“, auf Deutsch „Ach du meine Güte!“. Damit wollten sie wahrscheinlich lediglich auf sanfte Art wegen der Eroberung Dampf lassen, ohne den Kopf gleich in die Schlinge zu halten.

Die Franzosen nahmen jedenfalls Notiz von diesem ständigen „bi God!“. Bald bezeichneten sie die besiegten Fremdsprachler – scherzhaft – als „les bigots“.

Jetzt habe ich Ihnen alles zum Thema erzählt. Nur ein letzter Punkt: Wissen Sie, wie man “zwei Paar Stiefel“ auf Englisch sagt? Darauf kämen Sie nie: „a horse of a different color“. Und jetzt sagen Sie Mr. Brown „byebye“.

Erste Gedanken über die Informationsentropie (und die Lösung eines alten Rätsels)

Wie heißt eine Welt, in der alles absolut gleichwertig ist?

Wenn Sie meinen, die Antwort könnte „Paradies“ oder „Demokratie“ oder „Utopie“ lauten, dann irren Sie sich.

Die Welt, in der alles gleichwertig ist, heißt der Tod.

Stellen Sie sich drei Süppchen vor. Es sind die drei Süppchen aus dem „Goldilocks“-Märchen. Vielleicht kennen Sie dieses englische Märchen nicht.

Das Mädchen „Goldlöckchen“bricht einmal im Haus der drei Bären ein, wo Papabär, Mamabärin, und Babybär leben. Diese sind fort. Auf dem Tisch stößt die kleine Einbrecherin auf drei Suppenteller. Der vom Papabär ist Goldlöckchen zu heiß, der von Mamabärin zu kalt, der vom Babybär gerade richtig. Das diebische Mädchen verschnabuliert ihn genüsslich. Ich erzähle nicht weiter. Womöglich kennen sie die Geschichte ohnehin.

Nur folgenden Gedanken möchte ich hervorheben: Hätte Goldlöckchen etwas länger gewartet, bevor sie mit der verstohlenen Mahlzeit begann, oder wäre sie vielleicht eine halbe Stunde später im Bärenhaus eingebrochen, wäre die Geschichte anders verlaufen. Denn alle Süppchen hätten sich temperaturmäßig nach und nach einander angeglichen.

Das ist einfache Physik, genauer gesagt, eine einfache Aussage aus der Wärmelehre: Was zu heiß ist, kühlt sich (wenn nicht nachgeheizt) ab, was zu kalt ist, passt sich peu à peu der Umgebungstemperatur an.

In einem geschlossenem System, so sagen die Physiker, d.h. einer Umgebung, die keinen äußerlichen Einflüssen unterliegt, in diesem Fall – etwas vereinfacht – im Bärenhaus, würden sich die unterschiedlichen Temperaturen mit Sicherheit zunehmend einander angleichen. Man muss stets Energie investieren – Feuer machen oder einen Kühlschrank betreiben – , um diesen Verlauf– er heißt in der Wärmelehre „Entropie“  – entgegenzuwirken.

Diese abstrusen Gedanken fielen mir ein, als meine Frau berichtete, sie käme gerade von einer Vorlesung, wo der Sprecher, ein Kommunikationswissenschaftler, die zunehmende Gleichmäßigkeit der Medieninhalte anmahnte.

„Klar“, sagte ich meiner Frau spontan, „Das ist die ‚Informationsentropie’ am Werk.“

Ein kurzer Rückblick: Vor zwanzig Jahren redeten alle – auch ich – von der anbrechenden „Informationsrevolution“. Ich glaube nicht, dass die meisten von uns damals verstanden, was eine „Informationsrevolution“ bedeutete. Wir meinten lediglich: Es würde viel „Information“ zur Verfügung stehen. Man müsste den eigenen Informationsgebrauch mäßigen, um keinem „Informationsinfarkt“ zu erleiden usw.

Heute weiß ich sehr wohl, was mit diesem Schlagwort gemeint war: Information sollte dank dem nagelneuen Internet noch mehr denn je zuvor zu einer Ware, zu einer Großindustrie, werden – ähnlich dem Geschäft mit Erdöl und Erdgas. Nur damals, als die Kapitäne der Industrie in die Zukunft schauten, hat es noch kein „Google“, keine „Wikipedia“, keinen „Twitter“, kein „Facebook“ usw. gegeben. Inzwischen haben die Investment-Kapitalisten selbst kapiert, dass es verdammt schwer ist, Geld mittels „Information“ zu vermehren. Aber das ist eine andere Geschichte…

Wir bleiben bei den Unmengen disponibler Dateneinheiten, die heute in der Welt kursieren – das meiste in elektronischer Form.

Man kann diese Datenmenge mit den drei oben erwähnten Süppchen vergleichen. Um den Sinn der drei Süppchen zu erfassen, ist stets ein Goldlöckchen erforderlich. Ohne dieses Mädchen, blieben die drei Süppchen undifferenzierbar, ganz gleich welche Temperatur sie hätten. Wenn keiner die drei Süppchen näher erforscht, fallen sie notgedrungen der Informationsentropie zum Opfer. Heute kursieren Abermilliarden „Süppchen“ im Netz. Fast niemand weiß, wie sie schmecken oder wie heiß sie sind. Ohne eine angemessene Zahl von Goldlöckchen, fristen sie ihr Dasein inhaltlich leer.

Fazit: Wer Wissen in Erdöl verwandeln will, wird lediglich Suppen kochen, die Hungernde kaum oder nie werden auslöffeln können.

Endlich ist damit auch die alte Frage des Zenbuddhismus beantwortet: Wie klingt es, wenn man mit einer Hand klatscht?

Achtung: Es spricht die Stimme des Spießertums (oder Der Künstler dankt dem Spießer)

Möchten Sie meiner neuen Interessengemeinschaft beitreten? Ach, klar, Sie möchten erst wissen, worum es geht.

Beinahe zögere ich mit der Sprache. Denn ich weiß schon jetzt, dass Sie gleich ablehnen werden.

Ich möchte nämlich zur Stimme des Spießertums werden. Und so wird meine I.G. auch heißen: Die Stimme des Spießertums e.V.

Mal ehrlich: Klingt hübsch, nicht wahr?

Raten Sie mal, was der seltenste Satz in der ganzen deutschen Sprache ist. Sie werden kaum drauf kommen. Er lautet: „Ich bin ein Spießer.“

Ist ja logisch! Wann haben Sie das letzte Mal diesen Satz freiwillig über die Lippen gebracht? Wahrscheinlich noch nie. Kein Mensch sagt von sich, er sei ein Spießer. Das dürfte das allergrößter „No-No“ in der deutschen Sprache sein. Das Fatale: Fast niemand weiß, dass es so ist.

Im Deutschen ist es immer der andere, der spießig ist. Eher gesteht einer,  Pädophile oder Mörder zu sein, als dass er sich zu seinem Spießertum bekännte.

Schade.

Und deshalb möchte ich dem Spießer – bzw., der Spießerin – mittels meiner I.G. Mut machen.

Ich fange selbst an, damit Sie keinen Zweifel an meine Führungsqualitäten haben.

I c h  b i n   S p i e ß e r.

Sie zögern es mir nachzumachen? Ach, kommen Sie schon. Nur Mut fassen:

I c h  b i n  S p i e ß e r (i n).

Na? War nicht so schlimm? Und wenn Sie es einmal über die Lippen gebracht haben, sind Sie praktisch zum Revolutionär geworden! Zum Helden! Ich gratuliere! Mit einem einzigen Satz haben Sie viel dazu beigetragen, die deutsche Sprache zu erneuern. Eine solche Gelegenheit hat man nicht jeden Tag. Und stellen Sie sich vor: Man musste erst das 21. Jahrhundert schreiben, bis es so weit war. So läuft es immer in der Geschichte. Es kommt der günstige Punkt, und zack!

Wie ich auf diese heilsgeschichtlichen Gedanken komme? Ich habe gestern an einen Künstler gedacht (ich verrate den Namen nicht), der sich ein Leben lang weigerte, U-Bahn zu fahren, weil er Kontakt mit der schnöden Masse so sehr scheute.

Wir Spießer sind anders. Wir lieben die schnöde Masse. Mehr noch: Die schnöde Masse, das sind wir!

Kennen Sie Antonin Artaud? Auch er war Künstler, ein Franzose, der viele Jahre seines Lebens in der Irrenanstalt verbracht hat. Nichts Ungewöhnliches für Künstler. Das tat auch Robert Walser. Hölderlin, Nietzsche usw. waren alle Kandidaten für die Irrenanstalt.

Artaud hat einmal einen kurzen Essay mit dem Titel – hier übersetze ich -  „Ich scheiße auf die Seele“ oder ähnlich geschrieben. Darin verweist er die Seele in ihre Schranken. Es brauche einen Körper, um die Seele mühevoll auszuschwitzen, schreibt er oder so ähnlich. Ich habe den Wortlaut längst vergessen. Es sind Jahre vergangen, seit ich den Text gelesen habe.

Ich sage hingegen: Es braucht Tausende von Spießern, um einen Künstler auszuschwitzen. Deswegen ist der Künstler dem Spießer stets zu Dank verpflichtet. Jawohl!

Und was macht der Künstler stattdessen? Er meidet die U-Bahn und dergleichen.

Das wird’s nicht mehr so schnell geben. Jetzt hat der Spießer endlich seine Stimme gefunden. Bald wird der Künstler ganz von allein auf die Idee kommen, sich zu bedanken.

Diesmal schreibe ich für Sie, liebe Migrationshintergründler

Wann ist ein Kompliment kein Kompliment?

Hier ein einfaches Beispiel: Sie gehen ins Geschäft und kommen mit dem Ladenbesitzer ins Gespräch.

„Aus Hamburg sind Sie“, sagt er, „Sie sprechen aber sehr schön Deutsch.“

Für Hamburg, kann man beliebig „München“, „Erfurt“, „Remagen“, „Hoyerswerda“, „Trier“ usw. setzen. Ist egal.

Okay. Mein Beispiel ist etwas an den Haaren herbeigezogen. Normalerweise bekommt man keine Komplimente für etwaige Fähigkeiten in der Muttersprache – es sei denn, es handelt sich um einen Aufsatz in der Schule, um eine eloquente Rede, die man gerade gehalten hat, oder um den besonderen Witz eines Schriftstellers oder die gekonnte Darbringung eines Schauspielers.

Aber nun, liebe Migrationshintergründler, zu unserer Situation.

Letzte Woche ging ich in eine Änderungsschneiderei und kam mit der Ladenbesitzerin ins Gespräch. Als sie mir verriet, sie sei geborene Griechin, outete ich mich sogleich als geborenen Amerikaner. Das erkennt man ohnehin an meinem Akzent.

Im Gegensatz zu mir sprach die Schneiderin ein tadelloses, akzentfreies Deutsch. Das lässt sich aber leicht erklären. Sie lebt schon seit über 45 Jahren in Deutschland und kam als Kind hierher.

Fakt ist: Wenn man eine Fremdsprache vor der Pubertät lernt, wird man sie fast immer wie ein Muttersprachler beherrschen. Ist man aber schon in (oder jenseits) der Pubertät, wird man den eigenen fremden Akzent selten los. So erging es Henry Kissinger. Er war bereits fünfzehn, als seine Familie 1938 in die USA ausgewandert ist. Sein um ein Jahr jüngerer Bruder Walter hat im Gegensatz zu Henry keinen deutschen Akzent.

Ich war schon ein junger Mann, als ich 1975 nach München kam. Kein Wunder, dass ich mich nie als native speaker der hiesigen Sprache werde durchmogeln können. Manche schaffen es dennoch. Ich habe Migrationshintergründler kennengelernt, die akzentfreies Deutsch reden, obwohl sie – wie ich – jenseits der Pubertät waren, als sie Deutsch lernten.

„Stellen Sie sich vor“, sagte mir die tapfere Schneiderin, „Es gibt Leute, die mir Komplimente machen, weil ich Deutsch rede. Das macht mich aber rasend. Sie wissen nichts über mich, behaupten aber, dass ich, weil ich im Ausland geboren wurde, ein dressierter Affe bin. Manche Kunden bezeichnen mich nicht als die Schneiderin, sondern als die griechische Schneiderin. Und dann plappern die Politiker über die Assimilation. Ich will mich ohnehin nicht assimlieren lassen. Ich bin stolze Griechin, auch wenn ich Deutsch wie eine Deutsche spreche. Integration und nicht Assimilation, das sage ich.“

Integration statt Assimilation. Das hat mich beeindruckt, und ich habe der Schneiderin gleich verraten, ich würde sie mal zitieren. Bisher hat kein Politiker die Sache mit der Eingliederung von Ausländern so präzise artikuliert wie sie.

Immerhin: Die Schneiderin und ich sind beide bestens integriert und trotzdem haben wir unseren Kindern die Sprache unserer jeweiligen Mütter beigebracht.

Ja, liebe Migrationshintergründler, nehmen Sie sich an uns ein Beispiel. Eine „Assimilation“ gibt es ohnehin nicht.

Als ich einmal in einer Buchhandlung aus meinem Buch „Kaspar Hausers Geschwister“ vorlesen sollte, fragte mich ein Zuhörer vor der Lesung – langsam und deutlich – , ob ich (immerhin Autor eines Buches in deutscher Sprache) Deutsch spräche oder ob er mit mir lieber Englisch reden solle.

„Nein, nein“, antwortete ich, „Es fällt mir zwar schwer, Sie zu verstehen, aber ich kann mich in der Fremdsprache zumindest radebrechend verständigen.“

Ach, und hier mein Lieblingskompliment. Einmal sprach mich eine Amerikanerin auf der Straße an und fragte mich auf Englisch nach dem Weg. Ich antwortete selbstverständlich in der Muttersprache. Daraufhin bedankte sie sich und sagte: „You speak wonderful English.“ Was blieb mir anders übrig? „Thank you“, erwiderte ich. Sehen Sie: Manchmal ist einem jedes Lob recht.

Heute beim Sprachbloggeur praktisches Wissen: Wie man abstrakte Kunst lieben lernt

Worte. Pfui! Manchmal hat man einfach zu viel davon.

Nein, ich bin nicht schreibmüde geworden. Schriftsteller sind diejenigen, die weiter erzählen, nachdem jedem anderen die Puste ausgegangen ist.

Dennoch gibt es Augenblicke, in denen ich kein Wort mehr ertrage – und keinen konkreten Gegenstand mehr sehen will.

Wissen Sie, was ich dann mache?

Ich gehe stracks ins Museum und halte mich bei der abstrakten Kunst auf. In München kann man das besonders gut. Hier haben wir die Pinakothek der Moderne, das Museum Brandhorst, das Haus der Kunst und und.

Ich war nicht immer so ein Liebhaber der abstrakten Kunst. „Das nennt man ‚Minimalismus’“, sagte mir Freund Fritz vor vielen Jahren, als er mir begeistert ein Bild zeigte, auf dem nur drei dicke Farbstreifen zu sehen waren.

„Dann bin auch ich Maler“, antwortete ich. „Ich könnte es genauso.“

„Ach, ja“, sagte Fritz und zuckte mit den Schultern. Er spürte wohl, dass ich noch nicht so weit war. Inzwischen bin ich so weit. Mein Saulus/Paulus-Moment trat vor etwa einem Jahr ein, nachdem ich einen richtigen Erschöpfungszustand durchgemacht hatte. Mein Teller war voll, und ich hatte das Bedürfnis, mich von viel Ballast zu befreien. Wie in Trance begab ich mich eines Tages ins Museum, genauer gesagt, in die Pinakothek der Moderne. Plötzlich stand ich in einem großen Raum – einem riesigen Raum mit weißen Wänden. An den weißen Wänden hingen Bilder, nicht viele, alles überschaubar also. Es war still im Raum, und die Bilder waren Werke der Abstraktion. Wer nach konkreten Gegenständen gesucht hätte, wäre hier nicht fündig geworden.

Neugierig schaute ich mich um. Auf einmal merkte ich, dass ich mich zunehmend besser fühlte. Ich war ganz heiter geworden. Dann schoss mir folgender Gedanke durch den Kopf: Ich bin nicht mehr auf der Erde. Ich befinde mich in einer anderen Welt, und die Bilder, die ich hier betrachte, die sind Mitteilungen in der Sprache dieser fremden Welt. Das, was für mich gegenstandslos scheint, gilt in dieser fremden Welt als konkreter Gegenstand.

Das war das Schlüsselerlebnis, und ich konnte mich dort kaum satt sehen, so aufregend erschien mir diese neue Welt. Seitdem bin ich süchtig nach abstrakten Bildern und Skulpturen. Zu meinen Lieblingsexponaten zählen sechszehn schmucklose Holzkästen, die in einem weiß gestrichenen Raum  der Pinakothek der Modernen hängen. Alle sind gleich groß. Naturbelassenes Kiefern- oder Fichtenholz. Sie unterscheiden sich von einander lediglich durch die unterschiedlichen Trennwände des jeweiligen Kastens. Der Künstler Donald Judd nennt sein Werk „Untitled“.

Freund Fritz ist zufrieden mit mir. Er erklärte mir im vergangenen Winter, es handele sich bei diesen Kästen um unterschiedliche Charakter- oder Persönlichkeitsdarstellungungen. Ein Kasten wird, z.B., durch eine senkrechte Trennwand fast zweigeteilt, ein anderer wird durch eine Schräge diagonal getrennt. Ein Kasten ist ganz offen, bei einem gibt es eine „Vorwand“, die den Hohlraum von der Außenwelt beinahe völlig abkapselt, usw. Alles dargegstellt durch Mittel einer wortlosen Fremdsprache. Tja, so verständigen sich die Außerirdischen untereinander.

Neulich habe ich meine Kenntnisse dieser abstrakten Sprache noch weiter vertieft.. „Weiß du“, sagte ich Freund Fritz erst letzte Woche, „Neulich fiel mir ein, dass es hinter jedem realistischen Bild einen abstrakten Kern gibt – als habe der Maler eines realistischen Bildes erst die abstrakte Form wahrgenommen, bevor er sie zu vergegenständlichen begann.“

Ich merkte es Fritz an. Er war stolz auf mich. Ich hatte den Sinn der Abstraktion endlich kapiert. Und nun möchte ich ihn mit Ihnen, liebe Leser, teilen. Jawohl, beim Sprachbloggeur bekommt man auch Praktisches serviert. Jeder will die Welt verstehen. Bloße Unterhaltung wird auf die Dauer nur langweilig.

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