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Warten auf das "Fräulein"

Das Warten ist charakterbildend. Daran habe ich gestern gedacht, als ich drei Stunden beim Doktor wartete, bis ich an die Reihe kam. Ich war nämlich „Einschubpatient“, ich hatte also keinen festen Termin.

Sicherlich steckt seitens der Praxis ein Quäntchen Pädagogik hinter diesem langen Warten. So wird einem klargemacht, dass es keinen Vorteil bringt, den Vordrängler zu spielen.

„Charakterbildend“, dachte ich. Das Wort gefiel mir aber nicht. Es kam mir irgendwie gekünstelt vor, als handelte es sich um einen Begriff aus dem Neudeutschen. Es erinnert nämlich zu sehr ans englische „character building“. Ich habe auf eine unbeholfene Lehnübersetzung getippt. Im sechsbändigen Duden aus den 70er Jahren aber steht „Charakterbildend“ ohne jeden Hinweis auf eine derartige Entlehnung da.

Komisch wie unterschiedlich die Wörter „bilden“ und „build“ sind. „Build“ bedeutet auf Deutsch „bauen“, „aufbauen“, „erbauen“. Im Englischen „one builds a house“ oder seinen Charakter.

Auf Deutsch kann man sich etwas „einbilden“. Man kann sich auch „ausbilden“ (lassen). Wenn man viel weiß, gilt man als „gebildet“ oder manchmal als „eingebildet“. Man bildet sich aber kein Haus. Und etwas „aufbilden“ tut man schon gar nicht.

Sätze kann man bilden, Masken kann man bilden. „Bildhauer“ kann man werden. Man kann eine Regierung, einen Verein, eine Widerstandsgruppe (siehe „Duden“) „bilden“. Ein Vermögen wird „gebildet“. Ein Urteil kann man bilden. Man bildet sich aber kein Haus. Den Charakter hingegen kann man sehr wohl bilden, bzw. bilden lassen.

Schauen Sie: Die Orchidee hat Knospen gebildet. Etwas bildet auch eine Ausnahme.

Warum kann der Deutsche kein Haus bilden? Komisch.

Aber stopp! Nicht das „bilden“, sondern das Warten ist heute mein Thema.

Denn die Stunden, die ich gestern als Einschubpatient verlebte, bilden nur ein Beispiel des Wartens. Noch ein Beispiel: Letzte Woche habe ich mich in einem Restaurant mit W. verabredet. Wir nahmen uns vor, uns über Gott und die Welt zu unterhalten, nur nicht über die Arbeit. Es ist uns beinahe geglückt.

Was hat diese Verabredung mit dem Warten zu tun? Folgendes: Wir wollten die Aufmerksamkeit der Bedienung auf uns lenken. „Weißt du“, sagte ich W., „Früher hat man ‚Fräulein’ gerufen, wenn man die Bedienung zu sich herüberrufen wollte. Doch irgendwie kommt mir diese Ausdrucksweise altmodisch vor. ‚Bedienung!’ hingegen klingt zu kaltschnäuzig. Was kann man heute noch sagen?“

W. war ebenso ratlos wie ich. Wir machten die üblichen Witze über „Frau Oberin“. Doch das ist, wie man sagt, ein Witz mit einem langen Bart.

Als die Bedienung endlich erschien – ich hatte  mit Handgefuchtel auf uns aufmerksam gemacht – fragte ich sie direkt, „Was sagt man heute, wenn man Sie herbeirufen will? ‚Fräulein’ ist bestimmt schon lange out.“

Sie lachte. „Sie haben recht. Viele Leute wissen nicht mehr, was sie sagen sollen. Sie rufen einfach ‚he!’, oder sie gestikulieren wie wild.“

„Wenn ich ganz ehrlich bin, hätte ich am liebsten ‚Fräulein!’ gerufen“, sagte ich. „Ich habe mich nur nicht getraut. Es klingt so…von gestern.“

Wieder lachte sie. „Ja, ist es auch, aber ich finde es nett. Sagen Sie zu mir ruhig ‚Fräulein’. Trauen Sie sich. Sie machen mir damit eine Freude.“

Das werde ich in Zukunft auch tun. Wenn man die Wahl hat, entweder lange auf Öl und Essig zu warten oder „Fräulein“ zu sagen, dann soll man doch ruhig „Fräulein“ ausrufen. Das Reden ist nämlich ebenso charakterbildend wie das Warten.

Eifer Sucht, was Wissen schafft (oder so)

Vor der Bundeswahl hat jeder längst verstanden, was mit der „K-Frage“ gemeint ist. Aber die „W-Frage“? Haben Sie gewusst, dass es eine „W-Frage“ überhaupt gibt?

„W“ wie in „Wissenschaft“.

Freund Wolfgang Goede – er bezeichnet sich als „Wissenschaftsjournalist“ (ein schönes Wort nicht wahr?) – hat mich überzeugt, dass die „W-Frage“ vielleicht um einiges wichtiger ist als die „K-Frage“. Was heißt „W-Frage“. Wolfgang hat mir erklärt, dass es mittlerweile eine hitzige „W-Debatte“ gebe. (Siehe: http://www.teli.de/wissenschaftsdebatte/index.html).

Ich habe die deutsche Sprache stets um ihre schöne Vokabel „Wissenschaft“ beneidet. In meinen Migrantenohren mutet das Wort ausgesprochen urwüchsig an. Haben Sie gewusst, dass dieser Begriff bereits im 14. Jahrhundert im Gebrauch war? Man benutzte es damals im Sinne von „Wissenheit“. Das war irgendwie eine Steigerungsform des „Wissens“ – ja, als handelte es sich um die allererste Sahne auf dem Gebiet des Wissens. „Wissenschaft umb ein Ding haben“, sagte man um das Jahr 1600. Man meinte damit, man könnte fundiert über etwas reden.

Im Vergleich klingt das englische „science“ absolut fade – etwa wie eine heiße Schokolade, die man mit Wasser statt mit Milch zubereitet hat. „Science“ ist ohnehin nur ein Stückchen gelehrtes Latein, das irgendwelche hochnäsige Gentlemen im 17. Jt. zu einer englischen Vokabel erklärten.

Kurzer Szenenwechsel: Einer der ersten Sprüche, die ich in der deutschen Sprache gelernt habe, war: „Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft.“ Er wird übrigens, wie ich jetzt erfahren habe, dem Theologen Friedrich Schleiermacher (1768-1834) zugeschrieben. Meine damalige Freundin hat diese Redewendung ständig, beinahe in einem Singsang, rezitiert. Ich war begeistert. Diese deutsche Sprache hat es in sich, dachte ich. Mit einfachsten Mitteln kann man geistreiche Dinge ausdrücken.

Doch zurück zur „Wissenschaft-Debatte“. Vielleicht fragen Sie sich, um was für eine „W-Debatte“ es sich hier handelt. Eben diese Frage habe ich Freund Wolfgang gestellt, und er hat es mir folgendermaßen erklärt: „Der Stand der Wissenschaft hat auch eine politische Bedeutung. Denn die Politiker treffen Entscheidungen, die den Lauf der Wissenschaft beeinflüssen.“ Er hat mir auch ein paar aktuelle Themen dargelegt: ob Deutschland ein eigenes Mondprogramm brauche; die Lage der Forscher, die nur kurze Vertrage erhalten und mit 45 Jahren unvermittelbar werden; die Frage ob die Abwrackprämie im Bezug auf die Umwelt sinnvoll war. Und so weiter…

Sofort dachte ich an den griechischen Naturwissenschaftler Anaxagoras, der im 5. vorchristlichen Jahrhundert gelebt hat. Er mutmaßte damals – ohne Fernrohr, versteht sich – , dass das Glühen der Milchstraße nicht auf Sonnenlicht, sondern auf Sternenlicht zurückzuführen sei. Anaxagoras wäre im Mittelalter mit dieser Theorie nicht weit gekommen. Man hätte ihm der Gottlosigkeit bezichtigt. Sie sehen: Eine „W-Debatte“ ist – und war – zu jeder Zeit nötig.

Wie kann ich diese „Wissenschaft-Debatte“ fördern? Darüber habe ich lange nachgedacht. Und jetzt habe ich die Antwort gefunden: Ich werde ihr ein Motto schenken! Nämlich: „Streitsucht ist eine Wissenschaft, die mit Streit sucht, was Wissen schafft“.

Ist freilich nur ein Angebot. Wenn es gefällt, dann freue ich mich. So oder so aber weiß ich jedenfalls, dass ich nun auch meinen kleinen Anteil geleistet habe im Kampf der Wissenschaftler um die „W-Frage“.

Eins steht jedenfalls fest: Jeder, der diese Glosse gelesen hat, wird sich für alle Zeiten vorstellen können, was das Wissen schafft.

Sprachschnellkurs für den Dänemarkbesuch

Wer will jedesmal die Polemiken oder die Bonmots eines Schriftstellers lesen, so unterhaltsam und geistreich sie auch sein mögen?

Heute möchte ich Ihnen etwas Praktisches vermitteln: wie man in Dänemark schnellst möglich die Verständigung vorantreibt.

Ich war nämlich die letzten Tage in diesem charmanten Land im Norden. Nein, kein Urlaub, sondern Erkundigungsreise – der Sprachbloggeur steht wie immer in Ihrem treuen Dienst. Ich habe mich in Aarhus, der zweitgrößten Stadt Dänemarks, einquartiert. Falls Sie nicht wissen, wo Aarhus liegt, wenden Sie sich bitte direkt an Google-Maps – oder falls Sie so altmodisch sind wie ich, schauen Sie in den Atlas.

Übrigens. Diese Stadt heißt auf Dänisch nicht „Aaar-hus“, sondern „Ohr-hus“. Früher hat man das Wort mit zwei „A“s geschrieben. Seit der Rechtschreibreform von 1948 ist man zu einem „A“, auf dem ein kleines „O“ gesetzt wird, übergegangen. Sieht aber reizend aus.

Noch ein wichtiger Hinweis: Auf Dänisch schreibt man „Danmark“ – spricht  aber „Dennmark“, nicht „Dann-mark“ aus. Das dänische „A“ wird på Dansk ( „poh dennsk“) häufig wie ein kurzes, deutsches (sprich „dojtsches“) „E“ artikuliert. Das ist nur eine Kleinigkeit, sie macht einen aber schnell zum Experten. Schlussfolgerung zu Schlussfolgerung – so lernt man am besten. Beispiel: Ich schaute Kinder-TV an. Man redete die ganze Zeit von „pellsfar“ oder so. Was ist ein „pellsfar“? fragte ich mich. Endlich ist das „Öre“ (so heißt die kleinste Münze – sie haben nämlich keine Euros, obwohl sie in der EU sind) bei mir gefallen. Besser gesagt, öret er faldet (sprich „fallett“ oder so). „Pellsfar“ bedeutet „Pauls Vater“.

Bloß ein kleines Erfolgserlebnis, aus den kleinen aber entstehen peu à peu die großen.

Und noch etwas Wichtiges: das Begrüßen. Man geht in einen Laden, und gleich wird man mit „hej“, was wie das englische „hi“ klingt, empfangen. Als Sprachdetektiv habe ich gleich verstanden, dass das englische „hi“ damit verwandt sein müsse. Beim Verlassen des Ladens, ruft man einem  „hej hej“ hinterher. Das glaube ich jedenfalls gehört zu haben. Manche sagen auch „bye“. Das ist aber wohl „Dengelsk“. Der Einfluss des Englischen scheint auch in Dänemark ein Thema zu sein. Ich bin sogar auf ein Buch mit dem Titel „Gibt es zuviel Englisch im Dänischen?“ gestoßen.

Komischerweise beklagen sich die Dänen über das „Deunske“ nicht. Mehr als in jeder anderen skandinavischen Sprache wimmelt es im Dänischen nur so von deutschen Wörtern. Hier eine kurze Liste: „arbejde“, „herre“ – wie in „Herre Hansen“ – , „frue“ – das ist die Gattin von Herre Hansens, „hurtig, „stracks“, traefe – wie in „vi traefe os i Århus“ und, und und – bzw. og, og, og.

Woher kommen diese vielen deutschen Wörter? Das liegt zum Teil an der gemeinsamen Grenze; zum Teil aber auch an den vielen Auseinandersetzungen und sonstigen Beziehungen mit diversen Deutschen, zuletzt mit den Preußen 1864, als Schleswig-Holstein  deutsch wurde. Ich vereinfache natürlich.

Die Dänen scheinen aber keinen großen Aufstand gegen die „tyske“ Wörter in ihrer „sprog“ zu machen. So wird es auch eines Tages mit dem Englischen im Deutschen sein. Yes.

Im Grunde ist Dansk sehr easy – vor allem die Lektüre (på dansk „lekture“). Innerhalb eines Tages konnte ich beinahe alles sagen, was das Herz begehrte und auch vieles Schriftliches entziffern. Nur ein Problem hatte ich: Ich habe fast nichts verstanden, wenn einer auf mein Dansk antwortete. Warum nicht? Hier jetzt das schmutzige, kleine Geheimnis der dänischen Sprache: Das gesprochene Dänisch ist kaum mit der Schriftsprache zu vereinbaren. Ich glaube, sie ist dem Albanischen oder dem Bengalischen ähnlich.

Aber nicht verzagen. Es gibt einen einfachen Trick, um schnell alles zu verstehen, was die Dänen sagen: Man spreche Englisch! Denn fast jeder in Danmark kann Englisch. Nun habe ich Ihnen doch etwas Praktisches beigebracht. Thank you. How much? Goodbye.

Managerdeutsch für Anfänger

Während ich diesen Text auf meinem Klapprechner schreibe, tüftelt mein Sohn im anderen Raum. Er ist dabei meinen PC gründlich zu entstauben. Dann will er mir eine zweite Festplatte einbauen.

Mei, so schnell werden sie groß. Mir kommt es fast wie gestern vor, dass „Computer“ für ihn nur „Killerspiel“ bedeutete. Die Zeit rast dahin.

Ja, ich bekomme eine zweite Festplatte. Das passt gut . Denn heute hatte ich vor, über einen wichtigen Slogan aus den Chefetagen der Medien zu schreiben, einen Slogan, der ein bisschen einer zweiten Festplatte ähnelt: „expand your brand“.

Notabene: Obiger Begriff ist Deutsch, genauer gesagt, Managerdeutsch. Die Leute auf der Chefetage halten sich selten an die üblichen Sprachgrenzen. Was griffig klingt, ist halt richtig.

Ehrlich gesagt: Ich finde, man hätte „expand your brand“ ebenso pfiffig mit herkommlichen deutschen Wörtern ausdrücken können. Zum Beispiel: „Die Sehnen dehnen“ oder vielleicht „strecke die Decke“ (auch wenn Letzteres ein bisschen mundartig anmutet). Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich habe nichts gegen Denglisch usw., doch manchmal gibt man zu schnell auf. Deutsch ist auch eine griffige Sprache.

Auch die Griechen litten unter einer Art „Denglisch“-Dilemma. Das römische Reich übte einen dermaßen großen Einfluss auf Griechenland aus, dass eine „liechische“ Sprache zustande kam. Man hat viele lateinische Wörter einfach übernommen.

Zum Beispiel „spekulator“, „kolonia“, „kensus“ (zu Deutsch „Zensus“) „kenturion“ (dt. „Zenturio“), für den Leiter einer Hundertschaft Soldaten. Puristen unter den Griechen suchten in der eigenen Sprache nach Alternativen für die Fremdwörter. Aus dem lateinischen „centurio“ machten sie „hekatontarchos“, wörtlich „Führer der Hundertschaft“. Vergebliche Liebesmühe natürlich, wie bei meinem „Sehnen dehnen“ usw.

Nebenbei: In Deutschland lernen Schüler im Lateinunterricht „centurio“ als „zenturio“ auszusprechen. Der Grund dafür: Als die Germanen auf dieses Wort stießen, sagte man auf den Straßen Italiens „“tschenturio“ oder so ähnlich. Im heutigen Italienischen heißt dieses Wort „centurione“ und beginnt deswegen mit einem „tsch“. Die griechische Schreibart „kenturion“ ist ein Beweis dafür, dass die Römer das „K“ einst hart aussprachen.

Gleiches gilt für das lateinische „V“. Die griechische Schreibart liefert den Beweis dafür, dass dieser Buchstabe einst wie ein englisches „W“ klang. Der lateinische Name „Valerius“ wird, zum Beispiel, im Griechischen mit „Ualerius“ wiedergeben. Erst zu einer späteren Zeit stößt man auf „Valerius“ mit einem „beta“ als Anfangsbuchstabe. Das heißt: Die Aussprache dieses Wortes hat sich über die Zeit verändert.

Das alles, wie gesagt, nur nebenbei. Ich wollte lediglich über „expand your brand“ erzählen. Stattdessen habe ich meine Decke gestreckt!

Wobei die Marketingleute  mit „expand your brand“ etwas anderes meinen als ich hier. Sie verpacken den gleichen Content in verschiedenen Formen und gehen davon aus, dass der Kunde dies nicht merkt. Wenn der Kunde das Angebot akzeptiert, ist das für den Marketer ein gefundenes Fressen. Das Dehnen der Sehnen also. In dieser Glosse geht es nur um Managerdeutsch für Anfänger. Man will sich nicht zu viel auf einmal expandieren. Für heute also genug.

Anyway, mein Sohn hat eben verkündet, dass ich jetzt der stolze Besitzer von zwei Festplatten in einem entstaubten PC bin. Ich habe mein Gedeck gestreckt und freue mich auf neue Wörter. Auch ich bin gewissermaßen Manager!

Im Zeitalter der Finanzgrippe und der Schweinekrise

Gestern rief mich A. an. Sie ist 75 und geht einmal im Monat zum Altenklub ihrer Kirche. Die genaue Glaubensrichtung verrate ich nicht – macht ohnehin keinen Unterschied.

„Stell dir vor“, sagte sie. „Ich bin heute in den Altenklub gegangen, und man sagte mir, der Klub sei eingestellt.“

„Angst vor der Schweinegrippe?“ fragte ich.

„Nein. Man hat gesagt, auch die Kirche leide unter der Finanzkrise.“

Gleich habe ich an meine Bank gedacht. Denn auch sie leidet unter der Finanzkrise. Doch zunächst etwas Hintergrundmaterial:

Seit Jahren schickt meine Mutter meinen Söhnen zu Weihnachten und zum Geburtstag Schecks im Wert von fünfündzwanzig Dollar. Ich ging früher mit den Schecks zur Bank und habe sie in Mark wechseln lassen. Alles problemlos.

Vor etwa 10 Jahren war es mit diesem Kundendienst plötzlich vorbei. Die Bank verlangte eine Gebühr, die ungefähr die Hälfte des Scheckwerts war. Ich protestierte heftig:

„Heißt das, dass meine Kinder ihr Weihnachtsgeschenk mit der Bank teilen müssen?“ fragte ich.

„So dürfen Sie es nicht sehen. .Auch wir haben Kosten“, war die Antwort.

Das war, wie gesagt, vor 10 Jahren. Damals hat es noch keine Finanzkrise gegeben, und ich konnte das Problem einfach lösen. Ich habe dem Vorstandsvorsitzenden der Bank einen Brief geschickt und ihm die Leviten gelesen. Nebenbei: Die entsprechende Redewendung auf Englisch lautet „to read someone the riot act“. Zu Deutsch (in etwa): Jemandem den Paragraphen zur Ruhestörung vorlesen. Mit „Leviten lesen“ ist bestimmt das Buch Levitikus gemeint – auch ein Gesetzbuch.

Mein Brief zeigte jedenfalls Wirkung. Ich erhielt ein Schreiben vom höchsten, bonusdotierten Chef persönlich. Darin hieß es, ich dürfe die Geburtstags- und Weihnachtsschecks meiner Mutter in aller Ewigkeit gebührenlos einlösen. Ich war zufrieden, und alles ging jahrelang gut. Eines Tages habe ich das Schreiben leider verschlampt.

Trotzdem durfte ich – aus „Kulanz“ wie es heißt – die Schecks weiterhin gebührenfrei einlösen. Dann kam die Finanzkrise. Mein Banker – nein, er ist kein Bankier – hat mir letzte Woche angekündigt: „Das war das letzte Mal. Sie müssen verstehen, auch ich habe Kosten.“

„Haften Sie persönlich?“

„Nein, so meine ich es nicht. Für die Bank sind Ihre Schecks ein Verlustgeschäft, und ich habe eine Verantwortung gegenüber der Bank.“

Wie gesagt: Heute haben wir Finanzkrise, und ich sollte das Unbehagen des Bankers vielleicht ernst nehmen. Und wer weiß, das mit der Schweinegrippe ist auch nicht ganz ohne. Und was würden wir machen, wenn alle Banken wegen der Schweinegrippe zumachen müssten? Bisher habe ich den neuen Vorstandsvorsitzenden den Paragraphen zur Ruhestörung noch nicht vorgelesen. Ich habe nämlich Mitleid mit ihm. Denn ich weiß, der muss dieses Jahr auf seinen Bonus verzichten, und sicherlich macht er sich in die Hose, falls er Geheimkonten auf den Bahamas oder in Liechtenstein hat.

Was ist zu machen? Im Zeitalter der Finanzgrippe und der Schweinekrise weiß keiner mehr Bescheid.

Eins steht aber fest: Falls ich mal im Lotto gewinne, mache ich einen eigenen Altenklub für A. und ihre Damen auf. Die Kirche sei gewarnt. Acht geben auf die Konkurrenz!

Alle Sprachbloggeur sind Lügner

Wer kennt noch heute Epimenides?

Er lebte ca. 600 v.Chr. in Kreta, war Philosoph (wenn man damals dieses Wort überhaupt verwendete) und soll gesagt haben: „Alle Kreter sind Lügner“. Der Spruch wurde in der Antike zum Evergreen. Auch Paulus wetterte gegen die lügnerischen Kreter.

Nur: Möglicherweise haben wir es hier mit einem uralten Witz zu tun. Bedenken Sie: Man hat in der griechischen Antike nicht nur Tragödien, Epen und Kömödien geschrieben, Kriege geführt, geliebt, gegessen usw., man hat sich auch Witze erzählt. Ja, auch die Griechen waren nur Menschen.

Wenn ein Kreter behauptete, dass alle Kreter Lügner seien, war das in der Antike sicherlich ein richtiger „knee-slapper“ wie wir in Amerika sagen. Man lacht so heftig, dass man sich aufs eigene Knie haut.

Heutige Schlaumeier bezeichnen diesen berühmten Kalauer ehrfürchtig als „Epimenides Paradox“, was wie der Name einer Schachstrategie im Mittelspiel klingt.

Doch die Witze sind heute nicht mein Thema. Ich möchte vielmehr über den Unterschied zwischen einem Lügner und…tja…was ist denn das Gegenteil von „Lügner“? „Wahrsager“ wohl nicht, denn auch sie lügen. „Wahrheiter“? „Wahrheitsprechender“? „Einer, der die Wahrheit sagt“? Komisch. Es gibt einen schönen, knappen Begriff, um jemanden, der sich in Unwahrheiten verwickelt, zu beschreiben. Ein Ehrlicher bleibt hingegen stets außen vor. Ich glaube, ich habe schon wieder in einem Satz die Geschichte der Welt erzählt.

Vor mehreren Wochen hatte ich mir einen Artikel aus der International Herald Tribune ausgeschnitten. Das mache ich immer, zwecks meines schlechten Gedächtnis, wenn ich etwas beruflich „ausschlachten“ will. Nun finde ich den Ausschnitt nicht mehr und muss versuchen, den Inhalt aus dem Gedächtnis zu holen. Im Artikel ging es jedenfalls um den Unterschied zwischen den Aussagen der Lügner und derjenigen, die nicht lügen.

Der Inhalt entstammte, glaube ich, einer Studie der Polizei, des FBI oder der CIA – ich weiß es nicht mehr. Es hieß jedenfalls, dass die Aussagen der Lügner besser gegliedert seien als die der Nichtlügner. Eigentlich logisch. Einer, der lügt hat Interesse, seine Geschichte so glaubhaft wie möglich darzustellen. Er baut an seiner Story nach Art des Schriftstellers.

Wer hingegen die einfache Wahrheit wiedergeben wolle, verwickele sich schneller in Widersprüche. Er achte nämlich weniger auf Details als der Lügner. Auch klar - er will lediglich, das Gedächtnis wachrufen. Doch im Unterschied zum Lügner erzähle er manches tatsächlich viel detailierter als der Lügner – wenn auch weniger eloquent.

Das kann also nur bedeuten, dass die Wahrheit ein Rohstoff ist, die Lüge hingegen ein Kunstwerk.

Auch das klingt logisch.

Ich denke an Hesiod. Er lebte im 8. vorchristlichen Jahrhundert in Böotien und ließ in einem Gedicht die Musen – notabene die Musen, die Damen also, die für die Kunst zuständig sind – deklarieren:

„Hirten vom Lande, ihr Lumpengesindel und lediglich Bäuche,/ seht, wir reden viel Trug, auch wenn es wie Wirklichkeit klänge,/ seht aber, wenn wir gewillt, verkünden wir lautere Wahrheit.“

Jawohl. Das hat jemand vor 2700 Jahren geschrieben.

Und nun eine Fangfrage: Habe ich gerade die Wahrheit erzählt oder Ihnen lauter gutschmeckende Lügen aufgetischt? Mit dieser Frage erzähle ich schon wieder die Geschichte der Welt. Schöne Grüße von Epimenides soll ich ausrichten.

Der Sprachbloggeur wird Schirmherr

Der Tod von Gidget bringt mich auf Gedanken.

Wahrscheinlich wissen Sie gar nicht, wer Gidget ist. Es würde mich überraschen, wenn es anders wäre.

Auch ich war ahnungslos, bis ich gestern in CNN die Todesannonce gelesen habe.

Gidget war ein Chihuahua – Sie wissen schon, eine kleine, haarlose mexikanische Hundeart. Manche finden sie niedlich, manche hässlich. Ich glaube, Paris Hilton produziert sich mit einem solchen Tier. Gidget, die mit fünfzehn Jahren verstarb, war aber wohl ein ziemlich bunter Hund, wenn ich es so sagen darf. Jeder amerikanische Fernsehzuschauer (das heißt, 99,9% der Gesamtbevölkerung) kannte sie. Denn sie war jahrelang in der Fernsehwerbung zu bewundern. Die Firma, für die sie ihre Fronarbeit geleistet hat, verrate ich hier nicht. Nein, keine Schleichwerbung beim Sprachbloggeur!

Als ich die Schlagzeile ,„Gidget the chihuahua has died at 15“, las, konnte ich zunächst nichts damit anfangen. Die meisten Amerikaner hingegen schon.

Was will ich damit sagen? Gidget war ein Baustein, zwar ein kleiner, aber immerhin Baustein im großen Gebäude der amerikanischen Kulturidentität. „Bausteine“ in diesem Sinn sind die Dinge, die ein Gruppenbewusstsein ausmachen.

Doch nicht Gidget, sondern treue Sprachbloggeur-Leserin Monika Sim, hat mich auf Ideen über Bausteine der Kulturidentität gebracht. Vor wenigen Tagen hat Frau Sim meine Glosse über den Unterschied zwischen „Haar“ und „Haare“ kommentiert. Sie erklärte, dass sie – notabene als Muttersprachlerin – in ihrer Kindheit den Unterschied zwischen diesen Wörten gefühlsmäßig nachempfunden hatte.

Aha, dachte ich. Da spricht ein Mensch, für den der Unterschied zwischen „Haar“ und „Haare“ ein Baustein seiner kulturellen Identität ist.

Zu bemerken: Eine kulturelle Identität darf man nicht verschmähen – auch nicht verschmälern. Ohne sie fällt jede Kultur schleunigst auseinander. Nicht von ungefähr redet man heute unentwegt davon, dass Menschen mit Migrationshintergrund (wie ich einer bin) sich in die Wahlkultur integrieren müssen.

Wenn Sie das Gefühl haben, dass diese Glosse wie das Wort zum Sonntag klingt, haben Sie nicht Unrecht. Denn ich mache mir nämlich gerade Gedanken über eine Verantwortung, die ich mit Freude auf mich genommen habe. Bald soll ich als Schirmherr für einen Essay-Wettbewerb unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund (siehe www.kandil.de) werden. Kollegin Ines Balcik von „ib-klartext“ (siehe unter „Links“) hat mich neulich gefragt, ob ich Interesse hätte, Schirmherr zu sein. Ich habe spontan zugesagt.

Ich habe in meinem Leben viel erlebt (das meiste verrate ich Ihnen nicht), noch nie aber war ich Schirmherr.

Ich weiß nicht einmal, was ein Schirmherr tut oder macht und muss mich erst schlau machen. Denn man will seine Tätigkeit als Schirmherr absolut richtig ausüben. Ich halte Sie jedenfalls auf dem Laufenden, sobald, ich weiß, was auf mich zukommt.

Nur eine Frage hätte ich noch. Ist die weibliche Form von „Schirmherr“, „Schirmfrau“ oder „Schirmherrin“? Vielleicht weiß das jemand, der sich in der deutschen Kulturidentität heimischer fühlt als ich.

Ich bin nämlich nirgends richtig zu Hause oder vielleicht überall, und das gefällt mir ungemein. Gidget ist mir kein Begriff und den Unterschied zwischen „Haar“ und „Haaren“ habe ich erst als Erwachsener kennengelernt. Trotzdem darf auch ich Schirmherr werden.

Über das Haar – heute ohne lahmende Wortspiele

Es gibt einiges über Haare zu erzählen.

Beispiel: Als ich 1975 nach Deutschland kam, erfuhr ich, dass das was auf meinem Kopf in der Sommerbrise sachte umeinanderwirbelte, „Haare“ heißt – notabene „Haare“ nicht „Haar“.

Eine ulkige Vorstellung für einen Englisch Muttersprachler. Im Englischen sind „hairs“ stets weniger an der Zahl als „hair“. „Hair“ ist auf Englisch ein Kollektivum, d.h., eine Sammelbezeichnung. Ein Wort steht für ungezählte Einzelteile – so wie das „Gebirge“ auf ungezählte Berge hinweist.

„Hair“ ist im Englischen unzählbar. Wir stellen nur fest, dass wir sie haben – oder nicht. „Hairs“ zählt man. Auch wenn es tausend Strähnen sind.

Doch nun schreiben wir 2009, und ich stelle fest, dass man im Deutschen „Haar“ und nicht mehr „Haare“ auf dem Kopf hat. „Glänzende Farbreflexe für graues und blondiertes Haar“. Dieses Zitat habe ich soeben im Internet aufgegabelt. Woher dieser neue Sprachgebrauch stammt, vermag ich nicht zu sagen. Noch eine Verdenglischung? Die Wirkung des Musicals „Hair“ auf die deutsche Sprache? I don’t know. Vielleicht schreibe ich mal eine Doktorarbeit darüber.

Und noch eine Feststellung rund ums Haar. 1994 bin ich mit der Familie in die USA ausgewandert, bzw., zurückgekehrt. Das Datum ist wichtig. Denn damals habe ich noch beobachten können, dass die unrasierte Achselhöhle der deutschen Frau das Gegebene war. Vier Jahre später kehrten wir frohen Mutes in die old world zurück und siehe da, die Achselhaare (oder sagt man das „Achselhaar“?) waren glatt verschwunden.

Was ist passiert? Ich habe, ehrlich gesagt, keine Ahnung. War eine neue Generation haarscheuer junger Damen herangewachsen? Handelte es sich um eine neue Mode, vielleicht durch MTV inspiriert? Ich muss passen. Wäre auch vielleicht ein würdiges Thema für eine Doktorarbeit.

Kennen sie den englischen Spruch: „Hair today, gone tomorrow“. Ein Wortspiel selbstverständlich – aber kein lahmendes. „Hair“ klingt ähnlich wie „here“. Aber nun zum nächsten Thema ums Haar: die Intimrasur. Notabene: Wer sich an die Zeit vor 2007 nicht mehr erinnern kann, wird vielleicht nicht wissen, dass es dieses Wort „Intimrasur“ früher nicht gab.

Erst letzte Woche habe ich in der Zeitung gelesen, dass sich fünfzig Prozent aller Frauen – ich nehme an, dass hier nur junge Frauen gemeint sind – intimrasieren. Tendenz steigend. Noch erwähnungswerter: Fünfundzwanzig Prozent aller Männer scheren sich ebenso kahl. Auch hier nehme ich an, dass nur junge Männer gemeint sind – alt genug allerdings, um die entsprechenden Haare zu haben, die man wegrasiert.

Es heißt – so habe ich gelesen – , dass man sich nach der Intimrasur „glatter“, „sauberer“, „sinnlicher“ fühlt. Selbst wurde ich in den letzten Jahren zweimal – zumindest teilweise – intimrasiert, einmal vor einer Venenoperation – damals war es aber nur das linke Bein. Das rechte blieb ungeschoren. Ich habe Fotos vom besagten Bein gemacht – ich zeige sie aber nicht her. Habe ich mich „glatter“, „sauberer“ und „sinnlicher“ gefühlt? Nein, es hat gejuckt.

Das zweite Mal war während meiner Gallenoperation. Ich wachte aus der Narkose auf – und siehe da: mein Bauch wurde bloß gelegt.

Habe ich mich diesmal: „glatter“, „sauberer“ und „sinnlicher“ gefühlt? Nein, ich hatte nur Schmerzen und wieder neue Narben.

Komisch. In meiner Jugend haben wir um das Recht gekämpft, die Haare lang wachsen zu lassen. Die langen Haare waren eine Art Fanal für ein neues Zeitalter. Das Musical „Hair“ basiert auf diesem damaligen Kampf. Kaum hat man gesiegt, will die nächste Generation keine Haare mehr haben, oder soll ich lieber „Haar“ sagen?

Somit habe ich Ihnen die Geschichte der Welt am Beispiel der Haare erzählt.

Von rauen Sitten und Pizzas

Vielleicht kennen Sie das Peter-Prinzip noch. Es war einmal der letzte Schrei.

Das Buch „The Peter Principle“ erschien 1969. Autor war, wie man schon ahnen kann, ein gewisser Mr. Peter.

Das Prinzip ist ganz einfach und hat bis heute nichts von seiner Gültigkeit verloren: Ich zitiere den Hauptlehrsatz: „In einer Hierarchie neigt jeder Beschäftigte dazu, bis zu seiner Stufe der Unfähigkeit aufzusteigen.“

Damals sorgte das Buch für Furore. Niemand hatte dieses allgemein gültiges Phänomen bis dahin so deutlich formuliert. Überall war die Rede vom „Peter-Prinzip“. Jegliche Inkompetenz wurde als Ergebnis dieses Naturgesetzes erklärt. Trotzdem hat es keine Revolution der Aufrichtigkeit ausgelöst. Aber bitte, das hat  die Bergpredigt auch nicht.

Seit Erscheinen des „Peter-Prinzips“ sind die Sitten, wie man weiß, noch rauer geworden – so rau, dass die neueste Weltformel der Gesellschaftskritik tief unter die Gurtellinie zielt. Die Rede ist vom „Arschloch-Faktor“. Man finde ihn in der Politik, bei Hartzvier-Empfängern, Managern und in der SPD. Das hat jemand vor etlichen Wochen in den Nachrichten gesagt.

Ich habe leider vergessen, wer es war. Auch hier handelt es sich um ein amerikanisches Buch „The Asshole Factor“, das erst 2006 ins Deutsche übersetzt wurde.

Ich habe es nie gelesen, gehe aber davon aus, dass auch hier der Versuch gemacht wird, ein allgemein gültiges Naturgesetz zu formulieren, um die Probleme unserer Zeit verständlicher zu machen.

Mir fallen obige Weltformeln ein, weil ich von meinem Sohn, einem Jurastudenten, erfahren habe, dass die Rechtssprache zwischen „Besitz“ und „Eigentum“ streng unterscheidet.

Kennen Sie den Unterschied? Ich hatte ihn nicht gekannt.

Ich mache es Ihnen einfach, obwohl mein Sohn mit meinem Deutungsversuch sicherlich nicht einverstanden wäre:

Eigentum ist das, was einem im wahrsten Sinn des Wortes eigen ist, d.h., was einem gehört. Wenn ich im Supermarkt eine Pizza kaufe, wird sie – nachdem ich sie bezahlt habe – zu meinem Eigentum. Ich darf mit ihr alles machen, was nicht gesetzeswidrig ist: Ich kann mich auf sie setzen, die Wände meiner „Eigentums“-Wohnung mit ihr beschmieren oder sie auch essen.

Der knifflige Jurist würde ebenfalls behaupten, dass ich diese Pizza besitze – doch nur wenn ich sie in meiner Wohnung aufbewahre oder bei mir  trage.

Wenn ich sie aber meinem Nachbar mit der Bitte um Aufbewahrung aushändige, dann wird sie zu seinem Besitz – notabene Besitz und nicht Eigentum, denn die Pizza gehört immer noch mir, es sei denn ich habe auf dieses Eigentum verzichtet. Sollte der Nachbar die Pizza nun auf eine Weise in Anspruch nehmen, dass sie hinterher nicht mehr mir zur Verfügung steht (zum Beispiel, er isst sie), so könnte ich ihn de jure mit der Begründung verklagen, dass er nicht der Eigentümer der Pizza war, sondern nur deren Besitzer. Ohne meine Einwilligung hätte er sie also nicht vertilgen dürfen.

Wie gesagt: Ich vereinfache ein bisschen.

Deshalb mein Rat: Niemals die Pizza des Nachbarn essen, wenn er Ihnen das Recht dazu nicht schriftlich eingeräumt hat.

Heute kann man nie wissen, wozu ein anderer Mensch fähig ist. Immerhin: Der „Arschloch-Faktor“ ist kräftig auf den Vormarsch. Außerdem: Es gibt viel zuviele Menschen, die jenseits ihrer Kompetenzen agieren.

Dem Fernseher fehlt die Pausetaste

Haben Sie gewusst, dass es vor 200.000 Jahren in Syrien Kamele gegeben hat, die zweimal so groß waren wie die heutigen? Das habe ich gestern im Internet erfahren.

Auch Menschen lebten damals in Syrien, so erfuhr ich an gleicher Stelle, und sie hatten Werkzeuge aus Feuerstein – oder war das rostfreier Stahl? Wenn ich schnell lese, verheddere ich mich manchmal in den Details.

Wie dem auch sei, das ist alles ziemlich lange her. Und letztendlich rätselte ich über eins: Wie haben es die Menschen damals geschafft, diese Riesenkamele zu besteigen, um sie durch die Wüste zu reiten?

Ich nehme jedenfalls an, dass sie sie durch die Wüste ritten. Wozu braucht man ein Kamel, wenn es keine Wüste gibt?

Und damit komme ich zum eigentlichen Thema: Mein Urlaub. Inzwischen liegt „die schönste Jahreszeit“ zwei Wochen zurück. Der Erholungseffekt ist natürlich längst verbraucht. Ich denke an diese Zeit wie an einen Traum, von dem man nur noch Bruchstücke ins Tagesbewusstein hinübergebracht hat.

Wir – das heißt, meine Frau und ich – verlebten diese zwei Wochen in einem winzigen Dorf etwa zehn Kilometer südlich vom Gardasee. Richtiges Landleben, will sagen, unentwegt Vespaverkehr, grollender Traktorenlärm. Möchtegern-Grandprix-Teilnehmer in alten Alfa-Romeos bretterten zu jeder Tageszeit um die Kurve, und mindestens dreihundert verbissene Radfahrer pro-Stunde strampelten am Frühstückstisch vorbei. Nur wenige winkten uns zu.

Nur eins hatten wir nicht – und deshalb der Hinweis auf Altsyrien: eine DSL-Verbindung. Jawohl. Stellen Sie sich vor: zwei Wochen ohne das WehWehWeh. Genug Zeit, um sich auszumalen, wie man ein sechs meter hohes Kamel besteigt (hätte ich davon schon gewusst).

Ich habe also zwei Wochen so gelebt wie unsere Vorfahren. „Abenteuerurlaub“ nennt man das heute. Diese Gegend ist von der heutigen Zivilisation so sehr unberührt, dass die Einwohner noch immer einen eigenen Dialekt des Italienischen sprechen, den der Außenstehende nicht versteht, egal wie gut er Italienisch kann. „Bresciano“ heißt die Sprache. Auf Italienisch sagt man, zum Beispiel „Pane di genero pane di cenere“. Wörtlich: „Das Brot des Schwiegersohns ist das Brot der Asche.“ Keine Ahnung, was das bedeuten soll. Es klingt jedenfalls auf Bresciono folgendermaßen: „Pa da zöndar pa da söndar.“ Alles klar?

Vielleicht fragen Sie sich, wie man zwei Wochen ohne Internet überlebt. (Diese Frage stellen freilich nur diejenigen, die noch kein iPhone oder sonstiges „Smartphone“ besitzen. Die sind natürlich überall erreichbar – auch in Altsyrien. Ich besitze kein „Smartphone“). Erschwerend für uns war auch die Tatsache, dass wir kein Auto hatten. Wir sind nämlich mit dem Zug nach Desenzano gefahren und wurden von unseren Freunden dort abgeholt. Nur in dieser Stadt, die mich an Pompeii erinnert, kann man ausländische Zeitungen finden. Wir kamen nur dreimal nach Desanzano.

Praktisch abgeschottet von der Außenwelt waren wir also. Wir waren ganz aufs Satellitenfernsehen angewiesen und hatten nur das gesamte Progamm aus Deutschland als Informationsquelle. Täuschen Sie sich aber nicht. Das ist nicht viel. Es war wie eine Reise in die Vergangenheit. Wir hockten alle miteinander um das Fernsehgerät, um das Neueste über Michael Jackson zu erfahren oder um „Tatort“ zu sehen. Es war wie zu Urzeiten. Denn stellen Sie sich vor: Es gibt im Fernsehen keine Pausetaste. Wenn man redet, läuft die Kiste einfach weiter. Man kann also leicht etwas verpassen. Ich sehe deshalb, ehrlich gesagt, keine Zukunft für diese alte Technologie und fürchte das Schlimmste: schon wieder neue Arbeitslose aus der Medienbranche.

Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen: Diese Glosse beginnt mit einer kurzen Reise in die weite Vergangenheit und endet mit Gedanken über die Zukunft der Medien . Ein ganzer Bogen wird also gespannt: von den Riesenkamelen zu den ollen Kamellen – oder wie man auf Bresciano sagt: „La bolp la pert al pel e mio i vise“. Ich halte eine Übersetzung hier für überflüssig.

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