Ich habe den Namen längst vergessen und bin froh darum.
Er rief mich eines Tages – ich denke vor etwa zwanzig Jahren – an. Er war Amerikaner und erzählte mir, er habe meine Telefonnummer von Brenda bekommen. Er fragte, ob er ein paar Tage bei uns wohnen könnte. Es war gerade Wiesnzeit, er war geschäftlich in München.
„Aber natürlich!“ sagte ich. „Wie geht es Brenda?“
„Bestens.“
„Was treibt sie heutzutage?“
„Sie arbeitet viel.“
Brenda war eine Lebensabschnittspartnerin meiner Jugend. Wir haben uns in San Franzisko kennen gelernt. Intimes werde ich hier nicht verraten. So etwas tue ich nur in meinen noch nicht erschienenen Büchern, dann aber ohnehin verschlüsselt und reichlich mit Fantasie vermischt.
Hier möchte ich es mit einer Anekdote bewenden lassen, in der sie überdies nur eine Nebenrolle spielt: Brenda war Anhängerin von EST, „Erhard Sensitivity Training“, ein damals - zumindest für Mr. Erhard - sehr lukratives „Human-Potential“-Geschäft. Abertausende belegten die keineswegs billigen EST-Kurse in der Hoffnung – und jetzt muss ich kurz ins Englische wechseln: „to get it“, also „es zu kapieren“, „es zu begreifen.“ „Do you get it?“ war die Frage, „Hat es bei euch geschnackelt?“
Brenda schwärmte von EST. Ich war skeptisch. Wir hatten lange Diskussionen darüber. Einmal fragte sie, ob ich sie zu einem Einführungsseminar begleiten möchte, damit es auch bei mir schnackele. Ich sagte zu.
Die Veranstaltung fand in einem großen, edlen San Franzisko Hotel statt. Am Eingang gab es ein Begrüßungsgetränk und dann wurde jeder nach dem Namen gefragt und bekam ein Namensetikett. Nur ich habe mich geweigert, meinen Namen an der Brusttasche zu tragen. Ich wurde schnell als „unkooperativ“ erkannt. Nach und nach wurde die große Menschenherde in einen Hörsaal getrieben. Dort sprachen diverse Redner (manche mit britischen Akzenten – was in den USA vornehm und exotisch klingt) über EST. Keine Ahnung, was sie sagten. Plötzlich erschien Mr. Erhard mit großem "Hoppla" höchstpersönlich. Man erklärte uns, dies sei eine fantastische Überraschung. Denn der vielgereiste Gründer von EST war, wie es hieß, nur zufällig in der Stadt. Von Erhards Rede ist mir nur ein Satz im Gedächtnis geblieben . Er sagte, dass sich der Black-Panther-Führer Eldridge Cleaver längst zu EST bekannte. Aus dem Publikum hörte man ein „Uuuu!“ des Erstaunens. Dann fügte Erhard hinzu, dass Cleaver viel Zeit im Gefängnis – „behind bars“ auf Englisch, also „hinter Gittern“ – verbracht hätte, was sein Bewusstein erheblich erweitert hätte. Wieder „Uuuuu!“. Nun folgte die Bemerkung: „Auch mir sind Bars nicht fremd…“ Diesmal meinte er jedoch „Kneipen“. Es sollte ein Wortwitz sein. Und tatsächlich: Viele im Publikum haben gelacht.
Schließlich wurden wir in Gruppen eingeteilt. Ich weiß nicht mehr, ob Brenda und ich in der selben Gruppe waren. Ich erinnere mich nur daran, dass ich mich mit etwa 50 Personen in einem Raum befand und dass unser Kursleiter, jung, sehr männlich, braungebrannt und wortbewandt war.
Er redete sage und schreibe zwei Stunden ohne Pause. Vielleicht war er auch unterhaltsam. Was er sagte, hat mich offenbar wenig beeindrückt. Denn ich weiß den Inhalt nicht mehr. Es ging irgendwie darum, dass wir „es begreifen sollten“.
Ich habe es jedenfalls sehr schnell begriffen. Denn ich musste immer dringender auf die Toilette. Nur: Man durfte den Raum nicht verlassen. Das gehörte zu den Grundregeln des Seminars. Ich war offensichtlich nicht der einzige, der auf die Toilette musste. Schließlich hatten alle das gleiche Begrüßungsgetränk konsumiert wie ich. Was ich begriffen habe: Das Bedürfnis, „es kapieren zu wollen“ wurde immer intensiver, je dringender ich mal musste. Nach zwei Stunden beglückte er uns mit einer hochtrabenden Platitüde, deren Inhalt ich gleichfalls nicht mehr weiß, die für viele aber wie der Weisheit letzter Schluss klang. Dann entließ er uns in die Welt. Man strömte en masse in die Toiletten, um sich von der schweren Botschaft zu erleichtern.
Soviel über Brenda.
Ihr Freund wohnte drei oder vier Tage bei uns. Wir gaben ihm zu essen, wir unterhielten uns mit ihm über dies und jenes. Komischerweise ist er meinen Fragen über das Befinden Brendas stets ausgewichen.
„Geht es ihr vielleicht nicht gut?“ fragte ich.
Kurz bevor er sich von uns verabschiedete, rückte er endlich mit der Sprache raus: „Hör mal. Ich kenne Brenda nicht persönlich . Sie ist die Freundin einer Freundin. Ich habe eure Telefonnummer von meiner Freundin bekommen. Brenda hatte ihr gesagt, ich könnte bei euch anrufen, falls ich Schwierigkeiten hätte. Ich hatte keine Schwierigkeiten. Die Hotels waren mir aber zu teuer.“
Immerhin hat er meiner Frau vom Oktoberfest ein Herzerl mitgebracht, worauf „Mei Schatzerl“ zu lesen war. Nach einer Woche kam ein Päckchen aus Zürich, wo er auch geschäftlich zu tun hatte. Es enthielt zwei winzig kleine Schweizer Messer und eine Dankeschönkarte geschickt. Get it? Ich nicht. Ich weiß ohnehin nicht mehr, wie er hieß. Wenn ich es wüsste, könnte er heute mein „Facebook“-„Freund“ werden.
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