Es gibt nichts Schöneres, als das Jahr im Paradies zu beenden.
Stammgäste meines Wortladens werden wissen, was hier mit „Paradies“ gemeint ist. So heißt nämlich der Obstmarkt um die Ecke von mir.
Dort spielt sich das volle Leben in Miniatur ab. Man erfährt alles: von Avokado bis Zucchini.
Wenn überhaupt jemand berechtigt ist zu sagen: „Jetzt haben wir den Salat“, dann ist es Frau M., Inhaberin vom „Paradies“.
Seit zwei Monaten will ich von einem Ereignis erzählen, das ich im „Paradies“ miterlebt habe.
Ich betrat das Geschäft, als Frau M. und ein Kunde in ein Gespräch vertieft waren. Sie unterhielten sich auf Bayerisch. Es war ein schönes, differenziertes Bayerisch. Sie redeten über einen Hund, der im nahe gelegenen Park von zwei streunenden Jagdhunden gerissen worden war.
I hob bloß hoibert zuag’hert, wissnS. Dem andren sei Gespräch wui man ned so genau lascha. Ist einfach unhöflich.
Der Herr, selbst wohl ein Hundebesitzer, wandte sich plötzlich mir zu: „Ist es nicht einfach schrecklich?“ fragte er in einem sehr aufgeräumten Hochdeutsch.
Ich antwortete, dass ich nicht ganz mitgekriegt habe, worüber sie geredet hatten. Daraufhin erläuterten sie die Details der Geschichte. Es handelte sich um zwei grausame Zwischenfälle in den letzten zwei Wochen, wobei das Herrchen der Jagdhunde diese nicht einmal zurückgepfiffen hatte.
Ein paar Tage später erfuhr ich aus der Zeitung, dass sich die Stadt endlich eingeschaltet hatte. Die restlichen Details habe ich schon vergessen.
Eins habe ich aber nicht vergessen: Dass Frau M. und der nette Herr das Gespräch mit mir auf Hochdeutsch fortgesetzt haben anstatt weiterhin Bayerisch zu reden. Man muss bedenken: Fast alle drei Wochen oder so, wenn es sonst nichts zu berichten gibt, stellt die Münchener Abendzeitung die sentimentale Frage: Ist das Bayerische am Aussterben?
Die Antwort lautet natürlich, ja. Und ich weiß, warum es so ist: Mitunter, weil der nette Herr und Frau M. aufgehört haben Bayerisch zu sprechen, wenn sie sich an mich gewandt haben.
„Jetzt haben Sie den Salat“, möchte ich Frau M. und dem netten, kultivierten Herrn sagen. Die Sprache stirbt aus – bzw. verkommt, weil sie immer seltener als Sprachmittel verwendet wird.
Es geht auch anders, wissnS. Zum Beispiel in der Schweiz. Dort in den Kindergärten ist die Verkehrssprache gründsätzlich das Schwyzerdütsch. Das gleiche gilt für die Grundschule, wo den Kindern aber zugleich das Hochdeutsch (Schriftdeutsch) intensiv beigebracht wird. Das heißt: Eine praktische Zweisprachigkeit wird gepflegt, und dies scheint zu funktionieren.
Sie kennen vielleicht den alten Witz: Der bayerische Lehrer rügt den Schüler, „Man sagt nicht ‚man sogt’, man sogt ‚man sagt’.“
Meine Empfehlung: Die Schweizer Lösung könnte für ganz Deutschland als Vorbild dienen. Ob Platt, Sächsisch, Hessisch, Schwäbisch, Bayerisch und so weiter – es wäre in jeder Region denkbar, die Zweisprachigkeit bewusst zu pflegen. So könnte man neben der Hochsprache auch die lokale Identität kultivieren.
Die Alternative: Die Mundarten verkommen zu Folklore, und diejenigen, die noch Mundart reden, schämen sich ihrer Unbeholfenheit.
Ja, liebe Leser, jetzt haben auch Sie den Salat.
LassnS Eahna guat schmecka und zum Neijohr ois Guat, ge! Eahna Sprachbloggeur.
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