Vergangenen Freitag habe ich mich widerwillig in die Münchner U-Bahn gezwängt – wie jeder andere, der wegen der draußen liegenden Schneemassen auf das restlos überfüllte öffentliche Verkehrssystem angewiesen war. (Meine Frau würde sagen: „Sei nur froh, dass wir ein so gutes öffentliches Vehrkehrssystem haben! Denke an die USA.“ Sie hat recht.).
Ich sage trotzdem „widerwillig“, weil ich momentan an einem Drehschwindel leide, der am vergangenen Freitag besonders akut war. Aber mehr darüber unten.
Neben mir stand eine junge Frau eingequetscht und unterhielt sich mit einem jungen Mann, der etwa drei Menschenkörper von ihr entfernt und ebenso eingefangen war wie sie. „Ja, und auch die Birgit war da“, sagte er der jungen Frau. „Sie spricht alle und jeden an.“
„Das weiß ich. Die Birgit ist eine eingeschworene Partymaus“, antwortete sie.
„Und war auch der Robert da?“ fragte sie nach einer kleinen Denkpause.
„Nee, der ist kein Partytier“, sagte er.
„Und was war mit Jens?“
„Ach, weißt du. Er mag keine Partys. Er ist ein An-der-Bar-Mensch.“
„Trotzdem schwärmen alle Mädel um ihn herum“, sagte sie.
Sie sehen. Man fährt U-Bahn im Gedränge. Dazu auch widerwillig. Es ist einem (das heißt mir) mulmig, und dennoch hat man Gelegenheit, Neues dazuzulernen. Zum Beispiel, dass man im Deutschen Partygänger mit Tierwörtern beschreiben kann. Das war mir bisher nie so ganz bewusst. Indirekt gilt das übrigens auch für die Mädel, die den „An-der-Bar-Menschen“ Jens umschwirrten wie die Motten das Licht . Nein wie Bienen den Blütenstängel. Seit etwa einhundert Jahren wird „Biene“ im Deutschen im Sinne von „junge Frau“ verwendet. (Nebenbei ein bisschen Kulturgeschichte: Im 19. Jahrhundert stand das Wort für „Prostituierte").
Warum so viel Getier auf der Feier? Ist doch klar. Man geht auf die Party – zumindest, wenn man jung ist – mit Paarungsabsichten.
In der Tierwelt zwitschern die Vögel ihre einsamen Melodien, um den (die) Partner(in) anzulocken. Panther und Geparden hecheln und stöhnen, wenn es so weit ist, Grillen sägen zirpende Rhythmen mit den eigenen Beinen. Menschen hasten, wenn die uralten Sehnsüchte erwachen, zu Partys.
Zugegeben: Das ist nicht der einzige Grund, warum Menschen auf Partys gehen. Man möchte auch den Bekanntenkreis erweitern oder sich mit lieben Freunden unterhalten. Schließlich sind wir Menschen mehr als nur Triebtiere. Schauen Sie Jens an. Er ist ein „An-der-Bar-Mensch“.
Aber jetzt zu meinem Tier: dem Drehwurm, der mich seit letzter Woche fest im Griff hat.
Seit einer Woche wird mir schwindlig, wenn ich mich vom Liegen aufrichte oder vom Sitzen hinlege. Was heißt schwindlig? Es ist wie auf dem Karussell, wenn die Bremsen versagen und der Schausteller Sadist ist. Mediziner bezeichnen diesen Zustand als einen „Lagerungsschwindel“. Er entsteht, wenn aus unerklärlichen Gründen die Signale im Innenohr aufgemischt werden. „Ist eigentlich harmlos, nur äußerst fies“, sagte mir mein Arzt. Auch die Übungen, die einem aufoktroyiert werden, um das Gleichgewicht wiederherzustellen, sind fies. Man setzt sich aufs Bett und wirft sich schnell in die horizontale Lage. Damit weckt man den Drehwurm ins Leben. Ein komisches Gefühl. Es passiert zunächst nichts. Dann erhebt er sich wie alle vier apokalyptischen Reiter und beginnt durch den Kopf zu galoppieren. Es ist ein Leben wie in der Windhose. Gesicht sagt Rücken Hallo. Es gibt nirgends Halt. Der Wurm hebt sich auf, dass es dir angst und bange wird. Man lässt die Sache lediglich über sich ergehen. Mehr kann man ohnehin nicht tun als den Angriff des wild gewordenen Wurms aussitzen und einen Punkt an der Wand mit den Augen fixieren, bis sich das Tier ausgetobt hat. Dann Zack! Auf einmal ist alles wieder ruhig. Der Drehwurm legt sich völlig ermattert wieder hin. Er ist weg. Ja, liebe Spinner, diese Übung macht man so lange, bis er irgendwannmal ganz aufgibt. Das hoffe ich jedenfalls. Dann werde ich feiern. Ich habe vor, auf die Party zu gehen, um nach der Birgitt-Maus oder nach Jens und Robert zu suchen und das Leben wieder zu genießen.
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