Sexpille für Frauen: Nein, danke. So ungefähr lautete neulich eine Schlagzeile in der International Herald Tribune (18. Juni). Im Ernst.
Normalerweise überspringe ich Storys über Sexpillen. Das kommt vor, wenn man älter wird. Man findet die langweiligen Gesprächsrunden im Fernsehen allemal interessanter als „Big Brother“.
Doch diese Überschrift hat mich neugierig gemacht, und ich habe den Text fast bis zum Schluss gelesen.
Nun weiß ich, dass ein gewisser deutscher Pharmariese (Meine Devise: Ohne Honorar keine Schleichwerbung) auf die erwähnte Wunderpille ganz zufällig gestoßen ist. Der IHT zufolge hat sie allerdings noch ein paar – nennen wir sie – „Nebenwirkungen“. Nichts Ernstes. Man leidet nach der Einnahme lediglich unter Schwindel, Übelkeit und Mattheit. Aber bitte, was tut man nicht für ein tolles Sexleben?
Offenbar tut man wenig, zumal wenn „man“ Frau ist.
Es stellt sich nämlich heraus, dass viele Frauen das Dogma vom unteraktiven Sextrieb nicht hinnehmen wollen. Sie entgegnen, dass der Geschlechtstrieb etwas völlig Individuelles sei: Der (bzw. die) eine will mehr, der/die/das andere will weniger.
Klingt eigentlich nachvollziehbar.
Wussten Sie, dass die sexuelle Unteraktivität zu den „Geisteskrankheiten“ zählt? So jedenfalls dem „Statistical Manual of Mental Illnesses“ zufolge. In diesem Werk wird sie als „hypoactive sexual desire disorder“, etwa „unteraktive sexuelle Begierdekrankheit“ aufgeführt.
Notabene: Das „Statistical Manual of Mental Illnesses“ gilt für die Psychiatrie und für die Versicherungen quasi als Bibel. Das, was das SMMI für krankhaft hält, soll man also als unwiderruflich krankhaft verstehen.
Nein, nicht ganz. Vor einigen Monaten las ich– auch in der IHT (leider habe ich den Artikel längst verschlampt) Folgendes: Das sogenannte Asperger Syndrom, das als abgemilderte Form des Autismus gilt, wurde neuerdings vom SMMI gekippt. Man habe nämlich festgestellt, dass ein krankhafter und ein – sagen wir – normaler Autismus nicht so ohne Weiteres auseinanderzuhalten seien. Es gibt nun also eine Krankheit weniger auf der Welt.
Man sieht: Krankheiten kommen, Krankheiten gehen. Hermann Göring hätte dazu gesagt: „Wer krank ist, bestimme ich.“ Das hat er freilich nie so gesagt. Sein Satz lautete: „Wer Jude ist, bestimme ich.“
Und jetzt ein nagelneuer Begriff: „disease branding“. Das bedeutet so viel wie „eine Krankheit in einen Markennamen verwandeln“. Das heißt: Man kann aus Zuständen nach Belieben Krankheiten machen. Das gilt nicht nur für die sexuelle Unteraktivität. Auch die Homosexualität wird zuweilen als „Krankheit“ bezeichnet, die man „heilen“ kann. Zum Beispiel in Indonesien – und bis vor etwa vierzig Jahren im Abendland. Seit Jahrzehnten ist das Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom zur Modekrankheit geworden – erst in den USA und jetzt auch in Europa.
Erinnern Sie sich noch an die hysterische Paralyse? Die hat Freud in die Welt gesetzt. Ein Gewinn für Hollywood. Es gab schöne Filme über hysterische Paralytiker, die sich verlieben und dann wieder normal werden. Inzwischen hat das Interesse einigermaßen nachgelassen. Die Zahl der hysterischen Paralytiker ist in den letzten Jahren stark rückgängig geworden.
Will ich hier etwas Wichtiges sagen? Wahrscheinlich nicht. Jeder soll Sex und Krankheit auf seine Art genießen. Wählen Sie Ihre Ärzte aber mit Sorgfalt aus, und gute Besserung – egal, ob Sie krank sind oder nicht.
PS - Hier in eigener Sache: Die nächsten zwei Wochen werden höchstwahrscheinlich keine Beiträge von mir erscheinen. Ich mache (endlich!) wieder Urlaub. Wer weiß? Vielleicht tauche ich in Ihrer Gegend auf. Stets auf der Suche nach Schillerndem aus der Welt der Wirklichkeit. Bis bald. Ihr Sprachbloggeur.
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