Wer hätte gedacht, dass ich den Unterschied zwischen den Geschlechtern, nur weil ich eingelegte Weinblätter, „Dolmades“, gerne esse, endlich kapieren würde?
Jeden Freitag kaufe ich mir im Supermarkt vier Dolmades, die ich am Samstag mit Genuss schnabuliere. Meine Frau und meine Söhne teilen meine Leidenschaft für die Weinblätter nicht. Sorge um den Futterneid brauche ich also nicht zu haben. Alles nur für mich!
Normalerweise werde ich im Supermarkt von einer netten Dame bedient. „Vier Weinblätter, bitte“, sage ich. Niemals „vier Dolmades“. Man kann heute nicht mehr die Kenntnis dieses Fremdwortes voraussetzen. Schließlich leben wir im Postpostmodernen.
Behutsam und behändig schiebt die Dame die Dolmades Stück für Stück auf ihre Servierkelle – selbstverständlich sucht sie nach den schönsten – und legt sie liebevoll einzeln in den durchsichtigen Kunststoffbehälter. Dann kippt sie den Behälter – natürlich passt sie auf, dass die Dolmades nicht herausfallen – über die Servierschale, um das bisschen Öl im Behälter auströpfeln zu lassen. Erst danach legt sie die Ware auf die Waage. Sonst bezahlte ich ja das überschüssige Öl mit. Nachdem die elektronische Waage das Preisetikett herausgespuckt hat, fragt sie mich höflich: „Möchten Sie etwas Öl dazu haben?“
„Aber gerne“, sage ich. Mit der Kelle schaufelt sie etwas Öl in den Behälter, macht ihn nun mit Wickelfolie endgültig zu, tütet ihn ein, setzt das Preisetikett drauf, und fertig ist die Sache.
„Schönes Wochenende!“ trillert sie.
So läuft es Woche für Woche. Am letzten Freitag war die Dame aber nicht da. An ihrer Stelle stand ein junger Mann mit schütterem roten Kinnbart und zersausten Kopfhaaren hinter der Theke.
„Vier Weinblätter, bitte“, sagte ich wie immer.
Der junge Mann langte mit seiner Kelle in die Servierschale und schaffte es in einem Wisch, vier Stück herauszuangeln. Geschwind ließ er sie in den Plastikbehälter fallen, legte den Behälter auf die Waage, wickelte und tütete ihn ein und versah die Tüte mit dem Preisetikett. Zack! fertig. Keine acht Sekunden hat der Vorgang gedauert.
„Schönes Wochenende!“ sagte er freundlich.
Und jetzt kam das Aha-Erlebnis. Ich hatte den Unterschied zwischen den Geschlechtern anhand eines anschaulichen Beispiels endlich verstanden. Vor allem, weil ich wusste, ich hätte es ebenso gemacht wie er. Das heißt: vier Dolmades schwups auf die Kelle geschoben. Nur eins hätte ich allerdings anders gehandhabt als er: Ich hätte das überschüssige Öl erst aus dem Behälter auströpfeln lassen, wie die Dame es immer macht, bevor ich die Ware auf die Waage gelegt hätte. Das werde ich dem jungen Mann – Mann zu Mann – das nächste Mal auch sagen, falls er nicht schon Geschäftsführer geworden ist.
Für den Anfang hat das objektive Beobachten gereicht. So machen es auch die Wissenschaftler.
Vielleicht fragen Sie sich, was diese Sache mit Sprache zu tun hat. Ich zögere keinen Augenblick mit meiner Antwort:
Was ich oben beschrieben habe, ist die Basis aller Sprache. Denn die gesprochene Sprache ist das Kind der Körpersprache, die die älteste Sprache überhaupt ist. Das vergisst man manchmal.
Zugebeben: Obige Darstellung ist etwas überspitzt, und Variationen sind allemal möglich. Aber vive la différence! Und nun meine Frage an Sie, lieber Leser, liebe Leserin. Wie würden Sie mir meine Dolmades servieren?
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