„Geschlagen im Spiel des Lebens“ – so die Überschrift im Spiegel-online. „So erkennen Sie Depressionen“ – große Schlagzeile in der Münchener Abendzeitung.
Ellenlange Texte über „Volkskrankheit Depression“ grassieren in der Presse und natürlich die dazu gehörige Prise Betroffenheit, weil es sich um das Schicksal von Robert Enke handelt.
„Erst muss sich ein Torhüter vor einen Zug werfen, damit die Medien das Phänomen der Depression interessant finden.“ Das habe ich der Zeitungshändlerin im Kiosk heute vorgegrantelt.
„Gell!“, antwortet sie. „Irgendwie makaber. Okay, es ist wirklich traurig, dass er sich das Leben genommen hat, aber plötzlich schreiben alle über die Depression. Alle wollen an seinem Tod verdienen. Es ist wie bei Michael Jackson.“
Depression hat also ihren Posterboy gefunden. Das klingt gemein, so meine ich es aber nicht. Robert Enke war krank und hat eine falsche Entscheidung getroffen. Für ihn gibt es leider kein Zurück.
„Nein, es ist nicht schlimm, dass die Zeitungen über Depression schreiben.“ Das sagte meine Frau. „Die meisten Menschen, die darunter leiden, schämen sich, davon zu reden. Nun hat man eine Gelegenheit gefunden, das Problem zu thematisieren. Vielleicht hilft das.“
Vielleicht hat sie recht. Das bedeutet aber trotzdem: Wenn prominente Menschen sterben – insbesondere eines unnatürlichen Todes – , ist das meistens gut für die Auflage. Die Medienformel muss wohl lauten: Ein toter Torhüter ist mehr Wert als ein toter Nobody.
Damit habe ich über dieses Thema genug gesagt und gehe nahtlos zum nächsten über:
Zum Wort „Depression“ selbst. Fakt ist: Es gibt diese Vokabel im heutigen Sinn kaum einhundert Jahre. Das Wort tauchte erst im 19. Jahrhundert auf und bedeutete damals „Finanzkrise“. Wohl hat der Klang den Psychoanalytikern gefallen, sie haben es eifrig übernommen, um eine gewisse seelische Niedergeschlagenheit zu bezeichnen.
Früher benutzte man ganz andere Wörter für diesen Zustand, zum Beispiel „Schwermut“, „Tristesse“ oder „Verzweifelung“. Der spanische Mystiker, Johannes vom Kreuz“ schrieb im 16. Jahrhundert über „la noche oscura del alma“, („die dunkle Nacht der Seele“). Anschaulicher kann man den Zustand nicht beschreiben.
Heute mutmaßen Mediziner ein chemisches Ungleichgewicht als Ursache für eine chronische Depression. Sie verschreiben Tabletten, die das verlorene Gleichgewicht wiederherstellen soll. Diese Behandlungsmethode erinnert sehr an die der Altgriechen, die die Viersäftelehre praktizierten. Sie glaubten, dass das menschliche Gemüt durch vier Säfte bestimmt werde: durch weiße Galle, schwarze Galle, Blut und Schleim. Hat man einen dieser Säfte in Überfluss, wird man gemütskrank. Wer zu viel schwarze Galle – Griechisch „melanchole“ –hat, der wird folglich „melancholisch“. Die Behandlung war offensichtlich: Man versuchte die Menge der schwarzen Galle zu reduzieren.
Auch in der Bibel kann man eine Fallstudie über Depression lesen. An dieser Krankheit litt nämlich König Saul. Er unterzog sich einer Musiktherapie. Der Hirtenjunge David spielte für ihn auf der Harpfe. Die Therapie hat leider nur begrenzt geholfen.
Warum will ich heute unbedingt über Depression schreiben? Bin ich genauso opportunistisch wie die anderen Medienmenschen? Wahrscheinlich schon. Ich habe aber auch einen anderen Grund, diese Krankheit zu thematisieren.
Ich habe nämlich neulich etwas über Sören Kierkegaard gelesen, einen Menschen, der sehr unter Schwermut gelitten hat. Er hat aber versucht, seine Krankheit durch genaue Selbstanalyse zu ergründen. Seine Schlussfolgerung: Ein Gemütsleiden ist in Wirklichkeit eine Auseinandersetzung mit der Existenz schlechthin. Das heißt: .Für ihn war die Schwermut nichts anders als der Ausdruck eines persönlichen Kampfs, dem Leben einen Sinn zu geben. So gesehen ist jede Depression verständlich. Die Depressiven wollen lediglich verstehen, warum sie überhaupt leben. Sie finden aber keine Antwort.
So gesehen spielt ein Posterboy doch eine wichtige Stellvertreterrolle. Er erinnert daran, dass wir alle irgendwie im selben Boot sitzen, auch die, die sich nicht unbedingt für depressiv halten. Letztendlich hat meine Frau doch recht: Wenn so einer wie Robert Enke stirbt, hat man Gelegenheit, ein wesentliches Problem zu thematisieren – auch wenn die Medien vom Tod eines Posterboys profitieren.
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