Mit Sicherheit kennen auch Sie solche Tage: Man glaubt sich total vergessen zu sein. Keine Mails, nicht einmal für Viagra. Auch keine Heiratsangebote von einsamen Russinnen aus Siberien.
Ist was mit dem Rechner? fragt man sich. Hat der Server eine Panne?
Dann fällt mir ein, dass mein Unbehagen eigentlich nur angelernt ist. Vor fünfundzwanzig Jahren, als nur die Geeks die Vokabel „Internet“, oder wie immer es damals hieß, verwendeten, habe ich manchmal zwei Wochen keine Post bekommen – geschweige denn Anrufe. Funkstille. Das war besonders schlimm im August, als alle Freunde und Bekannten – außer mir – verreist waren.
Darüber hinaus denke ich an Thomas Paine. Am Anfang des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs veröffentlichte er ein Pamphlet, „Common Sense“ (Der gesunde Menschenverstand). Es wurde damals zum Bestseller. Paine erklärte, dass die Bindung der amerikanischen Kolonien an England sinnlos sei – vor allem, wenn sich einer einbilde, die Engländer könnten Amerika vor Feinden schützen. Bis die Nachricht eines feindlichen Angriffs das Mutterland erreichte und die britische Flotte endlich eintreffe, seien Monate vergangen und der Krieg längst entschieden.
Aber kehren wir in die Gegenwart zurück. So schön es ist, über Fragen der Einsamkeit und der Informationsgeschwindigkeit zu spekulieren, möchte ich Ihnen jetzt lieber etwas weitererzählen, dass ich von Freund Edward über Google erfahren habe.
Ja, Google, beliebtes und unentbehrliches Suchprogramm, von dem man längst ein neudeutsches Verb abgeleitet hat.
Edward hat mir vor ein paar Tagen eine Mail geschickt. (War das die letzte Mail, die ich erhalten habe?). Er erzählte, dass er den Begriff „kebab pie kiosk“ „gegoogelt“ hätte. „Kebab“ kennt jeder. In Englisch bedeutet es „Döner“. „Pie kiosk“, ein Begriff, den ich nicht kannte, scheint in Kombination mit „Kebab“ „Dönerbude“ zu bedeuten. Ich weiß es aber nicht ganz genau.
Wie dem auch sei: Gibt man diesen Suchbegriff bei Google ein, taucht an erster Stelle der Tausende von Treffern die Geschichte vom Mord an einem 25jährigen Russen auf. Drei Obdachlose haben ihn getötet, so heißt es, und dann sein Fleisch kannibalisiert. Die Geschichte wird noch schlimmer. Nach dieser gruseligen Mahlzeit haben die Täter Körperteile des Ermordeten an eine Dönerbude („Kebab and Pie Kiosk“ also) in der Stadt Perm verkauft. Vielleicht haben Sie diese Geschichte selbst schon gelesen. Sie erschien als Kuriosität in fast allen Zeitungen, und sicherlich wurde im Fernsehen darüber berichtet.
Was Edward stützig machte, ist aber Folgendes. Hier O-Ton aus unserem Telefongespräch: „Google wird zunehmend faul. Schau: Wer ‚kebab pie kiosk’ als Suchbegriff eingibt, rechnet eigentlich mit Seiten über Dönerbuden, nicht aber mit einer Geschichte über Kannibalen. Oder?“
„Wieso denn tauchten diese Berichte an erster Stelle auf?“ fragte ich.
„Ganz einfach: Diese unverschämte Verdummung ist von Google gewollt. Google hat nämlich Angst vor der neuen Konkurrenz – sprich Bing – und will mit Sensation anstatt Information die Kunden bei Laune halten.“
„Aber wie stellst du dir das vor? Man bräuchte Millionen von Mitarbeitern, um alle Suchbegriffe nach Sensationslust zu ordnen.“
„Nein, das geht ganz einfach. Man braucht lediglich die Nachrichtenagenturen anzuzapfen – in diesem Fall die BBC – und dann hat man alle Sensationsgeschichten automatisch an erster Stelle. Denn die meisten Nachrichtenagenturen sind heute darauf bedacht, das Unterhaltsame und Gruselige automatisch hervorzuheben.“
„Willst du damit sagen, dass die Nachrichtenagenturen keine Nachrichten mehr liefern?“
„Tja.“
„Tja?“
„Tja.“
I got the age of information blues – ta ta ta TA!
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