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Warum ich heute Hochdeutsch spreche

Sonntag war Tag der Muttersprache, und die Münchener Boulevardzeitungen haben viel Tamtam gemacht.

(Nebenbei: Man nennt solche „Feiertage“ in den USA „Hallmark Holidays“. Hallmark ist der größte Hersteller von Gluckwunschkarten.

Ich fange mit der AZ an. Am Freitag hod sie zwoa Seiten über die Zukunft des Boarischen brocht – samt Quiz über bairische Wörter und Redewendungen. Von den 30 kannte ich um die 20. Nicht schlecht für einen Zugeroasten, dad i song. Zum Beispiel: „Der kimmt daher wia a gsoizner Radi“ (wie ein Radischen mit Salz also). Das bedeutet „er ist weinerlich“. Oder „Woiger“ (mit „wälgern“ verwandt): ein „Teigroller“…usw.

Bei der Münchner TZ ging es noch heimatlicher zua: Die ganze Wochenendausgabe (mit Ausnahme der Finanzseiten, Automobilseiten, Immobilien – und natürlich des TV-Programms) wurde g a n z u n d g a r auf Bairisch gschriem.

Okay, es war nicht uninteressant. Manchmal habe ich gedacht: Mei, wenn die Zeitung jeden Tag – und nicht nur am dämlichen Tag der Muttersprache – auf Bairisch erschiene, könnte man sich daran gewöhnen. Das Bairische würde schnell („schnäi“ bzw. „gach“) zu einer Schriftsprache mutieren. Warum auch nicht?

Halt! Nicht so übereilig, Herr Sprachbloggeur. Diese Verwandlung würde Arbeit kosten, vui Arbeit.

Dies möchte ich aufgrund von zwei Beispielen veranschaulichen.

Beispui oans: „‘Schlechde Kommunikation‘“ is da haifigste Fella [Fehler], den de Chefs macha. Des hod a repräsendadive Umfra vo da Forschungsgruppe Wahlen fia de ZDF-zeit Dokumention…ergem.“ Was irritiert mich? Ganz einfach: Ich behaupte, dass dieser Satz gar nicht Bairisch ist, sondern einwandfreies Hochdeutsch. Lediglich ist die Schreibweise der Wörter Bairisch. Man könnte dies als „Bühnenbairisch“ bezeichnen. Oder hoid Folklorik.

Beispui zwoa: „Awa ned auf so a depperte Pseudo-Folklore-Art, sondern ganz locker und modern, einfach mit am klaren Blick auf die eigenen Wurzeln.“ Dieser Satz – mit Ausnahme der Vokabeln „ned“ und „depperte“ – ist pures Hochdeutsch.

Mein spontanes Fazit: Momentan ist das Schriftbairische weit davon entfernt, sich als eigenständige Sprache zu zeigen. Es hängt noch zu fest am Rockzipfel des Hochdeutschen.

Hier nun im Gegensatz ein anderes Bairisch. Und zwar the real thing: Renata hods gschriem. Sie is de Schützenmeisterin vo D’Denninger. Folgendes ist eine kleine Kostprobe aus ihrem Weihnachtsgedicht (zum Nikolausfest). Es spricht der Nikolaus: „De Ruatn hob i heier scho bundn/Schene kratzate Zweigl g’fundn.“

Manche Preißen bräuchten vielleicht eine Übersetzung fürs Obige. Das ist gut. Denn so kann man gleich ersehen, dass es sich hier um eine eigene dem Deutschen verwandte Sprache handelt – ähnlich dem Schwyzer Düütsch oder dem Platt. Schee, gell?

Das Bairische braucht mehr als eine folkloristische Ausgabe einer Boulevardzeitung am Tag der Muttersprache, um ihre Sprache zu pflegen. Die Bayern müssen ihre Sprache ernst nehmen, wenn diese überleben soll. Und wenn sie nicht überlebt, do san de Bayer säjbe schuid (sind selber schuld).

Beispiel: Als ich vor vielen Jahren nach München kam, gab es keine „Willkommenskultur“ für Ausländer und Preißen – auch nicht für Amerikaner. Die Bayern tuschelten zwar noch selbstbewusst in ihrer Heimatsprache – aber…und hier wird’s traurig: nur unter sich. Nur wenige haben es geduldet, wenn a Zugeroaster Bairisch redete.

Ich hatte also keine Chance, Bairisch sprechen zu lernen. Nicht nur ich… Deshalb feiern die Zeitungen heute einen Tag der Muttersprache. Und deshalb spreche ich Hochdeutsch. Pfiat di god, o Sprache der Bayern.

Warum ich Theodor-Wolff-Preisträger nicht werden darf

Schlechte Nachricht, treue Leser, Leserinnen.

Dieses Jahr darf der Sprachbloggeur mit keinem Theodor Wolff Preis ausgezeichnet werden. Schade. Ich war nämlich sicher, dass meine Chancen nicht schlecht stünden.

Ein Zitat aus den Wettbewerbsinformationen:

„Hierfür eignen sich besonders die klassischen journalistischen Stilformen - Hintergrundbericht, Reportage, Feature, Kommentar, Glosse und Leitartikel.“

Klingt wie der Sprachbloggeur, nicht wahr?

So jedenfalls hab ich gedacht: That’s right up your alley! sann ich. (Nebenbei: In England heißt das: „right up your street“. Man sagt über Amerikaner und Briten: „Ein Ozean verbindet uns, eine Sprache trennt uns“).

Der Preis soll einen Text aus dem Jahr 2015 beehren. Ich war überzeugt, dass mein Beitrag vom vorigen Jahr, „Retten Sie das Englische! Sprechen Sie Deutsch“, besonders dafür geeignet gewesen wäre.

Im Übrigen: Die drei Sieger erhalten je 6000 Euros Preisgeld. Ehrlich gesagt: Das Geld hätte ich auch gut gebrauchen können. Wenn Sie meinen, ich verdiene mir mit dem „Sprachbloggeur“ eine goldene Nase, dann irren Sie sich. Seitdem ich diese wöchentliche Glosse selbstständig betreibe – immerhin sind es beinahe sieben Jahre –, habe ich ihm zu dank insgesamt 950 Euros verdient – zuzüglich Mehrwertsteuer selbstverständlich.
Ich beklage mich nicht. Dennoch: Die 6000 wären willkommen gewesen. Oh well.

Ich habe meine Bewerbung genauso zusammengestellt wie auf dem Infoblatt erfordert: also, Text und Formular und Screenshot beigelegt. Immerhin: Dem Theodor-Wolff-Preis zuliebe habe ich endlich gelernt, wie man einen „Screenshot“ anfertigt. Jetzt kann ich jederzeit Screenshots machen. Auch das ist ein Gewinn.

Doch leider war der schöne Traum schon nach wenigen Tagen geplatzt.
Vor ein paar Tagen habe ich folgende Email erhalten:

„…vielen Dank für Ihre Bewerbung, die wir aber leider nicht aufnehmen können: Für den Theodor-Wolff-Preis sind nur Artikel zugelassen, die auf Webseiten von Zeitungen erschienen sind, nicht von Blogs.“

Eine Frechheit. Das war meine erste Reaktion.

Denn es bedeutet, dass eine Glosse in Blogformat (notabene: wir schreiben das Jahr 2016) nicht als ebenbürtig mit einer Glosse aus einer konventionellen Zeitung betrachtet wird.

Ich werde die Problematik anders ausdrücken: Als one-man-show genießt der Sprachbloggeur nicht die gleichen Rechte als die Mitarbeiter eines großen Unternehmens.

Meine Frage: Warum muss man, um pfiffige Glossen zu schreiben, als Schreibsklave bei einer Zeitung eingebettet sein?

Wäre schön, wenn die Leute beim Th. Wolff-Wettbewerb eine Antwort auf diese Frage finden würden.

Schade um die sechs Tausende. Ich hätte sie gut gebrauchen können.

Die „geistigen Brandstifter“: endlich beleuchtet

Ein schönes Bild „geistige Brandstifter“, nicht wahr?

Man denkt an jemanden, der kraft seiner Gedanken, eine Struktur (welche auch immer) wie durch einen feurigen Angriff zerstören will oder kann.

In jüngster Zeit stoße ich des Öfteren in den Medien auf diesen Begriff. Meistens freilich in einem politischen Zusammenhang. Was sonst?

Nebenbei: Ich kann mich nicht erinnern, dass ich der weiblichen Form, also „geistige Brandstifterin“, jemals begegnet bin, nicht einmal im Bezug auf den momentan Lieblings-bad-Menschen Frauke Petry (die mit den Karabinern an der Grenze). Komisch, dass man sie noch nie als g. Brandstifterin abgekanzelt hat. Kann es sein, dass die langsamen Entwicklungswogen der deutschen Sprache noch immer sexistischer geblieben sind als der heutige Zeitgeist? dass die Struktur der deutschen Sprache ebenso patriarchalisch strukturiert ist wie die Programmierung mancher maghrebinischer, syrischer und afghanischer grapschender Neudeutscher? Wer erinnert sich noch daran, welch Schwergeburt es damals war, die Vokabel „Kanzlerin“ aus dem Boden zu stampfen? Vielleicht sollte man Claudia Roth in dieser Sache einschalten, damit sie ein bisschen Tamtam macht. Kann sie gut.

Nur ein Gedanke.

Und noch ein Gedanke: Haben Sie gewusst, dass dieser Begriff von der „geistigen Brandstiftung“ selbst ein Neuling ist, dass er beinahe so geschichtslos in der deutschen Kultur ist wie obengenannte Neudeutsche?

Im Ernst. Früher (und damit meine ich erst vor ein paar Jahren) gab es die „geistige Brandstifter“ nicht. Früher hat man den Feind anders etikettiert – ich vergesse aber, wie.

Nachdem ich auf diese Idee gekommen bin, hab ich mich entschlossen, die Geschichte dieses Begriffs auf den Grund zu gehen. Was tut der halbwegs gebildete heutige Mensch, wenn er etwas wissen will? Er googelt! Und genau das hab ich getan.

Nebenbei: Früher wäre ich in die Bibliothek gefahren und hätte mehrere dicke Nachschlagwerke durchforstet, um den Werdegang des gesuchten Begriffs zurückzuverfolgen. Doch wer will so viel Zeit investieren, um sich über so eine Kleinigkeit wie die Geschichte der geistigen Brandstiftung zu informieren? Man hat auch anderes zu tun.

Immerhin habe ich dank meiner Google-Suche enetdeckt, dass Max Frisch eventuell etwas mit dem Entstehen des Begriffs zu tun hatte. Anfang der 1950er Jahre erschien sein Theaterstück „Biedermann und Brandstifter“. Da ging es irgendwie um geistige Brandstifter. Nur, die Vokabel „geistig“ blieb noch expressis verbis unerwähnt.

Leider hat meine Google-Suche meinen Wissensdurst nicht befriedigt. Infolgedessen bin ich der Sache doch nach der alten Methode angegangen: Ich habe nämlich mein „Wörterbuch der deutschen Umgangssprache“ von Küpper aus dem Regal geholt. Bei Küpper findet man fast alles. Ein tolles Buch. Nur, die „geistigen Brandstifter“ fehlten bei ihm vollkommen. Unter Stichwort „Brandstifter“ bin ich lediglich auf „hochprozentiger Schnaps“ gestoßen. Unter „geistig“ bringt Küpper auch nichts. Ich habe nur „geisttötend“, „Geistesfurz“ und „Geisthammer“ (Letzteres bedeutet „Rauschgift“) gefunden.

Mein Fazit: Die „geistigen Brandstifter“ sind tatsächlich Neuankömmlinge in der deutschen Sprache. Ich weiß aber immer noch nicht, woher sie kommen. Vielleicht weiß jemand mehr drüber als ich.

Eins steht aber fest: Der „geistige Brandstifter“ ist immer der andere. Ähnlich dem „Spießbürger“, bzw., „Spießer“. Die sind auch immer die anderen.

Kein Mensch kommt auf die Idee, sich selbst als „Spießer“ zu bezeichnen. Das weiß man längst. Erst recht will keiner sich als „geistigen Brandstifter“ verstehen.

Oder nicht?

Gedankensaft zum Thema „Akku“

Armes E-Buchlesegerät. Seit Monaten liegst du rum neben meinem Bett, unberührt, prahlgefüllt mit einer ansehnlichen Bibliothek der Weltliteratur: Goethe, Schiller, Kafka, Vergil, Homer, Bibel, Dante, Cervantes, Byron, Keats, Eliot, Chaucer, Shakespeare, Proust, u.v.a.m.

Trotzdem rühr ich dich nie an. Glaub mir, es ist nicht aus ideologischen Gründen. Immerhin hab ich vielleicht schon einhundert Euro für meine Sammlung der Weltliteratur verpaypalt. (Ja, es waren fast immer die preiswerte Ausgaben). Außerdem hab ich schon ein paar Bücher – ganze Bücher – auf deinem Touchscreendisplay gelesen.

Klar ist es gewöhnungsbedürftig. Aber nicht schlimm. Es geht ja ziemlich intuitiv vonstatten. Man wischt mit dem Finger mühelos übers Display, und schon erscheint die nächste Seite – oder eben die vorige. Egal. Man macht’s, wie man‘s will.

Und bequem ist die Lektüre allemal. Hat man schlechte Augen? Dann bist du für so einen ein Genuss. Man vergrößert nach Gutdünken die Schrift. Liest man in einer Fremdsprache und versteht den Sinn eines Wortes nicht. Man markiert das Wort mit dem Finger und schon bietet das verlinkte Wörterbuch eine passende Übersetzung. Schön, gell?

Trotzdem liegst du so unberührt da rum.

Wieso denn?

Ein Grund: Weil ich wahnsinnig viele Bücher besitze, und irgendwie – ich mein dies beileibe nicht ideologisch – zieh ich’s vor, richtige Bücher in die Hand zu nehmen. Ja, ich geb zu: wegen der „Haptik“ (Neudeutsch vom Griechischen „haptos“, also „fühlbar“).

Nicht nur ich. Viele Leute sagen, dass sie lieber richtige Bücher lesen als E-Bücher – auch viele junge Leute. Natürlich hat jeder (oder fast jeder) heute ein Smartphone, und manche lesen Bücher auf dem Phone.

Kaum ist man aber wieder zuhause, so holt man – ob jung oder alt –ein richtiges Buch aus dem Regal (ich meine, wenn man Bücher noch liest) und vertieft sich darin.

Vielleicht deshalb stagnieren die Verkaufszahlen der E-Bücher – auch in den USA.

Ein zweiter Grund: Das Buch aus Papier ist eine geniale Erfindung. Man kann jede Seite wie der Blitz öffnen. Dagegen ist jedes E-Buch allen klugen Megabytes zum Trotz lahm. Wie viele Seiten muss ich noch lesen, bis das Kapitel zu Ende geht? Schnell blättere ich um. Husch! Erledigt! Viel umständlicher ist dieser Vorgang beim E-Buch.

Dritter und vielleicht wichtigster Grund: Ein Buch hat keinen Akku. Man kann es Jahrzehnte lang fast überall (im Trocknen) rumliegen lassen, dann nimmt man es wieder in die Hand, und liest weiter. Bis dahin hat ein E-Buchlesegerät zwecks einer Tiefentladung den Geist längst aufgegeben.

Ja, das stört mich schon immer bei allen elektronischen Geräten – ob Notebook, Facebook (haha), E-Buchlesegerät, Smartphone, Tablet. Alle laufen auf Zeit. Wie im wahren Leben. Man mietet sich ein, aber irgendwann ist es mit dem Saft zu Ende. Okay, ich gebe zu: Man kann – im Gegensatz zum Leben – einen Akku wieder aufladen. Aber trotzdem.

Nur die Fotografie bildet hier die Ausnahme – zumindest meiner Meinung nach. Denn die Fotografie west in der Einschränkung. Das war schon immer der Fall. Nach 36 Aufnahmen war auch der Analogfilm alle. Ohne Film, keine Bilder. Im Akkuzeitalter kann man viel länger weiterknipsen im Vergleich zu früher. Eine Segnung. Wie immer bestätigt die Ausnahme die Regel.

Was, liebes E-Buchlesegerät? Hast du schon wieder Hunger? Entweder hab ich auf deinem Touchscreendisplay zu viel gelesen, oder du siechst vernachlässigst und von allein dahin, du kleiner Stromfresser.

Zika-Viren für Anfänger

Sie befinden sich in einer flüchtlingskrisenfreien Zone. Hier wird nicht darüber schwadroniert, dass für manche „Neudeutsche“ westliche Frauen „vögelfrei“ seien.

Haha. Sorry. So einem Wortspiel kann ich nicht widerstehen. So ist der westliche Schriftsteller …verspielt halt.

Heute lieber ein paar Gedanken übers Zika-Virus.

Schon davon gehört? Dieses Virus – durch einen Mückenstich übertragen – kann bei schwangeren Frauen zu einer ganz fiesen Missbildung des Neugeborenen führen: zu einer Mikrozephalie. Das heißt: Schädel und Hirn geraten zu klein (vom Griechischen „mikros“ = „klein“ und „kephalos“ = „Kopf“). Allein in Brasilien sind bereits 4000 Kinder in diesem ungünstigen Zustand auf die Welt gekommen.

Inzwischen werden über solche Fällen aus verschiedenen südamerikanischen Ländern berichtet – dito aus Mexiko und der Karibik. In manchen Ländern – etwa Kolumbien – wird momentan von einer geplanten Schwangerschaft abgeraten. Man mutmaßt, dass das Virus, das wohl in Uganda heimisch ist, während der Fußballweltmeisterschaft nach Südafrika und dann nach Brasilien verschleppt worden ist. Manche Experten munkeln, dass es sich auch in den USA ausbreiten könnte. Nur in Kanada wohl nicht.

Erste Fälle gab es bereits in England – von Südamerika-Reisenden mitgebracht.

Nein, hier keine Panikmache. Lediglich der Hinweis, dass übermäßiger Medienkonsum gesundheitsschädigend sein kann.

„Quatsch, Herr Sprachbloggeur. Schließlich haben die Medien die Verantwortung zu informieren.“

Ja, das stimmt. Liebe Lesenden. Auch ich kenne keine Alternative.
Vielleicht geht’s mir, wenn ich übers Zika-Virus nachdenke, lediglich darum, darauf hinzuweisen, wie gefährlich das Leben ist. Meinen Sie nicht, dass wir in manchen europäischen Ländern inzwischen ein bisschen verwöhnt sind? Siebzig Jahre Friede, Krankenkasse, sechs Wochen Urlaub und Smartphones. Was will man mehr? Wer braucht Ärger mit Viren?

Kennen Sie den Roman „Der Untergang der Stadt Passau“ von Carl Amery? Es spielt in dem Bayern einer künftigen Zeit, und zwar einige Jahre nach einer schrecklichen Seuche, die innerhalb Tage 95% der Menschheit dahingerafft hat. Die Überlebenden leben inzwischen in kleinen Dörfern und sind mehr oder weniger autark. So, zum Beispiel, die „Rosmer“. Ihre Siedlung liegt da, wo früher „Rosenheim“ war. Die Großmacht dieser Ära heißt Passau. Die Passauer besitzen nämlich Glühbirnen aus dem alten Bestand von der Zeit vor der Seuche und können – solange der Vorrat anhält – Licht erzeugen. Im Osten sind die Ungarn auf dem Vormarsch.

Damit will ich mit Sicherheit nicht andeuten, dass das mit dem Zika-Virus uns mal Passauer Verhältnisse bescheren wird. Ich denke lediglich daran, dass manche Stories das Zeug haben, sich wie ein Virus zu verbreiten. Das mit dem Zika-Virus z.B. Auf Englisch heißt dieses Phänomen: „The story goes viral“. (Diese Redewendung hab ich in einer anderen Glosse mal angesprochen und meinte damit, es sei nur eine Frage der Zeit, bis sie auch „Neudeutsche“ wird).

Und siehe da! Gerade lese ich im Spiegel-Online folgende Bildunterschrift: „Virales US-Blizzard-Video“. Damit ist natürlich gemeint, dass ein gewisses Video über den jüngsten Blizzard in den USA „viral“ gegangen ist.

Irgendwie haben es die Viren aber etwas schwieriger in der deutschen Sprache viral zu gehen als etwa im Englischen. Ist es Ihnen mal aufgefallen, dass man von „das“ und „der“ Virus reden kann? Wenn sich ein Wissenschaftler über das Zika-Phänomen zu Wort meldet, heißt es das Virus. Reden wir untereinander, also weniger fachmännisch, so heißt es: „Hoffentlich krieg ich den Virus nicht.“

Alles klar?

Das David-Bowie-Syndrom

Wissen Sie noch, wo Sie waren oder womit Sie grad beschäftigt waren, als Sie davon erfuhr?

Zur Erinnerung: Die Nachricht brach ein – also „breaking news“ – wie ein Tsunami: im Fernsehen, im Rundfunk, im Internet . In den papiernen Dinosauriern erst freilich mit Verzögerung, dafür aber heftig und bunt.

Ja, die Post ging ab. Auf Englisch sagt: The story went ballistic, schoss ab wie ne Rakete also. (Hey, „ging ballistisch“ – wäre schön als neudeutsches Idiom, oder?). Oder: The story went viral. Es breitete sich wie ein Virus aus.

Die Rede ist natürlich vom Tod des Popstars David Bowie.

Ich möchte nicht zu sehr anecken oder als pietätlos erscheinen, doch wenn ich ehrlich bin, kenn ich keinen einzigen Song der verstorbenen Idole. Zwar ist mir der Name seit vielen Jahren bekannt (ich bin ihm sogar erst in Deutschland begegnet); doch irgendwie ist mir seine ganze Karriere unsichtbar geblieben. Gleiches gilt übrigens für Madonna, Lady Gaga, Justin Bieber, Miley Cyrus, Bruce Springsteen u.v.a.m.

Immerhin kenne ich den Namen. Als ich neulich mit Freund Karl übers Thema David Bowie sprach, sagte er: „Wenigstens weißt du, wer das war. Mir sagte der Name überhaupt nichts.“

Schwer zu glauben, gell? Es gibt Menschen, die wahnsinnig gebildet sind – und so einer ist Freund Karl –, die trotzdem nichts von David Bowie wissen. Ich muss Karl mal fragen, ob ihm die Namen Lady Gaga, Miley Cyrus usw. etwas sagen.

Nein, ich hab nix gegen David Bowie. Ich bezweifele gar nicht, dass er ein guter Sänger und Unterhalter war. Nur, wir lebten offenbar auf unterschiedlichen Planeten. Letzter Satz hätte ihm wahrscheinlich gefallen – ich meine, gemessen an den diversen Lobeshymnen, die ich in den Medien über ihn kurz anlas.

Stirbt (oder versündigt sich schwer) ein „Superstar“ (d.h., jemand aus der Politik, aus dem Sport, aus der Unterhaltungsindustrie), ist das für die Medien wie wenn Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen. Krieg in Burundi? Pahh! Verfolgung der Rohingya? Von wem bitte? He, man, hast du nicht gehört? David Bowie ist gestorben! Inzwischen hab ich erfahren, dass es in England Bestrebungen gibt, sein Konterfei auf die 20 Pfund-Banknote zu bringen. Andere möchten den Planeten Mars nach ihm umbenennen lassen. Und ich glaube, ich habe irgendwo aufgelesen, dass ein neues chemisches Element nach ihm genannt werden sollte.

Und dann hieß es in einem Newsweek-„Teaser“…ich verdeutsche: „David Bowie erscheint häufig in Wahnvorstellungen und Halluzinationen…Der jüngst verstorbene Sternmann ist, so heißt es, eine verbreitete Erscheinung unter Menschen, die mit Psychosen zu kämpfen haben.“

Als Rudolf Valentino starb, gingen auch seine Fans ballistisch: Krawallen, Selbstmordversuche usw. Doch damals gab’s noch keine Info-Revolution. Alles hat sich also in Grenzen gehalten. Noch nie von Rudolph Valentino gehört? Er war einer der allerersten Superstars des amerikanischen Kinos, ein Sehnsucht erweckender Schönling, der 1926 mit 31 Jahren starb.

Noch ein pietätloser Gedanke: Was passiert, wenn bald diverse Menschen behaupten, sie hätten ihre Gebete an David Bowie gerichtet, um von einer schweren Krankheit geheilt zu werden … Und siehe da! Sie wurden geheilt?

War David Bowie katholisch? Muss man katholisch sein, um heilig gesprochen zu werden? Bin kein Theologe.

In der engl. Zeitung „Guardian“ hieß es „His death was a work of art“. Ich hab nicht weiter gelesen, aber irgendwie stimmt der Satz.

Danke, David Bowie. Danke für die „hits“, danke für die Werbung, danke für den Umsatz – ach und für die Musik.

Zu Risiken und Nebenwirkungen dieses Textes fragen Sie…ämmm…

Eine Reise ist stets ein Abenteuer. Zum Beispiel gestern. Ich bin mit dem Zug – genauer: mit der ICE – nach Ingolstadt gefahren, eine kurze Strecke für mich, und ich war deshalb nur mit einer leichten Umhangtasche unterwegs. Mein Gegenüber, er war jung, schlank, großgewachsen und hatte ein sympathisches Gesicht, stemmte gerade seine zwei schwere Gepäckstücke, als ich das Abteil betrat. Sein Reiseziel war Berlin, wo er wohl lebt und arbeitet.

Normalerweise vermeide ich das Gespräch, wenn ich verreise. Ich will lieber meine Ruhe haben. Diesmal hat es sich einfach ergeben und war sehr angenehm. Was wir am Anfang besprachen, hab ich nicht mehr im Kopf. Doch aus irgendwelchem Grund fragte er mich nach sehr kurzer Zeit, was ich vom Beruf bin. Seine Direktheit hat mich zunächst überrascht. Doch so was tut man, wenn man jung ist. No beating around the bush. Ich antwortete, dass ich Schriftsteller sei.

„Hab ich gedacht“, sagte er.

„Wieso?“

„So sehen Sie aus.“

„Und Sie studieren?“ fragte ich, obwohl ich normalerweise viel zurückhaltender bin. Nein, er sei Kommunikationsdesigner. (Oder heißt das „communications designer“? Weiß ich nicht). So kamen wir nun dazu, ein bisschen über seinen und meinen Beruf zu fachsimpeln. Unterdessen gesellte sich zu uns nun noch ein Fahrgast, eine Frau, die keine Jugendliche war aber sicherlich kein 40.

Ich weiß nicht mehr, wieso, aber irgendwie kamen wir bald auf den Schmetterlingseffekt (butterfly effect) zu sprechen. Diese Wortschöpfung prägte übrigens ein amer. Meteorloge, Edward Lorenz, im Jahr 1972. Er stellte damals die Frage: „Does the flap of a butterfly’s wings in Brazil set off a tornado in Texas?“ Ich glaube, er hat die Frage mit Ja geantwortet.

Mein Gegenüber aus Berlin war nicht sicher, ob so ein Konzept – zumindest aufs Wetter bezogen – so richtig Hand und Fuß hat.

Auch ich weiß nicht, ob ein einziger Schmetterling so viel Einfluss aufs Wetter nehmen kann. Doch irgendwie kam ich dann aufs Beispiel der Chinesischen Mauer, die – wenn ich mich richtig erinnere – gebaut wurde, um die Mongolen vom Reich der Mitte fern zu halten. Zugegeben: Der Bau einer derartigen Mauer erforderte viel mehr Kraft als der Flügelschlag eines einzigen Schmetterlings. Doch ähnlich dem butterfly effect setzte auch dieses Großprojekt ungeahnte Folgen in Gang. Denn wegen dieser Mauer umgingen die Mongolen nun China und zogen stattdessen ziellos in Richtung Westen. Was nun geschah, war mit Sicherheit gleichsam ein folgenschwerer Schlag mit den Flügeln. Hier nur ein paar Beispiele: 1.) Die umgeleiteten Mongolen eroberten bald Bagdad, was dazu führte, dass die damalige islamische Hochkultur zerstört wurde. 2.) Ihre Turkvolk-Verbündeten nahmen nach und nach Byzanz ein, und so entstand das osmanische Reich. 3.) Diese große Völkerbewegungen schleuderten auch eine gefährliche Bakterie in Richtung Westen, die heute als „Pest“ in die Geschichte eingegangen ist. Diese schreckliche Krankheit tauchte zuerst im Krimgebiet auf und suchte schließlich ab 1348 ganz Europa heim.

Ich gebe zu: Das mit der Chinesischen Mauer war ein ziemlich wuchtiges Beispiel. Nun suchte ich deshalb nach einem bescheideneren Bild, ähnlich dem Flügelschlag eines Schmetterlings: „Oder: Einer ist verhindert, und die Titanic läuft ohne ihn aus. Vielleicht bringt er jetzt etwas ganz Wichtiges zustande – oder vielleicht seine Kinder…“, sagte ich. Leider fiel mir in dem Augenblick kein konkretes Beispiel ein.

„Oder es passiert in der fünften Generation“, sagte hilfreich die nette Dame, die links von mir saß.

„Ja genau…“

Also. Was will ich mit obiger Anekdote über eine angenehme Zugfahrt ausdrücken? Ganz einfach: dass eine Zufallsbegegnung gestern die eigentliche Ursache für diese heutige Glosse ist. Was dieser Text sonst für Wirkungen haben könnte oder wird, vermag ich freilich nicht vorherzusagen. Hoffentlich entsteht deshalb kein Tornado in Texas. Das hab ich schon letztes Jahr erlebt. Doch das ist eine andere Geschichte.

Mein Terrorist, dein Terrorist (oder: terror firma)

Wie ist es, wenn einem der Kopf abgeschlagen wird? Das Schlimmste ist das Warten. Auch die Mutigsten sind vor dem Erlebnis des Terrors nicht gefeit.

Wir kommen auf dieses Wort „Terror“ wieder zurück.

Immerhin ist die Sache schnell wieder vorbei – meistens. Zum Beispiel beim Guillotinieren. Kaum nimmt man das Rauschen des Fallbeils wahr und zack! ist der Kopf schon ab. In merry old England streckte man den Hals in den klobigen Richtblock. Im Nu tat die wuchtige Axt das Übrige. Bei den heutigen Saudis geht’s leider nicht immer so reibungslos vonstatten. Ist der Henker flink und präzise und das Schwert rasierklingenscharf, dann fliegt der Kopf vom Leib wie der Golfball von der Abschlagstelle. Hat der Henker einen schlechten Tag, dann hackt er rum, als wäre er auf Mäusejagd. Schwer zu sagen, was der Gehenkte von dieser Unkonzentriertheit mitbekommt.

Die Daesh-Halsabschneider sind selbstverständlich anderen Kalibers. Sie sägen langsam wie an einem Ast – und wahrscheinlich mit Absicht, um durchs mitgedrehte Video besser zu terrorisieren. Denn für sie sind Angst und Schrecken Programm.

Nun sind wir wieder beim Terror gelandet – ein Thema, das mich beschäftigt, seitdem sich die Nachricht mitbekommen habe, dass die Saudis schon wieder eine halbe Kohorte von Delinquenten hingerichtet haben, manche natürlich durch das Schwert. Einige der Verurteilten seien „Terroristen“ gewesen, haben sie behauptet. Im Iran sorgte insbesondere die Exekution eines oppositionellen Geistlichen der schiitischen Minderheit in Saudi Arabien für Furore. Dem sunnitischen Königreich galt dieser lange als Dorn im Auge. Auch er bekam das Etikett „Terrorist“.

An dieser Stelle möchte ich nicht spekulieren, ob er einer war oder nicht. Fest steht jedenfalls: Die Iraner waren mächtig sauer. Doch auch sie richten auf laufendem Band eigene „Terroristen“ hin. Nicht selten zählen diese zur eigenen sunnitischen Minderheit.

So einfach ist es: Beide Seiten in diesem langwierigen Glaubenskrieg im Nahe Osten bezeichnen ihre ideologischen Feinde mit Vorliebe als „Terroristen“.

Obernazi Hermann Göring hätte vielleicht gesagt: „Wer Terrorist ist, bestimme ich.“

Auch die schlimmsten Terroristen haben ihre Fans. So, z.B., die Jungs, die in Paris im November wahllos mordeten, oder die Mörder der Zeichner des Charlie Hébdo, Osama, Dschihadi John, der Kindermörder in Toulouse usw. Die Internetforen der Verschwörungstheoretiker sind voll mit wohlwollenden Bekundungen der Zujubelnden. „Krass, man, das waren alle kuffar“ usw.

Liebe junge Leute, auch die Deutschen haben im 2. Weltkrieg Partisaner und sonstige als Terroristen hingerichtet, einfach weil sie anderer Meinung waren. Heute murksen fleißige Chinesen diverse Tibetaner und Uiguren als Terroristen ab. Et cetera.

Aber nun zum Sprachlichen. Wissen Sie, wieso Terroristen so heißen? Wenn ja, dann kennen Sie höchstwahrscheinlich nur ein Teil der Antwort.

Klar. Ein „Terrorist“ ist jemand der „Terror“, also „Schrecken“ verbreitet. Wer „Terror“ sät, der „terret“, zumindest auf Lateinisch. Das Wort „terrere“ bedeutet „erschrecken“. Aber wissen Sie, warum es „erschrecken“ bedeutet?

Hinter dieser Vokabel steht das Wort „terreus“, zu Deutsch „aschen“. Und hinter „terreus“ steht das Wort „terra“. Jawohl, wie in „terra firma“. Land. Erde. Boden. Ich weiß es nicht. Vielleicht war der Boden im alten Rom oder wo auch immer aschfarbig. Wenn einer einen anderen „terret“, eigentlich veranlasst er, dass der andere aschfarbig wird. Irgendwie einleuchtend. Aber deshalb jemandem den Kopf abschlagen?

Nebenbei: Das Wort „Guerrilla“ (sprich „Ger- ilja“) ist kein spanisches Wort, zumindest nicht ursprünglich. Es entstammt der katalanischen Sprache und bezeichnete die Kämpfer, die gegen Spanien Krieg führten. Das ist aber eine andere Geschichte….

Das Perfekte und das Unperfekte

Seien Sie bloß froh, dass Sie deutschsprachig sind. So brauchen Sie niemals zwischen „imperfekt“ und „perfekt“ zu unterscheiden. Muttersprachler dürfen so reden, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist.

Als „Perfekt“ bezeichnen die Grammatiker eine Handlung, die abgeschlossen ist. Zum Beispiel, wenn Sie gestern im Kino waren und nicht mehr dort sind, ist diese Handlung abgeschlossen…“perfekt“, vervollkommnet.

„Imperfekt“ weist auf eine Handlung, die noch nicht abgeschlossen ist – aber bereits begonnen hat. Wenn Sie, zum Beispiel, gestern im Kino waren und immer noch dort sitzen.

Im Englischen, hingegen, erfährt man durch die Wahl einer Verbform, ob eine Handlung perfekt oder imperfekt ist. „Yesterday I was at the movies (bzw. cinema)“. D.h.: Man ist nicht mehr im Kino. Die Sache ist vorbei. Fertig. Perfekt. Sage ich aber: “I have been at the movies (cinema) since yesterday”, dann ist die Handlung noch nicht abgeschlossen. Unvervollkommnet. Imperfekt.

Alles klar? Mir nicht. Denn die Terminologie der engl. Grammatiker bringt mich total aus dem Konzept. Das mit dem „I was at the movies“ bezeichnen sie nämlich als „simple past“; das „I have been at the movies…“ als „present perfect“.

Was ist dabei so perfekt, frage ich, wenn ich noch immer im Kino sitze? Keine Ahnung.

Auch im Deutschen kann man „ich war im Kino“ und ein „ich bin im Kino gewesen“ sagen. Doch heutzutage ist kaum einer in der Lage, den Unterschied zwischen diesen Ausdrucksweisen vernünftig zu erklären. Man vertraut sein Bauchgefühl halt.

Früher war es anders. Zum Beispiel, als Luther noch gelebt hat (noch lebte?). „Hat denn Gott vergessen gnedig zu sein“ schreibt er in Psalm LXXVII. Dieses „hat vergessen“ bezieht sich auf eine unbestimmte Vergangenheit, ist also imperfekt. „Aber doch sprach ich…“ Hier im selben Psalm ist die Handlung einmalig und abgeschlossen, ist also perfekt.

Perfekt? Imperfekt? Auch die dt. Grammatiker haben sich komische Namen für diese Zeiten ausgedacht. Das Perfekt heißt „erste Vergangenheit“; das Imperfekt hingegen nennt man „perfekt“. Mich laust der Affe. Aber ehrlich.

Harald Weinrich, ein Meister der dt. Grammatik und Autor eines dicken, lesenswerten Wälzers zum Thema mit dem Titel „Textgrammatik der deutschen Sprache“ hat den Unterschied zwischen „ich sah“ (erste Vergangenheit) und „ich habe gesehen“ (Perfekt) folgendermaßen erklärt: Ersteres wird mit Vorliebe in Erzählungen benutzt. Etwa: Er machte die Tür auf, schaltete das Licht ein, schaute in den Raum, und plötzlich erscholl eine Stimme …usw. Zweites benutzt man im normalen Gespräch halt, wenn man über die Vergangenheit erzählen will. „Hallo Frank, stell dir vor, wen ich gestern im Kino getroffen habe.“

Von diesem Erklärungsversuch abgesehen, herrscht im Deutschen sonst nur noch Kuddelmuddel. In manchen dt. Dialekten tritt die erste Vergangenheit kaum noch in Erscheinung. Im Bairischen z.B. In anderen Regionen tut man mehr oder weniger, was man will. Das war aber schon immer (ist schon immer gewesen) das gute Recht der Muttersprachler.

Was wiederum für den Nichtmuttersprachler*Innen zum Problem wird. Englischsprachige, Spanischsprachige, Italienischsprachige usw. werden aus diesem Grund das Geheimnis der dt. Vergangenheit niemals lüften. Denn wir unterscheiden sehr wohl zwischen Imperfekt und Perfekt – egal wie wir sie nennen.

Es könnte aber schlimmer sein. In den slawischen Sprachen wird so streng zwischen Perfekt und Imperfekt unterschieden, dass man zwei unterschiedliche Wörter verwendet, je nachdem, ob eine Handlung perfekt oder imperfekt ist. War (ist gewesen) einer dabei, eine Schachtel zu basteln, sagt der Tscheche „dĕlal krabici“.Will er sagen, dass er eine Schachtel fertig gebastelt hat, dann heißt es „udĕlal krabici“. Die zwei Verben sind zwar eng verwandt, das sind aber „vermachen“ und „machen“ auch. Alles klar?

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen ein perfektes und ein imperfektes 2016 mit viel Gesundheit und sowohl vervollkommnetes wie auch unvervollkommnetes Glück im neuen Jahr. Ihr Sprachbloggeur

Hitlers Hoden und andere Sonderangebote

Wie dumm sind Verbraucher? Diese Frage stellen sich manche Unternehmer und Werbefuzzis täglich – besonders aber um die Weihnachtszeit.

Ich komme drauf, weil ich grade am Schaufenster eines Ladens gleich um die Ecke von mir die Worte „50 % günstiger“ in riesigen bunten Buchstaben gelesen habe.

Mein erster Gedanke war – und ich verdanke ihm meiner Lehrerin in der vierten Klasse Miss Bolger (sprich „boldscher), die uns stets einbläuten: „Kinder, niemals ‚als‘ mit dem Komparativ schreiben, ohne zu erklären, womit ihr etwas vergleicht.“

Irgendwie logisch. „Unsere Hamburger sind größer und saftiger“ sagt die Werbesprache. Und keiner stellt die Frage: „Größer und saftiger als was?

In manchen Sprachen, z.B. das Arabische, hat die Vergleichsform zwei Bedeutungen. Die Vokabel „kabir“, z.B., bedeutet „groß“. Sagt man: „ar-radschul kabir“ heißt das „der Mann ist groß“. Wenn aber ein Arabisch Sprechender „größer“ ausdrücken will, benutzt er die „Form „akbar“. Jeder kennt den Spruch „Allahu akbar“. Diese Worte bedeuten nicht, dass Gott größer ist – dann musste man mit Miss Bolger fragen: „Größer als was?“, was zu einer heiklen theologischen Auseinander führen könnte –, sondern „sehr groß“ oder gar „der/die/das größte“. Man nennt diese grammatische Form „Elativ“, was mehr ist als ein Komparativ. Alles klar, liebe Freunde und Freundinnen der Grammatik?

Aber zurück zum Laden um die Ecke, wo alles 50% günstiger ist.
„Günstiger als was?“ fragt Miss Bolger. „Als die Preise von vorgestern? Als die Preise in einem anderen Geschäft? (Aber welches?)“…usw.

You get the point.

Nebenbei: Der Laden oben mit den günstigeren Preisen nennt sich ein „Outlet“. Ich bin diesem neuenglischen Begriff erst vor zwanzig Jahren begegnet. Bin sicher, dass er die Erfindung eines Werbefuzzis war. Wer sonst hat solche perfide Einfälle? Man versteht darunter 1.) billige Preise (Neudeutsch: „Discount“), 2.) Markennamen, die in einem Laden – vorübergehend – feilgeboten werden und natürlich 3.) hier muss ich hin.

Raffiniert, gell?

Dass „Outlet“ zu einem neudeutschen Wort wurde, hat mich überrascht. Die Welt wird immer kleiner.

Eigentlich wollte ich heute nicht über den Komparativ bzw. den Elativ berichten – und erst recht nicht über die Outlets, sondern über Hitlers Hoden. Vor ein paar Tage hieß es nämlich in einer Zeitungsmeldung, dass Adolf Hitler nur einen Hoden hatte. Meine Frage: Ist ein Führer 50% günstiger, wenn er nur einen Hoden hat?

Nein, im Ernst. Was mich interessierte, war die Tatsache, dass diese Nachricht keine war. In meiner Jugend in Amerika war des Führers Eineiigkeit sehr bekannt. Man hat sogar drüber gesungen. Die Melodie war dem „Colonel Bogey March“ entnommen (finden Sie leicht im Internet) und stammte aus dem Film „Bridge over the River Kwai“. Der Text dürfte etwas älter gewesen sein:

„Hitler had just one ball,
Goering had two but very small,
Himmler had something similar
but Goebbels had no balls at all.”

Fußnoten: “ball” bedeutet “Hoden”, “Goebbels” wird auf Englisch “Go-b’ls” ausgesprochen.

Und damit beendet der Sprachbloggeur seine weihnachtliche Meditation. Feiern Sie schön. Hohoho and Merry Christmas!


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