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Pokémon Go und die Wichser

Hallo Pokémon Go-Fans. Vielleicht hat Sie der putzige Pikachu hierher geführt und tänzelt mitten in meinem Wortladen herum. Dann haben Sie bestimmt ein paar Punkte gesammelt. Nur weiter. Ich wünsche viel Glück.

Falls Sie aber nicht wissen, wo genau Sie gelandet sind, hier eine kurze Einleitung:

Der Sprachbloggeur ist eine Art Wortfabrik. Hier werden Wörter zusammengelegt und manchmal unter die Lupe genommen. Zum Beispiel „Pokémon“. Soweit ich weiß, wurde dieser spritzige Begriff von einem schlauen Marketingfritzen in Japan aus dem Boden gestampft. Ich habe gelesen, dass es sich um eine Abkürzung von „pocket monster“ handle. Ist ja nett mal ein kleines Monster in der Tasche zu haben. Nicht wahr?

Zum Glück wissen aber die meisten Englischmuttersprachler nicht, worauf sich der Name „Pokémon“ bezieht. Sonst wäre der Erfolg dieser Marke schnell in die Hose gegangen. Das meine ich sogar wörtlich. Denn: Wenn ich an „pocket monster“ denke, fällt mir sogleich „pocket pool“ ein: zu Deutsch Taschenbilliard. Ja, Sie verstehen schon. Und jeder in der angelsächsischen Welt versteht es ebenso. (Mädchen können pocket pool leider nicht spielen - wahrscheinlich spielen sie auch Pokémon Go sehr selten).

Was mich an Ali S. aka (also known as) David S., Münchens neuestem Massenmörder, zu denken führt.

Vielleicht haben Sie schon das Handyvideo gesehen, das ihn auf einem Parkhausdach zeigt, während ein Anwohner im Nachbarhaus gegen ihn schwadroniert und ihn des Öfteren, u.a., als „Wichser“ beschimpft.

Ich hab gar keine Lust über Ali/David zu erzählen, lediglich über das Wort „Wichser“. Und weil das „Taschenmonster“ (als Begriff) gefährlich nahe dem „Wichser“ schwebt, denke ich, dass Firma Pokémon großes Glück hatte, dass die meisten das nicht verlinken. Letzte Woche war beim Sprachbloggeur vom japanischen Produkt „homo soap“ die Rede. Manche Wörter haben es in sich - vor allem im Zeitalter des internationalen Marketing.

Sie kennen mit Sicherheit die amerikanische Hustensalbe „Vick“. In den USA heißt sie „Vicks“.

Selbstverständlich wurde sie für Deutschland umbenannt. Ist es nicht ulkig, dass „Vick“ so unglaublich weit entfernt von „Vicks“ zu sein scheint, dass keiner sie miteinander in Verbindung bringt? Aber so ist es mit den Wörtern. Wobei das unanständige „Wichsen“ eigentlich ein Beispiel ist für die Verarmung der deutschen Sprache. Fakt ist: Diese Vokabel hat ursprünglich mit „Wachs“ zu tun, genauer gesagt: Es beschreibt als Verb, wie man mit Wachs eine Oberfläche zum Hochglanz bringt. Früher war es Gang und Gebe „Schuhwichse“ zu kaufen. Und es ist nicht so lange her, dass im Treppenhaus ein Plakat hing: „Frisch gewichst“. Was heute nur noch als Treppenwitz zu verstehen wäre. Das kann allerdings nur bedeuten, dass „wichsen“ im Sinn von „selbstbefriedigen“ neueren Datums ist.

Nebenbei: Das gleiche aufgesexte Schicksal ist dem Wort „ficken“ widerfahren. Früher bedeutete diese Vokabel lediglich „reiben“. Im Grimm’sc hen Wörterbuch heißt es, dass der „vulgäre“ Sinn erst vor drei- oder vierjahrhunderten entstanden sei. Kein Mensch wisse, woher. Versuchen Sie heute Ihren Mückenstich zu „ficken“. Klingt äußerst abartig.

Tja. Kaum wird ein Wort mit einer sexuellen Bedeutung belegt, wird es für sonstige Zwecke für alle Zeiten unbrauchbar.

Ich wünsche Ihnen viele schöne Pikachus, liebe pocket monster-Fans.

Kinder und Fremde…

Hier erklären wir den Unterschied zwischen der Sprache erwachsener Menschen (dazu zählen Sie und ich) und der der Kinder (damit meine ich auch jeden, der in einer Sprache noch „jung“ ist, also auch den Fremden).

Fangen wir mit zwei Fangfragen an:

Erstens: Sie lesen in der Zeitung (oder auf dem Phone) einen saftigen Text über Johnny Depp. Woran denken Sie zuerst?

a) an den „Fluch der Karibik“?

b) an J.D.s stürmisches Privatleben?

c) an sein Aussehen?

d) daran, dass sein Name - zumindest auf Bayrisch - „Dummkopf“ bedeutet?

Wenn Sie mit a), b) oder c) antworteten, dann sind Sie eindeutig ein langjähriger Sprecher der deutschen Sprache.

Wenn Sie mit d) antworteten, dann kann ich mir kaum vorstellen, dass Sie überhaupt in der Lage waren, diesen Text selbstständig zu lesen, oder dass Sie dazu Lust gehabt hätten. Denn wer d) antwortete, ist entweder ein Kleinkind oder ein Neuling in der deutschen Sprache, allenfalls ein Mensch, für den jedes Wort dieser Sprache frisch und ohne Nebentöne geblieben ist.

Zweite Frage: Was fällt Ihn ein, wenn Sie an Jude Law denken?

a) Ach der, der britische Schauspieler.

b) Ich fand ihn großartig in „Grand Budapest Hotel“ und in „Genius“.

c) Er sieht gut aus.

d) Das muss ein Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde sein.

Wenn Sie mit a), b) oder c) antworteten, dann sind Sie entweder Deutscher oder deutschsprachig und in Dingen der Popkultur auf dem Laufenden.

Wenn sie mit d) antworteten…na, siehe oben, oder Sie leiden unter bedauernswerten Wahnvorstellungen. (Gleiche Fragestellung und Antwort gelten für das Beatles Lied „Hey Jude“).

Genug der Beispiele. Sie verstehen doch, worum es geht, die Konsequenzen verstehen Sie aber vielleicht noch nicht….

Denn nun eine ganz andere Frage: Was bedeutet es, wenn jemand aufhört, die Vokabeln einer Sprache blauäugig und ohne kulturelle Bezüge aufzufassen? Eine Antwort wäre: Man ist bestens integriert in den kulturellen Normen einer Sprachgemeinschaft, was freilich sehr wichtig ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Eine andere Antwort lautet, dass ein solcher Mensch einer Massenhypnose erlegen ist: Man sieht nur noch das, was alle sehen. Früher hätte man gesagt: Man wird von einem Zauber belegt.

Der Zauber der Massenhypnose wirkt allerdings nicht immer. Der Verkauf einer Seife aus Irland mit dem Namen „Irish Mist“ („mist“ auf Englisch bedeutet „Nebel“ oder „Dunst“) ist aus verständlichen Gründen fehlgeschlagen. Die Japaner hatten vor, in den USA ein Produkt „Homo Soap“ („homo“ wie in „homogenisiert“) auf den Markt zu bringen. Ich erspare Ihnen die Witze…

Kinder hingegen lassen sich nie beirren. Sie freuen sich über die Absurditäten der Gleichklänge einer Sprache. Sie sind wie Lyriker. In meiner Kindheit haben wir uns über den Ehrentitel der Queen, „Her Royal Highness“ (ihre königliche Hoheit) lustig gemacht. Denn wir hörten in „Highness“ (sprich „hei-ness“) „hinie“ (sprich „hei-ni“) heraus, das in der Kindersprache und in Slang „Hintern“ bedeutet. In New York nannte man den Elternbeirat „Parents-Teachers-Ass.“ (kurz für Association). Wir verstanden Eltern-Lehrer „ass“, also „Arsch“.

Als ich noch fremder in der deutschen Sprache war als ich‘s heute bin, ging ich mit meiner Lebensabschnittspartnerin auf Wohnungssuche. Wir klingelten an einer Tür. Der Vermieter öffnete, reichte mir die Hand und sagte, „Fick!“ Macht er ein anzügliches Angebot? dachte ich und stand da wie gelähmt. Meine Lebensabschnittspartnerin witterte diese Reaktion des Fremden und reichte ihm schnell die Hand, um sich vorzustellen. Lange Rede, kurzer Sinn: Wir bekamen die Wohnung nicht.

O Memoria! O Shitstorm!

Äääääm, wie war das denn wieder? Vor längerer Zeit (ein Jahr? zwei Jahre?) hatte ich auf dieser Seite einen Text übers Wort „Shitstorm“ veröffentlicht.

Wenn ich mich noch richtig entsinne, hatte er den Titel: „Wie sagt man Shitstorm auf Englisch?“ (o.ä.). Leider kann ich aus dem Stegreif nicht sagen, ob ich diese Frage damals tatsächlich beantwortet habe oder nicht.

Fest steht jedenfalls: Die Antwort kann nicht „shitstorm“ heißen.

Heute aber weiß die Antwort, und ich werde sie Ihnen mitteilen, falls ich sie damals nicht bereits preisgegeben habe.

Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht mehr, ob ich Ihnen damals eine verbindliche Antwort auf diese Frage gegeben habe. Ich hab nämlich ein schlechtes Gedächtnis…sehr schlecht sogar. So war ich schon immer. Kein Wunder, dass ich bereits 95% von all dem, was ich jemals erlebt habe, vergessen habe – inklusive den Inhalt von Filmen, die ich einst geliebt und von Büchern, die ich eifrig gelesen habe.

„Ich behalte immer weniger von dem, was ich lese“, sagte mir neulich E. Sie klang ein bisschen beunruhigt. Sie hatte immer ein sehr gutes Gedächtnis.

„Meins war schon immer schlecht“, antwortete ich. Ich wollte sie damit trösten.

Nein, keine angehende Demenz meinerseits. Der Demenzkranke weiß nicht, dass er nichts weiß. Ich weiß es, und es stört mich nicht, weil ich weiß, dass das meiste, was ich vergesse, ohnehin nicht wichtig war.

Beispiel: Ich war neulich in meinem Lieblingsobstundgemüseladen, Paradies, und kam, während ich den Brokkoli, die Schwammerln und die leckeren Erdbeeren bezahlte, mit Frau M. und einer zufällig da stehenden Kundin ins Gespräch. Natürlich weiß ich nicht mehr, worüber – mit Ausnahme eines Punktes: Es ging um den Vornamen des Sohnes einer längst verstorbenen Freundin. Ich hatte ihn nämlich vergessen, konnte aber ein paar Hinweise wiederherstellen.

Wie durch Zauber hat die Kundin den fehlenden Namen dank meiner erinnerten Bruchstücke erraten. Das hat mich sehr beeindruckt.

Sonst ist der Inhalt dieses Gesprächs mir völlig untergegangen. Nur eins weiß ich noch: Ich war gut gelaunt und hab unentwegt Geschichten erzählt, was wiederum für andere mal unterhaltsam mal sehr langweilig werden kann. An diesem Tag hat meine gute Laune der Namen erratenden Kundin wohl gefallen. Wie soll ich sonst erklären, dass sie mir urplötzlich sagte, „Ich heiße Charlotte, wie heißen Sie mit Vornamen?“ Das hat mich überrascht. Achtung, dachte ich. Dieser Mensch tritt dir zu nahe. Ich kenne sie nicht, und sie will wissen, wie ich mit Vornamen heiße. Okay, ich gebe zu: Ich bin ein bisschen altmodisch.

Doch mir waren zwei Sachen klar: 1.) dass ich ihren Namen mit Sicherheit nicht merken würde und 2.) dass ich möglicherweise auch das Aussehen der Dame schnell wieder vergessen würde. Stellen Sie sich vor: Ein fremder Mensch ruft mir auf der Straße freundlich zu: „Hallo PJ!“ und ich, weil ich höflich bin, erwidere den Gruß schön freundlich, auch wenn ich nicht weiß, wer das ist. „Hallo!“, sage ich und denke: Wer ist denn das? Kenn ich diesen Menschen?

Lange Rede kurzer Sinn: Ich habe mich geweigert, der Dame meinen Vornamen zu verraten, was sie wiederum ziemlich sauer aufstoßen ließ.

Dennoch war ich sicher, dass ich das Richtige getan hatte. Was ist schlimmer, dachte ich: einen, der mich grüßt, nicht wiederzuerkennen oder jemandem einen unrealistischen Wunsch nicht zu erfüllen? Nebenbei: Sie hieß nicht in Wirklichkeit „Charlotte“. Ich habe aber den richtigen Namen leider vergessen.

Ach, ja. Ich wollte die Frage beantworten, wie man „Shitstorm“ auf Englisch sagt. Na endlich…

Die Antwort lautet „firestorm“. Ich habe den Begriff nämlich zweimal in jüngster Zeit in der New York Times gelesen. Einmal hieß es: „On Saturday Mr. Trump created a firestorm…usw.” und dann “A week after former President Clinton lit a political firestorm…usw.”

Man kann auf Englisch einen firestorm offensichtlich “create” oder “light”. Mir alles neu. „Shitstorm“ (Scheißsturm) wäre ohnehin kein Wort für die prüde NY Times.

Ich vermute, dass „Firestorm“ in diesem Sinn eine Neuigkeit sein muss. Ich jedenfalls hab es nicht gekannt, oder ich hab’s schlichtweg vergessen.

Gelauscht in Cyberhölle…

Bot: O je, schau doch, wie du aussiehst.

Terrorist: Stimmt was nicht?

Bot: Kreideweiß bist du. Als hättest du gerade ein Gespenst gesehen. Ist was?

Terrorist: Näää, bin halt müde. Hab grad eben vierundsechzig in den Tod gejagt, weißtd‘. Sehe ich irgendwie ramponiert aus?

Bot: Hmmm. Lass mich dich etwas genauer visieren.

Terrorist: He, ich bin aber ganz da, oder? (Er schaut sich da unten an). Puh. Beinahe hab ich gedacht, ich hätte…ämmm…ihn…du weißt schon…verloren. Buum! Das wäre natürlich der Wahnsinn gewesen.

Bot: Ne, du scheinst ganz da zu sein.

Terrorist: Das siehst du? He. Bin ich etwa nackt?

Bot: Hier sind alle nackt. Nur ich nicht.

Terrorist: Und wieso das nicht?

Bot: Weil ich immer in Tarnung bin. Keiner sieht mich.

Terrorist: Ich seh dich schon. He, wer bist du überhaupt?

Bot: Einer wie du.

Terrorist: Ein Gottestreuer?

Bot: Nein, Terrorist, du Affe. Bloß virtuell.

Terrorist: Virtuell?

Bot: Das heißt alles kaputt machen aber ohne Blutvergießen…naja…wenigstens nicht direkt.

Terrorist: Kriegst du auch lauter Jungfrauen als Belohnung. Mensch, ich freu mich wahnsinnig drauf. Dir kann ich’s sagen…ich bin selber…ämmm…ääää…noch Jungfrau…oder wie auch immer das heißt, wenn man ein Typ ist.

Bot: Jungfrauen? Hier gibt es keine Jungfrauen, Junge. Hier gibt es nur Information - beziehungsweise Desinformation. Hihihi.

Terrorist: Sag mal: Bin ich nicht im Paradies?

Bot: Das musst du ja wissen. Von mir kann ich allerdings behaupten, dass ich im Paradies bin…das heißt: Es sei denn, irgendein Schlaumeier-Programmierer mich aufstöbert. Das glaube ich aber nicht. Bin zu clever dafür.

Terrorist: Aber meine Jungfrauen…

Bot: Hier sind wir alle gewissermaßen Jungfrauen, Freund…bis uns der Malwarejäger in der Sandbox eingekerkert hat.

Terrorist: Was heißt das „wir sind hier alle Jungfrauen“? Mit dir will ich’s nicht treiben, hast’s verstanden? Ein Verkehrtrumer bin ich wirklich nicht. Gittigitt. He, du bist nicht etwa ein Ungläubiger…oder?

Bot: Du bist ja lustig. Bei mir gibt es nur Nulle und Einser. Auch du bist so, genauer gesagt, lauter Nulle und ein paar Einser, was aber nichts Schlimmes ist. Auch du kannst bei uns eine große Nummer sein, auch wenn du keiner bist. Sag mal, hast du Lust, für mich zu arbeiten?

Terrorist: Für dich arbeiten? Wie das?

Bot: Ganz einfach. Ich gebe dir einen schönen…ämmm…jungfräulichen Code, und du versuchst ihn einem System zuzuschieben. Es ist eine spannende Arbeit. Glaub’s mir. Und manchmal kracht‘s auch.

Terrorist: Was heißt einem System etwas zuschieben? Meinst du, ich habe vierundsechzig Menschen zu Hackfleisch gemacht, um jetzt Systeme etwas zuzuschieben? Was immer das bedeutet.

Opfer: Fünfundsechzig.

Terrorist: Wer bist denn du?

Opfer: Der Nachzügler. Du warst wohl bereits zu weit weg, hast aufgehört zu zählen. (Wendet sich an den Bot). Ich arbeite gern für dich. Hab bereits viel Erfahrung…

Terrorist: Aber meine Jungfrauen…

Bot: (zum Opfer) Nimm den mit. Ich geb euch einen schönen Schadcode für wehwehwehjungfraupunktcom. Bei uns soll jeder sein Glück finden.

Terrorist: Wo bin ich denn hier?

Bot:Zuhause, Freund…

Onkel Sprachbloggeur erklärt die Welt

Wo war ich denn stehen geblieben? Ich meine, vor ca. sechs Wochen, bevor diese Seite von Schädlingen (schämt euch, Rotzpack!) infiziert wurde.

Komisch, doch alles, was ich damals für wichtig hielt (ich meine als Themen für diese Seite), kommt mir plötzlich belanglos vor. Manches, was mir damals unter dem Nagel brannte, langweilt mich plötzlich. Über Mohammed Ali schreiben? Über Brexit? Gähn.

Dann blätterte ich in meinem Notizbuch (ja, ich habe ein Notizbuch angelegt - extra für den Sprachbloggeur) und stieß auf den folgenden Satz. Ich zitiere:

„Vielleicht werde ich Sie mit meiner Entdeckung wenig begeistern, aber hier goes. Ich war auf der Maidult in München…“ Hier endet die Notiz.

Tut mir leid. Inzwischen habe ich vergessen, was es war, das ich auf der Münchener Maidult erlebt habe, und mich veranlasst hat, obigen Satz niederzukritzeln. Das passiert mir immer wieder, weil das Gedächtnis und das Leben im Grunde selten so ordentlich sind wie die Kunst. Und die Kunst? Sie ist lediglich ein Versuch, die Komplexität des Lebens (und der Erinnerungen) eine Form, eine überschaubare Ordnung zu verschaffen.

Womit mir jetzt eine Mail einfällt, die ich vor kurzem von einer Literaturagentin erhalten habe. Sie hat meine Bitte, ein Buch von mir zu betreuen aus folgendem Grund abgelehnt. Ich zitiere:

„…zu stark dialog- und zu wenig handlungsorientiert umgesetzt, um es erfolgreich durchsetzen zu können. Hinzu kommt, dass die Handlung sich immer wieder auf Seitenwegen verliert und das Manuskript nicht ohne Glossar auskommt. Beides ist in der Belletristik kaum vermittelbar.“

Ich gebe zu. Ich habe es ihr nicht einfach gemacht. Besagtes Buch entsprang der bewussten Vorstellung, etwas zu schreiben, das das Chaos des wahren Lebens widerspiegeln sollte. Damit meine ich: Wenn jemand im Freundeskreis eine Geschichte erzählt, geschieht dies erstens in Dialogform und zweitens zumeist mit komplizierten und zum Teil detaillierten Abschweifungen, die immer wieder vom Thema abbringen. Nebenbei: Für manches im Leben braucht man tatsächlich ein Glossar.

Der Satz in der Absage von der Agentin, der mich am meisten auf die Palme gebracht hat, lautet aber:„Beides ist in der Belletristik kaum vermittelbar.“

Wenn nicht in der Belletristik…wo sonst?

Doch jetzt zurück zu meinem eigenen Satz über meine vergessene Erfahrung auf der Maidult (s. oben). Beim nochmaligen Lesen stellte ich fest, dass ich dieses Fragment - zum Glück - nie zu einer Sprachbloggeur-Glosse herausarbeitet habe. Wissen Sie, warum ich sage „zum Glück“? Wegen des ersten Satzes. Dort schrieb ich nämlich: „Vielleicht werde ich Sie mit meiner Entdeckung wenig begeistern…“

Was stimmt da nicht? Ganz einfach: Wenn der Autor selbst verspricht, das etwas „wenig begeistern“ könnte, ist das eine Einladung für den Leser, das gleiche zu empfinden.

Also, liebe Leser und Leserinnen, lesson for the day: Falls Sie jemals auf den Geschmack kommen, einen Text zu schreiben, das andere Menschen lesen sollen, bitte nicht im ersten Satz Ihr Vorhaben entwerten.

Wie die Engländer sagen: It’s bad form.

Und nun ist es offiziell: Der Sprachbloggeur ist wieder da. Schädlinge waren schon immer Selbsttöter.

Erlebnisbericht: Was machst du, wenn du selbst zum Risiko wirst?

Sprachbloggeur: (steht vor einer geschlossenen Flügeltür vielleicht so hoch wie der Kölner Dom. Das Haus selbst, zu dem die Tür der Eingang ist, erfasst man nicht mit den Augen. Man weiß nur, dass man vor einem Eingang steht. Der Sprachbloggeur klopft an. Wo er steht, ist nämlich eine kleine, menschenhohe Tür in der Tür) Klopf klopf. (Er wartet, lange, ohne dass jemand antwortet. Beinahe will er aufgeben. Aber nein. Er klopft wieder) Klopf klopf.

Google: Verschwinde!

Sprachbloggeur: Ja, aber…

Google: Hier gibt es kein Aber, du zweibeiniger Fresssack, nur ein Ja!

Sprachbloggeur: Ja…

Google: Wie hoch ist dein Ranking?

Sprachbloggeur: Ranking?

Google: Ja, welchen Wert nimmst du in meinem WehWehWeh ein? (etc.)

Vielleicht wissen Sie, liebe Leser, was mich zu dieser Pilgerfahrt zum Großen Google bewogen hat. Es war die Seuche natürlich. Zur Erinnerung: Vor ca. einem Monat hat Google, und infolge Mozilla und noch andere Gottheiten im Cyberhimmel ausgerechnet den Sprachbloggeur zum No-go-Zone erklärt: gleichsam zu einem Cybertschernobyl. Der Große Google hatte nämlich eine Verseuchung meines Wortladens festgestellt. Böse Wörter (malware) haben sich bei mir eingenistet und drohten das ganze Cyberspace krank zu machen. Ja, auch so kann ein Einzelmensch die Gesamtheit beeinflussen. Übrigens: „Einfluss“ auf Italienisch heißt „Influenza“.

Vier Wochen hockte ich in Quarantäne. Man fühlt sich sehr einsam. Wer den Sprachbloggeur anklickte, entdeckte bald auf dem Bildschirm ein dunkelrotes (zum Braun neigendes) Warnschild mit folgende Beschriftung:

„Die Webseite auf www.sprachbloggeur.de wurde als attackierende Seite gemeldet und auf Grund Ihrer Sicherheitseinstellungen blockiert. Attackierende Webseiten versuchen, Programme zu installieren, die private Informationen stehlen, Ihren Computer verwenden, um andere zu attackieren, oder Ihr System beschädigen.“

Stellen Sie sich vor: Ich war Opfer. Aber als Opfer wird man selbst zum potentiellen Täter. So war mal das Leben der Leprakranken, sag ich der Cyberkranker.

Aber der Große Google hatte letztendlich recht, mich in Quarantäne zu stecken. Würde auch jeder vernünftiger Arzt tun. „Tough love“ heißt das auf Englisch.

Man verzweifelt dennoch - weil es so langweilig wird und man Tatendrang verspürt. Manchmal fiel ich auf die Knie und beteten den Heiligen David Bowie, den Heiligen Prince und den Heiligen Muhammed Ali an und bat um Gehör und Erlösung.

Doch die Heiligen blieben stumm. Ich zündete dann Cyberkerzen bei YouTube, Instagram, Twitter und Linkedin. Vergeblich. Man fühlt sich in dem Augenblick sehr allein gelassen.

Nein nicht ganz, mein „Hoster“ (klingt wie Hostia, gell?), Herr P., hat mich nicht vergessen. Er gab sich große Mühe, die Eindringlinge zu killen: wie es ein Mediziner der Ärzte ohne Grenze in Ebolaland tut. Das heißt: im Wissen, dass auch er selbst hätte infiziert werden. Noch heute fehlen deshalb alle Kommentare aus der Vergangenheit und Zukunft. Meinem Hoster zu Dank lesen Sie aber heute diesen Bericht. Danke Herr P.

Zum Schluss die althergebrachte Verfluchung der Cyberkriminellen, die mich in diese unangenehme Lage verantwortungslos versetzt haben. Das taten sie nicht, weil sie gegen mich etwas hatten. Es sind halt Opportunisten, diese Gangster - so wie Ebola, Pest und Krebs Opportunisten sind. Sie zerstören, weil sie sich davon einen bestenfalls kurzfristigen Gewinn erhoffen. Es ist ihnen egal, was sie dabei kaputt machen.

Jetzt der Fluch: Ich wünsche ihnen nicht den Tod. Der Tod ist geduldig. Er kriegt sie ohnehin. Ich wünsche ihnen ein langes Prostataleiden (ja, ich weiß, dass sie alle männlich sind) und dazu Hämorrhoiden, Krampfadern, Mundgeruch und keinen Spaß in intimen Situationen.

Ämmm. Hab ich etwas vergessen? Ja natürlich: Ich wünsche ihnen mal die Gelegenheit, sich dem Hl. David Bowie, Hl. Prince und Hl. Muhammed Ali zu wenden, um dann unerhört zu bleiben. So ist es mit den neuen Heiligen. Nur Elvis lebt. Unserer aller Hoffnung bleibt der Große Google. Denn er ist der Meister der tough love schlechthin.

Willkommen im Informationszeitalter.

Extrablatt: Der Sprachbloggeur überlebt die Vertschernobylisierung seiner Seite

Ja, liebe Leser des Sprachbloggeurs, nach einem (sehr) bösen Cyberangriff - ich bin überzeugt, es waren Außerirdische - erwacht der Sprachbloggeur aus dem Cyberkoma und berichtet von seinen Fieberträumen. Diese Woche aber noch nicht. Dies hier ist lediglich die Ankündigung.

Nebenbei: Die Paranoiker dieser Welt haben jetzt eine eigene Gewerkschaft. Sie nennen sich "Gang-Stalkers" (Bandennachstellende) und bestätigen gegenseitig, dass sie tatsächlich von Außerirdischen ausspioniert werden.

Wer dafür verantwortlich war, dass der Sprachbloggeur durch Google zum Tschernobylgebiet erklärt wurde, weiß ich immer noch nicht. Nächste Woche aber mehr. Diese Woche erst ein bescheidenes Lebenszeichen.

Vorläufig erscheinen auf dieser Seite keine Kommentare. Willkommen, liebe Leser, in der Pionierzeit der Informationsrevolution.

So sieht im Ernst ein Paradigmenwechsel aus, falls Sie das wissen wollten.

Namen ist Amen

Dass es so etwas wie einen „Namenstag“ gab, erfuhr ich erst in Deutschland. Als „P.J.“ hab ich natürlich keine Gelegenheit meinen „Namenstag“ zu feiern. Damit muss man leben.

Manchmal wird „P.J.“ nicht einmal als Namen verstanden. Namen, die man mit Anfangsbuchstaben konstruiert, haben keine große Tradition in Deutschland. Ja, es gibt O.W. Fischer (Otto Wilhelm) und E.T.A. Hoffmann (Ernst Theodor Amadeus). Ich weiß aber nicht, wie sie ihre Freunde nannten. Otto? Ernst?

Dafür hat die dt. Sprache eine eigene raffinierte Einrichtung, um Kürzeln bzw. Spitznamen zu bilden: Man schnürt die erste Silbe vom Vor- und Zweitnamen zusammen, und voilà!. Aus Hans-Joseph wird „Hajo“, aus Markus-Norbert „Mano“ usw. Das funktioniert nicht nur bei Eigennamen. Denken Sie an die „Kripo“, die „Stasi“, das „Schlefi“ („Schlemmerfilet“). Als ich einst in Santa Barbara, Kalifornien lebte, hat ein dt. Einwanderer namens Heinz Lichtenberg eine Tankstelle mit dem Namen „Heli’s“ eröffnet.

Vielleicht liegt es an der Aussprache, dass sich manche Deutsche – jung und alt – mit meinem Namen schwertun. Das dt. „Jot“, heißt auf Englisch „Dschäj“ wie in „buon giorno“ und reimt sich mit „play“.

Was ich aber nie verstanden habe: Manche Deutsche sagen zu mir „Pi-dschi“ und nicht „Pi-Dschäj“. Dafür hab ich wirklich keine Erklärung.

Die Bekannte meiner einstigen Lebensabschnittspartnerin strahlte jedesmal, wenn sie mich kommen sah: „Ach, schau! Da kommt der David. Ich kann mit ihm Englisch üben!“

„Warum nennt sie mich immer David?“ fragte ich meine Lebensabschnittspartnerin.

„Weil sie mit ‚P.J.‘ nichts anfangen kann und denkt, du siehst aus wie ein David.“

„Ich halt es nicht aus.“

„Ach, P.J.-lein, sei nicht so streng.“

Andere nannte mich, ohne zu fragen, „Paul-Joseph“. Damit konnte ich aber gut leben. Es mutete in meinen Ohren irgendwie nach Johann Sebastian oder Wolfgang Amadeus an. So nenne ich mich inzwischen selbst, wenn ich mich amtlich erkenntlich machen muss. Immer mit Bindestrich, versteht sich.

Was ich aber nicht dulde: wenn mich jemand „Paul“ nennt. Ich gebe zu: Der Name hört sich auf Deutsch okay an. Nicht aber auf Englisch, zumindest meinen Ohren nicht. Vielleicht liegt es daran, dass sich „Paul“ und das „thal“ in Blumenthal reimen. Dazu: Der Rhythmus geht meines Erachtens völlig daneben, klingt billig. Heute bleibt „Paul“ lediglich meiner Mutter, meinem Bruder, meiner Babysitterin und noch ein paar Verwandten und Freunden aus meiner Kindheit vorbehalten.

Als 2003 mein Buch über Wolfskinder, „Kaspar Hausers Geschwister“, erschien, erfuhr ich vom Verlag, dass „P.J. Blumenthal“ als Autorenname nicht zulässig sei. Den Grund hab ich zum Glück vergessen. Ich wurde natürlich auf diese Nachricht sehr ungehalten und wäre bereit gewesen, das ganze Projekt zu schmeißen, wenn man mir meinen Namen wegnähme. Es kam nicht dazu.

Ähnliches habe ich bei der SZ erlebt. Man wollte meinen Leserbrief nicht veröffentlichen. Der Grund: Man könnte meinen, ich verstecke mich hinter dem Namen „P.J. Blumenthal“. Ich fragte, ob auch O.W. Fischer und E.T.A. Hoffmann und vielleicht T.S. Eliot keine Leserbriefe bei der SZ veröffentlichen dürften. Die SZ ruderte zurück.

Alles komisch, nicht wahr? Ich meine, letztendlich hat man nur den eigenen Namen. Und noch dazu: Er allein bleibt übrig, wenn man tot ist - und das tut er zum Guten und zum Bösen, versteht sich.

Vom Aussterben bedroht: sibirische Tiger und Altphilologen

Heute nenne ich Namen.

Vor zwei Wochen war ich auf einem Vortrag der Petronian Society, Munich Section. Wahrscheinlich kennen Sie diese Gesellschaft nicht. Es würde mich nicht wundern.

Die Petronian Society ist ein Treffpunkt für Altphilologen (m. und w.). In einer entspannten und unterhaltsamen Atmosphäre informieren Gastredner über Themen der römischen und griechischen Antike. In München wird die Society vom emeritierten Professor Niklas Holzberg (erster Name) liebevoll betreut.

Ich kann mir vorstellen, dass die Altphilologie nicht unbedingt mittig auf Ihrem Radarschirm – und wahrscheinlich nicht einmal am Rande – steht. Deshalb ist das Gebiet der römischen und griechischen Antike – samt lateinischer und altgriechischer Sprachen – auf der Liste der bedrohten Arten gelandet ebenso wie der sibirische Tiger und das weiße Nashorn.

Auch das Nutzen dieser Wissenssparte fürs praktische Leben ist weitgehend in Vergessenheit geraten. Auf der Uni zählt sie deshalb zu den „Blümchenfächern“. Wer sie studiert, bekommt, wenn es gut geht, vielleicht eine Stelle als Journalist(in) oder Lektor(in). Falls es nicht gut geht, ist das Arbeitsamt gern bereit, Studierende der Altphilologie umzuschulen.

Hat die Altphilologie ein Nutzen? Aber selbstverständlich! Falls man es vergessen hat: Unsere westliche Zivilisation fußt (neben der christlich-jüdischen Tradition) auf der griechisch-römischen Antike.

Nebenbei: Der Islam spielt für den Westen eine viel geringere Rolle – auch wenn es doch einige wesentliche Berührungspunkte gegeben hat. Das ist aber ein anderes Thema.

Aber nun zum besagten Vortrag bei der Petr. Soc. in München. Gastredner war Professor (em.) Werner Suerbaum (zweiter Name). Sein Thema lautete:
„Von der Welttrauer um den römischen Kronprinzen Germanicus 20 n. Chr. – zum privaten Schmerz einer bürgerlichen Witwe um 1900“

Hier der Inhalt kurz zusammengefasst: Im Jahr 20 n. Chr. in Antiochus starb der römische Kronprinz Germanicus. Er war in der damaligen Zeit eine Art Rockstar, und sein Tod löste in Rom eine Betroffenheit aus wie man sie nach dem Tod von Princess Di oder David Bowie kennt. Der Kronprinz wurde in Antiochus eingeäschert und in eine Urne nach Rom zurücktransportiert. Seine geliebte Frau Agrippina (Tochter des verst. Augustus Cäsar) begleitete die sterblichen Überreste nach Rom zurück, wo die trauernden Massen in die Straßen drängten, um einen Blick auf die Prominenz zu bekommen. Man weiß heute, dass es so war, weil der Historiker Tacitus darüber berichtet hat.

Wir springen jetzt ca. 1600 Jahre in die Zukunft. Plötzlich taucht in der bildenden Kunst Darstellungen von Agrippina auf, wie sie die Urne ihres verstorbenen Mannes zart umhegt. Das Thema wurde von verschiedenen Malern behandelt. Und jetzt nochmals ein Sprung in die Zukunft: Anfang des 20. Jahrhunderts tauchen nun Reliefs einer trauernden Frau mit Urne in Friedöfen auf. Diese Thematik wird sogar zum Renner. Man hat allerdings vergessen, dass diese Frau Agrippina ist.

Ich hab es auch nicht gewusst, bis ich Prof. Suerbaums Vortrag lauschte.

Kurz gesagt: Professor Suerbaum, inzwischen über 80, war in der Lage, den Werdegang einer Ikone zu beleuchten, den sonst niemand aufgefallen wäre. Und darum geht es: Die Altphilologie kann alles Mögliche anschaulicher machen. Wie heißt es so schön? Wer aus der Vergangenheit nicht lernt, wird von der Zukunft dafür bestraft.

Nebenbei: Prof. Suerbaums Kollege, Prof. Andreas Patzer (dritter Name), hat eine nicht minder faszinierende Einführung zum Vortrag gehalten. Leider ist auch er nicht mehr so ganz jung.

Umso mehr behaupte ich, dass die Altphilologen, und damit meine ich die Wächter der europäischen Vergangenheit, eine bedrohte Art sind.

Ach! Beinahe hätte ich vergessen: Wieso hat es so lange gedauert, bis die bildenden Künstler das Thema des Germanicus und Agrippina aufgriffen? Ich meine ca. 1600 Jahre waren inzwischen vergangen, seitdem der Kronprinz gestorben war. Diese Frage stellte ich Prof. Suerbaum. Seine klare Antwort: Weil erst kurz zuvor das Werk von Tacitus wiederentdeckt wurde.

Unsere Welt ohne Tacitus wäre insgesamt um einiges ärmer an Erklärungen.

Wie sagt man „Arsch“ auf Deutsch (oder die Kunst des Übersetzens)

Unehrliche Politiker und Beamte aufgepasst. Der Pechsee droht.

Wir befinden uns– nach Dante – im fünften Ring der Hölle.

Alles, was einem zu Lebzeiten an den Fingern geklebt hat, mutiert hier zu einem schwarzen Gebräu, in dem man meistens kopfunter befestigt bleibt. Pech gehabt (haha). Wer es wagt, die Oberfläche zu erstreben, wird von äußerst unfreundlichen Dämonen, die mit großen Mistgabeln ausgerüstet sind, traktiert und wieder nach unten gedrängt.

Doch kein Weilen bei den Gequälten heute. Vielleicht ein anderes Mal. Mich geht es um die Übersetzer. (Auch sie riskieren die Hölle).

Erst Folgendes: Dantes „Göttliche Komödie“ ist ein unterhaltsames und zum Teil sehr lustiges Werk. Das merkt man nicht immer, weil die Witze aus einem fernen Zeitalter stammen. Nur der Klamauk springt einem noch in die Augen.

Kurz zur Handlung unserer Stelle: Der Erzähler (Dante) und sein Führer durch das Inferno, Vergil, brauchen die Hilfe der oben erwähnten Quälgeister, die im fünften Ring das Sagen haben, um weiter in den sechsten Ring zu kommen. Die Teufel bieten schier begeistert ihre Hilfe an, und geben ihrem Kommandanten das Signal ihrer Bereitschaft.

So klingt es im Italienischen des Spätmittelalters, wenn ein jeder Teufel dem Hauptmann gegenüber den Marsch bläst:

Ed elli avea del cul fatto trombetta. Wörtlich: “Und er machte aus seinem Arsch eine Trompete.”

Schön derb für unsere Ohren. Doch was machen diverse Übersetzer daraus?

Wir fangen mit einer deutschen Übersetzung aus der Mitte des 19. Jahrhundert an, von „Philalethes“ (Liebender des Vergessens). Hinter diesem Pseudonym steckt übrigens Johannes, König von Sachsen (1801-1873), der es neben seiner uferlosen Verwaltungsarbeit schaffte, eine großartige Übersetzung dieses Werkes anzufertigen. Hier seine Handhabung des Arsches, der Trompete wird:

Und der gebraucht den Hintern als Trompete.

Schön schlicht, meine ich. Dazu hat es seine Hoheit geschafft – wie Dante – die Betonung dieses Satzes auf „Trompete“, zu setzen. Allerdings macht Philalethes „cul“ (im heutigen Italienischen „culo“) zu einem „Hintern“. Geht das? Oder war er zu prüde „Arsch“ zu schreiben? Vielleicht. Andererseits: Wie klang „Hintern“ mitten im 19. Jahrhundert in den Ohren der Leser? Derb? Oder grenzwertig? Und wie klang „cul“ im 14. Jt. besonders grob oder nur ein bisschen unflätig? Ich weiß die Antwort nicht.

Aber weiter. Hier nun eine Übersetzung von August Vezin (1879-1963), seinerzeit einem angesehenen dt. Philosophen und Literaten. Seine „Göttliche Komödie“ erschien 1926. Vezin hat sich sogar die Mühe gemacht, das Werk in „terza rima“, ins Versformat also, das auch Dante verwendete, zu übertragen. Hier nun die letzten vier Zeilen vom Canto XXI:

Nun steckten sie aus breitem Maul die Zungen
Dem Hauptmann zwinkernd zu, zum Fürdermarsche
Bereit. Und Jener rief: „Linksum, ihr Jungen!“
Und gab das Marschsignal mit seinem…

Clever, das mit dem punktpunktpunkt. So kommt jeder auf seine Kosten – auch die Zensur.

Aber weiter: Als Kontrast nun eine neue, wortwörtliche Prosaübersetzung des bekannten Mediävisten Kurt Flasch (geb. 1930). Zum besseren Verstehen der ganze Satz:

Aber vorher hatte jeder zum Abschied von ihrem Führer die Zunge herausgestreckt, die Zähne gefletscht und aus seinem Hintern eine Trompete gemacht.

Nüchtern und genau – und der Akzent bleibt wie bei Dante (und Philalethes) auf „Trompete“. Nur wieder die Frage: Ist ein „Hintern“ ein „cul“?

Letztes Angebot: aus einer (meiner Meinung nach) sehr schönen englischsprachigen Übersetzung (1983) des amerikanischen Romanisten und Lyrikers Allen Mandelbaum (1926-2011):

And he had made a trumpet of his ass.

Ausgesprochen derb fürs englische Ohr. Bloß: Mandelbaum betont den „ass“ und nicht – wie bei Dante die „Trompete“. Vielleicht aus sprachrhythmischen Gründen (obwohl: „and he made his ass into a trumpet“ hätte, meine ich, auch funktioniert). Immerhin hat der Satz die Schlichtheit des Originals.

Tja, ich bleibe letztendlich sprachlos. Daher mein Fazit: Man liest etwas im Original oder man nimmt lauter Kompromisse in Kauf.

Aufgepasst unehrliche Politiker und Beamte…etc.

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