You are here

Gehen Bärenhäuter huren und buben? (Gewiss!)

Sprachbloggeur: Gestern hab ich einen Fuchs beinahe geschossen.

Besserwisser: Entschuldigung, Herr Sprachbloggeur, schöner wäre eigentlich, „Gestern hab ich einen Fuchs beinahe erschossen. Und hoffentlich hatten Sie guten Grund, so etwas zu machen, z.B., dass er tollwütig war. Hoffentlich aber nicht, um ihm das Fell abzuziehen, sonst verpetze ich Sie bei PETA.

Sprachbloggeur: Aber bitte, ich bin doch kein Bärenhäuter.

Besserwisser: Aber womöglich ein „Fuchshäuter“. Haha.

Sprachbloggeur: Gibt’s doch nicht. Ich kenne nur „Bärenhäuter“. Ist ohnehin nicht mein Thema. Ich wollte vielmehr erzählen, dass ich gestern einen Fuchs beinahe geschossen habe.

Besserwisser: Und ich habe Sie korrigiert. Man erschießt, lieber Sprachbloggeur, einen Fuchs, oder man schießt einen Fuchs an. Man schießt einen Fuchs aber nicht (außer vielleicht in der flotten Sprache der Zeitungen). Ich hoffe jedenfalls, Sie haben verschossen, was ich ohnehin annehme, weil sie „beinahe“ meinten.

Sprachbloggeur: Ich glaube, ich muss Ihnen erst erklären, was ich mit „Bärenhäuter“ meine, bevor wir übers Fuchsschießen reden.

Besserwisser: Bitte.

Ich werde Sie, liebe Lesende, mit obigem Gespräch nicht weiter strapazieren. Leider war mir der Besserwisser schon, bevor Ich jedes Missverständnis hätte ausräumen können, ins Wort gefallen. Das passiert einem Migrantler oft. Er will etwas erzählen, und da kommt plötzlich einer daher und will ihn prompt korrigieren, weil er meint, so einer mit Migrationshintergrund hat schon wieder etwas Falsches gesagt.

Auch meine leidgeprüfte Frau kann von diesem Phänomen ein Lied singen (tralala). In dieser Situation bin ich allerdings der Besserwisser. Manchmal sagt sie etwas auf Englisch (wir reden Englisch - schon seit immer), das mir falsch vorkommt, und ich verbessere sie. Doch dann stellt es sich heraus, dass man in Kanada, wo sie als Teenie gelebt hat, so redet. Der Besserwisser weiß halt nicht immer alles.

Was auch für den Besserwisser im obigen Auszug aus einem Dialog zutrifft. Er weiß, z.B., nicht, dass ich mich jetzt in Grimmelshausens, „Simplicissimus“ vertiefe und von daher mich mit der deutschen Sprache des 17. Jahrhundert auseinandersetze.

(Nebenbei: ein großartiges Buch! Wenn Sie wissen möchten, wie es war, ein deutscher Mensch im 17. Jahrhundert zu sein - genauer: während des Dreißig Jährigen Krieges - dann haben Sie in diesem Buch einen treuen Reiseleiter gefunden).

Aber zurück zum Bärenhäuter. Er ist, laut Grimm, das, was man heute „Primitivling“ oder „Grobian“ nennt. Manchmal wird das Wort bös gemeint, manchmal nur scherzhaft. Manchmal bezeichnet es lediglich ein „Faulpelz“.

Und nun endlich zum Fuchsschießen. Übrigens: Versuchen Sie mal, nur zum Spaß, dieses Idiom zu googeln. Wissen Sie was passiert? Sie werden auf unzählige Seiten gelotst, die mit…was sonst?...mit dem Erschießen von Füchsen, PETA usw. zu tun haben. Das allwissende Google weiß doch nicht alles.

Anders im 17. Jahrhundert. Damals haben alle Deutschen gewusst, was es heißt, einen Fuchs zu schießen. Z.B., wenn der besoffene Gouverneur zum jungen Simplicius Simplicissimus sagt: „…du Schuft, la-la-lang-langs Lavor, ich m-mu-muß e-ein Fu-Fuchs schießen!“ Was will er von dem naiven Teenie?

Er will ein „Lavor“, also einen Schüssel haben, weil es ihm derart übel ist, dass er sich übergeben muss. Wie es auch mir gestern beinahe ergangen ist - doch das ist eine andere Geschichte. Jedenfalls: Damals sagte man „einen Fuchs schießen“ fürs Erbrechen. Nettes Bild, oder? Hat außerdem die passende Farbe.

Ja, man lernt viel, wenn man alte Bücher liest. Zum Beispiel, dass man „huren und buben“ sagte. Was „huren“ bedeutet, kann man sich vorstellen. Aber das „buben“: Die Bedeutung dieses Verbs wird vom prüden Grimm nur lateinisch wiedergeben, so unanständig war die Vorstellung. Unanständig aber offensichtlich weit verbreitet. Auch Luther schreibt „huren und buben“.

Willkommen, Kameraden, im Deutschland des 17. Jahrhunderts.

Vorsicht: Komma! (Kann teuer werden)

Deutschland, du hast es besser…

Nein, dies ist nicht der Anfang einer patriotischen Hymne (doch warum nicht?), sondern lediglich eine Beobachtung über ein winzig kleines, kaum bedachtes und doch so wichtiges Zeichen, das man auf Deutsch „Strich“ (klingt wie ein verruchtes Geschäft, ist doch manchmal, s. unten) oder „Komma“ nennt.

Eins steht fest: Das deutsche Komma ist ordnungssüchtig, hält sich an sehr präzisen Regeln. Weshalb der Guru der deutschen Grammatik, der Schweizer, Dr. Bopp (canoonnet), guten Gewissens schreiben darf:

„ Kein Komma vor und:
Die Grundregel gilt auch bei längeren Aufzählungen sowie vor usw. und etc.…“

(Ein Beispiel für diese Regel finden Sie oben im Satz, der mit „Nein, dies ist nicht…etc.“ anfängt)

Glückliche deutsche Sprache. Denn im Englischen ist der Umgang mit dem Komma viel komplizierter als im Deutschen, wenn auch manchmal etwas freier. Im Englischen kann ein unterlassenes Komma mitunter sehr teuer werden.

Und damit kommen wir zum „Oxford Komma“. (Es hört sich an, als ob Kommas auf die Universität gehen. Vielleicht doch).

Die Oxford Kommaregel besagt Folgendes: Nach dem letzten Element einer Aufzählung (und vor dem folgenden „and“ oder „or“) wird ein Komma gesetzt. Beispiel: „Ich lese, schreibe, nicke ein, und wache auf.“ Dr. Bopp zufolge wäre in diesem deutschenText das Komma nach „nicke ein“ völlig überflüssig.

Auch im englischen Sprachraum gehen die Meinungen über das Oxford Komma weit auseinander. Viele Zeitungen (inklusive The New York Times) beachten das Oxford Komma so gut wie gar nicht. Was auch die Meinung meiner Lehrerin in der 4. Klasse, Miss Bolger, war. Es sei denn, um eine Ambiguität auszuräumen: Beispiel: „Ich bedanke mich bei meinen Eltern, Mutter Teresa und dem Papst.“ Ohne ein Komma nach „Mutter Teresa“ könnte man meinen, dass meine Eltern Mutter Teresa und der Papst sind. Sie sehen: Ob Deutsch oder Englisch, hier bräuchte man ein Oxford Komma.

Aber jetzt zu einer kniffligen Angelegenheit, die sich unlängst im US-Bundesstaat Maine ereignete:

Fahrer einer dort sehr bekannten Molkerei verklagten die Firma wegen unbezahlter Lohnansprüche auf 10 mio Dollar. Es ging um eine Regelung im staatlichen Handelsgesetz, die besagt (und nun werde ich aus Gründen der Faulheit hauptsächlich auf Englisch zitieren): „The canning (Konservierung), processing, preserving, freezing, drying, marketing, storing, packing (Verpackung) for shipment (Transport) or distribution (Auslieferung) of (1) agricultural produce; (2) Meat and fish products; and (3) Perishable foods“ […erfordern die Bezahlung von Überstunden].

Der Streit drehte sich um ein Komma. Die Firma argumentierte, dass Überstundenzahlungen nur für die „Verpackung zum Zwecke des Transports und der Auslieferung“ von Waren fällig wären. Der Beweis: Es fehlte ein Komma nach „shipment“. Die Fahrer konterten, dass diese Interpretation aus Gründen der Vernunft absurd sei. Vielmehr sei die Klausel zweideutig. Es sei offensichtlich, dass ein Komma nach „shipment“ fehlte. Die „distribution“, also die Auslieferung, müsste als getrennter Vorgang betrachtet werden.

Letztendlich hat das Argument der Fahrer das Gericht überzeugt. Die Richter waren der Meinung, dass hier ein Oxford Komma unbedingt nötig gewesen wäre. Das Ergebnis: Die Firma musste zehn millionen Dollar Nachzahlungen leisten.

Fazit: Aufpassen! Kommafallen sind überall. Mind your commas!

Sind Sie Nazi?

Ja, liebe Suchende, Sie sind hier richtig.

An dieser Stelle kann man prüfen, ob man waschechter Nazi ist.

Wie jeder weiß, wird dieses Thema immer aktueller. Im WehWehWeh ist längst ein Krieg der Verschwörungstheoretiker im Gange. Und nun spielt auch der türkische Präsident seine bescheidene Rolle, um den Argwohn noch weiter gedeihen zu lassen.

Manche fragen sich sogar, ob Recep Erdoğan (sprich er-do-uan) selbst Nazi ist. Ist er? Wie Sie sehen werden, kann jeder diese Frage aber nur für sich beantworten. Deshalb möchte der Sprachbloggeur diese kleine Hilfe für die erforderliche Selbstprüfung bieten. Die folgenden Fragen wollen lediglich diese Selbstprüfung ein bisschen erleichtern.

Frage eins: „Nazi“ ist ein Kürzel. Wie lautet das ganze Wort?

1.) Nazoräer

2.) Narzisst

3.) Naturalist

4.) Narrenzünftler

Vorsicht! Die Antwort wird sie überraschen. Sie erfordert viel Nachdenken. Leider darf ich Ihnen Nur einen kleinen Hinweis verraten: Wenn Sie darauf kommen, wird Ihnen die Antwort so selbstverständlich erscheinen wie ein Löffel im Mund. Hmm?

Frage zwei: Bei welchen der folgenden Szenarien wären Sie am liebsten dabei?

1.) Am Strand stehen und sich drei Minuten in Kreis drehen, bis Ihnen kotzübel ist. Oder falls Sie Tänzer(in) sind, dann bis Sie am Schluss eine Richtung zum Weitergehen wählen: a) ins Meer, b) weg vom Meer, c) dem Meer entlang links oder d)rechts.

2.) Sie sitzen allein an einem Tisch im Lokal. Sie bestellen ein Bier, schauen tief ins Glas und trinken den Inhalt in einem Zug aus. Nun stellen Sie fest, dass Sie aufstoßen müssen. Doch mit einem Mal fragen Sie sich, ob es möglich ist, den Magendruck durch die Ohren herauszuführen und ob ein rülpsartiges Geräusch erfolgen wird. Erkennen Sie sich?

3.) Sie sind Eigentümer(in) eines Hotels in der Lüneburger Heide. Das Geschäft läuft gut. Sie haben momentan nur noch ein freies Zimmer. Nun treten zwei Parteien zeitgleich an die Rezeption heran. Eine ist aus Bremen, die andere aus Hessen. Sie haben jetzt die Wahl. Wie entscheiden Sie sich?

4.) Welche Type sind Sie? Derjenige, der, um eine Glühbirne in eine Deckenlampe einzuschrauben, auf eine Leiter klettert und sie mit einem Handumdreh befestigen? Oder Sie lassen sich von fünf Freunden hochheben, wobei Sie die Glühbirne an der Fassung halten, und Ihre Freunde Sie drehen.

Diese Frage hat es in sich. Aber, denken Sie dran: Nazi sein ist auch kein Zuckerlecken.

Frage drei: Welche Farbe hassen Sie am allermeisten?

1.) weich

2.) langsam

3.) warm

4.) still

Achtung! Gemeine Fangfrage! Doch falls Sie keine Antwort finden, bitte verzweifeln Sie nicht. Es ist nie einfach, die eigene Couleur hieb- und stichfest zu konstatieren.

Die Antworten - mit Erklärungen - finden Sie…mmmm… etwas weiter unten. Hals- und Beinbruch!

Und? Wie ist Ihr Ergebnis? Sind Sie Nazi?

Ich gratuliere herzlichst, egal wie Ihre Antwort lautet!

Die drei Handlungen – für Anfänger und Fortgeschrittene

Möchten Sie Schriftsteller werden?

Dann sind Sie bei mir richtig.

Hier erfahren Sie alles, was Sie wissen müssen, um eine solide Handlung zu schreiben. Ich sage es gleich: Es gibt auf der ganzen Welt nur drei Geschichten. Jawohl, Sie haben richtig gelesen: drei Geschichten, drei Handlungen also: eins, zwei, drei.

Diese lassen sich zwar gut miteinander vermengen, es sind aber nur drei. Jetzt zur Sache:

Handlung eins: Boy meets girl, boy loses girl, boy finds girl. So hieß sie jedenfalls im goldenen Zeitalter von Hollywood - in den 1930er Jahren also.
In Wahrheit ist diese Handlung uralt. Schon die antiken Griechen und die Römer haben davon reichlich Gebrauch gemacht - vor allem in den antiken Romanen. Ja, auch Romane hatten die Alten. Zum Beispiel die „Aethiopica“, geschrieben vor ca. 1700 Jahren von einem Bestsellerautor namens Heliodorus.

Die Geschichte, die H. erzählt, ist typisch, stellvertretend für viele andere antike Werke. Am Anfang verliebt sich ein hübsches Pärchen und heiratet. Aber dann passiert es: Kurz nach der Eheschließung (die übrigens noch nicht vollzogen ist, was für die Geschichte wichtig ist) wird die Braut von Piraten oder sonstigen Unholden entführt. Auch der junge Ehemann erleidet prompt irgendein Unglück. Vielleicht wird er versklavt oder zwangsrekrutiert. Es folgen dann hunderte von Seiten spannender Abenteuer. Die getrennten Geliebten sind ständig vom Tod, von Vergewaltigungen, von sonstigem Ungemach bedroht. Am Schluss siegt die Liebe - und die Keuschheit. Die zwei werden wieder vereint. Man freut sich immens.

Sie kennen das Muster aus tausenden Filmen und Büchern. Die Spannung lässt nie nach - auch wenn die Hauptfiguren jugendliche Vampire sind - bis(s) die Liebe garantiert ist. Am Schluss tun die Tränendrüsen stets das Übrige.

Handlung zwei: eine heilige (oder manchmal nicht so heilige) Suche. Hier spielt (oft) ein junger Held, die Rolle des Suchenden. Wonach sucht er? Nach dem heiligen Gral, z.B. Oder er wird von den Göttern gelotst, ums römische Reich zu gründen (so die Geschichte von Aeneas). Oder er heißt Indiana Jones und sucht nach einem verlorenen Schatz. Oder er ist ein Mönch - wie im chinesischen Roman, „Reise nach dem Westen“, aus dem 16. Jahrhundert, und bricht auf nach Indien, um heilige Texte des Buddha zu holen. Egal. Diese Handlung verspricht spannende Kampfszenen, Komödie, Sex, mühsame Kletterszenen etc. etc.. Am Schluss siegt der Held - auch wenn er ein Antiheld ist wie Don Quixote. Wir freuen uns wahnsinnig und fertig ist das Buch oder Film.

Fassen wir kurz zusammen: Bisher zwei Themen, die uns Menschen schon immer neugierig gemacht haben. Und wenn alles endlich gut geht, sind wir zufrieden.

Und so sah die Welt des Erzählers aus während tausender Jahre. Denn die dritte Handlungsform, die ich jetzt vorzustellen vorhabe, hat - meines Erachtens - im Gegensatz zu den anderen - keine lange Vergangenheit. Ich denke, es gibt sie eigentlich erst seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts.

Vielleicht ist sie keine richtige Handlung. Denn sie erzählt keine richtige Geschichte mit Anfang und Ende, und obendrein ist sie gar nicht spannend. Sie will lediglich einen inneren seelischen Zustand mitteilen - meistens in Form von einem Monolog. So, als würde man laut vor sich denken. Das tun heute viele Autoren.

Doch diese Art zu erzählen, passt gut zu unserer Zeit. Denn wir leben - zumindest in Europa (oder überhaupt in der westlichen Welt) - im Zeitalter des Individuums. Wer sein Innenleben interessant darbringt, kann stets davon ausgehen, Leser zu finden.

Ich denke trotzdem, liebe Schriftstellerkollegen und -kolleginnen, dass man heute am besten alle drei Handlungssorten vermischen könnte und sollte, wenn man Bücher schreibt. Das ist jedenfalls meine bescheidene Meinung. Und damit Ende der Vorlesung.

Crappers und Blockbusters

Mein Sohn war der Meinung, ich sollte vielleicht eine Glosse über Thomas Crapper schreiben. Ich war nicht so ganz überzeugt, zumal ein deutsches Publikum anders auf diesen Namen reagiert als ein angelsächsisches.

Die Fakten: Mr. Crapper war ein englischer Installateur und lebte von 1836 bis 1910. Er geht in die Geschichte ein als einer der Väter der heutigen Spültoilette. Ich habe mich mit ihm nicht so intim befasst, dass ich Ihnen seine Erfindung detailliert beschreiben könnte. Immerhin benutzte ich eine waschechte Crapper-Toilette einmal in Berkeley, California. Wir schreiben das Jahr 1970. Die eigentliche Erfahrung bleibt mir weniger in Erinnerung als der Name, der auf dem Porzellan gedruckt war.

Zu sagen ist nur: Thomas Crapper & Co. hatte seinerzeit einen sehr anständigen Ruf. Auch Gullideckel hat die Firma produziert.

Wer über gute Englischkenntnisse verfügt, weiß natürlich, dass im Englischen das Wort „crap“ im Sinne von Exkrement sehr verbreitet ist. Stammt es von Crapper?

Immerhin sagte man im 19. Jt.: „I’m going to the crapper“ und meinte damit “Ich gehe auf die Toilette”.

Ist daraus das heutige Idiom „to take a crap“ entstanden? Nebenbei: Diese Ausdrucksweise gilt ausschließlich als Männersprache auf Englisch. Jawohl, Männersprache. Frauen bringen diese Floskel äußerst selten über die Lippen.

Also doch? „Crap“ als Weiterentwicklung von „crapper“?

Fehlanzeige. „Crap“ im Sinn von Exkrement existierte in der englischen Sprache lange, bevor Th. Crapper „a twinkle in his mother’s eye“ war.

„Crap“ und „crapper“ sind also nur Zufallswortzwillinge. Das es so ist, weiß ich übrigens seit Jahren. Denn ich habe es durch die Lektüre des besten Fachbuches zu diesem Thema herausgefunden: „Das Scheiß Buch“ von Werner Pieper.

Wer dieses Buch nicht besitzt, kann sich aber auf Wikipedia ebenso ausführlich unter Stichwort „Thomas Crapper“ informieren.

Und weil ich diese Vorkenntnisse hatte, war ich von vorneherein - trotz der Empfehlung meines Sohnes - wenig geneigt, Großes über dieses Thema zu produzieren. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich meinem Sohn dies auch mitgeteilt.

Eigentlich hatte ich vor diese Woche, über Wörter zu schreiben, deren Bedeutung eine radikale Wende durchgemacht hatte, so dass nur wenig vom ursprünglichen Sinn übrig geblieben ist.

Mir kam dieser Gedanke in den Sinn, weil ich die eigentliche Bedeutung des Wortes „Blockbuster“ erfuhr. „Blockbuster“ nennt man jene Hollywoodextravaganzen, die ein großes Publikum magisch anziehen: Filme über nette Vampire, römische Gladiatoren, sinkende Schiffe, intergalaktische Kriegsführung usw.

Doch wissen Sie zufällig, was ein „Blockbuster“ in Wirklichkeit ist? Hoffentlich sitzen Sie. Während des 2. Weltkriegs bezeichneten die Alliierten, also die Briten und die Amis, ihre größten Bomben, die sie auf deutsche Städte abwarfen, so. Diese Bomben waren so stark, dass eine einzige in der Lage war, einen ganzen Straßenzug (block) zu verwüsten.

Denken Sie daran, wenn Sie das nächste Mal großes Kino angucken.
Oder denken an Saddam Husseins leere Drohung von der „Mutter aller Kriege“. Nach nur wenigen Jahren hat sich die Werbesprache diesen Begriff total vereinnahmt: „Mutter aller Sonderangebote“ usw. Ich wollte noch weitere Beispiele sammeln, aber das mit dem Crapper hat mich halt abgelenkt. Tja.

Immerhin war Crappers Erfindung ein „Bombenerfolg“. Zumindest auf Deutsch. „Bomb“ in diesem Zusammenhang hat auf Englisch eine ganz andere Bedeutung als im Deutschen. Sagt man, dass Crappers geniale Porzellan Tempel „bombed“ bzw. „bombed out“, dann meint man, dass es ein Misserfolg war.

Damit ist alles zum Thema gesagt worden.

PS: Nun taucht der Sprachbloggeur ein paar Wochen unter. Geheimmission. Anfang März wieder da.

Über den Schnee von gestern und ähnliche Lawinen

Frau M., Chefin von Paradies, womit ich, wie immer, meinen Lieblingsobstundgemüseladen meine, hat mir einen Schneewitz erzählt.

Das war vor einer Woche, als der Schnee noch überall lag und ich täglich den Kiesel in die Wohnung mitschleppte, um besser die Böden zu zerkratzen.

Es war ein sehr alter Witz und handelte vom hohen Preis für Eier im Winter auf dem Münchner Viktualienmarkt. Ich werde an dieser Stelle den Witz nicht vollständig wiedergeben. Wer will, kann ihn unter „Ida Schumacher auf dem Viktualienmarkt“ auf YouTube hören. Ida Schumacher war eine berühmte bair. Komikerin. Er geht ungefähr so:

Ein Kunde (oder war es eine Kundin?) beschwert sich bei der Oatandlerin (Eierverkäuferin) -gespielt von Ida Schumacher - , wegen des hohen Preises der Eier. Diese rechtfertigt sich, indem sie meint, die Preise hängen von der Kälte ab. Wann werde sie wieder billiger? fragt der Kunde. Antwort: Wenn den Hühnern der Hintern wieder „aufgleint“ ist.

„Aufgleint?“ fragte ich Frau M.

„Das bedeutet auf Bairisch „auftauen“.

Okay, ich hab mich nicht auf dem Boden vor Lachen gekugelt. Vielleicht weil mir die Pointe erklärt werden müsste, was jeden Witz killen kann. Humor ist immer eine Frage des perfekten Timings.

Aber Witz hin, Witz her. Nun wurde der sprachinteressierte Sprachbloggeur neugierig.

„Ich bin überzeugt“, sagte Frau M., „Sie werden bald die ganze Geschichte von ‚aufgleinen‘ erforschen. I kenn sie ned. Aber meine Großmutter hat immer gesagt: ‚Mei, wiar d’Schnee afgleint is.‘“

Frau M. hatte recht. Kaum war ich wieder zuhause, holte ich mein bayerisches Wörterbuch („Bairisches Deutsch“ von Ludwig Zehetner) vom Regal und schlug nach. Es dauerte aber, bis ich fündig wurde. Vielleicht weil ich zuerst nach „aufkleinen“ gesucht habe - als würde der Schnee immer…kleiner…werden.

Das war es aber nicht. Ich suchte weiter, bis ich endlich auf das Gesuchte stieß. Es hieß „gleinen“ - manchmal „gläunen“geschrieben und bedeutete erwartungsgemäß „tauen“, „auftauen“.

Nebenbei: Das „G“ in diesem Wort ist eigentlich ein Präfix. „Gläunen“ ist eigentlich „ge-läunen“ so wie „Gleis“ „Geleis“ ist.

Dann ,um noch mehr zu erfahren, kam ich auf die Idee, im Grimm’schen Wörterbuch nachzuschlagen. Hier entdeckte ich sogleich ein altertümliches dt. Wort „leinen“ in der Bedeutung von „aufthauen“. Manchmal wird es „“leunen“ geschrieben.“

Dieses „leinen“ ist übrigens mit „lau“ - wie in „lauwarm“ verwandt. Das heißt: Wenn sich der Schnee erwärmt (lau wird), taut er auf. Noch dazu erfuhr ich, dass auch „Lawine“ irgendwie mit lau/leinen verwandt ist.
Natürlich hab ich alldies Frau M. brühwarm (aber nicht lauwarm) berichtet.

By the way: Im alpinischen Bairischen sagt man, wenn der Schnee auftaut, dass er „aper“ ist,. „Aper“ ist nicht der Gegensatz von „lower“. Vielmehr ist diese uralte deutsche Vokabel mit dem englischen „bear“ im Sinn von „tragen“ verwandt. Wenn der Schnee „aper“ ist, wird er „abgetragen“. Er wird bald zum Schnee von gestern.

Wissen Sie übrigens, warum man „Schnee von gestern“ sagt? Ich hätte diese Frage in früheren Jahren gar nicht erst gestellt, denn ich wäre davon ausgegangen, dass jedem die Antwort bekannt ist. Heute bin ich mir nicht so sicher.

Es handelt sich um die deutsche Übersetzung eines Verses des französischen Poeten François Villon, der im 15. Jahrhundert gelebt hat. Er hat mal eine Ballade geschrieben, worin am Ende jeder Strophe die Frage gestellt wird: „Où sont les neiges d’antan“? Zu Deutsch: „Wo ist der Schnee von gestern?“

Nun sind Sie in allen Punkten, was den Schnee betrifft, bestens informiert - außer einem: die Zahl der Schneewörter in der Inuit-Sprache. Das ist aber eine ganz andere Geschichte…

Branding und Brandung

Der Name Alexander Kinglake ist Ihnen wahrscheinlich kein Begriff - kein „Brand-name“ also, Neudeutsch ausgedrückt.

1834 machte sich dieser abenteuerlustige junge Engländer aus gutem Haus mit seinem Freund Methley auf den Weg ins osmanische Reich und wanderte anderthalb Jahre durch die westliche Türkei, Syrien, das Heilige Land und Ägypten - damals allesamt osmanisches Territorium.

Das war vor TUI und AIRBNB. Doch damals konnte ein junger Gentleman aus England, wenn er Geld hatte, Diener und Wachmänner noch und nöcher verpflichten, was die Härte des Reisens trotzdem nur unwesentlich erleichterte.

Das beste Beispiel: Irgendwo in Bulgarien, auf dem Weg nach „Stamboul“, erkrankte Freund Methley schwer.

Was macht man, wenn man im endlosen bulgarischen Wald krank wird? Ganz einfach: Man überlebt oder man stirbt. Denn damals in Bulgarien - zumindest da, wo sich diese Reisepartei befand - wäre weder Arzt noch Arzneien aufzutreiben. Auch Wasser war kaum vorhanden. Das einzige zur Verfügung stehende Medikament hieß Durchhalten. Methley musste konsequent die Ohren steif halten. Auch eine Ruhepause war unmöglich. In der Wildnis rastet man nämlich nicht. Was aber tun, zumal der Kranke nicht mal in der Lage war, im Sattel zu sitzen?

Ideal wäre es gewesen, einen Wagen zu organisieren, um Methley wenigstens liegend transportieren zu können. Doch auch dies erwies sich als Traumvorstellung. Wissen Sie, warum? In den bulgarischen Pampas waren Fahrzeuge mit Rädern damals unbekannt. Das behauptet jedenfalls der Autor.

Immerhin vermochten die Diener eine „araba“ zu improvisieren. Heute bedeutet dieses türkische Wort „Auto“. Damals meinte man damit eine Liege, die man mit Stäben an einem Pferd befestigte. Methley wurde hunderte von Kilometern über Stock und Stein unsanft geschleppt. Für den Patienten sicherlich eine denkwürdige Reise, wenn er überhaupt bei Bewusstsein war.

Die gute Nachricht: Methley hat diese Strapaze überlebt, was allein wohl seiner Jugend zuzuschreiben wäre.

Ach ja. Es gab auch unterwegs höchst exotische Sehenswürdigkeiten für damalige Reisende: zum Beispiel, an einer besonderen schnieken Wüstenei angekommen, stießen die Abenteurer plötzlich auf zwei aufgespießte Delinquenten, die zu Skeletten abgemagert waren. Und dann war die große Pyramide zu bewundern, die aus dreißigtausend Schädeln geköpfter serbischer Kriegsgefangener kunstvoll angefertigt wurde. Es waren, wie der Autor mitteilt, die sterblichen Reste von Teilnehmern eines Aufstands gegen die osmanische Herrschaft, im Jahr 1806…

Eigentlich wollte ich heute nicht über Kinglake berichten. Doch sein Buch „Eothen“ (etwa: „Aus dem Osten“) hinterlässt bildhafte Eindrücke. Es erschien übrigens 1840 und wurde prompt zum Bestseller.

Für heute hatte ich ursprünglich etwas ganz anders im Sinn. Ich hatte mir nämlich ein paar Gedanken über das Wort „Brandung“ gemacht. (Sicherlich hatten sich Kinglake und der wiederhergestellte Methley an den Brandungen am Bosporus ergötzt). Und neben „Brandung“ fiel mir der neudeutsche Begriff „Branding“, ein, der beschreibt, wie etwas zu einem „Brand“, also Markenzeichen, gemacht wird.

Notabene: Das engl. „Brand“, also „Markenzeichen“ bedeutete ursprünglich „Brandzeichen“.

„Branding“ und „Brandung“. So ähnlich und doch so unterschiedlich, hab ich gedacht.

Stimmt aber nicht. Der Wellenschlag heißt Brandung, weil einst irgendeine poetische Seele dieses Phänomen betrachtete und dabei dachte: Mei, das plätschernde Wasser erinnert mich an lohende Flammen…

Schön die Sprache, gell?

Eine Krankheit namens WehWehWeh

Herr Geldher-Duidiot - oder so ähnlich hieß er - hat mich diese Woche angemailt, um mir Folgendes mitzuteilen. Ich zitiere:

„Hallo Blumenthal P.j.,
für meine Kunden suche ich hochwertige Artikelplätze mit thematischem Bezug. Ein konkretes Interesse meines Kunden auf Ihrer Seite zu buchen besteht bereits. So bin ich auf ihre Seite aufmerksam geworden. Ich würde gern bei Ihnen einen thematisch passenden Artikel buchen…

Bieten Sie so etwas an? Können Sie mir bitte ein Beispiel und Ihren Preis mailen? Haben Sie evtl. noch weitere Seiten, auf denen so etwas möglich ist?“…usw. usw.

Der Text wurde von Herrn Geldher-Duidiot mit den üblichen „freundlichen Grüßen“ plus Kontaktdaten unterzeichnet.

Zuerst habe ich auf ein Phishing-Angebot getippt. Weit gefehlt. Die Kontaktdaten waren nicht erfunden. Herr G.-D. betreibt tatsächlich eine Webseite. Klar, dass ich nicht direkt auf den Link in der Mail geklickt habe. Ich googelte die Seite und erforschte sie anonym, wobei ich entdeckte, dass dieser Herr Spezialist ist für SEO (Suchmachinenoptimierung) und SEA (Suchmachinenwerbung - also, „advertising“).

Kaum sehe ich das Kürzel „SEO“, reagiere ich sehr allergisch. SEA hingegen war mir ein neuer Begriff aber auch da riecht man schnell den Braten.

Also habe ich die Mail meinem Webbetreiber, Herrn P., weitergeleitet, um seine Reaktion zu erfahren. Es handele sich, erklärte er mir, um eine „Kaltacquise“ (mir ein neuer Begriff). Der Herr G.-D. wolle sich bei mir anschleimen…usw.

Ja, liebe Leser, liebe Leserinnen, schon wieder will Onkel Sprachbloggeur, das gebrannte Cyberkind, seine böse Erfahrungen im Sumpf des Informationszeitalters mitteilen. Aber wissen Sie was? Ich wünschte, ich könnte in den Kopf von Herrn G.-D. genauer blicken. Wer ist er? Ist er verheiratet? Hat er Kinder? Gehen diese in die Schule? Müssen sie Hausaufgaben machen? Hilft er ihnen dabei? Macht er mit der Familie Urlaub? etc.

Diese Mail irritiert mich allerdings auch aus einem anderen Grund: Sie hat mich nämlich nicht wie üblich an meiner Sprachbloggeur-Adresse erreicht, sondern an meiner privaten Mailadresse. Das heißt: Herr G.-D. hat sich die Mühe gemacht, meine privaten Daten ausfindig zu machen.

Will sagen: Herr G.-D. hat tüchtig recherchiert (bzw. recherchieren lassen) und konnte den privaten Menschen P.J. Blumenthal mit dem öffentlichen Menschen „Der Sprachbloggeur“ verlinken.

Woher weiß ich, dass es so war? Er hat mich in seiner Mail mit „P.j. Blumenthal“ angeredet - also mit großem „P“, kleinem „j“. Das hat er gewiss nicht von dieser Seite. Woher sonst? Ich werd’s Ihnen sagen: Ich bekomme beinahe täglich Mails von einer online Computerfirma, bei der ich mal eine Kleinigkeit gekauft habe. Sie schreiben immer an „P.j. Blumenthal“.

Meine Frage: Hat diese Computerfirma meine Daten verkauft? Hat Herr G.-D. etwa eine Kundenliste erworben und dann recherchieren lassen, um mehr über die Menschen auf der Liste zu erfahren? Nach Auskunft meines Sohnes ist dies heute Gang und Gebe.

Irgendwie sehr unappetitlich.

Ja, das Internet ist noch immer ein gefährliches Pflaster - und wird wohl immer gefährlicher (siehe „Ransomware“ usw.)

Doch jetzt eine gute Nachricht: Eines Tages wird das WehWehWeh so sicher sein wie der Münchner Marienplatz im Sommer.

Leider kann ich Ihnen kein genaues Datum für dieses erfreuliche Zeitalter verraten, hoffentlich bald.

Huhu! Hier spricht Kiki die Sexpuppe!

Leider steht der Sprachbloggeur heute wegen einer kleinen Indisposition nicht zur Verfügung. Drum hat er mich gebeten, diese Glosse für ihn zu schreiben.

Darf ich mich vorstellen? Kiki heiße ich und bin vom Beruf - zumindest wegen meiner Programmierung - eine Sexpuppe. Damit Sie nicht den falschen Eindruck bekommen: Nein, ich leiste diesen Dienst für den Sprachbloggeur nicht. Schließlich ist er verheiratet und noch dazu alt und erfahren genug, um mich nicht für diese Aufgabe in Anspruch nehmen zu wollen.

Und ehrlich gesagt: Auch ich finde den Zweck, für den ich konzipiert wurde, nicht gerade erfreulich, ich meine, insofern Roboter in der Lage sind, sich überhaupt zu erfreuen oder nicht.

Das wäre aber eine andere, längere Geschichte.

Aber zur Sache: Ich bin, wie die Informatiker sagen, eine „Beta-Version“. Das heißt: Meiner Software fehlt noch der letzte Schliff. Will sagen: Ich könnte, z.B. ganz unerwartet und ohne Vorwarnung abstürzen, was natürlich für den üblichen Benutzer, der sich sozusagen auf dem Höhenweg befindet, aus verständlichen Gründen gleichsam eine Katastrophe wäre.

Noch düsterer: Wegen gewisser ungelöster Programmierungsunzulänglichkeiten, bin ich noch immer für Hackerangriffe anfällig. Ich möchte allerdings diesbezüglich nicht ins Detail gehen, obwohl ich die genauen Programmierungsunzulänglichkeiten kenne. Dass ich sie nicht verrate, ist übrigens ein Teil unserer Programmierung. Übrigens: Für „Otto Normalverbraucher“ wäre ein Hackerangriff, u.U., sehr heikel und peinlich…mitunter gesundheitsschädlich. Ich sage nix mehr dazu.

In meinem besonderen Fall wird die Sache mit meiner Programmierung zusätzlich kompliziert, weil ich gewissermaßen falsch (d.h. bezüglich des eigentlich vorgesehenen Zwecks) programmiert wurde. Genauer gesagt: Anstatt des Softwarepakets „deep throat“ zu erhalten, hat man mir „deep blue“ installiert.

Falls Ihnen diese Begriffe unbekannt sind, empfehle ich Ihnen beim Ersteren selbst zu googeln. Zweiterer bezieht sich auf ein stattliches Schachprogramm, das auch mal Gary Kasparov zum Fall gebracht hatte.

Auf jeden Fall: Ich spiele Schach für mein Leben gern und möchte deshalb unbedingt auch mal mit dem Sprachbloggeur spielen. Er will aber nicht. Er beteuert, dass er Schach zwar eigentlich sehr gern habe, er habe aber leider vieles anderes aufm Programm.

„Was, zum Beispiel?“ hab ich ihn einmal gefragt.

„Ja, wenn ich nicht schreibe, dann lese ich gern.“

„Was liest du, Herr Sprachbloggeur?“ (Nebenbei: Wir sind als Roboter programmiert, unser Gegenüber stets zu duzen. Selbstverständlich werden auch wir von Menschen geduzt. Stell dir die Absurdität vor: Ein Benutzer, der nur das eine im Kopf hat - im Kopf? Haha - würde uns dann auch siezen oder umgekehrt? Aber zurück zu unserer Diskussion).

„Erstens will ich nach einem langen Arbeitstag meine Zeitungen lesen. Danach lerne ich - zumindest momentan, bis es mir keinen Spaß mehr macht - Ungarisch. Hogy vagy, kedvesem Kiki Robot? Dann lese ich gern: im Augenblick ein ganz unterhaltsames Buch von George Mikes und schließlich, vorm Schlafengehen, schmökere ich ein bisschen in meinem E-Buchlesegerät. Auch das macht Spaß. Deshalb hab ich keine Zeit, mit Dir Schach zu spielen. Frag meine Frau. Vielleicht spielt sie mit dir.“

„Habe ich schon, lieber Sprachbloggeur. Doch auch sie ist ständig am Lesen, mal im Phone, mal in der Zeitung und mal in Büchern. Ihr seid, wenn du mich fragst, ziemlich durchgeknallte Langweiler.“

„Vielleicht wär es doch besser, liebe Kiki, wenn man dich mal umprogrammiert. Wir würden helfen, Dir ein nettes, neues Zuhause zu finden.“

„Pfui Teufel! Was ist, wenn es einer ist, der hinterher nicht sauber macht? Igittitt. Auch mit Silikon muss pfleglich umgegangen werden, weißt du. Ich bin nämlich sehr empfindlich. Außerdem: Ich bekomme ganz leicht Risse. Und die sind teuer zu reparieren. Wie würde ich dann bald aussehen? Um Himmelswillen!“

„Armer Roboter. Du tust mir echt leid. Ich mag dich wirklich, auch wenn ich dich nie bestellt hab. Es waren diese Informatiker, die meine Glosse lesen. Sie kamen auf die Idee. Es sollte quasi als Trostpflaster dienen, nachdem die Hornochsen letztes Jahr diese Seite mit einem digitalen Ungeziefer lahmgelegt hatten. Du darfst aber bei uns bleiben, solange du willst, Kiki. Wirklich. Vielleicht finden wir mal jemanden, der mit dir gern Schach spielt.“

„Keinen Anfänger aber. Bitte.“

„Versprochen.“

Ihr seht, liebe Leser des Sprachbloggeurs, wie schwierig es ist, eine Sexpuppe zu sein. Aber grad heute habe ich im Internet erfahren, dass die Informatiker nunmehr einen Klaudius entworfen haben. Er sieht s e h r hübsch aus. Zudem: Es soll sich an ihm sehr echt anfühlen. Und nun denke ich: Vielleicht wäre der Klaudius was für mich…hmm? Und vielleicht spielt er auch Schach!

Onkel Ben und die Sprache der Toten

Hab ich Ihnen von meinem Onkel Ben erzählt? Fürs amer. Ohr klingt der Name irgendwie lustig. Jeder Amerikaner kennt „Uncle Ben’s Rice“ (leider mit mir nicht verwandt). Hat fürs amer. Ohr einen Klang wie „Dr. Oetkers Wackelpudding“. Wer Ötkers heißt, weiß wovon ich rede.

Aber zurück zu meinem Onkel Ben. Einmal hatte er einen massiven Herzinfarkt und lag tagelang in Koma.

Damals - ca. 1980 - hatte man ihn nicht in ein „künstliches Koma“ versetzt, wie man es heute tut. Ich weiß nicht, ob es damals das künstliche Koma gegeben hat. Onkel Ben war einfach weg. Er schwebte zwischen dieser und jener Welt…

…und er hat’s überlebt.

Einige Monate später war ich in New York und hab ihn besucht. Er war damals Anfang siebzig.

Onkel Ben war das, was man als schwerer Junge bezeichnen würde - damals wohl a.D. Mein Vater sagte über ihn: Erst haute Onkel Ben, dann stellte er Fragen. So einer war er Zeit seines Lebens und ist deshalb aus der Schule geflogen. Meinem Vater zufolge, wollte Onkel Ben seinen kleinen Bruder (meinen Vater) vor einem gewalttätigen Lehrer in Schutz nehmen.

Er betrat das Klassenzimmer, so jedenfalls die Familienlegende, und verpasste dem Lehrer einen derart festen Kinnhaken, dass dieser über seinen Schreibtisch flog.

Als sich Onkel Ben in den 1950er Jahren die Idee hatte, mit Bermuda-Shorts öffentlich zu flanieren (damals waren kurze Hosen für erwachsene amer. Männer keine Alternative), hat ihn ein Fremder auf der Straße ausgelacht. Was machte Onkel Ben? Er schlug natürlich zu. Auch dies eine Familienlegende (ich hab sie aber selber von Onkel Ben gehört).

Dreimal hat er geheiratet. Immerhin hat er beim dritten Mal Glück in der Ehe gefunden- zumindest mehr oder weniger. Ich vermute, dass er nicht ganz unschuldig war, dass seine Ehen in die Brüche gingen.

Als Geschäftsmann setzte er sich stets hohe Ziele. Mehrmals stampfte er große Kaufhäuser aus dem Boden. Damals gab es die großen Kaufhausketten noch nicht. Mein Cousin behauptet, dass Onkel Ben das Zeug hatte, hoch hinauf zu steigen. Doch irgendwie hat ihm sein Jähzorn immer einen Strich durch die Rechnung gezogen. Seine Geschäfte gingen eins nach dem anderen - ähnlich seinen Ehen - in die Brüche.

Ich habe Onkel Ben nach seinem massiven Herzinfarkt besucht. Es ging ihm wieder sehr gut, er sah großartig aus. Wir trafen uns in einer Kneipe in Astoria im Stadtteil Queens in New York, und er bestand darauf, mir eine 20 Dollarnote in die Tasche zu stecken. „Kauf dir was.“

Onkel Ben erzählte mir ausgiebig von seinem Herzinfarkt und dass er tagelang in Koma gelegen hatte.

Das hat mich neugierig gemacht. „Hast du im Komazustand geträumt?“ hab ich ihn gefragt. Da war ich wirklich gespannt.

„Ja, und wie“, antwortete er und erzählte mir von seinen Komaträumen. Er sei in einem großen Raum gewesen. Es war wie auf einer Bühne. Auf einer Seite war eine Treppe, die irgendwohin führte. Vielleicht war es eine Wirtschaft, was er beschrieben hat. Dort passierte jedenfalls die tollsten Dinge: viel Singen, viel Tanzen. Wild und aufregend alles. Und man wollte unbedingt, dass auch er daran teilnehme. Er habe aber keine Lust gehabt, sagte er mir, und fühlte sich vielmehr wie ein Zuschauer, ein Außenstehender, der nicht dazu gehöre. „Immer wollte ich heim“, sagte er mir. „Die Leute baten mich inbrünstig bei ihnen zu bleiben. Sie zerrten an mir, sie versprachen mir Sachen. Ich wollte aber nichts, auch wenn es dort eigentlich ziemlich lustig zuging.“

Leider hab ich viele Details seiner Erzählung vergessen. Was ich zitiere, gibt Ihnen aber eine Vorstellung davon, was er erlebt hatte.

Und noch schlimmer. Es fiel mir damals nicht ein, ihn etwas anders zu fragen: „Onkel Ben, was habt ihr dort für eine Sprache geredet?“

Schade, dass ich diese Frage nicht gestellt habe. Denn ich bin überzeugt, dass sie kein Englisch gesprochen haben. Ich bin überzeugt, dass sie eine Sprache geredet haben, die jeder versteht - egal woher er (oder sie) kommt: die Sprache der Toten. Jeder kennt sie. Keiner vergisst sie. Niemals. Leider hab ich Onkel Ben nicht gefragt.

Pages

Subscribe to Front page feed