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Verkaufsgeräusche im Studierendenwerk

(Wir befinden uns im Paradies. So heißt nicht nur mein Lieblingsobstundgemüsegeschäft. Frau M. und der Sprachbloggeur unterhalten sich, während Frau M. die Clementinen auf die Waage legt.)

Sprachbloggeur: Ich wollte Ihnen über ein neues Wort berichten.

Frau M.: Ich bin ganz Ohr.

Sprachbloggeur: Ich hab es auf dem Titelblatt eines Sprachorgans einer Universität entdeckt: und zwar „Studierendenschaft“.

Frau M.: Ach du meine liebe Güte! So wird wohl auf die Gendersensibilität Rücksicht genommen. Sagen Sie: Heißt es der, die oder das Gender?

Sprachbloggeur: Migrationshintergründige können so etwas nie sicher wissen. Ich tippe aber auf „das“ Gender…weil es „das“ Genus heißt. Ich lege meine Hand aber nicht ins Feuer. Übrigens: Wissen Sie, dass es neuerdings auf Englisch keine „actresses“ mehr gibt. Ob Männlein oder Weiblein heißen sie alle miteinander „Actors“.

Frau M.: Nur eine Frage der Zeit, dann haben auch wir wahrscheinlich nur noch Schauspielende. Oder gibt es sie schon?

Sprachbloggeur: .Weiß ich nicht. Vielleicht heißen sie bereits so in der amtierenden Sprache. Bei den Bürokraten gelten gleiche Chancen ganz bestimmt für alle.

Frau M.: O je, alles wird dermaßen verhunagelt. Allmählich denk ich, dass die Studierenden, die sich auf den Schlips getreten fühlen, wenn sie ins Studentenwerk gehen, eine saftige Psychotherapie brauchen. Haben Sie gewusst: In der Stadt gibt es jetzt Radfahrende. So stand es in der Zeitung.

Sprachbloggeur: In München muss man die vielleicht Radelnde nennen.

Frau M.: Dieses Thema macht mich schier verrückt. Ich wollte Ihnen sowieso was anders erzählen. Ach ja, jetzt fällt es mir ein. Ich wollte Ihnen von einem neuen Wort erzählen, das ich selbst ausgedacht habe. Wissen Sie, Frau B. war irgendwo im Laden, aber ich habe nichts gehört. Ich meine, normalerweise hört man etwas, wenn ein anderer…

Sprachbloggeur: …Entschuldigen Sie die Unterbrechung. Muss es aber nicht „wenn eine andere“ oder bloß „andere“ heißen?

Frau M.: Jetzt möchten Sie mich wirklich konfus machen. Ich wollte bloß sagen, normalerweise hört man etwas, wenn ein anderer Mensch im Laden ist. Darf ich hier „Mensch“ sagen?

Sprachbloggeur: Meinetwegen dürfen Sie. Fragen Sie lieber die Studierenden.

Frau M.: Jedenfalls, plötzlich hatte ich Angst, dass ihr was passiert ist, dass sie vielleicht irgendwo unterm Tisch liegt, wissen Sie. Ich hab dann nach ihr gerufen, und sie hat geantwortet. Mei war ich erleichtert. Und ich sagte ihr, „Weißt du, normalerweise hört man Verkaufsgeräusche, wenn ein anderer im Laden ist“, und wir haben beide richtig gelacht. Dann ist es mir eingefallen, dass ich gerade das Wort „Verkaufsgeräusche“ erfunden hatte. Ist das nicht ein schönes Wort?

Sprachbloggeur: Ich finde es ausgezeichnet. Ich bin überzeugt, dass Sie damit viele Sprachwissenschaffende eine Freude gemacht haben.

Frau M.: Ach, ich möchte nix mehr über das Thema hören. Achthundert Gramm Clementinen. Mei, so viele Clementinen kaufen Sie normalerweise nicht. Oder?

Sprachbloggeur: Heute wollte ich eigene Verkaufsgeräusche machen.

Machen Videos dumm?

Hallo Stranger, hallo Freunde und Bekannte. Glück gehabt. Sie sind beim Sprachbloggeur gelandet. Glück gehabt, weil Sie, wenn Sie den Sprachbloggeur besuchen, nach Belieben lesen, überspringen, querlesen oder gar ausklinken können.

Blipp! Gedankeneinschub: Stellen Sie sich vor: Nun läuft ein Video des oben Gesagten. Sie sehen den Herrn Sprachbloggeur, anstatt ihn zu lesen. O Gott! Sieht er nicht schön aus! Eine Frage aber: Was dauert länger: das Ansehen oder das Lesen obigen Absatzes?

Antwort: das Ansehen, of course!

Und jetzt ein Fakt für jede Cocktail-Party-Unterhaltung: Die Fähigkeit zu lesen hat Sie in die Lage versetzt, logische Gedanken zu formulieren. Im ernst. Das Lesen-lernen tut nämlich etwas im Hirn. Wenn Sie Zeichen als Sprache zu erfassen lernen, werden Sie als Beigabe automatisch im logischen Denken geschult. Notabene: Das Wort „lesen“ bedeutete ursprünglich „aussuchen“, „entscheiden“, „herauspicken“, „aufnehmen“ usw. Und genau das ist das Lesen. Sie sind auch dabei zu entscheiden, wie viel Text Sie aushalten.

Hier ein Beispiel aus dem Reich des logischen Denkens: 1.) Alle Säugetiere haben vier Beine. 2.) Der Hund ist ein Säugetier. 3.) Der Hund hat also vier Beine. Das nennt man seit Aristoteles einen „Syllogismus“. Klingt einfach, aber nur Menschen, die lesen, verstehen diese Logik.

Das Gegenteil von „logisch“ heißt „mythologisch“. „Mythos“ und „Mund“ sind verwandt. Schriftlose Kulturen sind mythologisch.

Die Menschheit liest seit ca. 5000 Jahren. Am Anfang dienten Schriftzeichen nur der Buchhaltung. Irgendwann stellte man aber fest: Man kann anhand von Zeichen die ganze Sprache erfassen, Zeichen also als Symbole für Laute. Was man schreibt, wird festgehalten. Schreibt man, was gestern passiert ist, hat man einen historischen Text verfasst. Schreibt man schöne Lieder auf, hat man die Literatur erfunden usw.

Ohne Schrift muss man sich auf das eigene Gedächtnis verlassen, was selten, wie jeder weiß, zuverlässig ist. Denken Sie an „Stille Post“.

Grund fürs heutige Schwadronieren: die Videos! Neuerdings wollte ich bei CNN eine Story lesen. Prompt erschien neben dem Text ein Video auf dem Schirm. Ich hatte nun die Wahl: Video oder Text. Der Inhalt des Videos war zwar dem Text ähnlich. Es gab aber Unterschiede. Man geizte nämlich mit manchen Details.

Endlich hab ich verstanden: Wenn ich lese, kann ich eine Story detailliert verfolgen oder überfliegen. Bei einem Video werde ich zum Gefangenen der Zeit.

„Speed-Reading“ kann man lernen, aber „Speed-Videoanschauen“ gibt es nicht. Man kann zwar irgendwie mittels eines virtuellen Schiebers vorspulen. Das ist aber sehr unzuverlässig. Das Querlesen ist allemal effizienter.

Noch wichtiger: Das Hirn wird beim Videoanschauen weniger strapaziert als beim Lesen.

Stellen Sie sich vor. Sie hätten diesen Text nicht gelesen, sondern mit hübschen Bildern nur angeglotzt. Sie wären längst nicht so schnell fertig wie jetzt der Fall…auch wenn Sie den Text nicht überflogen hätten. Über Videos fliegen nur Vögel.

Ende der Vorlesung.

PS: Auch Spiegel-Online ist mit von der Partie...

Mit Dante in der Fahrraddiebehölle

Dante: Buona sera, caro Sprachbloggeuro.

Sprachbloggeur: Dante? Sind Sie es?

Dante: Si, amico mio, sono io. Sono qui per aiutarle.

Sprachbloggeur: Sie sind da, um mir zu helfen, sagen Sie? Aber wozu helfen? Ich meine, ich weiß, dass ich manchmal einen ziemlich hilflosen Eindruck mache, weil ich eben doch mal hilflos bin, aber dass ich momentan Hilfe brauche…das hab nicht einmal ich gewusst! Aber bevor Sie weiter erzählen, vielleicht sollten Sie zuerst unseren Lesern und Leserinnen ein wenig helfen. Ich meine: Es kann sein, dass viele kein Italienisch verstehen. Sie sind bestimmt sprachgewandt genug, um das Deutsch des frühen dritten Jahrtausends zu parlieren. Oder?

Dante: Na klar. Die Toten sprechen - und verstehen - alle Sprachen.

Sprachbloggeur: Und wie möchten Sie mir helfen?

Dante: Gentile Signor Sprachbloggeuro, ich möchte, dass Sie mich in die Hölle begleiten, aber nur kurz. Sie sollen nämlich die Fahrraddiebe kennenlernen.

Sprachbloggeur: Die Fahrraddiebe? Wie kommen Sie darauf?

Dante: Weil ich weiß, dass Sie sich neulich ein schönes Fahrrad gekauft haben und dass Sie sich nun Sorgen machen, weil Sie meinen, Fahrraddiebe überall lauern und darauf warten, Ihr Radl zu klauen. Denn Sie wissen, dass diese Leute in der Lage sind, auch die besten Schlösser zu knacken.

Sprachbloggeur: So viel wissen Sie über mich? Ich bin baff.

Dante: Schriftsteller - es sei denn sie sind eitel - helfen Kollegen immer gerne. Schließlich sind wir alle Mitglieder derselben Gewerkschaft.

Sprachbloggeur: Aber wie kommen wir in die Hölle? Ist sie nicht ganz weit weg?

Dante: Aber woher. Sie ist immer näher als man denkt. Kommen Sie, nehm Sie mich an die Hand. Augen zu, und jetzt, auf geht’s! Peng!

Sprachbloggeur: He! Wir sind schon da! Alles ist so dunkel rundherum, und es stinkt so…höllisch! Pfui! Maestro, wer sind diese Typen da - und ich meine Typen, weil es kaum Frauen gibt - ach da ist doch eine, nein zwei…drei! Sie sitzen alle auf Fahrrädern - aber hinten rum mit dem Rücken zum Lenker. Ach ja, jetzt seh ich. Immerhin ist der Sattel richtig nach hinten eingestellt. Sie strampeln, wie verrückt - als würden sie sich ein Wettrennen liefern. Und was ist das? Da langen sie nach etwas und zack! Sie stürzen vom Rad. Was soll das? Ja, und die Räder stehen auf feinkörnigem Sand und sind ständig am Rutschen - ohne vorwärts noch rückwärts weiter zu kommen.

Dante: Das, lieber Sprachbloggeuro, sind einfache Diebe. man nennt sie, glaub ich, „Gelegenheitsdiebe“. Es sind Leute, die inzwischen kapiert haben, wo sie gelandet sind und nun versuchen sie, die Räder der Zeit zurückzudrehen - was natürlich nicht klappen kann.

Sprachbloggeur: Aber wonach langen sie?

Dante: Nach dem Lenkrad, Carissimo mio! Die Idioten merken nicht, dass sie verkehrt rum auf dem Rad sitzen. Nur so viel wissen sie noch: dass sie eine Lenkstange brauchen, um steuern zu können. Also stürzen sie vom Rad und müssen jedesmal neu anfangen.

Sprachbloggeur: Kann man ihnen nicht helfen?

Dante: Ihr, die ihr hier eintretet, lasst alle Hoffnung fahren!

Sprachbloggeur: Und sagen Sie, lieber Maestro, wer sind diese Leute da drüben in jenem finsteren See? Man sieht nur noch die Haare, die Stirn und die Augen. Sonst stehen sie unter Wasser. Es sind Tausende von Ihnen - so weit das Auge sehen kann! Ja, und man nimmt auf der Wasseroberfläche Luftblasen wahr und hört ein grauenvolles Blubbern. Beinahe höre ich meine eigene Stimme nicht mehr, so laut ist der Lärm. Und es riecht so übel! Gäääch!

Dante: Fürwahr, manche Sünden stinken besonders. Diese Leute klauten Fahrräder in großem Stil für die Fahrradmafias. Es sind alle geschickte Handwerker. Sie können jedes Schloss knacken, egal wie raffiniert es konstruiert ist. Dann transportieren sie die Räder zu einer riesigen Containeranlage, wo diese ins Ausland ausgeschaffen werden. Was Sie nicht sehen, Caro mio, ist dass man ihnen Ketten gelegt hat. Aber: Sie haben immer noch ihr Werkzeug dabei, um jedes Schloss zu knacken. Doch das hilft nicht mehr. Denn jedesmal, wenn sie ein Schloss knacken, schnappt es gleich wieder zu. Und weil sie unter Wasser so schlecht sehen, kommt es manchmal vor, dass sie sich die eigenen Beine durchsägen, durchschneiden oder durchbohren. Aber keine Sorge, die Wunden heilen wieder, stinken aber fürchterlich. Und weil sie sich damit beschäftigen, auf ihre Wunden zu pusten, wird der Gestank in den Luftblasen hochgetrieben.

Sprachbloggeur: Und wo sind die großen Mafiosi. Ich meine die Hintermänner?

Dante: Diese sieht man nie in ganzem Format - lediglich ihre Zehenspitzen. Da! Gegenüber! Schauen Sie genau hin!

Sprachbloggeur: Mensch! Da stinkt es noch fieser als bei den anderen. Was tun die da?

Dante: Sie fristen ihre Zeit - bzw. Zeitlosigkeit - tief in der Scheiße. Das wissen sie aber nicht. Im Übrigen können sie nur auf den Händen gehen. Sie verbringen ihre Zeit damit, in der Finsternis nach ihren Reichtümern zu suchen…

Als Ibims auf Gammelfleischparty traf

Ibims: Und wie heißt du?

Gammelfleischparty: Ich heiße Gammelfleischparty.

Ibims: Gammelfleischparty. Igitt, das klingt echt harsch. Woher hast du so nen komischen Namen? Bist du Bootpöbel?

Gammelfleischparty: Ne, bin Gelsenkirchener, und du? Hast du nen Namen?

Ibims: Und wie.(mit Stolz) Ibims! (Pause) Sagt dir das nichts? Kennst den Namen etwa nicht? Du schaust so skeptisch daher.

Gammelfleischparty: Sorry, Kumpel, kenn dich leider nicht. Bist nicht aus Gelsenkirchen, oder?

Ibims: Ich? Nee. Eigentlich bin ich Münchner, aber mein Vater kommt aus Frankfurt und meine Mutter aus Kleve. Kennst du Kleve?

Gammelfleischparty: Nee, nur kleveleicht. Und woher soll ich deinen Namen kennen? Hast vielleicht nen Anschlag für den IS verübt?

Ibims: Nein, Doofus. Sag mal, liest du keine Zeitungen oder so?

Gammelfleischparty: Wie soll ich denn Zeitungen lesen? Ich maloche den ganzen Tag. Ich seh. Du bist noch Student…oder bist Studierender, du Arschfaxträger, und kriegst deine Kohle von Herrn Frankfurt und Frau Kleveleicht?

Ibims: He, Mann, spielst den Besserdisser vor oder was? Bist wohl Lappengildeheini. Oder tust auf Innung oder bist bloß so ein Pimmelkopf?

Gammelfleischparty: He Atze, sprich halt Deutsch oder redet ihr alle so in München? Surfst du ego mit mir?

Ibims: Versteh nicht.

Gammelfleischparty: Ich merke, du bist emotional sehr flexibel, ein echter Hochleistungschiller.

Ibims: Ja, Innung, Innung, und niemand kehrt. Gell? Das ist bestimmt die Story deines Lebens.

Gammelfleischparty: Sag mal, Sagt dir mein Name gar nichts?

Ibims: Wie soll ich ihn kenne, bist vom Squad, oder was?

Gammelfleischparty: Hör mal, du Halbatze, falls deine Birne nicht blingo ist: Ich war das Jugendwort des Jahres 2008. Und was hast du zu melden, du Datenzäpfchen?

Ibims: Das gibt’s nicht! Im Ernst?

Gammelfleischparty: Was schmatzt du? Hast du Hardwareprobleme?

Ibims: Selber. He, Kumpel, du bist übelst Schloß Neuschwanstein, weißt du, auch wenn du affig aussiehst. Ich bin nämlich das Jugendwort des Jahres 2017.

Gammelfleischparty: Echt? Was du nicht sagst. Aber noch ein bisschen unterhopft. Brauchst vielleicht deine Stockente, und dann bist fit, Atze.

Ibims: He, wie wäre es mit ner Pizza. Ich kenn so nen Laden. Mmm. Schmeckt da schmackofatzo.

Gammelfleischparty: Komm gleich mit. Muss erst in die Pisseria.

Das Duzen: Gefahren und Nebenwirkungen

1.) Von L. folgende beunruhigende Nachricht: Bei ihr in der Firma ist das Psychocoaching (Stichwort: „Teamarbeit“) neulich eingerückt. Ein paar Tage nach dem verhängnisvollen Einzug, sprach der Geschäftsführer das „Team“ an und bat jede/n Mitarbeiter/in das Du an.

Denkanstoß: Darf man „Nein, danke“ sagen, wenn der Chef das Du anbietet?

Nach einer weiteren Woche wurde eine Mitarbeiterversammlung anberaumt. So eine Versammlung findet üblicherweise entweder vor dem Weihnachtsfest statt, um gute Laune zu verbreiten oder wenn etwas Unangenehmes bevorsteht: etwa schlechte Verkaufszahlen und die Notwendigkeit, Arbeitsplätze oder Gehaltserhöhungen zu streichen.

Diesmal aber war‘s anders: Ein energischer Psychocoach wollte die Belegschaft fürs neue Firmenkredo einstimmen - nach dem Motto „Kreativität“ und „Flexibilität“. Fortan sollten sich alle duzen, tat er kund, vom Hausmeister bis zu den Chefs.

Es folgten nun Auflockerungsübungen: aufstehen , Arme über den Kopf weit weit weit in die Höhe strecken, dann vor sich halten und weit weit weit nach vorne strecken. Dann Kreise mit den Schultern machen. „Entspannt Euch!“ trillerte er. “Spürt den eigenen Körper!“ usw.

Schließlich sollten sich alle Teilnehmer in vierer Gruppen einteilen, und zwar mit folgender Aufgabe: sich auf eine Zahl zwischen eins und neun zu einigen. Jeder durfte triftige Argumente vortragen, um von seiner/ihrer Lieblingszahl zu überzeugen.

L. geriet in eine kleine Gruppe aus der Chefetage. Auch der Geschäftsführer war mit von der Partie. Das ist passiert, weil sie nicht gut sieht und in der ersten Reihe saß - neben den Bonzen also.

In dieser kleinen Runde machte der Geschäftsführer als erster einen Vorschlag. Als Chef musste er wohl die Initiative nehmen. Er möge die sieben, meinte er. „Oder möchte jemand eine andere Zahl in die Runde bringen?“ fragte er.

Es herrschte Stillschweigen. Alle schauten sich ein bisschen gschamig an, als hätten sie entdeckt, dass sie nackt waren. Die sieben hatte also leichtes Spiel.

2.) Diese Mitteilung von L. erweckte in mir eine Erinnerung. Wir schreiben das Jahr 1996. Wir, d.h. meine Familie u. ich, leben in Portland, Maine, in den USA, ich arbeite allerdings weiterhin bei einer deutschen Zeitschrift. Man erklärt mich zum „Auslandskorrespondenten“.

Ein neuer Chefredakteur nahm damals die Zügel in die Hand. Ich kannte ihn kaum, und damals war das Mailen noch sehr exotisch. Manchmal telefonierten wir miteinander.

Während eines solchen Gesprächs sagte er mir auf einmal Folgendes: „Sollen wir uns nicht lieber ‚buh‘ sagen?“

Es war Herbst, genauer gesagt, die Halloweenzeit. (Nebenbei: in Portland feiert man das echte Halloween - nicht den ungelenken Import, der sich in Deutschland mit ach und krach etabliert hat). Von daher meinte ich, er mache einen Halloweenwitz: „Buh!“ - wie ein Gespenst.

„Buh?“ fragte ich ahnungslos.

„Ja, buh“.

„Ich versteh nicht“, räumte ich endlich ein. „Wieso ‚buh‘?“

Ja, liebe Leser, Sie ahnen schon. Er wollte mir das „Du“ anbieten. Hab ich natürlich, als ich’s endlich kapiert hab, - mit Vorbehalt - auch angenommen.

Ab dann wurde allgemein geduzt. Alle haben sich in der Redaktion geduzt - der Kreativität und der Flexibilität zuliebe. Zehn Jahre später bekamen wir einen neuen Verlagsleiter. Er sagte mir, als er mich zum ersten Mal kennenlernte (wir lebten längst wieder in Deutschland): „Ach, Sie sind Herr Blumenthal!“

Ich reichte ihm die Hand und lächelte freundlich.

Sie verdienen zu viel.“

Anfang des Endes. Fünf Jahre sägten die Chefs (Mehrzahl) unerbittlich an meinem Stuhl. Mit Ausnahme des Verlagsleiters haben mich alle bis zum bitteren Ende geduzt. Der Verlagsleiter bekommt hier einen großen Lob: Er war zwar ein Arsch, dafür aber stets ehrlich und konsequent.

Verstehen Sie „Frings“?

Die Nase voll von reuigen entlarvten Vergewaltigern? Und von Opfern, die das Übel aus der Tiefkühltruhe der Erinnerungen erst jetzt auftauen lassen? Keine Lust mehr über Flüchtlinge, über die Willkommenskultur, übers biologische Deutschtum zu debattieren? Kein Bock auf „Jamaika“ oder „Jamaica“? Und wie wär es mit etwas Pest? Frisch aus Madagaskar.

Wenn zu den obigen Fragen das „Ja“ des Desinteresses überwiegt, dann sind Sie bei mir richtig. Denn heute bekommen Sie vom Sprachbloggeur nur Triviales, sehr triviales.

Heute wenden wir uns dem/der/den „Frings“ zu.

„Frings“? Noch nie gehört?

Ich auch nicht… bis heute…bis ich den Titel einer Beilage der „Süddeutschen Zeitung“ im Wohnzimmer erspähte.

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich lese obige Zeitung so gut wie nie. Das Abo hat meine Frau. Aber die Zeitung ist immerdar immer da.
Heute fiel mir, als ich am Sofa vorüberhuschte, das Wort „Frings“ ins Auge. Zunächst hab ich’s falscherweise als das englische „fringe“ („Rand“, „Franse“ usw.) registriert. Eine Beilage mit dem Namen „Rand“? Sehr ungewöhnlich, hab ich gedacht. Aber vielleicht handelt es von Randthemen … etwa von der Zahl der noch lebenden weißer Haie oder vom Wahrnehmungsvermögen eines Autisten oder den vorzeitlichen Wäldern der Antarktis oder der Struktur von Schmeißfliegenaugen usw.

Doch dann guckte ich etwas genauer und erkannte, dass der Titel der Beilage nicht „Fringe“, sondern „Frings“ lautet.

Frings? Komisches Wort, aber was bedeutet es? Erste Vermutung: Es handelt sich um ein Kofferwort (Englisch „portmanteau“), um einen Neologismus also, der aus der Verschmelzung zweier Wörter geformt wird wie zum Beispiel „Denglisch“ aus „deutsch“ + „englisch“ oder „Agitprop“ aus „Agitation“ und „Propaganda“. Für „Frings“ stellte ich mir „free things“ vor.

Warum nicht? Wär eine coole Idee für ein junges Publikum, das noch dran glaubt, man kann etwas umsonst bekommt.

Ich nahm die Beilage in die Hand und begutachtete sie. Flottes Design, konstatierte ich, auch wenn das Papier billig ist, Zeitungspapier halt. Dann sprang mir das Kleingedruckte ins Gesicht. Es hieß: „das misereor magazin“ (klein geschrieben). Aha! „Frings“ ist - kaum zu fassen - ein Infoblatt des Bischöflichen Hilfwerks der katholischen Kirche. Ich erinnerte mich dann, dass dieses Blatt früher tatsächlich „Misereor“, lateinisch für „ich fühle mit“, „ich habe Mitleid“, hieß.

Schöner Einfall, hab ich gedacht. Wer will eine Zeitschrift namens „Misereor“ lesen? Jeder denkt an „Misere“. Und mal ehrlich: Wer liest gern über die Miseren anderer, es sei denn diese geil machen, wie die am Anfang dieses Textes erwähnten?

So weit, so gut. Aber „Frings“?

Nun hab ich „Frings“ gegoogelt und stieß prompt auf Torsten Frings, einen ex-Fußballer und nunmehr Trainer. Ich fand aber keine Verknüpfung zu besagter Beilage.

Also googelte ich weiter. Diesmal „Misereor“ und war sofort fündig. Auf dieser Webseite war eine Abbildung des Beilage-Covers zu sehen. Warum das Blatt „Frings“ hieß, konnte ich aber nirgends entdecken, lediglich das Bild einer freundlich aussehenden Dame. Neben ihr das Wort „Fragen?“ und eine Telefonnummer. Selbstverständlich rief ich an. Das Telefon klingelte…und klingelte…und klinglete… und klingelte. Keine(r) ging ran. Nach 56 Sekunden legte ich ein.

Beinahe hätte ich meine Suche aufzugeben, doch dann klickte ich nur noch zum Spaß auf eine irgendwie nixsagende Misereor-Seite und stellte fest, dass ich vor mir eine mehrseitige Rede von einem gewissen Joseph Kardinal Frings hatte, die er im August 1958 in Fulda vor der Vollversammlung der deutschen Bischöfe anlässlich der Gründung von MISEREOR gehalten hatte.
Aha! Frings war ein Kardinal. Und man kam auf die Idee, eine Zeitschrift nach ihm zu nennen. Wer hätte gedacht…

Jetzt bin ich überzeugt, dass Frings allemal schöner klingt als Misereor und sonstige Miseren.

Sexfantasie (zu kaufen aber nicht billig)

Hi Darling, ich könnte deine Vergnügungspuppe sein. Ja, deine höchstpersönliche…

Vielleicht kennst du mich bereits. Über mich wird nämlich viel geschrieben. Und bald könntest du mich noch besser kennenlernen. Blitzpost© macht es möglich. Und du bekommst mich, wie du sicherlich schon weißt, in verschiedenen Größen, Farben, Teints und - ja - Geschlechtsrichtungen. Die Möglichkeiten kennen beinahe keine Grenzen.

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Jeder kennt den Begriff „safe sex“ - ist schon ne olle Kamele. Mit mir hast du es aber noch safer, und mit höchster Qualität dazu.

Bedenke: Seitdem die sog. „zwischenmenschliche Intimität“ ohne Vertrag, ohne Videobeweisaufnahme und ohne Audiobestätigung kaum mehr möglich ist (ja, ich weiß, die Illegalen sind noch nicht verschwunden), bin ich unter dem Strich bei weitem die bessere Lösung.

Und nicht zu vergessen: Unsere neue Reihe ist, wie du mutmaßlich schon gehört hast, unschlagbar. Die Konkurrenz - gibt es sie noch? - haben wir längst hinter uns gelassen. Alle einschlägige Tests und abertausende von Bewertungen beweisen unsere unüberholbare Überlegenheit.

Maßgeblich für diesen Erfolg ist selbstverständlich unsere neue VR-Brille, „See-All-Be-All“©, die als unverzichtbare Ergänzung zum Körperlichen das ultimative Erleben garantiert. Es gibt zwar Nachahmer, aber die virtuelle Realität, die wir anbieten, lässt die Konkurrenz weit zurück.

Ja, Darling, das audio-visuelle Erlebnis in Kombination mit dem verbesserten Silikon-X©-Gefühl unseres taktilen Second-Skin© ist nirgends übertroffen worden. Nicht von ungefähr ist, wie man tuschelt, unsere Forschungsabteilung längst Nobelpreisverdächtig.

Auch sprachlich müssen wir uns nicht schämen. Unsere AI ist mittlerweile so weit fortgeschritten, dass wir jede Sprache und auch jede Sprachenuance beherrschen. Möchtest du einen/eine Partner/in, der/die nur über ungenügende Sprachkenntnisse verfügt? So sind wir in der Lage auch dies zu bewerkstelligen. Soll sich dein Gegenüber fundiert, aufgeblasen oder langweilig über Literatur, Mathematik, Physik, Chemie usw.…oder gar die Kochkunst unterhalten, so findest du bei uns stets die richtige Mischung.

Im Zeitalter der Unberührbarkeit, sind wir die edelsten unter den Multimedia-Berührbaren!

Klar sind wir nicht billig. Doch Qualität hat immer ihren Preis. Zudem kannst du mit unserer weltbekannten zwanzigjährigen Keine-Ausrede-Garantie© rechnen. Diese kann dir kein anderer Hersteller bieten.

Und was passiert, wenn im Lauf der Zeit dein Geschmack gewandelt hat? Auch dazu tragen wir mit unserem Hin-und-her-Programm© Rechnung! Das heißt: Neue Software, neu Äußerlichkeit… wer es haben will: sogar neue Geschlechtsrichtung!

Einsamkeit ade! Qualität herein!

Dich, suche ich, Darling, und mich suchst du.

Heute bestellen, morgen schon da. Gegen einen kleinen Aufpreis ist auch via Blitzpost©.

Und mit unserem neuen OS 17 war der Genuss nie so…Hautnah! Schaut nahe!

Oder? Wird’s in 10-20 Jahren doch so aussehen? Vielleicht eher. Beinahe ist die Technologie so weit. Was man sich vorstellt, kann auch werden.

Ach ja: Das andere Extrem heißt Prüderie: Beispiel Indonesien, Saudi Arabien, Iran usw. Ohnehin die besten Märkte für Sexpuppen…

Gedankenlesen schnell beigebracht

1907 veröffentlichte eine Frau, die sich B.B.E. nannte, in der Zeitschrift „Century“ einen Bericht über ihren Spaniel Roger.

Sie erzählte, wie sie ihm das Erkennen von Spielkaraten beigebracht habe. Zunächst hatte sie mehrmals auf eine bestimmte Spielkarte gezeigt, wobei sie jedes Mal den Namen der Karte artikulierte. Roger musste diese dann apportieren und bekam eine kleine Belohnung dafür.

Später machte sie die Übung komplizierter. Sie verteilte mehrere Spielkarten auf dem Fußboden und verlangte eine von ihnen. Prompt richtete Roger die Schnauze auf diese und apportierte sie.

B.B.E. brachte dem Hund auf ähnliche Art und Weise den Umgang mit Buchstaben und Zahlen bei.

Roger konnte offenbar einige Wörter, darunter auch den eigenen Namen, buchstabieren und einfache Rechenaufgaben lösen.

Doch als B.B.E. eines Tages den genialen Hund danach fragte, wie viel zwei mal drei seien, während ihre Aufmerksamkeit auf die acht gelenkt war, apportierte Roger mit wedelndem Schwanz die acht.

B.B.E. war danach überzeugt, dass Roger wohl kein Genie war. Er habe nur eins beherrscht: die Fähigkeit, das zu erkennen, worauf das Augenmerk seines Frauchens gerichtet war.

Obiger Anekdote fehlen zwar die Anführungszeichen. Es handelt sich aber um ein Zitat - und jetzt ein wenig Selbstwerbung - aus meinen Buch „Kaspar Hausers Geschwister - auf der Suche nach dem wilden Menschen“, einer ausführlichen Abhandlung über das Phänomen des homo ferus. Das Buch wird im Januar 2018 in einer neuen, gründlich überarbeitet und aktualisierten Ausgabe beim Franz Steiner Verlag erscheinen.

Ende des Werbebanners.

Ich weiß nicht, ob der „kluge Hans“ immer noch als Begriff geläufig ist. Dieses Pferd hat vor dem Ersten Weltkrieg ganz Berlin unterhalten und erfreut. Der Schulmeister Wilhelm von Osten, Besitzer des Hansens, war fest überzeugt, dass sein schlaues Pferd einfache Rechenaufgaben lösen konnte. „Hans, wie viel sind sechs plus sieben?“ Mit scheuem Pferdeblick klopfte Hans mit dem Vorderhuf so lange, bis er die Zahl dreizehn erreicht hatte. Alle staunten… bis eines Tages der kluge Psychologe Oskar Pfungst beobachtete, dass von Osten - zugegeben ohne Arglist - das Hufklopfen seines Pferdes mittels klitzekleiner Bewegungen stets mitzählte. Kaum hatte von Osten mit dem Mitzählen aufgehört, stellte auch Hans das Klopfen ein. Hans war also kein Mathematiker, sondern ein Nachklopfer.

Mir fielen obige Beispiele nur deshalb ein, weil ich in der Schweizer “Weltwoche“ auf einen Artikel über den Mentalisten - zu Deutsch „Gedankenleser“ - Tobias Heinemann gestoßen bin. Heinemann tritt im Theater und im TV auf und setzt sein Publikum mühelos ins Staunen. Denn er kann Ihren PIN-Code erraten, er weiß, was Sie im Supermarkt zu kaufen vorhaben, im Handumdrehen sagt er, in welcher Hand Sie eine Münze versteckt halten etc. Eine nützliche Fähigkeit, vor allem wenn Sie ein Girokonto ausräumen oder Ihren Mitmenschen sonst irgendwie übers Ohr hauen möchten.

Heinemann beteuert, dass er über keine übersinnlichen Fähigkeiten verfügt. Alles, was er macht, sei erlernbar. Er hat sogar in einem neuen, eigenen Buch aus dem Nähkästchen geplaudert.

Soll ich Ihnen verraten, wie er es schafft, anderen Menschen ihre Gedanken, ihre Geheimnissen und ihre PIN-Codes zu entlocken?

Die Antwort ist - so Heinemann selbst - täuschend einfach. Manchmal stellt er scheinbar unschuldige Fangfragen, die das Gegenüber dazu bringt, durch Körpersprachesignale etwas zu verraten. Manchmal beobachtet er diese Signale ohne etwas zu erfragen. Man muss nur wissen, wie die Signale aussehen.

Er verwendet also die gleiche Technik wie Roger und der kluge Hans es taten.

Hallo Fake-news-isten! Wir haben jetzt den Dreh raus. Künftig schauen wir einfach auf eure Signale.

Sex Stories und ein 50$ Kleid

Erste Anekdote: V. war damals 17 und ich 22. Wir hatten uns erst kennengelernt.

Eines Abends saßen wir im Café und unterhielten uns. Was heißt unterhalten? Ich habe mit einem Ohr zugehört, und sie hat endlos weitergeplappert. Was heißt weiterplappern? Sie redete, ohne aufhören zu können - keine Ahnung, worüber.

Auf Englisch heißt das „verbal diarrhea“, Durchfall des Mundwerks.

Wissen Sie, was ich machte? Ich sagte: „Kannst du nicht kurz den Mund halten? Du bist so schön, wenn du schweigst.“

Ja, das hab ich gesagt. Heute wäre dieser Satz - zumindest im Abendland - nicht mehr möglich…vielleicht mit Recht.

Und wissen Sie, was sie machte? Sie schwieg! Sie schaute mich verblüfft an und schwieg.

Das war der Anfang einer intensiven Liebesgeschichte. Sie hielt vier Jahre. Es waren leidenschaftliche aber auch schmerzliche Jahre. V. reifte immer mehr heran und wurde immer schöner, und ich machte Dummheiten …

Ja, eine typische Liebesgeschichte aus der Jugendzeit und aus der Literatur.

Zweite Anekdote: Einmal lechzte V. nach einem hübschen Kleid, das aber 50$ kostete, damals sehr viel Geld. Wissen Sie, wie sie an die 50$ kam?

In unserer Kleinstadt lebte ein reicher junger Mann, der pflegte, Frauen 50$ zu schenken, wenn sie mit ihm ins Bett gingen. Man musste in nicht einmal küssen. Eine „Freundin“ V.s hat nun einen „Termin“ vermittelt, und V. ging mit ihm ins Bett. Mir hat diese Lösung nicht gefallen, auch wenn sie ihn nicht küssen musste. Ich sagte aber nix, weil sie sich so sehr nach dem Kleid gesehnt hatte, und ich hätte es ihr nicht schenken können.

Sie bekam ihr Kleid, und wir fühlten uns beide elend, zumindest eine Zeitlang.

Nun hab ich zwei Anekdoten erzählt. In der ersten trete ich auf wie ein Macho der alten Schule. In der zweiten kommt ein Mensch vor, der regelmäßig Intimes gegen Bar kauft. Vielleicht hieß er Harvey. Ich kann mich heute nicht mehr erinnern. Es handelt sich hier jedenfalls nicht um eine Vergewaltigung. V. hat sich vielmehr selbst vergewaltigt.

Als Harvey W. neulich zum Medienliebling wurde, fielen mir obige Anekdoten ein.

Damit wir uns nicht missverstehen: Ich halte jegliche Vergewaltigung für ein widerwertiges Verbrechen. Im Fall H.W. frag ich mich aber, warum es so lange gedauert hat, bis die von W. vergewaltigten Frauen an in die Öffentlichkeit gewendet haben oder warum sie ihn nicht gleich angezeigt hatten. Schließlich ist eine Vergewaltigung auch in den USA ein Verbrechen. So unbeliebt ist der Begriff „rape“, dass man das „Rapsöl“, Englisch „Rape seed oil“, in „canola oil“ umbenannt hat.

Oder haben die meisten Frauen, die von H.W. bedrängt wurden, nur deshalb von einer Anzeige absahen, weil sie sich, wie einst V., ein 50$-Kleid
wünschten?

Ich weiß es nicht.

Ich denke nur: Manche Geschichten haben auch Grautöne. Für die Medien aber sind Schwarz und Weiß die Lieblingsfarben. Ich, zum Beispiel, in den Jahren mit V. hab eine Zeitlang gekellnert. Manchmal hab ich es schwulen Gästen erlaubt, mir am Hintern kurz zu tätscheln. Denn ich wusste, es springt dann, da ich nicht gerade wie der Glöckner von Notre Dame aussah, ein gutes Trinkgeld. Heute weiß ich: Ja, me too.

Von Prostatamassagen, Katalonien…und dem Zufall

Fangen wir erst mit der Prostatamassage an. Darüber habe ich jüngst in Bento, der „lifestyle“ Sparte von Spiegel-Online („SPON“), erfahren. Männer, gebt acht: Hier geht es um neue Höhen des männlichen sexuellen Erlebnisses, Höhen, die ich leider nicht bestätigen kann.

Genauer gesagt: Der Leser/die Leserin wird vom Bento-Autor (hab den Namen leider vergessen) angewiesen, wie man das walnusgroße Organ namens Prostata in ein Spielzeug der Gelüste verwandelt.

Da ich’s nicht ausprobiert hab, kann ich den erstaunlichen Lustgewinn nicht bestätigen.

Nebenbei: Die von ihm beschriebenen Exerzitien beziehen sich nicht auf gleichgeschlechtliche Handlungen. Homosexuelle kennen all dies gewiss längst, weshalb sie sich wohl „gay“ (heiter) nennen.

Sie fragen sich sicherlich, liebe Leser: Worauf der Sprachbloggeur hinaus will. Schreibt er plötzlich eine erotische Lifestyle-Kolumne?

Nein, nein. Es geht hier um den Zufall: Als ich vor ein paar Tagen im den Spiegel-Online nach Berichten über das katalanische Unabhängigkeitsreferendum suchte, stieß ich auf besagte digitale Aufklärungsfibel in Sache Prostata. Hmm, hab ich gedacht. Während unschuldige Menschen in Katalonien von der Guardia Civil mit Gummigeschossen niedergestreckt werden, tun andere abenteuerliche sexuelle Entdeckungen kund. Lustige Welt!

Hab ich „Referendum“ gesagt? Dem spanischen Ministerpräsident Rajoy (sprich ra-choj) behauptete, es habe kein Referendum gegeben, lediglich eine Farce (Spanisch „farsa“).

Inzwischen hatte mein Fokus auf die Prostatastimulierung ziemlich abgeebbt. Wer denkt an seine Prostata, wenn man sich in den traurigen Ereignissen in Katalonien vertieft? Da ich Katalonien - insbesondere Barcelona - einigermaßen kenne, hat mich die Sache besonders betrübt.

Wer es nicht weiß: Die katalanische und die spanischen Sprachen unterscheiden sich in etwa wie sich das Hochdeutsch vom Niederländischen.

Genauer gesagt: Katalanisch (und ähnliche Sprachen - etwa das Provenzalisch) entstanden vor ca. 2000 Jahren entlang der Mittelmeerküste in Richtung Hispania. Die Händler und die Soldaten, die an dieser Strecke unterwegs waren, sprachen eine Art Straßenlateinisch, das ganz anders klang als die vornehme lingua latina, die man heute in der Schule büffelt. Die vornehme Sprache hingegen verfestigte sich im hispanischen Inland, wo die reichen Grundbesitzer zuhause waren. Das Hochspanisch hat immer noch viele antiquieriende Züge der alten lateinischen Hochsprache.

Wer sich für Geschichte interessiert, weiß auch, dass Katalonien einst ein unabhängiges Land mit eigener Kultur war - wie Bayern…bis beide Länder von einer größeren politischen Einheit einverleibt wurden.

So ist das Leben. Besonders grausam war aber der Diktator Franco, der den öffentlichen Gebrauch der katalanischen Sprache strafbar machte (wie übrigens einst Atatürk bzgl. der kurdischen Sprache), um aus Spanien einen sprachlichen und kulturellen Einheitsbrei zu etablieren.

Aber jetzt leben wir im Jahr 2017, und es geht uns in Europa verhältnismäßig gut, und die Katalanen dürfen ihre kulturelle Eigenständigkeit problemlos ausleben. Damit will ich sagen: Meiner Meinung nach war das Unabhängigkeitsreferendum eine dumme Idee. Die Mehrheit der Katalanen waren auch dieser Meinung und hätten das dumme Referendum mit nein abgelehnt.

Doch nun tritt der Präsident der spanischen Minderheitsregierung, Herrn Rajoy in Erscheinung. Sein Traum ist es wohl, eines Tages Präsident einer Mehrheitsregierung zu werden. Was tut man, um so etwas zu realisieren? Man zeigt Entschlossenheit und Härte, um bei manchen Wählern zu punkten. Also schickte er die Guardia Civil zu Tausenden nach Katalonien, um dort alles aufzumischen und die Bewunderung von Restspanien zu ernten.

„Jetzt erst recht“ war das Resultat: 90% der nicht beschlagnahmten Wahlzetteln der Katalanen wurde mit „Ja“, wir wollen raus aus Spanien, ausgefüllt.

Und nun denke ich: Schade, dass Herr Rajoy nicht auf besagten Artikel im Bento gestoßen wäre - und zwar Tage vor dem Referendum. Das war freilich nicht möglich, weil der Artikel erst später erschien. Der Autor verspricht himmlische sinnliche Erlebnisse, wenn die Prostata richtig stimuliert wird. Hätte sich der Präsident der Minderheitsregierung nur mit diesem biologischen Thema beschäftigt! Ach! Vielleicht hätte er dann das mit dem Referendum etwas lässiger vergehen lassen.

Das werden wir leider nie wissen. Alles im Leben ist Timing. So sehr spielt der Zufall eine Rolle in unseren aller Leben.

PS Bin nächste Woche auf der Buchmesse. Vielleicht ein Bericht vor Ort, vielleicht nicht.

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