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Über den Schnee von gestern und ähnliche Lawinen

Frau M., Chefin von Paradies, womit ich, wie immer, meinen Lieblingsobstundgemüseladen meine, hat mir einen Schneewitz erzählt.

Das war vor einer Woche, als der Schnee noch überall lag und ich täglich den Kiesel in die Wohnung mitschleppte, um besser die Böden zu zerkratzen.

Es war ein sehr alter Witz und handelte vom hohen Preis für Eier im Winter auf dem Münchner Viktualienmarkt. Ich werde an dieser Stelle den Witz nicht vollständig wiedergeben. Wer will, kann ihn unter „Ida Schumacher auf dem Viktualienmarkt“ auf YouTube hören. Ida Schumacher war eine berühmte bair. Komikerin. Er geht ungefähr so:

Ein Kunde (oder war es eine Kundin?) beschwert sich bei der Oatandlerin (Eierverkäuferin) -gespielt von Ida Schumacher - , wegen des hohen Preises der Eier. Diese rechtfertigt sich, indem sie meint, die Preise hängen von der Kälte ab. Wann werde sie wieder billiger? fragt der Kunde. Antwort: Wenn den Hühnern der Hintern wieder „aufgleint“ ist.

„Aufgleint?“ fragte ich Frau M.

„Das bedeutet auf Bairisch „auftauen“.

Okay, ich hab mich nicht auf dem Boden vor Lachen gekugelt. Vielleicht weil mir die Pointe erklärt werden müsste, was jeden Witz killen kann. Humor ist immer eine Frage des perfekten Timings.

Aber Witz hin, Witz her. Nun wurde der sprachinteressierte Sprachbloggeur neugierig.

„Ich bin überzeugt“, sagte Frau M., „Sie werden bald die ganze Geschichte von ‚aufgleinen‘ erforschen. I kenn sie ned. Aber meine Großmutter hat immer gesagt: ‚Mei, wiar d’Schnee afgleint is.‘“

Frau M. hatte recht. Kaum war ich wieder zuhause, holte ich mein bayerisches Wörterbuch („Bairisches Deutsch“ von Ludwig Zehetner) vom Regal und schlug nach. Es dauerte aber, bis ich fündig wurde. Vielleicht weil ich zuerst nach „aufkleinen“ gesucht habe - als würde der Schnee immer…kleiner…werden.

Das war es aber nicht. Ich suchte weiter, bis ich endlich auf das Gesuchte stieß. Es hieß „gleinen“ - manchmal „gläunen“geschrieben und bedeutete erwartungsgemäß „tauen“, „auftauen“.

Nebenbei: Das „G“ in diesem Wort ist eigentlich ein Präfix. „Gläunen“ ist eigentlich „ge-läunen“ so wie „Gleis“ „Geleis“ ist.

Dann ,um noch mehr zu erfahren, kam ich auf die Idee, im Grimm’schen Wörterbuch nachzuschlagen. Hier entdeckte ich sogleich ein altertümliches dt. Wort „leinen“ in der Bedeutung von „aufthauen“. Manchmal wird es „“leunen“ geschrieben.“

Dieses „leinen“ ist übrigens mit „lau“ - wie in „lauwarm“ verwandt. Das heißt: Wenn sich der Schnee erwärmt (lau wird), taut er auf. Noch dazu erfuhr ich, dass auch „Lawine“ irgendwie mit lau/leinen verwandt ist.
Natürlich hab ich alldies Frau M. brühwarm (aber nicht lauwarm) berichtet.

By the way: Im alpinischen Bairischen sagt man, wenn der Schnee auftaut, dass er „aper“ ist,. „Aper“ ist nicht der Gegensatz von „lower“. Vielmehr ist diese uralte deutsche Vokabel mit dem englischen „bear“ im Sinn von „tragen“ verwandt. Wenn der Schnee „aper“ ist, wird er „abgetragen“. Er wird bald zum Schnee von gestern.

Wissen Sie übrigens, warum man „Schnee von gestern“ sagt? Ich hätte diese Frage in früheren Jahren gar nicht erst gestellt, denn ich wäre davon ausgegangen, dass jedem die Antwort bekannt ist. Heute bin ich mir nicht so sicher.

Es handelt sich um die deutsche Übersetzung eines Verses des französischen Poeten François Villon, der im 15. Jahrhundert gelebt hat. Er hat mal eine Ballade geschrieben, worin am Ende jeder Strophe die Frage gestellt wird: „Où sont les neiges d’antan“? Zu Deutsch: „Wo ist der Schnee von gestern?“

Nun sind Sie in allen Punkten, was den Schnee betrifft, bestens informiert - außer einem: die Zahl der Schneewörter in der Inuit-Sprache. Das ist aber eine ganz andere Geschichte…

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