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Die drei Handlungen – für Anfänger und Fortgeschrittene

Möchten Sie Schriftsteller werden?

Dann sind Sie bei mir richtig.

Hier erfahren Sie alles, was Sie wissen müssen, um eine solide Handlung zu schreiben. Ich sage es gleich: Es gibt auf der ganzen Welt nur drei Geschichten. Jawohl, Sie haben richtig gelesen: drei Geschichten, drei Handlungen also: eins, zwei, drei.

Diese lassen sich zwar gut miteinander vermengen, es sind aber nur drei. Jetzt zur Sache:

Handlung eins: Boy meets girl, boy loses girl, boy finds girl. So hieß sie jedenfalls im goldenen Zeitalter von Hollywood - in den 1930er Jahren also.
In Wahrheit ist diese Handlung uralt. Schon die antiken Griechen und die Römer haben davon reichlich Gebrauch gemacht - vor allem in den antiken Romanen. Ja, auch Romane hatten die Alten. Zum Beispiel die „Aethiopica“, geschrieben vor ca. 1700 Jahren von einem Bestsellerautor namens Heliodorus.

Die Geschichte, die H. erzählt, ist typisch, stellvertretend für viele andere antike Werke. Am Anfang verliebt sich ein hübsches Pärchen und heiratet. Aber dann passiert es: Kurz nach der Eheschließung (die übrigens noch nicht vollzogen ist, was für die Geschichte wichtig ist) wird die Braut von Piraten oder sonstigen Unholden entführt. Auch der junge Ehemann erleidet prompt irgendein Unglück. Vielleicht wird er versklavt oder zwangsrekrutiert. Es folgen dann hunderte von Seiten spannender Abenteuer. Die getrennten Geliebten sind ständig vom Tod, von Vergewaltigungen, von sonstigem Ungemach bedroht. Am Schluss siegt die Liebe - und die Keuschheit. Die zwei werden wieder vereint. Man freut sich immens.

Sie kennen das Muster aus tausenden Filmen und Büchern. Die Spannung lässt nie nach - auch wenn die Hauptfiguren jugendliche Vampire sind - bis(s) die Liebe garantiert ist. Am Schluss tun die Tränendrüsen stets das Übrige.

Handlung zwei: eine heilige (oder manchmal nicht so heilige) Suche. Hier spielt (oft) ein junger Held, die Rolle des Suchenden. Wonach sucht er? Nach dem heiligen Gral, z.B. Oder er wird von den Göttern gelotst, ums römische Reich zu gründen (so die Geschichte von Aeneas). Oder er heißt Indiana Jones und sucht nach einem verlorenen Schatz. Oder er ist ein Mönch - wie im chinesischen Roman, „Reise nach dem Westen“, aus dem 16. Jahrhundert, und bricht auf nach Indien, um heilige Texte des Buddha zu holen. Egal. Diese Handlung verspricht spannende Kampfszenen, Komödie, Sex, mühsame Kletterszenen etc. etc.. Am Schluss siegt der Held - auch wenn er ein Antiheld ist wie Don Quixote. Wir freuen uns wahnsinnig und fertig ist das Buch oder Film.

Fassen wir kurz zusammen: Bisher zwei Themen, die uns Menschen schon immer neugierig gemacht haben. Und wenn alles endlich gut geht, sind wir zufrieden.

Und so sah die Welt des Erzählers aus während tausender Jahre. Denn die dritte Handlungsform, die ich jetzt vorzustellen vorhabe, hat - meines Erachtens - im Gegensatz zu den anderen - keine lange Vergangenheit. Ich denke, es gibt sie eigentlich erst seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts.

Vielleicht ist sie keine richtige Handlung. Denn sie erzählt keine richtige Geschichte mit Anfang und Ende, und obendrein ist sie gar nicht spannend. Sie will lediglich einen inneren seelischen Zustand mitteilen - meistens in Form von einem Monolog. So, als würde man laut vor sich denken. Das tun heute viele Autoren.

Doch diese Art zu erzählen, passt gut zu unserer Zeit. Denn wir leben - zumindest in Europa (oder überhaupt in der westlichen Welt) - im Zeitalter des Individuums. Wer sein Innenleben interessant darbringt, kann stets davon ausgehen, Leser zu finden.

Ich denke trotzdem, liebe Schriftstellerkollegen und -kolleginnen, dass man heute am besten alle drei Handlungssorten vermischen könnte und sollte, wenn man Bücher schreibt. Das ist jedenfalls meine bescheidene Meinung. Und damit Ende der Vorlesung.

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