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Nein, danke. Ich will nicht mehr Bundespräsident werden!

Heute weiß noch niemand, ob er bleibt oder geht.

Ich brauche den Namen nicht mal zu erwähnen. Trotzdem ist es jedem klar, um wen es sich handelt. So ist es mit dem Renommee.

Stichwort Renommee: Einmal las ich, dass Alexander der Große als erster richtig berühmter Mensch in die Geschichte geht. Ich halte das für Unfug. Schon 356 (das Geburtsjahr von Alexander übrigens) steckte ein gewisser Herostratus den Artemis-Tempel in Ephesos im Brand, weil er die Wahnidee pflegte, nur so seinen Namen verewigen zu können, was ihm auch tatsächlich gelang. Um Berühmtheit zu erlangen, braucht man lediglich ein Publikum.

Berühmt im heutigen Sinn wurde man wahrscheinlich erst im Zeitalter der Massenmedien. Als Charlie Chaplin in New York eintraf – ich denke es war um 1917 – , skandierten die Zeitungen „He is Here!“ oder ähnlich. Jeder wusste sofort, wer mit „he“ gemeint war.

1927 feierte man die „it girl“, die Schauspielerin Clara Bow. Noch nie von ihr gehört? Tja, so schnell vergeht der Glitzer des Renommees. „It-Girl“ steht übrigens seit 2009 im Duden und wird heute auf diverse Sterne und Sternchen mit einem besonderen „Etwas“ angewendet.

Aber zurück zu ihm. Und damit meine ich den Mann, dessen Schicksal noch immer ungewiss ist: Christian Wulff. Zur Erinnerung: Als er noch Kandidat Wulff hieß, habe ich auf dieser Seite („Gauck oder ich“ – Juni 2010) sein manikürtes Aussehen angemahnt. Zu sehr hat er mich damals an „Ken“, den ex-Freund von „Barbie“ erinnert. Ich gebe zu: Es ist schäbig, jemanden wegen seines Äußeren anzukreiden. Das war aber gewiss nicht meine Absicht. Ich wollte nur darauf hinweisen, dass er nichts von seinem Inneren preisgab und dass ich letztendlich der bessere Bundespräsident wäre.

Inzwischen will ich aber nicht mehr Bundespräsident werden – auch wenn ich das Geld gut gebrauchen könnte. Meine Rente ist nämlich sehr klein. Als Bundespräsident hat man nie wieder finanzielle Sorgen (es sei denn, man kauft sich große Häuser). Damals habe ich sogar das Angebot gemacht, weniger Geld fürs Amt zu nehmen als meine Kontrahenten Gauck und Wulff. Billiger wäre ich gewesen aber kein Deut weniger qualifiziert. Ich bin überzeugt, dass ich ebenso in der Lage gewesen wäre, schöne Moralpredigte zu halten wie zu bester Zeit die Konkurrenz. Und ich zweifele nicht, dass mein charmanter Akzent beim Publikum gut angekommen wäre.

Natürlich hätte ich mich erst einbürgern müssen. Als „ausländische Mitbürger“ kann man verständlicherweise nicht Bundespräsident werden. Die Einbürgerung wäre aber ein Klacks gewesen. Das macht das Kreisverwaltungsreferat gerne, um einen künftigen Bundespräsidenten zu legitimieren.

Inzwischen aber will ich dieses Amt nicht mehr bekleiden. Nicht weil ich etwaige Skandale zu befürchten hätte. Unmöglich. Meine Frau und mein Steuerberater sorgen dafür, dass ich ein mehr oder weniger ehrlicher Mensch bleibe. Nein, ich interessiere mich für den Posten des Bundespräsidenten aus einem anderen Grund nicht: Zu viel Trubel und das scheußliche Renommee.

Schauen Sie: Wenn man in eine öffentliche Figur mutiert, wird das eigene Gesicht zu einem Freilandgefängnis. Auf der Straße wird man plötzlich angesprochen, nur weil man erkannt wird. Das habe ich am eigenen Leib erlebt. Vor vielen Jahren wurde ein Text von mir – mit großem Bild – in der „Münchener Abendzeitung“ veröffentlicht. Eine ganze Woche sprachen mich fremde Leute auf der Straße an.

Ich fand die Situation sehr unbehaglich. Denn auf einmal war meine Privatsphäre wie aufgehoben. Man hat es zwar nett mit mir gemeint. Dennoch wurde ich lediglich in den Menschen verwandelt, über den man in der Zeitung gelesen hatte, und ich musste mir stets Mühe geben, „nett“ zu sein.

Fazit: Käme heute der Ruf aus Berlin, müsste ich glatt ablehnen – auch wenn ich manchmal gerne in Berlin bin und meine Frau im Schloss Bellevue endlich genügend Platz für all ihre Bücher hätte.

Nein danke, diesmal ohne mich. Ich sitze lieber am Rechner und schreibe mein Leid und Freude auf den Leib.

Heute Praktisches: Wie man Spammer, Phisher und Co. Paroli bietet

Psychiater haben einen guten Riecher für Kundschaft. Das müssen sie auch. Sie wissen: Wer über sich viel redet, wird sich gleich zuhause auf der Analytikercouch fühlen. Seelensorger unter meinen Lesern warten vielleicht auch eifrig auf mich in ihren Praxen. So sehr jammere ich seit Monaten meine Probleme vor.

Zur Erinnerung aber: Es war der passionierte Zigarrenraucher Sigmund Freud, der einmal behauptete, dass nicht jede Zigarre ein Phallussymbol sei.

Seit Monaten beschwere ich mich, weil die Software dieser Seite nicht hundert Prozent funktioniert. Mal passiert es, dass Beiträge zwei- drei- ja auch vierfach erscheinen. Mal, weil das Kommentieren sehr umständlich geworden ist. Heute übrigens, dank meinem gewissenhaften Host, funktioniert alles – oder fast alles wieder. Zwar muss man auf „weiter“ klicken, um den ganzen Beitrag zu sehen…Ich bleibe jedenfalls weiterhin voller Hoffnung. Weshalb die Seite eine grüne Haut trägt. Sorry, liebe Seelensorger.

Aber da ich gerade von Problemen spreche, wie wäre es, wenn ich schon wieder über meine Spammer erzähle. Sie als Leser kennen nämlich nur die öffentlichen Geschäftsräume meines kleinen Wortladens. Sie waren noch nie im Lagerraum oder im Keller. Sie können also nicht wissen, dass ich beinahe täglich damit beschäftigt bin, Ungeziefer zu tilgen – in diesem Fall Spammer und Phisher, die versuchen, auf Teufel komm raus, meinen schnieken Laden zu verdrecken und zu verpesten.

Hier plaudere ich ein bisschen aus dem Nähkästchen, aber vielleicht kennen die Kollegen unter meinen Lesern (damit meine ich natürlich auch die Leserinnen) das Problem. Fast täglich finde ich, zum Beispiel, in meiner sog. „Benutzerliste“ neu „Benutzer“. Eine Zeitlang fühlte ich mich sehr geschmeichelt, dass so viele Leser Stammgäste werden wollten. Ich habe mich nur gewundert, dass die Namen oft so eigenartig klangen. Hier ein kleiner Auswahl: „harryschaefergw“, „chi32“, „Ugg58441“, „Sasdas321“, „Jdeplppty“, „Xrumersoftware“, „UnpagounpashY“ usw. Auch ihre Adressen muten häufig fantasievoll an – etwa @126bop.com oder @giganaga.org. Manche Namen sind freilich mit einem einfachen „@gmail“, „aol“ etc. versehen.

Es ist schon mal vorgekommen, dass diese „Benutzer“ es gelegentlich schafften, ihre Botschaften – zumindest kurzfristig – als veröffentlichte Kommentare einzuschmuggeln. Anfänglich hat es sich lediglich um Werbung für Potenzmittel, Kasinos, Ferienwohnungen, Uhren usw. gehandelt. Heute nehmen die „Kommentare“ eine ganz neue Dimension an. Ich finde nämlich als „Kommentare“ oft reihenweise Hypertextlinks , die aus reinen Nonsense-Buchstaben bestehen – etwa: „xiwpjfamntxrrrzsyhj“. Aber Vorsicht: Wer auf einen dieser Links klickt, wird sein blaues, oder besser, pechschwarzes Wunder erleben.

Hier ein kleines Interview – nicht das erste – , das ich mit einem aus der neuen Generation von Spammern geführt habe.

Ich: Warum machen Sie das?

Er: (nota bene selten sie – Spammer und Phisher sind fast ausschließlich männlich): Xsyxidehmfetuidefeyidekaf.

Ich: Sprechen Sie kein Deutsch?

Er: Riraeiarjiqwhfwhea6.

Ich werde Sie nicht weiter mit diesem Interview behelligen. Es bringt ohnehin nichts. Fakt ist aber: Die meisten dieser hartnäckigen Vertreter der Antisprache sprechen in der Tat kein Deutsch. Vielleicht Englisch (oder Gebrauchsenglisch), Russisch, Chinesisch, Polnisch, Albanisch, Urdu, Hindi und eine ganze Palette schöner und exotischen Sprachen dieser Welt.

Und natürlich interessieren sie sich nur um eins: Sie hoffen, dass Sie versehentlich – oder aus Neugier – auf so einen Nonsense-Link klicken werden. Tun Sie das, wird Ihr Rechner innerhalb von vier bis fünf Sekunden mit einem Malware-Programm, einem sogenannten Trojaner – womöglich „zeuS“ – infiziert. Es ist wie unsafe sex, kurzes Vergnügen, langes Leiden.
Die neueste Generation von Spammern, Phishern usw. möchte lediglich Ihre Passwörter stibitzen – am liebsten die, die Sie für online Banking brauchen. Kreditkartennummer werden auch gerne eingesammelt. In den USA ist die Rede von „identity thieves“. Willkommen im 21. Jahrhundert, liebe Erdbewohner.

Deshalb möchte ich hier meine geniale Lösung vortragen, um dieses Informationsungeziefer effektiv zu bekämpfen. Mein Vorschlag: Jeder, der ins Internet einloggen will, muss sich künftig einer Sicherheitskontrolle unterziehen lassen. Alle Worte, die er vorhat, auf die digitale Reise mitzunehmen, werden erst durchleuchtet, geröntgt und für Sprengstoff geprüft. Notfalls wird auch eine Vollkörperuntersuchung fällig. Nur dann darf er den Innenbereich des Internets betreten. Auch Schuhe soll er ausziehen, um auch die kontrollieren zu lassen. Spammer versuchen ihre Scheußlichkeiten auf verschiedene Weise zu schmuggeln.

Wer mit verbotenen Inhalten erwischt wird, kommt sofort in den Cybergewahrsam.: Wer dort landet, mein lieber Scholli, der findet sich schwer wieder raus.

Aufmerksamen Lesern wird es vielleicht schon aufgefallen sein, dass meine Ideen an die Flughafenkontrolle erinnert. Das ist kein Zufall.

Es geht hier um Kommunikationsnetze. Die wurden schon seit immer von Straßenräubern usw. befallen. Jedes Zeitalter lernt, Paroli zu bieten.

Oder haben Sie einen anderen Vorschlag? Bin ganz offen für Ideen.

Zähne und E-Reader – was sie gemeinsam haben

Über Zähne und E-Reader habe ich heute – vielleicht als einziger auf der Welt – Gedanken gemacht.

Vor zwei Monaten – es war an einem Sonntag – wollte ich vom karamellisierten Nougat, das meine Frau im Sommer aus Malta mitgebracht hatte, endlich einen Biss probieren. (Anmerkung für Sprachinteressierte: „Nougat“ bzw. „Nugat“ kann man als „das“ oder „der“ bezeichnen. Warum, weiß ich nicht).

Braun wie Tigerauge sah das Nougat aus, eine schöne, irgendwie mysteriöse, kaffeeartige Farbe. Ich nahm das süße Stückchen in die Hand und biss neugierig ab. Hart war es, so hart, dass ich meinte, ich habe gerade in ein Stück versüßtes Panzerglas gebissen. Dann war es schnell geschehen: Knirsch! Mein linker Schneiderzahn wurde augenblicklich demoliert. Knirsch! Ich habe die Lücke sofort mit der Zunge angetastet, und das Unbehagen kehrte ein. Nebenbei: Ich habe meine echten Schneiderzähne schon mit zehn Jahren kaputt gemacht. Ich war damals auf Rollschuhen und fuhr kopfvoran in den eisernen Pfosten eines Parkverbotsschildes. Ein dumpfes Gefühl im Mund und ich spuckte Teile meiner Zähne heraus. Ich sah mit meinen spitzen Zähnchen aus wie der junge Dracula. Meine Mutter weinte: „Mein Baby wird falsche Zähne haben!“ Der Zahnarzt, Dr. Simmel, hat uns beide schnell beruhigt und machte mir meine ersten Kronen. Diese dienten mir treu, bis mir Freund Fritz, Zahnarzt und Künstler, vor 30 Jahre einmal sagte: „Deine Kronen sind dir längst zu klein geworden. Ich mache dir neue.“ Es waren schöne Kronen, die er mir machte. Und nun hatte ich eine von ihnen an dem Stück Nougat kaputt gebissen.

Seit Ende Oktober, seit zwei Monaten also, laufe ich mit einer provisorischen Krone herum. Vielleicht fragen Sie sich, warum es so lang dauert, eine Krone zu ersetzen? Das hängt von vielen Umständen ab. Die Bürokratie der Kasse ist übrigens das wenigste Problem. Es geht vielmehr um die Ästhetik. Fakt ist: Es ist beinahe unmöglich die Farbe der neuen mit der Farbe der alten Krone, die Freund Fritz (der mittlerweile in Ruhestand ist) machte, genau abzustimmen. Bisher habe ich zwei Versuche hinter mir und war sogar zweimal im Zahntechniklabor. Man hielt diverse Farbmuster vor meinem offenen Mund; feinfühlig diskutierte man die Farbabstufungen, die mit Buchstaben und Zahlen wiedergeben werden – also A3, C2 usw. Trotz alledem hat es noch nicht geklappt. „Hier werden wir kaum sichtbare Streifen machen – genauso wie bei der anderen“, sagte mir munter und hoffnungsvoll die Zahntechnikerin –zweimal schon. Alles bisher vergebens. Denn als die neue Krone provisorisch in meinen Mund eingesetzt wurde, war nicht zu übersehen: Die Krone von Fritz hatte einen angenehmen gelben Teint. Die neben ihr, vom Labor eingesetzt, tendierte ins Graue.

Neulich habe ich mit Fritz telefoniert. Wir redeten mitunter über meinen Ärger mit der Krone. „Du, es ist fast unmöglich eine neue Krone farblich mit einer bereits bestehenden abzustimmen“, sagte er.

„Deine waren aber so schön – ein bisschen gelb, gar nicht grau wie diese.“
„Ich habe mir damals große Mühe gegeben. Wenn man es falsch macht, sieht der Zahn schrecklich künstlich aus – wie tot. Wenn man es richtig macht, wirkt sie lebendig. Sie gibt eine gewisse Transparenz her.“

Grau und gelb. Kalt und warm. Tot und lebendig. Das waren also, zumindest Fritz zufolge, die Parameter, die die gelungene von der misslungenen Krone unterschieden.

Bei diesem Gedanken fiel mir plötzlich mein neuer E-Reader ein. Ich habe ihn neulich zum Geburtstag geschenkt bekommen. Meine Einführung in das digitale Lesen sollte er werden. Ich war schon lange neugierig auf diesen neuartigen Textdatenträger und meinte, dass es vielleicht praktisch ist, mit dem gesamten Goethe oder Shakespeare in Urlaub zu gehen.

Praktisch für Brillenträger ist auch die Tatsache, dass man die Schriftgröße beliebig verändern kann. Dennoch ist das Ding sehr gewöhnungsbedürftig. Nicht von ungefähr heißt es, dass man „auf“ einem Reader liest, während man „in“ einem Buch liest. Und noch markanter: Man kann, wenn man ein Buch liest, jederzeit beliebig durchblättern oder eine Seite aufschlagen. Auf dem Reader liest man lediglich Seite für Seite. Zwar gibt es eine Suchfunktion, was sehr praktisch ist und dem Inhaltsverzeichnis eines Buches überlegen. Doch das Lesen auf dem Reader ist im Grunde wie einst die Lektüre in der Schriftrolle. Textspalte folgt Textspalte, bis das Ganze fertig ist. Bücher sind nach wie vor flexibler als Reader. Kein Wunder, dass diese Erfindung seit 2000 Jahren so unübertrefflich geblieben ist.

Und hier noch ein Unterschied: Auf dem E-Reader liest man einen Text auf einem hellgrauen Hintergrund. Papier hingegen ist immer leicht gelblich: kalt gegen warm, also, tot gegen lebendig. Wie bei meinen Kronen. Grau kann anstrengend werden.

Hoffentlich fällt dies den Herstellern bald auf. Machen Sie aber selbst die Probe aufs Exempel. Der Unterschied ist wirklich nicht zu übersehen – zumindest bei den neuesten Modellen. Ich wünschte mir einen warmen E-Reader und eine Krone, die schönes Leben ausstrahlt – und Ihnen wünsche ich einen guten Rutsch ins Neue…

Neue Besen, alte Besen – und eine sehr traurige Nachricht

Gestern Abend war ich noch überzeugt, dass dieser Beitrag „Grün ist die Hoffnung, grün ist der Neid“ heißen müsste. Damit wollte ich auf die neue Farbe, die diese Seite momentan schmückt, hinweisen. (Ob sie bleibt, weiß ich noch nicht). Hoffnung, weil ich meinte – und meine – , dass ich wieder Grund habe zu hoffen, auch wenn hier alles noch nicht ganz funktioniert wie es sein sollte. (Es hapert, zum Beispiel, noch immer mit dem Kommentarschreiben). Immerhin sind meine Spammer wieder glücklich. Sie melden sich ganz erfreut als „Benutzer“ an, in der Hoffnung, sie könnten den „Sprachbloggeur“ eines Tages voll verspammen. Aber grün ist nicht nur die Farbe der Hoffnung. Es ist auch die Farbe des Neides – zumindest ist grün eine der Neidfarben. Die deutsche Sprache kennt auch gelb in dieser Rolle. Der Gedanke dahinter: Die Galle eines „Vergällten“ färbt seine Haut gelb bzw. grün.

Aber dann habe ich das mit grün und Hoffnung verworfen und mich für das Bild des Besens entschieden. Die neuen Besen sollen, wie jeder weiß, gut kehren. Allerdings: Auch dieses Bild hat seine Kehrseite – insbesondere, wenn der Besen alt wird.

Komisch: Das Angenehme und das Unangenehme stehen häufig Seite an Seite.

Das alles nur zur Einleitung. Ab jetzt wird es persönlich. Hier nun ein kurzer Bericht von der Front – zum Thema Hoffnung und Neuigkeiten:

Erstens: Mein berufliches Leben verändert sich dramatisch. Viele Jahre habe ich unter Vertrag bei einer gewissen Zeitschrift gearbeitet. Dank dieser Arbeit konnte ich meine Rechnungen bezahlen. Am Ende dieses Jahres läuft der Vertrag aus. Das ist nicht tragisch. Ab dem 1. Januar 2012 bin ich endlich ein echter freier Schriftsteller.

Zweitens: Mein Rechner, der meine schreibende Karriere seit Jahren begleitet hat, will nicht mehr. Er stürzt immer wieder und ohne Vorwarnung ab. Auf ihn ist kein Verlass mehr. Nur: Alle meine Daten – also Dokumente, Fotos, Scans, Emails usw. habe ich auf diesem alten Rechner gespeichert. Nun galt es, alles sofort zu retten. Manches hatte ich zwar auf externen Datenträgern bereits gespeichert – nicht aber alles. Ich kam mir vor wie ein Mensch auf einer vulkanischen Insel, der alles in Sicherheit bringen muss, bevor der Vulkan in die Luft geht.

Schon jetzt schreibe ich auf dem neuen Rechner. Das Schreibprogramm ist mir noch fremd, ein neuer Besen also. Manches habe ich noch nicht beherrscht.

In solchen Augenblicken mache ich mir übrigens Gedanken darüber, ob in 50 Jahren die elektronisch gespeicherten Daten der Gegenwart immer noch griffbereit sein werden – geschweige denn in 200 Jahren. Man sehnt sich manchmal nach dem lieben, geduldigen Papier.

Drittens: Gestern haben wir eine neue Therme bekommen. Die alte hat nach 26 Jahren den Dienst verweigert. Wir mussten in den (teuren) sauren Apfel beißen. Noch dazu viel Trubel in der Wohnung. Wieder ein Umlernen – in diesem Fall im Reich der Wärme.

Viertens: Nächste Woche zieht unser Sohn in eine eigene Wohnung. Sein Bruder führt schon seit einem Jahr ein eigenes Leben. „Empty nest“ heißt das auf Englisch. Ein Lebensabschnitt geht zu Ende. Ich bin aber stolz auf meine Söhne und freue mich, dass sie selbstständig sind.

Fünftens: Alles, was ich bisher berichte, zählt letztendlich zu den ganz normalen Änderungen, Überraschungen, Widrigkeiten und Freuden eines Lebens. Die traurige Nachricht habe ich für den Schluss aufbewahrt.
Vielleicht erinnern meine Stammleser, dass ich manchmal von meinem Sprachguru erzähle. Seit Jahren liest er Woche für Woche meine Beiträge und korrigiert die gröbsten Fehler. Er wollte nie, dass ich seinen Namen verrate. Er hat es mir sogar verboten. Er blieb lieber der Schatten im Hintergrund.

Am Montag dem 19. Dezember 2011 um 10.30 ist dieser lieber Mensch eine Woche vor seinem 97. Geburtstag gestorben. Ich bin überzeugt, dass er es mir heute nicht übel nehmen würde, wenn ich seinen Namen hier endlich preisgebe: Ernst-Theo Rohnert. Woche für Woche hat er mir seine Emails mit Korrektur geschickt. Sogar vor zwei Wochen! Er hat mir viel über diese mir fremde deutsche Sprache beigebracht. Er war stets pingelig, stets streng, stets sehr genau und stets geduldig. Er hat sich immer kurz gefasst. „WS“ also „Wortstellung“ zählte zu seinen Lieblingsrügen; oder „eleganter wäre…“ Als ich vor zwei Wochen das Wort „beeindruckt“ falscherweise als „beeindrückt“ schrieb, kommentierte er: „‘beeindruckt‘ – Einprägen! Sehr wichtig!“.

Er signierte seine Mails immer mit „eteha“. Er und seine Mails werden mir sehr fehlen. Ab jetzt bin ich ganz und gar für die eigenen Fehler verantwortlich. Ab jetzt kehre ich mit dem eigenen Besen und vor der eigenen Tür…

Ich wiederhole, ich wiederhole, ich wiederhole

[Alles noch nicht ganz in Butter, liebe Leser. Als ich feststellte, dass dieser Beitrag auf dieser Seite viermal in Folge zu lesen war, nahm ich mir vor, die "Wiederholungen" zu löschen. Stattdessen habe ich den Text insgesamt gelöscht. Nun erscheint er wieder. Wiederholung. Hmmm. Übrigens: Das Jammern im Text bezog sich lediglich auf die Unmöglichkeit - von der kaputten Software des Servers verursacht - , Kommentare zu empfangen. Das sage ich hier in eigener Sache.]

Ich habe seit Wochen keine Kommentare empfangen.

Seit Wochen keine Kommentare. Ich meine hier auf dieser Webseite.

Auf dieser Webseite keine Kommentare seit Wochen.

Ich klicke auf die Webseite, und ich sehe keine neuen Kommentare. Seit Wochen keine Kommentare.

Keine Sorge, liebe Leser, ich drehe nicht durch – zumindest nicht über das übliche Maß hinaus. Ich will lediglich durch dieses konkrete Beispiel, etwas über den Erzählstil der Pirahã veranschaulichen. „Pirahã“, sollte ich vielleicht erklären, ist der Name eines Stammes im tiefsten Amazonasgebiet in Richtung bolivischer Grenze. Der ganze Stamm zählt nur wenige hundert Seelen, die in verschiedenen kleinen Dörfern entlang eines kleinen Flusses nahe dem Madeirafluss verteilt sind.

1977 ließ sich der amerikanische Missionar Daniel Everett mit Familie in einem dieser Dörfer nieder. Der Plan war, dieses Urvolk zum Christentum zu bekehren. Everett lebte bei den Pirahã über die nächsten Jahrzehnte insgesamt sieben Jahre. Dennoch vermochte er ihnen die christliche Religion nie zu vermitteln. Am Schluss legte er sein Amt als Missionar (aus Überzeugung) nieder. Er und nicht der Stamm wurde zum Bekehrten. 2008 veröffentlichte er in englischer Sprache ein sehr spannendes Buch über die Pirahã: „Don’t Sleep, There are Snakes“ (dt. Ausgabe: „Das glücklichste Volk: sieben Jahre bei den Pirahã-Indianern am Amazonas“).

Bitte erwarten Sie hier keine Bücherrezension, nicht einmal eine Analyse der seltenen Sprache der Pirahã, die, z.B., nur eine Verbalzeit kennt: die Gegenwart. Alles dreht sich für dieses Völkchen um die Gegenwart. Stirbt einer von ihnen, hört man bald auf, über ihn zu reden, als hätte es ihn nie gegeben. Everett zufolge kennen die Pirahã außerdem weder Mythen noch Riten – sie haben also praktisch keine uns nachvollziehbare Religion, eine Tatsache, die eine eventuelle Bekehrung zum Christentum zusätzlich erschwerte. Dafür erkennen sie eine Geisterwelt an, die ihnen aber stets gegenwärtig ist. Alle konnten Geister sehen, nur Everett nicht.

Doch hier möchte ich nur über den Erzählstil der Pirahã berichten. Hier dann ein Beispiel aus einer Erzählung eines gewissen Kaaboogí, der seinen Nachbarn mitteilen wollte, wie er einen schwarzen Panther erlegt hatte. Alle Leute waren lose um ihn versammelt. Die Geschichte beginnt damit, wie der Panther seinen Hund überfällt. Ich zitiere:

„Hier sprang der Jaguar auf meinen Hund und tötete ihn. Da sprang der Jaguar auf meinen Hund und tötete ihn. Es geht hier um mich. Da tötete der Jaguar meinen Hund. Er sprang auf ihn. Es geht um meinen Hund. Der Jaguar sprang auf meinen Hund. Ich dachte, ich sehe ihn. Dann ich…, also der Panther sprang auf meinen Hund. Dann sprang der Panther auf meinen Hund. Dann sprach ich. Das hat der Panther getan. Dann sprach ich über den Panther. Hierhin ist es gegangen. Ich denke, ich sehe, wo es gegangen ist…“

Das ist nur der Anfang dieser spannenden Geschichte. Zumindest für die Pirahã spannend. Uns kommt es vielleicht mit den vielen Wiederholungen wirr vor. Vielleicht. (Übrigens: Leider kann ich nicht erklären, warum Kaaboogí mal vom Jaguar mal vom Panther redet – ebenso wenig verstehe ich, wieso hier im Text Vergangenheitsformen auftauchen. Aber egal). Es ist das ständige Wiederholen, das mich hier interessiert. Das ständige Wiederholen interessiert mich.

Warum wird so massiv wiederholt? Warum so massiv?

Man braucht sich nur die Situation vor Ort zu verbildlichen: Kaaboogí steht vor der gesamten Dorfgemeinschaft und erzählt. Hört jeder aber hin? Manche sind mit anderen Dingen beschäftigt. Manche hören gar nicht zu. Manche ratschen. Der Erzähler wiederholt, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Er wiederholt, damit man zuhört. Er wiederholt, weil er aufgeregt ist. Er wiederholt, damit man das Wichtigste nicht verpasst.

Als ich die Geschichte von Kaaboogí und seinem Panther zum ersten Mal las, fand ich sie sehr langatmig. Denn so wird bei uns nicht erzählt. Oder? Hmmm. Zumindest nicht in der Schriftsprache (oder selten). Doch manchmal beobachte ich mich, wie ich mich, wenn ich rede, wiederhole – vor allem, wenn es um die Pointe geht – oder wenn mir eine Idee besonders wichtig ist oder toll vorkommt, oder ich aufgeregt bin. Wirklich. Machen Sie selbst den Versuch, und dann fragen Sie sich: Bin auch ich ein Pirahã? Die Antwort mag überraschen.

Seit Wochen keine Kommentare auf diese Webseite. Keine Kommentare. Das macht einen Menschen madig.

Mein Nachbar der Spammer

„Und was arbeiten Sie?“ fragt mein Gegenüber im Zug nach Hamburg. Manchmal redet man gerne mit Fremden, um die Zeit zu vertreiben.

„Ich bin Sprachbloggeur.“

Ein junger Mann, vielleicht um die 30 herum, geschmackvoll angezogen. Er schaut mich skeptisch an. Das jugendliche Gesicht wirkt fast harmonisch, wäre es nicht für die harten Züge an den Mundwinkeln. Die Haare sind blond. Gesamteindruck: jungdynamisch. „Was ist ein Sprachbloggeur?“ fragt er.

„Einer, der für die Gerechtigkeit der Sprache kämpft“, antworte ich.

„Schöne Antwort. Trotzdem hört sich das – Sie werden entschuldigen – , ein bisschen schrullig an – , als wären Sie so ein Superheld wie der Hulk oder Spiderman – bloß im Bereich der Sprache.“

„Das haben Sie schön gesagt. Und so ist es auch. Natürlich bin ich aber nicht der einzige Sprachbloggeur. Wir sind viele. Jeder nennt sich aber anders und tarnt sich hinter einer anderen Identität.“

„Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich frage, ob Sie alle Tassen im Schrank haben. Sind Sie so ein Idealist oder was?“

„So kann man es auch ausdrücken. Zumindest stehen bei mir keine ‚made-in-China-Tassen’ im Schrank. Darf ich fragen, was Sie machen?“

„Ich bin Spammer.“

„Ach“, antworte ich, „das ist ein interessanter Beruf. Vielleicht haben Sie auch meine Webseite mal mit Spam vermüllt.“

„Schon möglich“, aber wenig wahrscheinlich. Wir sind nicht auf Blogs spezialisiert. Das machen andere. Wir zielen auf Einzelmenschen.“

„Und was für Waren drehen Sie die Leute an? Gefälschte Potenzmittel? Ferienwohnungen in Polen? Fantasie Markenuhren?“

„Nein, nein, Herr Sprachbloggeur. Man merkt, dass Sie sich nicht so gut auskennen. Solche Maschen sind von gestern. Noch nie vom ‚VirtualKasinoKlub’ gehört?“

„Nein, leider nicht. Klingt wie ein online Kasino. Online Kasinos sind aber nichts Neues.“

„Das unsere schon. Wir schicken 3-4 mal täglich Mails an Millionen von potenziellen Kunden, bis wir viele mit unserem Angebot mürbe gemacht haben. Immerhin: Wir bieten 100 Euro Spielgeld kostenloses an, wenn man nur unsere Software runterlädt.“

„Das kann Ihnen aber teuer kommen, oder?“

„Aber woher, Sie verstehen unsere Kunst nicht, Herr Sprachbloggeur. Um die 100 Euro zu bekommen, muss man zuerst eigene 100 Euro einsetzen. Dann hat der Spieler 200 Euro…“

„…und wenn er gewinnt?“

„Das meinen Sie aber nicht ernst, oder? Am Schluss verliert der Spieler halt 200 Euro statt 100. Dafür sorgt unsere tolle Software – und die war nicht gerade billig. Aber das ist nur der Anfang. Nun schenken wir dem Spieler 200 Euro. Dafür muss er selbst wieder nur 100 Euro einsetzen…

„…um dann ja 300 zu verlieren.“

„Jetzt haben Sie es kapiert.“

„Und Sie können nachts schlafen?“

„Wie meinen Sie das? Ach, ich verstehe. Sie fragen, ob ich ein schlechtes Gewissen habe. Warum auch? Ich schlafe wie ein Baby. Seien wir ehrlich, Herr Sprachbloggeur: Wer ist der Dumme, der Spieler oder ich. Ich sehe, Sie möchten glauben, dass ich der Dumme bin. Sie irren sich aber. Sie leben noch im falschen Jahrhundert, wenn ich’s sagen darf.“

Frisches Konsumgut: Ricky Kan – Wunderkind

Ist er nicht süüüüüüßßß!

Die Rede ist von Ricky Kam. Ganz zufällig bin ich am Sonntag, als ich vor dem Fernseher spätstückte, auf das sechsjährige Wunderkind gestoßen. Ich sendersurfe gerne, wenn ich sonntags spät frühstücke.

Da thronte der Knirps vor dem Klavier und ritt die Tasten wie ein Polo-Hazardeur. Beeindruckend. Wirklich beeindrückend. Derweil hockte stumm auf dem Flügeldeckel sein (deutlich) oft gekuscheltes Stofftier. Ich denke es war ein Affe.

Mich lauste der Affe echt. Aber wie. Der Knabe ist wahrlich ein Ausnahmetalent.

Nun schwenkte die TV-Kamera in Richtung Publikum. Zum ersten Mal erkannte ich das Antlitz von Dieter Bohlen, der mit zwei Damen jurymäßig an einem Tisch saß. Aha! dachte ich, ich bin bei „Deutschland sucht einen Superstar“ gelandet.

Fehlanzeige. Erst später erfuhr ich, dass die Sendung „Das Supertalent“ heißt. Wie dem auch sei. Neben dem sichtbar beeindruckten D.B. staunten nicht weniger schlecht der restliche Talent-Ausschuss: Motsi Mabuse und Silvie van der Vaart. Sorry. Mir leider keine Begriffe.

Nun schlug der kleine Mozart mit Bravur den letzten Ton an. Augenblicklich brach das Publikum in ein wildes Getose aus. Es folgten stehende Ovationen. Auch D.B. und die zwei Damen nahmen die Aufrechtstellung ein und klatschten begeistert. Währenddessen hüpfte das kleine Kind von der hohen Bank herunter, langte auf Zähenspitzen nach seinem Stofftier, das er dann vertraut in die Arme nahm, verbeugte sich brav und lächelte freundlich – und sicherlich neugierig – in die Welt. Berührungsängste schien Ricky Kan jedenfalls keine zu haben.

Bisher ist die Geschichte noch in Ordnung. Wenn ein Mensch eine Leistung bringt, sollte er dafür eine Anerkennung bekommen. (Eine Lektion, die heutzutage vielen Chefredakteuren dank der Gehirnwäsche, die sie aus gewissen „Führungsseminaren“ aufsaugen, längst verlernt haben).

Und dann passierte es: Die Damen vom Jury jauchzten – hier kein O-Ton aber es waren Worte wie – „Ricky, du bist ein Weltwunder“ oder „ich verehre ich“ usw. Auch D.B. schäumte über vor Lob.

Das Kind schaute weiterhin ins Publikum und antwortete auf jedes Lobeswort mit einem putzigen „danke“. Ein gut erzogener Bub halt.

Ich hingegen wähnte mich als Zeuge einer Audienz mit dem jungen Dali Lama, der bereits als Dreijähriger von den Tibetanern als „Gottheit“ verehrt wurde. Er – ich meine den Dali Lama – hat die Kurve gekriegt. Er ist ein bescheidener Mann geworden. Immerhin wurde er einer strengen Lehre unterzogen.

Was bei Ricky Kan auf der Tageskarte steht, weiß ich freilich nicht. Fest steht: Für die Unterhaltungsindustrie ist er ein gefundenes Fressen, ein Quotenmagnet. Man wünscht dem Knaben vernünftige Eltern. (Über die weiß ich übrigens nichts).

Mir fallt dieses Bild vom possierlichen Ricky ein, weil ich gestern im „Spiegel-Online“ eine Schlagzeile las. Das Zitat kann ich leider nicht mehr wörtlich wiedergeben, und der Text war nach wenigen Stunden wieder verschwunden. In etwa jedenfalls: „Deutschland wird immer Amerika ähnlicher“. Es ging darum, dass die Wohlstandsschere hierzulande immer weiter auseinanderklafft.

Das stimmt natürlich. Doch auch was die amerikanische „Unterhaltungsindustrie“ betrifft, wird Deutschland stets Amerika ähnlicher. Kinder wie Ricky werden konsumiert wie süße Trauben. Wenn das Fleisch alle ist, spuckt man den Kern raus und sucht nach dem nächsten süßen Früchtchen.

Guten Appetit, armes Deutschland.

Der Sprachbloggeur erklärt die Finanzkrise

Vorstandsvorsitzender: Wurm! Wo ist der Wurm? Verdammt noch mal, wozu bezahle ich ihn. Es steht in seinem Vertrag – und zwar explizit! – , dass er, wenn ich ihn rufe, innerhalb achtzehn Sekunden zu…

Wurm: (betritt atemlos den Raum) Sie haben gerufen, o Herr der Schöpfung?

Vorstandsvorsitzender: Pssss. Habe ich Ihnen nicht schon mal eingebläut, dass Sie mich nur dann mit „Herr der Schöpfung“ ansprechen, wenn Sie sicher sind, dass keiner mithört. Sonst bekäme man vielleicht den falschen Eindruck.

Wurm: Aber keiner hört mit, o Herr der Schöpfung. Ihre Chefsekretärin ist gar nicht am Platz. Sie steht mit den anderen unten auf der Straße und streikt.

Vorstandsvorsitzender: Streikt? Warum streiken sie?

Wurm: Wegen der Finanzkrise. Darf ich Ihnen ein Kompliment aussprechen?

Vorstandsvorsitzender: Bitte, es war aber nur eine Kleinigkeit. Wie Sie aber sehen: Auch Kleinstvieh macht Mist. Wenn ich bedenke, wie sehr wir – ich meine ich – mir den Kopf zerbrochen habe mit der Frage, welcher Slogan besser klinge: „Finanzkrise“ oder „Wirtschaftskrise“. Inzwischen wundere ich mich über die eigene Unentschlossenheit. Bei „Wirtschaftskrise“ denkt man fast automatisch an eine Spirituosenknappheit. Lächerlich! „Finanzkrise“. So ein schönes Wort, es hat ein gewisses je ne sais quoi, nicht wahr? Fast von alleine strahlt es Angst und Hoffnungslosigkeit aus. Ich bin mächtig stolz auf mich. Na? Also worauf warten Sie, Wurm?

Wurm: O Herr der Schöpfung, auch ich bin mächtig stolz auf Sie.

Vorstandsvorsitzender: Ihr kurzes Zögern gefällt mir schon gar nicht. Heißt es nicht in Ihrem Vertrag, dass sich die Komplimente stets nahtlos dem zu Komplimentierenden zu fügen haben? Wie soll ich sonst verstehen können, dass Sie wirklich stolz auf mich…

Wurm: …Ich bin aber wirklich stolz auf Sie.

Vorstandsvorsitzender: Das haben Sie gut gemacht. Braver Wurm, lieber Wurm, guter Wurm.

Wurm: Danke, o Herr der Schöpfung.

Vorstandsvorsitzender: Habe ich nicht gesagt, dass wir lediglich den richtigen Slogan brauchen, um die Auflagen in die Höhe zu treiben?

Wurm: Jawohl. Das haben Sie gesagt.

Vorstandsvorsitzender: Wie genial von mir! Kaum kündigt der Blattmacher eine Finanzkrise an, und prompt gibt es sie auch. Und das Schöne: Alle wollen darüber informiert werden! Und noch schöner: Wenn es eine Finanzkrise gibt, dann kann ich die Löhne weiter drücken. Mittlerweile sind Freie für einen Apfel und ein Ei zu haben. Ha! Nur, warum muss ausgerechnet meine Sekretärin die Arbeit niederlegen? Hmm, vielleicht könnte ich sie jetzt ganz loswerden. Hmm. Ich hab’s! Sie beschweren sich, dass sie Sie sexuell genötigt hat. Dann gibt es eine fristlose Kündigung. Ein toller Einfall! Ich bin richtig stolz auf mich…Nanu?

Wurm: Ja, o Herr der Schöpfung, ich bin stolz auf Sie.

Vorstandsvorsitzender: Sie haben mich nicht überzeugt. Ist was?

Wurm: Leider haben Sie etwas Wichtiges vergessen.

Vorstandsvorsitzender: Ich? Etwas vergessen? Bitte klären Sie mich auf.

Wurm: Ihre Sekretärin und ich sind seit fünf Jahren miteinander verheiratet. Sie haben damals dazu gedrängt, um die Krankenkasse einzusparen.

Vorstandsvorsitzender: In der Tat. Das habe ich tatsächlich vergessen. Sie können trotzdem behaupten, dass sie Sie sexuell genötigt hat. Oder?

Wurm: Schwierig.

Vorstandsvorsitzender: Hmmm. Dann lassen wir es eben. Ist eh nur eine Kleinigkeit, und immerhin habe ich meine schöne Finanzkrise. Bin ich nicht Spitze?

Wurm: Jawohl, o Herr der Schöpfung, Sie sind einsame Spitze.

 

P.S. – schon wieder in eigener Sache: Noch immer bleibt der „Host“ dieser Seite ein „ghost“. Ich habe aber noch nicht aufgehört zu hoffen. Man weiß, was am letzten stirbt…

Von einer Echse namens Leslie, die mich nicht liebte (und die Konsequenzen)

Ex nihilo locutus. Ahhh. Endlich ein lateinischer Satz – zumindest ein Satzteilchen. Der studierte Altphilologe (und so einer bin ich) schreibt gerne lateinische Sätze. Ex nihilo locutus. Zu Deutsch: aus dem Nichts gesprochen.

Ausgerechnet fallen mir diese Worte ein, als ich die Tastatur – mein Musikinstrument – auf den Schoß setze (so schreibe ich am liebsten). Aber warum gerade jetzt?

Erster Gedanke: Fällt mir heute sonst nichts ein?

Zweiter Gedanke: Warum überhaupt noch schreiben, wenn der Server weiterhin halbkaputt ist, und der Host sich keine Mühe macht, ihn zu reparieren?

Dritter Gedanke: Ist jener bange Tag eingetroffen, an dem ich nichts zu sagen habe?

Alles Pipifax. Jedes Schöpfen ist ein Reden aus dem nichts. Ich gebe aber zu: Die Situation mit dem Server ärgert mich wirklich zusehends. Umso mehr folgende kleine Ablenkung – und zwar in Form einer netten Geschichte über das Schweigen…

Ich bin sechszehn Jahre alt, lebe im New Yorker Stadtteil Queens, bin, was das zarte (haha) Geschlecht betrifft, schüchtern, genauer gesagt, nicht gerade souverän. Hat sich in meinem Leben bis heute diesbezüglich was geändert? Natürlich nicht. Ein Freund (in der Jugend ist, wie man weiß, jeder, den du kennst, dein Freund) – keine Ahnung mehr, wer das war – hat mir dem Schüchternen ein „blind date“ organisiert. Dieser amerikanische Begriff hat sich im MTV-Zeitalter in der deutschen Sprache längst eingebürgert. Trotzdem kommt mir das deutsche „Verabredung mit einer Unbekannten“ viel zarter und sinnlicher vor.

Ich glaube, sie hieß Leslie. Daran kann ich mich komischerweise noch heute erinnern. Warum? Weil ich den Klang des Namens nicht mochte. Zu sehr ähnelte er – zumindest in meiner Fantasie damals – dem englischen Wort „lizard“, also „Echse“. Im übrigen habe ich mir eingebildet, dass diese Leslie (ich sehe das Gesicht mit scharfer Nase und noch schärferem Blick noch immer) irgendwie doch reptilienartig aussah. Nein, sie war bestimmt nicht hässlich. Wenn es zwischen uns gefunkt hätte, hätte ich mich mit Sicherheit in ihr hübsches Lächeln verliebt.

Es hat aber zwischen uns nicht gefunkt. Kommt mal vor. Ich sehe die Szene noch immer im geistigen Auge. Wir bummeln zu viert durch den Stadtteil Briarwood. Keine Ahnung, wohin (oder woher) wir gingen. Das andere „Pärchen“ (wer auch immer das war) schlendert engumschlungen vor oder hinter uns, während Leslie und ich unbeholfen nebeneinander dahinstaksen. Tunlichst vermeiden wir den direkten Blickkontakt. Ich bin schrecklich nervös und rede endlos wie ein Wasserfall, weil ich eine panische Angst vor der Stille habe. Die Stille. Die wäre für mich gleichbedeutend mit dem endgültigen Scheitern, und Scheitern will ich partout nicht. Mir ist wichtig, dass ich das fremde Reptil an meiner Seite, auch wenn ich nichts für es empfinde, mit meiner Charme becirce.

Keine Ahnung, worüber ich endlos redete, und keine Erinnerung, ob Leslie außer „mm hmm“ oder „ja“ anderes erwiderte. Plastisch bleibt mir lediglich meine wachsende Verzweifelung.

Dann passierte es: der befürchtete GAU: Endlich gingen mir die Worte aus. O Schreck o Schande. Und schließlich sagte ich in meiner Panik die verhängnisvollen Worte eines jeden ehrlichen Losers:

„Weißt du, ich habe keine Ahnung, was ich dir noch sagen soll. Eigentlich habe ich dir nichts zu sagen.“ Ja, die Luft war ausgegangen.

„Und ich dir auch nicht“, erwiderte sie ruhig und, tja, vielleicht freundlich.

Tut mir leid. Ab diesem Moment wieder Filmriss. Ich bilde mir aber ein, dass hier ein wohltuendes Schweigen einsetzte, selbstverständlich mit einem Schuss Traurigkeit gespickt. So ist es immer, wenn einer das Handtuch wirft.

Heute denke ich, dass mein ehrliches Bekenntnis die einmalige Gelegenheit gewesen wäre, neu anzufangen. Doch dazu war ich nicht fähig. Sie offenbar auch nicht.

Wir wären bestimmt ein hübsches Pärchen geworden. Aber das Leben hatte mit Leslie und mir anderes vor. Bedenken Sie die Konsequenzen, wenn wir damals als humorvolle Geliebte engumschlungen durch die Straßen Queens still und vertraut geschlendert wären. Es gäbe, zum Beispiel, heute vielleicht keinen Sprachbloggeur! Kann man nie wissen. Und womöglich hätte ich heute auch keine Probleme mit dem Server.

Aufwachen! Wir schreiben das Jahr 2011, lieber Sprachbloggeur, und sic transit gloria mundi, so vergeht der Ruhm der Welt.

Flaschenpost(ing) eines schiffbrüchigen E-Schriftstellers

Kennen Sie den alten Witz?

Das Kind ist vier Jahre alt und spricht immer noch nicht. Die Eltern machen sich verständlicherweise große Sorgen. Hilfesuchend karren sie den Knaben vom Arzt zu Arzt herum. Vergeblich. Er spricht nicht. Kein Wort.

Eines Tages ist die Familie zu Tisch. Die übliche Stille. Auf einmal sagt das Kind: „Die Kartoffeln sind kalt.“

„Du sprichst! Du sprichst! Ein Wunder ist geschehen!“ jauchzen die Eltern.

„Aber natürlich spreche ich“, sagt das Kind.

„Aber warum hast du bisher immer geschwiegen?“

„Bisher“, antwortet das Kind, „war alles in Ordnung.“

Ja, liebe Leser, die Kartoffeln sind kalt. Und damit meine ich, dass diese Webseite seit einem Monat ihren Zweck als Informationsträger nicht richtig erfüllt. Kein Wunder, dass mir jedes Posting – zu Deutsch Beitrag – wie Flaschenpost vorkommt. Flaschenposting.

Wie jeder, der jemals einen Zettel bekritzelt hat, um ihn in eine Flasche zu stecken und ins wässrige Ungewisse zu schicken, werden wöchentlich auch meine Glossen auf gut Glück ins WehWehWeh gesendet.

Auch zu besten Zeiten ist das Hochladen eines Textes ins Netz ein Glücksspiel. Man freut sich, wenn jemand das Flaschenposting rezipiert. Wenn aber die Webseite (in diesem Fall meine E-Flasche) defekt ist, wird jegliche Kommunikation erschwert, wenn nicht ganz unmöglich gemacht.

Wir schreiben das Jahr 2011. Dennoch fühle ich mich oft wie ein Schriftsteller aus der Antike, dessen Werke den Launen der Überlieferung auf einem Informationsträger (in meinem Fall ein Server) ausgeliefert ist. Die Gedichte der antiken griechischen Lyrikerin Sappho wurden, sagt die Legende, in einem einzigen Manuskript bis ca. 1000 n.Chr. am Leben gehalten. Doch dann passierte es: Das Manuskript wurde von einem prüden Leser aufgespürt und als Schweinkram vernichtet. Ende der Überlieferungskette. Die Gedichte des römischen Dichters Catull galten lange hingegen als verschollen. Plötzlich entdeckte man im 13. Jt. das letzte erhaltene Manuskript – und zwar unter einem Weinfass irgendwo in Italien (Verona?). Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde eine Handschrift mit Gedichten des längst verschollenen Griechen Bakchylides zufällig ausgegraben. Sie war zwar ziemlich durchlöchert und zerfetzt. Aber immerhin.

Ja, ein Glücksspiel. Auch große Auflagen schützen nicht vor dem Vergessen. Wer kennt noch heute die Dieter Bohlen-Autobiographie, die erst vor wenigen Jahren als Bestseller für regen Umsatz sorgte? Nicht einmal der Titel dieses Buches fällt mir heute ein. Altpapier geworden.

Sie sehen schon. Ich bin heute etwas gereizt. Ein Schriftsteller wird stets von der eigenen Fantasie und von der Freude – oder mal der Irritation – seiner Leser beflügelt. Wenn er – bzw. ich – das Gefühl hat (habe), dass seine (meine) Texte an einer Platform erscheinen, die allem Anschein nach von einer Neutronbombe verwüstet wurde, bleibt die Freude sehr in Grenzen.

Keine Ahnung, ob Ihnen diese(s) Flaschenpost(ing) erreichen wird. Wir hoffen jedenfalls auf bessere Zeiten. Zeiten, in denen die süße Illusion der Normalität wieder vorherrscht, damit diese Seite endlich ihre gewohnte Aufgabe erfüllen kann.

Falls Sie diese(s) Flaschenpost(ing) erhalten, ist die Botschaft sehr einfach: Die Kartoffeln sind kalt. Sehr kalt.

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