Schon seit Jahren bin ich nicht mehr ganz auf dem Laufenden. Als alle Zeitgenossen Krawatten wie dünne Stricke trugen, sah meine wie ein Brustpanzer aus. Als ich endlich im Besitz eines schlichten, schmalen Schlips war, waren die breiten wieder in Mode.
Das nur zur Einleitung. Und nun zum Fenster, um mich weit über den Abgrund hinauszulehnen. Denn heute möchte ich ein Buch empfehlen, das mich schon wieder zu einer Lachnummer machen könnte. Ich riskiere damit meinen Ruf als harmlosen Exzentriker noch mehr zu entwerten wie bisher – wenn das überhaupt möglich ist: Heute möchte ich nämlich über ein Buch in lateinischer Sprache ins Zucken geraten.
Sind Sie noch da, liebe Leser? Oder habe ich Sie mit meinem öden Geschwätz schon jetzt in die Hände der Konkurrenz vertrieben? Bei YouTube gibt es, so höre ich, ein tolles Video, das einen niedlichen kleinen Hund zeigt, der seine Notdurft in eine Teetasse verrichtet. Man weiß nie, wohin der nach Nervenkitzeln hungrige Surfer abdriftet, wenn der Geduldsfaden reißt.
Oder man (bzw. frau) klickt auf eine Seite, wo man/frau in den Genuss einer Leseprobe von „Shades of Grey“ kommt. Sie wissen schon (wahrscheinlich besser als ich): die neue Bücherreihe, über eine Frau, die einem respektlosen Halunken mit überdimensionalem Libido zuliebe vierzig Jahre Frauenbewegung über Bord wirft.
Nebenbei: Als ich auf die Idee kam, „Shades of Grey“ in dieser Glosse zu erwähnen, fiel mir der Name nicht ein. Was tat ich? Ich googelte folgende englischsprachige Begriffe: „sado-masochistic book“ und „bestseller“. Prompt leuchtete „Shades of Grey“ auf dem Bildschirm.
Wer braucht ein Gedächtnis, wenn man das Internet und einen funktionierenden Browser hat?
Aber jetzt zu meiner Empfehlung, die freilich nur denen gilt, die Lateinisch Kenntnisse haben bzw. auffrischen möchten. Oder vielleicht Sind Sie Elternteil eines Schülers bzw. einer Schülerin, der/die Latein auf dem Lernprogramm hat.
Ich selbst kam ganz zufällig zum besagten Buch. Meine Frau arbeitet nämlich bei einem Verlag und begutachtet beinahe täglich den dortigen „Grabbeltisch“, wo die Lektoren auf laufenden Band Bücher zur kostenlosen Mitnahme hinterlegen. Eine schöne Einrichtung. Für meine Frau ist der „Grabbeltisch“ (ich möchte fast „Krabbeltisch“ schreiben) zu einer Sucht geworden, was sich allerdings diesmal für mich als Glücksfall herausstellte.
Und jetzt komme ich zu „Diarium Rubeculi“ – zu Deutsch „Robinsons Tagebuch“, erschienen zweisprachig bei dtv.
Es handelt von einem Engländer namens Robinson (Rubeculus), der auf eine Schifffahrt nach Lateinamerika Schiffbruch (naufragium) erleidet. Er ist der einzige Überlebende. Das Wrack des Schiffes (fragmenta navis) liegt unmittelbar vor der Küste einer einsamen Insel. Der gerettete Matrose (nauta) kann also Vorräte vom Schiff holen, um sich auf der Insel gemütlich einzurichten. Außerdem hat er als Gesellschafter den Schiffshund, „Jacky“ (Jacco).
Der Witz ist: Da Robinson wusste, dass das Schiff Kurs auf Lateinamerika nehmen würde, hatte er vorsorglich ein lateinisches Wörterbuch mitgebracht, um sich mit dessen Hilfe mit den Lateinamerikanern besser zu verständigen. Nun führt er sein Tagebuch als einsamer Schiffsbrüchiger auf Lateinisch. Er möchte es den Lateinamerikanern, falls sie sein Tagebuch finden, leichter machen. Schöner Einfall, nicht wahr?
Ich werde hier Robinsons aufregende Abenteuer nicht verraten. Wer sie liest, wird diese selbst entdecken. Fest steht aber: Die Sprachebene des Lateinischen ist ziemlich einfach. Wer Basiskenntnisse hat, kann ziemlich fließend lesen. Ein Erfolgserlebnis ist also vorprogrammiert. Außerdem wird eine Übersetzung - gut für die kniffligen Stellen – mitgeliefert. Last but not least findet man auf den letzten Seiten ein Wörterverzeichnis.
„Shades of Grey“ wird längst mal Geschichte sein und die tollsten YouTube Videos werden wie alles Kurzlebige in Vergessenheit geraten. Die lateinische Sprache hingegen, Fundament der europäischen Kultur, bleibt uns lange als unentbehrliche Quelle erhalten. Hier eine nette Gelegenheit in die alte Sprache neu einzusteigen. P.J. Florum Vallis, Linguae Bloggorius.
Hier der erste (zumindest mir) bekannte Witz über das Higgs-Boson-Gottesteilchen. (Schon davon gehört…oder?) Doch leider ist er auf Englisch. Noch schlimmer: Die Pointe ist nur verständlich, wenn Sie ein gewisses Wortspiel verstehen. Wahrscheinlich liege ich heute total daneben, einen obskuren Witz über ein noch obskureres Phänomen zu offrieren. Aber here goes:
Higgs Boson walks into a church. The priest says: “Blasphemer! Calling yourself the God particle! Get out of here!”
Higgs Boson replies: “Okay, but without me, you can’t have Mass.”
Haben Sie verstanden? Falls nicht, kann ich im folgenden ellenlangen Aufsatz den Witz und das Phänomen leicht verständlich machen.
Nein, wieder nur ein dummer Witz. Im Grunde verstehe ich selbst nicht, was Higgs Boson, sprich das „Gottespartikelchen“ sein soll – obwohl ich Zeitungen lese.
Mr. Higgs – Vorname Peter – hat offenbar schon vor fünfzig Jahren die Existenz des „Boson“ gemutmaßt. Boson? Genannt nach dem theoretischen Physiker Satyendranath Bose, sind Bosonen (Mz.) winzige Kraftteilchen, die Fermionen, also winzige Materie-Teilchlen, zu konkreten Dingen verwandeln. Alles klar? Natürlich nicht.
In der Zeitung hieß es – und ich glaube, man hat irgendeinen Physiker mit gewissen pädagogischen Fähigkeiten zitiert – : Ein Boson sei der „Zuckersyrup“ (Englisch „molasses“) dass die klitzekleinste Materie, die Fermionen, zusammenführt, um die Dinge des sichtbaren Universums zu formen.
Wieso wird diese Melasse ausgerechnet als „Gottesteilchen“ bezeichnet? Keine Ahnung. Außerdem würde ich die Bosonen lieber als eine Art Kitt verstehen und nicht als Melasse.
Egal. Als ich das erste Mal dem Wort „Boson“ in der Zeitung begegnet bin, konnte ich mir nichts darunter vorstellen. Ich habe sogar einen Tippfehler vermutet. Vielleicht wollten sie „Bison“ schreiben, dachte ich. Oder „bosom“, Englisch für „Busen“.
Beim Gedanken an „bosom“ überraschte mich die folgende Überlegung: Ein Glück, dass Higgs sein „Boson“ erst in den 1960er Jahren als Prinzip der Schöpfung ausgedacht hat und nicht in den 1950er Jahren. Denn in den 1950er Jahren wäre er mit einem solchen Namen auf erhebliche Schwierigkeiten gestoßen.
Tatsache ist: In den USA – und in England – in den 1950er Jahren herrschte eine Sittenstrenge wie wir sie heute in Qatar oder Saudi Arabien kennen. Manches war prinzipiell nicht erlaubt. Darunter gewisse Wörter. „Boson“ wäre bestimmt eins dieser Wörter gewesen. Denn es lässt zu sehr an „bosom“, also „Busen“ denken. Ein „Gottesteilchen“ als „Boson“ zu bezeichnen, hätte dazu führen können, dass manchen Leuten Witze über Brüste eingefallen wären. Damals ein großes „no-no“.
Ich erinnere mich, wie ich einmal als Kind das Wort „bosom“ als Bezeichnung für „Geborgenheit“ zu Ohren bekommen habe – und zwar in einer Redewendung aus dem 16. Jahrhundert, die besagte, einer sei „in the bosom of Abraham“. Damit meinte man „völlig beschützt“. Wir Kinder konnten uns aber bei diesem Gedanken kaum beherrschen und kicherten unaufhörlich los. Wir dachten natürlich an weibliche sekundärsexuelle Merkmale.
In den 1950er Jahren hätte niemand vom „Higgs Boson“ reden können, ohne dieses Missverständnis zu riskieren.
Ach wie weit bin ich vom englischen Witz abgedriftet, den ich oben erläutern wollte.
Falls Sie die Pointe von alleine nicht gelöst haben, hier die Erklärung: „Mass“ hat im Englischen zwei Bedeutungen. Es ist die Masse (also Materie) und die „Messe“, die in der Kirche gelesen wird.
Zum Umfallen lustig ist der Witz vielleicht nicht. Immerhin: Es handelt sich, so weit ich weiß, um den allerersten Witz über Higgs Boson – exklusive für Sie beim Sprachbloggeur.
Freund L. hat mir neulich Folgendes mitgeteilt: „Mach dir keine Sorgen um den Erhalt des Kulturguts der Gegenwart. Alles kann man digitalisieren. Alles: Bilder, Bücher, Notizen, Verträge, auch Gemälde. Ich verspreche: All diese Dateien sind so sicher, als wären sie in Stein gemeißelt.“
Er wollte mich beruhigen, nachdem ich die Befürchtung geäußert habe, dass künftige Generationen möglicherweise weniger über unser Zeitalter wissen werden als wir über das europäische 8. Jahrhundert.
Digitales Wissen gelte nämlich als gefährdet, weil nur kurzfristig speicherbar. So mein Argument. „Was passiert, zum Beispiel“, sagte ich, „wenn das Internet aus heiterem Himmel zusammenbricht? Dann ist aus mit der ‚Cloud‘. Die ‚Cloud‘ wird dann wie jede Wolke verdünsten. Paff! und alles ist weg.“
„Nein“, besänftigte L. „Das Tolle am Internet ist seine dezentralisierte Struktur. Auch wenn das Netz an vielen unterschiedlichen Orten zeitgleich kollabierte, bliebe der gesamte Inhalt irgendwo erhalten.“
„Und was ist, wenn das ‚Irgendwo‘ ausgerechnet China, Iran, Nordkorea oder Saudi Arabien wäre? Meinst du, die hätten großes Interesse, Kontroverses zu konservieren? Der Sprachbloggeur wäre im Nu Pfutsch. “
„Du machst dir unnötige Sorgen.“
Ja, das hat mir L. gesagt, und ich habe mich von ihm vorerst besänftigen lassen. So sehr, dass ich mir folgende Fantasie ausdachte:
Wir schreiben das Jahr 4012 n.Chr. Archäologen entdecken bei Ausgrabungen einen riesiegen unterirdischen Raum und stoßen auf tausende USB-Sticks – eine Art Digitalbliothek vielleicht. Natürlich haben die Archäologen USB-Sticks nie gesehen, wissen nicht, was die Dinge sind.
Rückblick: Mitte des 19. Jahrhunderts stießen Forscher während Ausgrabungen im Irak auf abertausende beschriebene Tontafeln, die zunächst nur Rätsel aufwarfen, obwohl man vermutete, es handele sich wohl um eine Schrift. Über die nächsten Jahrzehnte war es den Forschern dank einem unfassbaren Fleiß, diese Tafeln beinahe vollkommen zu entziffern. Schon 1915 hatten sie über eine Million Tafeln an verschiedenen Stätten im Irak und Syrien an den Tag gelegt und entkodiert.
Die Geschichte dieser Entzifferung ähnelte gewissermaßen der Lösung eines Sudoko-Rätsels. Trial and error, sozusagen. Und Logik. Henry Creswicke Rawlinson, einer der frühen Codeknacker behauptete Jahrzehnte später: „Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mehr, wie wir das geschafft haben.“
Doch zurück zu meiner Fantasie aus dem Jahr 4012, als der Fund USB-Sticks entdeckt wird. Ich stelle mir vor, dass ein künftiger Rawlinson ebenso hartnäckig wie sein Vorgänger aus dem 19. Jahrhundert den Sinn dieser ulkigen Datenträger entlocken wird, um sich somit die Stimme unserer heutigen Zivilisation zu erschließen.
(Nebenbei: Wir wissen heute dank den Tontafeln mehr über das tägliche Leben der Babylonier und Assyrer als über die der Griechen und Römer. Denn gebrannter Ton vergeht nicht. Unter den zahllosen Keilschrifttexten der Akkader, Babylonier und Assyrer befinden sich zahllose Briefe, Gerichtsurteile, Geschäftsverträge, Schulbücher usw. Solche Texte sind aus Rom und Griechenland kaum erhalten geblieben).
„Tut mir Leid“, unterbrach Freund P., als ich ihm neulich von meiner Zukunftsfantasie erzählte: „Deine USB-Sticks, gesetzt den Fall, sie würden die Zeiten unbeschädigt überstehen, was ohnehin fraglich ist, bräuchten mehr als einen Rawlinson, um sich erschließen zu lassen. Hilfreicher wäre ein Wahrsager. Der alte Rawlinson musste schließlich ca. 200 Zeichen erfassen und kombinieren, um eine zum Teil bereits bekannte Sprache ins Leben zu rufen. Ein künftiger Rawlinson hätte eine ganz andere Aufgabe, gesetzt den Fall, die digitale Information noch lesbar wäre, was auch zweifelhaft ist.“
„Und was wäre diese Aufgabe?“
„Bei der Digitalisierung wird Information entweder als Null oder Einser gespeichert. Dein Rawlinson müsste also aus lauter Nullen und Einsern feststellen, ob er einen Text, ein Bild oder gar Musik vor sich hat. Eine undankbare Arbeit.“
„Aber das Internet. Es wird vielleicht nie kaputt gehen. Dann haben wir uns den ganzen Salat der Entkodierung gespart. Alles Wissen um die Codes würde praktisch ewig wahren.“
„Pustekuchen. Schon jetzt stehen wir wegen des hohen Stromverbrauchs des Netzes einem Energieinfarkt nahe.“
„Was schlägst Du denn vor.“
„Ganz einfach: Alles auf Tontafeln einritzen. Ein mehrfach bewahrtes System.“
Sprachforscher lieben meine Mutter. Wenn sie redet hört man manchmal Redewendungen, die so alt sind wie „Lonesome George“. Sie wissen schon: die Riesenschildkröte, letztes Exemplar seiner Unterart, die jüngst auf den Galápagos zum ewigen Laichplatz zurückgekehrt ist. Die Sprache meiner Mutter ist wirklich museumreif. Doch kein Wunder. Sie ist 95 Jahre alt. Würde ich ihren Namen und Telefonnummer verraten, so würden Scharen von Sprachwissenschaftlern Interesse zeigen, davon bin ich überzeugt, sie zu interviewen.
Wahrscheinlich würden sie sie aber kaum antreffen. Meine Mutter ist selten in ihrem Zimmer. Meistens spielt sie Karten und Bingo oder sie brettert durch die Weltgeschichte mit ihrer Freundin Vera – Vera allerdings am Steuer nicht meine Mutter.
Was sagt sie, das so besonders ist? Hier ein Beispiel. Sie erzählte mir einmal am Telefon, wie ihre Freundin Anni, ein Mensch, der unbedingt und zu jeder Zeit Mittelpunkt sein muss, einen Raum betrat: „She barged in [„hineinstürmte“] like Grant took Richmond.“
Haben Sie das verstanden? Sie ist sozusagen mit der Tür in den Raum gefallen, so forsch wie einst General Grant, als er Richmond einnahm – ein Hinweis auf eine berühmte Schlacht, am Ende des amerikanischen Bürgerkriegs, also im Jahr 1865. So was sagt kaum jemand mehr – außer meine Mutter.
Oder noch ein Beispiel: „I haven’t seen that film since Hector was a pup.” Das heißt: als Hector noch ein Welpen war, d.h., „seit ewig“. Sprachforscher sind uneinig über die Herkunft dieser Redewendung. Manche sehen darin einen Hinweis auf den Hektor des trojanischen Krieges. Anderen zufolge war „Hector“ in den 1920er Jahren in den USA ein sehr verbreiteter Hundename. Ich hingegen bilde mir ein, dass Hector ein Hund aus einer Komik in den 1920er Jahren war. Ich weiß aber nicht, ob das stimmt.
Oder: „Now you’re cooking with gas!“ Dieser heiterer Spruch stammt aus der Zeit, als in der Küche der Holzofen zum alten Eisen geworfen und vom Gasherd ersetzt wurde.
Und ein letztes Beispiel: „That’s the cat’s pajamas.“ Der Schlafanzug der Katze. So drückten junge Amerikaner der 1920er Jahre das aus, was junge Deutsche heute mit “voll geil” wiedergeben.
Warum über den alten Wortschatz meiner alten Mutter erzählen? Weil ich feststelle, dass auch mein Wortschatz – und an dieser Stelle denke ich lediglich an deutsche Vokabeln – allmählich alt wird.
Als ich 1975 in München eintraf, sagten junge Leute – zu denen auch ich zählte – „toll!“, wenn, sie sich über etwas freuten. Ich gebe zu: Dieses Wort ist auch heute lange nicht verschwunden. Aber wer drückt noch seine Begeisterung damit aus? Neulich habe ich in den Nachrichten die grüne Claudia Roth beim Ausführen eines arabischen Tanzes in Libya sehen können. Bestimmt hat sie nach dem Tänzchen „Toll!“ ausgerufen.
Der alter Otto – Jahrgang 1896 – , den ich nach meiner Ankunft in München kennenlernte, pflegte zu sagen, wenn er sein Staunen zum Ausdruck brachte: „Donnerwetter“. „Toll“ hingegen betrachtete er als schlichte Vulgarität.
Und die coolen jungen Leute, mit denen ich damals verkehrte, beschrieben einen Gesamtvorgang oft als „die ganze Chose“. Diese Bekannten meiner Jugend, wenn sie noch leben, sind immer noch von der ganzen Chose erpicht. Da bin ich sicher. Und wer jauchzt noch mit einem freudigen: „Affengeil!“? Ich tippe auf alternde Richter (zumindest während in ihrer Freizeit) und vergraute Lehrer.
Ca. 1983 entdeckte ich, dass junge Deutsche, d.h., Deutsche, die jünger waren als ich, über eine eigene, mir fremde Jugendsprache verfügten. :Die erste Vokabel, die ich aus dieser Jugendsprache bewusst vernahm, war „Ätzend!“ Ich nahm es mir schon damals vor, das Wort nie selbst zu verwenden. Mir kam es zu, zu…jugendlich vor.
So eine Haltung bezeichneten die Deutschen meiner Generation als „konsequent“.
ich meine: Man ist, was man sagt.
Vorstandsvorsitzender: Hmm. Etwas stimmt nicht. Wurm!
Wurm: (betritt den Raum, er ist außer Atem) Was ist o Herr, o Mittelpunkt aller irdischen Verehrung, Sonne aller Sonnen?
Vorstandsvorsitzender: Rufen Sie meinen Steuerberater an.
Wurm: Ich bedaure, o Herr, o Mittelpunkt aller irdischen Verehrung, Sonne aller Sonnen. Sie haben leider keinen Steuerberater mehr. Sie haben ihn vor sechs Monaten entlassen. Wenn ich erinnern darf: Sie haben damals gemeint, dass man genügend Freeware im Internet finde, um das kostenlos zu erledigen, wofür er sich frei gefühle, Ihnen unverschämte Rechnungen zu verschicken.
Vorstandsvorsitzender: Na, dann ist gut. Werfen Sie meinen Rechner an. Ich möchte mein Steuerprogramm konsultieren. Wurm, wieso hecheln Sie so? Schon reif für die Frühpensionierung? Hmm?
Wurm: Weil ich gerade siebzehn Stockwerke hinaufgestiegen bin. Außerdem kann ich Ihnen, o Herr, o Mittelpunkt der…
Vorstandsvorsitzender:… Sie dürfen sich heute ausnahmsweise die ganzen Titel sparen. Es dauert sonst zu lange, bis ich endlich erfahre, was Sie zu sagen haben. Zeit ist schließlich Geld.
Wurm: Ich wollte nur sagen, o…Verzeihung. Ich wollte nur sagen, dass ich Ihnen den Rechner nicht anwerfen kann, weil wir keinen Strom mehr haben. Deshalb bin ich die siebzehn Stockwerke hochgegangen.
Vorstandsvorsitzender: Keinen Strom? Keinen Lift? Was reden Sie für Unsinn? Bin ich heute nicht schon mit dem Lift hochgefahren?
Wurm: Jawohl. Das war aber heute früh. Seit dreizehn Uhr gibt es keinen Strom mehr.
Vorstandsvorsitzender: Ist was passiert? Ein Stromausfall? Wurden auch andere Hauser in Mitleidenschaft gezogen. Bäh! Wie ich das Wort hasse.
Wurm: Welches Wort, o…Verzeihung.
Vorstandsvorsitzender: Mitleidenschaft. Man hört unentwegt das Wort „Mitleid“ heraus. Jeder vernünftige Firmenchef weiß, dass die Erzsünde eines jeden Managers ist, wenn er Mitleid verspürt.
Wurm: Ich verstehe.
Vorstandsvorsitzender: Aber erzählen Sie vom Stromausfall. (Er schaut aus dem Fenster). Komisch, in den Häusern gegenüber sehe ich Lichter. War nur bei uns ein Kurzschluss im Generator?
Wurm: Nein, o Herr. Wir haben keinen Strom, weil wir die Stromrechnung nicht bezahlt haben?
Vorstandsvorsitzender: Sie machen Witze, Wurm. Holen Sie mir den Chefbuchhalter.
Wurm: Leider unmöglich. Sie haben ihn vor zwei Jahren in die Frührente geschickt und die Stelle nie wieder besetzt.
Vorstandsvorsitzender: Wer macht denn die Bücher?
Wurm: Eine Zeitlang war es die Zugehfrau, die einst in der Buchhaltung mitgearbeitet hatte, aber Sie haben sie vor zwei Wochen vor die Tür gesetzt, weil sie auf der Toilette geraucht hat.
Vorstandsvorsitzender: Schließlich haben Angestellte das Rauchverbot einzuhalten. Finden Sie nicht? Seit zwei Wochen ist sie weg?
Wurm: Jawohl, o…
Vorstandsvorsitzender: Ach deshalb sind die Toiletten so dreckig. (Er hält kurz inne.) Lieber Wurm, ist die Lage wirklich so schlimm?
Wurm: Ich fürchte, ja.
Vorstandsvorsitzender: Und was höre ich da? Als würden lauter Menschen durch die Gänge toben.
Wurm: Es ist ein Aufstand. Sie suchen nach Ihnen.
Vorstandsvorsitzender: Ach du lieber. Wir müssen die Polizei holen.
Wurm: Die Telefonanlage funktioniert ohne Strom nicht.
Vorstandsvorsitzender: Haben Sie ein Handy?
Wurm: Nein.
Vorstandsvorsitzender: Ich wusste nicht, dass es so schlimm um uns bestellt war. Tja. Sieht aus, als seien wir am Ende, lieber Wurm.
Wurm: Was heißt „wir“, Herr Turbokapitalist?
Es gibt kein Zurück: Das Zeitalter der E-Bücher schreitet voran. Eines Tages wird das vertraute Taschenbuch alt aussehen – wie heute meine schöne Leica.
Eines Tages, aber noch nicht. Die Kuh ist noch nicht in trockenen Tüchern – wenn ich meine Metaphern durcheinander bringen darf.
Zuerst aber ein Erfahrungsbericht: Gestern habe ich ein E-Buch fertiggelesen. Es war das erste Mal, dass ich auf meinem Reader ein ganzes Buch vom Anfang bis Ende vertilgt hatte. Fazit: Das Lesen war ganz unproblematisch. Auch meine Frau ist dabei, ein Buch auf ihrem Lesegerät zu lesen. Auch sie findet die Lektüre angenehm – vor allem weil man die Schriftgröße selbst bestimmen kann.
Bei mir aber stehen die Bücher Schlange. Ab gestern war ein Buch, das lange an der Reihe ist, dran: ein Roman mit ca. 930 Seiten. Ein Buch aus Papier, kein E-Buch. Es wiegt leider ca. ein Kilo. Manche weinen beim Gedanken an die E-Bücher das schöne haptische Gefühl des Analogzeitalters nach. Ich hingegen wähne mich bei der Lektüre meines schwergewichtigen Romans im Fitness-Studio. Ade einhändige Lektüre auf dem E-Reader. Hätte ich den Roman nur als E-Buch, denke ich. Leider existiert er in dieser Form nicht, bzw. noch nicht. Und noch ein Problem: Dieser – sehr schöne – Roman nimmt mindestens zehn Zentimeter Regalplatz in Anspruch.
Es hilft kaum, sich in Sentimentalitäten zu schwelgen. Wir leben nun mal im Digitalzeitalter. Zur Erinnerung: Inzwischen haben sich die meisten Menschen leichten Herzens von ihren schönen (und schweren) Analogfotoapparaten verabschiedet. Der Schreibmaschine begegnet man nur noch im Museum oder im muffigen Kellerabteil. „Vinyl“ ist nur mehr die Spezialität einer Nischenbewegung geworden. Heute hört man lieber MP3, Bluetooth usw. Und man spart auch viel Platz in der engen Wohnung.
So schnell wird man die Uhren nicht zurückdrehen.
„Ja, aber das ganze Wissen unseres Zeitalters wird innerhalb fünfzig Jahren, weil digitalisiert, verschwinden. Strom ab und paff!“ Das sagte ich meinem Computer-Guru G. erst vor vier Wochen.
„Aber woher“, antwortete er. „Es ist viel wahrscheinlicher, dass Bücher verschwinden werden. Digital gespeichertes Wissen ist sehr hartnäckig. Die Bücher der Antike wurden in Bibliotheken aufbewahrt und sind deshalb zu 95% zugrunde gegangen, restlos verschwunden. Der Vorteil der Digitalisierung liegt in der Dezentralisierung des Wissens. Irgendwo auf der Welt werden E-Bücher usw. überleben – auch nach einer größeren Katastrophe.“
„Aber was ist“, parierte ich, „wenn keiner in der Lage ist, die Rechner wieder anzuschmeißen?“
„Auch das dürfte kein Problem sein. Informatiker gibt es wie den Sand am Meer.“
G. ist kein Schwärmer. Er verfolgt die Entwicklung der Digitalisierung seit 40 Jahren.
Im Februar 2013 erscheint mein Buch „Kaspar Hausers Geschwister“ bei dtv. Ich habe es für diese Veröffentlichung gründlich überarbeitet, so dass es endlich das Buch wird, das es vor zehn Jahren hätte werden sollen. Dies erzähle ich nicht nur, um Eigenwerbung zu betreiben. Der Verlag wird KHs Geschwister zweigleisig herausgeben: Als Taschenbuch und als E-Buch. Ich bin mit dieser Lösung sehr zufrieden. Wichtig ist nur – und das habe dem Verlag bereits mitgeteilt – , dass die E-Buch-Version gut navigierbar sei.
Aber nun zu den Problemen. Ab jetzt werde ich Namen nennen: Der Sony Reader, z.B., ist nicht in der Lage – zumindest nicht in Deutschland– griechische Texte korrekt darzustellen. Dies entdeckte ich, als ich versuchte, eine zweisprachige Ausgabe von Sappho auf dem Reader zu lesen. Der griechische Text erschien zum Teil als Buchstabensalat. Wer Hebräisch, Arabisch und Russisch auf dem Reader haben will, schaut ebenfalls in die Röhre. Als ich dieses Manko dem Sony-Kundendienst mitteilte, bekam ich die Antwort: „Allein Microsoft betitelt die Fonts auf über 100.000. Und täglich werden neue geschaffen. Sie werden Verständnis haben, dass damit der e-Reader völlig überlastet wäre.“ Meine Antwort: „Ich verlange nur drei oder vier Fonts und keineswegs 100.000.“ Bis Sony in der Lage ist, diverse Schriften in E-Büchern darzustellen, die bei Analogbüchern eine Selbstverständlichkeit sind, kann man das Lesergerät nur begrenzt ernst nehmen.
Der Kindle hingegen kann die von mir erwünschten Schriften korrekt anzeigen. Ein Plus für Amazon. Nur: Beim Kindle weiß der Leser nicht, auf welcher Seite im Buch er sich befindet. Der Kindle zeigt nämlich keine Seitenzahlen an nur Prozentzahlen. Der arme Leser bzw. Leserin, meine Frau, zum Beispiel, weiß nur, dass sie 38% Ihres Buches gelesen hat.
Und dann gibt es noch immer die leidige Frage der Reproduzierbarkeit von E-Büchern. Amazon gönnt dem Leser eine gewisse Anzahl an Kopien, die er dann auf verschiedene eigene, bei Amazon registrierte Lesegeräte überspielen darf. Gleiches gilt für Weltbild, Buecher.de, TXTR usw. Um ein unerlaubtes Kopieren zu verhindern, werden Bücher mit einem DRM-Schutz versehen. Was ist aber, wenn ich ein E-Buch, das ich gekauft habe, weiterverkaufen möchte? Analogbücher kann ich jederzeit weiter verkaufen. Der DRM-Schutz ist ohnehin eine Scheinlösung zu einem Problem. Denn man findet überall im Internet die entsprechende Software, um den DRM-Schutz zu entfernen.
Manche Anbieter, zum Beispiel der amerikanische E-Verleger Delphi Classics, gibt Gesamtwerkausgaben von Autoren, die schon mindestens 70 Jahre tot sind (Fontane, Dickens, Proust usw.) heraus – sowohl in MOBi-Format (also für den Kindle) wie auch in EPUB-Format – dies ohne DRM-Schutz. Was man mit den Büchern macht, ist also jedem frei gestellt.
Dennoch ist es verständlich, dass lebende Autoren, Verlage und Buchhandlungen daran interessiert sind, Urheberrechte zu schützen. Es geht hier schließlich um ein Geschäft. Die Lösung zu diesem heiklen Problem muss selbstverständlich ein anderes sein als im Analogbuchzeitalter.
Auch ich als künftiger E-Buch-Autor will meine Interessen verteidigen. Ich werde über eine Lösung nachdenken.
Noch eine Beobachtung: Amazon hat unter den E-Buch-Anbietern meiner Meinung nach noch immer die Nase vorn. Zunächst, weil das Angebot sehr groß ist. Und ebenso wichtig: Der Käufer kann „ins Buch blicken“. So erfährt er vor dem Kauf, ob die Navigation des E-Buches vernünftig organisiert ist oder nicht. Hier nur ein Wink mit dem Zaunpfahl für die Konkurrenz.
Es war der rührselige Bundespräsident a.D. Christian Wulff, der als erster den Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ in den Mittelpunkt der deutschen Tagespolitik platzierte.
Das war im Jahr 2010. Schon damals haben Besucher der vorliegenden Seite eine Glosse zu diesem Thema (s. „Die Leitkultur und die Leidkulturen“ vom 19. Oktober 2010) vorgefunden.
Nun hat Bundespräsident Gauck Gleiches erläutert wie ich damals: dass nicht der Islam, sondern Muslime zu Deutschland gehören. (Beinahe zeitgleich mit der Aussage Gaucks bestätigte hingegen CSU Staatsminister Söder überraschenderweise die Wulff’sche These).
Wer hat recht?
Hier hilft nur ein bisschen Geschichtsunterricht.
Tatsache ist: Der Islam hat nie eine zentrale Rolle in der deutschen Geschichte gespielt – mit Ausnahme vielleicht von der Zeit der Kreuzzüge, als deutsche Ritter, Haudegen und diverse Fußsoldaten, die als Kanonenfutter dienten, in Richtung Jerusalem marschierten.
In der Zeit danach gab es zwar immer wieder mal Konfrontationen mit dem osmanischen Reich, doch es waren Österreicher, Polen und Ukrainer, die in diesem Konflikten stets eine größere Rolle spielten als die Deutschen.
Nein, der Islam gehört vom Standpunkt der Geschichte nicht zu Deutschland. Er war vielmehr ein exotischer Traum für manche Deutschen. Denken Sie an Goethes West-östlichen Diwan, Karl Mays abenteuerliches Kurdistan. Immerhin waren es deutsche Orientalisten, die seit dem 19. Jahrhundert mit bewunderswürdigem Fleiß , die arabische, die persische und die türkische Sprachen und Kulturen unter die Lupe nahmen. Ihre Bemühungen haben viel dazu beigetragen, diese für Deutsche fremden Welten – auch in religiöser Hinsicht - zu öffnen.
Trotzdem war der Islam hierzulande de facto ein Exotikum. Nur deshalb bezeichneten früher die meisten Deutschen die islamische Religion als „Mohammedanismus“ und die Anhänger dieser Religion als „Mohammedaner“.
Nur Hitler täuschte gute Beziehungen zur islamischen Welt vor und hieß den Mufti von Jerusalem in Berlin willkommen. Nicht aber weil er für den Islam etwas übrig hatte, sondern weil er auf allen Fronten Krieg gegen die Juden führte.
Die muslimische Präsenz in Deutschland ist letztendlich – und das weiß eigentlich jeder – etwas Neues. Umso mehr ist sie historisch signifikant, und deshalb ist es heute wichtig zu untermauern, dass Muslime zu Deutschland gehören.
Befänden wir uns nicht in Deutschland, sondern in Bulgarien, Griechenland, Albanien, Rumänien, Ungarn, Serbien usw., würde ich auf jeden Fall zustimmen, dass der Islam zu diesen Ländern gehörte. Gleiches gilt selbstverständlich für Spanien, Südfrankreich und Sizilien.
Und doch frage ich mich, welcher Politiker in der Türkei, in Ägypten, in Libyen, in Algerien, im Irak usw. öffentlich wagen würde zu behaupten, dass das Christentum zu ihren Ländern gehört. Außerdem habe ich bisher noch keinen saudischen Politiker erläutern hören, wie sehr das Judentum zu Saudi Arabien gehört (was übrigens auch für den Irak, für Ägypten, Libyen usw. gelten müsste).
Das ist aber ein anderes Thema.
Übrigens: Ist es Ihnen aufgefallen, dass Gauck sein Statement im Lauf eines Interviews gemacht hat und nur weil man ihn direkt darüber gefragt hat. Wulff hingegen hat aus diesem Thema bewusst ein Politikum gemacht.
Ich denke, dass es Themen gibt, die man sanft und sachlich angehen sollte. Dazu gehört ganz bestimmt alles, was mit Religion zu tun hat.
Ende der Predigt. Nächste Woche – Hand aufs Herz – gibt es beim Sprachbloggeur leichtere Kost. Die hat man dringend nötig in einem mit Fakten überfütterten Zeitalter.
Haben Sie Ihre Facebook-Aktien schon gekauft?
Freund E., ein Amerikaner – wie ich – , hat mir in einem Gespräch, es ist schon lange her, eisern beteuert, dass Facebook keine Zukunft habe. „Eine Totgeburt“, sagte er, „und weißt du warum?“
Ich schüttelte den Kopf, um mein Unwissen kundzutun.
„Weil sein Hauptprodukt die narzisstische Selbstliebe ist, und die wird man mal von anderen Anbietern günstiger oder noch befriedigender bekommen können.“
Hat E. recht? I don’t know.
Ich erzähle diese Anekdote nicht, um eine Diskussion über Facebook zu entfachen. Zu diesem sozialen Netzwerk habe ich meinen Senf schon mal gegeben. Siehe:“Big Facebook is watching you!“
Mich interessiert vielmehr das Wort „Totgeburt“ – meine Übersetzung übrigens für E.‘s amerikanischen O-Ton. Wörtlich hat er gesagt: „It’s going to be history.“
Inzwischen kennt fast jeder Deutsch Sprechende das Wort „Geschichte“ im Sinn von „tot“, „nicht mehr aktuell“, „unzeitlich“, „den Bach runter“ usw. Gäbe es in nächster Zeit eine politiische Entscheidung, den Euro abzuschaffen, hieße es in vielen Zeitungen und Zeitschriften: „Der Euro ist Geschichte“.
Zu bemerken: „History“ im oben genannten Sinn ist im Englischen ein Neuankömmling. Seit wann gibt es den Begriff? Sind es schon zwanzig Jahre? Dreißig Jahre? Länger?
Ich suchte in Google nach einer Antwort auf diese Frage. Hier allerdings zeigte Google seine große Schwäche. Fakt ist: Manche Stichworte überfordern das gewaltige Suchprogramm. Wie sucht man nach dem Alter der Redewendung „history“? Weiß das jemand? Wie wäre es, z.B., mit „history of history“? Prompt bekomme ich sieben Millionen Treffer – alle jedoch ohne Bezug zu meiner Frage. Dann habe ich es mit „history of the word history“ probiert. Damit war Google restlos überfordert und setzte mir als Ersatzvornahme diverse Treffer über die „history of the world“ vor.
Um meine Frage zuverlässig zu beantworten, empfehle ich Ihnen das Oxford English Dictionary zu konsultieren – übrigens: auch im Internet zu beziehen – wenn man ein Konto hat. Ich habe keins.
Ich schweife aber ab. Es würde mich nämlich interessieren, seit wann „Geschichte“ im oben genannten neuen Sinn in der deutschen Sprache verwendet wird. Ich bilde mir ein, dass ich erst seit höchstens einem oder zwei Jahren auf „Geschichte“ in diesem Sinn stoße . Anzunehmen ist, dass Journalisten diese lustige Redewendung der deutschen Sprache in Eigenregie schenkten. Manchmal beneiden die hiesigen Wortschmiede den Amerikanern und den Engländern ihre knappe und ironische Sprache. Zack! wird ein Wort geklaut und verdeutscht.
Ob „Geschichte“ mal „Geschichte“ wird? I don’t know.
Aber: Wem das neudeutsche „Geschichte“ gefällt – darf ich Ihnen noch ein paar Amerikanismen anbieten, die ähnlich zu gebrauchen wären?
Zum Beispiel „toast“. Das Wort kennt die deutsche Sprache schon lange, zumindest in der Zusammensetzung „Toastbrot“ oder als Verb. Man kann sein Brot nämlich „toasten“.
„Toast“ wird im Amerikanischen (wohl auch im Englischen) zusätzlich im Sinne von „Geschichte“ bzw. „history“ verwendet. Man kann, z.B., sagen: „If Facebook stocks [Aktien] continue to take a dive [abstürzen] they’re going to be toast soon.” Gemeint ist: Sie werden zu einer Brotscheibe, die man zu lange im Toaster gebrutzelt hat.
Seien Sie auf der Hut: Vielleicht steht bald auch dieser nette Begriff in Ihrer Lieblingszeitung: „Facebook-Aktien sind Toast.“ Kann man nie wissen.
Noch schöner – zumindest meiner Meinung nach – ist die skurrile Redewendung „dead in the water“, also „tot im Wasser“. Man darf auf Englisch behaupten: „ Facebook stocks are dead in the water.“
Ältere Jahrgänge denken vielleicht an die Schauspielerin Kristina Söderbaum, die einst als „Reichswasserleiche“ in die Geschichte einging, weil sie häufig Frauen spielte, die ertrinken. „Wasserleiche“ wäre vielleicht eine schöne Verdeutschung für „dead in the water“. Etwa: „Die Facebook-Aktien sind nur noch Wasserleichen“…
Aber hier nur ein paar Gedanken eines Sprachmigranten, der die schöne deutsche Sprache noch schöner machen will. So was tun Migranten Fremdsprachen gerne an.
Es war schon immer das Privileg der Männer und der Masochisten zu erkunden: „Wie war ich?“
Natürlich hofft man(n) bei dieser Frage auf ein positives Feedback. Etwa: „Du warst toll, du Recke du.“ Masochisten hingegen sehnen sich lieber nach einer negativen Antwort, um dann die aufregende Frage stellen zu dürfen: „Warum?“ oder „Warum nicht?“
Die Wie-war-ich-Frage fällt mir heute ein, weil sie mir neulich zweimal gestellt wurde: einmal von einem Herrn mit einer Stimme, die an einen an Schluckauf Leidenden denken lässt. Er war vom telefonischen Kundendienst einer an dieser Stelle von mir anonymisierten Großfirma; und einmal von einer liebenswürdigen Kundenbetreuerin meiner Bank.
Nein, ich bin weder mit der einen noch der anderen Person ins Bett gegangen. Hier geht es um Wichtigeres.
Zum Beispiel der Mann mit der Stimme wie ein an Schluckauf Leidender. (Damit versuche ich darzustellen, dass seine Tonlage am Ende eines jeden Satzes um mehrere Tonhöhen emporstieg). Von ihm (bzw. seiner Firma) wollte ich wissen, ob es vorgesehen sei, dass E-Reader keine griechischen Texte wiedergeben. Genauer gesagt: Die griechischen Buchstaben meiner Sappho-Ausgabe wurden auf meinem Lesegerät zu einem unentzifferbaren Zeichensalat.
„Das finden wir für Sie herAUS!“ trillerte er. „Sie möchten wissen, warum die griechischen Zeichen nicht zu lesen SIND!“ „Wir rufen Sie zurRÜCK! Oder wir schicken Ihnen eine MAIL!“
Er wollte mir wirklich helfen, und ich war mit seiner Hilfsbereitschaft zufrieden – auch wenn ich bis heute auf den Rückruf noch warte. Erst am Ende des Gesprächs passierte es: „Können Sie mir eine Frage ANTworten!?
“
Ich habe schon geahnt, was er wollte: „Sie möchten, dass ich Ihre Leistung bewerte, oder?“
„Ja! Das ist KorrEKT! Es dauert nur eine MiNUte! Ich werde Sie WEIterleiten! Sie brauchen nur die Bearbeitungsnummer 349935f ANzugeben!“
„Sie waren gut, wirklich. Ausgezeichnet sogar. Ich schwöre es Ihnen. Aber ich will das keinem Roboter übermitteln. Sie zu bewerten halte ich für demütigend. Können Sie das verstehen?“
„SelbstverSTÄNDlich! Es dauert aber nur eine MiNUte! Ich bitte Sie.“ Den letzten Satz hat er plötzlich ganz normal gesprochen. Das hat mich beunruhigt.
Also ließ ich mich weiterleiten, damit ich nicht zum Anlass eines Selbstmords werde. Im Nu war ich mit einem Roboter verbunden. „Hallo! Auf einer Skala von eins, also nicht hilfreich, bis zehn, sehr hilfreich, bewerten Sie bitte unseren Mitarbeiter.“
Ich wurde wie immer, wenn ich mit Robotern rede, schnell ungehalten: „Er war großartig, scheiß Roboter, verstehst du nicht?“
„Es tut mir leid. Ich habe Ihre Antwort nicht verstanden. Bitte wiederholen Sie Ihre Antwort. Auf einer Skala…“
Usw. Ich will meinen privaten, neurotischen Kampf mit den Robotern nicht in die Länge ziehen.
Und dann war die Geschichte mit der Dame auf der Bank. Ich wollte an dem Tag einen Dauerauftrag stornieren. „Das können Sie auch bei den Bankautomaten“, klärte sie mich freundlich auf.
„Das wusste ich nicht.“
„Möchten Sie es vielleicht ausprobieren?“
„Ja, gerne. Man lernt sich nie aus.“
Sie begleitete mich zum Automaten und zeigte mir, wie das mit dem elektronischen Stornieren geht. Raffiniert. Wirklich raffiniert. Am Schluss kam dann die schüchterne Bitte: „Würden Sie jetzt bitte auf diese Option klicken?“
Die Option hieß „Haben Sie noch Fragen?“ oder so ähnlich.
„Ich weiß schon“, sagte ich. „Ich soll Sie jetzt bewerten. Oder?“
„Eigentlich schon.“
„Sie waren toll“, sagte ich.
„Aber vielleicht könntest Sie das der Maschine mitteilen. Das dauert weniger als eine Minute.“
„Wissen Sie“, sagte ich. „Ich finde diese Sache unangenehm. Sie verlangen von mir, dass ich etwas mache, was Sie letztendlich demütigt.“
„Bitte.“
„Ich gebe Ihnen natürlich nur Bestnoten.“ Und genau das habe ich getan.
Diese telefonischen Bewertungen sind mir neu – zumindest in Deutschland.
Wenn ich in den USA zu Besuch bin, bettelt schon lange jeder telefonische Kundenbetreuer um eine solche Bewertung. Nun ist die Krankheit wohl in Europa eingetroffen.
Also dann: Wie war ich? Habe ich Ihnen dieses schreckliche Phänomen gut erläutert. Teilen Sie es mir auf einer Skala von eins bis zehn bitte mit. Die entsprechenden Formulare sind an jeder Tankstelle erhältlich.
Jeden Samstag, um Mittag, drehe ich eine Runde durch die Schwabinger Antiquariaten. Ich wühle durch die Bücherkisten und nehme die Bestseller vergangener Zeitalter in die Hand und denke über die Vergänglichkeit nach. Es ist eine Art Meditation.
Es sind aber nicht nur die ausrangierten Bestseller, die ich neugierig befingere. Ich suche stets nach Perlen, die ewige Gültigkeit besitzen, Werke wie Dantes Göttliche Komödie oder Asterix-Hefte. Manchmal bleibe ich bei den Sachbüchern hängen: „Die Geschichte der Bleistift“, „Zauber durch Spielkarten“, „Sein und Zeit“. Man kann nie wissen, wozu all das gut ist.
Doch wie lange werde ich diesen hehren Gottesdienst noch feiern können? Fakt ist: In München kämpfen manche Buchhandlungen – allen voran die Antiquariate – ums nackte Überleben.
Nein, es geht diesmal nicht um die E-Bücher als Ursache des Problems – zumindest noch nicht.
Auch nicht, dass Menschen immer weniger lesen. Die Ursache für diese bedrohliche Situation ist eine andere: Die Antiquariaten werden von Internetdienstleistern zusehends unterminiert. Im Netz bekommt man viele Bücher einfach billiger. Doch das wissen Sie schon. Ebenso wissen Sie, dass eine gewisse Webseite, die ich aus Gründen meines Schleichwerbungsverbotes, namenlos belasse, manche Bücher bisweilen für einen einzigen Cent anbietet. Dazu bezahlt der Kunde selbstverständlich eine Portopauschale. Die allein bringt den Gewinn.
„Man muss die Sache darwinistisch betrachten“, erklärte mir neulich der Besitzer eines meiner liebsten Antiquariate. „Wenn wir kein Nutzen mehr bringen, dann verschwinden wir halt. Für Sie oder für mich mutet das vielleicht traurig an. Man darf aber nicht zu sentimental werden.“
Soviel zum ersten Sterben. Das zweite folgt gleich.
Ein anderes meiner Lieblingsantiquariate ist in den letzten Monaten insbesondere in Bedrängnis geraten. Infolgedessen konnte man vom gesamten antiquarischen Sortiment zu erheblich reduzierten Preisen einkaufen. Auch ich habe kräftig zugeschlagen. Ihr Verlust , mein Gewinn.
Ich habe, zum Beispiel, einen hübschen Einband „Buch der Graphologie“ von Ludwig Kroeber-Keneth ergattert. Dieses 1968 erschiene Werk bietet einen informativen Streifzug durch die Kunst, Handschriften zu deuten, ohne den Anspruch, ein richtiges Lehrbuch zu sein.
Kroeber-Keneth – er lebte von 1899 bis 1980 – war ein echter Kenner. Als er dieses Buch verfasste, hatte er bereits vierzig Jahre als Graphologe gearbeitet – vor allem als Personalberater. Zur Erinnerung: Es war früher Gang und Gebe, dass jeder Bewerbung ein handschriftlicher Lebenslauf beigelegt wurde. Leute wie K.-K. konnten sich vor Aufträgen kaum retten.
Man müsse als Graphologe auf vieles achten, betont der Autor. Auch der Anlass für eine Schriftprobe sei nicht ohne Bedeutung. Wer, z.B., einen Bewerbungslebenslauf schreibe, bemühe sich, seine Handschrift besonders leserlich zu gestalten, auch wenn er normalerweise eine unleserliche Klaue hat. So eine Verstellung müsse dem Graphologen auffallen, ebenso das Schreibtempo, Originalität usw. Ich habe das Buch mit großem Interesse gelesen.
Was Kroeber-Keneth allerdings nicht wissen konnte: Nur wenige Jahre nach seinem Tod, sollten die meisten Menschen kaum mehr einen mit der Hand geschriebenen Satz erbringen.
Wer schreibt heute noch (vor allem unter jungen Menschen) mit der Hand – außer mal einen kurzen Brief an die Uroma (nicht aber unbedingt an die Omi, sie hat nämlich ein Smartphone schon)? Dank SMS-Mitteilungen, Emails, Facebook, Twitternachrichten, Online-Banking usw. braucht man kaum mehr ein Wörtchen mit der Stift zu formen. Nur wenn Sie mit der Plastikkarte bezahlen, ist eine Unterschrift – aber nur manchmal – erforderlich.
Soviel zum zweiten Sterben.
Nebenbei: Wer noch Sütterlin beherrscht, kann heute als Übersetzer ein hübsches Geld verdienen. Die Sütterlinkundigen sterben nämlich langsam aus. Das habe ich im Spiegel-Online gelesen.
Aber jetzt zum dritten Sterben. Nein, es werden nicht die Bücher sein. Auch nicht die Verlage. Die wird man umso dringender brauchen, um eine nötige schriftliche Norm zu gewährleisten.
Als Drittes stirbt der Glaube, dass all diese Veränderungen, die auf uns zukommen, schlecht sind. Au contraire. Sie bereichern. Nichts steht still – die Zeit erst recht nicht.
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