Wo ist die NSA, wenn man sie braucht?
Und warum sagen alle „enn ess ääääj“, wenn sie „enn ess aaaa“ meinen?
Komme ich aus den „u ess aaaa“ oder aus den „ju ess äääj“, liebe deutsche Muttersprachler?
Alle wichtige Fragen. Doch am wichtigsten die erste. Denn ich stelle sie wegen „Citadel“.
Noch nie gehört? „Citadel“ ist der Name einer fiesen Software. Mir war dieses Wort auch kein Begriff, bis ich letzte Woche einen Brief von der Deutschen Telekom erhielt. Hier der erste Satz:
„Wir haben festgestellt, dass über Ihren Internet-Zugang unerwünschte Zugriffe auf fremde Computer erfolgt sind (‚Hacking‘). Eventuell wurden auch Passwörter, Kreditkarten-, Bank- und sonstige Daten bereits ausgelesen.“ usw.
Natürlich will man zuerst gar nicht glauben, was man so eben gelesen hat. Dennoch wandte ich mich umgehend an die Telekom, um Näheres zu erfahren.
Die sehr ausführliche Antwort folgte am nächsten Tag, und nun fiel zum ersten Mal der Name „Citadel“.
Lange Rede, kurzer Sinn. Es stellte sich heraus, dass der Rechner meines Sohnes (mein Sohn war bei uns zu Besuch) mit diesem unappetitlichen Ungeziefer verseucht war. Wie kam es dazu? Ganz easy: Er hatte, weil nur selten da, die Software seines Computers (sprich: Anti-Virus, Java, Browser usw.) lange nicht mehr aktualisiert. Wir nahmen seinen Rechner sofort vom Netz, änderten das Passwort zum Browser, prüften meinen Rechner und den meiner Frau auf Malware – sie scheinen sauber zu sein. Weitere Passwörter werden geändert und…
Der Telekom zufolge residiert der Oberbonze der „Citadel“-Firma in Osteuropa und hat 81 Mitarbeiter. Da seine Identität noch immer unbekannt ist, wird er vom FBI als „John Doe“, Englisch für „Max Mustermann“, bezeichnet. Ach ja, und noch eine Kuriosität: Man kann seine Software jeder Zeit für 2400 Dollar (oder waren das Euro?) im WehWehWeh kaufen. Jeder kann sie kaufen. Sie. Ich…
Woher die Nachrichtendienste das Wissen haben – vor allem das mit den 81 Mitarbeitern – kann ich nicht ganz nachvollziehen. Osteuropäer? Meinetwegen ist Herr Citadel Amerikaner oder Chinese und beschäftigt 97 Mitarbeiter.
Ich stelle mir jedenfalls vor, dass Herr Citadel ein sehr feines Haus in einem Vorort von Moskau, Kiew, Warschau, Chicago, San Diego oder Schanghai bewohnt und eine reizende, heranwachsende Tochter namens Swetlana, Mimi, Chenguang („Morgenlicht“), Anuschka, Taylor usw. hat.
Es ist ein braves, intelligentes Mädchen. Vater Citadel, er heißt „Max“ „John“, „Ivan“, „Bo-gin“ („geachtet“) oder so, ist ein liebender, fürsorglicher Vater und nennt seine Tochter liebevoll „Schuschu“, „Muschka“, „Pumpkin“, „Princess“ oder so ähnlich. Wenn „Morgenlicht“ oder Mimi usw. ins Internet geht (darf sie überhaupt?), dann hat Herr Citadel dafür sorgt, dass die beste Anti-Virus-Software auf ihrem Rechner läuft, damit sie keinem Phisher oder Spammer (pfui Teufel) zum Opfer fällt. Natürlich weiß Swetlana oder Taylor nicht, was Papa für ein Beruf hat. Nein, stimmt nicht. Er hat ihr erklärt, dass er Informatiker sei und einen erfolgreichen Betrieb verwalte. Er ist ohnehin für seine Großzügigkeit bekannt und hat für „Pumpkins“ Privatschule ein großes Schwimmbecken gestiftet. Das kann jeder auf einer hübschen Messingtafel vor dem Eingang zur Schwimmhalle lesen.
Bezahlt wird „Schuschu“s Schulgeld freilich mit geplündertem Kapital, das von Bankkonten unvorsichtiger Surfer abgezweigt wird. Die Opfer sind jung und alt, viele nicht unbedingt wohlhabend – vielleicht mitunter der Bruder von Mimis bester Freundin Carla. Herr Citadel macht sich da aber keine Gedanken. Er weiß das mit Carlas Bruder gar nicht. Er will’s nicht wissen. Seine 81 Mitarbeiter möchten es auch nicht so genau wissen…
Ich hatte vor, diese Fantasie mit moralisierenden Farben zu übertunken. Ich dachte, zum Beispiel, daran, von einem Autounfall zu berichten, infolgedessen Mimi schwer verletzt wird. Der Unfallverursacher ist, so stellt es sich heraus, ein Beschädigter der Software des Herrn Citadel. Eigentlich hätte das Opfer seinen Wagen längst warten lassen müssen, doch das Geld war wegen des Malware-Überfalls plötzlich zu knapp. So eine Geschichte zu spinnen, hinterlässt aber einen falschen Eindruck – auch wenn sie durchaus vorstellbar sind. Herr Citadels Welt kennt nämlich keine Moral.
Ich kehre deshalb lieber zu meiner ersten Frage zurück: Die „enn ess äääj“ weiß sonst alles über mich und Sie und wird hellhörig, wenn einer in einer Email von einem „Bombenerfolg“ oder einer „Bombenstimmung“ schreibt. Wenn „Prism“, „XKeyscore“ usw. so informationsintensiv sind, warum können diese Geheimdienstinstrumente Gestalten wie Herrn Citadel nicht dingfest machen? Ja, das ist die Frage? Wäre schön, die Antwort zu erfahren. Hallo Washington! Do you read me?
Hmmm. Kann es sein, dass mein neuester Spammer – tut mir leid, ich habe seinen Namen schon vergessen – dem gleichen kriminellen Verein gehört, der das Konto meines Sohnes neulich geplündert hat?
Es passierte vermutlich in Marokko. Dort ging mein Sohn auf die Bank, um Geld mit seiner EC-Karte abzuheben.
„Vor der Tür stand ein Wächter, und die Bank machte einen seriösen Eindruck“, beteuerte er.
Meine Theorie: Die Bande hat den Wächter bestochen, damit er „ein Auge zudrückt“. (Das Idiom klingt hier ein bisschen zu niedlich). Verständlich aber, dass ein marokkanischer Wächter vor der Bank so was machen würde (gesetzt den Fall, ich habe recht). Die zusätzlichen Verdienste von der Bande sind wahrscheinlich höher als sein ganzes Monatsgehalt.
Unserer Bank in München zufolge wurde inzwischen Geld vom Konto meines Sohnes in Ekuador und in den USA abgehoben. Ja, so ist es mit der Globalisierung im digitalen Zeitalter. Al Capone würde vor Neid erblassen.
Aber nun eine sprachliche Frage: Wie drückt man diese unliebsame Situation meines Sohnes in englischer Sprache aus? Zu bemerken: Das Geld fehlt, er muss zur Polizei, zur Bank, lauter unangenehme Umständlichkeiten. Außerdem kann er, wie geplant, nicht mehr nach Wien fahren – weil ausgerechnet er, ein junger Mensch, der wohl noch bescheidener lebt als der Wächter in Marokko, ins Visier internationaler Kriminalität geraten ist. Antwort: Er könnte sagen: „That was a real Shitstorm“.
„Shitstorm“ bedeutet nämlich auf Englisch, um ein ähnlich fäkales deutschsprachiges Wortbild zu verwenden: „die große Scheiße“. Ein „shitstorm“ ist eine unangenehme und chaotische Situation.
Anders natürlich der Sinn des neuen deutschen Modewortes „Shitstorm“, ein Wort, das jeder auf Anhieb für ein Importprodukt aus der angelsächsischen Welt hält – wie „Computer“ und „Timing“. Diese neue Vokabel (es gibt sie seit ca. 2010) ist bereits so beliebt, dass sie in den neuen Duden („Die deutsche Rechtschreibung“) aufgenommen wurde. Dort wird sie folgendermaßen definiert: „Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht.“ Nebenbei: Es heißt „DER Shitstorm“ und wird in der Mehrzahl, weil angeblich Englisch, mit einem „S“ versehen. Ich persönlich fände „Shitstörmer“ viel hübscher.
Deutsches „Shitstorm“ ist also so Englisch wie „Handy“. Dennoch wurde es 2011 als „Anglizismus des Jahres“ ausgezeichnet – ohne einen Sturm der Entrüstung zu entfachen.
Wer Zeit und Lust hat, kann in der deutschsprachigen „Wikipedia“ einen langen Traktat über den Begriff „Shitstorm“ lesen. Hut ab für den Autor oder die Autoren, sog i. Man spürt welch wissenschaftlicher Drang hinter diesem Artikel steckt. Ich habe viel gelernt über den Werdegang des Wortes.
Es ist mir nur nicht ganz schlüssig, wie dieses Wort – urplötzlich – den Sinn von „Sturm der Entrüstung“ in den „sozialen“ Medien usw. bekam. (Nebenbei: Kennt jemand ein besseres Wort als „sozial“, um den Begriff „social media“ ins Deutsch zu übersetzen?)
Und noch eine Frage: Darf man das, was in Ägypten gerade geschieht als „Shitstorm“ bezeichen? Ich meine die Entrüstung der Mursi-Gegner und die der Muslimischen Brüder? Und sind die empörten Leserkommentare, die man in „Spiegel-Online“ oder „Zeit-Online“ usw. liest auch „Shitstörmer“?
Ich weiß es nicht. Und da der „Shitstorm“ ohnehin noch in den lexikalischen Windeln steckt, kann alles noch werden.
Es ist aber nett, zuzuschauen, wie ein frischgeborenes Wörtlein wächst, nicht wahr?
Wenn ich an den kriminellen Verein denke, der meinem Sohn einen englischen „Shitstorm“ bereitete, will ich den Oberbonzen dieses Vereins, falls sie über eigene Seiten im „sozialen“ Medien verfügen, viele eigene schöne deutsche „Shitstörmer“ wünschen.
Aber zurück zur Eingangsfrage: Wie sagt man „Shitstorm“ auf Englisch? Leider habe ich keine Ahnung.
Vorab ein paar unspektakuläre Zitate:
1.) Antonin Artaud, französischer Schriftsteller und Dramatiker, lebte neun Jahre im Irrenhaus. Einmal sagte er so etwas wie „La réalité me voûte“. Zu Deutsch: „Die Wirklichkeit drückt auf mich wie ein Gewölbe“.
2.) Ezra Pound, amerikanischer Dichter, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg – als Landesverräter – mehrere Jahre im amer. Irrenhaus St. Elisabeth untergebracht. Er meinte einmal: „Lebt man in Amerika, dann am besten im Irrenhaus.“
Mit obigen Zitaten will ich lediglich darauf hinweisen, dass die Zeiten schon wieder spruchreif geworden sind. Deshalb möchte ich diese Woche dem Wahnsinn kurz ausweichen. Ich möchte eine Pause einlegen. Daher diese süße Erinnerung aus einer Zeit der Unschuld. Wir schreiben das Jahr 1975. Ich bin mit meiner damaligen Lebensabschnittspartnerin auf dem Weg nach Europa – auf dem Weg in mein Schicksal…
Ein Bericht über The Thing: Irgendwo in den Längen New Mexicos tritt auf einmal am öden Straßenrand eine große Werbetafel in Erscheinung. Darauf ist zu lesen: The Thing?. Man fragt sich: Hmm, The Thing?. Etliche Meilen später, wieder eine Werbetafel: The Thing? – rv Parking, also Parkplätze für Wohnwagen (recreational vehicles). Dann wieder nach einigen Meilen: The Thing? – Desert Mystery – Wüstengeheimnis. Und so geht es immer weiter. Bald läuft der Countdown: „Zehn Meilen bis zu The Thing?“, „Fünf Meilen“, „Zwei Meilen“, „eine Meile“, „eine halbe Meile“ : Und dann The Thing? You’re almost there – Exit 322. Schließlich Open for Breakfast 7h täglich – the Thing?.
Wenn man Ausfahrt 322 erreicht, ist man schon außerordentlich neugierig. Auch wir, und wir nahmen diese Ausfahrt, die zum Ding führt. Man kommt nun auf eine kurvenreiche Straße in der Wüste und fährt immer weiter, bis man oben auf einer Anhöhe eine lange Holzbaracke, genauer gesagt, eine Erfrischungsstation, erreicht. Auf dem Dach des Hauses steht in großen bunten Buchstaben auf einer hauslangen Tafel: The Thing? What is it? Ja, eine Erfrischungsstation. Man kann hier tanken, essen, trinken, aufs Klo gehen, sich Andenken kaufen. Und selbstverständlich kann man the Thing? besichtigen.
„Wir möchten zu the Thing“, gab ich ein bisschen verschämt zu erkennen, weil es mir längst klar war, dass ich mich über den Tisch ziehen lasse. Einen Dollar kostete das Ticket – damals nicht sonderlich billig. Wir bezahlten und betraten einen Raum, in dessen Mitte ein offener Sarg zu sehen war, der mit einer durchsichtigen Glasplatte zugedeckt wurde. Endlich das Ding. Und was für ein Ding. Im Sarg lag nämlich eine Art Frankensteinfigur, schön eingenistet wie ein Weihnachtsgeschenk auf lauter farbigen Kissen. Nur wirkte diese Figur irgendwie billig, dilettantisch hergestellt. „Ist the Thing echt?“ fragte ich. Zugegeben, eine dumme Frage, aber ich wollte zumindest etwas sagen.
„Wenn ich ehrlich bin“, antwortete die Aufseherin schön routiniert, „nein. Aber ich halte es für meine Pflicht, wahrhaftig zu antworten.“
„Es ist aus Pappmaschee, oder?“
„Ja.“
Wir schwiegen. Schließlich sagte ich: „Aber mein Kompliment. Ihre Werbung ist ausgezeichnet. Sie haben uns richtig neugierig gemacht.“
„Danke. Wenn man in dieser Gegend lebt, muss man sich was einfallen lassen.“
Nachtrag: Ich bin 2009 dieselbe Strecke gefahren. The Thing? war immer noch da. Diesmal hielt ich aber nicht an. Ich höre aber, dass es inzwischen mehrere Konzessionen im Südwesten der USA gibt, die diese Masche verwenden. Ist doch klar. Angebot und Nachfrage waren schon immer die Grundlage des Kapitalismus.
Nächste Woche wende ich mich den Grausamkeiten der Gegenwart wieder – selbstverständlich mit sprachlichem Bezug.
Als Amerikaner vermag ich selbstverständlich den Inhalt Ihrer Festplatte zu lesen, als wäre es das New Yorker Telefonbuch. Ich weiß alles – sogar, dass Sie Kaffee auf Ihre Tastatur verschüttet haben. Bitte aber künftig auf die Papierbecher dieser amerikanischen Kaffeemarke mit den vielen Geschmacksrichtungen verzichten – Sie wissen, wen ich meine (bei mir keine Schleichwerbung – wir bekommen unser Geld ausschließlich von der NSA). Der Geruch von bestimmten Geschmacksrichtungen, wenn sie auf eine Tastatur verschüttet werden, sickert nicht nur ins Innenwerk Ihrer Tastatur, sondern durch das ganze Internet und schließlich in mein IP-Informationszentrum. Igittigitt.
Ich bin sogar in der Lage das Zimmer meines neuesten Spammers zu schildern. Er nennt sich „Aliciakeyss“ und hinterlässt täglich ca. fünfzehn „Kommentare“ auf meiner Webseite, die ich, seiner Fantasie nach, veröffentlichen soll, um Werbung für Poker-Seiten zu machen. Dass ich nicht lache.
Natürlich lösche ich seine primitiven in englischer Sprache verfassten Texte umgehend. Was er (ja, er ist ein Er), aber nicht ahnt: ich weiß sehr viel über ihn. Mitunter: Sein Zimmer befindet sich in Minsk in Weißrussland. Wieso weiß ich das?
Ganz klar: Als Agent im Dienste der NSA (fast alle Amerikaner im Übersee arbeiten für die „Agency“, wie wir es nennen) kann ich mittels der in seinem Monitor eingebaute Kamera jede Ecke seines Zimmers sehen. Ich kann sogar zoomen! Das große Porträt von Aljaksandr Ryhorawitsch Lukaschenka, so der Name des Diktators in der weißrussischen Sprache, wäre nur in Weißrussland denkbar. Und nicht von ungefähr ist seine IP-Adresse in Minsk beheimatet.
Und ich weiß, wie „Aliciakeyss“ aussieht: Er dürfte Ende zwanzig sein, ist oft unrasiert, raucht selbstgemachte Zigaretten, ist Brillenträger und hat die Gewohnheit, sehr häufig in der Nase zu bohren. Hinzu: Er isst mit Vorliebe ganz fettige Wurst – mit den Fingern! Wenn ich seine Tastatur nur oberflächlich beschreiben würde!
Sie können sich vorstellen, wie unappetitlich meine Arbeit werden kann. Manches will man über andere Menschen einfach nicht wissen. Und die Berichte, die ich ans HQ, also „Headquarters“ schicke, sind voll mit Bemerkungen über die hygienischen Zustände bei den Bespitzelten. So will es das HQ. Nebenbei: „Aliciakeyss“ hat eine Freundin namens Swetlana. Sie trägt eine Tätowierung unter…nein, ich möchte hier nicht so sehr ins Detail gehen. Das erfährt nur das HQ. Sie werden dafür Verständnis haben.
Manchmal frage ich mich, wer am HQ meine Berichte liest? Ich weiß es wirklich nicht. Und ich schreibe meine Beobachtungen praktisch acht Stunden täglich auf. Also wirklich kein Zuckerlecken. Es sind bisweilen drei- oder vierhundert Momentaufnahmen täglich. Ja, wer liest das ohne dabei einzuschlafen? Denn ich bin, ehrlich gesagt, noch nie auf etwas richtig Verdächtiges gestoßen. Und ich mache diese Arbeit schon seit zwölf Jahren.
Mein Freund Lennie, der ist auch Amerikaner, ein Kollege also, hat mir mal erzählt, dass die Arbeit ihn so sehr langweilt, dass er inzwischen alles Mögliche erfindet, um seine Berichte ein bisschen zu würzen. Immer wieder legt er seinen „Dorks“ (so nennen wir unsere „Klienten“) Wörter wie „Dschihad“, „Osama“ und „Bombe“ in den Mund. Das hat freilich Konsequenzen: So, zum Beispiel, barsten eines Nachts Spezialeinheiten ins Haus einer 93jährigen ehemaligen Apothekerin in Düsseldorf rein. Die Frau ließ sich aber offensichtlich nicht einschüchtern. Als ehemalige Tai-Quan-Do-Lehrerin gelang es ihr innerhalb Sekunden, drei Agenten unschädlich zu machen. Einer kam anschließend ins Krankenhaus mit einem Bänderriss.
Es ist echt eine dröge Arbeit. Glauben Sie’s mir. Die Chinesen machen es längst viel raffinierter. Sie haben schon lange den Dreh raus, Menschen zu züchten, die kaum großer sind als ein paar Byte, ja Byte. Diese werden dann durch das Internet befördert, können überall auftauchen – auch bei Ihnen. Sie machen keine Fernberichte wie ich. Sie sehen vor Ort ALLES.
Nein, ich erfinde nichts. Außerdem sind die meisten dieser Byte-großen Mitarbeiter Tibetaner und Uiguren. Somit versuchen die Chinesen ihr Minderheitenproblem zu lösen.
Eigentlich darf ich Ihnen all dies nicht erzählen. Fakt ist aber: Wir bestreiken die NSA momentan, weil die Arbeitsbedingungen immer ungerechter werden. Und die Bezahlung ist auch nicht gerade lustig. Darüber hinaus kriegen wir nur zwei Wochen bezahlten Urlaub im Jahr und haben keine Krankenkasse. Allmählich denke ich, dass sie uns gar nicht ernst nehmen, die da im HQ.
Es gibt Wichtigeres zu thematisieren als Haare.
Ohnehin bin ich völlig verunsichert, ob ich in der heutigen Zeit „Haare“ oder „Haar“ zu sagen habe.
Als ich in den 1970er Deutsch täglich zu sprechen begann, hielt ich es für merkwürdig, dass alle sagten: „Mei, hat sie schöne Haare“ oder „Ach, ich muss mir die Haare schneiden lassen“ usw.
Das lag daran, dass das englische Substantiv „hair“ sowohl zählbar wie auch unzählbar sein kann. Wenn zählbar, dann unerbittlich so: „Damn! I found eight hairs on the carpet! That dog has to go.“
In allen anderen Fällen betrachten wir „hair“ als Kollektivum. „He has long hair“, „Her hair is blonde“ und dergleichen.
Einst bemerkte eine hübsche junge Frau: „Wow, hast du ja schöne lockige Haare.” Ich war völlig perplex. Einerseits lässt man sich gern ein Kompliment geben. Andererseits neigte ich dazu, weil ich einen starken Hang zur Ironie habe, zu antworten: „Danke, aber hast du die alle gezählt?“ So schnöselig war ich aber nicht.
Zugegeben: Es gibt momentan wichtigere Themen als Haare oder Haar. Zum Beispiel, dass die Welt – zumindest auf politischer und wirtschaftlicher Ebene – zusehends aus den Fugen gerät und FC Bayern einen neuen Trainer hat. Über diese Sachen kann man sich aber in jedem beliebigen Blatt informieren; über Haare (oder Haar?) wettert nur der Sprachbloggeur. Aber nun endlich zur Sache:
Ich stelle nämlich fest, dass es – was die Haare betrifft – genauer gesagt die Körperbehaarung – einen Paradigmenwechsel gegeben hat. Er tauchte wie aus dem Nichts auf. Doch ich verstehe immer noch nicht, weshalb es so ist.
Etwas Hintergrund: Ein betagter Gentleman aus meinem Bekanntenkreis, inzwischen verstorben, wollte mir vor fünf Jahren was Gutes tun: Eines Tages drückte er mir einen ramponierten alten Aktenkoffer in die Hand: „Hier, für dich“, sagte er. Ich machte auf und siehe! Lauter Münzen – zwar keine wertvolle – aber alte Münzen, die er im Lauf seines langen Lebens gesammelt hatte. Außerdem fand ich im Koffer ein paar pornografische Videos aus den 1970er Jahren. „Vielleicht gefällt dir das auch“, sagte er und kicherte bös.
Ich bin, um ehrlich zu sein, kein Prüder. Dennoch finde ich pornografische Filme normalerweise sehr langweilig, zumal sie darauf zielen, das hehre Geheimnis der körperlichen Liebe für alle sichtbar zu machen. Das geht natürlich nicht – erst recht nicht, wenn ein Darsteller, der sich wie ein Zombie bewegt, ständig „Hey, Baby, du hast tolle Titten“ sagt und eine Frau unentwegt mit der Zunge über die Lippen fährt und antwortet: „O ja, o ja.“
Ja, ich gebe zu. Ich habe mir die Filme angeschaut – zumindest Teile davon. Denn häufig drückte ich auf „fast forward“, um noch schneller zum lahmen Schluss zu kommen.
Ich teile diesen Sachverhalt aus der Privatsphäre mit Ihnen aus einem bestimmten Grund mit. Und zwar: wegen meiner Beobachtungen im Punkto Körperbehaarung. In besagten alten Videos ist nämlich viel davon, d.h. von der Körperbehaarung, zu sehen: Männer wie sexualisierte Teddybären ringen mit Frauen, die da unten wie der Urwald aussehen.
Aber jetzt zum Kern:
Wenn man die Pornodarstellungen der 1970er Jahre mit ihrem Gegenpart der 2010er Jahre vergleicht, fällt auf, dass es heute in diesem Beruf keine Teddybären und Urwälder mehr gibt. Im Gegenteil. Wir leben im Zeitalter der Intimrasur. Und nicht nur in der Pornografie. Auch im wirklichen Leben: Die Depilation ist – für beide Geschlechter – zu einer Großindustrie vergleichbar mit Smartphones geworden. Als ob in den letzten Jahren eine neue haarlose Menschenzüchtung angestrebt wird. Ich habe keine Erklärung für dieses Phänomen.
Und wann haben Sie das letzte Mal einen Fußballspieler mit Brusthaaren gesehen? Vielleicht noch nie, wenn Sie jung genug sind. Rückblick: In den 70er Jahre stürmten beinahe ausschließlich die Teddybären übers Spielfeld.
Es ist ein Leben wie in der Zeit der Renaissance. Schauen Sie sich mal die alten Bilder an. Sie werden zwar Männer mit Kopfhaaren und Bärten im Überfluss finden. Brusthaare? Beinhaare? Achselhaare? Schamhaare? Ob Jesus, Abraham, Mose oder der Heilige Sebastian. Mangelware. Alles intim rasiert.
Nur ein paar vereinzelte Beobachtungen. Ich schreibe hier keine Doktorarbeit und überlasse diese Aufgabe lieber einem (oder einer), der/die mehr Zeit für Haare hat. Oder meine ich „Haar“?
„Mein Gott! ich kann es kaum fassen! Sie kippen sie in den Container einfach so…wie Restmüll!“ Das sagte die eine Frau.
„Als hätten sie keinen Wert mehr“, sagte eine zweite.
„Ich hätt‘s mir nicht mal im Traum vorstellen können, dass ich so was erlebe“, die erste wieder.
Wir wurden immer mehr, und wir staunten alle. Die großen blauen Kisten wurden reihenweise aus dem Haus befördert, alle randvoll. Dann hau ruck! Und der Inhalt wurde in einen noch größeren blauen Container gekippt. Es waren Bücher.
Ja, Bücher. Wir schreiben den 13. Juni 2013. Standort Friedrichstraße in München. Der dtv Verlag hatte sein altes Quartier geräumt, war umgezogen.
Zurück blieben abertausende Bücher: Nachschlagwerke, Belegexemplare, unverkaufte Bände aus dem Lagerbestand usw. Fortlaufend kippten die Männer der Entsorgungsfirma die Bücher in die Containers. Ich griff zum Fotoapparat, um die Szene zu verewigen. Brav schauten die Männer in die Linse: „Kommt das Bild auf Facebook?“ fragte einer.
„Nein, nur halt für mich.“ Habe ich eine Spur der Enttäuschung wahrgenommen?
Eine vollständige Encyclopedia Britannica wurde vor meinen Augen reinkatapultiert, auch ein Brockhaus – aber was soll’s, die hören ohnehin bald auf, gell? Heute hamma Wikipedia und dergleichen. Ein mehrbändiges Literaturlexikon flutschte vor meinen Augen in den Container vorbei. Und endlich kam ich auf die Idee, mir ein paar Bücher vor der Entsorgung zu retten. Das war freilich nur möglich am vollen Container. Zu hoch wären die Wände sonst. Man klaubte, was einem gefiel, als handelte es sich um Treibgut auf der Wasseroberfläche. Was in der Tiefe lag, blieb für alle Ewigkeiten unerforscht.
So kam ich zu einem neuen „Rand-McNally International Atlas“, zu einem „Das treffende Wort“. Einer der Entsorger drückte mir beinahe verlegen eine achtbändige Kassette in die Hand mit Mommsens „Römische Geschichte“. Brav trug ich diese Schätze mit nach Hause. Hinzu einige kleinere Werke: ein paar Bücher über Mozart, Jean Paul, ein Exemplar von Küngs „Christsein“, Kurzgeschichten von Ingeborg Bachmann, ein Buch über Paulus usw. Mehr konnte ich ohnehin nicht transportieren. Die anderen Zuschauer(innen) taten es ähnlich. Eine Frau hatte bald zwei hohe Türme Bücher auf dem Bürgerstein aufgestapelt. Ich drückte der Dame vom Blumengeschäft ein nagelneues Exemplar des „Wahrig-Die deutsche Rechtschreibung“ in die Hand.
„Kommen Sie wieder“, sagte mir jemand. Es geht den ganzen Tag nur weiter so.“
Ende des Bücherzeitalters? Hallo E-Buch! Bye bye Bücher?
Nein. Lediglich das Ende der Inflation.
Fakt eins: Es gibt mittlerweile viel zu viele Bücher im Umgang. Bücher sind keine Kleinode mehr. Sie sind wie Zeitungen: Info-Träger fürs Recycling. Aber wohin mit ihnen? Denn es gilt noch immer als unfein, ein Buch einfach in die Papiertonne zu werfen.
Fakt zwei: Das E-Buch wird das papierne Buch nie ersetzen. Denn das Buch bleibt für alle Zeiten eine geniale Erfindung. Allem Hype der elektronischen Medien zum Trotz, sind diese Blättersammlungen enorm praktisch.
Jetzt ein kurzer Sprung in die römische Antike. Das Lesepublikum in der Republik (zu bemerken: eine sehr kleine Minderheit der Bevölkerung) pflegte ihre Literatur in Schriftrollen zu schmökern. Damals, so schreibt Niklas Holzberg in seinem schönen Buch „Catull“, betrachtete man die Lektüre einer Schriftrolle als eine Reise, ja, eine Schiffsreise, die zu Ende geht, wenn man das Meer der Pergamentrolle überquert hat. Ein E-Buch zu lesen ist ein ähnliches Erlebnis. Zwar werden E-Buchlesergeräte mit raffinierten Suchprogrammen ausgestattet. Das elektronische Suchen bleibt dennoch umständlich. Rumspringen kann man nach wie vor am schnellsten in einem richtigen Buch.
Beispiel: Ich lese momentan im E-Buchformat die Essays von George Orwell. Geniale Stücke bis heute. Will ich aber, bevor ich den nächsten Essay anfange, wissen, wie viele Seiten der Text hat, muss ich mich auf eine komplizierte Prozedur einlassen. Manche Readers verraten gar keine Seitenzahlen – stattdessen erfährt man wie viel Prozent des ganzen Werkes ein Kapitel hat. Wer aus einem richtigen Buch liest, hat hier eindeutig den Vorteil.
Noch ein Beispiel: Wenn ich in meiner schönen Ausgabe des mittelenglischen Gedichts „Piers Plowman“ lese, will ich mal schnell in den Notizen oder im Glossar nachschlagen. Dies wäre beim E-Buch sehr mühsam. Hier auch siegt das Papier.
Das E-Buch ist aber das perfekte Format, wenn man sich auf eine lange Reise, eine literarische Schiffsreise, begeben will, mit der Kenntnis: Ein Zurück gibt es nicht.
Fazit: Fürs lineare Lesen: das E-Buch. Sonst bleibt das Buch – „codex“ auf Lateinisch – weiterhin tongebend.
Den vielen Büchern in den Containers trauere ich aber nicht nach, zumindest den meisten. Viele wären ohnehin fürs E-Buchformat geeigneter gewesen. Und die zu entsorgen? Es hätte ein Knopfdruck genügt. Klick! Zack!
Nach drei Tagen stinken Fisch und Gäste, sagt das geflügelte Wort. Demnach stinke ich schon lange. Oder nicht. Ich bin nämlich seit langem kein „Gast“ mehr in diesem Land, sondern „Mitbürger mit Migrationshintergrund“. Und das, was ich in diesem Land mache, heißt nicht „stinken“, sondern „mich integrieren“.
So ändert sich die Sprache.
Und damit komme ich zum eigentlichen Thema dieser kurzen Glosse: Sex.
Nicht ist aber hier von dem Sex die Rede, den Ihnen meine Spammerinnen gerne verkaufen möchten, würde ich ihre „Kommentaren“ auf dieser Seite zulassen. Sorry.
Leute wie ich finden es viel sexier über Dinge zu berichten, die frau gewöhnlicherweise als „Geschlecht“ oder „Genus“ bezeichnet. Sex also als grammatikalische Handlung.
Richtig! Es geht hier irgendwie um die Herren Professorinnen an der Uni Leipzig. Ich weiß. Ich hätte mich eigentlich schon letzte Woche zu Wort melden sollen, als das Thema noch aktuell war. Heute darüber Gedanken zu machen erinnert an die Gäste, die länger als drei Tage geblieben sind. So kurzlebig ist das Interesse an Neuigkeiten.
Wenn ich aber ehrlich bin, sind mir die Professorinnen – zumindest als Thema – ohnehin ziemlich schnuppe. Will sich frau in Leipzig Professorin nennen, bin ich bedingungslos damit einverstanden, zumal die Professorinnen-Debatte kein Anfang einer neuen Art mit der Sprache umzugehen ist. Es ist vielmehr der logische Schluss eines langjährigen Prozesses, der kurz nach meinem Antreffen in Deutschland als Mensch mit Migrationshintergrund bereits am Dampfen war.
Ich vermute stark, dass dieser Prozess der geschlechtlichen Angleichung seinen wahren Ursprung in meiner Heimat, also in den USA, hatte: und zwar in den 1970er Jahren. Damals begann frau etwas bewusster auf die geschlechtliche Gleichheit – ich meine in der Grammatik – zu achten. Beispiel: Das traditionelle Genus des Wortes „someone“ (jemand) ist im Englischen männlich. Im Satz „If you hear someone knocking on the door, let him in“ wird das klar. Doch eines Tages klang diese Formulierung in vielen Ohren offenbar diskriminierend. Frau fragte: Warum heißt es „he“ und nicht „she“? Alsbald suchte frau nach einer Lösung. Und bald sagten immer mehr Menschen: „If you hear someone knocking on the door, let them in“. Mehrzahl anstelle von Maskulinum. Nützlich schon, aber schlechtes Englisch. Andere entschieden sich für „If you hear someone knocking on the door, let him or her in.“ Gerecht aber umständlich.
Bis heute hat frau für dieses Problem keine endgültige Lösung gefunden. Aber bald war der Vorstandsvorsitzende dran. Der hieß bei uns „chairman“. Mit recht aber. Fast alle Firmenchefs waren damals Männer. Für den Fall, dass eine Frau in diese Rolle schlüpfen sollte, hätte frau sie problemlos als„chairwoman“ oder „chairlady“ bezeichnen können. Ähnlich war es in Deutschland, als die Kanzlerin Kanzlerin wurde. Aber nein. In den USA wurden Vorstandsvorsitzende zu „chairs“, also „Stühle“. In den USA führt ein Stuhl heute eine Sitzung.
Ich war fest überzeugt, dass die deutsche Sprache eine gewisse Immunität gegen einen solchen Umgang mit der Sprache hatte, zumal das Deutsche jedes Nomen – unabhängig von der Logik – sturköpfig mit einem Genus versieht: „das Weib“, „die Majestät“, „der Blumenstrauß“. Es ist unmöglich auf Deutsch zu sagen: „Hörst du jemanden an der Tür klopfen, lass sie eintreten“. Wird aber im Zeitalter der StudentInnen und LeserInnen diese Treue zur Grammatik noch halten?
Haben Sie gewusst, dass der „Fußgänger“ und der „Autofahrer“ seit April 2013 ausgedient haben? Zumindest in der neuen Straßenverkehrsordnung (StVO). Dort ist die Rede vom „Fuß gehenden“ und „Auto fahrenden“, bzw., von „wer zu Fuß geht“ und„wer Auto fährt“.
Mein Sohn wartet auf den Tag, wenn die Krankenschwestern zu Krankenbrüdern werden. Kann auch mal passieren. Und wer weiß? Vielleicht wird er eines Tages Professorin. Sein Vater, die Sprachbloggeurin, wäre dann mächtig stolz auf ihn (auf sie?).
Hallo! Ist jemand aus dem Kreis meiner Leser Naturwissenschaftler?
Heute möchte ich nämlich eine einmalige Gelegenheit verschenken. Genauer gesagt, eine Eingebung verschenken, die für ein/en/e Naturwissenschaftler/in (die Sprache wird immer umständlicher) zum beruflichen Erfolg führen könnte.
Aber vorerst Persönliches: Ich war nicht immer ein Wortschmied. Nein. Einst strebte ich eine naturwissenschaftliche Laufbahn an.
In der zehnten Klasse verbrachte ich die Mittagspause im protozoologischen Labor der Highschool. Ich war das einzige Mitglied des protozoologischen Klubs. Während ich mein von Zuhause mitgebrachtes Sandwich schnabulierte, beobachtete ich Urtierchen unter dem Mikroskop.
Mr. Landowsky, der zuständige Lehrer, bezeichnete mich als sein kleines Pantoffeltierchen – auf Englisch: „little paramecium“. Damit meinte er mit Sicherheit nichts Anzügliches. Damals war die Welt ganz anders: unschuldiger.
Obiges nur einleitend. Meine Karriere als Protozoologe, sprich als Naturwissenschaftler, ging jäh zu Ende, als ich im folgenden Jahr Physik pauken musste. Ich war in diesem Fach leider keine Leuchte.
Jetzt überspringen wir die Jahre. Ich bin nicht mehr Mr. Landowskys kleines Pantoffeltierchen, sondern Geliebter meiner damaligen Lebensabschnittspartnerin Virginia. Wir bewohnen in Santa Barbara ein hübsches Häuschen in den Vorbergen der Santa Ynez Berge. Man schreibt den 9. Februar 1971. Es ist ca. 6h in der Früh. Virginia und ich schlafen den Schlaf der jugendlichen Unschuld. Plötzlich werde ich aus den Träumen gerissen. Denn unser Häuschen scheint hin und her zu schaukeln. Es ist als ob ein Riese unser Häuschen in seiner großen Hand hält und sachte Bewegungen macht. „Was geht hier vor?“ frage ich schlaftrunken.
Virginia, gebürtige Kalifornierin, reagiert gelassen. „Ach, bloß ein Erdbeben“, sagt sie.
Augenblicklich erwacht der junge Forscher in mir aus dem langen Schlaf. Ich springe wie neugeboren aus dem Bett und haste – der Boden bebt noch – zum Telefon. (Notabene: Es gab damals weder Handys noch tragbare Telefone). Ich wähle die amtliche Zeitangabe. Ich glaube, die Nummer lautete „MEridian 6 1212“ und notiere die Zeit (ich besaß keine Uhr).
Ach! Das Wichtigste habe ich vergessen zu erwähnen: Ich war damals als professioneller Astrologe tätig. Ja, ich verdiente mein Geld (es war zwar ein bescheidenes Auskommen), indem ich für Kunden (meistens waren es Kundinnen) Horoskope erstellte und deutete. Keine einfache Arbeit, sollte ich betonen. Ein Horoskop genau mathematisch zu errechnen, erforderte etwa zwei Stunden, es zu deuten noch zwei Stunden. Aus Gründen, auf die ich hier nicht weiter eingehe, habe ich diesen Beruf 1972 an den Nagel gehängt. Das ist aber eine lange Geschichte. Vielleicht ein anderes Mal.
Ich war aber als Astrologe ein kritischer Geist, der naturwissenschaftlich dachte. Und nun war ich neugierig, ob man anhand von einem Ortshoroskop ein Erdbeben wie dieses hätte voraussehen können. Aus der Zeitung – damals gab es noch kein Internet – erfuhr ich, dass das Epizentrum in Los Angeles lag. Ich setzte mich nun hin und errechnete die Stellen der Himmelskörper und studierte das Ergebnis sorgfältig. Ich fand aber nichts, was meiner Meinung nach, ein Erbeben aus astrologischer Sicht hätte veranlassen können. Keine dramatischen Konfigurationen also. Kurzlebige Enttäuschung.
Doch plötzlich hatte ich einen Einfall der besonderen Art. Ich fragte mich: Ist die Errichtung eines üblichen geozentrischen Horoskops – also mit der Erde als Mittelpunkt – vielleicht die falsche Arbeitsweise, um ein Erdbeben vorauszusehen? Womöglich, sann ich. Und nun erstellte ich ein heliozentrisches Horoskop – also eine Momentaufnahme der Lage der Himmelskörper mit der Sonne als Mittelpunkt. Zum Glück besaß ich sowohl geozentrische wie auch heliozentrische Tabellen – „Ephemeriden“ genannt, um diese Positionen zu messen.
Das Ergebnis war vielversprechend, auch wenn ich es hier leider ungenau wiedergeben muss. Die Geschichte liegt nämlich ein paar Jährchen zurück. Ich konstatierte aber folgendes Bild: Im Augenblick des Erdbebens lag die Sonne zwischen Jupiter und Saturn. Die Erde befand sich in einem rechten Winkel zu beiden Planeten. Und da wir außerdem gerade Vollmond hatten, steckte die Erde zwischen Sonne und Mond.
Meine damalige Frage: Kann es sein, dass das Erdbeben durch Spannungen ausgelöst wurde, die von den Stellungen der oben erwähnten Himmelskörper ausgingen? Ich begab mich in die Stadtbücherei und recherchierte Ort und Zeit verschiedener Erdbeben der letzten Jahre. Dann erstellte ich heliozentrische Horoskope für alle meine Beispiele. Und siehe da! Eine ähnliche gespannte Lage der Himmelskörper war auch in anderen Fällen zu bemerken. Aber nur manchmal.
Näheres kann ich zu diesem Thema nicht sagen. Aus diesem kleinen Pantoffeltierchen ist doch kein Naturwissenschaftler geworden, sondern Schriftsteller. Falls Sie Naturwissenschaftler sind und meine Beobachtungen weiter untersuchen möchten, vergessen Sie nur nicht: Sie haben darüber beim Sprachbloggeur erfahren. Sonst gehört Ihnen der Ruhm.
Ein anderes Mal meine Lösung für das Energieproblem.
„Wenn ich den Schal umwickle, dann schaue ich aus wie ein Hipster“, sagte mein Sohn. „Es fehlt bloß die Sonnenbrille.“
„Nein der Schal sieht wirklich gut aus, richtig schick“, konterte meine Frau.
„Das meine ich eben“, sagte mein Sohn.
„Warte, warte“, jetzt war ich dran. „Was heißt hier ‚Hipster‘?“
„Hipster?“, antwortete mein Sohn. „Weißt du nicht, was ein Hipster ist?“
Ich: „Natürlich weiß ich, was ein Hipster ist, aber Hipster scheint, wie ihr redet, nicht mehr ‚Hipster‘ zu bedeuten.“
Obiges die Quintessenz eines Gesprächs. Und in dem Augenblick fiel mir eine Redewendung ein, die manchmal meine Mutter gebraucht: „What goes around, comes around“ – auch übrigens der Titel eines Justin-Timberlake-Liedes. (Vielleicht stammt der Spruch von ihm? Denn ich kenne ihn von früher nicht). „Alles rächt sich früher oder später“, wäre eine brauchbare deutsche Übersetzung.
Ich behaupte, dass dieser Spruch auch viel über den Begriff „Hipster“ aussagt.
Nicht von ungefähr findet man in Wikipedia zwei völlig unterschiedliche Einträge für dieses Wort. Der eine heißt „Hipster (21. Jt)“, dessen Inhalt erwartungsgemäß nicht gerade schmeichelhaft ist, siehe da; der zweite erscheint als gelehrter Aufsatz über die längst verschwundene Subkultur der „Hipster“ um die Mitte des 20. Jahrhunderts.
Ich werde dort anfangen, wo ich mich wenigstens einigermaßen auskenne. Die „Hipster“ waren nämlich in meiner Kindheit die coolenTypen. „Angelheaded hipsters burning for the ancient heavenly connection to the starry dynamo”, schrieb Poet Allen Ginsberg 1956 in seinem langen dichterischen Aufschrei “Howl” (Heulen), der zum Fanal der Jugendbewegung wurde. Etwa: Engelköpfige Hipster, die sich nach der uralten himmlischen Verbindung zum sternhellen Generator sehnten.
Damalige „Hipster“ waren quintessenziell „hip“. Wenn man, “he‘s hip“ sagte, so meinte man: Ja, er weiß Bescheid. Und so hätte es auch jeder verstanden. Und so war es, bis mit einem Mal der Sinn dieses Wortes ins Gegenteil umschlug. Das passierte in der ersten Hälfte der 1960er Jahre. Damals nannten wir solche Jugendliche „Hippies“ oder „Hippie-Dippies“, die (unserer Meinung nach) nur so taten, als wüssten sie Bescheid – ähnlich wie man heute mit den heutigen deutschen „Hipsters“ umgeht. Dann erneut eine unerwartete Umkehrung. Ab 1966 waren „Hippies“ schon wieder die Coolen. Sie wissen schon: „Flower-Power“, lange Haare, Marihuana, Sex wie die Kaninchen usw. Wieso diese Zeitgenossen (zu denen auch ich eine Zeitlang zählte) als „Hippies“ bezeichnet wurden, weiß ich nicht. Aber egal: Irgendwann schauten auch die neuen „Hippies“ alt aus. What goes around comes around.
In einer der neuesten Inkarnationen taucht das Element „hip“ abermals im positiven Sinn auf: als „hiphop“. Aber nur Geduld, zumal so viele Hiphop-Musiker längst schöne Häuser und Autos und graue Haare haben.
Nun ein gewaltiger Sprung nach hinten zu einer noch älteren Inkarnation unseres Wortes: das Zeitalter der „Hepster“. „Wer „hep“ war – und jetzt reden wir von der Zeit zwischen 1910 und 1945 – war einst der Inbegriff des coolen Typs. Er wusste Bescheid. Manchmal wurde ein solcher als „Hepcat“ bezeichnet, „cat“ im Sinn von „Typ“. Die weibliche Form war „Chick“ (Hühnchen). Aber keiner sagte „Hepchick“, vielleicht weil es wie ein Nießen klingt.
Doch irgendwann schauten auch die „Hepcats“ alt aus. In den 1940er Jahren bezeichnete sich die neue Generation von „Coolcats“ nurmehr als „Hipcats“; entsprechend wurde das alte Wort „Hepster“ in „Hipster“ verwandelt. Damals hieß es in einem „hip“ Lied: “It’s not hip to be hep“, etwa: Man ist nicht mehr im Bild, wenn er sich für„hep“ hält.
Nebenbei: Meinen diversen gelehrten Quellen zufolge tauchte der inzwischen museale Begriff „hep“ 1908 zum ersten Mal im Printmedium auf. Hinzu: Ein emsiger Forscher in Wikipedia berichtet, dass der „hepcat“ womöglich aus der Wolofsprache (in Senegal beheimatet) stamme. In dieser Sprache bedeute „hepicat“ „einer, der die Augen offen hält“, einer also, der Bescheid weiß. Keine Ahnung, ob das wirklich stimmt. Fest steht jedenfalls: Der„hip“-Wortschatz insgesamt ist in afroamerikanischen Kreisen in den USA entstanden – die Geheimsprache einer verfolgten Minderheit klingt oft „hip“.
Die heutigen „Hipster“, zu denen mein Sohn nicht zählt, sind also die Ururururenkel einstiger „Hepster“. Nur eine Frage der Zeit, bis sie wieder voll „hep“ werden.
Ich besuchte neulich einen Vortrag in englischer Sprache. Die Zuhörer waren Studenten, Doktoranden, Professoren und diverse sonstige Interessierte – wozu auch ich zählte. Thema und Schauplatz lasse ich hier unerwähnt. Keinen Grund jemanden unnötig auf den Schlips zu treten.
Ich war jedenfalls wohl der einzige native speaker zugegen. Englisch war auch für den Redner eine Fremdsprache, die er allerdings sehr gut beherrschte. Nur manchmal hat es mit der Aussprache gehapert.
Das kann leicht passieren, insbesondere, wenn man ein englisches Wort nicht fix im Ohr hat. Denn die englische Orthographie kann manchmal sehr unlogisch sein. Nicht verwunderlich, dass der Redner über das Wort „ravine“ – zu Deutsch „Schlucht“ stolperte. Seiner Aussprache nach klang dieses Wort wie „ra-wein“. Ein verständlicher Fehler. „Devine“ (erraten), „divine“ (göttlich), „vine“ (Ranke), „combine“ (verbinden) usw., klingen alle, als würden sie sich auf „ra-wein“ reimen. Doch leider ist „ravine“ kein „ra-wein“, sondern ein „ra-wien“. Mein tiefstes Mitleid gilt allen non-native speakers. Es ist wirklich schrecklich mit meiner Muttersprache.
Mir fiel ebenfalls auf, dass der Redner manchmal Probleme mit dem Wortakzent hatte. Auch dies ist verständlich. Denn die Regeln sind alles anders als überschaubar. Wir sagen „psyCOLogist“, dafür aber „pychoLOGical“. Wie soll man das wissen, wenn man es nicht mindestens tausendmal gehört hat? Der Redner machte, z.B., aus „opporTUnity“ eine „opPORtunity“. Wie gesagt: eine schreckliche Sprache. Nicht einmal die Amerikaner und die Engländer sind immer einer Meinung, wenn es um den Wortakzent geht. „CONtroversy“ (Auseinandersetzung) sagt der Amerikaner „conTROversy“, der Engländer .
Aber nochmals. Besagte Redner sprach ein gutes Englisch, und seine Fehler waren wirklich geringfügig. Und Gott weiß, was ich für Fehler in dieser mir fremden deutschen Sprache ständig mache. Wer im Glashaus sitzt, wirft nicht mit Raweins.
Als ich 1975 in München eintraf, war ich beeindruckt, dass viele Menschen Englisch verstanden. Doch schon bald entdeckte ich das schmutzige kleine Geheimnis der Deutschen: Die meisten von ihnen unterhalten sich viel lieber auf Deutsch als auf Englisch. Denn das Englischsprechen strengt nach und nach mächtig an.
Mir fiel damals ebenfalls ein, dass Deutsche gewisse Lieblingsfehler begingen, wenn sie Englisch talken. Und jetzt komme ich zu meinen Tipps.
Fangen wir mit dem einfachsten an. Man sagt auf Deutsch: „mit fünfzehn Jahren“, „mit dreiunddreißig Jahren“ usw., wenn man übers Alter redet. Dieses „mit“ wird automatisch mit-übersetzt, wenn man dann im Englischen übers Alter sprechen will. Also: „with fifteen“, „with thirty-three“ usw., sagt der Deutsche gern. Doch diese Formulierung ist leider falsch. Es muss „at“ heißen. Also: „I started school at the age of five” (oder „at five“).Es handelt sich zwar um eine Kleinigkeit. Beseitigt man diesen kleinen Fehler, so klingt das gesprochene Englisch viel schöner. Ja. Bitte einprägen.
Noch ein kleiner Fehler: Für Deutsche ist die Aussprache von „ths“ ein wahrer Zungenbrecher. Das Wort „months“ klingt deshalb oft wie „mon-thes“, wenn ein Deutscher Englisch redet. Ich weiß: Das lispelnde „th“ mit einem scharfen „s“ zu kombinieren, ist gar nicht so angenehm. Üben. Üben. Üben.
Last but not least etwas knifflig: Ich möchte Ihnen hier den Unterschied zwischen „fewer“ und „less“ beibringen. Diese Wörter werden beide im Deutschen mit „weniger“ übersetzt. Auf Englisch sind sie aber so penibel zu unterscheiden wie Maiglöckchenblätter und Bärlauch.
„Fewer“ bezieht sich nur auf Nomen, die zählbar sind. Man kann „months“, „stones“,“ravines“ und „glasses“ zählen. Folglich hat man „more“ oder „fewer“ „months“, „stones“, „ravines“ und „glasses“. „Less“ verwendet man ausschließlich mit unzählbaren Nomen.„Freedom“ kann man nicht zählen – auch nicht „information“ („eine Information mitzuteilen“ kann man auf Englisch nicht sagen – sondern „to communicate a piece of information“). Man kann „friends“ zählen nicht aber „friendship“. Auch „time“ zählt man nicht, nur „minutes“, „hours“ und „years“. Man hat also „more“ or „less“ „freedom“, „information“,„friendship“ und “time”.
Alles klar?
Ein Lehrer sollte mit Fakten nicht überstrapazieren. Ich denke: Das wäre es für heute. Lehrbücher zu und ab in die Pause.
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