„Weißt du, warum Deutsche so gern übers Wetter reden?“ fragte mich mein Sohn, ein Pragmatist.
„Ich denke, man redet übers Wetter, um einem anderen Menschen wenigstens etwas sagen zu können. Manche ertragen die Stille nicht“, antwortete ich.
„Oder vielleicht sind Deutsche wirklich vom Wetter besessen“, sagte mein Sohn, „Das Thema ist für uns vielleicht so brennend interessant, weil das Wetter in unserem Breitengrad so wechselhaft ist.“
Ja, er hat recht. Das Wetter ist hier ziemlich wechselhaft…
Es muss aber nicht immer nur das Wetter sein, was die Menschen zusammenschweißt. Man kann auch unterhaltsame Gespräche über das „Selfie“ führen („Was? Machst auch du Selfies?…usw.“) oder über Schumi. („Schrecklich, was dem Michael Schumacher passiert ist. Es hat mich wirklich betroffen…usw.“). Oder die Geschichte von Frau Merkels Beckenbruch beim Langlaufskifahren. („O Gott. Jetzt geht die Welt endgültig zugrunde. Es hat auch der Merkel erwischt…usw.“)
Alles Gesprächsfetzen aus dem großen Dorf. „Global Village“ auf Englisch.
Können Sie sich noch erinnern? Es war Marshall McLuhan, der den Begriff „Global Village“ als erster formulierte. Er starb 1980, ohne jemals eine einzige Email geschickt zu haben, ohne den WehWehWeh gesurft zu haben. Er kam auf die Idee des globalen Dorfes lediglich durch das Fernsehen.
Nebenbei: Die Breaking-News über Schumis Unfall erfuhren wir, d.h., meine Frau und ich, in der „Heute Sendung“. Es war das erste Thema an dem Tag. Zuerst teilte der Nachrichtensprecher die Begebenheiten nüchtern mit – im Hintergrund sah man ein Schumi-Foto. Dann folgten die Videoaufnahmen vom Unfallort und wieder die Umstände. Schließlich wurde ein Reporter live vor dem Krankenhaus in Grenoble ausführlich vom Nachrichtensprecher befragt. Der Reporter wiederholte alle bereits bekanntgemachten Fakten. All dies dauerte ca. fünf Minuten. Also ein Drittel der gesamten „Heute Sendung“ handelte von Schumis Unfall. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Es ist nicht, als ob der Schumacher diese Aufmerksamkeit nicht verdient hätte. Immerhin hatte er beim Formel 1 sehr oft gesiegt. Und ohnehin, wer möchte täglich Berichte übers Sterben in Syrien sehen, oder übers Völkermord im Kongo, im S. Sudan oder im längst vergessenen Darfur. Manchmal fühlt man sich so hilflos, wenn man die Bilder sieht. Oder Berichte über Hungersnot. Und das mit Israel und Palästina geht einem mitunter wirklich auf den Keks.
„Warum muss man das gleiche fünfmal wiederholen?“ fragte mich meine Frau, während der Reporter vor dem Krankenhaus in Grenoble mit ernster Stimme über Schumis Verletzungen berichtete.
„Es waren nur dreimal“, korrigierte ich.
Übrigens: In den Xinhau-Nachrichten aus China kann man lauter lustige „Selfies“ beäugen. Ja, so was ist halt der Kitt, mit dem eine Nation zusammengehalten wird: mit „Selfies“ oder mit dem Drama um den Eisbrecher, Xuelong („Schneedrache“), der in der Antarktis, nach der Rettung des russischen Forschungsschiffes Akademik Schokalski selbst eines Eisbrechers bedarf.
Sorry. Ich möchte, wenn ich mir übers globale Dorf Gedanken mache, die Ernsthaftigkeit von Schumis Unfall – auch nicht vom Merkel‘schen Beckenriss – nicht schmälern. Ich wünsche beiden gute Besserung – ebenfalls eine baldige Befreiung vom ewigen Eis fürs Xuelong.
Klar. In jedem Dorf, auch im globalen Dorf, reagiert man besorgt über das Wohlergehen der Nachbarn und dergleichen.
Und manchmal denkt sich jemand einen cleveren Namen aus für etwas, das es schon lange gibt: zum Beispiel, das „Selfie“. Auf einmal reden alle im Dorf vom „Selfie“.
Vielleicht deshalb redet man auch gern übers Wetter.
Es hätte schlimm enden können. Sehr schlimm, und dann wäre dieser heute ein ganz anderer Text geworden.
Das Unglück taucht immer auf wie aus dem nichts.
Ich stand vor der Papiertonne mit meinem Papiermüll und war dabei Kartonfetzen, alte Eierschachteln, Zeitungswerbung usw. durch den Schlitz im Deckel der blauen Papiertonne zu befördern. Dann ist es passiert…flutsch, gefolgt von einem leisen „klack-klack-klack-klick-klack-rumpa-rumpa“ und dann Stille. Große Stille.
Was ist geschehen? Meine Ringe, d.h. mein Ehering und der Ehering meines Vaters, die ich beide am Ringfinger der linken Hand trage, flutschten widerstandslos vom Finger ab und verschwanden in der Papiertonne.
So einen Augenblick muss man erst verdauen. Man merkt, wie sehr man manchmal an kleinen Dingen hängt, Dinge, die einen idealen Wert haben.
Was tat ich nach dem ersten Schock? Vorsichtig öffnete ich den großen, schweren blauen Deckel der Tonne und begann im Chaos des Papiermülls nach meinen Ringen zu suchen. Bergungsarbeit halt. Man fängt sachte an, in der Hoffnung, dass das Gesuchte nicht allzu weit in den Tunneln, Höhlen und Kanälen des Papiergewühls verschwunden ist.
Ich versetzte Kartonfetzen, entsorgte Taschenbücher, Toilettenpapierrollen, die jemand nicht mehr haben wollte, alte Kuverts, Werbeblätter, Verpackungen usw., schob sie hin und her, in der Hoffnung dass die Ringe nicht allzu weit weggerollt waren.
Und siehe! Beginner’s luck. Ein Ring trat schnell in Erscheinung: der Ehering meines Vaters. Plötzlich war er da, als wäre das das Selbstverständlichste auf der Welt. Er lag auf einer papiernen Unterlage, als würde er einen Mittagsschlaf halten. Ich griff vorsichtig nach ihm und holte ihn erleichtert aus dem Papierchaos. Vielleicht ist auch mein Ehering in der Nähe, sann ich und beseitigte wieder sachte neue Papierebenen, die ich dann um mich auf den Boden herunterwarf. Vergebliche Liebesmühe. Er war nirgends aufzutreiben. Nun grub ich tiefer in der Tonne, so tief, dass ich fast den Tonnenboden erreichte, und kaum mehr wegen der vielen Schatten und des schlechten Lichtes da unten etwas klar hätte sehen können. Zusätzlich erschwerend war die Tatsache, dass ich bisher den schweren blauen Tonnendeckel auf meinem Kopf balanciert hatte, denn es gab keine andere Möglichkeit, den Deckel in offener Stellung zu halten.
Mir war jetzt klar: Um weiter zu kommen, würde ich Werkzeug brauchen. Ich kehrte in meine Wohnung zurück, legte meines Vaters Ring in die Sicherheit meines Schreibtisches nieder und holte eine Taschenlampe und zwei Besen. Der eine sollte als Stütze dienen, um den schweren blauen Deckel offen zu halten. Mit dem zweiten wollte ich im Müll wühlen.
Ab in die Arbeit. Stück für Stück entfernte ich nun das Altpapier aus der Tonne. Bald stand ich knöcheltief im Papiermüll. Doch keine Spur vom Ring. Vielmehr verspürte ich die wachsende Verzweiflung. Umso mehr war ich entschlossen, wenn nötig, den ganzen Inhalt der Tonne auszuleeren. Ja, die Tonne war groß, die Menge des Papiermülls schien schier endlos, und der Ring war klein. Trotzdem wollte ich nicht resignieren. Ich wühlte weiter und beleuchtete die sichtbar gemachten Oberflächen und Höhlen mit meiner Taschenlampe.
Als ich ein großes, sperriges Stück Kartonage aus der Tonne zu entfernen beabsichtigte, erspähte ich an der hinteren Wand der Tonne einen Halbkreis aus Metall. Mein Ring? Oder vielleicht, wie ich vermutete, lediglich eine Niete, die in der Tonnenwand zu Zwecken der Lüftung eingestanzt war. Das wollte ich jetzt näher untersuchen und benutzte dafür den zweiten Besen, genauer gesagt die Kunststofföse an der Spitze des Besenstiels als Sonde. Ich langte mit der Öse direkt in die Niete und hielt sie fest gegen die Tonnenwand. Es war aber keine Niete. Es war tatsächlich mein Ehering. Nicht zu früh sich freuen, mahnte ich mich trotzdem. Die Situation war immer noch sehr prekär. Eine falsche Bewegung…
Sachte verschob ich den Ring, den ich mit der Öse gefangen hielt, entlang die Tonnenwand... bis ich ihn mit meiner Hand ergreifen konnte. Gerettet. Erleichterung.
Als Nächstes räumte den Papiermüll, der sich um mich aufgestapelt hatte, wieder in die Tonne, nahm meine zwei Besen, meine Taschenlampe und meinen Ring und kehrte in meine Wohnung zurück. Nein. Kein Gefühl des Triumphs. Ein Gefühl der großen Dankbarkeit.
Denn die kleinen Dinge können auch große Dinge sein.
Ich bin dankbar, dass ich nicht der Erfinder der „Enkelkindmasche“ (siehe Spiegel-online) bin. Ich bin dankbar, dass ich keine Kinderprostituierten weltweit vermittele. Ich bin dankbar, dass ich keine Daten aus dem Netz entwende. Ich bin dankbar, dass ich meine zwei Ringe wiederhabe, und dass ich Ihnen heute eine frohe Botschaft fürs neue Jahr bringen kann, ohne von eigenem Verlust bedruckt zu sein.
Ich bin dankbar, dass ich Sie als Leser habe, und ich bin dankbar, dass ich Freude habe, für Sie diese Glossen zu schreiben.
Ein gutes, gesundes, erfolgreiches 2014 wünscht Ihnen Ihr Sprachbloggeur.
PS: Das Verlieren-und- Wiederfinden ist eine altbewährte Handlungstechnik der Weltliteratur. Manchmal sind es auch Menschen, oft Geliebte, die sich verlieren und wiederfinden. Nicht von ungefähr ist diese Technik beliebt. Wir freuen uns immer, wenn das, was dem Anschein nach verlorengegangen ist, doch wieder in Erscheinung tritt.
Als Wladimir Putin die „Pussy Riot“ vors Gericht ziehen ließ, habe ich damals geweissagt, dass es public-relationsmäßig unmöglich sein würde, Frauen, die sich als „Muschirandaliererinnen“ bezeichneten, für schuldig zu befinden, ohne das Justizsystem ins Lächerliche zu ziehen. Und sollte sie trotzdem schuldig gesprochen werden, würde man sie auf Geheiß des Staatsoberhaupts alsbald laufen lassen.
Doch W.P. hat die „Muschirandaliererinnen“ nicht laufen lassen. Sie kamen ins Gefängnis. Nicht anders war sein Umgang mit den Greenpeace-Aktivisten und natürlich mit dem Erzfeind Michail Chodorkowski. Diese aber nur nebenbei erwähnt.
W.P. ist aber nicht das Thema dieser Glosse. Er dient hier lediglich als Beispiel eines grammatischen Problems. Genauer gesagt, dass es in der Grammatik für eine einzige syntaktische Situation manchmal mehr als eine richtige Antwort gibt – was, ich gebe zu, eine frustrierende Erkenntnis für jede(n) Sprachenlernende(n) sein kann.
Aber nun ein anderes Beispiel. Diesmal der englischen Grammatik entnommen.
Hier erfahren Sie, wie ich einer Gruppe Studenten – die meisten waren Deutsche – die Feinheiten des englischen Verbalsystems zu erläutern versuchte.
(Wie ich überhaupt in diese Situation kam, ist eine etwas längere Geschichte, die ich an dieser Stelle nicht zu schildern vorhabe. Sie ist ohnehin hier irrelevant).
Um meinen Studenten das nicht gerade einfache Verbalsystem der englischen Sprache zu veranschaulichen, erteilte ich eine Übung aus einem uralten (1957) britischen Lehrbuch, „Modern English Practice“. Zweck der Übung war, die Lücke im jeweiligen Satz mit der passenden Verbalform zu ergänzen. Folgende Zeiten standen für diese Übung zur Wahl: einfache Vergangenheit, Perfekt, Futur, zweite Vergangenheit und auch alle entsprechende Verlaufsformen. Am ersten Tag paukte ich diese Übungssätze mit einer einzigen Studentin.
Hier ein Satz aus dieser Übung: „Since the war we…… (build) up an efficient export sales organization, which….. (introduce) our biscuits into several countries that formerly…… (never, import) any biscuits.”
Besagte Studentin ergänzte die Lücken folgendermaßen: “have been building”, “has introduced” und “never imported”. Ich war mit ihren Lösungen einverstanden.
Am nächsten Tag nahmen mehrere Studenten an dieser Klasse teil. Ich entschloss mich, die Übung vom vorigen Tag auch mit der neuen Gruppe durchzuarbeiten. Die Studentin vom vorigen Tag war übrigens ebenfalls zugegen. Diesmal ergänzte ein Student die Lücken mit folgenden Antworten: „have built“, „introduces“ und „never imported“. Ich war mit seinen Antworten einverstanden.
„Verzeihung“, fragte die Studentin vom vorigen Tag. „Gestern haben Sie ganz andere Antworten für richtig erklärt“, und prompt zitierte sie die gestrigen Lösungen. „Welche sind also die richtigen?“
Es war ein Augenblick der Wahrheit, wie sich jede(r) Lehrer(in) nur wünscht. „Tja“,, sagte ich. „Sie sehen wie grausam die englische Grammatik sein kann. Fakt ist: Sie erlaubt bisweilen mehr als eine richtige Antwort fürs gleiche Problem. Aber nicht verzagen. Das ist auch eine gute Nachricht: So wird einem eine gewisse Freiheit gewährt. Doch freuen Sie sich nicht zu früh. Manches bleibt trotzdem falsch.“
Auch in der Politik gibt es Alternative, die grammatisch einen Sinn ergeben, liebe Studenten der Grammatik der Politik. Aber auch hier bleibt manches immer falsch…
Ein dunkler Text, und ich weiß nicht, warum ich ihn heute unbedingt schreiben wollte. Doch so dunkel der Text auch sein mag, werden die Tage ab jetzt immer länger. In diesem Sinn wünscht der Sprachbloggeur allen Lesern und Nichtlesern frohe Weihnachten und helle Stunden.
Ja, liebe Freunde der deutschen Sprache, hier eine frische Folge aus der endlosen Sprachengeschichte eines Menschen mit Migrationshintergrund, der unermüdlich bestrebt ist, diese ihm fremde Sprache zu beherrschen. Und ausgerechnet heute, am Tag der Trauerfeier für Nelson Mandela, erscheint dieser Text. Egal. Ich mache weiter. Nähere Gründe unten…
„Sorry, lieber Sprachbloggeur“, schärfte mir Freund Harald vor vielen Jahren ein, „Keiner kann eine Sprache beherrschen – auch nicht die deutsche Sprache.“
Rückblick: Harald war der erste echte Deutsche, der bereit war, mit mir lange Gespräche in seiner Muttersprache zu führen – obwohl dieses Unterfangen sehr viel Geduld erforderte.
„Sprachen beherrschen Menschen“, sagte Harald weiter, „nicht umgekehrt.“
Nebenbei: Etwas Anderes brachte mir Harald bei – und zwar nicht bewusst, also nur quasi durch sein Beispiel. Ich beobachtete, dass seine Sätze immer klar und einfach formuliert waren – das Gegenteil von meinen also. Sprechneulinge drücken sich oft sehr kompliziert aus.
Wenn es mir gelingt, klar und einfach zu schreiben, denke ich immer an Harald,.
Das nur einleitend. In dieser Folge meiner endlosen Geschichte können Sie nun zuerst zwei Beispiele meines Sprachfortschrittes lesen:
Beispiel eins: Folgenden Satz von Henrik Broder las ich gestern in der neuen „Weltwoche“: „…die anderen sagen, man solle den Einfluss des Fernsehens nicht überschätzen.“
Alsbald dachte ich: Ich finde, dass hier „überbewerten“ schöner klingt als „überschätzen“. Zu bemerken: Auch Migrationshintergründler entwickeln einen eigenen Geschmack in der Fremdsprache.
Beispiel zwei: In der gleichen Ausgabe dieser Zeitschrift stieß ich auf folgenden Satz des Journalisten Hansrudolf Kamer: „Die Ankündigung einer neuen Luftverteidigungszone im Ostchinesischen Meer hat Japan, Südkorea und auch Amerika zu Protestaktionen veranlasst.“
Hoppla, dachte ich, ich würde hier lieber „auf den Plan gerufen“ anstelle von „zu Protestaktionen veranlasst“ lesen. Doch genug des Selbstlobes.
Nun zum zweiten Teil dieser Folge aus der endlosen Sprachengeschichte:
Hier geht es um das Wort „gleichsam“. Vor etlichen Monaten hatte ich in einer Glosse mein Leid bezüglich dieses Wortes ausgiebig beklagt. Der Grund: Ich war unfähig, es in einem Satz korrekt zu verwenden.
Dem Duden zufolge bedeutet „gleichsam“ „gewissermaßen“, „sozusagen“ und „wie“. Dennoch war ich nicht in der Lage, einen funktionierenden Satz mit diesem verdammten Wort zu schreiben.
Einmal fragte mich mein Lektor, während er einen Text von mir überarbeitete: „Sagen Sie: Was soll das ‚gleichsam‘ hier für einen Sinn haben?“
„Es war schon lange mein Traum, dieses Wort in einem Satz zu schreiben“, antwortete ich.
„Ja, Sie haben recht. Es ist ein sehr schönes Wort. Nur, es passt in Ihrem Satz leider nicht.“
Inzwischen bin ich „Gleichsam-Meister“ geworden, ein Rang, der nur wenige Migrantler erreichen. Ich könnte, wenn ich wollte, „gleichsam“ gleichsam in jedem Satz korrekt verwenden. Doch ich will nicht mehr. Denn das Wort hat für mich seine Allüre verloren.
Fakt ist: Auch viele Deutsche haben, wie ich erfahre, Probleme mit dieser Vokabel, was auch verständlich ist. „Gleichsam“ steht nicht gerade im Top 100 des deutschen Wortschatzes. Es ist ein seltener Begriff, und vielleicht ein bisschen altmodisch. Falls Sie zu den Unsicheren zählen, hier ein bisschen Starthilfe: „Gleichsam“ ist gleich „quasi“. Wo man „quasi“ sagen oder schreiben kann, passt jederzeit ein „gleichsam“. Bespiel: „Tote Menschen kann man leicht instrumentalisieren. Man macht sie quasi zu ‚Posterboys‘.“ „Quasi“ mit „gleichsam“ auswechseln und voilà! Der Satz klingt auf einmal viel edeler.
Aber zurück zu Nelson Mandela. Eigentlich hätte ich heute als Medienmensch einen ganzen Text über ihn schreiben müssen, mit dem Zweck „Kundschaft“ heranzuziehen. Das macht man im Medienbusiness immer. Der Tod (auch die runden Gedenktage) eines Prominenten (Lady Di, Elvis, JFK) wirkt garantiert als Auflagenaufputschmittel.
Nein, ich habe die Gunst der Stunde nicht wahrgenommen. Sprachenjunkies kann man schwer von ihrer Sucht abbringen. To be continued…
In eigener Sache: Nächste Woche keine neue Glosse. Bin auf Geheimreise. Erst wieder zu Weihnachten.
Hat es „kratsch“ gemacht? Oder „kritsch“? „Ssssnitsch“ vielleicht? Oder war nur Grabesstille? Keine Ahnung. Fest steht nur: Auf einmal war der Sprachbloggeur nicht mehr da. Weg. Als hätte es ihn nie gegeben.
Erst hinterher erfuhr ich von Herrn P., meinem Provider, dass die Serverfestplatte („Scheibe“, nennt er das) „Kratzer“ hatte. Zum Glück konnte alles, was auf der „Scheibe“ gespeichert war, gerettet werden.
Meine und auch andere vom Server betreuten Webseiten sind quasi dem virtuellen Tod gerade noch von der Schippe gesprungen.
Das gibt zu denken. Oder? Now you see it, now you don’t.
Selbstverständlich war ich erleichtert, als die Texte der letzten vier Jahre wieder zum Vorschein kamen. Doch meine Erleichterung währte nur kurz . Denn bald stellte ich fest, dass auf der Seite die Kommentare – alle Kommentare der letzen vier Jahre – fehlten. Ihre Beiträge also, liebe Kommentarschreiber, wichtige Texte, die diese Seite zu einem bunten Dialog machen, waren weg.
Ich gebe zu: Ich mache es meinen Lesern nicht leicht, Kommentare beim Sprachbloggeur zu veröffentlichen. Man muss sich anmelden, dann auf eine Berechtigung warten usw. Schuld daran sind natürlich die Spammer, die Krankheitserreger des WehWehWeh. Seit einem Jahr habe ich über 2 Millionen Spammern den Zugang zu dieser Seite abgeblockt. Aber Roboter sind unermüdlich.
Doch zurück zu den Kommentaren. Deren Verschwinden hat mich sehr traurig gemacht, ein Verlust, der mir wie eine Amputation vorkam. Zum Glück konnte der nette Herr P. mich schnell wieder beruhigen. „Alles bald wieder da“, schrieb er mir in einer Mail.
Und es war tatsächlich so. Alles war bald wieder da.
Ich habe mich gefreut, dass es diesmal gut gegangen ist. Trotzdem wars mir klar: Es wird bestimmt mal wieder neue Kratzer geben: Now you see it, now you don’t.
Ein Kratzer auf der Scheibe kann jederzeit zum „game-changer“ werden. Schade, dass es keine adäquate Übersetzung für diesen englischen Begriff gibt.
Und damit komme ich zu meinem Freund Ludwig, der vor zwei Wochen einen Schlaganfall hatte. Auch das ist wie ein Kratzer auf der Scheibe.
Zufällig hatte ich Ludwig in dem Moment, als er den Schlaganfall erlitt, angerufen. (Ein Wunder, dass er überhaupt ans Telefon ging). Er selbst hatte allerdings nicht erkannt, dass er einen Kratzer auf der Scheibe hatte. Ich schon. Denn er sprach zu mir plötzlich in Flüstertönen und obendrein auf Französisch.
Man will vorerst nicht glauben, dass der Freund, den man Jahrzehnte lang kennt, dabei ist, ein Schlaganfall zu erleiden. „Ludwig, ist was?“ fragte ich.
„Non, non.“
Ich rief den Notarzt.
Es geht Ludwig inzwischen wieder bestens. Tagelang aber hatte seine Scheibe noch immer einige kleine Kratzer. Er wirkte abwesend (wie in „nicht da“). Bisweilen fielen ihm Wörter nicht ein – was für ihn ungewöhnlich ist. Mir fallen Wörter ständig nicht ein – und zwar in zwei Sprachen. Die Lücken haben ihn aber geärgert.
Nun sind alle Wörter wieder da und noch etwas: „Stell dir vor“, sagte er zu mir. „Ich habe das Gefühl, dass ich Klavier einfühlsamer spiele als früher.“
Nein, keine Einbildung seinerseits. Ein Kratzer auf der Scheibe kann tatsächlich die Dinge im Hirn neu ordnen.
Beispiel Lachlan Connors, ein Teenager aus Colorado. Nach einer schweren Gehirnerschütterung wurde er aus heiterem Himmel zum Musiker. Inzwischen spielt er Klavier, Banjo, Ukelele, Mandoline, Harmonika usw. Das Phänomen ist den Neurologen bekannt.
Hier trotzdem keine Empfehlung, sich eine Gehirnverletzung zuzuziehen. Gleiches gilt für die Festplatte.
Schade, dass es auf Deutsch keine adäquate Übersetzung für „game-changer“ gibt.
Vorstandsvorsitzender 2: Wir können schon anfangen. Bubu kommt nicht.
Vorstandsvorsitzender 1: (ruft) Wurm! Sicherheitszelt schließen!
(Wurm, der dem Vorstandsvorsitzenden 1 zu Füßen liegt, erhebt sich, eilt zum Eingang und zieht von oben nach unten an einem großen Reißverschluss. Dann legt er sich neben dem Vorstandsvorsitzenden 1 wieder hin, der ihn kurz am Kopf streichelt.)
Wurm: Wau wau.
Vorstandsvorsitzender 3: Armer Bubu, er wäre gern gekommen.
Vorstandsvorsitzender 1: Heute muss einer schließlich vorsichtiger sein. Man weiß nie, mit wem man sich verplappert hat, mein Lieber. Das muss ich dir nicht ausführlich buchstabieren, oder? Du weißt schon: enn ess äääj.
Vorstandsvorsitzender 3: Früher war alles einfacher.
Vorstandsvorsitzender 1: Ja, früher!
Vorstandsvorsitzender 3: Ich gebe zu: Mich macht dieses Informationszeitalter nervös. Man weiß nie…
Vorstandsvorsitzender 2: Jammere nicht so. (Er wendet sich an Vorstandsvorsitzenden 1) Sag mal, muss der da (er zeigt auf Wurm) unbedingt hier sein?
Vorstandsvorsitzender 1: Der? Was für eine Frage! Vielleicht solltest du dir auch einen anschaffen. Viel wirksamer als Beruhigungsmittel. Und auch billiger! Nicht wahr, Wurm? (Er fährt ihm kurz über die Haare).
Wurm: Wau wau.
Vorstandsvorsitzender 2: Wenn du meinst. Nur nicht, dass er hinterher alles nachplappert. Du weißt schon: enn ess äääj. Eine Geheimsitzung im Sicherheitszelt ist schließlich eine Geheimsitzung.
Vorstandsvorsitzender 1: Aber woher. Ich habe ihn bestens erzogen. Er hat das Sprechen längst verlernt, dafür folgt er auch den kompliziertesten Kommandos. Und schreiben kann er auch. Braver Wurm.
Wurm: Wau wau.
Vorstandsvorsitzender 3: Mich hätte es genauso treffen können wie Bubu.
Vorstandsvorsitzender 2: Das meine ich auch. Die Spionen sind überall. Wenn einer ja wüsste, dass wir miteinander kollaborierten. Sei bloß nett zu deiner Frau – und deiner Mätresse. Haha.
Vorstandsvorsitzender 1: Ja, schon gut. Fangen wir mit dem Wesentlichen endlich an. Ideen brauchen wir, Ideen!
Vorstandsvorsitzender 2: Ja, eben, und ich habe eine: Wie wäre es mit einem saftigen Zeitungskrieg? Deine gegen meine, quasi. Eine schöne, schmutzige Schlammschlacht – wie ja in den guten alten Tagen – ich meine vor der Informationsrevolution…
Vorstandsvorsitzender 3: (träumerisch) Ja, vor der Informationsrevolution!
Vorstandsvorsitzender 1: Werdet bitte nicht so sentimental. Die Zeiten sind endgültig vorbei. Erzähle mir lieber von deiner Schlammschlacht.
Vorstandsvorsitzender 2: Ganz einfach. Wir kaufen uns die exklusiven Rechte – also print und didschital – für Justin und Miley. Deine Medien ziehen Justin durch den Schlamm und meine Miley! Man bringt selbstverständlich so viel Haut wie möglich. Das mögen die Leser. Und was die Leser mögen, liebt die Werbung noch mehr.
Vorstandsvorsitzender 1: Du bist genial, mein Lieber! Wenn du nicht die Konkurrenz wärst, würde ich dich sofort abwerben! Und du (er zeigt auf Vorstandsvorsitzenden 3): Deine Medien werden für die berechtigte Entrüstung sorgen. Ihr spielt die moralische Keule quasi, damit die Sache schön rund läuft! Braver Wurm! Wer ist mein braver Wurm. Möchte Wurm einen Keks?
Wurm: Wau wau!
Vorstandsvorsitzender 3: Ja, die Idee gefällt mir. Ich hoffe allerdings, dass wir hier nicht die Rechnung ohne Wirt machen. Ich meine: Zu Erinnerung: Wir verfügen zwar über Multimedia platforms. Die Social Media sind aber schneller– und billiger!
Vorstandsvorsitzender 1: Und wie wäre es, wenn auch wir unsere Platforms gebührenfrei machten?
Vorstandsvorsitzende 2 und 3: Spinnst du?
Vorstandsvorsitzender 1: Aber bitte. Denkt bloß mit. Uns steht wegen der Deregulierung nichts mehr im Wege, um Kosten zu reduzieren. Alle Träume kann man verwirklichen! Ich hab’s euch schon vorgemacht. Und meine Geheimwaffe gegen die Social Networks funktioniert bestens.
Vorstandsvorsitzender 2: Deine Geheimwaffe?
Vorstandsvorsitzender 1: Da ist sie! Mein Wurm!
Wurm: Wau wau.
Vorstandsvorsitzender 1: Er macht alles, was ich von ihm verlange und kostet lediglich ein paar Kekse. Die Social Media haben nichts Vergleichbares – außer Benutzer, die ständig bedient und gebauchpinselt werden möchten. Haha.
Wurm: Wau wau.
In eigener Sache: Bin nächste Woche schon wieder auf Geheimmission. Erste Berichterstattung übernächste Woche.
Hey Germans! Vielleicht kommen Sie mit folgendem Satz besser zurecht als ich armer Migrantler.
Ich bin auf ihn in der Schweizer Wochenzeitschrift „Die Weltwoche“ gestoßen. Nein, hier keine exotische Schweizer Zungenbrecher, sondern waschechtes hochgestochenes (auf Englisch „high faluting“) Feueilleton-Deutsch.
Der Satz kommt in einem Artikel über Inzest (man sagt auf Englisch: „a family that plays together stays together“) des Literaturwissenschaftlers Hans Ulrich Gumbrecht vor. Zitat: „Die Ödipus-Geschichte illustriert dann, dass Geschlechtsverkehr zwischen Eltern und ihren Kindern im antiken Griechenland sanktioniert wurde, während auf der anderen Seite der Geschwisterehe – als Normalform in den mythischen Erzählungen über die Götter des Olymps – im Alltag die rechtliche Möglichkeit und gängige Praxis der Verheiratung mindestens mit Bruder- oder Schwesterkindern entsprach.“
Bitte, liebe deutsche Muttersprachler. Lassen Sie mich hier nicht im Stich, bloß weil dieser Satz so furchtbar verschachtelt ist. Ich bin mir selbst nicht im Klaren, ob er überhaupt grammatisch korrekt ist. Denn ich denke, es muss hier eigentlich heißen die und nicht der „Geschwisterehe“ und „der rechtlichen Möglichkeit und gängigen Praxis“ . Oder? Sprachliche Außenstehende wie ich fühlen sich schnell verunsichert, wenn sie an der Richtigkeit eines Satzes in der Fremdsprache zweifeln – erst recht, wenn der Autor ein Literaturwissenschaftler ist.
Aber egal: Mir geht es hier ohnehin um das Wort „sanktioniert“. Hoppla, habe ich gedacht, nachdem ich obigen Satz das erste Mal gelesen hatte. Hat der Autor grad eben behauptet, dass man im antiken Griechenland Geschlechtsverkehr zwischen Eltern und ihren Kindern sanktionierte, also billigte? Das kann nicht wahr sein. Ich habe den Satz abermals gelesen und wurde allmählich stutzig. Nun holte ich meinen Duden.
Und siehe da! „Sanktionieren“ hat zwei Bedeutungen.
Hier O-Ton-Duden: „[öffentlich, als Autorität] billigen, gutheißen {und dadurch legitimieren}: Umweltzerstörungen aus ökonomischen Motiven sanktionieren…“
Und:
„Mit Sanktionen belegen: die soziale Umwelt sanktioniert (bestraft) jeden Regelverstoß.“
Soll das heißen, dass jemand, wenn er etwas sanktioniert, dieses Etwas nach Lust und Laune billigt oder missbilligt?
Ist diese Doppeldeutigkeit zu sanktionieren?
Neues Thema (aber verwandt):
Als ich noch ein Frischling in diesem mir fremden Land war, erhielt ich eines Tages ein Schreiben von der Münchner Polizei. Darin erfuhr ich, dass das Verfahren gegen mich wegen einer Verkehrswidrigkeit „eingestellt“ wurde.
„Eingestellt“? Was soll das bedeuten, grubelte ich etwas unsicher und forschte in meinem Wörterbuch. Dort las ich, dass „einstellen“ verschiedene Bedeutungen hatte – unter anderen – „to set up“, was ich in dem Augenblick im Sinne von „ins Rollen bringen“ verstand. Ich war entsetzt, weil ich von meiner Unschuld überzeugt war.
Umgehend rief ich bei der Polizei an, um mich zu beschweren. „Schon gut“, sagte die ruhige Stimme am anderen Ende. „Die Sache wurde eingestellt.“
„Ja, deshalb rufe ich an. Ich bin nämlich unschuldig.“
„Ja, eben. Von daher haben wir das Verfahren eingestellt.“
„Ich bin aber unschuldig!“
„Eingestellt haben wir den Fall. Verstehen Sie? Finished. Alles OK. Nix. Kapiert?“
Kurze Stille meinerseits. „Ach so“, sagte ich endlich etwas kleinlaut. „Sie meinen, Sie haben das Verfahren eingestellt?“
„Ja, eben. Das versuche die ganze Zeit zu erklären.“
„Warum haben Sie es mir denn nicht gleich gesagt?“
Mein Rat: Immer vorsichtig sein, wenn Sie sanktioniert werden.
Endlich kann ich zwischen Esel- und Ziegenhirn unterscheiden.
Folgendes Exempel: ich gehe auf den Feigenbaum gegenüber vom Gehege zu, weil ich mir eine frische Feige pflücken will. Und ich denke: Wie schön es ist, eine leckere Feige direkt vom Baum holen zu können und dann zu schnabulieren.
In dem Augenblick ein ungewohntes, tiefes Geräusch. Es ist Bêtise die Eselin, die mich die ganze Zeit klammheimlich beobachtet hat, ohne dass ich sie überhaupt registrierte. Sie steht am Zaun und schaut mich sehr intensiv an.
„Chun-unk“ oder „Chua-ap“ oder so ähnlich grunzt sie. Ich finde die passende Schreibart für diese deutliche Botschaft aus der Eselsprache in der Buchstabenschrift nicht.
Es ist aber klar, was das wuchtige Tier will: eine Feige. Meine Feige. Oder irgendeine Feige. Sie ist nicht besonders wählerisch. Hauptsache Feige. Als fürsorgender Mensch kapiere ich gleich und bin bereit, ihr just die Feige, die ich mir gerade gepflückt habe, zu schenken. Beherzt werfe ich diese über den Zaun.
Was macht Bêtise? Nichts. Sie schaut mich noch immer mit großen Kulleraugen erwartungsvoll an. In der Zwischenzeit sind wie aus dem nichts die zwei schwarzweiß gefleckten Ziegen, Becassine und Agathe, aufgetaucht. Sie haben die Szene aus der Ferne verfolgt. Eine der beiden flinken Ziegen, ich vergesse welche, hat die im Gras liegende Feige schon erspäht und augenblicklich verschnabuliert.
Mir tut die träge Bêtise aber leid, und ich will, dass auch sie auf ihre Kosten kommt. Nun werfe ich ihr eine zweite Feige zu. Zielgenau sogar. Sie trifft Bêtise direkt auf der Schnauze, prallt dann ab und fällt neben ihr ins Gras, wo sie im Nu von Agathe schnell aufgegabelt wird.
Bêtise bewegt sich aber nicht vom Fleck, blickt mich nur erwartungsvoll an und grunzt. „Feige“, scheint sie zu sagen, überzeugt, dass eine Feige irgendwie den Weg zu ihrem Maul finden wird.
Wieder werfe ich ihr weitere Feigen – zwei oder drei – zu. Wenn sie ins Gras fallen, sucht sie aber nicht nach ihnen. Es sind vielmehr Becassine und Agathe, die zu Findern werden und dadurch doppelte und dreifache Portionen bekommen.
Endlich aber habe ich verstanden, was ich tun muss. Ich muss selbst zum Zaun – was erfordert, dass ich einen tiefen Graben erklettere, um Bêtise höchstpersönlich eine Feige ins Maul zu stecken. Aber nur eine. Und so geschieht es.
Szenenwechsel…
Jemand hat vergessen, die Gehegetür festzumachen. Bêtise und die Ziegen schlendern durch die Tür und lungern jetzt draußen im Garten. Wie bekommt man die Tiere wieder ins Gehege zurück?
Jeder hat mal von der sprichwörtlichen Sturheit des Esels gehört. Es stimmt. Man kann Bêtise nicht einfach durch gut reden ins Gehege zurückführen – außer vielleicht mithilfe eines dicken Knüppels. Und Ziegen? Sie sind sehr flink, lassen sich nicht so leicht fangen.
Was macht man?
Man holt Feigen! Und siehe da! Die Tiere würden mir jetzt bis zum Ende der Welt folgen, weil ich mit den Feigen ihre Aufmerksamkeit gefangen habe. Innerhalb Sekunden sind sie im Gehege wieder – weil ich das richtige Köder entdeckt habe.
Aha! sog i. So läuft es in der Werbung.
Hurra! Endlich ist es amtlich: Es gibt nicht nur einen Gott.
Wie soll ich sonst das Urteil des hohen Richters Mohamed Apandi Ali in Malaysia verstehen? Ich zitiere: „Der Gebrauch des Wortes Allah ist kein wesentlicher Teil des christlichen Glaubens. Der Gebrauch dieses Wortes wird Verwirrung in der Gemeinschaft verursachen.“
Zum Hintergrund: Es ging um die Frage, ob die katholische Zeitung „Herald“ in Malaysia „Allah“ als Bezeichnung für Gott verwenden darf. Der christlichen Minderheit in Malaysia zufolge, etwa 9% der Gesamtbevölkerung, wird dieses Wort seit Jahrhunderten von Christen als Gottesnamen benutzt. Damit ist jetzt endgültig vorbei.
Ein kurzer Exkurs in der vergleichenden Linguistik: Die arabische Vokabel „Allah“ – genauer: „Allahu“ – bezeichnet in dieser semitischen Sprache den Gottesnamen plus bestimmten Artikel, wörtlich also „der Gott“. Ohne Artikel lautet das Wort auf Arabisch „ilah“, eine Bezeichnung, die übrigens viele Verwandte in anderen semitischen Sprachen hat. Zum Beispiel das hebräische „eloha“ (meistens in der Mehrzahlform „elohim“ gebraucht), Aramäisch „elah“, Babylonisch „ilahi“ usw.
Früher gingen Arabisch Sprechende großzügig mit dem Gebrauch des Gottesnamens „Allah“ als Bezeichnung für die monotheistische Göttlichkeit um. Zufällig besitze ich ein sehr betagtes arabisch sprachiges Altes und Neues Testament. Da erfährt man bereits auf Seite eins, dass am Anfang , Allahu Himmel und Erde schuf.
Ja, das war einmal. Heute ist man halt empfindlicher geworden, im punkto Religion. Aber bitte: Es sind beileibe nicht nur Muslime, die „Gott“ (oder Allah) für sich beanspruchen. Na na. Vor etwa 14 Jahren kandidierte Johannes Friedrich fürs Amt des evangelischen Landesbischofs in Bayern. Damals erfuhr ich in der Süddeutschen Zeitung, dass Friedrich die Meinung vertrat, dass der Gott der judäo-christlichen Religionen ein anderer sei als der Gott des Islam. Ja, das hat er behauptet. (Manche Christen sind immer noch der Meinung, dass der Gott des Alten und der des Neuen Testaments nicht identisch seien: Gott der Rache vs. Gott der Liebe usw. Das nur nebenbei).
Ich war jedenfalls mit dem Standpunkt des Kandidaten Friedrich nicht einverstanden und schickte sofort einen klärenden Leserbrief an die SZ.
Nach wenigen Tagen bekam ich Post von der Zeitung: Man sehe leider davon ab, meinen Brief zu veröffentlichen, hieß es, weil ich meinen Namen nur unvollständig preisgegeben habe.
Mit anderen Worten: Die SZ hielt „P.J. Blumenthal“ für einen unvollständigen Namen. Postwendend antwortete ich auf diese Ablehnung und fragte dabei, ob auch Briefe von E.T.A. Hoffmann und O.W. Fischer in der SZ nicht erscheinen dürften. Man erteilte mir daraufhin eine Sondergenehmigung. Leider zu spät, um dass mein Kommentar über „Gott“ und „Allah“ hätte rechtzeitig erscheinen können.
So ist es mit der Namenpolitik.
Namen sind amen, sog i.
Ich gebe zu: Wenn es um Gott geht, wird die Sache doch noch heikler, und man muss auf alles gefasst sein. So, zum Beispiel, stieß ich Englisch Muttersprachler einmal in einen Fastfood-Laden in Dänemark auf die Worte: „God Mad“. Mei, dachte ich. Sind das ja religiöse Menschen in diesem Fastfood-Laden. Sie sind offensichtlich ganz verrückt nach Gott. „God mad“ bedeutet aber „gutes Essen“ auf Dänsich. So kann man sich täuschen. „Mad“ ist übrigens mit dem deutschen „Mett“ verwandt – und „Mett“ wohl mit dt. „Mette“. Schon wieder ein voller Kreis in die religiösen Belange.
Ich wünsche jedenfalls gute Besserung. Auf Dänisch: God bedring.
In eigener Sache: Bin die nächsten zwei Wochen auf Geheimmission. Die nächste Glosse erscheint voraussichtlich im Anfang November.
Hallo Schnäppchenjäger, der heutige Exkurs spielt sich in unserem Lieblingsobstgeschäft, im Paradies, ab.
Stammgäste des Sprachbloggeurs kennen das Paradies schon lange: Es ist das berufliche Zuhause von Frau M. und ihren sympathischen Mitarbeiterinnen, Frau B., Frau D. und Frau N. In diesem Paradies haben die Evas das Sagen. Der Adam hier, Herr L., bleibt meistens im Hintergrund.
In diesem Obstgarten finde ich nicht nur leckere Naturprodukte (die Melonen sind heuer köstlich), sondern auch reichlich „Aha-Erlebnisse“, die mein Bewusstsein für diese mir fremde deutsche Sprache stets vertiefen.
Heute nur ein Beispiel: Letzte Woche habe ich Frau M. von den oben erwähnten Melonen vorgeschwärmt: „Eine unglaubliche Qualität und noch dazu so billig!“
„Ja“, erwiderte Frau M. „Sie sind heuer sehr günstig“.
Aha! Sie mag das Wort „billig“ irgendwie nicht, dachte ich. Das muss ich mir merken. Vielleicht kommt ihr „billig“ zu…zu…zu…billig vor?
Ich habe zwar diesen Gedanken für mich behalten, war aber sicher, dass Frau M. mir ein unterschwelliges Signal über Sprachgepflogenheiten hat verlautbaren lassen. Um meine Theorie auf den Prüfstand zu stellen, verwendete ich das Wort „billig“ in ihrer Gegenwart mehrmals über die nächsten Tage. Prompt folgte die Bestätigung: Auf mein Lob der Waren als „billig“, antwortete Frau M. stets mit „günstig“ oder „preiswert“.
„Billig“, so meine Schlussfolgerung, klingt – zumindest für Frau M. aber sicherlich auch für andere Deutsch Muttersprachler…irgendwie abgetakelt.
Fazit: Künftig werde ich die leckeren Melonen im Paradies als „preiswert“ oder „günstig“ bezeichnen.
Doch nun habe ich den Spieß umgedreht – zumindest in Fantasie. Ich stellte mir vor, dass ich der Inhaber einer „fruit store“ bin und Frau M. ist meine deutsche Kundin. Eines Tages gerät sie in Verzückung über die „cantaloupe melons“. „O! Herr Sprachbloggeur“,sagt sie, „Your cantaloupes are simply delicious and soooo cheap!“
“Yes”, antworte ich, “They are quite inexpensive.” Oder: “They are priced quite nicely.”
Achtung, liebe Frau M.: “Cheap” klingt auf Englisch sehr sehr….cheap!
Jetzt ein bisschen Sprachgeschichte:
„Billig“ schrieb sich ursprünglich „bill-lich“. (Hinter „billig“/“billich“ steckt eine heute ausgestorbene dt. Vokabel „Bill“, das „Recht und „Gesetz“ heißt). Ursprünglich meinte „billig“ „gesetzlich“ – wie wenn man sagt, etwas sei „recht und billig“. (Der Gegensatz von „Bill“, „Unbill“, lebt noch heute. Kein Mensch weiß, warum). Vor etwa 250 Jahre wurden Waren, deren Preis man für „angemessen“ – also „gesetzlich“ – hielt, als „billig“ bezeichnet. Doch hier der Clou: Wenn einer etwas zu „angemessenen Preisen“ anbietet, prompt kommt die Konkurrenz daher und verlangt noch „angemessenere“ Preise. Aus „billig“ = gut, wurde bald „billig“ = geil.
Ein paar Worte zu „cheap“. Diese Vokabel ist eigentlich Lateinisch. Der „caupo“ war der Händler, der das römische Heer begleitete und die Soldaten mit Waren versorgte. Die Angelsachsen bezeichneten ihn als einen „Chapman“. Für die Deutschen war er übrigens ein „Kaufmann“.
Das Londoner Geschäftsviertel im Mittelalter hieß „Cheapside“ – oder vielleicht mal „Chapside“. Eines Tages wurden die Preise am „Cheapside“ immer…günstiger…immer preiswerter. Mehr brauche ich dazu nicht zu sagen.
Und jetzt wissen Sie, warum die Melonen im Paradies so günstig sind.
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