Als Wladimir Putin die „Pussy Riot“ vors Gericht ziehen ließ, habe ich damals geweissagt, dass es public-relationsmäßig unmöglich sein würde, Frauen, die sich als „Muschirandaliererinnen“ bezeichneten, für schuldig zu befinden, ohne das Justizsystem ins Lächerliche zu ziehen. Und sollte sie trotzdem schuldig gesprochen werden, würde man sie auf Geheiß des Staatsoberhaupts alsbald laufen lassen.
Doch W.P. hat die „Muschirandaliererinnen“ nicht laufen lassen. Sie kamen ins Gefängnis. Nicht anders war sein Umgang mit den Greenpeace-Aktivisten und natürlich mit dem Erzfeind Michail Chodorkowski. Diese aber nur nebenbei erwähnt.
W.P. ist aber nicht das Thema dieser Glosse. Er dient hier lediglich als Beispiel eines grammatischen Problems. Genauer gesagt, dass es in der Grammatik für eine einzige syntaktische Situation manchmal mehr als eine richtige Antwort gibt – was, ich gebe zu, eine frustrierende Erkenntnis für jede(n) Sprachenlernende(n) sein kann.
Aber nun ein anderes Beispiel. Diesmal der englischen Grammatik entnommen.
Hier erfahren Sie, wie ich einer Gruppe Studenten – die meisten waren Deutsche – die Feinheiten des englischen Verbalsystems zu erläutern versuchte.
(Wie ich überhaupt in diese Situation kam, ist eine etwas längere Geschichte, die ich an dieser Stelle nicht zu schildern vorhabe. Sie ist ohnehin hier irrelevant).
Um meinen Studenten das nicht gerade einfache Verbalsystem der englischen Sprache zu veranschaulichen, erteilte ich eine Übung aus einem uralten (1957) britischen Lehrbuch, „Modern English Practice“. Zweck der Übung war, die Lücke im jeweiligen Satz mit der passenden Verbalform zu ergänzen. Folgende Zeiten standen für diese Übung zur Wahl: einfache Vergangenheit, Perfekt, Futur, zweite Vergangenheit und auch alle entsprechende Verlaufsformen. Am ersten Tag paukte ich diese Übungssätze mit einer einzigen Studentin.
Hier ein Satz aus dieser Übung: „Since the war we…… (build) up an efficient export sales organization, which….. (introduce) our biscuits into several countries that formerly…… (never, import) any biscuits.”
Besagte Studentin ergänzte die Lücken folgendermaßen: “have been building”, “has introduced” und “never imported”. Ich war mit ihren Lösungen einverstanden.
Am nächsten Tag nahmen mehrere Studenten an dieser Klasse teil. Ich entschloss mich, die Übung vom vorigen Tag auch mit der neuen Gruppe durchzuarbeiten. Die Studentin vom vorigen Tag war übrigens ebenfalls zugegen. Diesmal ergänzte ein Student die Lücken mit folgenden Antworten: „have built“, „introduces“ und „never imported“. Ich war mit seinen Antworten einverstanden.
„Verzeihung“, fragte die Studentin vom vorigen Tag. „Gestern haben Sie ganz andere Antworten für richtig erklärt“, und prompt zitierte sie die gestrigen Lösungen. „Welche sind also die richtigen?“
Es war ein Augenblick der Wahrheit, wie sich jede(r) Lehrer(in) nur wünscht. „Tja“,, sagte ich. „Sie sehen wie grausam die englische Grammatik sein kann. Fakt ist: Sie erlaubt bisweilen mehr als eine richtige Antwort fürs gleiche Problem. Aber nicht verzagen. Das ist auch eine gute Nachricht: So wird einem eine gewisse Freiheit gewährt. Doch freuen Sie sich nicht zu früh. Manches bleibt trotzdem falsch.“
Auch in der Politik gibt es Alternative, die grammatisch einen Sinn ergeben, liebe Studenten der Grammatik der Politik. Aber auch hier bleibt manches immer falsch…
Ein dunkler Text, und ich weiß nicht, warum ich ihn heute unbedingt schreiben wollte. Doch so dunkel der Text auch sein mag, werden die Tage ab jetzt immer länger. In diesem Sinn wünscht der Sprachbloggeur allen Lesern und Nichtlesern frohe Weihnachten und helle Stunden.
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