So einfach ist es, neugierig zu machen.
Anzügliches nur anzudeuten ist schon die halbe Miete. Zu bemerken: Ein paar fantasievolle Stichworte reichen und voilà! Jeder will die Fotos sehen.
Doch nun zum Handwerklichen: Ich erwägte zuerst „Prinzessin D.“ als Lockvogelbegriff einzusetzen. Ich war mir sicher: Die Abkürzung mit „Punkt“ würde genügen, um Begehrlichkeiten zu erwecken.
Vielleicht klingt der Name doch ein bisschen altbacken, dachte ich dann.
Dann gingen mir „Justin B.“ und „Miley C.“ durch den Kopf, bis ich mich schließlich für Michael J. entschied. Irgendwie bleibt er immer noch der Klassiker.
Was die „Piedmont Fotos“ betrifft. Der Name fiel mir einfach ein. Keine Ahnung woher. Klingt aber überzeugend, gell? Und man denkt fast automatisch, wenn man den Namen mit „Michael J.“ in Verbindung bringt: Das sind bestimmt scharfe Bilder.
Nebenbei: Es gibt ein „Piedmont Photography Club“ in den USA. Das habe ich aber vorher nicht gewusst. Schau an: Der eine schustert sich einen Fantasienamen zusammen, der andere gründet mit dem Namen einen Fotoklub.
So einfach ist es, andere neugierig zu machen. Und das hat man im Internetzeitalter genauso nötig wie in der Werbung und in der Propaganda.
Nicht von ungefähr wird das WehWehWeh als „Netz“ beschrieben. Wo es ein Netz gibt, ist die Spinne nicht weit.
Mir kommt dieser Beitrag allmählich lehrerhaft vor. Das ist aber nicht so schlimm. Man lernt sich ohnehin nie aus.
Eigentlich hatte ich diese Woche vor, über Verschwörungstheorien zu schreiben. Sie wissen schon: Neinelewwen (9/11) als Komplott von Juden (oder Israeli? oder CIA?); die Reptilien, die nach Weltherrschaft streben; die diversen Illumati-usw.-Organisationen, die ebenfalls nach Weltherrschaft streben; die „Chemtrails“, also, jene Kondensstreifen der Flugzeuge, die gleichwohl als Instrumente der Weltherrschaft dienen usw.
Ich dachte, ich könnte etwas Lustiges mit diesem Thema machen. Ich kam aber von meinem Vorhaben schnell wieder ab. Alles viel zu dröge und lahm, stellte ich bald fest. Außerdem hätte ich darüber wahnsinnig viel lesen müssen. Endlos viel – und alles langweilig!
Beim Stichwort Verschwörungen aber fiel mir plötzlich Kim ein. So hieß die junge Frau mit dem besonders hübschen Gesicht und den hellblaugrauen Augen, die ich vor vielen vielen Jahren in San Francisco kennenlernte und begehrte. Einmal umarmte ich sie. Ihre Reaktion: „Man spürt das Schlagen deines Herzens. So laut bumpert es.“ So war es auch. Denn ich fand sie wirklich sehr attraktiv.
Dann erzählte sie mir eines Tages – wir standen auf der 14th Street an der Ecke Noe, oben auf dem Berg, blauer Himmel, ein paar Wolken, frische Brise, typisch San Francisco – sie erzählte mir, dass Richard Nixon (er war damals US-Präsident – vielleicht kennen manche junge Leser den Namen nicht mehr) – dass Richard Nixon in Auftrag von Außerirdischen handele und deshalb so zerstörerisch sei.
„Außerirdische? Das glaub ich nicht“, antwortete ich. „Wie ist das möglich?“
Sie erklärte mir die Sache gründlich. Zum Glück hab ich alles vergessen. Nur eins weiß ich noch: Nie wieder schaute ich sehnsüchtig in ihre schönen hellblaugrauen Augen.
Übrigens: In den Piedmontfotos finden Sie ein nettes Bild von Michael J. und Kim. Sehr hübsch.
Das Unfassbare ist geschehen. Das Paradies wurde letzte Woche bestohlen. Zudem: Ich war dabei, als es passierte.
Elender Dieb. Wie fühlt man sich, wenn man ausgerechnet das Paradies bestiehlt?
Natürlich ist hier die Rede von meinem Lieblingsobst- und Gemüsegeschäft, das öfter auf dieser Seite thematisiert wird.
Nomen est omen aber. Er hat de facto das Paradies beklaut.
Nebenbei: Hier handelt es sich keinesfalls um einen grammatikalischen Dieb. Ich meine: Dieser Dieb, der das Paradies bestahl, war keine Diebin, sondern ein Mann, einer aus Fleisch und Blut. Das weiß ich so genau, weil ich, wie schon oben erwähnt, präsent war, als das Unfassbare geschah. Ich hab ihn mit eigenen Augen gesehen.
Rückblick: Ich war mit Frau M., Inhaberin des Paradieses, im Gespräch vertieft. Das Thema war der Titel des Liedes „Love Runs Out“ von der Band „OneRepublic“.
Frau M. fragte mich, was: „love runs out“ wörtlich bedeutet. Ich war gerade dabei, ihr die Doppeldeutigkeit dieses Satzes zu erklären, als plötzlich: the thief runs in. Nein, das stimmt nicht. Er rannte nicht in den Laden hinein. Das schreib ich nur so, weil es lustig klingt. Trotzdem betrat er den Laden recht zügig. Ich sah ihn aber aus dem Augenwinkel reinkommen. Er war vielleicht 1,80 groß und schlank, durfte über 40 gewesen sein, und hatte nach hinten gekämmte schwarzgraue Haare. Das Gesicht war lang und etwas hager, er trug einen schwarzen Regenmantel und ging an uns lautlos vorbei, um sich dann hinten im Laden, wo die Tomaten, die gelbe Rüben, die Zwiebeln, die mehligen Kartoffeln und das Büro sind, wie in Luft aufzulösen.
In diesem Augenblick verschwand er von meinem Radarschirm ganz, und ich beachtete ihn nicht weiter. Nebenbei: Ich denke, dass „von meinem Radarschirm verschwinden“ keine deutsche Redewendung ist, sondern eine Lehnübersetzung aus dem Englischen. Wir sagen „to disappear from a person‘s radar screen“. Wer dieses Idiom übernehmen will, hat meinen Segen.
Aber zurück zu „love runs out“. Ich erklärte Frau M., dass diese Worte auf Englisch zweierlei bedeuten: 1.) dass die Liebe abgelaufen sei, wie das Wasser aus der Badewanne. Zunächst sagte ich zu Frau M. „ausgelaufen“. Das ist aber falsch, und sie korrigierte mich umgehend; und 2.) dass die Liebe abgehauen sei. Eigentlich kann die „Liebe“ nicht wegrennen. Ein/e Liebhaber/in mag abhauen, die Liebe aber nicht. Denn die Liebe ist eine Abstraktion. Da es aber sich hier um ein Wortspiel handele, sagte ich zu Frau M., brauche man nicht so pingelig zu sein.
Während unseres Gesprächs drehte Frau M. unversehens den Kopf und nahm den Dieb genau ins Visier. Er stand nämlich in dem Augenblick neben den Artischocken und dem Rotkohl – als wäre er aus dem Nichts in Erscheinung getreten. Auch ich warf einen Blick auf ihn. Er wirkte auf mich unscheinbar, ja, harmlos.
Inzwischen stand eine Kundin an der Theke neben Frau M. und mir. Auch sie musterte den Mann. Während ich meine Schwammerln, meine Zucchini und meine Pfirsiche einzutüte, trat nun der Dieb an die Theke heran und händigte Frau M. ein paar Münzen für eine Flasche Wasser (halbes Liter). Dann verließ er den Laden, so lautlos, wie er ihn betreten hatte.
Ja, love ran out the door. Und in den Taschen seines Regenmantels nahm er die Tageseinnahmen und Frau M.s Portemonnaie mit.
Erst später stellte sie fest, dass das Paradies bestohlen wurde.
Wäre es ihm bewusst gewesen, wie der Laden heißt, fragte ich mich, hätte er das Paradies trotzdem gestohlen?
„Wer das Paradies bestiehlt, erntet Unglück“, sagte ich zu Frau M. Ich wollte sie damit trösten.
Es war aber ein schwacher Trost.
Was flüstert ihm der Henkersknecht ins Ohr? Ihm, dem traurigen Jungen mit dem netten Gesicht, eine schwarze Binde um die Augen wie ne Larve? Genau das Gegenteil von der Maskierung seiner Henker, deren Gesichter in schwarzen Tüchern verhüllt sind und bloß die Augen frei.
Bald werden sie ihm den Hals abschneiden – wie das Opferlamm. Er kniet neben dem Flüsterer. Trägt noch seine Soldatenuniform. Die Hände sind ihm hinter dem Rücken festgebunden. Der Kopf neigt nach vorne.
Was flüstert ihm der Henkersknecht zu?
Vielleicht: „Keine Angst. Du bist bald bei Gott.“
Oder: „Nimm die Sache nicht persönlich. Keiner entkommt seinem Schicksal.“
Oder: „Es ist schnell wieder vorbei.“
Hört der junge Mann zu? Oder ist er mit seinen Gedanken woanders. Vielleicht war er bis vor kurzem Student an der Damaskus Universität, studierte Medizin oder Literatur, twitterte, stopfte seine Facebook-Seite voller Fotos: von seiner Freundin, von Partyblödsinn, von den Freunden. Vielleicht wurde er widerwillig einberufen, um Baschar Al-Assad zu dienen, und war bloß zu wenig energisch, um nein zu sagen oder abzuhauen.
Aber genug des Trostes. Jetzt packen die Henker zu, versuchen den Hals freizumachen. Jetzt aber leistet der nett aussehende junge Mann Widerstand, presst sein Kinn mit aller Kraft gegen seine Brust. (Das macht nicht er, sondern der gesunde Überlebensinstinkt).
So viel Kraft kann er aber nicht aufbringen. Sie zerren ihn an den Haaren, drängen und schieben den Kopf nach hinten, bis der Hals entblößt wird wie die keusche Nacktheit einer zu Vergewaltigenden.
Schon berührt das Messer die Haut und dringt durch die Oberfläche ein. Rotes Rinnsal. Aus dem offenen Mund widerhallt der erste und letzte Protest…
Szenenwechsel: Eines Nachts träumt der Flüsterer – oder ist es der mit dem Messer? – von seinem Opfer. Der Ermordete spricht: „Du wirst mich suchen müssen. Aber der Weg zu mir ist beschwerlich. Denn ich war die Hoffnung, Du hast die Hoffnung abgeschlachtet wie ein Tier. Wer die Hoffnung tötet, muss einen weiten Weg zurücklegen, um mich zu finden. Wehe, wenn er nicht nach mir sucht.“
„Warum hast du mir das nicht damals gesagt?“ fragt der Mörder – oder der Flüsterer. Oder vielleicht träumen beide in dieser Nacht das Gleiche. „Und wieso weißt du so sicher, dass ich es war? Dir waren die Augen gebunden, und wir trugen Gesichtsmasken.“
„Ich habe alles gesehen; ich weiß ganz genau, wie du aussiehst.“
„Ich aber habe vergessen, wie du aussiehst. Es waren so viele, weißt du. Wie soll ich dich wiedererkennen?“
Doch nun schweigt der Ermordete.
He! Baschar! Hörst du? Ja, du. Wahrscheinlich hörst du nicht. Auch du musst ihn finden. Auch du weißt nicht, wie er aussieht. Und die Liste der zu Suchenden wird für dich täglich länger.
(Notabene: Halsabschneider handeln meistens im Auftrag von Hintermännern).
Lieber Lesende. Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass mich diese Woche ausgerechnet dieses Thema beschäftigt. Zu viele tote Jugendliche, zu viele Halsabschneider, zu viele Hintermänner spuken mir momentan durch den Kopf, und manche werden zu schnell vergessen – zum Beispiel obiger Junge und seine Mörder oder Baschar Al-Assad.
Drohnen? Das war gestern – wie die Intimrasur und Tattoos.
Wer fährt noch auf Drohnen ab? frage ich. Dröge Roboter halt, die wie Baukastenstechmücken ausschauen. Außer rumschnuffeln und Menschen vernichten können sie ohnehin nicht viel. Denkt man an eine Drohne, so schlägt das Herz mit Sicherheit nicht höher.
Nicht einmal die Vorstellung, sie als Auslieferdienstler oder Boten zu gebrauchen, regt an. Eine Mikrodrohne wäre vielleicht interessant, eine nämlich, die durch die Blutbahn kursiert oder Körperhöhlen erforscht oder vielleicht auch ein bisschen ʼwas repariert.
Hoffentlich erfindet keiner, eine stubenfliegengroße Drohne. Das wäre echt ein Plagegeist, den man gern zerdetscht wie ʼne echte Stubenfliege.
Nomen est omen, denk ich aber, und den Drohnen wurden gleich am Anfang ihrer Existenz schlechte Karten zugeteilt. Denn wer möchte als „männliche Biene“ – so die Bedeutung von „Drohne“ – bekannt sein? Sie wissen schon: Das sind die Viecher ohne Stachel. Man sei auf den Namen gekommen, so heißt es, weil die mechanische „Drohne“ summe, wenn sie umherfliegt – wie eine stachellose Biene halt. Langweilig.
Aber genug der Drohnen. Jetzt kommen die fliegenden Untertassen. Endlich! Im Ernst!
Etwas Hintergrund: Die erste Begegnung mit einer fliegenden Untertasse, diesem Transportmittel eifriger Außerirdischer (insbesondere Marsmenschen) fand 1947 statt. Leider habe ich keine Details im Kopf. Die können Sie aber googeln – unter Stichwort „fliegende Untertasse“ oder „flying saucer“.
Laut der damaligen Zeugenaussage sahen diese Flugmaschinen wie Scheiben oder Untertassen aus.
Der Geheimdienst der US-Luftwaffe tauften sie dann in „UFO“s, also „unidentified flying objects“, um. Der Name klang seriöser.
Ich habe nie verstanden, warum die Dinger „Untertassen“ heißen. Meiner Meinung nach, sehen sie wie Suppenteller aus, die man verkehrt rum hält oder wie aufgespannte Regenschirme. „Fliegende Regenschirme“ bzw. „fliegende Suppenteller – verkehrt rum“ sind aber als Bezeichnungen weniger furchteinflößender und hätten als Begriffe die Fantasie der Massen nie beflügelt. Eine Kriegsmaschine von dem Mars brauchte einen stacheligen Namen.
1958 veröffentlichte C.G. Jung einen Essay zu diesem Thema mit dem Titel: „Ein moderner Mythos“. Jüngere Leser kennen den Namen C.G. Jung womöglich nicht. Kurz zu seiner Person: Er war Bassist bei einer damals heißen Boyband. Er hat Unmengen gekokst und wurde weltberühmt für seine Tätowierungen.
Jung deutete diese fliegenden Untertassen, bzw., UFOs, als Ausdruck einer Sehnsucht, einer Sehnsucht nach einer Wirklichkeit, die tiefsinniger war als die unserer tagtäglichen Existenz. So gesehen, handelte es bei diesem Massenphänomen um die Suche nach einem Sinn im Leben.
Vor vielen Jahren besuchte ich eine Spiritisten-Kolonie im südlichen Kalifornien namens „Harmony Grove“. („Grove“ bedeutet „Hain“). Meine Gastgeber, ein älteres Ehepaar, erklärten mir, dass die Bewohner der Kolonie eine Landebahn für fliegende Untertassen angelegt hatten. Denn man rechnete eines Tages mit Besuch aus dem Weltall. Ich war sehr gerührt.
Aber worauf will ich hinaus?
Es geht um Folgendes: Ich las am Wochenende in der Zeitung, dass die NASA in jüngster Zeit eine selbstgebaute fliegende Untertasse getestet hat – und zwar an der Küste Hawaiis. Man ließ das Ding ca. 55 Kilometer in die Höhe schießen, um dann das Landeverhalten zu prüfen. Da aber während des Freifalls der dafür vorgesehene Fallschirm nicht öffnete, stürzte das cremetortenförmige Raumschiff ins Meer.
Die NASA erachtete das teure Experiment dennoch als Erfolg und wird weiter schrauben. Zweck der Übung: Diese fliegenden Untertassen sind für eine künftige Marslandung vorgesehen.
Ich hoffe, Sie wissen hier die Ironie zu schätzen. Wenn ich kurz erklären darf…
Seit Jahren fantasieren wir in zahlreichen Filmen und Sci-Fi-Büchern, dass Marsmenschen in fliegenden Untertassen die Erde angreifen und vielleicht erobern.
Doch das Gegenteil ist der Fall. Nicht der Mars greift die Erde mit fliegenden Untertassen an, sondern umgekehrt: Wir sind es, die eine Marslandung mittels fliegender Untertassen vorbereiten – und warum? Weil wir es sind, die fremde Planeten gern erobern möchten.
Dies muss etwas bedeuten. Die Frage ist: Was?
Nun verstehe ich, wie es ist, ein Chinese zu sein.
Kein Chinese wie damals, als Konfuzius noch lebte, und erst recht kein Chinese wie unter Mao. Nein, ich meine einen heutigen Chinesen, einen Bewohner des Landes der Mitte („tschung kuo“), eine Einzelperson, einen von einer Milliarde plus.
Es ist 20h. Ich schalte den Fernseher („dian-schi-dschi“) ein, neben mir auf dem Sofa sitzen meine Frau, mein Kind und vielleicht meine Schwiegermutter oder auch meine Mutter. Wir gucken „Das glückliche Leben von Dschin Tai-lang“ an. Zum Schießen lustig.
Wird es „Lang“, so heißt er en famille, gelingen, auch diesmal den Haussegen wieder zurecht zu biegen? Seine hübsche Frau (verdammt nochmal, wie heißt sie wieder?), seine Eltern und seine Schwiegereltern haben es in sich: schrullig, niederträchtig, dumm, ungewollt komisch usw. Es gibt immer genügend Gründe für Missverständnisse und für heftiges Zanken. Dem liebenswürdigen Lang gelingt es letztendlich stets, alles einigermaßen glatt zu bügeln.
Ja, die Sendung ist zum Piepen lustig. Und man kann sich am nächsten Tag mit Freunden, Bekannten, Nachbarn und Kollegen stundenlang darüber unterhalten, während man der nächsten Folge entgegenfiebert.
„Lang“ ist natürlich nicht unser einziges Thema. Es gibt vieles, worüber wir uns unterhalten. Zum Beispiel, die Lage nach den jüngsten Überschwemmungen (ja, eine Katastrophe!), die Geburt eines putzigen Pandas (stand auf Seite eins in der Zeitung), oder die Terroristen in Xinjiang (zu Deutsch: do, wo san die Uiguren). Manchmal surfen wir dank Baidu das Netz (ohne auf dekadente Begriffe wie „Porno“, „Tibetaner“ usw. stoßen zu müssen).
Mit wenigen Ausnahmen findet man im Netz ALLES, was das Herz begehrt. Man kann auch groß einkaufen oder sogar alte Folgen des „Glücklichen Lebens von Dschin Tai-lang“ glotzen. Ich schwöre: Man kann mühelos Stunden im Internet verbringen – als wäre man im Land der Träume. Doch das ist in Ordnung – solange man nicht für die großen Schulprüfungen büffeln muss. Die haben es in sich.
Ja, so stelle ich mir es vor, ein Chinese zu sein. Man arbeitet schwer, will seine Freizeit genießen, macht auch Urlaub – manchmal in Europa oder in San Francisco. Und man ist heilfroh, wenn korrupte Politiker und krumme Geschäftsleute im Gefängnis landen oder einen Kopf kleiner gemacht werden…
Hallo? Wieso komme ich heute auf die Chinesen?
Schon wieder Zeit, meine Ignoranz preiszugeben. Wissen Sie: Gestern erfuhr ich von meinem ältesten Sohn, der uns besuchte, über „Reddit“. „‚Reddit‘? Was ist das?“ fragte ich. Er erklärte es mir kurz, aber ich verstand die Chose trotzdem nicht ganz.
Mit Sicherheit wissen die Meisten meiner Leser im Gegensatz zu mir längst Bescheid. Vielleicht ist mein Problem, dass ich kein Facebook habe und noch nie twitterte.
Gestern verbrachte ich also mindestens zehn Minuten auf „Reddit“. Außerdem konsumierte ich in Wikipedia einen langen Artikel zum Thema.
Es scheint eine Seite zu sein, wo jeder eine Nachricht oder einen Link zu einer YouTube-Seite (bzw. einer anderen Seite) hinterlassen oder eine Frage stellen kann. Wenn andere diese Nachricht oder Frage interessant finden, nimmt besagtes „Reddit“ einen höheren Rang auf der „Reddit“-Hierarchie ein.
Wenn dann die Kommentare auf ein „Reddit“ (man nennt sie „Subreddits“) die Gunst der Leser finden, steigen auch diese in der Hierarchie an Wert. Viele positive Reaktionen erhöhen das „Karma“ des „Reddit“-Erzeugers. Wenn die Reaktionen überweigend negativ sind, sink das „Karma“. Alles klar?
Nebenbei: Das Wort „reddit“ gilt als „Kofferwort“. Das heißt: Es besteht aus zwei Wörtern die zu einem verschmolzen. In diesem Fall das englische „edit“ (redigieren) und „read it“ (ich hab’s gelesen). „Smog“ („smoke“ und „fog“) ist ebenfalls ein „Kofferwort“.
Ach und noch etwas: „Reddit“ scheint sehr populär zu sein und generiert auch viel Geld – hauptsächlich durch Werbung. Inzwischen wird es aus idealistischen Gründen mittels „open-source“- Software betrieben.
Nach 10 Minuten im „Reddit“-Land wähnte ich mich in China. Daher die obige Fantasie. Also, liebe Lesende, willkommen im Informationszeitalter. Und lassen Sie sich schön unterhalten! Gell?
Von der Frau zu erzählen, die mir expressis verbis verbot, ihr Kind zu fotografieren, komme ich unten wieder zurück.
Ich fange lieber mit der „Rasterlupe“ an. Wer im vorigen Jahrtausend noch kein Erwachsener war, weiß wahrscheinlich nicht, was das ist. Es hat jedenfalls nichts mit der „Rasterfahndung“ zu tun. Ich schätze meine Rasterlupe immer noch.
Doch so sehr ist dieses fotografische Werkzeug aus der Mode gekommen, dass die zwei Exemplare, die ich neulich bei Amazon entdeckte, mit der Bemerkung versehen waren: „derzeit nicht verfügbar“. Das muss was bedeuten.
„Raster“. So nannte man früher das Geflecht eines Fotos, das aus unterschiedlich schattierten bzw. kolorierten Pünktchen besteht. Diese Pünktchen, „Korn“ genannt, sind rund und werden auf einem Bildnegativ mittels einer Rasterlupe sicht- und zählbar. Je mehr Pünktchen, umso feinkörniger ist der Film. Diese „Körner“ entstehen durch ein chemisches – sprich „analoges“ – Verfahren.
Im digitalen Zeitalter heißen diese Bildpünktchen „Pixel“. Ein wichtiger Unterschied zu den analogen Pünktchen aber:„Korn“ ist rund (und sinnlich), „Pixel“ sind viereckig (und kalt).
Alles klar?
Wann hat es angefangen? Ich meine das mit der „Verpixelung“ der Welt. Genauer gesagt: mit der Verschleierung von Gesichtszügen in den Medien mittels hässlicher Quadraten.
Mich irritiert die Verpixelung der Welt.
Im Analogzeitalter wurde die Welt weder „verrastert“ noch „verkörnt“. Die Wörter existierten nicht. Man konnte höchstens ein Bild manipulieren. Doch dazu war ein künstlerisch begabter Mensch nötig. Ich denke an die Weichzeichnung in der Werbung und die Bilder aus der Stalin-Zeit – auf denen Trotzkij wegretuschiert wurde.
Früher hatten Bilder allein den Zweck, die Neugier zu befriedigen. Zum Beispiel, das Foto, das ca. 1976 in der „Münchener Abendzeitung“ erschien. Es zeigte einen Räuber (oder sonstigen Unhold), der zähneknirschend im Polizeiwagen sitzt. Er beugt sich nach Vorne und schaut verschämt in die eigenen Hände. Durch eine Seitenfensterscheibe sieht man die gaffenden Schaulustigen. Geile Blicke, lüsterne Mäuler. Ein Kunstwerk.
Wäre dieses Bild heute ohne verpixelte Stellen noch möglich? Ich glaube nicht. Es würde genauso unvollständig erscheinen wie die Leichengesichter, barbusige Sonnenanbeterinnen, Opfer und bald Hinzurichtende der Gottesheeren usw., die in den heutigen Medien, insbesondere in den Zeitungen, allgegenwärtig sind.
Auch Kindergesichter werden in den Blättern immer häufiger verpixelt dargestellt. Als ob sie ansonsten nur noch von Pädophilen und Kinderentführern begafft werden könnten.
Womit ich wieder auf die Frau zu sprechen komme, die mir expressis verbis verbot, ihr Kind zu fotografieren. Es war letztes Jahr auf einer Veranstaltung, und ich wollte eine ältere Dame, die ich kenne und mag, ablichten. Neben ihr stand diese Frau: „Machen Sie ja kein Foto von dem Kind“, herrschte sie mich an. Das Kind war mir bis dahin gar nicht aufgefallen.
„Keine Sorge“, antwortete ich. „Ich mache nur verpixelte Bilder von Kindern.“
Ahhh! Die guten alten Tage. Auf der Flitterwoche saß ich, frisch vermählt, mit meiner Frau in einem Lokal in einem Kaff im südlichen Frankreich. Am nächsten Tisch fachsimpelten mehrere britische Reporter.
Ich lauschte ihrem Gespräch und erfuhr, dass die Fotos, die an Nachrichtendienste verkauft werden, nach bestimmten, kulturgerechten Kriterien angeboten wurden. Japaner und Araber, so erzählten die Profis, waren scharf auf grausame Bilder mit lauter Toten, Verletzten und Hinzurichtenden. In Deutschland und in Skandinavien hingegen stand das Publikum auf Nacktheit usw.
So war die unverpixelte Welt damals.
Und deshalb meine ich, dass die Zeitungen peu à peu zugrunde gehen. Denn sie befriedigen kaum mehr die voyeuristische Neugier des Lesers.
Achtung, ,Blattmacher: Im Zeitalter des WehWehWeh ist alles – und ich meine ALLES – auch unverpixelt zu finden. Dafür gibt es die „Suchmaschinen“. Wer braucht denn zögerliche Zeitungen? Ein Bild ist noch immer ein Tausendwortewert.
Ende der Predigt. Amen.
Haben Sie gehört? Ein s e h r hohes Tier aus der „Phisher“-Szene ist vor ein paar Tagen den Folgen eines zu großen Stückes Fleisch, das er, weil er den Mund nicht voll genug bekommen konnte, verschlungen hatte, erlegen.
Um einem derartigen Erstickungstod entgegenzuwirken, gelten normalerweise zwei Notmaßnahmen:
1.) Man fasst den Erstickenden an den Fußgelenken, zieht ihn an den Beinen hoch – Kopf nach unten, versteht sich – und schüttelt ihn kräftig, als wäre er ein zu leerender Kartoffelsack. Diese Maßnahme ist – so spricht die Erfahrung – ausgesprochen wirksam, wird aber hauptsächlich bei leichtgewichtigen Kleinkindern eingesetzt. Besagtes hohes Tier hatte sich indes täglich den Mund zu voll genommen und brachte über zwei Zentner auf die Waage. Nur ein schnell herbeigeschaffener Kran hätte ihn auf diese Weise retten können. Er befand sich aber in einem noblen Kellerlokal – darüber hinaus in einem Funkloch.
2.) Oder man verwendet den sogenannten „Heimlich-Griff“ bzw. das „Heimlich-Manöver“ – (nach dem Erfinder, dem US-Arzt Henry Heimlich, genannt). Um diese nicht ungefährliche Maßnahme (Achtung Gefahr eines Milz- oder Leberrisses!) zu bewerkstelligen, stellt sich der Lebensretter hinter den Leidenden, wirft die Arme um den Leib des Um-Luft-Kämpfenden und drückt mit den Fäusten heftig gegen den Bauchdeckel. Leider war es in diesem Fall aus zwei Gründen nicht möglich das Heimlich-Manöver zu gebrauchen: erstens, weil der Bauchumfang des Opfers den lebensrettenden Griff nicht unterstützt hätte. Der Lebensretter hätte den „big Phisher“ gar nicht umfassen können; und zweitens, weil das taumelnde hohe Tier an einer krankhaften Homophobie litt. Eine Annäherung wäre ihm, aller Gefahr zum Trotz, in die falsche Kehle gegangen.
Also starb der Phisher-König nach wenigen Minuten qualvoll. Oder vielleicht nur augenscheinlich qualvoll. Denn er war so sehr mit seiner Situation beschäftigt, dass er vielleicht keine Zeit hatte, die eigentliche Gefahr zu erfassen. Er stürzte jedenfalls zum Boden wie eine verwitterte Mauer.
Wie hieß der tote „big Phisher“? Verzeihen Sie, aber ich möchte hier den Namen nicht verraten. Sonst malt man sich schnell ein Feindbild und nimmt wegen eines Scheinriesen ein ganzes Volk in Geiselhaft.
Es genügt zu sagen: Er war – vielleicht – Amerikaner, Russe, Ukrainer, Chinese, Deutscher, Pole, Bangladeschi oder…ja, es gibt noch viele Möglichkeiten.
Und sein Tod wird ohnehin nicht viel ändern. Ein anderer „big Phisher“ wartet schon in den Startlöchern, um den Platz des Toten zu füllen.
Ich glaube, er hatte sich auf die PayPal-Masche spezialisiert. Sie wissen schon: „Hallo, Ihr Konto wurde gesperrt. Um es wieder benutzen zu können, melden Sie sich bitte an…usw.“ Vielleicht hatte er auch Internet-Banking-Konten geknackt und andere Raffinessen, die die Mitarbeit von talentierten Informatikern erfordern. Ich hab’s vergessen. Ist eh egal.
Man brauchte acht Sanitäter, um ihn auf die Bahre zu lupfen. Ein übergewichtiger Toter ist der Alptraum jeden Bestattungsinstituts. Aber man verdient daran gut. Sehr gut. Sein Sarg musste maßgeschneidert werden.
Sein Körperumfang war nämlich auch für die XXXL-Sarggröße zu wuchtig. Man brauchte dann Extrapersonal, um ihn ins Loch herunterzulassen. Und die Riemen (sechs Stück!) mussten besonders verstärkt werden.
Ach ja. Fast hätte ich’s vergessen. Ich meine seine letzten Worte. Denn schließlich will ein Sprachbloggeur auch über das Gesprochene berichten.
Es handelt sich allerdings in diesem Fall nicht um „letzte Worte“, sondern lediglich um ein einziges letztes Wort. Raten Sie aber, was dieses Wort war. Immerhin: Die letzte Aussage eines Menschen kann bezeichnend für einen ganzen Lebenswandel sein. Symbolkraft halt.
In diesem Fall war es besonders passend. Er sagte: „Mehr.“
Kleine Englischprüfung. Keine Sorge. Die Antwort wird nicht benotet – zumindest heute nicht.
Folgenden englischen Satz hörte ich heute am Vorbeigehen auf der Straße. Ich werde ihn nach deutscher Schreibweise wiedergeben, um die Echtzeitaussprache zu veranschaulichen.
Also. Auf den Plätzen, fertig….los:
„Eiúananakómmnamjúnitssiejasséits.“
So ungefähr war das. Was ich hier schreibe ist freilich nur approximativ. Für manche Konsonanten (das 2. und 3. „N“, z.B.) finde ich keine 100%ig passende Buchstabenentsprechung.
Ihre Aufgabe: Diesen Satz in die normale englische Schriftsprache zu übertragen. Keine Sorge. Die Wörter sind recht einfach. Und keiner, der ein bisschen Englisch in der Schule gelernt hat, wird über den Sinn des Satzes stolpern. Außerdem: Sie finden hier keine komplizierten grammatikalischen Konstruktionen.
Also los. Die Uhr tickt. Ticktickticktickticktick usw.
Nur noch 15 Sekunden. Dann werde ich die Lösung geben. Wer mehr Zeit braucht, dem empfehle ich diesen Beitrag auszudrucken, damit Sie die Lösung nach Belieben verdecken können oder bis Ihnen die Aufgabe auf die Nerven geht. Oder Sie scrollen die Lösung auf dem Monitor in die Unsichtbarkeit runter. Tickticktickticktick usw. Ping! Die Zeit ist um.
Haben Sie die Aufgabe gelöst?
Wer diese Frage bejaht, der hat erkannt, dass es sich um folgenden englischen Satz handelt:
„I wanted to come to Munich to see the sites“. Etwa: Ich wollte nach München kommen, um die Sehenswürdigkeiten zu bestaunen.
Ich gehe allerdings davon aus, dass andere Englisch Muttersprachler obigen Satz auf eine andere Weise verballhornen würden als der Sprecher, ein Amerikaner, den ich auf der Straße zufällig vernahm. Die gesprochene Sprache ist überall verschieden.
Ich wollte mit diesem Beispiel lediglich darauf hinweisen, wie sehr sich die gesprochene Sprache von der Schriftsprache unterscheiden kann. Selbstverständlich gilt die gleiche Sprechschlampigkeit auch fürs Deutsche. „Willsaumi’kommn“ ist meilenweit vom schriftdeutschen „Willst du auch mitkommen“. Hier herrscht – wie üblich – das bekannte Gesetz der Mundfaulheit, das immer am Werk ist, um die Substanz einer Sprache zu zersetzen.
Okay. Ich gebe zu. Ich teile hier nix Weltbewegendes mit. Jeder weiß, dass wir anders sprechen als schreiben und dass die Regeln der Schriftsprache anders sind als die der Umgangssprache. „Ich habe ihn gestern im Theater gesehen“ ist allein gültig in der deutschen Schriftsprache. Trotzdem darf jeder, wenn es ihm passt, sagen: „ich hab ihm g‘sehn im Theater gest‘n“. Niemand käme auf die Idee, diesen Satz als falsch zu bezeichnen.
Also bitte, lieber Schprachbloggeur-r-r, warum die heutige Unterweisung?
Nicht so ungeduldig, liebe Lesende. Manchmal hab ichs Gefühl, dass im Informationszeitalter alles zu schnell gehen muss. Wo ist die Gemütlichkeit geblieben? Ich will lediglich auf zwei Dinge hinweisen:
1.) dass Sprachen stets im Wandel sind – eine Tatsache, die erst in der gesprochenen Sprache sichtbar wird.
2.) dass die Schriftsprache den Prozess des Sprachwandels verlangsamt – bremst sogar.
Also, liebe Lesende, viel Spaß mit Ihrer neuen Spracherkennungssoftware. Ja, und schicken S‘ mir in 50 Jahren eine Postkarte – wenn Sie noch in der Lage sind, eine zu schreiben.
Ungern instrumentalisiere ich das Unglück anderer. Diesmal aber mache ich eine Ausnahme – aber nur der Sprache zuliebe.
Vielleicht haben Sie schon über Elliot Rodger erfahren: in der Zeitung, im Netz oder Fernsehen, bei Twitter, Facebook usw.
Elliot war eine 22jährige Zeitbombe, der in einem Küstenstädtchen namens Isla Vista im südlichen Kalifornien lebte, wo er schließlich in die Luft ging.
Zufällig kenne ich Isla Vista, weil ich, als ich in seinem Alter war, ebenfalls in dieser regen Studentenstadt neben der University of California at Santa Barbara lebte und – wie Elliot – an der Uni studierte. Ein ganzes Städtchen nur für junge Menschen. Man kann sich vorstellen, wie es dort zugeht.
Zeitbombe Elliot Rodger fühlte sich aber ausgeschlossen. Er war verklemmt, schüchtern, nahm nicht am dortigen lustigen Geschehen teil.
Seinem Frust, seiner Einsamkeit hat er im Lauf der letzten Monate in ca. zwei Dutzend YouTube Videos Luft gelassen.
Drei davon schaute ich mir neulich an. Mehr wäre zu viel gewesen. Zu unheimlich war das. Elliot beklagte sich darüber, dass er kein Glück bei den Frauen hatte. Er würde von ihnen gar nicht wahrgenommen, was er partout nicht verstünde: Immerhin sei er gutaussehend, intelligent, charmant, weit gereist, wortgewandt usw. Er wütete gegen die „ungelenken Idioten“, die mühelos die hübschen Frauen bekamen. Er werde sich aber rächen, verkündete er recht deutlich.
Man muss kein Menschenkenner sein, um festzustellen, dass Elliot Rodger sehr sehr gestört war. Wenn ich eine Frau gewesen wäre, hätte ich bestimmt einen Bogen um ihn gemacht. Dass er trotzdem drei Schusswaffen in Kalifornien – auf legale Weise – erwarb, erwähne ich hier nur nebenbei.
Denn er brauchte keine Schusswaffen. Als die Bombe losging, tötete er als erstes seine drei Mitbewohner – nur mit einem Messer. Er wäre sicherlich auch ohne Pistolen in der Lage gewesen, noch weiter so metzeln.
Doch er hatte seine Pistolen und kurvte mit ihnen nach den ersten Morden gemächlich durch die ruhigen Straßen Isla Vistas. Währenddessen schoss er wahllos aus dem Fenster auf wildfremde Menschen, männlich und weiblich – alle in seinem Alter.
Am Ende trafen die Sheriffs ein. Es gab eine filmreife Verfolgungsjagd, und bald jagte sich Elliot Rodger eine Kugel durch den eigenen Kopf.
Ich erzähle diese Trauergeschichte– wie anfangs erwähnt – nur der Sprache zuliebe.
Über Massenmorde werden täglich berichtet. So viele, dass man kaum mehr Notiz nimmt: Selbstmordattentäter in Bagdad oder Kabul, fanatisierte Schlachter in Nigerien usw.
Der Fall Elliot Rodger ist dennoch anders: vielleicht, weil der Blutrausch in YouTube wochenlang angekündigt wurde. Zudem handelt es sich um einen Mörder mit einem nicht unattraktiven Gesicht. The boy next door. Und dieser nette Nachbarjunge erschien schüchtern, ruhig, harmlos. Wer seine Videos nie sah, würde kaum ahnen, dass es sich um eine tickende Bombe handelte.
Der Fall Elliot Rodger sorgt momentan für viel Aufsehen in den USA – insbesondere unter Jugendlichen, die die Sache bei Twitter und Facebook rege diskutieren. Obendrein halten ihn manche Frauengruppen für beispielhaft als Frauenhasser. Andere wiederum zeigen Verständnis für sein blutiges Ausrastern. Letztendlich aber denkt man bei Elliot Rodger an eine Gruselfigur aus einem Horrorfilm (lang werden wir auf die Filmversion sicherlich nicht warten müssen). Er ist jemand, dem man weder tags noch nachts auf der Straße begegnen möchte.
Deshalb rechne ich bald mit einem neuen Begriff – zumindest in der Jugendsprache. Zuerst auf Englisch und dann wohl als Lehnübersetzung fürs deutsche Sprachgebiet. Junge Amerikaner werden sagen „to elliot somebody“ oder „to rodger somebody“ (etwa: „Man, is that dweep going to elliot/rodger us tonight?“). Noch weiß ich nicht, ob der Vor- oder Nachname gebraucht wird. Fürs Deutsche zöge ich jedenfalls den Nachnamen vor. Klingt schöner fürs deutsche Ohr: „rodgern“ (z.B.: „Dein Freund ist mir etwas unheimlich, weißt du. Bist du sicher, er wird uns heute Abend nicht rodgern?“).
Momentan nur eine Vermutung meinerseits. Doch warten wir es ab.
Zweimal beglückte mich vor ein paar Tagen ein gewisser Thomas Weber mit der gleichen Email. Auf der Betreffzeile war zu lesen: „Email Adressen zu verkaufen“.
Herr Weber, der mir diese Mail zwei Tage infolge zugeschickt hatte, hielt es nicht für nötig, mich namentlich anzureden. „Guten Tag“, heißt es lapidar auf der Mail. Typisch für die heutige digitale Etikette, konstatierte ich. Aber jetzt zum Inhalt seiner Mail. Es handelte sich um ein Angebot: „Falls Sie auf der Suche nach neuen Email-Adressen aus Deutschland sind, dann sind Sie bei mir genau richtig. Preis pro eine million Email-Adressen 800 Euro.“
Wow! dachte ich. Mit einer million Email-Adressen für nur 800 Euro, kann ich vielleicht durch gezieltes Anpeilen ganz viele neue Sprachbloggeurleser anwerben. Mit den neuen, hohen Trefferzahlen werde ich mich dann an Metro, Siemens, Saturn usw. (nein, hier keine Schleichwerbung) wenden und teure Werbespots verkaufen.
Somit ginge endlich mein großer Traum in Erfüllung: meine Botschaft millionenfach zu verbreiten und dabei steinreich zu werden. Steinreich, weil ich das Geld, das ich von der Werbung verdiente, selbstverständlich in Aktien investieren würde, um noch reicher zu werden. Am Schluss würde ich den Sprachbloggeur an einen Hedgefond verkaufen. Der wiederum würde die Marke „Sprachbloggeur“ zu einer weltweiten Kette ummodeln. Infolgedessen würden Sprachbloggeurbeiträge zeitgleich in mehreren Sprachen erscheinen. Vielleicht gäbe es dann auch eine wöchentliche Fernsehsendung zur besten Sendezeit: „Spaß mit dem Sprachbloggeur“ oder so ähnlich. Darüber könnte man aber noch verhandeln.
Die Mail von Thomas (bestimmt werden wir uns, ich meine Thomas Weber und ich, mal duzen) geht aber weiter: Insgesamt verfüge er, so schreibt er, über ca. 30 Millionen Emailadressen, alle von diversen, anständigen Providers, z.B., t-online, web.de, gmx.de, freenet usw. Wenn ich will, bekomme ich alle Adressen für den Schnäppchenpreis von 8000 Euro. Super! Zudem: „Die Emails sind alle geprüft und zu 100% gültig (Keine Bounces)“.
Klar, dass ich allmählich schwer in Versuchung kam. Und ich bildete mir ein, dass Tom in wahrem Luxus lebt. Seine Emailadresse endet nämlich mit dem Kürzel „.bz“. Das steht für Belize. Dort war ich mal vor vielen vielen Jahren, ein Ländlein südlich von Yukatan, ehemals eine britische Kolonie. Mein Aufenthalt dort war sehr kurz. Ich ging damals über die Grenze und suchte, da mich ein virulenter Darmparasit heimgesucht hatte, dringend nach einer Toilette. Ich fragte eine herumstehende Menschentraube, wo die nächste Toilette wäre. Jemand zeigte auf ein Häuschen. Ich bedankte mich und verabschiedete mich. Daraufhin erwiderte einer: „Fare thee well“. Das klingt wie Englisch aus dem 18. Jahrhundert. Aber so redeten sie damals in Belize. Wer weiß? Vielleicht auch heute.
Vielleicht spricht auch Tom Weber so.
Ja, das dachte ich. Und dann zack! aus der Traum. Ich stieß nämlich in Spiegel-Online auf einen Artikel über eben diese Mail von Thomas Weber. Spiegel-Online zufolge handelt es sich um eine „simple Abzockmasche“, die in den letzten Tagen in regem Umgang ist. (Hmmm, dachte ich. Wenn über 30 mio. die Mail bekommen haben, dann weiß man erst recht, dass Tom die Wahrheit erzählt).
Nach Spiegel-Online stammt die Mail aus der Ukraine. Man solle sie ignorieren oder gar löschen.
Doch nun eine neue Überlegung. Woher in der Ukraine stammt diese „Abzockmasche“: im Westen, also Kiew usw., wo für Europa und die USA die „good guys“ zuhause sind, oder im Osten, zum Beispiel, Donezk und Luhansk, wo die Separatisten, also für uns die „bad guys“, zuhause sind?
Leider habe ich noch keine Antwort auf diese Frage und muss die Sache weiter recherchieren. Dann aber plötzlich kam der großer Einfall: Vielleicht ist Thomas Weber in Wirklichkeit Thomas („Tom“) Neuwirth? Immerhin stimmt hier bei beiden Namen der Vorname überein. Sie kennen Th. Neuwirth nicht? Natürlich kennen Sie ihn. So heißt bürgerlich Conchita Wurst!
Ich gebe zu, dass dies wahrscheinlich eine spinnerte Idee ist. Da aber so viel auf dieser Welt irgendwie in irgendeinem Zusammenhang doch steht, könnte man aber beinahe meinen, dass auch dies möglich wäre. Oder?
In eigener Sache: Nächste Woche kein Beitrag. Bin auf Weltreise, um Fragen wie die heutigen gründlicher zu recherchieren.
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