Von der Frau zu erzählen, die mir expressis verbis verbot, ihr Kind zu fotografieren, komme ich unten wieder zurück.
Ich fange lieber mit der „Rasterlupe“ an. Wer im vorigen Jahrtausend noch kein Erwachsener war, weiß wahrscheinlich nicht, was das ist. Es hat jedenfalls nichts mit der „Rasterfahndung“ zu tun. Ich schätze meine Rasterlupe immer noch.
Doch so sehr ist dieses fotografische Werkzeug aus der Mode gekommen, dass die zwei Exemplare, die ich neulich bei Amazon entdeckte, mit der Bemerkung versehen waren: „derzeit nicht verfügbar“. Das muss was bedeuten.
„Raster“. So nannte man früher das Geflecht eines Fotos, das aus unterschiedlich schattierten bzw. kolorierten Pünktchen besteht. Diese Pünktchen, „Korn“ genannt, sind rund und werden auf einem Bildnegativ mittels einer Rasterlupe sicht- und zählbar. Je mehr Pünktchen, umso feinkörniger ist der Film. Diese „Körner“ entstehen durch ein chemisches – sprich „analoges“ – Verfahren.
Im digitalen Zeitalter heißen diese Bildpünktchen „Pixel“. Ein wichtiger Unterschied zu den analogen Pünktchen aber:„Korn“ ist rund (und sinnlich), „Pixel“ sind viereckig (und kalt).
Alles klar?
Wann hat es angefangen? Ich meine das mit der „Verpixelung“ der Welt. Genauer gesagt: mit der Verschleierung von Gesichtszügen in den Medien mittels hässlicher Quadraten.
Mich irritiert die Verpixelung der Welt.
Im Analogzeitalter wurde die Welt weder „verrastert“ noch „verkörnt“. Die Wörter existierten nicht. Man konnte höchstens ein Bild manipulieren. Doch dazu war ein künstlerisch begabter Mensch nötig. Ich denke an die Weichzeichnung in der Werbung und die Bilder aus der Stalin-Zeit – auf denen Trotzkij wegretuschiert wurde.
Früher hatten Bilder allein den Zweck, die Neugier zu befriedigen. Zum Beispiel, das Foto, das ca. 1976 in der „Münchener Abendzeitung“ erschien. Es zeigte einen Räuber (oder sonstigen Unhold), der zähneknirschend im Polizeiwagen sitzt. Er beugt sich nach Vorne und schaut verschämt in die eigenen Hände. Durch eine Seitenfensterscheibe sieht man die gaffenden Schaulustigen. Geile Blicke, lüsterne Mäuler. Ein Kunstwerk.
Wäre dieses Bild heute ohne verpixelte Stellen noch möglich? Ich glaube nicht. Es würde genauso unvollständig erscheinen wie die Leichengesichter, barbusige Sonnenanbeterinnen, Opfer und bald Hinzurichtende der Gottesheeren usw., die in den heutigen Medien, insbesondere in den Zeitungen, allgegenwärtig sind.
Auch Kindergesichter werden in den Blättern immer häufiger verpixelt dargestellt. Als ob sie ansonsten nur noch von Pädophilen und Kinderentführern begafft werden könnten.
Womit ich wieder auf die Frau zu sprechen komme, die mir expressis verbis verbot, ihr Kind zu fotografieren. Es war letztes Jahr auf einer Veranstaltung, und ich wollte eine ältere Dame, die ich kenne und mag, ablichten. Neben ihr stand diese Frau: „Machen Sie ja kein Foto von dem Kind“, herrschte sie mich an. Das Kind war mir bis dahin gar nicht aufgefallen.
„Keine Sorge“, antwortete ich. „Ich mache nur verpixelte Bilder von Kindern.“
Ahhh! Die guten alten Tage. Auf der Flitterwoche saß ich, frisch vermählt, mit meiner Frau in einem Lokal in einem Kaff im südlichen Frankreich. Am nächsten Tisch fachsimpelten mehrere britische Reporter.
Ich lauschte ihrem Gespräch und erfuhr, dass die Fotos, die an Nachrichtendienste verkauft werden, nach bestimmten, kulturgerechten Kriterien angeboten wurden. Japaner und Araber, so erzählten die Profis, waren scharf auf grausame Bilder mit lauter Toten, Verletzten und Hinzurichtenden. In Deutschland und in Skandinavien hingegen stand das Publikum auf Nacktheit usw.
So war die unverpixelte Welt damals.
Und deshalb meine ich, dass die Zeitungen peu à peu zugrunde gehen. Denn sie befriedigen kaum mehr die voyeuristische Neugier des Lesers.
Achtung, ,Blattmacher: Im Zeitalter des WehWehWeh ist alles – und ich meine ALLES – auch unverpixelt zu finden. Dafür gibt es die „Suchmaschinen“. Wer braucht denn zögerliche Zeitungen? Ein Bild ist noch immer ein Tausendwortewert.
Ende der Predigt. Amen.
Haben Sie gehört? Ein s e h r hohes Tier aus der „Phisher“-Szene ist vor ein paar Tagen den Folgen eines zu großen Stückes Fleisch, das er, weil er den Mund nicht voll genug bekommen konnte, verschlungen hatte, erlegen.
Um einem derartigen Erstickungstod entgegenzuwirken, gelten normalerweise zwei Notmaßnahmen:
1.) Man fasst den Erstickenden an den Fußgelenken, zieht ihn an den Beinen hoch – Kopf nach unten, versteht sich – und schüttelt ihn kräftig, als wäre er ein zu leerender Kartoffelsack. Diese Maßnahme ist – so spricht die Erfahrung – ausgesprochen wirksam, wird aber hauptsächlich bei leichtgewichtigen Kleinkindern eingesetzt. Besagtes hohes Tier hatte sich indes täglich den Mund zu voll genommen und brachte über zwei Zentner auf die Waage. Nur ein schnell herbeigeschaffener Kran hätte ihn auf diese Weise retten können. Er befand sich aber in einem noblen Kellerlokal – darüber hinaus in einem Funkloch.
2.) Oder man verwendet den sogenannten „Heimlich-Griff“ bzw. das „Heimlich-Manöver“ – (nach dem Erfinder, dem US-Arzt Henry Heimlich, genannt). Um diese nicht ungefährliche Maßnahme (Achtung Gefahr eines Milz- oder Leberrisses!) zu bewerkstelligen, stellt sich der Lebensretter hinter den Leidenden, wirft die Arme um den Leib des Um-Luft-Kämpfenden und drückt mit den Fäusten heftig gegen den Bauchdeckel. Leider war es in diesem Fall aus zwei Gründen nicht möglich das Heimlich-Manöver zu gebrauchen: erstens, weil der Bauchumfang des Opfers den lebensrettenden Griff nicht unterstützt hätte. Der Lebensretter hätte den „big Phisher“ gar nicht umfassen können; und zweitens, weil das taumelnde hohe Tier an einer krankhaften Homophobie litt. Eine Annäherung wäre ihm, aller Gefahr zum Trotz, in die falsche Kehle gegangen.
Also starb der Phisher-König nach wenigen Minuten qualvoll. Oder vielleicht nur augenscheinlich qualvoll. Denn er war so sehr mit seiner Situation beschäftigt, dass er vielleicht keine Zeit hatte, die eigentliche Gefahr zu erfassen. Er stürzte jedenfalls zum Boden wie eine verwitterte Mauer.
Wie hieß der tote „big Phisher“? Verzeihen Sie, aber ich möchte hier den Namen nicht verraten. Sonst malt man sich schnell ein Feindbild und nimmt wegen eines Scheinriesen ein ganzes Volk in Geiselhaft.
Es genügt zu sagen: Er war – vielleicht – Amerikaner, Russe, Ukrainer, Chinese, Deutscher, Pole, Bangladeschi oder…ja, es gibt noch viele Möglichkeiten.
Und sein Tod wird ohnehin nicht viel ändern. Ein anderer „big Phisher“ wartet schon in den Startlöchern, um den Platz des Toten zu füllen.
Ich glaube, er hatte sich auf die PayPal-Masche spezialisiert. Sie wissen schon: „Hallo, Ihr Konto wurde gesperrt. Um es wieder benutzen zu können, melden Sie sich bitte an…usw.“ Vielleicht hatte er auch Internet-Banking-Konten geknackt und andere Raffinessen, die die Mitarbeit von talentierten Informatikern erfordern. Ich hab’s vergessen. Ist eh egal.
Man brauchte acht Sanitäter, um ihn auf die Bahre zu lupfen. Ein übergewichtiger Toter ist der Alptraum jeden Bestattungsinstituts. Aber man verdient daran gut. Sehr gut. Sein Sarg musste maßgeschneidert werden.
Sein Körperumfang war nämlich auch für die XXXL-Sarggröße zu wuchtig. Man brauchte dann Extrapersonal, um ihn ins Loch herunterzulassen. Und die Riemen (sechs Stück!) mussten besonders verstärkt werden.
Ach ja. Fast hätte ich’s vergessen. Ich meine seine letzten Worte. Denn schließlich will ein Sprachbloggeur auch über das Gesprochene berichten.
Es handelt sich allerdings in diesem Fall nicht um „letzte Worte“, sondern lediglich um ein einziges letztes Wort. Raten Sie aber, was dieses Wort war. Immerhin: Die letzte Aussage eines Menschen kann bezeichnend für einen ganzen Lebenswandel sein. Symbolkraft halt.
In diesem Fall war es besonders passend. Er sagte: „Mehr.“
Kleine Englischprüfung. Keine Sorge. Die Antwort wird nicht benotet – zumindest heute nicht.
Folgenden englischen Satz hörte ich heute am Vorbeigehen auf der Straße. Ich werde ihn nach deutscher Schreibweise wiedergeben, um die Echtzeitaussprache zu veranschaulichen.
Also. Auf den Plätzen, fertig….los:
„Eiúananakómmnamjúnitssiejasséits.“
So ungefähr war das. Was ich hier schreibe ist freilich nur approximativ. Für manche Konsonanten (das 2. und 3. „N“, z.B.) finde ich keine 100%ig passende Buchstabenentsprechung.
Ihre Aufgabe: Diesen Satz in die normale englische Schriftsprache zu übertragen. Keine Sorge. Die Wörter sind recht einfach. Und keiner, der ein bisschen Englisch in der Schule gelernt hat, wird über den Sinn des Satzes stolpern. Außerdem: Sie finden hier keine komplizierten grammatikalischen Konstruktionen.
Also los. Die Uhr tickt. Ticktickticktickticktick usw.
Nur noch 15 Sekunden. Dann werde ich die Lösung geben. Wer mehr Zeit braucht, dem empfehle ich diesen Beitrag auszudrucken, damit Sie die Lösung nach Belieben verdecken können oder bis Ihnen die Aufgabe auf die Nerven geht. Oder Sie scrollen die Lösung auf dem Monitor in die Unsichtbarkeit runter. Tickticktickticktick usw. Ping! Die Zeit ist um.
Haben Sie die Aufgabe gelöst?
Wer diese Frage bejaht, der hat erkannt, dass es sich um folgenden englischen Satz handelt:
„I wanted to come to Munich to see the sites“. Etwa: Ich wollte nach München kommen, um die Sehenswürdigkeiten zu bestaunen.
Ich gehe allerdings davon aus, dass andere Englisch Muttersprachler obigen Satz auf eine andere Weise verballhornen würden als der Sprecher, ein Amerikaner, den ich auf der Straße zufällig vernahm. Die gesprochene Sprache ist überall verschieden.
Ich wollte mit diesem Beispiel lediglich darauf hinweisen, wie sehr sich die gesprochene Sprache von der Schriftsprache unterscheiden kann. Selbstverständlich gilt die gleiche Sprechschlampigkeit auch fürs Deutsche. „Willsaumi’kommn“ ist meilenweit vom schriftdeutschen „Willst du auch mitkommen“. Hier herrscht – wie üblich – das bekannte Gesetz der Mundfaulheit, das immer am Werk ist, um die Substanz einer Sprache zu zersetzen.
Okay. Ich gebe zu. Ich teile hier nix Weltbewegendes mit. Jeder weiß, dass wir anders sprechen als schreiben und dass die Regeln der Schriftsprache anders sind als die der Umgangssprache. „Ich habe ihn gestern im Theater gesehen“ ist allein gültig in der deutschen Schriftsprache. Trotzdem darf jeder, wenn es ihm passt, sagen: „ich hab ihm g‘sehn im Theater gest‘n“. Niemand käme auf die Idee, diesen Satz als falsch zu bezeichnen.
Also bitte, lieber Schprachbloggeur-r-r, warum die heutige Unterweisung?
Nicht so ungeduldig, liebe Lesende. Manchmal hab ichs Gefühl, dass im Informationszeitalter alles zu schnell gehen muss. Wo ist die Gemütlichkeit geblieben? Ich will lediglich auf zwei Dinge hinweisen:
1.) dass Sprachen stets im Wandel sind – eine Tatsache, die erst in der gesprochenen Sprache sichtbar wird.
2.) dass die Schriftsprache den Prozess des Sprachwandels verlangsamt – bremst sogar.
Also, liebe Lesende, viel Spaß mit Ihrer neuen Spracherkennungssoftware. Ja, und schicken S‘ mir in 50 Jahren eine Postkarte – wenn Sie noch in der Lage sind, eine zu schreiben.
Ungern instrumentalisiere ich das Unglück anderer. Diesmal aber mache ich eine Ausnahme – aber nur der Sprache zuliebe.
Vielleicht haben Sie schon über Elliot Rodger erfahren: in der Zeitung, im Netz oder Fernsehen, bei Twitter, Facebook usw.
Elliot war eine 22jährige Zeitbombe, der in einem Küstenstädtchen namens Isla Vista im südlichen Kalifornien lebte, wo er schließlich in die Luft ging.
Zufällig kenne ich Isla Vista, weil ich, als ich in seinem Alter war, ebenfalls in dieser regen Studentenstadt neben der University of California at Santa Barbara lebte und – wie Elliot – an der Uni studierte. Ein ganzes Städtchen nur für junge Menschen. Man kann sich vorstellen, wie es dort zugeht.
Zeitbombe Elliot Rodger fühlte sich aber ausgeschlossen. Er war verklemmt, schüchtern, nahm nicht am dortigen lustigen Geschehen teil.
Seinem Frust, seiner Einsamkeit hat er im Lauf der letzten Monate in ca. zwei Dutzend YouTube Videos Luft gelassen.
Drei davon schaute ich mir neulich an. Mehr wäre zu viel gewesen. Zu unheimlich war das. Elliot beklagte sich darüber, dass er kein Glück bei den Frauen hatte. Er würde von ihnen gar nicht wahrgenommen, was er partout nicht verstünde: Immerhin sei er gutaussehend, intelligent, charmant, weit gereist, wortgewandt usw. Er wütete gegen die „ungelenken Idioten“, die mühelos die hübschen Frauen bekamen. Er werde sich aber rächen, verkündete er recht deutlich.
Man muss kein Menschenkenner sein, um festzustellen, dass Elliot Rodger sehr sehr gestört war. Wenn ich eine Frau gewesen wäre, hätte ich bestimmt einen Bogen um ihn gemacht. Dass er trotzdem drei Schusswaffen in Kalifornien – auf legale Weise – erwarb, erwähne ich hier nur nebenbei.
Denn er brauchte keine Schusswaffen. Als die Bombe losging, tötete er als erstes seine drei Mitbewohner – nur mit einem Messer. Er wäre sicherlich auch ohne Pistolen in der Lage gewesen, noch weiter so metzeln.
Doch er hatte seine Pistolen und kurvte mit ihnen nach den ersten Morden gemächlich durch die ruhigen Straßen Isla Vistas. Währenddessen schoss er wahllos aus dem Fenster auf wildfremde Menschen, männlich und weiblich – alle in seinem Alter.
Am Ende trafen die Sheriffs ein. Es gab eine filmreife Verfolgungsjagd, und bald jagte sich Elliot Rodger eine Kugel durch den eigenen Kopf.
Ich erzähle diese Trauergeschichte– wie anfangs erwähnt – nur der Sprache zuliebe.
Über Massenmorde werden täglich berichtet. So viele, dass man kaum mehr Notiz nimmt: Selbstmordattentäter in Bagdad oder Kabul, fanatisierte Schlachter in Nigerien usw.
Der Fall Elliot Rodger ist dennoch anders: vielleicht, weil der Blutrausch in YouTube wochenlang angekündigt wurde. Zudem handelt es sich um einen Mörder mit einem nicht unattraktiven Gesicht. The boy next door. Und dieser nette Nachbarjunge erschien schüchtern, ruhig, harmlos. Wer seine Videos nie sah, würde kaum ahnen, dass es sich um eine tickende Bombe handelte.
Der Fall Elliot Rodger sorgt momentan für viel Aufsehen in den USA – insbesondere unter Jugendlichen, die die Sache bei Twitter und Facebook rege diskutieren. Obendrein halten ihn manche Frauengruppen für beispielhaft als Frauenhasser. Andere wiederum zeigen Verständnis für sein blutiges Ausrastern. Letztendlich aber denkt man bei Elliot Rodger an eine Gruselfigur aus einem Horrorfilm (lang werden wir auf die Filmversion sicherlich nicht warten müssen). Er ist jemand, dem man weder tags noch nachts auf der Straße begegnen möchte.
Deshalb rechne ich bald mit einem neuen Begriff – zumindest in der Jugendsprache. Zuerst auf Englisch und dann wohl als Lehnübersetzung fürs deutsche Sprachgebiet. Junge Amerikaner werden sagen „to elliot somebody“ oder „to rodger somebody“ (etwa: „Man, is that dweep going to elliot/rodger us tonight?“). Noch weiß ich nicht, ob der Vor- oder Nachname gebraucht wird. Fürs Deutsche zöge ich jedenfalls den Nachnamen vor. Klingt schöner fürs deutsche Ohr: „rodgern“ (z.B.: „Dein Freund ist mir etwas unheimlich, weißt du. Bist du sicher, er wird uns heute Abend nicht rodgern?“).
Momentan nur eine Vermutung meinerseits. Doch warten wir es ab.
Zweimal beglückte mich vor ein paar Tagen ein gewisser Thomas Weber mit der gleichen Email. Auf der Betreffzeile war zu lesen: „Email Adressen zu verkaufen“.
Herr Weber, der mir diese Mail zwei Tage infolge zugeschickt hatte, hielt es nicht für nötig, mich namentlich anzureden. „Guten Tag“, heißt es lapidar auf der Mail. Typisch für die heutige digitale Etikette, konstatierte ich. Aber jetzt zum Inhalt seiner Mail. Es handelte sich um ein Angebot: „Falls Sie auf der Suche nach neuen Email-Adressen aus Deutschland sind, dann sind Sie bei mir genau richtig. Preis pro eine million Email-Adressen 800 Euro.“
Wow! dachte ich. Mit einer million Email-Adressen für nur 800 Euro, kann ich vielleicht durch gezieltes Anpeilen ganz viele neue Sprachbloggeurleser anwerben. Mit den neuen, hohen Trefferzahlen werde ich mich dann an Metro, Siemens, Saturn usw. (nein, hier keine Schleichwerbung) wenden und teure Werbespots verkaufen.
Somit ginge endlich mein großer Traum in Erfüllung: meine Botschaft millionenfach zu verbreiten und dabei steinreich zu werden. Steinreich, weil ich das Geld, das ich von der Werbung verdiente, selbstverständlich in Aktien investieren würde, um noch reicher zu werden. Am Schluss würde ich den Sprachbloggeur an einen Hedgefond verkaufen. Der wiederum würde die Marke „Sprachbloggeur“ zu einer weltweiten Kette ummodeln. Infolgedessen würden Sprachbloggeurbeiträge zeitgleich in mehreren Sprachen erscheinen. Vielleicht gäbe es dann auch eine wöchentliche Fernsehsendung zur besten Sendezeit: „Spaß mit dem Sprachbloggeur“ oder so ähnlich. Darüber könnte man aber noch verhandeln.
Die Mail von Thomas (bestimmt werden wir uns, ich meine Thomas Weber und ich, mal duzen) geht aber weiter: Insgesamt verfüge er, so schreibt er, über ca. 30 Millionen Emailadressen, alle von diversen, anständigen Providers, z.B., t-online, web.de, gmx.de, freenet usw. Wenn ich will, bekomme ich alle Adressen für den Schnäppchenpreis von 8000 Euro. Super! Zudem: „Die Emails sind alle geprüft und zu 100% gültig (Keine Bounces)“.
Klar, dass ich allmählich schwer in Versuchung kam. Und ich bildete mir ein, dass Tom in wahrem Luxus lebt. Seine Emailadresse endet nämlich mit dem Kürzel „.bz“. Das steht für Belize. Dort war ich mal vor vielen vielen Jahren, ein Ländlein südlich von Yukatan, ehemals eine britische Kolonie. Mein Aufenthalt dort war sehr kurz. Ich ging damals über die Grenze und suchte, da mich ein virulenter Darmparasit heimgesucht hatte, dringend nach einer Toilette. Ich fragte eine herumstehende Menschentraube, wo die nächste Toilette wäre. Jemand zeigte auf ein Häuschen. Ich bedankte mich und verabschiedete mich. Daraufhin erwiderte einer: „Fare thee well“. Das klingt wie Englisch aus dem 18. Jahrhundert. Aber so redeten sie damals in Belize. Wer weiß? Vielleicht auch heute.
Vielleicht spricht auch Tom Weber so.
Ja, das dachte ich. Und dann zack! aus der Traum. Ich stieß nämlich in Spiegel-Online auf einen Artikel über eben diese Mail von Thomas Weber. Spiegel-Online zufolge handelt es sich um eine „simple Abzockmasche“, die in den letzten Tagen in regem Umgang ist. (Hmmm, dachte ich. Wenn über 30 mio. die Mail bekommen haben, dann weiß man erst recht, dass Tom die Wahrheit erzählt).
Nach Spiegel-Online stammt die Mail aus der Ukraine. Man solle sie ignorieren oder gar löschen.
Doch nun eine neue Überlegung. Woher in der Ukraine stammt diese „Abzockmasche“: im Westen, also Kiew usw., wo für Europa und die USA die „good guys“ zuhause sind, oder im Osten, zum Beispiel, Donezk und Luhansk, wo die Separatisten, also für uns die „bad guys“, zuhause sind?
Leider habe ich noch keine Antwort auf diese Frage und muss die Sache weiter recherchieren. Dann aber plötzlich kam der großer Einfall: Vielleicht ist Thomas Weber in Wirklichkeit Thomas („Tom“) Neuwirth? Immerhin stimmt hier bei beiden Namen der Vorname überein. Sie kennen Th. Neuwirth nicht? Natürlich kennen Sie ihn. So heißt bürgerlich Conchita Wurst!
Ich gebe zu, dass dies wahrscheinlich eine spinnerte Idee ist. Da aber so viel auf dieser Welt irgendwie in irgendeinem Zusammenhang doch steht, könnte man aber beinahe meinen, dass auch dies möglich wäre. Oder?
In eigener Sache: Nächste Woche kein Beitrag. Bin auf Weltreise, um Fragen wie die heutigen gründlicher zu recherchieren.
Ich hatte vor, über den Weltuntergang zu schreiben, doch dann bin ich Frau I. auf der Straße begegnet.
Ich stellte ihr, wie es mir schien, eine unverfängliche Frage: „Wie geht’s Ihnen?“
„Es geht mir schlecht. Elend“, sagte sie.
Dann erzählte sie mir ihre schreckliche Geschichte. Ich fasse nur kurz zusammen: Der neue Eigentümer ihres Hauses – er ist erst Mitte 20 – hat ihr die Wohnung wegen Eigenbedarf gekündigt. Frau I., die schon 40 Jahre in der Wohnung ist und einen Laden im Erdgeschoss hat, musste zähneknirschend, um wenigstens den Laden zu retten, die Wohnungskündigung hinnehmen. Alles natürlich mit irrsinnigen Kosten und Umständen verbunden, was verständlicherweise an ihren Lebenskräften zerrt.
Ich sprach mein Mitgefühl aus. Sonst konnte ich nur wenig für sie tun.
Wie der Zufall es wollte, war ich, als wir uns antrafen, selbst betrübt. Ich habe aber nichts davon verlautbaren lassen. Am vorigen Tag hatte ich nämlich endlich und endgültig eine Absage von einer gewissen Verlegerin für mein „Das Buch vom Schwindel“ bekommen. Die Sache hatte sich ein Jahr lang hinausgezogen. Eine Zeitlang schien es, als würde die Sache ein gutes Ende nehmen. Die Verlegerin mochte das Buch, meinen Stil, meinen Humor. Doch ihr plagte die übliche verlegerische Angst vor Literatur, wenn diese von einem noch Unbekannten herkommt. Ein wachsendes Problem in einer höchst kommerzialisierten Branche.
Gern hätte ich Frau I. etwas vorgejammert. Sie kennt das Buch nämlich (hat sogar einen kurzen Auftritt), aber ihr Problem kam mir viel Existenz bedrohender vor als meine Absage.
Ach ja. Ich hatte vor, über den Weltuntergang zu schreiben. Aber dieses Thema will man lieber packen, wenn man gutgelaunt ist. Nur dann kann man mit diversen Witzen über die „Millenaristen“ und die „Chiliasten“ (Begriffe, die man mit „Jahrtausender“ verdeutschen kann) unterhalten. Damit meine ich die Leute, die gern glauben, dass die Welt um den Jahrtausendwechsel – sprich 1000 und 2000 n.Chr. –zugrunde geht und die selbst beinahe süchtig danach sind.
Diese hauptsächlich christliche Fantasie ruht auf dem Glauben ans messianische Zeitalter. Demnach wird Jesus zurückkehren und 1000 Jahre auf Erden regieren, eine Vorstellung, die übrigens im sehr frühen christlichen Zeitalter vom nachbiblischen Judentum abgeguckt wurde und wohl zoroastrischen Ursprungs ist. Später wurde sie in den Islam aufgenommen. Aber wie dem auch sei. Am Ende dieses messianischen Zeitalters rechnen eifrige Gläubige mit dem furchterregenden „Jüngsten Tag“. Hurra. Hurra.
Leser: Warum heute so dunkle Themen, lieber Herr Sprachbloggeur?
Sprachbloggeur: Habe ich nicht schon gesagt, dass ich frustriert bin?
Außerdem: Weil die Menschen vergessen haben, dass es ihnen gut geht, und die Fanatiker – aller Couleur – scheinen momentan Hochkonjunktur zu haben.
Leser: Und? Ihre Prognose?
Sprachbloggeur: Ich setze meine Hoffnungen auf die kleinen Dinge.
Leser: Die kleinen Dinge? Wie meinen Sie das?
Sprachbloggeur: Zum Beispiel, dass Frau I. nach diesem unnützem Leiden auf einen gütigen Vermieter stößt, damit sie wieder zur Ruhe kommen und ihren Laden wie gehabt betreiben kann. Oder dass ich endlich einen mutigen Verleger finde, der erkennt, dass er (oder sie) mit meinen Büchern nicht nur einen adäquaten Gewinn erzielen wird, sondern Bücher in die Welt setzen kann, die viele Leser erheitern werden.
Leser: Sie scheinen dem Wunschdenken in eigener Sache verfallen zu sein, lieber Herr S. Oder sehe ich das falsch?
Sprachbloggeur: Nein. Das ganze Leben besteht letztendlich aus kleinen Begegnungen. Wenn man sie zumindest einigermaßen auf die Reihe bekommt, denkt keiner mehr (außer ein paar Psychopathen) an einen Weltuntergang.
Leser: Sie sind wohl ein Träumer.
Sprachbloggeur: Nein, ich bin Schriftsteller.
Ich denke, er hieß „Ectoplasm“ oder so ähnlich. Er verwendete das Konterfei einer androgynen Manga-Figur als Ikone. Für Zeitgenossen oder Leute aus der Szene alles wohl deutbar. Ich gehe davon aus, dass er jung war.
Beinahe täglich traf ich auf die frechen Kommentare, die er auf der Comic-Seite hinterließ; das heißt, Comics aus amerikanischen Zeitungen.
Nun wird’s persönlicher: Ja, ich besuche diese Seite seit Jahren. Es ist Sucht und Laster zugleich, allerdings harmloser als Crystal-Meth, Heroin und der übermäßige Konsum von gewissen Magenbittern.
Meine Lieblingscomics sind „Peanuts“, „Calvin and Hobbes“, „Dilbert“ und manchmal „Doonesbury“. Ich lese auch andere, obwohl diese meistens dumm und plakativ sind: Humor für Menschen, die wenig Humor haben. Doch Sucht ist Sucht.
Ich bin auf „Ectoplasm“ aufmerksam geworden, weil er in seinen Kommentaren sehr viel Slang aus der Jugendszene benutzte. Manchmal verstand ich zu meiner Überraschung nur wenig.
Zum Glück gibt es im Netz das „Urban dictionary“, ein Slangwörterbuch, das auch viele Begriffe aus der Jugendsprache ins verständliche Englische „übersetzt“.
„Ectoplasm“ hat auf der Comic-Seite gern für Aufruhr gesorgt und schimpfte unentwegt über den Inhalt verschiedener Comics. Über die Dinge zu lästern ist in der Jugend ein gesunder Charakterzug. Auch als Erwachsener schadet es manchmal nicht. Seine Mitschreibende von Kommentaren – viele waren schon älter – teilten seine Meinungen nicht und griffen ihn häufig heftig an.
Der junge, souveräne „Ectoplasm“ erwiderte aber ebenso heftig. Seine Lieblingsformulierung war „ESAD“. Zuerst wollte ich daraus „European Space Administration Division“ machen. Doch dann schlug ich im „Urban Dictionary“ nach. „ESAD“ ist ein Kürzel für „eat shit and die“, was ich hier nicht zu übersetzen brauche, da es sich um englische Vokabeln handelt, die man bereits in der 5. Klasse lernt.
Mag sein, dass die Worte ein bisschen krass klingen. Aber was weiß ich? Für junge Leute hört sich ESAD vielleicht so harmlos an wie zu meiner Zeit „Go jump in the lake“ – also geh und mach einen Sprung in den See. Hört sich auch harmlos an, verbirgt aber den Wunsch, dass jemand ertrinkt. Doch die Mitschreibenden regten sich nicht auf, weil er Ihnen den Tod durch den Konsum von Fäkalien wünschte, sondern weil seine Aufmüpfigkeit aneckte.
Dennoch – welch Ironie – übernahmen manche seiner Gegner Elemente aus seiner Sprache. „Ectoplasm“ pflegte, zum Beispiel, als Ausruf des Staunens „Help me Rhonda!“ zu verwenden – dies, wie Sie wahrscheinlich wissen, der Titel eines Lieds der „Beach Boys“ aus den 1960er Jahren (50 Jahre sind das inzwischen her!!!???), den man ins Deutsche sinngemäß mit „du, meine Güte!“ oder auf Bayrisch „Jessas na!“ übersetzen kann.
Bald verwendeten auch die Gruftis – , d.h. Menschen in meinem Alter – in den eigenen Kommentaren gern „Help me Rhonda!“.
Die Aggression nahm aber zu, und immer mehr wurde „Ectoplasm“ von den anderen ob seiner „Negativität“ gemobbt.
Eine Zeitlang hielt er stand und antwortete mit dem gewohnten ESAD…
Eines Tages war die Manga-Ikone verschwunden samt allen Kommentaren „Ectoplasms“. Verschwunden war auch mein Interesse, die drögen Kommentare der Sieger zu lesen: lahme Witzchen über lahme Comics. „Ectoplasm“, war es gelungen, Leben in die Bude zu bringen. Und nun war er weg.
Mit einem Mal war die Comicseite wie gleichgeschaltet. Das passiert schnell, wenn die Opposition vertrieben wird.
Endlich habe ich verstanden, wie sehr man die Mithilfe des Volkes braucht, um ein gut funktionierendes drittes Reich oder Nordkorea ins Leben zu rufen.
Etwas stimmte mit dem Satz nicht …aber was?
Tagelang studierte ich ihn immer wieder. Manchmal konnte ich mich kurz beruhigen. Er ist in Ordnung, konstatierte ich und lullte mich erneut in einen Zustand der falschen Hoffnung.
Doch bald kehrte der hartnäckige Zweifel zurück…
Liebe Leser, heute etwas Seltenes: Ich gewähre Ihnen Zutritt in den Gedankenprozess eines Menschen, der in der Fremdsprache schreibt. Willkommen in meinem geplagten Kopf. Fürwahr: Es ist ein hartes Schicksal, Schriftsteller in der Fremdsprache zu sein.
Aber zurück zum fraglichen Satz. Er lautete folgendermaßen:
„Jedesmal reichte Sie mir die Hand an der Tür zur Begrüßung.“
Wäre ich deutscher Muttersprachler, würde niemand an diesen Satz Anstoß nehmen. Muttersprachler genießen eine gewisse Narrenfreiheit. Ihre Fehler bezeichnet man als Ergebnisse des „individuellen Sprachgefühls“.
Des armen Migrantlers Worte hingegen werden mit anderen Maßstäben gemessen. Sein „Individuelles Sprachgefühl“ wird meistens schlichtweg als fehlerhaft ausgelegt. Und dagegen ist noch kein Kraut gewachsen!
Zum Beispiel der oben zitierte Satz. Wenn ich Muttersprachler wäre, würde er höchstwahrscheinlich nicht auffallen. Sie würden ihn als Resultat gewisser stilistischer Überlegungen seitens des Autors erachten. Schreibt ihn aber der Migrantler, so weiß schon jeder Muttersprachler, wie der Satz besser klingen könnte. Nur ich weiß es nicht.
Zufällig rief Ernst vor ein paar Tagen an, um Hallo zu sagen. Wie immer plauderten wir eine Weile über Gott und die Welt. Dann fiel mir mein Satz ein. „Du, Ernst, darf ich dir einen Satz vorlesen. Ich bin überzeugt, dass hier etwas nicht stimmt. Ich komme aber selber nicht drauf.“
„Na, klar.“
Ich las Ernst meinen Satz vor.
Wie aus der Pistole geschossen, antwortete er: „‘Jedesmal reichte sie mir zur Begrüßung an der Tür die Hand.‘ So muss es heißen.“
„Aha!“, sagte ich und schrieb seine Version dankend auf. „Ja, du hast recht. Es klingt jetzt wirklich viel logischer – auch viel rhythmischer.“ Das sagte ich. Bloß: Ich wäre nicht in der Lage meine neu entdeckte Begeisterung zu begründen.
Das konnte aber Ernst: „Im Deutschen“, sagte er, „will man in einem Satz das Wichtigste bis zum Schluss aufbewahren – praktisch als Bonbon. Wenn in deinem Satz bereits am Anfang die ‚Hand‘ in Erscheinung tritt, kann es vorkommen, dass dem Leser weniger die ‚Begrüßung an der Tür‘ auffällt. Diese Worte könnten dann zu Beiwerk werden. Wenn aber die Hand noch nicht erwähnt wurde, wächst die Spannung, und die anderen Elemente wirken wie heiße Spuren in einem Krimi.“
„Scheißsprache“, entgegnete ich. Das sage ich immer, wenn ich feststelle, dass ich diese Sprache nach so vielen Jahrzehnten immer noch nicht beherrscht habe. Aber Ernst hatte bestimmt recht. Und zum ersten Mal habe ich von einem native speaker eine brauchbare Regel erhalten für die knifflige Wortstellung der deutschen Sprache.
Ich will mich aber nicht zu früh freuen. Denn es gibt, wie man weiß, immer eine Ausnahme für jede Regel. Ich kenne sie nur noch nicht.
By the way: Erst nach dem Gespräch mit Ernst ist es mir eingefallen, dass die Wortstellung in meinem Satz höchstwahrscheinlich vom Sog meiner englischen Muttersprache beeinflusst wurde. Hier jetzt eine englische Übersetzung: „Each time, she extended me her hand at the door to greet me.“ Ein einwandfreier Satz auf Englisch.
Aber nun wurde ich erst recht stutzig: Auf Englisch muss die Spannung wohl nicht erst am Schluss aufgelöst werden, dachte ich. Und dennoch käme niemand auf die Idee, andere Worte im Satz als „Beiwerk“ zu erachten.
Warum geht das auf Englisch aber nicht auf Deutsch?
Im Foto war ein wunderschöner Kölner Straßenzug zu sehen: mit Straßenbahnschienen, schnieken Häusern aus der Gründerzeit, mit emsigen Rheinländern auf den Weg durch das tägliche Mühsal. Manche lächelten sogar. Das Leben halt.
Wissen Sie, dass Menschen auf Fotos, auch wenn sie in Bedrängnis oder unglücklich sind, lächeln, scheinen manchmal sogar glücklich oder zumindest friedlich zu sein?
Frau F. zeigte mir mal ein Bild von sich bei der Ankunft in Auschwitz, im Hintergrund ein Güterzug. Hat ein SS-Fotograf geknipst. Frau F. war damals vielleicht siebzehn oder achtzehn und stand mitten in einer Traube gleichaltriger junger Frauen, alle trugen lange, wallende Röcke.
„Das bin ich“, sagte sie und zeigte auf ein hübsches, freundliches Mädchen.
„Aber Sie lächeln.“
Sie reagierte auf diese Bemerkung nicht. Auch andere junge Frauen im Bild lächelten. Junge Menschen lächeln viel, weil sie meistens voller Hoffnung sind.
„Sehen Sie die Tücher, die wir am Kopf tragen? Wir mussten den Stoff vom Rocksaum abreißen. Das war uns ärgerlich. Ach, da ist die Gitta, und da die Berta. Sie waren nach einer Stunde tot…
Und die Kölner im Bild (aufgenommen 1937) wussten auch nicht, was auf sie und ihre einst so schöne Stadt zukommen würde.
Aber lassen wir jetzt das Pathos. Nur wenige Minuten, nachdem ich mir das Kölner Bild besonnen hatte – ich war nämlich in der Pinakothek der Moderne in München – hat‘s auch mich kalt erwischt.
Was heißt „kalt erwischt“? Im Vergleich zum Schicksal von Frau F. und der Stadt Köln ist das, was ich hier zu erzählen beabsichtige, eher harmlos. Dennoch…
Ich schlenderte weiter durch die Galerieräume und hielt in Raum Acht vor einem reizenden Selbstporträt der mir bisher unbekannten Malerin Fridel Dethleffs-Edelmann (1899-1982). Die Künstlerin steht im Bild vor einem eigenen Gemälde, einer Landschaft, dessen Rahmen auch das Selbstporträt umrahmt. Die von ihr gemalte Landschaft dient also als Hintergrund fürs Selfie. Die Künstlerin, mit Pinseln in der Hand, schaut uns mit ernster Miene an. Sie trägt, wenn ich mich richtig erinnere, einen Malkittel. Ein witziges Bild, es entstand 1932.
Aus lauter Begeisterung kam ich auf die Idee, das Gemälde zu fotografieren. Klar, so ein Foto verschwindet sofort in den „Archiven“. Es zu knipsen ist lediglich der Ausdruck eines momentanen Überschwangs.
Gleiches passiert im Urlaub, wo man auch ständig losschießt. Zum Glück sind Speicherkarten billiger als früher Film, Entwicklung etc.
Aber jetzt geht’s los: Kaum hatte ich meinen Fotoapparat aus der Tasche geholt und den Objektivdeckel abgenommen, ist besagter Deckel meinen Fingern entglitten und auf den Boden gefallen.
Alles verlief wie in Zeitlupe. Hmm, dachte ich: Wäre es nicht blöd, wenn der Deckel, der vor mir hinwegkugelte, durch das Lüftungsgitter fallen würde. Das Gitter säumte am Boden den ganzen Raum. Und siehe da! Genau dies ist passiert. Zwar sah ich die „Katastrophe“ kommen, ich war aber hilflos, sie zu verhindern. Lediglich versuchte ich im letzten Augenblick mit einer unbeholfenen Fußbewegung das Unvermeidbare noch abzuhalten. Vergeblich. Flutsch. Der Deckel verschwand unter dem Gitter.
Das war bloß der Anfang einer langen Geschichte, die ich hier nur im Schnellverfahren schildern werde: Der Museumswächter schickte mich zur Info-Theke, um den Putzmann (ja, so wird er genannt – ich hätte „Reinigungsmensch“ gesagt) zu Rate zu ziehen, weil nur er das Gitter entfernen darf.
„Gehen Sie runter zur Garderobe“, sagte zu mir der Mann an der Info-Theke. „Dort finden Sie den Putzmann“
„Da ist er“, sagte der Mensch an der Garderobe und zeigte mit der Hand.
Endlich konnte ich dem Putzmann mein Anliegen vortragen „Ich habe keine Zeit“, antwortete er schelmisch. Mir fiel auf: Er genießt seine Macht.
„Kommen Sie morgen wieder.“
„Aber morgen ist Montag. Das Museum ist geschlossen“, antwortete ich.
„Egal. Kommen Sie morgen und sprechen Sie mit dem Pförtner. Er wird Ihnen bestimmt weiterhelfen.“
Ich erschien am nächsten Tag. Der Pförtner holte den Wartungsmonteur, den ich in die Galerien begleiten durfte. Ein unheimliches Gefühl in einem Kunstmuseum zu sein, wenn kein Publikum da ist, und die helle Beleuchtung abgeschaltet ist. Es ist, als würden die Bilder schlafen.
Ich habe meinen Deckel wieder erhalten und freute mich riesig. Ende der Geschichte.
Und: Zum wiederholten Mal wurde mir vor Augen geführt, wie unvorhersehbar das Leben ist.
Bin deshalb gespannt auf die neue „Volksrepublik Donezk“ und auch die von Charkow….
In eigener Sache: Nächste Woche wahrscheinlich keine Glosse.
Wie wird man zum Sprachbloggeur?
Teilantwort eins: Man braucht Geld.
Teilantwort zwei: Die Not macht erfinderisch.
Teilantwort drei: Man schreibt liebend gern über Sprache.
Jetzt zu den Details. Heute also ein bisschen Autobiografisches:
1979 wurde ich von einer deutschen Publikumszeitschrift angeworben – obwohl ich keine journalistische Hochschule besucht hatte und obendrein die deutsche Schriftsprache nur ungenügend beherrschte. Mein langjähriger Status war der des festen-freien Mitarbeiters. Mein Chef war aber der Meinung, ich würde eine günstige Ergänzung für die Redaktion geben.
Dazu: Er selbst übersetzte meine in englischer Sprache geschriebenen Texte ins Deutsche. Und noch dazu: Über die Jahre wurde mein Vertrag entsprechend verändert, so dass Pauschal und Fixum regelmäßig erhöht wurden. Ich wähnte mich beinahe ein Angestellter. Das waren Zeiten. Heute kaum mehr möglich.
Die gute Behandlung erweckte in mir natürlich eine starke Loyalität der Zeitschrift gegenüber (heute auch kaum möglich). Umso mehr machte ich mir Gedanken darüber, wie ich a) der Zeitschrift Gutes tun und b) meinen Stellenwert weiter befestigen könnte. So hatte ich eines Tags den Einfall: eine Sprachkolumne aus dem Boden zu stampfen – damals gab es kaum Sprachrubriken in Deutschland. Mein Chef war von der Idee begeistert. Und da ich ehrgeizig war, wollte ich die Texte für diese Kolumne auf Deutsch schreiben. „Können wir ausprobieren“, meinte mein Chef wohlwollend.
Meine Kolumne erschien zwar unregelmäßig, wurde aber tatsächlich gern gelesen. Wir schreiben übrigens das Jahr 1985 oder so. Zugegeben: Meine Schriftdeutschkenntnisse waren alles anders als berauschend. Doch practice makes perfect.
Es hat mir großen Spaß gemacht, diese der Sprache bezogenen Texte zu entwerfen und schreiben. Hier ein paar Themen: ein Vergleich, z.B., zwischen dem Wortschatz des Hochdeutschen mit dem des Plattdeutschen und des Friesischen. Die Überschrift lautete: „Die drei Schwestern“. Einmal erläuterte den Begriff „modern“ angesichts der Tatsache, dass sich jede Generation für „modern“ hält. (Heute klingt „postmodern“ bereits altbacken). Einmal erklärte ich den „Brautlauf“, ein altertümliches Wort für „Hochzeit“. Leider habe ich den Inhalt fast vollständig vergessen. Kann man heute aber alles googeln.
Meine Rubrik hieß passenderweise „Deutsche Sprache…“ – was freilich mit „schwere Sprache“ zu ergänzen war. Sie stieß allerdings nicht nur auf Wohlwollen. Der Chef von Dienst pflegte zu nörgeln: “Ausgerechnet der Ausländer muss über die deutsche Sprache schreiben.“
Ich denke, die Kolumne erschien insgesamt ein Dutzend Male. Doch damit hatte ich meinen Stellenwert bei der Zeitschrift in der Tat befestigt und noch dazu den Werdegang der Zeitschrift sehr zum Positiven beeinflusst. Über die nächsten Jahrzehnte erschienen in der Zeitschrift regelmäßig diverse Rubriken – mit mir übrigens als Autor! Nicht also von ungefähr fragte mich 2005 der derzeitige Chefredakteur, ob ich im Infozeitalter Lust hätte, eine online Rubrik – sprich Blog – zu entwerfen. Daraus entstand „Der Sprachbloggeur“. Und stellen Sie sich vor: Jeder Beitrag wurde (bis Januar 2009) honoriert – utopische Vorstellung heute.
Doch jetzt zum Thema Abschiedsnehmen auf Deutsch: Der letzte Text, den ich für die Rubrik „Deutsche Sprache…“ verfasste, handelte vom Wort „Wiedersehen“. Dieser Begriff, so meinte ich, werde fast ausnahmslos in formellen Situationen gebraucht – eine Art Abschiedssiezen. Im täglichen Gebrauch verabschiede man sich lieber mit „ciao“, „servus“, „tschüss“ usw.
Nur im Kino – und zwar in synchronisierten Filmen – so behauptete ich, werde „Wiedersehn!“ als volkstümlicher Abschiedsgruß beinahe pauschal benutzt. Kleine Kinder im Film rufen zur Oma und zum Opa und zu Freunden beim Abschiedsnehmen „Wiedersehn!“ Geliebte, Freunde, Jugendliche ebenso.
Meine Theorie damals: Dieses „Wiedersehn“ hatte sich im Kino deshalb eingebürgert, weil es in der deutschen Hochsprache nirgends ein einheitliches Abschiedswort wie das englische „bye“ gibt. In der deutschen Sprache richtet sich der Abschiedsgruß nach dem jeweiligen an einem Ort herrschenden Dialekt. Dialekt bei der Synchro-Arbeit ist aber undzulässig.
Mein „Wiedersehen“- Text erschien übrigens nie. Später erfuhr ich, dass die Chefredaktion meine Theorie nicht unterstützte. Deshalb musste ich erst selbstständiger Sprachbloggeur werden, um sie endlich in eigener Verantwortung öffentlich zu erörtern. Das Geld wird zwar weniger aber die Freiheit! Die Freiheit!
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