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Der Fluch der Zweisprachigkeit

Eine kurze Anekdote über einen Menschen, der zwischen den Sprachen lebt. Damit meine ich natürlich mich.

Wollte ich jemanden verfluchen, würde ich ihm wünschen, er möge zwischen den Sprachen leben.

Es passierte vielleicht vor etwa zwei Wochen. Ich hatte zwei kurze Romane von Philip Roth gelesen: auf Englisch, meine Muttersprache.

Nebenbei: Ich gehe davon aus, dass die meisten Leser den Namen „Roth“ wie die gleichlautende Farbe aussprechen, obwohl der Vokal „o“ in diesem Namen auf Englisch eher dem deutschen Doppellaut „ou“ – wenn man ihn besonders kurz spricht – ähnelt, zu dem man dann ein stimmloses „th“ wie in „think“ anhängt.

Das mit den Vokalen ist eine knifflige Sache, und manches lässt sich mithin von Sprache zu Sprache nicht 100prozentig übertragen. So fangen die Probleme an.

Ich hatte, „Everyman“ und „The Dying Animal“ gelesen. Ich kenne die deutschen Titel nicht.

Ich halte Roth für einen sehr kompetenten Schriftsteller. Er beherrscht sein Handwerk ausgezeichnet, und ich lese ihn deshalb gern. Lediglich sein Bedürfnis, das Aussehen der primären Geschlechtsteile von jungen Frauen zu schildern und die sexuelle Gymnastik eines 60jährigen Mann mit einer blutjungen Frau zu huldigen, finde ich überflüssig. Aber jedes Tierchen…

Eines Samstagmorgens teilte ich meiner Frau meine Eindrücke über Philip Roth mit. Ich sollte vielleicht erklären: Meine deutsche Frau und ich reden miteinander Englisch. Das hat sich vor vielen Jahren einfach so ergeben. Auch mit meinen Söhnen spreche ich Englisch. Ich sagte zu meiner Frau, nachdem ich ihr gegenüber Philip Roths Schweinkram in Frage gestellt hatte: „Still, I think he writes good.“

Kurze Pause. „Soll das nicht heißen“, fragte meine Frau, „he writes well?“

Hoppla dachte ich. Natürlich muss es heißen „he writes well“. „Well“ ist Adverb und antwortet die Frage: Wie schreibt er?, während „Good“ Adjektiv ist und einen Nomen beschreiben muss. Etwa: „He is a good writer“.

Doch schnell suchte ich nach einem Grund, mein falsches Englisch zu rechtfertigen. So sind die Menschen, wenn sie Fehler nicht zugeben. „Ja schon“, antwortete ich mit einem Ton der leichten Überheblichkeit. „In der Umgangssprache sagt man auch ‚good‘, weil es überzeugender klingt als ‚well‘. Außerdem: So redeten wir in New York als Kinder auf der Straße.“

Das stimmt auch. In der New Yorker Umgangssprache wäre eine derartige Konstruktion durchaus passend gewesen.

Mir war aber klar, dass ich nur schummelte. Später stellte ich Google die Frage: „well“ oder „good“? Das digitale Orakel antwortete sofort: „Well“. Problem gelöst? Natürlich nicht.

Denn nun überlegte ich: Englisch und Deutsch sind beide germanische Sprachen. Auf Deutsch heißt es „er schreibt gut“ und nie „er schreibt wohl“ (ha ha). Kann es sein, dass man auch im alten Englischen „he writes good“ und nicht „he writes well“ sagte? Denn das heutige Englisch ist seit der Invasion der Normanen 1066 eine Mischsprache, teils Angelsächsisch, teils Französisch. Und jeder weiß: Der Franzose, im Gegensatz zum Germanen unterscheidet streng zwischen Adverbien und Adjektiven. „Il écrit bien“ und nie „il écrit bon“. Wäre es also möglich, zumindest theoretisch, dass die Formulierung „he writes good“ ein Überbleibsel des angelsächsischen Instinkts ist?

Ja, so wollte ich meinen Fehler rechtfertigen.

Alles Quatsch. Fakt ist: Ich habe, als ich über Philip Roth lästerte, falsches Englisch gesprochen und das wiederum nur, weil ich zwischen den Sprachen lebe. Ich habe nämlich einen deutschen Satz mit englischen Vokabeln wiedergeben. Sprachwissenschaftler nennen dieses Phänomen „Interferenz“.

Ich lebe zwischen den Sprachen, und allmählich beherrsche ich, so denk ich, keine Sprache mehr.

So wirkt der Fluch der Zweisprachigkeit.

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