Ich ging aus der Bäckerei, das gekaufte Brot in meiner Einkaufstasche verstaut, die üblichen Gedanken in den Sinn: Wird es bald wieder, also genau 75 Jahre nach dem Anfang des Zweiten und 100 Jahre nach dem Anfang des Ersten Weltkriegs, Krieg geben? Wird die Nato die Ukrainer bewaffnen, sodass die Russen, um das Gesicht zu bewahren, eine unkluge Gegenoffensive in Angriff nehmen werden? Oder: Werden die Wirrköpfe des sog. Islamischen Staates, um ihren Dschihad gegen die Ungläubigen auf die Spitze zu treiben, mit Pest infizierte Mäuse in die U-Bahnschächte diverser Großstädte Europas und in Fußballstadien entsenden?
Die üblichen Gedanken eines nachdenklichen Menschen im heutigen Europa.
Vor der Bäckerei sah ich plötzlich ein Kinderbuggy. Ein Knabe, er durfte vielleicht anderthalb Jahre alt sein, schaute mich mit großen Augen an, riss mit einer einzigen forschen Bewegung seinen Schnuller aus dem Mund und zeigte nachdrücklich auf einen Dackel, der neben dem Buggy hockte.
„A Wauwau!“, deklarierte das Kleinkind, das eines Tages, wenn es groß wird, vielleicht Ihr Vermieter sein wird und Sie wegen Eigenbedarfs auf die Straße setzen wird.
Jetzt aber war der Bub noch sehr klein und interessierte sich, wie es mir schien, ausschließlich für die spannenden Möglichkeiten der verbalen Kommunikation.
Was will er mit der Aussage, „A Wauwau!“, mitteilen? überlegte ich.
Ganz einfach: „Schau! Ich bin da. Du bist da. Wir beide sind Menschen und können, wie ich feststelle, anhand von bestimmten beidseitig verstandenen Lauten miteinander kommunizieren. Ist das nicht großartig?“ Dass er ausgerechnet auf den Hund neben seinem Buggy zeigte, war unwesentlich. Wäre kein Hund dabei gewesen, hätte er vielleicht auf einen Wagen gezeigt und „Auto!“ gerufen oder mir seinen Schnuller mit den passenden Lauten präsentiert.
Doch warum sagte er „Wauwau“ und nicht „Hund“? Natürlich weiß ich die Antwort. Weil seine Eltern oder Großeltern mit ihm „Baby-Talk“ reden. „Gib Wauwau Küßi…“ usw.
„A Wauwau“, deklarierte das forsche Kind.
„Ja“, antwortete der pedantische Pädagoge, „ein Hund.“
Mit Sicherheit hat ein kleiner Knirps am Anfang seiner Karriere als Redender Probleme, „Hund“ zu sagen. Die richtige Aussprache dieses Wortes erfordert nämlich einen komplexen Bewegungsablauf von Lippen und Zunge. „Wauwau“ kann ein unerfahrener Mund viel leichter über die Lippen bringen.
Babys und Kleinkinder müssen nämlich lang üben, bis sie bestimmte Lautfolgen auf die Reihe bekommen.
Mein ältester Sohn sagte, z.B., „Nana“ und meinte damit „Mama“. Das „N“ beherrschte er, bevor er „M“ sagen konnte. Er war aber zweifellos überzeugt, dass sein „Nana“ korrekt war. Sein Bruder wiederum hatte Schwierigkeiten mit der Aussprache des englischen „L“. Aus „little“ machte er „uittle“, auch er überzeugt, dass er das Wort richtig artikuliert hatte. Es wäre für meine Frau und mich einfach gewesen, die falsche Aussprache der Kinder nachzumachen, um daraus eine „Familiensprache“ zu gründen. Somit hätten wir Baby-Talk zur Standardsprache gemacht. Wir blieben aber stur und sagten weiterhin „Mama“ und „little“. Bis zur Abitur werden die Kinder diese Wörter meistern, dachten wir.
Vielleicht deshalb werden unsere Kinder niemals der Vermieter werden, der Sie wegen Eigenbedarfs aus der Wohnung, in der Sie 30 Jahre lebten, rausschmeißen.
Und vielleicht deshalb werden unsere Söhne niemals, um das Gesicht zu bewahren, einen großen Krieg vom Zaun brechen oder verpestete Mäuse in die U-Bahn loslassen.
Was ich sagen will: Wer mit seinen Kindern Baby-Talk spricht, bringt ihnen eine falsche Vorstellung von der Realität bei. Jeder weiß, wohin falsche Vorstellungen führen können.
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