Sterben muss alles. Auch Wörter. Wann haben Sie das letzte Mal behauptet: „Mein Brast ist unerträglich“?
Wahrscheinlich nie. „Brast“ ist eine antiquierte Vokabel und bedeutet „Sorge“, „Gram“ – ist übrigens mit „Gebresten“ verwandt. Sagen Sie mir bitte nicht, dass Sie auch dieses Wort nicht kennen. Macht nichts. Auch Gebresten vergehen.
Ebenfalls die „Leser“. Damit meine ich nicht Sie, liebe Leser, sondern das Wort die Leser. Diese altgediegene Mehrzahlform fällt nämlich zunehmend in Ungnade. Nur der „Leser“ existiert weiterhin. Ich meine den einsamen männlichen Buchlesenden.
Es ist nicht so lange her, dass alle Welt „liebe Leser“ schrieben, so selbstverständlich wie der eigene Name war diese Formulierung. Es handelte sich zwar um ein maskulin Plural, doch jeder hat verstanden, dass man damit beides, männliche und weibliche ---- ääämm ----- Leser, meinte. Erst in den 1980er Jahren munkelten einige Unzufriedene zum ersten Mal, dass diese Formulierung sexistisch sei.
Das Resultat: Das Zeitalter von „liebe Leserinnen, liebe Leser“ hatte begonnen.
In den 1990er Jahren wurde aus dieser egalitären Formulierung – vielleicht um Platz zu sparen – „LeserInnen“ erschaffen. Damit meinte man natürlich sowohl männliche wie auch weibliche Leseratten.
Der neue Begriff stellte praktisch die Umkehr der Werte dar. Denn nunmehr sollte die weibliche Form – allerdings mit großem „I“ – stellvertretend für eine lesende Bisexualität hinhalten.
Ähnlich ergingen es „Student“, „Bürger“ usw. Zuerst als „Studentinnen und Studenten“ (ladies first), „Bürgerinnen und Bürger“ – und dann erwartungsgemäß als „StudentInnen“, „BürgerInnen“ usw.
Beliebt waren diese Begriffe allerdings nie. Wahrscheinlich deshalb sagen wir heute, um die Mehrzahl von „Leser“ und „Student“ weiterhin geschlechtsneutral zu halten „Lesende“ und „Studierende“. Ist zwar nicht ideal aber immerhin. „Bürgende“ ist freilich noch nicht möglich.
Nur der Anfang? Man sagt: „Wer hat behauptet, dass er nicht mitgehe?“, auch wenn man eine Gruppe Männer und Frauen anspricht. Wieso „er“? Weil „wer“ in der dt. Sprache seit jeher als männliche Referenz aufgefasst wird. Zugegeben: Man könnte ebenso gut fragen: „Wer hat behauptet, dass er oder sie nicht mitgehe?“. Aber Vorsicht. Man darf nicht zu sehr mit der deutschen Geschlechtlichkeit rumspielen. Sonst könnte man versehentlich das ganze „der-die-das-System“ in Frage stellen. Das Resultat wäre natürlich der pure Sprachsalat.
Wir Englisch Sprechende haben diesen Salat längst. Noch vor 30 Jahren war es normal, dass ein Englisch Sprechender sagte: „Whoever did it, let him speak up“. Das geht kaum mehr. Man sagt lieber „him or her“ oder „them“ anstatt „him“ – zumindest in der Umgangssprache. Wer formell schreibt, versucht obige Formulierung ganz zu umgehen. So kompliziert ist es geworden, Englisch zu schreiben.
Der „chairman“, also „Vorsitzender“ ist längst zum geschlechtsneutralem „chair“ – wörtlich „Stuhl“ geworden – obwohl die Vokabel „chairwoman“ als weibliche Entsprechung möglich wäre. Manche amer. Feministinnen lehnen heute das engl. Wort „history“ wegen des eingebetteten maskulinen Pronomens „his“, ab – als sei dies ein Hinweis, dass die bisherige Menschengeschichte betont männlich war (was auch stimmen mag). Die Form „herstory“ hat sich allerdings noch nicht befestigen können.
Facebook bietet, will man ein Konto öffnen, so hab ich jedenfalls neulich in „The Daily Beast“ gelesen, unter Rubrik „Geschlecht“ 51 Möglichkeiten. Wer sich für diese Liste interessiert, darf selbst recherchieren. Mir ist die Auflistung zu anstrengend.
Nebenbei: Wer sich nicht mehr als ein „he“ oder eine „she“ verstehen will, er oder sie kann sich auf Englisch als ein(?) „xe“ bezeichnen. (Das Wort klingt wie das dt. „sie“). Statt „him“ oder „her“ gibt es „xer“ (sprich „serr“) usw.
Worauf will ich hinaus?
Auf Folgendes: Seien Sie nicht überrascht, wenn mal die Gegenbewegung einsetzt. Nix ist für immer.
PS Im Türkischen wird zwischen „er“ und „sie“ nicht unterschieden. Ob „er“, „sie“ oder „es“, alles heißt „o“. Endlich eine Sprache, die nicht sexistisch ist!
Liebe Herr Terrorist, liebe Frau Terroristin, bitte nicht gleich aus der Haut fahren. Hier dürfen sie keine Gotteslästerung wittern. Hier nur ein kleines, harmloses Wortspiel. Noch nie von Wortspielen gehört? Man rückt ähnlich lautende Vokabeln zusammen, um dadurch eine neue Deutungsebene zu schaffen. Voilà! Das Ergebnis heißt in unserer Sprache „Ironie“. An sich eine harmlose Sache, glauben Sie’s mir. Im Übrigen wird diese Ironie oft verwendet, wenn man nach einem wenig gefährlichen Ventil sucht, um seine Fassungslosigkeit oder Wut oder Hilflosigkeit Ausdruck zu verleihen. Eigentlich ein gesunder Vorgang. Er ermöglicht, dass man in Augenblicken der dunkelsten Verzweiflung, anstatt gleich zum Kalaschnikow zu greifen, das Lachen nicht verlernt.
Probieren Sie‘s mal.
Sie haben’s wohl erraten. Ich denke noch an Braunschweig, wo wegen Hinweise auf eine „konkrete Gefährdung“ der Rosenmontagsumzug abgesagt wurde. Und ich denke ebenfalls an den „Charlie-Hebdo“-Wagen, der am Rosenmontag in Köln, um keine Gefühle zu verletzen, im Depot bleiben musste. Eigentlich bin ich ein Faschingsmuffel. Ich denke trotzdem mit Mitgefühl an die Enttäuschung der Jecken.
Sie wiederum, lieber Terrorist, liebe Terroristin, fühlen sich frei, Gefühle, ja sogar Körperteile anderer, zu verletzen – als stünde ein Recht auf dieses ungebührliche Benehmen schwarz auf weiß in einem Gesetzbuch.
Schämen Sie sich.
Übrigens: Wissen Sie was „akbar“ bedeutet? Ich frage nur, da man nicht sicher sein kann, wie tief Ihre Kenntnisse der arabischen Sprache reichen. Falls ich mit meiner Vermutung ins Schwarze treffe, hier ein bisschen sprachliche Nachhilfe von einem leidenschaftlichen Sprachennarren.
Wir fangen simpel an. Auch im Arabischen gibt es Adjektive: z.B., „kabir“, das „groß“ bedeutet, „dschadid“ („neu“), „dschamil“ („schön“) usw. So weit so gut. Doch nun wird‘s a bisserl komplizierter. Denn es geht um die Steigerungsform des arabischen Adjektivs, auf Arabisch„Elativ“ genannt. Dieser Elativ wird durch die Anfügung des Präfixes „a“ und eine Vokaländerung im Inneren des jeweiligen Adjektivs gebildet. Aus „dschadid“ („neu“) wird „adschdad“, aus „dschamil“ („schön“) „adschmal“. Aus „kabir“ wird eben „“akbar“. Der „Elativ“ ist übrigens aus einem anderen Grund interessant. Es kann nämlich verschieden übersetzt werden: mal als Komparativ (also „schöner“, „neuer“, „großer“), mal als Superlativ („schönste“, „neuste“, „größte“). Manchmal wird der Elativ sogar mit „sehr“ übersetzt – etwa: „sehr schön“, „sehr neu“, „sehr groß“. Alles klar?
Wenn ein Arabisch Sprechender „allahu akbaru“ (so die klassische Schreibart mit „u“ am Schluss) deklariert, meint er damit selbstverständlich „Gott ist der Größte“, einen Superlativ also. Ist doch logisch.
Bei „alaaf akbar“ hingegen ist es anders. Ein Arabisch Sprechender versteht in diesem Fall etwas wie „alaaf“ ist großartig oder sehr groß o.ä.
Quod erat demonstrandum also, liebe Terroristen und Terroristinnen: keine Spur von Gotteslästerung. Nur ein ironisches Wortspiel, um eine Karnevalenttäuschung Ausdruck zu verleihen.
By the way: Was bedeutet „alaaf“? Tatsache ist: Keiner weiß es so ganz genau. Manche vermuten, dass diese Vokabel im Kölner Platt etwas wie „alle ab(seits)“ heißen könnte. Mit „alaaf!“ wäre wohl dann gemeint: Macht Platz, der Narrenzug ist unterwegs! Vielleicht stimmt das auch. Oder vielleicht hat das Wort etwas mit „alle auf“ zu tun – ähnlich dem bayrischen „auf geht’s!“? Keine Ahnung.
Warum heute diesen komplizierten, gelehrten Aufsatz? Etwa weil ich Angst hätte, jemand könnte mein Wortspiel sonst in die falsche Kehle bekommen? Nein, das wäre wirklich kaum möglich. Es geht um anderes:
Ich denke eher an diejenigen, die vergessen haben, dass der Humor – auch wenn er manchmal dämlich ist – eine göttliche Gabe ist. Ja, das mein ich wirklich.
Wissen Sie, was passiert, wenn er verschwindet der Humor? Ein Beispiel:
Am Führerhauptquartier auf der Wolfschanze fragte Hitlers Hoffotograf Heinrich Hoffmann zu Tisch Folgendes: „Warum ist der Schwanenhals so lang?“
Gespannt harrte der Diktator der Antwort…“Damit der Schwann nicht absäuft!“, setzte Hoffmann fort.
Hitler, so steht es in den „Tischgesprächen“, lachte so herzhaft, dass er seine Augen mit der Hand verdeckte.
So sieht das Lachen in einer Diktatur aus…
Nein, diese Woche lieber kein politischer Kommentar. Die Zeiten werden (zumindest für die Newsjunkies) derart düster und ungemütlich, dass man manchmal gern leichte Kost konsumieren – und schreiben – will.
Wie wäre es also mit ein paar Krankheiten? Nicht irgendwelche Krankheiten, sondern deutsche. Freund Ian in den USA hat mir letzte Woche einen Link zu einer Seite „Mental_Floss.com“ geschickt. Hirnzahnseide.com also. Dort erschien ein Text mit dem Titel: „Fifteen Unique Illnesses You Can Only Come Down With in German“. 15 kulturspezifische deutsche Krankheiten also. Die Autorin, Arika Okrent, ist amerikanische Sprachwissenschaftlerin.
Auf geht’s und gute Besserung:
Ganz oben auf Frau Okrents Liste steht der „Kevinismus“, eine Krankheit, die, so die Autorin, Deutsche, mit dem Namen „Kevin“ heimsucht. Das Hauptsymptom dieses Zustands scheint Lernprobleme in der Schule zu sein. Wer „Justin“, „Dennis“ oder „Mandy“ heiße, seien ebenso anfällig. Der Grund: Bei diesen Namen handelt es wohl um amer. Modenamen, die die Lehrer aggressiv und voreingenommen machen. Bin mir nicht so ganz sicher. Mein ältester Sohn war mal mit einem schlauen Kevin in der Schule, und ich kenne einen klugen Dennis. Ich kann mich lediglich erinnern, dass es mal an einem nachrichtenarmen Tag einen langen Artikel zu diesem Thema in der Zeitung gegeben hat. Ahhhh! Nachrichtenarme Tage…wie schön.
Aber weiter: die „Föhnkrankheit“. Nein, hier hat Frau Okrent recht. Auch mir war die „Föhnkrankheit“ fremd, als ich nach München kam. Es gibt sie aber tatsächlich. Darüber hab ich sogar mal einen Artikel geschrieben. Sie kommt zu Zeiten von Luftdruck- oder Temperaturschwankungen vor. Der Föhn (vom lateinischen „favonia“, einem Wind aus dem Süden) gibt’s also echt. Aber eine „deutsche“ Krankheit? Man muss einer amer. Sprachwissenschaftlerin vielleicht verzeihen, wenn sie zwischen Deutschland und Oberbayern nicht unterscheiden kann. Erstes Gesetz des Journalismus: Fakten verwischen! Unterhaltung ist höher zu bewerten als Sachkenntnis.
Der „Kreislaufzusammenbruch“. Eine deutsche Krankheit? Als ich 1975 in München eintraf, wurden mir zuallererst zwei Dinge ausgehändigt. Das erste war mein ganz persönlicher Artikel. Ich hieß also nicht mehr bloß „PJ“, sondern der „PJ“. Als zweites bekam ich einen Kreislauf. Und dann beteuerten alle, er sei gestört.
„Mir geht’s heute nicht gut.“
„Ja, hast es wohl mit dem Kreislauf.“
Usw. Da ich bis dahin nicht wusste, dass ich einen Kreislauf hatte,, war ich bereit meine „Kreislaufstörung“ als deutsche Krankheit anzunehmen. Ein „Kreislaufzusammenbruch“ aber? Das ist was anders. Auch Amerikaner kollabieren, oder? Kann doch jeder.
Aber weiter. Bei der „Ostalgie“ hat Frau Okrent natürlich recht. Doch das „Wertherfieber“? Das gab es wohl mal vor 250 Jahren aber nur kurz. Heute versteht man darunter lediglich den Frust der Schüler, wenn sie in der 10. Klasse gezwungen werden, dieses altertümliche Werk zu lesen. Die „Frühjahrsmüdigkeit“ lass ich hingegen als spezifisch deutsche Krankheit tatsächlich gelten. Engländer und Amerikaner halten es genau umgekehrt. Wir kennen nur das „spring fever“, was wintermüde Geister wahnsinnig munter macht.
„Weltschmerz“, „Ichschmerz“, „Lebensmüdigkeit“,„Zivilisationskrankheit“. Sorry. Die ersten drei heißen auf Englisch „world weariness“, Letzeres ist „back to the roots“ oder „back to nature“ usw. Warum hab ich das Gefühl, dass die Autorin auf Biegen und Brechen 15 Krankheiten aus dem Boden stampfen will? Damit der Text nicht zu kurz bleibt? Wie wär es mit der „Zeitkrankheit“. Kenne ich gar nicht. Der Duden versteht darunter „burnout“. Burnout eine deutsche Krankheit? „Burnout“ ein deutsches Wort?
Wir nähern uns zum Glück dem Ende zu. Und da findet man den „Hörsturz“. Aber wirklich! Das erste (und einziges) Opfer dieses Gebrechens, das ich jemals kennenlernte, war ausgerechnet ein Amerikaner und – wie es der Zufall haben wollte – ein gestresster Journalist.
Es bleiben uns nur noch den „Putzfimmel“, die „Torschlusspanik“ und den „Fernweh“ zu erwähnen. Doch allmählich kommt mir diese Liste selbst als Krankheit vor…
Willkommen im Informationszeitalter, liebe Lesende. Auch wenn man nichts zu sagen hat, hat man viel zu sagen. Wäre schön, wenn dies (zumindest teilweise) auch für die düsteren Meldungen der letzten Tage stimmen würde.
Endlich verstehe ich, warum es Krieg gibt.
Was? Sie glauben mir nicht? Sie meinen, ich will Sie mit einem solchen provokativen Aufhänger bloß tiefer in meinen Text hineinlocken.
Weit gefehlt. Ich kann’s wirklich erklären.
Und zwar anhand von der folgenden Aufgabe:
Übersetzen Sie den beiliegenden Satz ins Deutsch: „The nature is wonderful,“ said Jean-Louis.
Achtung Fangfrage! Diese Aufgabe ist verzwickter als Sie vielleicht ahnen.
Schon fertig? Lautet Ihre Antwort etwa: ‚„Die Natur ist wunderbar“, sagte Jean-Louis?‘ Sorry, diese Antwort ist falsch.
Wieso? Ganz einfach: Der Satz, ‚„The nature is wonderful“, said Jean-Louis‘, ist schlechtes Englisch. Den Regeln des englischen Sprachgebrauchs zufolge darf man in diesem Zusammenhang „the nature“ gar nicht sagen. Korrekt wäre „nature“ – also ohne Artikel. „Nature is wonderful“ müsste es auf Englisch heißen.
Fakt ist: Wir bilden Abstrakta wie „love“, „philosophy“, „war“, „biology“ oder „nature, stets ohne Artikel. Nur wenn ein abstraktes Wort einen konkreten Bezug bekommt, wird es dann mit einem Artikel versehen: „the nature of reality“, „the philosophy of Plato“, „The War of Roses“, „the biology of marsupial digestion“ usw.
Das mit den Artikeln ist im Englischen eine verdammt komplizierte Angelegenheit. Deutsche, Franzosen, Italiener usw. müssen, wenn sie Englisch lernen, arg umdenken. Die Armen Russen und Chinesen sind besonders schlimm dran: Sie kennen in ihren Sprachen gar keine Artikel! Im Englischen hängt der Gebrauch des Artikels häufig mit der Frage zusammen, ob man etwas zählen kann oder nicht. Abstraktionen kann man verständlicherweise nicht zählen. Es gibt nur „philosophy“. Zählen kann man lediglich verschiedene philosophische Richtungen: „the philosophy of Plato“, „the philosophy of love“, „the philosophy of fools“ usw. Man kann „apples“ zählen, „love“ aber nie.
Ein Englisch Muttersprachler erkennt, wenn er ‚„The nature is wonderful,“ said Jean-Louis‘ vernimmt, sofort, dass das Englisch hier absichtlich falsch ist (freundlicher Hinweis: wegen des Namens „Jean-Louis“). Er stellt sich sogar vor, dass „Jean-Louis“ den Satz mit französischem Akzent parliert. Und so kann man’s auch schreiben. Etwa: „Zee nay-chur-r-r eez wan-der-fol.“ (Folgendermaßen auszusprechen: sie näj-tschur-r-r is uan-der-vall oder so ähnlich).
Doch zurück zur Prüfungsaufgabe: Wie soll man diesen Satz ins Deutsche übersetzen? Hier die Antwort: Man müsste ihn so übersetzen, dass man den Franzosen heraushört! (Die Sache mit dem Artikel kann man im Deutschen vergessen. „Die Natur ist wunderbar“ ist nämlich fehlerfreies Deutsch). Man könnte aber schreiben: ‚„Die Natüür, sie ieß wunder-r-r-schö-ö-ö-n, oui?“ sagte Jean-Louis.‘ Nur ein Vorschlag.
Tja. Wenn die kleinsten Partikel einer Sprache eine derartige Erklärungsnot hervorrufen, liegt es auf der Hand, dass sich die Menschen wegen der dümmsten Kleinigkeiten immer wieder in die Haare kriegen. Ja. darum gibt es Krieg. (Okay, es gibt auch andere Gründe – z.B. Machtgier usw.).
Es passiert jedenfalls blitzschnell, und plötzlich ist die Natur doch nicht mehr so wunderbar.
Stammlesenden dieser Beiträge ist mit Sicherheit aufgefallen, dass diese Webseite in den letzten Tagen spurlos vom Cyberäther verschwunden war.
Wer Sprachbloggeur.de anpeilte, wurde mit einer kurzen,
englischsprachigen Botschaft (warum ausgerechnet auf Englisch?) überrascht, die ohne Umschweife erklärte: Forbidden!. Also verboten. Dazu erschienen eine Zahlenangabe (wohl ein Code) und ein paar Worte, die in etwa erklärten: Schleichen Sie sich! Sie haben hier nichts zu suchen!
Auch ich wurde von dieser schroffen Botschaft überrascht. Da ich aber der Lehre des Philosophen Epiktet folge, wusste ich: Vieles kann man im Leben nicht ändern. Also habe ich resigniert und sachte mit den Achseln gezuckt – eine Einstellung, die mich zum Gedanken führte: Ist alles ohnehin vergänglich, auch diese Webseite. Ja, erst recht eine Webseite. Denn sie (und ihr Inhalt) existieren – im besten Fall – nur so lange der Strom fließt und die Hardwarekontakte nicht oxidieren.
Das war meine erste Reaktion. Die zweite war vergleichsweise düsterer: Bin ich vielleicht Opfer einer Cyberattacke geworden? dachte ich. Immerhin: Der Titel des vorigen Beitrags lautete „Sind Sie noch immer Charlie?“ (siehe da), nicht wahr?
Nun wurde ich beunruhigt. Steckt die NSA dahinter? fragte ich mich. Doch was hätten die Amis für einen Beweggrund, ausgerechnet den Sprachbloggeur zu sabotieren? Oder waren es radikale Muslime – Al Kaida, oder der ISIS oder Boko Haram? Kaum sehen diese Fanatiker das Wort „Charlie“, sann ich, wollen sie im Namen des ewigen Dschihad eine Stadt oder eine Webseite auslöschen. Oder es waren die Separatisten in Donezk! Die meinten vielleicht, ich sei zu ukrainefreundlich. Doch ich konnte mich nicht erinnern, dass ich dieses Thema überhaupt angestreift hatte. Aber wer weiß?
Okay. Ich gebe zu: Diese Überlegungen klingen sehr nach Verschwörungstheorie. Aber so ist es, wenn man keine besseren Ideen hat. Und meine Paranoia ist ohnehin zahm im Vergleich zu der von anderen.
Zum Beispiel den „Killuminati“-Anhängern. Noch nie davon gehört? Ich habe die Seite neulich auf Facebook besucht. Man muss kein Facebook-Konto haben (ich hab keins), um die Beiträge dieser Organisation zu „durchblättern“. Immerhin findet man Interessantes. Zum Beispiel, dass die CIA – oder war es der Mossad? – hinter den Morden in Paris steckte. Oder dass die Familie Rothschild „Charlie Hébdo“ vor nicht so langer Zeit erworben habe. Demnach wären die Morde in Paris lediglich eine Inszenierung, um die Auflage des satirischen Blattes in die Höhe zu treiben. Immerhin wurden inzwischen 7 mio Exemplare gedruckt. Kein schlechtes Geschäft, gell?
Man findet aber Hinweise auf zahllose Verschwörungen auf dieser Seite. Am besten schauen Sie aber selber hin. Immerhin: Über 500.000 Deutsch Sprechende haben diese Seite auf Facebook mit einem freundlichen„like“ beglückt.
Wer sich für Etymologie interessiert, sollte Folgendes wissen: Der Name „Killuminati“ ist eine Zusammenstellung aus „kill“ und „Illuminati“. Letzteres Wort, einst der Name einer kleinen, schrägen, europäischen intellektuellen Bewegung am Ende des 18. Jts, gehört zu den Lieblingsfeinden aller heutigen Verschwörungstheoretikern. Diese vermuten „Illuminati überall – vor allem in hohem Amt. Der Rapsänger, Tupac Shakur, habe das Wort aus dem Boden gestampft, heißt es übrigens. Ich vergesse aber, warum. Entweder wollte er sich über die Verschwörungstheoretiker lustig machen, oder er war selbst einer. Kann mich leider nicht mehr erinnern. Kann jeder aber selbst googeln.
Ich finde es jedenfalls schön, wenn man an etwas glauben kann, zumal Glauben kein Wissen ist.
Deshalb denke ich: Warum sollte ich weniger anfällig für Verschwörungstheorien sein wie jeder andere? Aber dann erhielt ich eine Mail von meinem Provider, Herr P. Er teilte mir mit, dass der Server eine ernste Panne gehabt hatte. Nach ca. 5 Tagen wurde sie aber behoben. Was heißt behoben? Mein „Sind Sie noch immer Charlie“-Beitrag von der vorigen Woche war plötzlich spurlos verschwunden. Hmmm, (Keine Sorge: Ich hab’s aber wieder eingesetzt) und alle Kommentare der letzten Jahre an den Sprachbloggeur sind ebenfalls weg. Vielleicht sind sie wieder da, wenn Sie diesen Beitrag lesen. Ich hoffe es, jedenfalls.
Die gute Nachricht: Der Sprachbloggeur ist auf einen nagelneuen Server umgezogen. Merken Sie die Frische? Hier quietscht es, wie wenn man neue Schuhe einläuft. Und solange keiner den Strom abschaltet (Rothschild? Al Kaida? Beide? CIA?) stehe ich Ihnen weiterhin gerne zu Diensten.
Erinnern Sie sich, als letzte Woche jeder noch „Charlie“ war? War ein Gaudi, gell? Ein gemütliches Gefühl der Solidarität, etwas, das Englisch Sprechende mit den Worten „warm and fuzzy“ bezeichnen, d.h., „warm und weich“, das Gefühl, das man, eingewickelt in einer warmen, Kaschmirdecke an einem kalten Abend, oder im Verlauf einer intimen Zweisamkeit, empfindet.
Ja, warm and fuzzy.
Wären damals nur die Juden im koscheren Supermarkt dran gewesen, hätte wohl kaum einer, „je suis Juif“ bekundet. Manche hätten vielleicht gedacht: „Ja mei, aber machen die nicht das gleiche in Gaza?“ usw. Oder wenn es nur Polizisten gewesen wären, hätten sich die Proteste wohl auch in Grenzen gehalten mit der Begründung: Tja, Pech gehabt, Arbeitsrisiko halt.
Es waren aber Blattmacher der Redaktion des satirischen Zeitschrift „Charlie Hébdo“, die massakriert wurden, genauer gesagt, es war ein Angriff gegen die freie Presse, gegen die Grundwerte der europäischen Gesellschaft also. Starker Tobak – erst recht in der Grande Nation. Auch für die islamische Welt, die momentan mit einem ernsthaften Image-Problem zu kämpfen hat, gab der Überfall Grund zur Sorge. Da meldeten sich in vielen islamischen Ländern verschiedene Stimmen aus der Politik – und aus dem Volk – , um sich vom feigen Mordüberfall zu distanzieren und ihn als „nicht im Einklang mit dem Islam“ usw. zu bezeichnen. Auch die um Gunst werbende Hamas drückte ihr Beileid aus. Dito die Hisbollah. Nur für den Mord an die Juden im koscheren Supermarkt zeigten sie Verständnis. Der Attentäter wurde sogar zum Märtyrer erklärt.
Egal. Alles ohnehin nur vorübergehende Regungen, die bald in Vergessenheit geraten. Denn schließlich geht das Leben – zumindest für die Lebenden – weiter. Gell?
Aber wie der Zufall es haben wollte, geschah beinahe zeitgleich mit – allerdings ohne Bezug zu – dem Massaker in Paris ein anderes furchtbares Ereignis: der grausame Überfall auf das Dorf Baga im nördlichen Nigeria. Noch nie von Baga gehört – oder vielleicht nur am äußersten Rande des Bewusstseins? Zur Erinnerung: Anhänger der fanatischen Boko-Haram-Bewegung in Nigeria hatten, während Gesinnungsgenossen in Paris rumballerten, diese Kleinstadt Baga dem Erdboden gleich gemacht. Augenzeugen berichteten von ca. 2000 Toten. Manchen Quellen zufolge waren es vielleicht nur einige Hunderte. Wer will aber über Zahlen streiten, es sei denn, man macht gerade ein Geschäft?
Haben irgendwo entsetzte Massen ausgerufen: Je suis Baga? Sicherlich haben hie und da manche mit dem Kopf fassungslos geschüttelt. Aber nur kurz. Und wie lange hat das Entsetzen wegen des Mordes in Pakistan an 143 Schüler gehalten, die vom Taliban verübt wurde?
Seien wir ehrlich: Menschenleben sind im Grunde billig – nicht nur für ihre Mörder, sondern auch für uns. Mit einer Ausnahme: Sie gewinnen stets an Wert, wenn sie als Symbol für etwas instrumentalisieren lassen.
Man könnte fast meinen, dass jedes Verbrechen wie ein Wort ist. Das heißt: Man versteht am besten diejenigen der eigenen Sprache. Denn nicht jeder hat ein Talent für Fremdsprachen.
Tote in Baga? Was soll’s. Es waren ohnehin Afrikaner (bzw. „Neger“). Tote in Pakistan? Ja, der Taliban. Die bringen sich ständig gegenseitig um usw.
Habe ich gesagt, dass Verbrechen wie Wörter sind? Ich sollte mich präziser ausdrücken: Sie sind Modewörter. Das heißt: Sie haben meistens ein Verfallsdatum. Wer letzte Woche Charlie war, ist es diese Woche vielleicht nur noch ein bisschen. Ist ja normal, dass die Dinge altern.
Es wird aber lustiger: Kaum eine Woche nach der Mordserie protestieren bereits in islamischen Ländern Hunderttausende gegen die Veröffentlichung der neuen, posthumen Ausgabe von „Charlie Hébdo“, die für Europäer gleichsam als „Souvenirheft“ millionenfach gedruckt und begehrt wird.
Während Europäer Schlange stehen, um ein kostbares Exemplar zu ergattern, regen sich Muslime wegen des Coverbildes auf. Dieses zeigt nämlich einen Menschen mit Turban, der weint und deklariert „Je suis Charlie“. Die Protestierenden halten diese Figur indes für eine „Mohammed-Karikatur“. Ich bin übrigens anderer Meinung. Ich glaube, dass diese Figur lediglich ein Symbol für die islamische Welt darstellen soll. Als zusätzliches Zeichen der Versöhnung steht auf dem Cover der Spruch: „Tout est pardonné“, also „alles ist verzeihen“.
In Niger starben bisher ein Dutzend Menschen wegen der heftigen Randalen. Sieben Kirchen wurden in Brand gesteckt. In Tschetschenien wurde die neue Ausgabe des „Charlie Hébdo“ von der dortigen Regierung als nützliches Mittel instrumentalisiert, um das ganze Land gleichzuschalten. Auch in Peschawar, wo der Taliban neulich 143 Schüler ermordeten, schwärmen tausende Protestierende auf die Straßen…
Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll. Ich bin total ratlos und war ohnehin nie Charlie.
Haben Sie auch neulich Post von der Deutschen Bahn erhalten? Bei mir schneite erst vor ein paar Tagen eine Art Faltbrief von der DB ins Haus rein.
Er war auf Glanzpapier gedruckt. Auf der Adressenseite las man den Spruch „Jetzt Grün sehen“ (natürlich grün gedruckt) und darunter in einem Kästchen die Worte „GO GREEN“. Die aufgedruckte Briefmarke zeigte grüne Bäume auf einem hellgrünen Hintergrund, daneben das Wort „Infopost“.
Ich schaute auf die Kehrseite. Unterhalb der weißen Lasche war die hübsch abstrahierte Darstellung eines Immergrüns mit der spritzigen Aufschrift „Tanne statt Tonne“. Netter Spruch, dachte ich.
Ich zog die Lasche hoch und sah auf ihrer Rückseite zwei abstrahierte Tannen mit der Aufschrift: „Ihr ‚Ja‘ für zwei Bäume“.
An diesem Punkt gelangt, so nehm ich an, werfen die meisten Menschen eine derartige Mitteilung schnurstracks in den Müll. Ich nicht. Ich war noch immer neugierig und faltete den Faltbrief auf. Er war lang wie ein Leporello.
Aber jetzt genug Details. Sonst werde ich Sie bald einschläfern. Lediglich die Kernbotschaft dieses Sendeschreibens möchte ich Ihnen nicht vorenthalten: Der Adressat sollte animiert werden, eine Postkarte vom Leporello abzutrennen und diese – unterschrieben – an die DB zurückschicken.
Mit dieser Unterschrift hätte die DB das Recht, Sie endlos mit Email-Werbung zu berieseln. Als Köder für diese Bewilligung versprach die DB für jedes „Ja“ einen Baum zu pflanzen. Und:
„Zudem erhalten Sie für Ihre Unterschrift 250 Prämienpunkte, die Sie bis zum 31.03.2015 für die Pflanzung eines zweiten unter www.bahn (etc.) an das Bergwaldprojekt spenden können.“
Wie bitte? dachte ich. Heißt das, dass ich 250 Prämienpunkte bekomme, aber nur um sie für einen zweiten Baum auszugeben?
In diesem Augenblick fiel mir das Wort „Hype“ ein – was nicht bedeutet, dass ich diesen Dreh der DB-Marketingleute nicht bewunderte. Das Verwirrspiel mit Prämienpunkten, Umweltgewissen usw. ist echt klasse.
Doch so viel zum im Titel versprochenen Beispiel. Jetzt geht’s ums Spachliche, also um die Vokabel „Hype“ – sprich „heipp“.
Dieses amer. Fremdwort hat sich erstaunlich schnell im deutschen Wortschatz eingebürgert. Es steht sogar schon im Duden, besitzt also sozusagen zwei Pässe. Wörter haben es oft viel einfacher als andere Migranten. „Hype“ war obendrein kein Flüchtling.
Etwas stört mich an diesem Wort aber. Und zwar: Warum heißt es der und nicht
Zweites Problem: Dieses Wort wird im Deutschen so wohl im Singular wie auch im Plural benutzt: „der Hype“ und „die Hypes“.
Englischsprechende, wie ich einer bin, halten es für abartig, wenn ein Wort wie „Hype“ in der Mehrzahl gebraucht wird. Es klingt so…unenglisch. In meiner Muttersprache unterscheiden wir nämlich sehr streng zwischen Wörtern, die zählbar sind (also „house“, „apple“ „car“ usw.) und denen, die unzählbar sind. Das sind meistens abstrakte Nomen, etwa „freedom“, „wisdom“, „information“ und halt „hype“.
Ich bin der Meinung, dass nur Prämienpunkte zählbar sind. Fürs dt. Ohr ist jeder einzelner Punkt wohl ein „Hype“ für sich. Das wissen die Marketingleute, nehm ich an. Sie kennen ihre Pappenheimer. Auch Pappenheimer sind zählbar.
Mehr muss man über Hype nicht erklären.
PS: Bin nächste Woche wieder auf Forschungsreise. Noch unklar, ob ich nächste oder erst übernächste Woche den nächsten Beitrag veröffentliche.
Was? Schon wieder geht ein Jahr zu Ende! Wo war ich bloß die ganze Zeit? Ja, wo war ich bloß?
Haben Sie gewusst, dass ein Mensch, je länger er lebt, sich an immer weniger erinnern kann? Am Schluss hat er – wenn er Glück hat – vielleicht 5% seiner Lebenserfahrungen vor dem Vergessen gerettet.
Womöglich sind 5% sogar etwas hochgegriffen.
Manchmal frage ich mich, wo die restlichen 95% geblieben sind.
Ja, man geht manchmal wie ein Schlafender durchs Leben, der die meiste Zeit nur träumt. Oder wie ein Flugzeug auf Autopilot.
Zum Beispiel die kurze Liebschaft mit A. in meiner Jugend. Sie hielt nur eine Woche. Ich kann mich noch heute bestens an die ersten zarten Annäherungen erinnern – Detail für Detail sogar. Der Rest existiert nur als einige wenige Fetzen des Bewusstseins. Habe ich so tief geschlafen? Wieso ist das alles heute unzugänglich geworden?
Informatiker unterscheiden zwischen Daten und Information. Ersteres sind jene gespeicherten Fakten, die nicht mehr zugreifbar sind. Letzteres die Fakten, die noch ins Bewusstsein gerufen werden können.
Es ist immer passend am Ende eines Jahres ans Vergessen zu denken. Denn ich weiß aus Erfahrung, was mit den Ereignissen eines jeden Jahres geschieht. Allmählich wird 2014 an Profil verlieren, was mit 2013 schon der Fall ist. Auf einmal weiß man nicht mehr, ob die Italienreise 2012 oder 2011 war. Und wann waren wir dann in London? Aber genug. Vielleicht ist Ihr Gedächtnis besser als meins.
Thema zwei: Seit Jahren ist es mein Usus am Ende eines Jahres hier ein paar Dankbarkeitsbekundungen auszusprechen. Auch in diesem Jahr soll das der Fall sein. Denn es gibt jedes Jahr vieles, wofür ich dankbar bin.
Zum Beispiel, dass ich ich bin und nicht „Dschihadi-John“ (oder wer sich auch immer hinter diesem Namen verbirgt). Welch dröge Vorstellung: seine Zeit mit dem Ermorden von Unschuldigen zu verbringen und dies obendrein im Namen eines „barmherzigen“ Gottes!
ich bin auch dankbar dafür, dass ich nie auf die Idee gekommen bin, Schulkinder – auch im Namen eines Gottes(!) – gezielt abzuschlachten. Und ich bin dankbar, dass ich nicht bereit bin, Menschen leiden und sterben zu lassen, nur weil ich mich an der Macht festgebissen habe.
Ich bin dankbar dafür, dass ich keine hilflosen alten Menschen ausfindig mache, um mich dann als das verschollene Enkelkind auszugeben, um sie dann kaltschnäuzig auszunehmen. Ich bin auch dankbar, dass ich diese Masche nicht erfunden habe.
Ich bin dankbar, dass ich keine verfälschten Medikamente herstelle, um sie profitabel zu verkaufen. Ich bin dankbar, dass ich noch nie auf die Idee gekommen bin, millionen von Spams durch die Welt zu schleudern.
Ich bin dankbar, dass ich kein Bedürfnis habe, andere für eigene geschäftliche Zwecke zu missbrauchen. Ich bin dankbar…
Wissen Sie, es gibt vieles, wofür ich dankbar bin. Zum Beispiel, dass Sie meine Zeilen lesen. Ja, Sie. Denn ich schreibe immer in der Hoffnung, dass Sie das lesen werden, was ich geschrieben habe. Ohne Sie bin ich kein Schriftsteller, sondern Tagebuchschmied.
Auch wenn ich ein schlechtes Gedächtnis habe (oft vergesse ich, worüber ich vor ein paar Monaten geschrieben habe), macht es mir Spaß, für Sie zu schreiben. Wenn man die Details einer Liebschaften vergessen kann, warum nicht auch andre schöne Dinge?
In diesem Sinn: Ihnen ein gutes, gesundes und glückliches 2015.
Ihr Sprachbloggeur
Ich muss, liebe Lesende, nach Weihnachten daran denken, das Geld, das viele Geld, das mir in letzter Zeit wie durch ein Wunder zugeflogen ist, abzuholen. Doch jeden Tag vergesse ich an meine Gönner zurückzuschreiben, um die Modalitäten des Transfers zu erfahren. Dann zack! Es geht wieder los, und prompt trifft die nächste frohe, lukrative Botschaft ein. Mehr Geld!
Meistens kommen die Mails aus Afrika, Urwiege der Menschheit – oder meine ich „der Menschlichkeit“? Zum Beispiel, die Mails vom Reverend Robert David oder von Sister Edith, die mir neulich im Namen von Jesus Christus anschrieben, oder Mrs. Hala Almofty, die mir liebenswürdigerweise im Namen des allmächtigen Allah beglückwünschte. Diese Wohltäter teilen mir jedesmal dasselbe mit: dass ausgerechnet ich auserwählt wurde, um eine Unsumme zu erben. Meistens sind es Dollarbeträge.
Ja, dieses Jahr weihnachtet es bei mir besonders kräftig.
Aber wie kommen diese gütigen Menschen auf mich? Das frag ich mich oft. Keine Ahnung. Man freut sich dennoch. Geld ist schließlich Geld, gell? Und wie der römische Kaiser Vespasian einst verlautbaren ließ: pecunia non olet. Geld stinkt nicht.
Die kinderlose Juliana Desmond, zum Beispiel, lebte, nachdem ihr steinreicher Ehemann gestorben war, in Saus und Braus. Doch nun ist sie an Krebs erkrankt, und plötzlich will sie ausgerechnet mich als ihren Erben einsetzen. Ulkig. Vielleicht war sie mal Leserin des Sprachbloggeurs. Nur eine Theorie. Aber in solchen Augenblicken denke ich, dass sich der öffentliche Auftritt doch lohnt!
Und dann kam die Mail von Mrs. Joan Williams, die mich im Auftrag vom Uno-Chef Bank-ki Moon persönlich kontaktierte. (Notabene: Frau Williams schrieb tatsächlich „Bank-ki Moon“ und nicht „Ban-ki Moon“). Ich zähle, so meinte sie, zu den 5000 „Scam-Opfern“, die weltweit durch skrupellose afrikanische Phisher um eigenes Geld gebracht wurden. Nun will sie Buße tun. Von daher soll ich sage und schreibe 5 mio US-Dollar erhalten. Fakt ist: Ich war nie das Opfer skrupelloser afrikanischer Phisher. Ich sage aber nix. 5 mio sind schließlich 5 mio. Gell?
Aber was soll ich mit dem viel Geld machen?
Nur eins steht fest. So bald das amerikanische Finanzamt von der Sache Wind bekommt, wird es heftig zulangen. Vielleicht wissen Sie’s nicht. Wir amerikanische Staatsbürger werden, wenn wir mehr als 90.000 Dollar im Jahr im Ausland verdienen, doppelt besteuert. In Klartext bedeutet das, dass ich meine Millionen nicht nur mit dem deutschen Fiskus teilen muss, sondern auch mit den Amis. Komisch, nicht wahr?
Es gibt auf der ganzen Welt nur zwei Länder, die ihre im Ausland lebenden Bürger dazu zwingen, eine jährliche Steuererklärung abzugeben. Das sind die USA und Äthiopien.
Auf Englisch werden wir „Expatriates“ genannt. Früher war ich überzeugt, dass das Wort „Expatriot“ heißt – als wär ein im Ausland lebender US- Staatsbürger gleichsam ein gewesener Patriot. So einfach bekommt man auch die eigene Muttersprache in der falschen Kehle, wissenS‘.
Vielleicht ist es okay, wenn das amerikanische Finanzamt seinen Anteil meiner Millionen für sich absahnt. Denn schließlich war auch jeder Expatriot mal ein richtiger Patriot, oder? Außerdem könnte ich jederzeit, wenn ich wollte, in die alte Heimat zurückkehren und mir – da ich sowieso unbescholten bin – eine hübsche Knarre ergattern –mehrere sogar. Und mit dem vielen Geld, das mir übrigbleibt (auch nachdem der amer. und der dt. Fiskus zulangten), könnte ich mir mühelos die teuersten und geilsten Waffen gönnen, die es gibt. Selbstverständlich nur die legalen.
Irgendwie schön ein Weltbürger im 21. Jahrhundert zu sein.
Danke Afrika! Danke Deutschland! Und danke USA!
Ihnen allen ein frohes Weihnachtsfest.
Das wünscht mit ganzem Herzen Ihr Sprachbloggeur
Nein danke, von mir kein passioniertes Plädoyer für oder gegen den Gebrauch der deutschen Sprache zuhause bei Familie Ausländer.
Ich hab’s jedenfalls nicht getan. Im Gegenteil. Ich habe mit meinen Kindern konsequent Englisch gesprochen. Wahrscheinlich der Grund, weshalb ich bis heute gewisse Fehler mache, wenn ich Deutsch spreche – und schreibe. Vielleicht haben die Politiker doch recht, gell?
Erst letzte Woche stellte ich fest, dass ich, obwohl ich als Migrantler Jahrzehnte lang in Deutschland lebe, das Wort „Salz“ unentwegt mit dem falschen Artikel versehe. Ich war felsenfest überzeugt, dass es der und nicht das Salz hieß. „Der Salz der Erde“ tönte ich, wenn ich meine Deutschkenntnisse zur Schau stellen wollte. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass hier der Artikel falsch ist.
Bei der Vokabel „Zucker“ war die Fehlleistung andersrum. Das Zucker sagte ich stets.
Ja, vielleicht haben die Stimmviehtreiber doch recht. Vielleicht hätte ich dahoam mit der Familie doch nur Deutsch reden müssen. Zum Glück haben es die Kinder richtig gelernt.
Zum Beispiel gestern waren wir, d.h., meine Frau und ich, zu einem leckeren und prächtigen Essen eingeladen. Pute stand zwar nicht auf der Tageskarte, trotzdem kam ich im Lauf des Gesprächs dazu, über Puten (nicht Putin) zu reden. Ich sagte aber der Pute. Meine Frau korrigierte leise. Verdammt, dachte ich. Schon wieder ein Fehler.
Und ich dachte reumütig: Wenn wir daheim bloß die Sprache der Leitkultur benutzt hätten, dann wäre meine Pute bestimmt weiblich gewesen, und jeder hätte gedacht: Mei, ist der ja integriert. Aber nein. Ich talkte stets Englisch mit Frau und Kindern.
Zugegeben: Das Englische hat irgendwie einen anderen Stellenwert als viele Migrantensprachen. Meine Sprache wird sogar als Pflichtfach in der deutschen Schule unterrichtet und ist oft unentbehrlich für den Beruf. Gleiches kann keiner behaupten, dessen Muttersprache, Bangla, Ma’alula oder Tagalog ist.
Im Nachhinein denke ich, dass Freund E. es vielleicht richtig gemanagt hat. Er, wie ich, gebürtiger Amerikaner, hat nie mit seinen Kindern English getalkt. Im Gegenteil. Jahrelang hab ich ihm eingeschärft: „Es wäre für sie eine einmalige Gelegenheit! Es wird ihnen später auch in der Schule und im Berufsleben weiterbringen!“ Seine Antwort war stets: „Yeah yeah.“
Inzwischen ist sein Sohn J. im Gymnasium. J. erzählte mir neulich von seiner Englisch Schularbeit. Eine Frage lautete: „Bitte mit der richtigen Präposition ergänzen: There are many cars parked___ the street.“ J. antwortete die Frage mit „on“, was eigentlich richtig ist. Vielleicht hat ihm sein Vater irgendwie doch durch Osmose etwas Englisch ins Ohr gesetzt. Die Lehrerin war mit J.‘s Antwort allerdings nicht einverstanden. Sie meinte, es müsse „in“ heißen.
„Welche Antwort ist denn richtig?“ fragte mich J.
„ˈOnˈ“, erwiderte ich. „Deine Lehrerin hat’s falsch im Ohr.“
„Das habe ich auch gemeint“, funkte nun E. dazwischen.
„Sag es ihr denn.“
„Sinnlos. Sie glaubt uns ohnehin nicht“, entgegnete J. resigniert.
„Sag ihr denn, dass sie sich mit dem Sprachbloggeur in Verbindung setzen sollte …“
Das hat die Lehrerin bisher leider nicht getan. Wahrscheinlich ist auch sie davon überzeugt, dass Migrantler zuhause lieber Deutsch reden sollten.
Verdammt! Ich habe irgendwie doch ein Plädoyer über dieses Thema geschrieben!
PS: Nächster Beitrag in zwei Wochen. Bin weiterhin auf Forschungsreise.
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