Sie möchten vielleicht eine Fremdsprache – zum Beispiel das Englische –mit der gleichen Souveränität beherrschen, die Sie in Ihrer deutschen Muttersprache an den Tag legen.
Mein Rat: forget it. Zumindest, wenn Sie einer sind wie ich. Denn mir fällt nämlich ein Phänomen anheim, das ich als „Synapsenroulett“ bezeichne. Und damit meine ich: Es ist immer Glücksache, ob mein Hirn reibungslos mitmacht.
Zum Beispiel, am Montag. Ich ging zum Zeitungskiosk, um meine „Weltwoche“ abzuholen. Normalerweise tu ich das am Samstag. Naja, früher war es Freitag. Doch etwas mit dem Vertrieb hat sich verändert.
Diese Woche aber war Samstag Feiertag. Das heißt: ich konnte die Zeitschrift erst am Montag abholen…
Ja, liebe Lesende, mir ist klar, dass ich Sie mit ein bisschen zu viel Hintergrund beglücke. Das tut mir leid, aber diese Fakten sind fürs Weitere wichtig. Ich weiß, dass heute alles rasch rasch gehen muss, aber was soll ich tun? Naja, bald sind wir soweit...
Also zurück zu der Zeitschrift. Ich stand am Kiosk und bezahlte. Nun sagte mir der nette Herr (leider weiß ich nicht, wie er heißt) mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht: „Hier ist Ihre Weltwoche – wie immer mit Verspätung!“ Er meinte es gut mit mir. Natürlich wollte ich ebenso heiter antworten.
„Irgendwie scheint es…“ begann ich, doch plötzlich stockte meine Stimme. Ich wollte etwas Witziges antworten; und er wartete sogar auf meine schlagfertige Antwort. Nur: Ich fand die Worte nicht. Sie waren wie verschwunden. Alle. Ich brachte lediglich „…das neue…“ noch raus. Dann hörte ich auf. Alles zu spät und zu unpräzise. Es war ein akuter Anfall der Konsequenzen des Synapsenrouletts.
Inzwischen war ich mit meiner Zeitschrift weitergegangen. Kaum eine Minute später, fiel mir unverhofft das fehlende Wort ein: „Programm“. Ich wollte dem netten Herrn antworten: „Irgendwie scheint es Programm geworden zu sein“ oder so ähnlich. Zugegeben: Es gibt witzigere Repliken, aber meine hätte in der Situation durchaus gereicht, hätten mir die verdammten Synapsen keinen Strich durch die Rechnung gemacht.
Das passiert mir sogar öfter, und zwar seit Jahren. Manchmal verspüre ich den Umriss, bzw. den Rhythmus des fremdsprachlichen (also deutschen) Satzes im Ohr, aber die Worte wollen einfach nicht raus. Ich stehe dann sprachlos da. Kein schöner Zustand.
Ja, so ist es, wenn man in der Fremdsprache lebt, ein Thema, dem ich ein ganzes Buch mit dem Titel, „Wie ich die deutsche Sprache eroberte“, widmete, eine Art „Sprachmemoiren“.
Aber es kommt noch schlimmer: Denn wenn jemand so lange in der Fremdsprache lebt wie ich, leidet auch die Muttersprache. Es kommt deshalb häufig vor, dass mir ein englisches Wort nicht mehr spontan einfällt. In dem Augenblick findet mein Hirn nur noch deutsche Vokabeln oder Redewendungen. Ich fange einen Satz auf Englisch an, verliere den Faden und lande schnell im Abseits. Sehr frustrierend.
Noch frustrierender: Seit Monaten schreibe ich an einem Buch in meiner Muttersprache – das erste Mal seit vielen Jahren. Ich war halt neugierig, ob ich’s noch kann. Als kleine Abhilfe erschuf ich mir einen Erzähler, einen Jüngling, der bis zum neunten Lebensjahr in Amerika lebt und seitdem in München. Mit 22 Jahren will er seine Geschichte erzählen – auf Englisch, der Sprache, die man nur zu Hause en famille redet – gleichsam meine Situation also.
Bald stellte ich aber fest, dass wir beide, mein Erzähler und ich, manchmal vergeblich nach den passenden englischen Wörtern suchten. Manchmal muss ich deshalb im deutsch-englischen Wörterbuch nachschlagen, um eine englische Vokabel zu finden. So etwas ist wirklich sehr ärgerlich für einen Muttersprachler.
All dies nur als Warnung, liebe Lesende. Wer jemals davon geträumt hat, in der Fremdsprache aufzugehen, soll lieber drüber nachdenken, ob es nicht klüger wäre, zuhause zu bleiben.
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