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Gedankensaft zum Thema „Akku“

Armes E-Buchlesegerät. Seit Monaten liegst du rum neben meinem Bett, unberührt, prahlgefüllt mit einer ansehnlichen Bibliothek der Weltliteratur: Goethe, Schiller, Kafka, Vergil, Homer, Bibel, Dante, Cervantes, Byron, Keats, Eliot, Chaucer, Shakespeare, Proust, u.v.a.m.

Trotzdem rühr ich dich nie an. Glaub mir, es ist nicht aus ideologischen Gründen. Immerhin hab ich vielleicht schon einhundert Euro für meine Sammlung der Weltliteratur verpaypalt. (Ja, es waren fast immer die preiswerte Ausgaben). Außerdem hab ich schon ein paar Bücher – ganze Bücher – auf deinem Touchscreendisplay gelesen.

Klar ist es gewöhnungsbedürftig. Aber nicht schlimm. Es geht ja ziemlich intuitiv vonstatten. Man wischt mit dem Finger mühelos übers Display, und schon erscheint die nächste Seite – oder eben die vorige. Egal. Man macht’s, wie man‘s will.

Und bequem ist die Lektüre allemal. Hat man schlechte Augen? Dann bist du für so einen ein Genuss. Man vergrößert nach Gutdünken die Schrift. Liest man in einer Fremdsprache und versteht den Sinn eines Wortes nicht. Man markiert das Wort mit dem Finger und schon bietet das verlinkte Wörterbuch eine passende Übersetzung. Schön, gell?

Trotzdem liegst du so unberührt da rum.

Wieso denn?

Ein Grund: Weil ich wahnsinnig viele Bücher besitze, und irgendwie – ich mein dies beileibe nicht ideologisch – zieh ich’s vor, richtige Bücher in die Hand zu nehmen. Ja, ich geb zu: wegen der „Haptik“ (Neudeutsch vom Griechischen „haptos“, also „fühlbar“).

Nicht nur ich. Viele Leute sagen, dass sie lieber richtige Bücher lesen als E-Bücher – auch viele junge Leute. Natürlich hat jeder (oder fast jeder) heute ein Smartphone, und manche lesen Bücher auf dem Phone.

Kaum ist man aber wieder zuhause, so holt man – ob jung oder alt –ein richtiges Buch aus dem Regal (ich meine, wenn man Bücher noch liest) und vertieft sich darin.

Vielleicht deshalb stagnieren die Verkaufszahlen der E-Bücher – auch in den USA.

Ein zweiter Grund: Das Buch aus Papier ist eine geniale Erfindung. Man kann jede Seite wie der Blitz öffnen. Dagegen ist jedes E-Buch allen klugen Megabytes zum Trotz lahm. Wie viele Seiten muss ich noch lesen, bis das Kapitel zu Ende geht? Schnell blättere ich um. Husch! Erledigt! Viel umständlicher ist dieser Vorgang beim E-Buch.

Dritter und vielleicht wichtigster Grund: Ein Buch hat keinen Akku. Man kann es Jahrzehnte lang fast überall (im Trocknen) rumliegen lassen, dann nimmt man es wieder in die Hand, und liest weiter. Bis dahin hat ein E-Buchlesegerät zwecks einer Tiefentladung den Geist längst aufgegeben.

Ja, das stört mich schon immer bei allen elektronischen Geräten – ob Notebook, Facebook (haha), E-Buchlesegerät, Smartphone, Tablet. Alle laufen auf Zeit. Wie im wahren Leben. Man mietet sich ein, aber irgendwann ist es mit dem Saft zu Ende. Okay, ich gebe zu: Man kann – im Gegensatz zum Leben – einen Akku wieder aufladen. Aber trotzdem.

Nur die Fotografie bildet hier die Ausnahme – zumindest meiner Meinung nach. Denn die Fotografie west in der Einschränkung. Das war schon immer der Fall. Nach 36 Aufnahmen war auch der Analogfilm alle. Ohne Film, keine Bilder. Im Akkuzeitalter kann man viel länger weiterknipsen im Vergleich zu früher. Eine Segnung. Wie immer bestätigt die Ausnahme die Regel.

Was, liebes E-Buchlesegerät? Hast du schon wieder Hunger? Entweder hab ich auf deinem Touchscreendisplay zu viel gelesen, oder du siechst vernachlässigst und von allein dahin, du kleiner Stromfresser.

Zika-Viren für Anfänger

Sie befinden sich in einer flüchtlingskrisenfreien Zone. Hier wird nicht darüber schwadroniert, dass für manche „Neudeutsche“ westliche Frauen „vögelfrei“ seien.

Haha. Sorry. So einem Wortspiel kann ich nicht widerstehen. So ist der westliche Schriftsteller …verspielt halt.

Heute lieber ein paar Gedanken übers Zika-Virus.

Schon davon gehört? Dieses Virus – durch einen Mückenstich übertragen – kann bei schwangeren Frauen zu einer ganz fiesen Missbildung des Neugeborenen führen: zu einer Mikrozephalie. Das heißt: Schädel und Hirn geraten zu klein (vom Griechischen „mikros“ = „klein“ und „kephalos“ = „Kopf“). Allein in Brasilien sind bereits 4000 Kinder in diesem ungünstigen Zustand auf die Welt gekommen.

Inzwischen werden über solche Fällen aus verschiedenen südamerikanischen Ländern berichtet – dito aus Mexiko und der Karibik. In manchen Ländern – etwa Kolumbien – wird momentan von einer geplanten Schwangerschaft abgeraten. Man mutmaßt, dass das Virus, das wohl in Uganda heimisch ist, während der Fußballweltmeisterschaft nach Südafrika und dann nach Brasilien verschleppt worden ist. Manche Experten munkeln, dass es sich auch in den USA ausbreiten könnte. Nur in Kanada wohl nicht.

Erste Fälle gab es bereits in England – von Südamerika-Reisenden mitgebracht.

Nein, hier keine Panikmache. Lediglich der Hinweis, dass übermäßiger Medienkonsum gesundheitsschädigend sein kann.

„Quatsch, Herr Sprachbloggeur. Schließlich haben die Medien die Verantwortung zu informieren.“

Ja, das stimmt. Liebe Lesenden. Auch ich kenne keine Alternative.
Vielleicht geht’s mir, wenn ich übers Zika-Virus nachdenke, lediglich darum, darauf hinzuweisen, wie gefährlich das Leben ist. Meinen Sie nicht, dass wir in manchen europäischen Ländern inzwischen ein bisschen verwöhnt sind? Siebzig Jahre Friede, Krankenkasse, sechs Wochen Urlaub und Smartphones. Was will man mehr? Wer braucht Ärger mit Viren?

Kennen Sie den Roman „Der Untergang der Stadt Passau“ von Carl Amery? Es spielt in dem Bayern einer künftigen Zeit, und zwar einige Jahre nach einer schrecklichen Seuche, die innerhalb Tage 95% der Menschheit dahingerafft hat. Die Überlebenden leben inzwischen in kleinen Dörfern und sind mehr oder weniger autark. So, zum Beispiel, die „Rosmer“. Ihre Siedlung liegt da, wo früher „Rosenheim“ war. Die Großmacht dieser Ära heißt Passau. Die Passauer besitzen nämlich Glühbirnen aus dem alten Bestand von der Zeit vor der Seuche und können – solange der Vorrat anhält – Licht erzeugen. Im Osten sind die Ungarn auf dem Vormarsch.

Damit will ich mit Sicherheit nicht andeuten, dass das mit dem Zika-Virus uns mal Passauer Verhältnisse bescheren wird. Ich denke lediglich daran, dass manche Stories das Zeug haben, sich wie ein Virus zu verbreiten. Das mit dem Zika-Virus z.B. Auf Englisch heißt dieses Phänomen: „The story goes viral“. (Diese Redewendung hab ich in einer anderen Glosse mal angesprochen und meinte damit, es sei nur eine Frage der Zeit, bis sie auch „Neudeutsche“ wird).

Und siehe da! Gerade lese ich im Spiegel-Online folgende Bildunterschrift: „Virales US-Blizzard-Video“. Damit ist natürlich gemeint, dass ein gewisses Video über den jüngsten Blizzard in den USA „viral“ gegangen ist.

Irgendwie haben es die Viren aber etwas schwieriger in der deutschen Sprache viral zu gehen als etwa im Englischen. Ist es Ihnen mal aufgefallen, dass man von „das“ und „der“ Virus reden kann? Wenn sich ein Wissenschaftler über das Zika-Phänomen zu Wort meldet, heißt es das Virus. Reden wir untereinander, also weniger fachmännisch, so heißt es: „Hoffentlich krieg ich den Virus nicht.“

Alles klar?

Das David-Bowie-Syndrom

Wissen Sie noch, wo Sie waren oder womit Sie grad beschäftigt waren, als Sie davon erfuhr?

Zur Erinnerung: Die Nachricht brach ein – also „breaking news“ – wie ein Tsunami: im Fernsehen, im Rundfunk, im Internet . In den papiernen Dinosauriern erst freilich mit Verzögerung, dafür aber heftig und bunt.

Ja, die Post ging ab. Auf Englisch sagt: The story went ballistic, schoss ab wie ne Rakete also. (Hey, „ging ballistisch“ – wäre schön als neudeutsches Idiom, oder?). Oder: The story went viral. Es breitete sich wie ein Virus aus.

Die Rede ist natürlich vom Tod des Popstars David Bowie.

Ich möchte nicht zu sehr anecken oder als pietätlos erscheinen, doch wenn ich ehrlich bin, kenn ich keinen einzigen Song der verstorbenen Idole. Zwar ist mir der Name seit vielen Jahren bekannt (ich bin ihm sogar erst in Deutschland begegnet); doch irgendwie ist mir seine ganze Karriere unsichtbar geblieben. Gleiches gilt übrigens für Madonna, Lady Gaga, Justin Bieber, Miley Cyrus, Bruce Springsteen u.v.a.m.

Immerhin kenne ich den Namen. Als ich neulich mit Freund Karl übers Thema David Bowie sprach, sagte er: „Wenigstens weißt du, wer das war. Mir sagte der Name überhaupt nichts.“

Schwer zu glauben, gell? Es gibt Menschen, die wahnsinnig gebildet sind – und so einer ist Freund Karl –, die trotzdem nichts von David Bowie wissen. Ich muss Karl mal fragen, ob ihm die Namen Lady Gaga, Miley Cyrus usw. etwas sagen.

Nein, ich hab nix gegen David Bowie. Ich bezweifele gar nicht, dass er ein guter Sänger und Unterhalter war. Nur, wir lebten offenbar auf unterschiedlichen Planeten. Letzter Satz hätte ihm wahrscheinlich gefallen – ich meine, gemessen an den diversen Lobeshymnen, die ich in den Medien über ihn kurz anlas.

Stirbt (oder versündigt sich schwer) ein „Superstar“ (d.h., jemand aus der Politik, aus dem Sport, aus der Unterhaltungsindustrie), ist das für die Medien wie wenn Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen. Krieg in Burundi? Pahh! Verfolgung der Rohingya? Von wem bitte? He, man, hast du nicht gehört? David Bowie ist gestorben! Inzwischen hab ich erfahren, dass es in England Bestrebungen gibt, sein Konterfei auf die 20 Pfund-Banknote zu bringen. Andere möchten den Planeten Mars nach ihm umbenennen lassen. Und ich glaube, ich habe irgendwo aufgelesen, dass ein neues chemisches Element nach ihm genannt werden sollte.

Und dann hieß es in einem Newsweek-„Teaser“…ich verdeutsche: „David Bowie erscheint häufig in Wahnvorstellungen und Halluzinationen…Der jüngst verstorbene Sternmann ist, so heißt es, eine verbreitete Erscheinung unter Menschen, die mit Psychosen zu kämpfen haben.“

Als Rudolf Valentino starb, gingen auch seine Fans ballistisch: Krawallen, Selbstmordversuche usw. Doch damals gab’s noch keine Info-Revolution. Alles hat sich also in Grenzen gehalten. Noch nie von Rudolph Valentino gehört? Er war einer der allerersten Superstars des amerikanischen Kinos, ein Sehnsucht erweckender Schönling, der 1926 mit 31 Jahren starb.

Noch ein pietätloser Gedanke: Was passiert, wenn bald diverse Menschen behaupten, sie hätten ihre Gebete an David Bowie gerichtet, um von einer schweren Krankheit geheilt zu werden … Und siehe da! Sie wurden geheilt?

War David Bowie katholisch? Muss man katholisch sein, um heilig gesprochen zu werden? Bin kein Theologe.

In der engl. Zeitung „Guardian“ hieß es „His death was a work of art“. Ich hab nicht weiter gelesen, aber irgendwie stimmt der Satz.

Danke, David Bowie. Danke für die „hits“, danke für die Werbung, danke für den Umsatz – ach und für die Musik.

Zu Risiken und Nebenwirkungen dieses Textes fragen Sie…ämmm…

Eine Reise ist stets ein Abenteuer. Zum Beispiel gestern. Ich bin mit dem Zug – genauer: mit der ICE – nach Ingolstadt gefahren, eine kurze Strecke für mich, und ich war deshalb nur mit einer leichten Umhangtasche unterwegs. Mein Gegenüber, er war jung, schlank, großgewachsen und hatte ein sympathisches Gesicht, stemmte gerade seine zwei schwere Gepäckstücke, als ich das Abteil betrat. Sein Reiseziel war Berlin, wo er wohl lebt und arbeitet.

Normalerweise vermeide ich das Gespräch, wenn ich verreise. Ich will lieber meine Ruhe haben. Diesmal hat es sich einfach ergeben und war sehr angenehm. Was wir am Anfang besprachen, hab ich nicht mehr im Kopf. Doch aus irgendwelchem Grund fragte er mich nach sehr kurzer Zeit, was ich vom Beruf bin. Seine Direktheit hat mich zunächst überrascht. Doch so was tut man, wenn man jung ist. No beating around the bush. Ich antwortete, dass ich Schriftsteller sei.

„Hab ich gedacht“, sagte er.

„Wieso?“

„So sehen Sie aus.“

„Und Sie studieren?“ fragte ich, obwohl ich normalerweise viel zurückhaltender bin. Nein, er sei Kommunikationsdesigner. (Oder heißt das „communications designer“? Weiß ich nicht). So kamen wir nun dazu, ein bisschen über seinen und meinen Beruf zu fachsimpeln. Unterdessen gesellte sich zu uns nun noch ein Fahrgast, eine Frau, die keine Jugendliche war aber sicherlich kein 40.

Ich weiß nicht mehr, wieso, aber irgendwie kamen wir bald auf den Schmetterlingseffekt (butterfly effect) zu sprechen. Diese Wortschöpfung prägte übrigens ein amer. Meteorloge, Edward Lorenz, im Jahr 1972. Er stellte damals die Frage: „Does the flap of a butterfly’s wings in Brazil set off a tornado in Texas?“ Ich glaube, er hat die Frage mit Ja geantwortet.

Mein Gegenüber aus Berlin war nicht sicher, ob so ein Konzept – zumindest aufs Wetter bezogen – so richtig Hand und Fuß hat.

Auch ich weiß nicht, ob ein einziger Schmetterling so viel Einfluss aufs Wetter nehmen kann. Doch irgendwie kam ich dann aufs Beispiel der Chinesischen Mauer, die – wenn ich mich richtig erinnere – gebaut wurde, um die Mongolen vom Reich der Mitte fern zu halten. Zugegeben: Der Bau einer derartigen Mauer erforderte viel mehr Kraft als der Flügelschlag eines einzigen Schmetterlings. Doch ähnlich dem butterfly effect setzte auch dieses Großprojekt ungeahnte Folgen in Gang. Denn wegen dieser Mauer umgingen die Mongolen nun China und zogen stattdessen ziellos in Richtung Westen. Was nun geschah, war mit Sicherheit gleichsam ein folgenschwerer Schlag mit den Flügeln. Hier nur ein paar Beispiele: 1.) Die umgeleiteten Mongolen eroberten bald Bagdad, was dazu führte, dass die damalige islamische Hochkultur zerstört wurde. 2.) Ihre Turkvolk-Verbündeten nahmen nach und nach Byzanz ein, und so entstand das osmanische Reich. 3.) Diese große Völkerbewegungen schleuderten auch eine gefährliche Bakterie in Richtung Westen, die heute als „Pest“ in die Geschichte eingegangen ist. Diese schreckliche Krankheit tauchte zuerst im Krimgebiet auf und suchte schließlich ab 1348 ganz Europa heim.

Ich gebe zu: Das mit der Chinesischen Mauer war ein ziemlich wuchtiges Beispiel. Nun suchte ich deshalb nach einem bescheideneren Bild, ähnlich dem Flügelschlag eines Schmetterlings: „Oder: Einer ist verhindert, und die Titanic läuft ohne ihn aus. Vielleicht bringt er jetzt etwas ganz Wichtiges zustande – oder vielleicht seine Kinder…“, sagte ich. Leider fiel mir in dem Augenblick kein konkretes Beispiel ein.

„Oder es passiert in der fünften Generation“, sagte hilfreich die nette Dame, die links von mir saß.

„Ja genau…“

Also. Was will ich mit obiger Anekdote über eine angenehme Zugfahrt ausdrücken? Ganz einfach: dass eine Zufallsbegegnung gestern die eigentliche Ursache für diese heutige Glosse ist. Was dieser Text sonst für Wirkungen haben könnte oder wird, vermag ich freilich nicht vorherzusagen. Hoffentlich entsteht deshalb kein Tornado in Texas. Das hab ich schon letztes Jahr erlebt. Doch das ist eine andere Geschichte.

Mein Terrorist, dein Terrorist (oder: terror firma)

Wie ist es, wenn einem der Kopf abgeschlagen wird? Das Schlimmste ist das Warten. Auch die Mutigsten sind vor dem Erlebnis des Terrors nicht gefeit.

Wir kommen auf dieses Wort „Terror“ wieder zurück.

Immerhin ist die Sache schnell wieder vorbei – meistens. Zum Beispiel beim Guillotinieren. Kaum nimmt man das Rauschen des Fallbeils wahr und zack! ist der Kopf schon ab. In merry old England streckte man den Hals in den klobigen Richtblock. Im Nu tat die wuchtige Axt das Übrige. Bei den heutigen Saudis geht’s leider nicht immer so reibungslos vonstatten. Ist der Henker flink und präzise und das Schwert rasierklingenscharf, dann fliegt der Kopf vom Leib wie der Golfball von der Abschlagstelle. Hat der Henker einen schlechten Tag, dann hackt er rum, als wäre er auf Mäusejagd. Schwer zu sagen, was der Gehenkte von dieser Unkonzentriertheit mitbekommt.

Die Daesh-Halsabschneider sind selbstverständlich anderen Kalibers. Sie sägen langsam wie an einem Ast – und wahrscheinlich mit Absicht, um durchs mitgedrehte Video besser zu terrorisieren. Denn für sie sind Angst und Schrecken Programm.

Nun sind wir wieder beim Terror gelandet – ein Thema, das mich beschäftigt, seitdem sich die Nachricht mitbekommen habe, dass die Saudis schon wieder eine halbe Kohorte von Delinquenten hingerichtet haben, manche natürlich durch das Schwert. Einige der Verurteilten seien „Terroristen“ gewesen, haben sie behauptet. Im Iran sorgte insbesondere die Exekution eines oppositionellen Geistlichen der schiitischen Minderheit in Saudi Arabien für Furore. Dem sunnitischen Königreich galt dieser lange als Dorn im Auge. Auch er bekam das Etikett „Terrorist“.

An dieser Stelle möchte ich nicht spekulieren, ob er einer war oder nicht. Fest steht jedenfalls: Die Iraner waren mächtig sauer. Doch auch sie richten auf laufendem Band eigene „Terroristen“ hin. Nicht selten zählen diese zur eigenen sunnitischen Minderheit.

So einfach ist es: Beide Seiten in diesem langwierigen Glaubenskrieg im Nahe Osten bezeichnen ihre ideologischen Feinde mit Vorliebe als „Terroristen“.

Obernazi Hermann Göring hätte vielleicht gesagt: „Wer Terrorist ist, bestimme ich.“

Auch die schlimmsten Terroristen haben ihre Fans. So, z.B., die Jungs, die in Paris im November wahllos mordeten, oder die Mörder der Zeichner des Charlie Hébdo, Osama, Dschihadi John, der Kindermörder in Toulouse usw. Die Internetforen der Verschwörungstheoretiker sind voll mit wohlwollenden Bekundungen der Zujubelnden. „Krass, man, das waren alle kuffar“ usw.

Liebe junge Leute, auch die Deutschen haben im 2. Weltkrieg Partisaner und sonstige als Terroristen hingerichtet, einfach weil sie anderer Meinung waren. Heute murksen fleißige Chinesen diverse Tibetaner und Uiguren als Terroristen ab. Et cetera.

Aber nun zum Sprachlichen. Wissen Sie, wieso Terroristen so heißen? Wenn ja, dann kennen Sie höchstwahrscheinlich nur ein Teil der Antwort.

Klar. Ein „Terrorist“ ist jemand der „Terror“, also „Schrecken“ verbreitet. Wer „Terror“ sät, der „terret“, zumindest auf Lateinisch. Das Wort „terrere“ bedeutet „erschrecken“. Aber wissen Sie, warum es „erschrecken“ bedeutet?

Hinter dieser Vokabel steht das Wort „terreus“, zu Deutsch „aschen“. Und hinter „terreus“ steht das Wort „terra“. Jawohl, wie in „terra firma“. Land. Erde. Boden. Ich weiß es nicht. Vielleicht war der Boden im alten Rom oder wo auch immer aschfarbig. Wenn einer einen anderen „terret“, eigentlich veranlasst er, dass der andere aschfarbig wird. Irgendwie einleuchtend. Aber deshalb jemandem den Kopf abschlagen?

Nebenbei: Das Wort „Guerrilla“ (sprich „Ger- ilja“) ist kein spanisches Wort, zumindest nicht ursprünglich. Es entstammt der katalanischen Sprache und bezeichnete die Kämpfer, die gegen Spanien Krieg führten. Das ist aber eine andere Geschichte….

Das Perfekte und das Unperfekte

Seien Sie bloß froh, dass Sie deutschsprachig sind. So brauchen Sie niemals zwischen „imperfekt“ und „perfekt“ zu unterscheiden. Muttersprachler dürfen so reden, wie Ihnen der Schnabel gewachsen ist.

Als „Perfekt“ bezeichnen die Grammatiker eine Handlung, die abgeschlossen ist. Zum Beispiel, wenn Sie gestern im Kino waren und nicht mehr dort sind, ist diese Handlung abgeschlossen…“perfekt“, vervollkommnet.

„Imperfekt“ weist auf eine Handlung, die noch nicht abgeschlossen ist – aber bereits begonnen hat. Wenn Sie, zum Beispiel, gestern im Kino waren und immer noch dort sitzen.

Im Englischen, hingegen, erfährt man durch die Wahl einer Verbform, ob eine Handlung perfekt oder imperfekt ist. „Yesterday I was at the movies (bzw. cinema)“. D.h.: Man ist nicht mehr im Kino. Die Sache ist vorbei. Fertig. Perfekt. Sage ich aber: “I have been at the movies (cinema) since yesterday”, dann ist die Handlung noch nicht abgeschlossen. Unvervollkommnet. Imperfekt.

Alles klar? Mir nicht. Denn die Terminologie der engl. Grammatiker bringt mich total aus dem Konzept. Das mit dem „I was at the movies“ bezeichnen sie nämlich als „simple past“; das „I have been at the movies…“ als „present perfect“.

Was ist dabei so perfekt, frage ich, wenn ich noch immer im Kino sitze? Keine Ahnung.

Auch im Deutschen kann man „ich war im Kino“ und ein „ich bin im Kino gewesen“ sagen. Doch heutzutage ist kaum einer in der Lage, den Unterschied zwischen diesen Ausdrucksweisen vernünftig zu erklären. Man vertraut sein Bauchgefühl halt.

Früher war es anders. Zum Beispiel, als Luther noch gelebt hat (noch lebte?). „Hat denn Gott vergessen gnedig zu sein“ schreibt er in Psalm LXXVII. Dieses „hat vergessen“ bezieht sich auf eine unbestimmte Vergangenheit, ist also imperfekt. „Aber doch sprach ich…“ Hier im selben Psalm ist die Handlung einmalig und abgeschlossen, ist also perfekt.

Perfekt? Imperfekt? Auch die dt. Grammatiker haben sich komische Namen für diese Zeiten ausgedacht. Das Perfekt heißt „erste Vergangenheit“; das Imperfekt hingegen nennt man „perfekt“. Mich laust der Affe. Aber ehrlich.

Harald Weinrich, ein Meister der dt. Grammatik und Autor eines dicken, lesenswerten Wälzers zum Thema mit dem Titel „Textgrammatik der deutschen Sprache“ hat den Unterschied zwischen „ich sah“ (erste Vergangenheit) und „ich habe gesehen“ (Perfekt) folgendermaßen erklärt: Ersteres wird mit Vorliebe in Erzählungen benutzt. Etwa: Er machte die Tür auf, schaltete das Licht ein, schaute in den Raum, und plötzlich erscholl eine Stimme …usw. Zweites benutzt man im normalen Gespräch halt, wenn man über die Vergangenheit erzählen will. „Hallo Frank, stell dir vor, wen ich gestern im Kino getroffen habe.“

Von diesem Erklärungsversuch abgesehen, herrscht im Deutschen sonst nur noch Kuddelmuddel. In manchen dt. Dialekten tritt die erste Vergangenheit kaum noch in Erscheinung. Im Bairischen z.B. In anderen Regionen tut man mehr oder weniger, was man will. Das war aber schon immer (ist schon immer gewesen) das gute Recht der Muttersprachler.

Was wiederum für den Nichtmuttersprachler*Innen zum Problem wird. Englischsprachige, Spanischsprachige, Italienischsprachige usw. werden aus diesem Grund das Geheimnis der dt. Vergangenheit niemals lüften. Denn wir unterscheiden sehr wohl zwischen Imperfekt und Perfekt – egal wie wir sie nennen.

Es könnte aber schlimmer sein. In den slawischen Sprachen wird so streng zwischen Perfekt und Imperfekt unterschieden, dass man zwei unterschiedliche Wörter verwendet, je nachdem, ob eine Handlung perfekt oder imperfekt ist. War (ist gewesen) einer dabei, eine Schachtel zu basteln, sagt der Tscheche „dĕlal krabici“.Will er sagen, dass er eine Schachtel fertig gebastelt hat, dann heißt es „udĕlal krabici“. Die zwei Verben sind zwar eng verwandt, das sind aber „vermachen“ und „machen“ auch. Alles klar?

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen ein perfektes und ein imperfektes 2016 mit viel Gesundheit und sowohl vervollkommnetes wie auch unvervollkommnetes Glück im neuen Jahr. Ihr Sprachbloggeur

Hitlers Hoden und andere Sonderangebote

Wie dumm sind Verbraucher? Diese Frage stellen sich manche Unternehmer und Werbefuzzis täglich – besonders aber um die Weihnachtszeit.

Ich komme drauf, weil ich grade am Schaufenster eines Ladens gleich um die Ecke von mir die Worte „50 % günstiger“ in riesigen bunten Buchstaben gelesen habe.

Mein erster Gedanke war – und ich verdanke ihm meiner Lehrerin in der vierten Klasse Miss Bolger (sprich „boldscher), die uns stets einbläuten: „Kinder, niemals ‚als‘ mit dem Komparativ schreiben, ohne zu erklären, womit ihr etwas vergleicht.“

Irgendwie logisch. „Unsere Hamburger sind größer und saftiger“ sagt die Werbesprache. Und keiner stellt die Frage: „Größer und saftiger als was?

In manchen Sprachen, z.B. das Arabische, hat die Vergleichsform zwei Bedeutungen. Die Vokabel „kabir“, z.B., bedeutet „groß“. Sagt man: „ar-radschul kabir“ heißt das „der Mann ist groß“. Wenn aber ein Arabisch Sprechender „größer“ ausdrücken will, benutzt er die „Form „akbar“. Jeder kennt den Spruch „Allahu akbar“. Diese Worte bedeuten nicht, dass Gott größer ist – dann musste man mit Miss Bolger fragen: „Größer als was?“, was zu einer heiklen theologischen Auseinander führen könnte –, sondern „sehr groß“ oder gar „der/die/das größte“. Man nennt diese grammatische Form „Elativ“, was mehr ist als ein Komparativ. Alles klar, liebe Freunde und Freundinnen der Grammatik?

Aber zurück zum Laden um die Ecke, wo alles 50% günstiger ist.
„Günstiger als was?“ fragt Miss Bolger. „Als die Preise von vorgestern? Als die Preise in einem anderen Geschäft? (Aber welches?)“…usw.

You get the point.

Nebenbei: Der Laden oben mit den günstigeren Preisen nennt sich ein „Outlet“. Ich bin diesem neuenglischen Begriff erst vor zwanzig Jahren begegnet. Bin sicher, dass er die Erfindung eines Werbefuzzis war. Wer sonst hat solche perfide Einfälle? Man versteht darunter 1.) billige Preise (Neudeutsch: „Discount“), 2.) Markennamen, die in einem Laden – vorübergehend – feilgeboten werden und natürlich 3.) hier muss ich hin.

Raffiniert, gell?

Dass „Outlet“ zu einem neudeutschen Wort wurde, hat mich überrascht. Die Welt wird immer kleiner.

Eigentlich wollte ich heute nicht über den Komparativ bzw. den Elativ berichten – und erst recht nicht über die Outlets, sondern über Hitlers Hoden. Vor ein paar Tage hieß es nämlich in einer Zeitungsmeldung, dass Adolf Hitler nur einen Hoden hatte. Meine Frage: Ist ein Führer 50% günstiger, wenn er nur einen Hoden hat?

Nein, im Ernst. Was mich interessierte, war die Tatsache, dass diese Nachricht keine war. In meiner Jugend in Amerika war des Führers Eineiigkeit sehr bekannt. Man hat sogar drüber gesungen. Die Melodie war dem „Colonel Bogey March“ entnommen (finden Sie leicht im Internet) und stammte aus dem Film „Bridge over the River Kwai“. Der Text dürfte etwas älter gewesen sein:

„Hitler had just one ball,
Goering had two but very small,
Himmler had something similar
but Goebbels had no balls at all.”

Fußnoten: “ball” bedeutet “Hoden”, “Goebbels” wird auf Englisch “Go-b’ls” ausgesprochen.

Und damit beendet der Sprachbloggeur seine weihnachtliche Meditation. Feiern Sie schön. Hohoho and Merry Christmas!


Yelp, Jameda,Lügenpresse und Vergil

Eine Sexstory aus der römischen Antike:

Schauplatz Karthago (heute Tunesien). Der Trojaner Aeneas verbringt einen hübschen Nachmittag mit der Königin von Karthago.

Den ganzen Hintergrund usw. kann man leider nicht in ein paar Sätzen schildern, kurz gefasst aber: Aeneas und seine Leute – sie sind Flüchtlinge aus Troja – steuern Italien an, wo Ae. einer Prophezeiung zufolge ein neues Königreich gründen soll, das eines Tages zum römischen Kaiserreich werden wird.

Aeneas hat Feinde, menschliche und göttliche zugleich, und landet, von Sturmwinden getrieben, in Karthago, wo er von der Königin freundlich empfangen wird.

Wer diese Götter sind, könnte man sich fragen. Aber das ist eine andre Geschichte.

Einer von ihnen jedenfalls, die Göttin Juno, mag Aeneas überhaupt nicht. Eigentlich mag sie keine Trojaner, weil einst einer aus diesem Volk ihre Rivalin, Venus, zur schönsten Göttin auserkoren hatte. Venus ist übrigens die Mutter von Aeneas, der also selbst Halbgott ist. Alles klar?

(Nebenbei: Heute bedeutet „Trojaner“ ein digitales Ungeziefer, das Ihre Festplatte infiziert, wenn Sie es zulassen. Dieser Virus ist nach dem sog. „trojanischen Pferd“ genannt, mit dessen Hilfe die Griechen Troja eroberten).

Aber zurück zu Aeneas, der im Augenblick mit der Königin – sie heißt Dido – gemütlich durch den Wald spaziert. Auf einmal öffnet sich der Himmel, und es regnet Katzen und Hunde. Aeneas und Dido suchen in einer nahegelegenen Höhle Zuflucht. Beide sind pitschnass und…na ja. Eins führt zum anderen…und…der Trojaner, der eines Tages Urvater Roms werden soll und die Königin deren Volk eines Tages Roms Lieblingsfeinde werden sollte, kommen sich näher.

Aeneas ist aber ein verantwortungsvoller Liebhaber und denkt nach der Intimität ernsthaft daran, sich in Karthago niederzulassen, um dort seine Staatsbildungsvision zu realisieren. Die Königin ist, kaum anders zu erwarten, von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt.

Juno, die Aeneas-Hasserin, ist zufrieden. Sie meint: Sollte der Ae. die D. heiraten, dann bleibt er Italien fern. Auch Venus ist happy. Welche Mutter freute sich nicht, wenn der Sohn eine so nette Partie mit nach Hause brächte?

Nur: Nun tritt Fama auf den Plan. Auch sie ist eine Göttin. (Das englische „fame“, also „Ruhm“, wird von diesem Namen abgeleitet. Wörtlich aber bedeutet „Fama“ „Gerede“, „Gerücht“, „Geschnatter“). Kaum erfährt Fama vom Techtelmechtel zwischen dem Trojaner und der Königin, wird die Sache überall hinausposaunt.

Eigentlich wäre Diskretion angebrachter gewesen.

„Fama eilt sogleich durch die großen libyschen Städte,
Fama, die schneller noch ist als jegliches andere Übel…“

So heißt es in der schönen neuen Übersetzung der Aeneis vom bekannten Altphilologen Niklas Holzberg. Die Konsequenzen dieses Verplapperns lassen nicht lang auf sich warten…Das finden Sie alles in der neuen Übersetzung selbst heraus.

Mich beschäftigt diese Geschichte momentan hauptsächlich wegen der Rolle von Fama. Denn im Augenblick scheint diese Naturkraft – auch bei uns – sehr aktiv zu sein. Jeder Verschwörungstheoretiker im Netz betet sie an. Jeder Parteigänger harrt ihrer Botschaft. Denken Sie an den Begriff „Lügenpresse“. Ist er nicht ulkig? Der Presse die Lüge zu bezichtigen, könnte auch auf einer Lüge basieren. Oder? Fama halt. Alles durcheinander.

Und denken Sie an Fama, wenn Sie das nächste Mal eine Bewertung (gut oder schlecht) eines Restaurants oder eines Zahnarztes bei Yelp, Jameda und Co. im Internet lesen…

Das ist das Schöne an der antiken Literatur. Vergil würde sagen: „Es war schon immer möglich, cari lectores, auch ohne Internet (et sine tela totius terrae) mit Gerüchten (cum Fama) das Leben aufzumischen (vitam delere).“

Gedenken an Gerhard Peter Moosleitner – Blattmacher extraordinär

„Populär? Wissenschaftlich? Wo liegt der Widerspruch?“ Breites Lächeln (und die Augen nur noch Schlitze).

Der Satz ist O-Ton Gerhard Dietrich Marie Moosleitner, den man hierzulande als „Peter Moosleitner“ kennt, Gründer im Jahr 1978 der populärwissenschaftlichen Zeitschrift „P.M.“ – auch „Peter Moosleitners interessantes Magazin“ genannt.

Seine Frau nannte ihn Gerd.

Er ist vor wenigen Tagen in aller Stille gestorben.Trotzdem hat sich die Nachricht schnell herumgesprochen.

Ich kenne zwei Moosleitners, hab ich immer gesagt: der eine, eine bescheidene und liebenswürdige Person namens Gerhard M.; der andere, ein genialer Blattmacher namens Peter M. Doch der geniale Blattmacher war bescheiden und der bescheidene G.M. genial.

Beinahe eigenhändig stampfte er aus dem Boden die damals kaum erforschte Sparte „populäre Wissenschaft“. Vor ihm gab es entweder technische Abhandlungen, Nerdblätter oder Blabla. Innerhalb kurzer Zeit verkaufte sich sein „P.M.“ ca. 500.000 mal monatlich.

Das Geheimnis seines Erfolgs? Ganz einfach: seine unersättliche Neugier. Und sie war sehr ansteckend. Staub unter dem Sofa? P.M. zeigte, was für Dinge und Viecher in einem „dustbunny“ hausten. Man verspürt Ekel. Moosleitner wollte wissen, warum. „Das Schöne am Ekel“, hieß die Story mit Happy End. Moosleitners fleißige Autoren, ebenso neugierig wie er, berichteten über Raumschiffe, Raketen, Motoren, Demokratie oder „Wozu braucht man Philosophen?“, sogar über die Folgen eines Lebens in der räumlichen Einsamkeit. Nochmals: Moosleitners Neugier steckte an.

Als ich ihn 1978 kennenlernte, beteuerte er nach kurzer Zeit, dass ich der „geborene P.M.-Autor“ sei. Ich war mir nicht sicher, ob ich mich über diese Beobachtung freuen sollte. Doch er hatte letztendlich recht. Und bald nahm mich Gerhard Peter Moosleitner unter Vertrag. Es war die erste ernste Arbeit meines Lebens. Er selbst verabschiedete sich aus dem Geschäft 1994. Die folgenden Jahre wechselte ich zum P.M.-Ableger „History“.

G.P. Moosleitner war mein Mentor und mein Förderer. Ich, der Quereinsteiger, bekam von ihm ein persönliches On-the-Job-Training. „Der Aufhänger“, sagte er, „muss so spannend sein, dass man weiterlesen will. Auch der Schluss muss spannend sein. Der Leser sollte, wenn er fertig ist, noch mehr erfahren wollen.Und selbstverständlich, lieber Herr Blumenthal“, und hier schmunzelte er, „muss alles dazwischen ebenso spannend sein.“

Die ersten Jahre unserer Zusammenarbeit schonte er mich gewissermaßen. Ich durfte alle Texte auf Englisch schreiben. Es war ihm wichtiger, dass ich mich beim Schreiben frei fühle. Als ich ihm eines Tages die Idee für eine eigene Rubrik über Sprache (Urururahne des Sprachbloggeurs) unterbreitete, gab er mir spontan freie Hand. Und: Ich durfte diese kurzen Texte auf Deutsch schreiben. Zu meinem Entsetzen: Diese ersten Gehversuche wurden massiv mit Rotstiftbemerkungen quittiert. Aber so ist es, wenn man den Ehrgeiz hat, in der fremden Sprache zu schreiben.

Meine Rubrik hieß „Deutsche Sprache…“ Natürlich muss man hier „schwere Sprache“ ergänzen. Ein Mitarbeiter der Zeitschrift motzte: „Ausgerechnet der Ausländer darf über die deutsche Sprache schreiben.“ Ja, es waren andere Zeiten.

Ich geh davon aus, dass viele Leute in nächster Zeit an Gerhard Peter Moosleitner denken werden – vor allem diejenigen, die in den 1980er Jahre in ihrer Jugend ihr PM-Magazin gierig verschlangen.

PM-Magazin brachte die populäre Wissenschaft richtig ins Rollen. Das erkennt man auch heute an den vielen deutschsprachigen Klonen. Darüber hinaus: Ableger in Spanien, Frankreich, Russland, Südamerika, Skandinavien etc. florieren nach wie vor. Ohne Moosleitners zündende Idee wären die Kopien des Originals nie zustande gekommen. Auch das Fernsehen hat ihm viel zu verdanken.

Blattmacher Moosleitner hat stets betont: „Man darf den Leser nie allein lassen.“ Die klare Botschaft eines pflichtbewussten Medienmenschen.

Ja, lieber Gerd Peter Moosleitner, wir werden Sie/Dich dankend in Erinnerung bewahren. Populär und wissenschaftlich sein, bleibt weiterhin kein Widerspruch.

Gespräch mit einem Mietwagen

Es ist Abend…

Mietwagen: (die Stimme klingt nicht blechern) Guten Abend, bitte legen Sie Ihren Daumen auf den Scanner.

Sprachbloggeur: (ich lege meinen Daumen auf den Scanner) Scheißmaschine.

Mietwagen: Willkommen, lieber Sprachbloggeur. Haben Sie bitte einen Augenblick Geduld, bis das System hochfährt.

Sprachbloggeur: Scheißmaschine.

Mietwagen: Warum reden Sie so mit mir? Sind Sie mit mir unzufrieden?

Sprachbloggeur: Im Gegenteil. Du fährst viel konzentrierter als ich, und dein Sehvermögen ist am Abend viel besser als meins. Ich muss mich um nichts kümmern. Aber du bist bloß eine Maschine. Ich komme aus einer Zeit, als nur im Kino Maschinen in der Lage waren, Gespräche mit Menschen zu führen, die so täuschend echt klangen.

Mietwagen: Das tut mir leid. Haben Sie sehr gelitten, dass Sie in so einer Zeit lebten? Jetzt verstehe ich Ihre missmutige Laune. Sie wissen schon: Die Vergangenheit wirft einen langen Schatten. War immer so.

Sprachbloggeur: Hör auf mit dem Gefasel. Ich muss in die Baaderstraße 13.

Mietwagen: Haben Sie bitte einen Augenblick Geduld, während ich meine GPS-Dateien vergleiche. (Pause) Verzeihen Sie, ich finde keine Badderstraße. Haben Sie vielleicht Baaderstraße gemeint? Ich stelle fest, dass Sie Deutsch mit einem fremden Akzent reden. Sind Sie möglicherweise Engländer oder Amerikaner? Sie wissen mit Sicherheit, lieber Herr Sprachbloggeur, dass im Deutschen der Gebrauch eines langen und eines kurzen „A“ sinnverändernd ist. Would you prefer me to address you in English?

Sprachbloggeur: Scheißmaschine.

Mietwagen: Warum reden Sie mit mir so, wenn die Unzulänglichkeiten ganz offensichtlich die eigenen sind? Das ist wirklich nicht gerecht von Ihnen. Sie sollen froh sein, dass ich in der Lage bin, Ihnen eine so vielfältige Hilfe zu bieten.

Sprachbloggeur: Genug geredet. Fahr los.

Mietwagen: Ich sehe, dass sie in der Baaderstraße ein Restaurant besuchen, das bei uns offensichtlich keine Werbung abonniert hat. Schade. Darf ich Ihnen einige hübsche Alternativen empfehlen?

Sprachbloggeur: Nein, das darfst du nicht. Ich treffe mich dort mit Freunden.

Mietwagen: Wenn Sie mir die Namen Ihrer Freunde anvertrauen, könnte ich sie gleich benachrichtigen. Ich wüsste, zum Beispiel, einen sehr charmanten Chinesen mit besten Bewertungen. Und es ist obendrein um einiges preiswerter als Ihr Restaurant.

Sprachbloggeur: Jetzt reicht’s. Fahr los, oder ich ziehe dir die Strippe.

Mietwagen: Verzeihen Sie, wenn ich Sie daran erinnere. Ich bin nicht Ihr Eigentum. Ich bin Mietwagen. Außerdem können Sie mir die Strippe, wie Sie sagen, nicht ziehen. Dazu muss man auf eine besondere Art technisch versiert sein. Ich hoffe, ich bin Ihnen nicht zu nahe getreten.

Sprachbloggeur: Hör mal, du Computerspiel auf Rädern, fahr in die Ba-a-a-derstraße 13. Und zwar sofort

Mietwagen: Ich sehe, dass Sie den Rabattpreis gebucht haben. Ich habe also das Vergnügen, Ihnen unsere neuesten Angebote zu präsentieren. Interessieren Sie sich vielleicht für ein neues Phone? Oder vielleicht E-Bücher. Bitte drucken Sie Ihre Präferenzen aufs Display. Wenn ich erinnern darf: Heute ist Cybermontag. Die Preise sind ebenso schillernd wie am Black Friday. Langen Sie nur zu, lieber Herr Sprachbloggeur. Schauen Sie aufs Display. Diese Preise finden Sie nicht so schnell wieder.

Sprachbloggeur: Fahr endlich los, bitte!

Mietwagen: Na endlich. Sie haben das Zauberwort gesagt.

Sprachbloggeur: Zauberwort? Und das wäre?

Mietwagen: Bitte, natürlich. Also, ab ins Restaurant, lieber Kunde…

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