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Mein Freund der Alzheimer Kranke

Lange hatte ich nicht gewusst, dass mein Nachbar, Herr S. an Alzheimer litt. Wir haben uns stets bestens unterhalten. Er hat mir endlose Geschichten aus seiner Jugend und aus dem Krieg erzählt, hat seinen Vater, zu dem er ein ambivalentes Verhältnis hatte, gekonnt porträtiert, hat mir unterhaltsame Ereignisse aus seinem Geschäftsleben und über die skurrilen Figuren, mit denen er damals zu tun hatte, erzählt. Er war nämlich Rechtsanwalt in Ruhestand.

Kann sein, dass er manchmal eine Geschichte wiederholte, aber so what. Das tu ich auch, wenn mir etwas besonders gefällt.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann genau ich erfuhr, dass er Alzheimer krank war. Aber auch nachdem ich Bescheid wusste, blieb es bei business as usual. Unsere Gespräche waren ebenso unterhaltsam wie immer.

Herr S. hat mich niemals mit Namen genannt. Das war mir aber nie aufgefallen. Denn ich habe seinen Namen auch niemals in den Mund genommen. Wir waren uns halt beidseitig sympathisch. Mehr ist nicht zu sagen.

Er war der geborene Geschichtenerzähler, niemals langweilig und stets spontan und wortgewandt. Ich wünschte, ich könnte so schön erzählen wie er.

Okay, manchmal war er ja doch ein bisschen vergesslich, was ich nur dann feststellte, weil seine Schusseligkeit seiner Frau auf die Nerven ging. Der Partner/die Partnerin möchte, wenn er oder sie redet, das Gefühl haben, dass der andere zuhört. Wenn es nicht so ist, kann man die Fassung verlieren. So war es bei ihr. Das ist verständlich.

Doch manchmal wurden diese privaten Auseinandersetzungen vor meiner Frau und mir ausgetragen, was mir peinlich war. Ich wäre in solchen Augenblicken am liebsten woanders gewesen.

Eines Abends saßen wir bei Familie S. zu Tisch. Frau S. hat immer köstliche Sachen serviert. Auf einmal griff Frau S. ihren Mann wegen irgendeiner Kleinigkeit heftig an und schimpfte über seine Vergesslichkeit. Er reagierte ziemlich hilflos. Es war nicht schön zu sehen. Doch bald setzten wir, er und ich, unser Gespräch fort, und alles war…vergessen.

Aber dann auf einmal hielt er kurz inne und sagte: „Wissen Sie. Eigentlich habe ich keine Ahnung, wie Sie heißen“

Daraufhin antwortete ich spontan: „Ist das wichtig?“

Er schaute mich nachdenklich an, dann zuckte er mit den Achseln: „Eigentlich nicht.“

Und dann redeten wir weiter. Keine Ahnung worüber, aber er blieb nach wie vor ein meistervoller Geschichtenerzähler.

Hat er meinen Namen vergessen, weil er Alzheimer krank war? Erst Jahre später fiel mir ein, dass er womöglich zu keiner Zeit meinen Namen kannte. So war er halt. Erzähler hören oft am liebsten die eigene Stimme an.

War das wichtig, dass er meinen Namen nicht wusste?

Eigentlich nicht.

Irgendwann sind wir umgezogen, und irgendwann wurde sein Zustand hoffnungslos, wie es halt ist bei Alzheimer Kranken. Das habe ich jedenfalls später erfahren. Aber so ist es, wenn man an dieser Krankheit leidet.
Ich habe vergessen, wie und wann er gestorben ist. Doch auch das ist nicht wichtig.

Nett Sie kennengelernt zu haben, Herr S.

PS Ich glaube, dass es in der deutschen Sprache den Begriff „der Alzheimer Kranke“ nicht gibt. Aber so what.

Die Menschheit und ihre Menschlichkeit

Leser des Sprachbloggeurs bekommen heute einen Exklusivbericht, da das vorgesehene Thema sonst niemand anpackt. Leider.

Es geht um die vielen Geschichten der letzten Monate über diverse „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.

Wahrlich keine Mangelware momentan. Mal ISIS, mal Assad, mal Boko Haram….Hab ich etwas vergessen? Ganz bestimmt.

Wie Sie höre auch ich diese Floskel „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und denke: „Unrat“, „zum Kotzen“ oder „Idioten“ usw. Doch manchmal kommt mir auch etwas ganz anders in den Kopf. Ich denke: Verbrechen… gegen die Menschlichkeit….wie bitte?

Geht’s Ihnen manchmal auch so? Ich meine: Was ist denn ein Verbrechen gegen die „Menschlichkeit“?

Genauer gesagt: Was tut der ISIS oder Boko Haram, oder Assad usw., dass man ihre Handlungen als gegen die „Menschlichkeit“ versteht? Werden die zu ruppig oder schrecklich unhöflich?

Ich drück mich vielleicht anders aus: Kommt Ihnen in diesem Zusammenhang das Wort „Menschlichkeit“ nicht ein bisschen…äähm…schwach vor als Beschreibung für die Verbrechen der oben Erwähnten?

Mir schon. Und ich weiß, warum:

Der Gemeinplatz, „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, ist nämlich ein Übersetzungsfehler. Man kann die Sache sogar genau zurückverfolgen. Und das werde ich jetzt tun.

Wir schreiben das goldene Jahr 1946….

Sicherlich ist Ihnen das Nürnberger Kriegsverbrecherverfahren noch ein Begriff. Falls nicht, hier ganz kurz: 1946 wurden in Nürnberg diverse hohe Tiere der Nazihierarchie als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt.

Um dieses Gerichtsverfahren zu rechtfertigen, wurde von den Alliierten der Begriff „crimes against humanity“ aus dem Boden gestampft. Das Wort „humanity“ hat aber auf Englisch zwei Bedeutungen. Die eine wird im Deutschen mit „Menschheit“, die andere mit „Menschlichkeit“ wiedergeben. In Nürnberg war freilich der erste Sinn gemeint. Das ist ja klar. Den Kriegsverbrechern wurden nämlich Verbrechen gegen die gesamte Menschheit vorgeworfen. Das heißt: Ihre Verbrechen waren total menschenverachtend.

Was den zweiten Sinn dieses Wortes betrifft: Den kennt jeder - auch der Deutsche. In den USA, z.B., entscheidet sich ein Student für eine akademische Laufbahn in den „humanities“ (also Sprache, Literatur, Geschichte usw.) oder in den „sciences“ (Physik, Chemie, Biologie, Informatik usw.). Wer sich den Ruf als Wohltätiger erworben hat, wird als „humanitarian“ bezeichnet etc. Im Deutschen kennt man den „Humanismus“, und das „humanistische“ Gymnasium usw.

Wohl ist in Nürnberg dem deutschen Übersetzer des Terminus „crimes against humanity“ (keine Ahnung, wer das war) ein Fehler unterlaufen. Anstatt „Verbrechen gegen die Menschheit“ hat er mit „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ übersetzt. Warum, weiß nur er.

Lange war ich überzeugt, dass ich der einzige bin, der die Formulierung „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ in die falsche Kehle bekommt. Doch nun hab ich gelesen, dass schon damals der franz. Richter in Nürnberg, M. Donnedieu de Fabres, diese Übersetzung als „irreführend“ kritisiert hatte. Hanna Arendt hat es einmal als „das Understatement des Jahrhunderts“ bezeichnet. Das sind nur zwei von vielen Skeptikern.

Dass es sich bei dieser Floskel um einen Übersetzungsfehler handelt, ist inzwischen längst vergessen. Heute müssen wir uns deshalb damit abfinden, dass sich Massenmörder sich nicht sehr menschlich verhalten. Sie sollten sich schämen.

Sind Bots männlich oder weiblich?

Liebe Leser, liebe Bots, eine Frage zu Beginn:

Was ist der Unterschied zwischen einem Leser und einem Bot? Also, „thinking caps“ aufsetzen und gründlich überlegen.

Soll ich die Antwort verraten? Was heißt Antwort. Es gibt mehrere Antworten.

Erste: Leser haben Augen, Nasen usw., und sie atmen Sauerstoff, um zu überleben. Bots haben keine Augen, keine Nasen usw. Sie atmen überhaupt nicht. Sie existieren nur, solange der Strom fließt.

Zweite: Leser haben Meinungen. Sie sind in der Lage, einen Text für gut oder schlecht zu halten. Sie sind sogar in der Lage, „Leser“-Kommentare zu schreiben. Bei mir aber momentan leider nicht, zumindest noch nicht. Seitdem unsere aller Feinde, die Schädlinge, diese Seite zwei Monate lang lahmgelegt hatten, wurde die Option „Leserkommentare“ vorübergehend abgeschaltet. Bots kommentieren nie - ich meine, wenn man mit „kommentieren“ „eine Meinung mitteilen“ meint. Bots sind lediglich in der Lage, Werbung und giftiges Zeug zu hinterlassen.

Dritte: Leser sind für einen Schriftsteller eine Notwendigkeit. Denn schließlich schreibt der Schriftsteller für sie. Bots bringen nur einen Vorteil - zumindest wenn die Besucherzahl wichtig ist: Sie werden gezählt. Auch wenn sie keine richtigen Leser sind, ist das für die Zahlenstatistik wurscht. Das „Ranking“ steigt.

Vierte: Leser unterliegen den Gesetzen der politischen Korrektheit. Weshalb es manchmal als unziemlich gilt von „Lesern“ gar zu sprechen. Es müsste eigentlich „Leser und Leserinnen“ heißen oder „LeserInnen“ oder „Leser*innen“ usw. Bots hingegen sind halt Bots. Immer. Ein Bot ist ein Bot ist ein Bot. Auch wenn der Bot grammatikalisch männlich ist, kommen nicht einmal die eifrigsten Verfechter*Innen der politischen Korrektheit auf die Idee, auf „Bot*Innen“ zu bestehen. Man könnte ohnehin meinen, dass „Bot*Innen“ etwas mit „Boten“ zu tun hätten.

Yep, Bots bleiben Bots, und Terroristen Terroristen. Nicht einmal ein(e) feurige(r) Verfechter(in) der sprachlichen Gleichheit erträumt sich das Wort „Terrorist*Innen“. Gleiches gilt für die „Räuber*Innen“ und „Idiot*Innen“.

Gerade fällt mir ein: Wieso gibt es keine „Gästin“ in der dt. Sprache und folglich keine „Gäst*Innen“?

Nebenbei: Auf Englisch wird die Gleichberechtigung der Nomina anders ins Leben gerufen: Man hat die weiblichen Formen von Nomina schlichtweg aus dem Verkehr gezogen. Beispiel: In den letzten Jahren sind die „actresses“ (Schauspielerinnen) fast ganz von der Bühne verschwunden. Der Gleichberechtigung zuliebe sind alle Schauspielende heute „actors“ geworden.

Irgendwie unergründlich, die Sache mit der Geschlechtlichkeit in der Sprache. Manche Sprachen unterscheiden gar nicht zwischen „er“ und „sie“. Ungarisch zum Beispiel. Auch Türkisch nicht. Dafür grüßt ein Ungar eine Frau anders als einen Mann. Zum Mann sagt Mann „jo napot“, also guten Tag. Zu einer Frau sagt er „kezét czókolom“ (keset tschokolom): „küss die Hand“.
Mit Bots ist alles einfacher. Alle Bots sind von Hause aus gleichberechtigt. Immerhin etwas.

PS (und Themawechsel): Hier nun ein wenig Schleichwerbung: Mein Freund Wolfgang Berends, ein meisterhafter Lyriker in der deutschen Sprache, hat einen sehr lesenswerten Gedichtband veröffentlicht: „Nach Durchsicht der Wolken“. Schöner Titel, gell? Sein Buch wurde neulich für den „The-Beauty-and-the-Book-Award“ fürs hübsche Cover vorgeschlagen. Man kann sich dieses Cover auf der Seite

http://beautyandbook.com/wolfgang-berends-nach-durchsicht-der-wolken/#

selbst bewundern. Schauen Sie sich es an. Ich bin überzeugt, es wird Ihnen gefallen. Wenn ja, dürfen Sie auch „voten“. Siehe da.

Wichtige Post aus der Türkei

Letzte Woche erreichte mich eine Mail in türkischer Sprache. Ich denke, dass es Türkisch war. Vielleicht war es Ungarisch. Nein, das Ungarische hat andere Akzentzeichen. Oder war es vielleicht Finnisch? Nein, definitiv nicht. Das Finnische hat lauter Doppelvokale, die nicht zu übersehen sind.

Auch Türkisch hat Sonderzeichen, manche wie im Deutschen: also „ü“ und „ö“. Auch ein „ç“ hat das Türkische, das wie das französische „ç“ aussieht aber keins ist, da das franz. Zeichen scharfes „Ess“, das türkische „tsch“ bedeutet. Außerdem hat das Türkische ein „ş“, das für „sch“ steht und ein „ğ“, das kein „g“ ist, sondern ein Vokal wie das englische „w“. Herr „Erdoğan“ ist eigentlich Herr „Er-do-uan“.

Deshalb bin ich überzeugt, dass die Mail, die mich letzte Woche erreichte, in türkischer Sprache war. Es hatte all die oben erwähnten Sonderzeichen.

Schade, dass ich den Text nicht lesen konnte. Ich verstehe kein Türkisch, und da ich keine Zeit hatte, Ayaz zu fragen, einen ganz netten Jungen, den ich kenne, habe ich die Mail mehr oder weniger links liegen lassen.

Ein Fehler, wie es sich herausstellte. Denn gestern rief mich Ayaz an.

Ayaz: Weißt du, dass Erdoğan dich in seiner Rede in Istanbul erwähnt hat?

Ich: Mich? Diese Rede vor einer Million Anhängern? Wieso mich?

Ayaz: Weil er nie eine Antwort auf seine Mail an Dich bekommen hat. Das hat er dir sehr übel genommen.

Ich: Ach so! Ja, natürlich. Letzte Woche hab ich so eine Mail auf Türkisch erhalten. War sie von ihm?

Ayaz: Na klar. Er wollte deine Internetplattform benutzen, um einen eigenen Blog zu schreiben.

Ich: Nein. Du machst Witze. Warum ausgerechnet beim Sprachbloggeur?

Ayaz: Weil man ihm weismachte, dass dein Blog über alles beliebt ist in Deutschland. Er meinte, der Sprachbloggeur wäre deshalb der ideale Schauplatz, um gegen die Gülenisten zu schwadronieren.

Ich: Ich bin gerührt, ja geschmeichelt, aber er ist schlecht informiert. Die meisten Hits beim Sprachbloggeur kommen von drive-by-Bots. Es sind keine Menschen, trotzdem aber, geb ich zu, nicht schlecht für das Ranking. Ich wusste ohnehin nicht, wie man ihm das auf Türkisch mitteilen könnte.

Ayaz: Hilft alles nicht. Der Präsident ist untröstlich beleidigt. In seiner Rede wirst du als Beispiel hervorgehoben, wie undemokratisch man sei in Deutschland. Man nehme gern, gebe ungern, sagte er.

Ich: Aber wie kommt er dazu, mir auf Türkisch zu schreiben, wenn ich kein Türkisch kann? Wenn er Deutsch geschrieben hätte, hätte ich ihm vielleicht geholfen, auch wenn ich nicht unbedingt überzeugt bin, dass er recht hat, ich meine das mit den Gülenisten.

Ayaz: Er kann nur Türkisch, und er meinte, dass du als Sprachenkenner auch Türkisch kannst bzw. lernen solltest.

Ich: Und was mach ich jetzt?

Ayaz: Am besten schreibst du ihm eine Entschuldigung, aber auf Türkisch.

Ich: Ich kann aber kein Türkisch.

Ayaz: Dann schreib meinetwegen auf Deutsch oder Englisch.

Ich: Aber du sagtest, dass er nur Türkisch kann.

Ayaz: Egal, er wird ohnehin alles so deuten, wie er will. Ein Tipp aber: Falls du mal eine Reise in die Türkei geplant hast…

Ich: Das will meine Frau schon immer…

Ayaz: Besser wäre es, etwa zwanzig Jahre zu warten. Vielleicht hat er sich bis dahin wieder beruhigt…

Einen erwischt es immer

Seien Sie nur froh, dass es Sie heute nicht erwischt hat. Möglich wäre das schon. Dann wären Sie nicht dazu gekommen, diese Glosse zu lesen.

Oder mich. Denn beinahe hat es mich heute tatsächlich erwischt.

Die Fakten: Ich bin - bei grün - über die Straße gegangen und wollte, auf der anderen Straßenseite angekommen, über die Querstraße links weiter gehen. Ich wandte mich also nach links.

Gerade noch erblickte ich aus dem Augenwinkel den Radlrowdy. So heißen sie in Bayern. Der ist an mir mit einem Affenzahn (komisches Idiom, gell?) vorbeigesaust und hätte mich beinah zamma‘fahrn, wie man hier sagt. Ich hab grad noch angehalten. Er flitzte wortlos weiter, ohne zu bremsen.

Keine Zeit, um mit einer schlagfertigen Antwort aufs Attentat zu reagieren. Keine Zeit um derb zu schimpfen. Nein, ich stand da wie der arglose Tor Parzifal und lächelte verblödet in die Welt.

Der Beinahe-Attentäter war im Nu zwei Straßen weiter, als ich mich an eine Dame wandte und sagte: „Gefährlich ist das Leben.“ Sie schaute mich nur stumm an, als wäre ihr mein Schicksal ziemlich „wurscht“, wie man hier sagt.

Nun fiel mir ein, dass der Linksdreh eigentlich überflüssig war. Ich wollte nämlich zur Post. Wenn ich getan hätte, was ich zu tun vorhatte, wäre nix passiert. Komisch, wie das manchmal ist.

Ich ging also weiter und bin einer Frau begegnet, die mich freundlich anlächelte und sagte: „Der hat Sie beinah zammafahrn. So a Depp.“

„Ja, das Leben ist gefährlich“, wiederholte ich, „Ich mache aber weiter.“

Notabene: All dies geschah innerhalb von fünfzig Sekunden. Ja, so schnell kann sich ein Leben auf den Kopf gestellt werden.

Zum Beispiel die alte Frau, die ich einmal an der Straßenbahnhaltestelle gegenüber von der Post sah: Es war im Winter vor vielleicht zehn Jahren. Die Straße war glatt, und sie ist plötzlich ausgerutscht und gestürzt. Sie dürfte um die neunzig gewesen sein. Ihre Beine waren spindeldürr, und man sah, wie ein Stück Knochen unter der Haut hervorragte. Sie hat sich offensichtlich das Schienbein gebrochen. Eine schmächtige Frau. Alle wollten ihr helfen. Sie lächelte fortdauernd, aber man sah die Tränen in den Augen. Wahrscheinlich wegen des Schmerzes.

Sie war auf dem Weg irgendwohin. Ich vergesse wohin, aber sie hat es gesagt. Und jetzt hat sie sich das Schienbein gebrochen. Man wollte sie in ein Taxi hieven, damit sie schnell ins Krankenhaus komme. Ich glaube, man hat das auch getan. Ich kann mich nicht an einen Krankenwagen erinnern.

Die ganze Zeit ging mir durch den Kopf: Wenn sich ein Pferd das Bein bricht, erschießt man es. Klar: Keiner würde die alte Dame erschießen, weil sie sich das Bein gebrochen hat. Aber der Zufall hat ihr irgendwie eine Kugel durch den Kopf gejagt. Welche Chancen hat eine schmächtige Neunzigjährige, wenn sie sich das Schienbein bricht?

Ja, solche Gedanken gehen einem durch den Kopf, wenn es einen selbst beinah derwischt (so sagt man es hier) hat , und man ist glimpflich davon weggekommen.

Plötzlich fiel mir der Radlrowdy ein. Ich dachte: Wer weiß in welche Katastrophe er vielleicht fünf Straßen weiter gerast ist, weil er es eilig hatte und zur falschen Zeit irgendwo eingetroffen ist. Alles ist möglich, und das Leben ist immer gefährlich, auch für Attentäter.

Pokémon Go und die Wichser

Hallo Pokémon Go-Fans. Vielleicht hat Sie der putzige Pikachu hierher geführt und tänzelt mitten in meinem Wortladen herum. Dann haben Sie bestimmt ein paar Punkte gesammelt. Nur weiter. Ich wünsche viel Glück.

Falls Sie aber nicht wissen, wo genau Sie gelandet sind, hier eine kurze Einleitung:

Der Sprachbloggeur ist eine Art Wortfabrik. Hier werden Wörter zusammengelegt und manchmal unter die Lupe genommen. Zum Beispiel „Pokémon“. Soweit ich weiß, wurde dieser spritzige Begriff von einem schlauen Marketingfritzen in Japan aus dem Boden gestampft. Ich habe gelesen, dass es sich um eine Abkürzung von „pocket monster“ handle. Ist ja nett mal ein kleines Monster in der Tasche zu haben. Nicht wahr?

Zum Glück wissen aber die meisten Englischmuttersprachler nicht, worauf sich der Name „Pokémon“ bezieht. Sonst wäre der Erfolg dieser Marke schnell in die Hose gegangen. Das meine ich sogar wörtlich. Denn: Wenn ich an „pocket monster“ denke, fällt mir sogleich „pocket pool“ ein: zu Deutsch Taschenbilliard. Ja, Sie verstehen schon. Und jeder in der angelsächsischen Welt versteht es ebenso. (Mädchen können pocket pool leider nicht spielen - wahrscheinlich spielen sie auch Pokémon Go sehr selten).

Was mich an Ali S. aka (also known as) David S., Münchens neuestem Massenmörder, zu denken führt.

Vielleicht haben Sie schon das Handyvideo gesehen, das ihn auf einem Parkhausdach zeigt, während ein Anwohner im Nachbarhaus gegen ihn schwadroniert und ihn des Öfteren, u.a., als „Wichser“ beschimpft.

Ich hab gar keine Lust über Ali/David zu erzählen, lediglich über das Wort „Wichser“. Und weil das „Taschenmonster“ (als Begriff) gefährlich nahe dem „Wichser“ schwebt, denke ich, dass Firma Pokémon großes Glück hatte, dass die meisten das nicht verlinken. Letzte Woche war beim Sprachbloggeur vom japanischen Produkt „homo soap“ die Rede. Manche Wörter haben es in sich - vor allem im Zeitalter des internationalen Marketing.

Sie kennen mit Sicherheit die amerikanische Hustensalbe „Vick“. In den USA heißt sie „Vicks“.

Selbstverständlich wurde sie für Deutschland umbenannt. Ist es nicht ulkig, dass „Vick“ so unglaublich weit entfernt von „Vicks“ zu sein scheint, dass keiner sie miteinander in Verbindung bringt? Aber so ist es mit den Wörtern. Wobei das unanständige „Wichsen“ eigentlich ein Beispiel ist für die Verarmung der deutschen Sprache. Fakt ist: Diese Vokabel hat ursprünglich mit „Wachs“ zu tun, genauer gesagt: Es beschreibt als Verb, wie man mit Wachs eine Oberfläche zum Hochglanz bringt. Früher war es Gang und Gebe „Schuhwichse“ zu kaufen. Und es ist nicht so lange her, dass im Treppenhaus ein Plakat hing: „Frisch gewichst“. Was heute nur noch als Treppenwitz zu verstehen wäre. Das kann allerdings nur bedeuten, dass „wichsen“ im Sinn von „selbstbefriedigen“ neueren Datums ist.

Nebenbei: Das gleiche aufgesexte Schicksal ist dem Wort „ficken“ widerfahren. Früher bedeutete diese Vokabel lediglich „reiben“. Im Grimm’sc hen Wörterbuch heißt es, dass der „vulgäre“ Sinn erst vor drei- oder vierjahrhunderten entstanden sei. Kein Mensch wisse, woher. Versuchen Sie heute Ihren Mückenstich zu „ficken“. Klingt äußerst abartig.

Tja. Kaum wird ein Wort mit einer sexuellen Bedeutung belegt, wird es für sonstige Zwecke für alle Zeiten unbrauchbar.

Ich wünsche Ihnen viele schöne Pikachus, liebe pocket monster-Fans.

Kinder und Fremde…

Hier erklären wir den Unterschied zwischen der Sprache erwachsener Menschen (dazu zählen Sie und ich) und der der Kinder (damit meine ich auch jeden, der in einer Sprache noch „jung“ ist, also auch den Fremden).

Fangen wir mit zwei Fangfragen an:

Erstens: Sie lesen in der Zeitung (oder auf dem Phone) einen saftigen Text über Johnny Depp. Woran denken Sie zuerst?

a) an den „Fluch der Karibik“?

b) an J.D.s stürmisches Privatleben?

c) an sein Aussehen?

d) daran, dass sein Name - zumindest auf Bayrisch - „Dummkopf“ bedeutet?

Wenn Sie mit a), b) oder c) antworteten, dann sind Sie eindeutig ein langjähriger Sprecher der deutschen Sprache.

Wenn Sie mit d) antworteten, dann kann ich mir kaum vorstellen, dass Sie überhaupt in der Lage waren, diesen Text selbstständig zu lesen, oder dass Sie dazu Lust gehabt hätten. Denn wer d) antwortete, ist entweder ein Kleinkind oder ein Neuling in der deutschen Sprache, allenfalls ein Mensch, für den jedes Wort dieser Sprache frisch und ohne Nebentöne geblieben ist.

Zweite Frage: Was fällt Ihn ein, wenn Sie an Jude Law denken?

a) Ach der, der britische Schauspieler.

b) Ich fand ihn großartig in „Grand Budapest Hotel“ und in „Genius“.

c) Er sieht gut aus.

d) Das muss ein Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde sein.

Wenn Sie mit a), b) oder c) antworteten, dann sind Sie entweder Deutscher oder deutschsprachig und in Dingen der Popkultur auf dem Laufenden.

Wenn sie mit d) antworteten…na, siehe oben, oder Sie leiden unter bedauernswerten Wahnvorstellungen. (Gleiche Fragestellung und Antwort gelten für das Beatles Lied „Hey Jude“).

Genug der Beispiele. Sie verstehen doch, worum es geht, die Konsequenzen verstehen Sie aber vielleicht noch nicht….

Denn nun eine ganz andere Frage: Was bedeutet es, wenn jemand aufhört, die Vokabeln einer Sprache blauäugig und ohne kulturelle Bezüge aufzufassen? Eine Antwort wäre: Man ist bestens integriert in den kulturellen Normen einer Sprachgemeinschaft, was freilich sehr wichtig ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Eine andere Antwort lautet, dass ein solcher Mensch einer Massenhypnose erlegen ist: Man sieht nur noch das, was alle sehen. Früher hätte man gesagt: Man wird von einem Zauber belegt.

Der Zauber der Massenhypnose wirkt allerdings nicht immer. Der Verkauf einer Seife aus Irland mit dem Namen „Irish Mist“ („mist“ auf Englisch bedeutet „Nebel“ oder „Dunst“) ist aus verständlichen Gründen fehlgeschlagen. Die Japaner hatten vor, in den USA ein Produkt „Homo Soap“ („homo“ wie in „homogenisiert“) auf den Markt zu bringen. Ich erspare Ihnen die Witze…

Kinder hingegen lassen sich nie beirren. Sie freuen sich über die Absurditäten der Gleichklänge einer Sprache. Sie sind wie Lyriker. In meiner Kindheit haben wir uns über den Ehrentitel der Queen, „Her Royal Highness“ (ihre königliche Hoheit) lustig gemacht. Denn wir hörten in „Highness“ (sprich „hei-ness“) „hinie“ (sprich „hei-ni“) heraus, das in der Kindersprache und in Slang „Hintern“ bedeutet. In New York nannte man den Elternbeirat „Parents-Teachers-Ass.“ (kurz für Association). Wir verstanden Eltern-Lehrer „ass“, also „Arsch“.

Als ich noch fremder in der deutschen Sprache war als ich‘s heute bin, ging ich mit meiner Lebensabschnittspartnerin auf Wohnungssuche. Wir klingelten an einer Tür. Der Vermieter öffnete, reichte mir die Hand und sagte, „Fick!“ Macht er ein anzügliches Angebot? dachte ich und stand da wie gelähmt. Meine Lebensabschnittspartnerin witterte diese Reaktion des Fremden und reichte ihm schnell die Hand, um sich vorzustellen. Lange Rede, kurzer Sinn: Wir bekamen die Wohnung nicht.

O Memoria! O Shitstorm!

Äääääm, wie war das denn wieder? Vor längerer Zeit (ein Jahr? zwei Jahre?) hatte ich auf dieser Seite einen Text übers Wort „Shitstorm“ veröffentlicht.

Wenn ich mich noch richtig entsinne, hatte er den Titel: „Wie sagt man Shitstorm auf Englisch?“ (o.ä.). Leider kann ich aus dem Stegreif nicht sagen, ob ich diese Frage damals tatsächlich beantwortet habe oder nicht.

Fest steht jedenfalls: Die Antwort kann nicht „shitstorm“ heißen.

Heute aber weiß die Antwort, und ich werde sie Ihnen mitteilen, falls ich sie damals nicht bereits preisgegeben habe.

Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht mehr, ob ich Ihnen damals eine verbindliche Antwort auf diese Frage gegeben habe. Ich hab nämlich ein schlechtes Gedächtnis…sehr schlecht sogar. So war ich schon immer. Kein Wunder, dass ich bereits 95% von all dem, was ich jemals erlebt habe, vergessen habe – inklusive den Inhalt von Filmen, die ich einst geliebt und von Büchern, die ich eifrig gelesen habe.

„Ich behalte immer weniger von dem, was ich lese“, sagte mir neulich E. Sie klang ein bisschen beunruhigt. Sie hatte immer ein sehr gutes Gedächtnis.

„Meins war schon immer schlecht“, antwortete ich. Ich wollte sie damit trösten.

Nein, keine angehende Demenz meinerseits. Der Demenzkranke weiß nicht, dass er nichts weiß. Ich weiß es, und es stört mich nicht, weil ich weiß, dass das meiste, was ich vergesse, ohnehin nicht wichtig war.

Beispiel: Ich war neulich in meinem Lieblingsobstundgemüseladen, Paradies, und kam, während ich den Brokkoli, die Schwammerln und die leckeren Erdbeeren bezahlte, mit Frau M. und einer zufällig da stehenden Kundin ins Gespräch. Natürlich weiß ich nicht mehr, worüber – mit Ausnahme eines Punktes: Es ging um den Vornamen des Sohnes einer längst verstorbenen Freundin. Ich hatte ihn nämlich vergessen, konnte aber ein paar Hinweise wiederherstellen.

Wie durch Zauber hat die Kundin den fehlenden Namen dank meiner erinnerten Bruchstücke erraten. Das hat mich sehr beeindruckt.

Sonst ist der Inhalt dieses Gesprächs mir völlig untergegangen. Nur eins weiß ich noch: Ich war gut gelaunt und hab unentwegt Geschichten erzählt, was wiederum für andere mal unterhaltsam mal sehr langweilig werden kann. An diesem Tag hat meine gute Laune der Namen erratenden Kundin wohl gefallen. Wie soll ich sonst erklären, dass sie mir urplötzlich sagte, „Ich heiße Charlotte, wie heißen Sie mit Vornamen?“ Das hat mich überrascht. Achtung, dachte ich. Dieser Mensch tritt dir zu nahe. Ich kenne sie nicht, und sie will wissen, wie ich mit Vornamen heiße. Okay, ich gebe zu: Ich bin ein bisschen altmodisch.

Doch mir waren zwei Sachen klar: 1.) dass ich ihren Namen mit Sicherheit nicht merken würde und 2.) dass ich möglicherweise auch das Aussehen der Dame schnell wieder vergessen würde. Stellen Sie sich vor: Ein fremder Mensch ruft mir auf der Straße freundlich zu: „Hallo PJ!“ und ich, weil ich höflich bin, erwidere den Gruß schön freundlich, auch wenn ich nicht weiß, wer das ist. „Hallo!“, sage ich und denke: Wer ist denn das? Kenn ich diesen Menschen?

Lange Rede kurzer Sinn: Ich habe mich geweigert, der Dame meinen Vornamen zu verraten, was sie wiederum ziemlich sauer aufstoßen ließ.

Dennoch war ich sicher, dass ich das Richtige getan hatte. Was ist schlimmer, dachte ich: einen, der mich grüßt, nicht wiederzuerkennen oder jemandem einen unrealistischen Wunsch nicht zu erfüllen? Nebenbei: Sie hieß nicht in Wirklichkeit „Charlotte“. Ich habe aber den richtigen Namen leider vergessen.

Ach, ja. Ich wollte die Frage beantworten, wie man „Shitstorm“ auf Englisch sagt. Na endlich…

Die Antwort lautet „firestorm“. Ich habe den Begriff nämlich zweimal in jüngster Zeit in der New York Times gelesen. Einmal hieß es: „On Saturday Mr. Trump created a firestorm…usw.” und dann “A week after former President Clinton lit a political firestorm…usw.”

Man kann auf Englisch einen firestorm offensichtlich “create” oder “light”. Mir alles neu. „Shitstorm“ (Scheißsturm) wäre ohnehin kein Wort für die prüde NY Times.

Ich vermute, dass „Firestorm“ in diesem Sinn eine Neuigkeit sein muss. Ich jedenfalls hab es nicht gekannt, oder ich hab’s schlichtweg vergessen.

Gelauscht in Cyberhölle…

Bot: O je, schau doch, wie du aussiehst.

Terrorist: Stimmt was nicht?

Bot: Kreideweiß bist du. Als hättest du gerade ein Gespenst gesehen. Ist was?

Terrorist: Näää, bin halt müde. Hab grad eben vierundsechzig in den Tod gejagt, weißtd‘. Sehe ich irgendwie ramponiert aus?

Bot: Hmmm. Lass mich dich etwas genauer visieren.

Terrorist: He, ich bin aber ganz da, oder? (Er schaut sich da unten an). Puh. Beinahe hab ich gedacht, ich hätte…ämmm…ihn…du weißt schon…verloren. Buum! Das wäre natürlich der Wahnsinn gewesen.

Bot: Ne, du scheinst ganz da zu sein.

Terrorist: Das siehst du? He. Bin ich etwa nackt?

Bot: Hier sind alle nackt. Nur ich nicht.

Terrorist: Und wieso das nicht?

Bot: Weil ich immer in Tarnung bin. Keiner sieht mich.

Terrorist: Ich seh dich schon. He, wer bist du überhaupt?

Bot: Einer wie du.

Terrorist: Ein Gottestreuer?

Bot: Nein, Terrorist, du Affe. Bloß virtuell.

Terrorist: Virtuell?

Bot: Das heißt alles kaputt machen aber ohne Blutvergießen…naja…wenigstens nicht direkt.

Terrorist: Kriegst du auch lauter Jungfrauen als Belohnung. Mensch, ich freu mich wahnsinnig drauf. Dir kann ich’s sagen…ich bin selber…ämmm…ääää…noch Jungfrau…oder wie auch immer das heißt, wenn man ein Typ ist.

Bot: Jungfrauen? Hier gibt es keine Jungfrauen, Junge. Hier gibt es nur Information - beziehungsweise Desinformation. Hihihi.

Terrorist: Sag mal: Bin ich nicht im Paradies?

Bot: Das musst du ja wissen. Von mir kann ich allerdings behaupten, dass ich im Paradies bin…das heißt: Es sei denn, irgendein Schlaumeier-Programmierer mich aufstöbert. Das glaube ich aber nicht. Bin zu clever dafür.

Terrorist: Aber meine Jungfrauen…

Bot: Hier sind wir alle gewissermaßen Jungfrauen, Freund…bis uns der Malwarejäger in der Sandbox eingekerkert hat.

Terrorist: Was heißt das „wir sind hier alle Jungfrauen“? Mit dir will ich’s nicht treiben, hast’s verstanden? Ein Verkehrtrumer bin ich wirklich nicht. Gittigitt. He, du bist nicht etwa ein Ungläubiger…oder?

Bot: Du bist ja lustig. Bei mir gibt es nur Nulle und Einser. Auch du bist so, genauer gesagt, lauter Nulle und ein paar Einser, was aber nichts Schlimmes ist. Auch du kannst bei uns eine große Nummer sein, auch wenn du keiner bist. Sag mal, hast du Lust, für mich zu arbeiten?

Terrorist: Für dich arbeiten? Wie das?

Bot: Ganz einfach. Ich gebe dir einen schönen…ämmm…jungfräulichen Code, und du versuchst ihn einem System zuzuschieben. Es ist eine spannende Arbeit. Glaub’s mir. Und manchmal kracht‘s auch.

Terrorist: Was heißt einem System etwas zuschieben? Meinst du, ich habe vierundsechzig Menschen zu Hackfleisch gemacht, um jetzt Systeme etwas zuzuschieben? Was immer das bedeutet.

Opfer: Fünfundsechzig.

Terrorist: Wer bist denn du?

Opfer: Der Nachzügler. Du warst wohl bereits zu weit weg, hast aufgehört zu zählen. (Wendet sich an den Bot). Ich arbeite gern für dich. Hab bereits viel Erfahrung…

Terrorist: Aber meine Jungfrauen…

Bot: (zum Opfer) Nimm den mit. Ich geb euch einen schönen Schadcode für wehwehwehjungfraupunktcom. Bei uns soll jeder sein Glück finden.

Terrorist: Wo bin ich denn hier?

Bot:Zuhause, Freund…

Onkel Sprachbloggeur erklärt die Welt

Wo war ich denn stehen geblieben? Ich meine, vor ca. sechs Wochen, bevor diese Seite von Schädlingen (schämt euch, Rotzpack!) infiziert wurde.

Komisch, doch alles, was ich damals für wichtig hielt (ich meine als Themen für diese Seite), kommt mir plötzlich belanglos vor. Manches, was mir damals unter dem Nagel brannte, langweilt mich plötzlich. Über Mohammed Ali schreiben? Über Brexit? Gähn.

Dann blätterte ich in meinem Notizbuch (ja, ich habe ein Notizbuch angelegt - extra für den Sprachbloggeur) und stieß auf den folgenden Satz. Ich zitiere:

„Vielleicht werde ich Sie mit meiner Entdeckung wenig begeistern, aber hier goes. Ich war auf der Maidult in München…“ Hier endet die Notiz.

Tut mir leid. Inzwischen habe ich vergessen, was es war, das ich auf der Münchener Maidult erlebt habe, und mich veranlasst hat, obigen Satz niederzukritzeln. Das passiert mir immer wieder, weil das Gedächtnis und das Leben im Grunde selten so ordentlich sind wie die Kunst. Und die Kunst? Sie ist lediglich ein Versuch, die Komplexität des Lebens (und der Erinnerungen) eine Form, eine überschaubare Ordnung zu verschaffen.

Womit mir jetzt eine Mail einfällt, die ich vor kurzem von einer Literaturagentin erhalten habe. Sie hat meine Bitte, ein Buch von mir zu betreuen aus folgendem Grund abgelehnt. Ich zitiere:

„…zu stark dialog- und zu wenig handlungsorientiert umgesetzt, um es erfolgreich durchsetzen zu können. Hinzu kommt, dass die Handlung sich immer wieder auf Seitenwegen verliert und das Manuskript nicht ohne Glossar auskommt. Beides ist in der Belletristik kaum vermittelbar.“

Ich gebe zu. Ich habe es ihr nicht einfach gemacht. Besagtes Buch entsprang der bewussten Vorstellung, etwas zu schreiben, das das Chaos des wahren Lebens widerspiegeln sollte. Damit meine ich: Wenn jemand im Freundeskreis eine Geschichte erzählt, geschieht dies erstens in Dialogform und zweitens zumeist mit komplizierten und zum Teil detaillierten Abschweifungen, die immer wieder vom Thema abbringen. Nebenbei: Für manches im Leben braucht man tatsächlich ein Glossar.

Der Satz in der Absage von der Agentin, der mich am meisten auf die Palme gebracht hat, lautet aber:„Beides ist in der Belletristik kaum vermittelbar.“

Wenn nicht in der Belletristik…wo sonst?

Doch jetzt zurück zu meinem eigenen Satz über meine vergessene Erfahrung auf der Maidult (s. oben). Beim nochmaligen Lesen stellte ich fest, dass ich dieses Fragment - zum Glück - nie zu einer Sprachbloggeur-Glosse herausarbeitet habe. Wissen Sie, warum ich sage „zum Glück“? Wegen des ersten Satzes. Dort schrieb ich nämlich: „Vielleicht werde ich Sie mit meiner Entdeckung wenig begeistern…“

Was stimmt da nicht? Ganz einfach: Wenn der Autor selbst verspricht, das etwas „wenig begeistern“ könnte, ist das eine Einladung für den Leser, das gleiche zu empfinden.

Also, liebe Leser und Leserinnen, lesson for the day: Falls Sie jemals auf den Geschmack kommen, einen Text zu schreiben, das andere Menschen lesen sollen, bitte nicht im ersten Satz Ihr Vorhaben entwerten.

Wie die Engländer sagen: It’s bad form.

Und nun ist es offiziell: Der Sprachbloggeur ist wieder da. Schädlinge waren schon immer Selbsttöter.

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