Meine Frau teilte mir neulich mit, dass Frauke Petry den Begriff „völkisch“ rehabilitieren wollte, also ihn positiv besetzen.
Meine Frau war entsetzt darüber. Ich nicht. Schöne Idee, hab ich gedacht. Jedes Wort kann man positiv besetzen. Oder?
Okay, vielleicht nicht jedes Wort aber viele, ja, vielleicht die meisten. Zum Beispiel das Wort „Ekel“. Während meiner Zeit als Journalist hatte ich die Idee, einen Text übers Ekel zu schreiben. „Lieber Herr Blumenthal“, sagte mir mein Chef, „lassen Sie’s. Wir wollen nicht noch mehr Ekel, als es bereits gibt, in die Welt setzen. Oder?“
„Und wie wäre es, wenn ich den Text ‚Das Schöne am Ekel‘ nenne?“
„Oha, Herr Blumenthal, wenn es Ihnen gelingt, mich zu überzeugen, dass das Ekel eine schöne Seite hat, dann nix wie los. Spitzen Sie Ihren Bleistift.“
Es war mir gelungen, ihn zu überzeugen. Leider hab ich den Inhalt des Beitrags inzwischen vergessen. Wahrscheinlich spielte ich mit der Tatsache, dass das Ekel eigentlich fürs Überleben unentbehrlich ist. Ich meine: Was mich „anekelt“, das vermeide ich. So gesehen, hat das Ekel doch seine schöne Seite.
Aber das Schöne am „völkisch“? Gibt es das?
Vor einigen Jahren hat der Sprachbloggeur einen politisch unkorrekten Text über die Losung „Jedem das Seine“ geschrieben, mit dem Ziel sie zu rehabilitieren. Vielleicht hat ihn Frau(ke) Petry mal gelesen. Wer weiß? In diesem Text argumentierte ich, dass dieser Slogan in anderen Sprachen - zum Beispiel im Französischen und im Englischen - schon seit immer positiv besetzt war. Etwa: „Chaqu’un à son goût“ und „To each his own“. Bloß weil mal ein Hornochse auf die zynische Idee gekommen ist, so behauptete ich, diese Redewendung als Losung fürs Buchenwald-KZ zu missbrauchen, muss heute fast jeder Deutsch Sprechende einen Bogen um diese altgediegene Redewendung machen. Irgendwie unfair.
Aber zurück zum „völkisch“.
Denken Sie an „Volk“, das bereits positiv besetzt ist. Man sagt „das deutsche Volk“ und macht sich dabei keineswegs lächerlich. Man kann das Ersparte in der Volksraiffeisenbank (nein, hier keine Schleichwerbung…leider) bunkern, ohne dass man als, wie man früher sagte „rechts von der CSU“ ausgelagert wird. Es gibt auch „Volksbäder“ - zum Beispiel das hübsche Jugendstil „Müller‘sche Volksbad“ in München, und keiner muss dort seinen Arierpass zeigen.
Schließlich ist „völkisch“ das Adjektiv zu „Volk“. Trotzdem sind weder das deutsche Volk, die Volksraiffeisenbank noch das hübsche Müller‘sche Volksbad völkisch. Und das scheint das Problem zu sein.
Vielleicht weiß Frau(ke) Petry, warum es so ist.
Immerhin: Wer das Wort „volkisch“ positiv besetzen will, muss wohl wissen, wie man’s tut.
Ich denke, ich bin ohnehin der Falsche, dieses Thema aufzugreifen. Schließlich bin ich Amerikaner („US-Amerikaner“ sagen die Südamerikaner). Auf Englisch heißt das amerikanische Volk „the American people“. Für „people“ kenn ich keine adjektivische Form. Vielleicht „public“. Doch das ist irgendwie was anders. Wir reden zwar vom „public good“ aber auch vom „public restroom“ - zu Deutsch: „öffentliche Erfrischungsanstalt“. Und dann gibt es „populist“. Doch dieses Wort ist fast stets negativ besetzt...
Ich sehe. Die Sache wird zusehends komplizierter. Vielleicht hilft uns mal Frau(ke) Petry aus dem Schlamassel. Denn sie weiß sicherlich ganz genau, wie man „völkisch“ positiv zu besetzen hat.
PS Liebe Leser, liebe Bots, der Sprachbloggeur schließt für ein paar Wochen seine Wortfabrik. Nächster neuer Beitrag ist für Anfang Oktober vorgesehen.
Wir befinden uns im Paradies. Ja, treue Leser, ich meine damit, wie gewohnt, meinen Lieblingsobstundgemüseladen.
Ich: Verstehen Sie mich nicht falsch, Frau M., Ihre Tomaten sind köstlich. Doch, meine Frau und ich waren letzte Woche bei Freunden nahe Pforzheim und bekamen dort Tomaten frisch von deren Garten. Wenn ich ehrlich sprechen darf: Sie waren noch himmlischer als die im Paradies.
Frau M.: Selbstverständlich, dürfen Sie ehrlich drüber sprechen, lieber Herr Sprachbloggeur. Aber wissen Sie, warum die dortigen Tomaten so köstlich waren? Weil es keine genormten Tomaten waren, wie jene, die für den Handel bestimmt sind und so gezüchtigt werden, dass sie lange halten, eine perfekte Form vorweisen und die genau richtige Farbe haben.
Ich: Meinen Sie, man bekommt in der EU nur noch Frankensteintomaten?
Frau M.: Tja, vielleicht a bisserl scho.
Das Gespräch geht weiter. Das mit den Tomaten führt nun zu einem Gespräch über Düfte, was uns wiederum irgendwie auf das Thema Verlust des Geruchsinns bringt. Ich erzähle von einem wunderbaren Buch, das ich mal gelesen hatte, „Wie riecht die Welt“. Es handelt von einem Mann, der seinen Geruchssinn verloren hat.
Frau M.: Ein furchtbares Schicksal.
Was nun Frau M. animiert, von diversen Menschen, die sie gekannt hat, zu erzählen, denen eben dieses Schicksal ereilte.
Ich: Der gesunde Mensch ahnt kaum, wie sehr er vom Geruch- und Geschmacksinn abhängig ist.
Frau M.: Ja, viel Freude geht auf Nimmerwiedersehen verloren.
Ich: Auch das Sexuelle wird in Mitleidenschaft gezogen. Denn auch da nimmt das Riechen eine wesentliche Rolle ein.
Frau M.: Überhaupt für die Partnerwahl. Deswegen heißt es ja: „Den kann ich nicht riechen.“
Nun erzähle ich von jemandem, der an Zungenkrebs erkrankt war. Durch eine äußerst komplizierte Operation wurde ihm eine Art künstliche Zunge verpasst.
Ich: Er musste von Neuem das Sprechen lernen, hat aber seinen Geschmacksinn nie wieder erlangt.
Das Stichwort Operation führt jetzt zum Thema Anästhesieunverträglichkeit.
Frau M.: Es gibt Menschen, die allergisch gegen gewisse Betäubungsmittel sind. Doch leider erfahren dies die Ärzte erst, nachdem der Patient nicht mehr aufwacht.
Ich: Auch das ist ein Schicksal.
Frau M.: Es handelt sich jedenfalls um ein genetisches Problem. Wenn eine in der Familie das hatte, dann sollten sich die anderen Familienmitglieder möglichst genetisch untersuchen lassen.
Ich: Schrecklich. Je älter man wird, umso mehr stellt man fest, wie gefährlich das Leben ist.
An diesem Punkt gelangt, fange ich an von Menschen meiner Bekanntschaft zu erzählen, die todkrank sind. Zugleich gebe ich zu erkennen, dass ich jetzt bereit bin, meine Erdbeeren, meine Birne, meine Äpfel und meine Aprikosen zu bezahlen, um nach Hause zu gehen.
Frau M.: Aber Herr Sprachbloggeur, so dürfen wir unser Gespräch nicht beenden. Mir wär das viel zu gruselig. Wir müssen mit etwas Lebensbejahendem schließen.
Ich: Hmm. Wie wär es mit den aromatischen Tomaten, die meine Frau und ich genießen durften, als wir unsere Freunde besuchten? Sie waren wirklich sehr lecker. Ich denke immer noch daran.
Frau M.: Ich bekomme schon selbst jetzt Appetit drauf.
Lange hatte ich nicht gewusst, dass mein Nachbar, Herr S. an Alzheimer litt. Wir haben uns stets bestens unterhalten. Er hat mir endlose Geschichten aus seiner Jugend und aus dem Krieg erzählt, hat seinen Vater, zu dem er ein ambivalentes Verhältnis hatte, gekonnt porträtiert, hat mir unterhaltsame Ereignisse aus seinem Geschäftsleben und über die skurrilen Figuren, mit denen er damals zu tun hatte, erzählt. Er war nämlich Rechtsanwalt in Ruhestand.
Kann sein, dass er manchmal eine Geschichte wiederholte, aber so what. Das tu ich auch, wenn mir etwas besonders gefällt.
Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann genau ich erfuhr, dass er Alzheimer krank war. Aber auch nachdem ich Bescheid wusste, blieb es bei business as usual. Unsere Gespräche waren ebenso unterhaltsam wie immer.
Herr S. hat mich niemals mit Namen genannt. Das war mir aber nie aufgefallen. Denn ich habe seinen Namen auch niemals in den Mund genommen. Wir waren uns halt beidseitig sympathisch. Mehr ist nicht zu sagen.
Er war der geborene Geschichtenerzähler, niemals langweilig und stets spontan und wortgewandt. Ich wünschte, ich könnte so schön erzählen wie er.
Okay, manchmal war er ja doch ein bisschen vergesslich, was ich nur dann feststellte, weil seine Schusseligkeit seiner Frau auf die Nerven ging. Der Partner/die Partnerin möchte, wenn er oder sie redet, das Gefühl haben, dass der andere zuhört. Wenn es nicht so ist, kann man die Fassung verlieren. So war es bei ihr. Das ist verständlich.
Doch manchmal wurden diese privaten Auseinandersetzungen vor meiner Frau und mir ausgetragen, was mir peinlich war. Ich wäre in solchen Augenblicken am liebsten woanders gewesen.
Eines Abends saßen wir bei Familie S. zu Tisch. Frau S. hat immer köstliche Sachen serviert. Auf einmal griff Frau S. ihren Mann wegen irgendeiner Kleinigkeit heftig an und schimpfte über seine Vergesslichkeit. Er reagierte ziemlich hilflos. Es war nicht schön zu sehen. Doch bald setzten wir, er und ich, unser Gespräch fort, und alles war…vergessen.
Aber dann auf einmal hielt er kurz inne und sagte: „Wissen Sie. Eigentlich habe ich keine Ahnung, wie Sie heißen“
Daraufhin antwortete ich spontan: „Ist das wichtig?“
Er schaute mich nachdenklich an, dann zuckte er mit den Achseln: „Eigentlich nicht.“
Und dann redeten wir weiter. Keine Ahnung worüber, aber er blieb nach wie vor ein meistervoller Geschichtenerzähler.
Hat er meinen Namen vergessen, weil er Alzheimer krank war? Erst Jahre später fiel mir ein, dass er womöglich zu keiner Zeit meinen Namen kannte. So war er halt. Erzähler hören oft am liebsten die eigene Stimme an.
War das wichtig, dass er meinen Namen nicht wusste?
Eigentlich nicht.
Irgendwann sind wir umgezogen, und irgendwann wurde sein Zustand hoffnungslos, wie es halt ist bei Alzheimer Kranken. Das habe ich jedenfalls später erfahren. Aber so ist es, wenn man an dieser Krankheit leidet.
Ich habe vergessen, wie und wann er gestorben ist. Doch auch das ist nicht wichtig.
Nett Sie kennengelernt zu haben, Herr S.
PS Ich glaube, dass es in der deutschen Sprache den Begriff „der Alzheimer Kranke“ nicht gibt. Aber so what.
Leser des Sprachbloggeurs bekommen heute einen Exklusivbericht, da das vorgesehene Thema sonst niemand anpackt. Leider.
Es geht um die vielen Geschichten der letzten Monate über diverse „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“.
Wahrlich keine Mangelware momentan. Mal ISIS, mal Assad, mal Boko Haram….Hab ich etwas vergessen? Ganz bestimmt.
Wie Sie höre auch ich diese Floskel „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und denke: „Unrat“, „zum Kotzen“ oder „Idioten“ usw. Doch manchmal kommt mir auch etwas ganz anders in den Kopf. Ich denke: Verbrechen… gegen die Menschlichkeit….wie bitte?
Geht’s Ihnen manchmal auch so? Ich meine: Was ist denn ein Verbrechen gegen die „Menschlichkeit“?
Genauer gesagt: Was tut der ISIS oder Boko Haram, oder Assad usw., dass man ihre Handlungen als gegen die „Menschlichkeit“ versteht? Werden die zu ruppig oder schrecklich unhöflich?
Ich drück mich vielleicht anders aus: Kommt Ihnen in diesem Zusammenhang das Wort „Menschlichkeit“ nicht ein bisschen…äähm…schwach vor als Beschreibung für die Verbrechen der oben Erwähnten?
Mir schon. Und ich weiß, warum:
Der Gemeinplatz, „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, ist nämlich ein Übersetzungsfehler. Man kann die Sache sogar genau zurückverfolgen. Und das werde ich jetzt tun.
Wir schreiben das goldene Jahr 1946….
Sicherlich ist Ihnen das Nürnberger Kriegsverbrecherverfahren noch ein Begriff. Falls nicht, hier ganz kurz: 1946 wurden in Nürnberg diverse hohe Tiere der Nazihierarchie als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt.
Um dieses Gerichtsverfahren zu rechtfertigen, wurde von den Alliierten der Begriff „crimes against humanity“ aus dem Boden gestampft. Das Wort „humanity“ hat aber auf Englisch zwei Bedeutungen. Die eine wird im Deutschen mit „Menschheit“, die andere mit „Menschlichkeit“ wiedergeben. In Nürnberg war freilich der erste Sinn gemeint. Das ist ja klar. Den Kriegsverbrechern wurden nämlich Verbrechen gegen die gesamte Menschheit vorgeworfen. Das heißt: Ihre Verbrechen waren total menschenverachtend.
Was den zweiten Sinn dieses Wortes betrifft: Den kennt jeder - auch der Deutsche. In den USA, z.B., entscheidet sich ein Student für eine akademische Laufbahn in den „humanities“ (also Sprache, Literatur, Geschichte usw.) oder in den „sciences“ (Physik, Chemie, Biologie, Informatik usw.). Wer sich den Ruf als Wohltätiger erworben hat, wird als „humanitarian“ bezeichnet etc. Im Deutschen kennt man den „Humanismus“, und das „humanistische“ Gymnasium usw.
Wohl ist in Nürnberg dem deutschen Übersetzer des Terminus „crimes against humanity“ (keine Ahnung, wer das war) ein Fehler unterlaufen. Anstatt „Verbrechen gegen die Menschheit“ hat er mit „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ übersetzt. Warum, weiß nur er.
Lange war ich überzeugt, dass ich der einzige bin, der die Formulierung „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ in die falsche Kehle bekommt. Doch nun hab ich gelesen, dass schon damals der franz. Richter in Nürnberg, M. Donnedieu de Fabres, diese Übersetzung als „irreführend“ kritisiert hatte. Hanna Arendt hat es einmal als „das Understatement des Jahrhunderts“ bezeichnet. Das sind nur zwei von vielen Skeptikern.
Dass es sich bei dieser Floskel um einen Übersetzungsfehler handelt, ist inzwischen längst vergessen. Heute müssen wir uns deshalb damit abfinden, dass sich Massenmörder sich nicht sehr menschlich verhalten. Sie sollten sich schämen.
Liebe Leser, liebe Bots, eine Frage zu Beginn:
Was ist der Unterschied zwischen einem Leser und einem Bot? Also, „thinking caps“ aufsetzen und gründlich überlegen.
Soll ich die Antwort verraten? Was heißt Antwort. Es gibt mehrere Antworten.
Erste: Leser haben Augen, Nasen usw., und sie atmen Sauerstoff, um zu überleben. Bots haben keine Augen, keine Nasen usw. Sie atmen überhaupt nicht. Sie existieren nur, solange der Strom fließt.
Zweite: Leser haben Meinungen. Sie sind in der Lage, einen Text für gut oder schlecht zu halten. Sie sind sogar in der Lage, „Leser“-Kommentare zu schreiben. Bei mir aber momentan leider nicht, zumindest noch nicht. Seitdem unsere aller Feinde, die Schädlinge, diese Seite zwei Monate lang lahmgelegt hatten, wurde die Option „Leserkommentare“ vorübergehend abgeschaltet. Bots kommentieren nie - ich meine, wenn man mit „kommentieren“ „eine Meinung mitteilen“ meint. Bots sind lediglich in der Lage, Werbung und giftiges Zeug zu hinterlassen.
Dritte: Leser sind für einen Schriftsteller eine Notwendigkeit. Denn schließlich schreibt der Schriftsteller für sie. Bots bringen nur einen Vorteil - zumindest wenn die Besucherzahl wichtig ist: Sie werden gezählt. Auch wenn sie keine richtigen Leser sind, ist das für die Zahlenstatistik wurscht. Das „Ranking“ steigt.
Vierte: Leser unterliegen den Gesetzen der politischen Korrektheit. Weshalb es manchmal als unziemlich gilt von „Lesern“ gar zu sprechen. Es müsste eigentlich „Leser und Leserinnen“ heißen oder „LeserInnen“ oder „Leser*innen“ usw. Bots hingegen sind halt Bots. Immer. Ein Bot ist ein Bot ist ein Bot. Auch wenn der Bot grammatikalisch männlich ist, kommen nicht einmal die eifrigsten Verfechter*Innen der politischen Korrektheit auf die Idee, auf „Bot*Innen“ zu bestehen. Man könnte ohnehin meinen, dass „Bot*Innen“ etwas mit „Boten“ zu tun hätten.
Yep, Bots bleiben Bots, und Terroristen Terroristen. Nicht einmal ein(e) feurige(r) Verfechter(in) der sprachlichen Gleichheit erträumt sich das Wort „Terrorist*Innen“. Gleiches gilt für die „Räuber*Innen“ und „Idiot*Innen“.
Gerade fällt mir ein: Wieso gibt es keine „Gästin“ in der dt. Sprache und folglich keine „Gäst*Innen“?
Nebenbei: Auf Englisch wird die Gleichberechtigung der Nomina anders ins Leben gerufen: Man hat die weiblichen Formen von Nomina schlichtweg aus dem Verkehr gezogen. Beispiel: In den letzten Jahren sind die „actresses“ (Schauspielerinnen) fast ganz von der Bühne verschwunden. Der Gleichberechtigung zuliebe sind alle Schauspielende heute „actors“ geworden.
Irgendwie unergründlich, die Sache mit der Geschlechtlichkeit in der Sprache. Manche Sprachen unterscheiden gar nicht zwischen „er“ und „sie“. Ungarisch zum Beispiel. Auch Türkisch nicht. Dafür grüßt ein Ungar eine Frau anders als einen Mann. Zum Mann sagt Mann „jo napot“, also guten Tag. Zu einer Frau sagt er „kezét czókolom“ (keset tschokolom): „küss die Hand“.
Mit Bots ist alles einfacher. Alle Bots sind von Hause aus gleichberechtigt. Immerhin etwas.
PS (und Themawechsel): Hier nun ein wenig Schleichwerbung: Mein Freund Wolfgang Berends, ein meisterhafter Lyriker in der deutschen Sprache, hat einen sehr lesenswerten Gedichtband veröffentlicht: „Nach Durchsicht der Wolken“. Schöner Titel, gell? Sein Buch wurde neulich für den „The-Beauty-and-the-Book-Award“ fürs hübsche Cover vorgeschlagen. Man kann sich dieses Cover auf der Seite
http://beautyandbook.com/wolfgang-berends-nach-durchsicht-der-wolken/#
selbst bewundern. Schauen Sie sich es an. Ich bin überzeugt, es wird Ihnen gefallen. Wenn ja, dürfen Sie auch „voten“. Siehe da.
Letzte Woche erreichte mich eine Mail in türkischer Sprache. Ich denke, dass es Türkisch war. Vielleicht war es Ungarisch. Nein, das Ungarische hat andere Akzentzeichen. Oder war es vielleicht Finnisch? Nein, definitiv nicht. Das Finnische hat lauter Doppelvokale, die nicht zu übersehen sind.
Auch Türkisch hat Sonderzeichen, manche wie im Deutschen: also „ü“ und „ö“. Auch ein „ç“ hat das Türkische, das wie das französische „ç“ aussieht aber keins ist, da das franz. Zeichen scharfes „Ess“, das türkische „tsch“ bedeutet. Außerdem hat das Türkische ein „ş“, das für „sch“ steht und ein „ğ“, das kein „g“ ist, sondern ein Vokal wie das englische „w“. Herr „Erdoğan“ ist eigentlich Herr „Er-do-uan“.
Deshalb bin ich überzeugt, dass die Mail, die mich letzte Woche erreichte, in türkischer Sprache war. Es hatte all die oben erwähnten Sonderzeichen.
Schade, dass ich den Text nicht lesen konnte. Ich verstehe kein Türkisch, und da ich keine Zeit hatte, Ayaz zu fragen, einen ganz netten Jungen, den ich kenne, habe ich die Mail mehr oder weniger links liegen lassen.
Ein Fehler, wie es sich herausstellte. Denn gestern rief mich Ayaz an.
Ayaz: Weißt du, dass Erdoğan dich in seiner Rede in Istanbul erwähnt hat?
Ich: Mich? Diese Rede vor einer Million Anhängern? Wieso mich?
Ayaz: Weil er nie eine Antwort auf seine Mail an Dich bekommen hat. Das hat er dir sehr übel genommen.
Ich: Ach so! Ja, natürlich. Letzte Woche hab ich so eine Mail auf Türkisch erhalten. War sie von ihm?
Ayaz: Na klar. Er wollte deine Internetplattform benutzen, um einen eigenen Blog zu schreiben.
Ich: Nein. Du machst Witze. Warum ausgerechnet beim Sprachbloggeur?
Ayaz: Weil man ihm weismachte, dass dein Blog über alles beliebt ist in Deutschland. Er meinte, der Sprachbloggeur wäre deshalb der ideale Schauplatz, um gegen die Gülenisten zu schwadronieren.
Ich: Ich bin gerührt, ja geschmeichelt, aber er ist schlecht informiert. Die meisten Hits beim Sprachbloggeur kommen von drive-by-Bots. Es sind keine Menschen, trotzdem aber, geb ich zu, nicht schlecht für das Ranking. Ich wusste ohnehin nicht, wie man ihm das auf Türkisch mitteilen könnte.
Ayaz: Hilft alles nicht. Der Präsident ist untröstlich beleidigt. In seiner Rede wirst du als Beispiel hervorgehoben, wie undemokratisch man sei in Deutschland. Man nehme gern, gebe ungern, sagte er.
Ich: Aber wie kommt er dazu, mir auf Türkisch zu schreiben, wenn ich kein Türkisch kann? Wenn er Deutsch geschrieben hätte, hätte ich ihm vielleicht geholfen, auch wenn ich nicht unbedingt überzeugt bin, dass er recht hat, ich meine das mit den Gülenisten.
Ayaz: Er kann nur Türkisch, und er meinte, dass du als Sprachenkenner auch Türkisch kannst bzw. lernen solltest.
Ich: Und was mach ich jetzt?
Ayaz: Am besten schreibst du ihm eine Entschuldigung, aber auf Türkisch.
Ich: Ich kann aber kein Türkisch.
Ayaz: Dann schreib meinetwegen auf Deutsch oder Englisch.
Ich: Aber du sagtest, dass er nur Türkisch kann.
Ayaz: Egal, er wird ohnehin alles so deuten, wie er will. Ein Tipp aber: Falls du mal eine Reise in die Türkei geplant hast…
Ich: Das will meine Frau schon immer…
Ayaz: Besser wäre es, etwa zwanzig Jahre zu warten. Vielleicht hat er sich bis dahin wieder beruhigt…
Seien Sie nur froh, dass es Sie heute nicht erwischt hat. Möglich wäre das schon. Dann wären Sie nicht dazu gekommen, diese Glosse zu lesen.
Oder mich. Denn beinahe hat es mich heute tatsächlich erwischt.
Die Fakten: Ich bin - bei grün - über die Straße gegangen und wollte, auf der anderen Straßenseite angekommen, über die Querstraße links weiter gehen. Ich wandte mich also nach links.
Gerade noch erblickte ich aus dem Augenwinkel den Radlrowdy. So heißen sie in Bayern. Der ist an mir mit einem Affenzahn (komisches Idiom, gell?) vorbeigesaust und hätte mich beinah zamma‘fahrn, wie man hier sagt. Ich hab grad noch angehalten. Er flitzte wortlos weiter, ohne zu bremsen.
Keine Zeit, um mit einer schlagfertigen Antwort aufs Attentat zu reagieren. Keine Zeit um derb zu schimpfen. Nein, ich stand da wie der arglose Tor Parzifal und lächelte verblödet in die Welt.
Der Beinahe-Attentäter war im Nu zwei Straßen weiter, als ich mich an eine Dame wandte und sagte: „Gefährlich ist das Leben.“ Sie schaute mich nur stumm an, als wäre ihr mein Schicksal ziemlich „wurscht“, wie man hier sagt.
Nun fiel mir ein, dass der Linksdreh eigentlich überflüssig war. Ich wollte nämlich zur Post. Wenn ich getan hätte, was ich zu tun vorhatte, wäre nix passiert. Komisch, wie das manchmal ist.
Ich ging also weiter und bin einer Frau begegnet, die mich freundlich anlächelte und sagte: „Der hat Sie beinah zammafahrn. So a Depp.“
„Ja, das Leben ist gefährlich“, wiederholte ich, „Ich mache aber weiter.“
Notabene: All dies geschah innerhalb von fünfzig Sekunden. Ja, so schnell kann sich ein Leben auf den Kopf gestellt werden.
Zum Beispiel die alte Frau, die ich einmal an der Straßenbahnhaltestelle gegenüber von der Post sah: Es war im Winter vor vielleicht zehn Jahren. Die Straße war glatt, und sie ist plötzlich ausgerutscht und gestürzt. Sie dürfte um die neunzig gewesen sein. Ihre Beine waren spindeldürr, und man sah, wie ein Stück Knochen unter der Haut hervorragte. Sie hat sich offensichtlich das Schienbein gebrochen. Eine schmächtige Frau. Alle wollten ihr helfen. Sie lächelte fortdauernd, aber man sah die Tränen in den Augen. Wahrscheinlich wegen des Schmerzes.
Sie war auf dem Weg irgendwohin. Ich vergesse wohin, aber sie hat es gesagt. Und jetzt hat sie sich das Schienbein gebrochen. Man wollte sie in ein Taxi hieven, damit sie schnell ins Krankenhaus komme. Ich glaube, man hat das auch getan. Ich kann mich nicht an einen Krankenwagen erinnern.
Die ganze Zeit ging mir durch den Kopf: Wenn sich ein Pferd das Bein bricht, erschießt man es. Klar: Keiner würde die alte Dame erschießen, weil sie sich das Bein gebrochen hat. Aber der Zufall hat ihr irgendwie eine Kugel durch den Kopf gejagt. Welche Chancen hat eine schmächtige Neunzigjährige, wenn sie sich das Schienbein bricht?
Ja, solche Gedanken gehen einem durch den Kopf, wenn es einen selbst beinah derwischt (so sagt man es hier) hat , und man ist glimpflich davon weggekommen.
Plötzlich fiel mir der Radlrowdy ein. Ich dachte: Wer weiß in welche Katastrophe er vielleicht fünf Straßen weiter gerast ist, weil er es eilig hatte und zur falschen Zeit irgendwo eingetroffen ist. Alles ist möglich, und das Leben ist immer gefährlich, auch für Attentäter.
Hallo Pokémon Go-Fans. Vielleicht hat Sie der putzige Pikachu hierher geführt und tänzelt mitten in meinem Wortladen herum. Dann haben Sie bestimmt ein paar Punkte gesammelt. Nur weiter. Ich wünsche viel Glück.
Falls Sie aber nicht wissen, wo genau Sie gelandet sind, hier eine kurze Einleitung:
Der Sprachbloggeur ist eine Art Wortfabrik. Hier werden Wörter zusammengelegt und manchmal unter die Lupe genommen. Zum Beispiel „Pokémon“. Soweit ich weiß, wurde dieser spritzige Begriff von einem schlauen Marketingfritzen in Japan aus dem Boden gestampft. Ich habe gelesen, dass es sich um eine Abkürzung von „pocket monster“ handle. Ist ja nett mal ein kleines Monster in der Tasche zu haben. Nicht wahr?
Zum Glück wissen aber die meisten Englischmuttersprachler nicht, worauf sich der Name „Pokémon“ bezieht. Sonst wäre der Erfolg dieser Marke schnell in die Hose gegangen. Das meine ich sogar wörtlich. Denn: Wenn ich an „pocket monster“ denke, fällt mir sogleich „pocket pool“ ein: zu Deutsch Taschenbilliard. Ja, Sie verstehen schon. Und jeder in der angelsächsischen Welt versteht es ebenso. (Mädchen können pocket pool leider nicht spielen - wahrscheinlich spielen sie auch Pokémon Go sehr selten).
Was mich an Ali S. aka (also known as) David S., Münchens neuestem Massenmörder, zu denken führt.
Vielleicht haben Sie schon das Handyvideo gesehen, das ihn auf einem Parkhausdach zeigt, während ein Anwohner im Nachbarhaus gegen ihn schwadroniert und ihn des Öfteren, u.a., als „Wichser“ beschimpft.
Ich hab gar keine Lust über Ali/David zu erzählen, lediglich über das Wort „Wichser“. Und weil das „Taschenmonster“ (als Begriff) gefährlich nahe dem „Wichser“ schwebt, denke ich, dass Firma Pokémon großes Glück hatte, dass die meisten das nicht verlinken. Letzte Woche war beim Sprachbloggeur vom japanischen Produkt „homo soap“ die Rede. Manche Wörter haben es in sich - vor allem im Zeitalter des internationalen Marketing.
Sie kennen mit Sicherheit die amerikanische Hustensalbe „Vick“. In den USA heißt sie „Vicks“.
Selbstverständlich wurde sie für Deutschland umbenannt. Ist es nicht ulkig, dass „Vick“ so unglaublich weit entfernt von „Vicks“ zu sein scheint, dass keiner sie miteinander in Verbindung bringt? Aber so ist es mit den Wörtern. Wobei das unanständige „Wichsen“ eigentlich ein Beispiel ist für die Verarmung der deutschen Sprache. Fakt ist: Diese Vokabel hat ursprünglich mit „Wachs“ zu tun, genauer gesagt: Es beschreibt als Verb, wie man mit Wachs eine Oberfläche zum Hochglanz bringt. Früher war es Gang und Gebe „Schuhwichse“ zu kaufen. Und es ist nicht so lange her, dass im Treppenhaus ein Plakat hing: „Frisch gewichst“. Was heute nur noch als Treppenwitz zu verstehen wäre. Das kann allerdings nur bedeuten, dass „wichsen“ im Sinn von „selbstbefriedigen“ neueren Datums ist.
Nebenbei: Das gleiche aufgesexte Schicksal ist dem Wort „ficken“ widerfahren. Früher bedeutete diese Vokabel lediglich „reiben“. Im Grimm’sc hen Wörterbuch heißt es, dass der „vulgäre“ Sinn erst vor drei- oder vierjahrhunderten entstanden sei. Kein Mensch wisse, woher. Versuchen Sie heute Ihren Mückenstich zu „ficken“. Klingt äußerst abartig.
Tja. Kaum wird ein Wort mit einer sexuellen Bedeutung belegt, wird es für sonstige Zwecke für alle Zeiten unbrauchbar.
Ich wünsche Ihnen viele schöne Pikachus, liebe pocket monster-Fans.
Hier erklären wir den Unterschied zwischen der Sprache erwachsener Menschen (dazu zählen Sie und ich) und der der Kinder (damit meine ich auch jeden, der in einer Sprache noch „jung“ ist, also auch den Fremden).
Fangen wir mit zwei Fangfragen an:
Erstens: Sie lesen in der Zeitung (oder auf dem Phone) einen saftigen Text über Johnny Depp. Woran denken Sie zuerst?
a) an den „Fluch der Karibik“?
b) an J.D.s stürmisches Privatleben?
c) an sein Aussehen?
d) daran, dass sein Name - zumindest auf Bayrisch - „Dummkopf“ bedeutet?
Wenn Sie mit a), b) oder c) antworteten, dann sind Sie eindeutig ein langjähriger Sprecher der deutschen Sprache.
Wenn Sie mit d) antworteten, dann kann ich mir kaum vorstellen, dass Sie überhaupt in der Lage waren, diesen Text selbstständig zu lesen, oder dass Sie dazu Lust gehabt hätten. Denn wer d) antwortete, ist entweder ein Kleinkind oder ein Neuling in der deutschen Sprache, allenfalls ein Mensch, für den jedes Wort dieser Sprache frisch und ohne Nebentöne geblieben ist.
Zweite Frage: Was fällt Ihn ein, wenn Sie an Jude Law denken?
a) Ach der, der britische Schauspieler.
b) Ich fand ihn großartig in „Grand Budapest Hotel“ und in „Genius“.
c) Er sieht gut aus.
d) Das muss ein Mitglied der Israelitischen Kultusgemeinde sein.
Wenn Sie mit a), b) oder c) antworteten, dann sind Sie entweder Deutscher oder deutschsprachig und in Dingen der Popkultur auf dem Laufenden.
Wenn sie mit d) antworteten…na, siehe oben, oder Sie leiden unter bedauernswerten Wahnvorstellungen. (Gleiche Fragestellung und Antwort gelten für das Beatles Lied „Hey Jude“).
Genug der Beispiele. Sie verstehen doch, worum es geht, die Konsequenzen verstehen Sie aber vielleicht noch nicht….
Denn nun eine ganz andere Frage: Was bedeutet es, wenn jemand aufhört, die Vokabeln einer Sprache blauäugig und ohne kulturelle Bezüge aufzufassen? Eine Antwort wäre: Man ist bestens integriert in den kulturellen Normen einer Sprachgemeinschaft, was freilich sehr wichtig ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Eine andere Antwort lautet, dass ein solcher Mensch einer Massenhypnose erlegen ist: Man sieht nur noch das, was alle sehen. Früher hätte man gesagt: Man wird von einem Zauber belegt.
Der Zauber der Massenhypnose wirkt allerdings nicht immer. Der Verkauf einer Seife aus Irland mit dem Namen „Irish Mist“ („mist“ auf Englisch bedeutet „Nebel“ oder „Dunst“) ist aus verständlichen Gründen fehlgeschlagen. Die Japaner hatten vor, in den USA ein Produkt „Homo Soap“ („homo“ wie in „homogenisiert“) auf den Markt zu bringen. Ich erspare Ihnen die Witze…
Kinder hingegen lassen sich nie beirren. Sie freuen sich über die Absurditäten der Gleichklänge einer Sprache. Sie sind wie Lyriker. In meiner Kindheit haben wir uns über den Ehrentitel der Queen, „Her Royal Highness“ (ihre königliche Hoheit) lustig gemacht. Denn wir hörten in „Highness“ (sprich „hei-ness“) „hinie“ (sprich „hei-ni“) heraus, das in der Kindersprache und in Slang „Hintern“ bedeutet. In New York nannte man den Elternbeirat „Parents-Teachers-Ass.“ (kurz für Association). Wir verstanden Eltern-Lehrer „ass“, also „Arsch“.
Als ich noch fremder in der deutschen Sprache war als ich‘s heute bin, ging ich mit meiner Lebensabschnittspartnerin auf Wohnungssuche. Wir klingelten an einer Tür. Der Vermieter öffnete, reichte mir die Hand und sagte, „Fick!“ Macht er ein anzügliches Angebot? dachte ich und stand da wie gelähmt. Meine Lebensabschnittspartnerin witterte diese Reaktion des Fremden und reichte ihm schnell die Hand, um sich vorzustellen. Lange Rede, kurzer Sinn: Wir bekamen die Wohnung nicht.
Äääääm, wie war das denn wieder? Vor längerer Zeit (ein Jahr? zwei Jahre?) hatte ich auf dieser Seite einen Text übers Wort „Shitstorm“ veröffentlicht.
Wenn ich mich noch richtig entsinne, hatte er den Titel: „Wie sagt man Shitstorm auf Englisch?“ (o.ä.). Leider kann ich aus dem Stegreif nicht sagen, ob ich diese Frage damals tatsächlich beantwortet habe oder nicht.
Fest steht jedenfalls: Die Antwort kann nicht „shitstorm“ heißen.
Heute aber weiß die Antwort, und ich werde sie Ihnen mitteilen, falls ich sie damals nicht bereits preisgegeben habe.
Um ehrlich zu sein, weiß ich nicht mehr, ob ich Ihnen damals eine verbindliche Antwort auf diese Frage gegeben habe. Ich hab nämlich ein schlechtes Gedächtnis…sehr schlecht sogar. So war ich schon immer. Kein Wunder, dass ich bereits 95% von all dem, was ich jemals erlebt habe, vergessen habe – inklusive den Inhalt von Filmen, die ich einst geliebt und von Büchern, die ich eifrig gelesen habe.
„Ich behalte immer weniger von dem, was ich lese“, sagte mir neulich E. Sie klang ein bisschen beunruhigt. Sie hatte immer ein sehr gutes Gedächtnis.
„Meins war schon immer schlecht“, antwortete ich. Ich wollte sie damit trösten.
Nein, keine angehende Demenz meinerseits. Der Demenzkranke weiß nicht, dass er nichts weiß. Ich weiß es, und es stört mich nicht, weil ich weiß, dass das meiste, was ich vergesse, ohnehin nicht wichtig war.
Beispiel: Ich war neulich in meinem Lieblingsobstundgemüseladen, Paradies, und kam, während ich den Brokkoli, die Schwammerln und die leckeren Erdbeeren bezahlte, mit Frau M. und einer zufällig da stehenden Kundin ins Gespräch. Natürlich weiß ich nicht mehr, worüber – mit Ausnahme eines Punktes: Es ging um den Vornamen des Sohnes einer längst verstorbenen Freundin. Ich hatte ihn nämlich vergessen, konnte aber ein paar Hinweise wiederherstellen.
Wie durch Zauber hat die Kundin den fehlenden Namen dank meiner erinnerten Bruchstücke erraten. Das hat mich sehr beeindruckt.
Sonst ist der Inhalt dieses Gesprächs mir völlig untergegangen. Nur eins weiß ich noch: Ich war gut gelaunt und hab unentwegt Geschichten erzählt, was wiederum für andere mal unterhaltsam mal sehr langweilig werden kann. An diesem Tag hat meine gute Laune der Namen erratenden Kundin wohl gefallen. Wie soll ich sonst erklären, dass sie mir urplötzlich sagte, „Ich heiße Charlotte, wie heißen Sie mit Vornamen?“ Das hat mich überrascht. Achtung, dachte ich. Dieser Mensch tritt dir zu nahe. Ich kenne sie nicht, und sie will wissen, wie ich mit Vornamen heiße. Okay, ich gebe zu: Ich bin ein bisschen altmodisch.
Doch mir waren zwei Sachen klar: 1.) dass ich ihren Namen mit Sicherheit nicht merken würde und 2.) dass ich möglicherweise auch das Aussehen der Dame schnell wieder vergessen würde. Stellen Sie sich vor: Ein fremder Mensch ruft mir auf der Straße freundlich zu: „Hallo PJ!“ und ich, weil ich höflich bin, erwidere den Gruß schön freundlich, auch wenn ich nicht weiß, wer das ist. „Hallo!“, sage ich und denke: Wer ist denn das? Kenn ich diesen Menschen?
Lange Rede kurzer Sinn: Ich habe mich geweigert, der Dame meinen Vornamen zu verraten, was sie wiederum ziemlich sauer aufstoßen ließ.
Dennoch war ich sicher, dass ich das Richtige getan hatte. Was ist schlimmer, dachte ich: einen, der mich grüßt, nicht wiederzuerkennen oder jemandem einen unrealistischen Wunsch nicht zu erfüllen? Nebenbei: Sie hieß nicht in Wirklichkeit „Charlotte“. Ich habe aber den richtigen Namen leider vergessen.
Ach, ja. Ich wollte die Frage beantworten, wie man „Shitstorm“ auf Englisch sagt. Na endlich…
Die Antwort lautet „firestorm“. Ich habe den Begriff nämlich zweimal in jüngster Zeit in der New York Times gelesen. Einmal hieß es: „On Saturday Mr. Trump created a firestorm…usw.” und dann “A week after former President Clinton lit a political firestorm…usw.”
Man kann auf Englisch einen firestorm offensichtlich “create” oder “light”. Mir alles neu. „Shitstorm“ (Scheißsturm) wäre ohnehin kein Wort für die prüde NY Times.
Ich vermute, dass „Firestorm“ in diesem Sinn eine Neuigkeit sein muss. Ich jedenfalls hab es nicht gekannt, oder ich hab’s schlichtweg vergessen.
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