Ich war einmal Astrologe - damals in Santa Barbara, Kalifornien, einer Stadt, in der die Wahrsagerei (wozu auch die Astrologie zählte) gesetzlich untersagt war.
Ich war ein richtiger Astrologe. Das heißt: Ich bediente mich dicker Wälzer mit komplizierten mathematischen Tabellen, um Horoskope zu errechnen.
Es war vor der Zeit des PCs (Personal Computers und Political Correctness). Ich verwendete sogar Logarithmen, um die Lage eines Sterns bzw. eines Planeten genau festzustellen.
Um das Verbot der Wahrsagerei zu umgehen, war ich auf einen Fernsprechauftragsdienst angewiesen. Dieser war in der Nachbarstadt, Goleta lokalisiert, wo es im Gegensatz zu Santa Barbara erlaubt war, meinen Beruf auszuüben. Die Kundschaft hinterließ beim Auftragsdienst eine Telefonnummer, ich rief zurück.
Meine Inserate erschienen allerdings - anstandslos - in der Santa Barbara Zeitung.
Wenn ich heute daran denke, glaube ich nicht, dass die Stadt Santa Barbara es so genau mit dem Verbot der Wahrsagerei genommen hat.
Ca. zwei Jahre verdiente ich meinen bescheidenen Lebensunterhalt mit der Astrologie. Das Gros der Kundschaft war übrigens weiblich - meistens in den mittleren Jahren. Meine älteste Kundin war 1885 geboren, eine sehr wohlhabende Dame, die sich mit mir in Verbindung gesetzt hatte, weil sie erfahren wollte, ob ihr Bankier sie betröge. Ich konnte mitnichten wissen, ob er sie betröge oder nicht. Ich kannte ihn gar nicht, und seine Geburtsdaten (also Zeit und Ort) standen mir ohnehin nicht zur Verfügung - was für einen Astrologen das wichtigste Werkzeug wäre. Trotzdem war ich ein gewissenhafter junger Mann und versuchte das Problem folgendermaßen zu lösen: Ich suchte im Horoskop meiner Auftragsgeberin nach Spuren einer finanziellen Benachteiligung. Ich fand sie aber nirgends und erklärte, ich sei der Meinung, sie werde nicht übervorteilt. Nebenbei: Ich bin überzeugt, dass die Frage der alten Dame ein Missbrauch der Astrologie war. Sie war aber eine lustige Person.
Und noch etwas: Sie hatte ein Haustier, einen kleinen Affen. Während ich auf dem Sofa da saß und das Horoskop hochkonzentriert deutete, sprang das Viech von einer Seite des Sofas zur anderen und benutzte dafür meinen Kopf als Sprungbrett.
Die meisten Kundinnen wollten indes nicht wissen, ob ihre Bankiers krumme Dinge drehten. Die meisten meiner Kundinnen waren einsame Frauen, die mich aus Verzweiflung zu Hilfe gerufen hatten, damit ich eine der folgenden drei Fragen beantworte: 1.) Wann finde ich Arbeit wieder? 2.) Wann tritt eine neue Liebe in mein Leben auf? 3.) Wann geht es wieder bergauf mit meiner Gesundheit?
Ich habe immer ca. 2 Stunden laboriert, um ein Horoskop zu erstellen. Dazu verbrachte ich noch ca. 2 Stunden bei meinen Kundinnen, um das Horoskop gewissenhaft zu deuten. Ich bekam dafür 25$ - damals kein schlechtes Geld.
Mir war klar, dass ich eine Verantwortung gegenüber meiner Klientinnen getragen habe. Ebenso wusste ich, dass ich nicht in der Lage war, die schwerwiegenden Probleme meiner Kundinnen mit ein paar tröstlichen Worten zu vertreiben.
Trotzdem wollte ich helfen: Ich betrachtete mich deshalb lediglich als Boten der falschen Hoffnung, eine Erkenntnis, die ich freilich nur für mich behielt. Doch es war so. Immerhin war ich der Meinung, dass auch eine falsche Hoffnung besser wäre als keine.
Manchmal war ich überzeugt, dass ich eigentlich als „Gigolo“ tätig war. Ich war nämlich ein hübscher Knabe und hab mich vor einer Sitzung immer fein ausgeputzt, d.h., mit weißem Hemd und dunkler Weste. Sicherlich hatte auch das meinen Kundinnen gefallen.
Und am Ende der zweistündigen Sitzung fühlten sich meine Damen doch wohler in ihrer Haut.
Dennoch habe ich den Beruf eines Tages jäh auf den Nagel gehängt. Hier der Grund:
„Weiß du, was du bist?“, sagte mir eines Abends Damian. Er betrieb eine Piano-Bar in Santa Barbara mit dem Namen „Mr. D.‘s Joie de Vivre Club“. Manchmal habe ich in seinem Club auch neue Klientinnen angeworben. „Du bist ein Hochstapler!“
Mehr sagte er nicht, doch ich habe Damians schonungslose Analyse meines Berufs zu Herzen genommen. Und bald stellte ich die Geschäfte ein.
Man kann die Astrologie rechtfertigen, wie man will. Letztendlich ist es aber fraglich, ob sie überhaupt sinnvoll ist…es sei denn, man bekennt sich dazu, lediglich als Botschafter der falschen Hoffnung zu agieren.
Mit sechsundzwanzig Jahren habe ich aufgehört, Astrologe zu sein. Im gleichen Alter hab ich ebenfalls aufgehört, Ladendieb zu sein. Doch das ist eine andere Geschichte…
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