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Wie sagt man Justin Bieber und James Blunt auf Bayerisch?

1.: Der Derbleckte

„Haben Sie heute das über Justin Bieber gelesen?“ fragte ich Frau M. im Paradies. Ja, es ist Frühling, und es gibt wieder Erdbeeren in meinem Lieblingsobst- und Gemüseladen. Winter und Rosenkohl ade!

„Nein, Herr Sprachbloggeur, ich bin, um ehrlich zu sein, nicht besonders interessiert an Justin Bieber. Der hat zu viele Tätowierungen für meinen Geschmack. Allmählich sieht er aus wie eine Litfaßsäule…Und was hätte ich über Justin Bieber lesen sollen?“

„Er wurde nämlich vor kurzem im Fernsehen in den USA stundenlang ‚gegrillt‘ – und zwar freiwillig. Irgendeine Realitysendung, nehm ich an.“

„‘Gegrillt‘? Was soll das heißen?“

„So hab ich‘s verdeutscht im Internet gelesen. Auf Englisch sagt man ‚roasting‘. Eigentlich eine formelle Veranstaltung, wo ein Mensch von anderen förmlich auseinandergenommen wird.“

„Man hat ihn sozusagen durch den Kakao gezogen.“

„Ja, so kann man es auch nennen, obwohl ich das nicht ganz passend finde. Man kann jemanden in jeder Situation durch den Kakao ziehen. „Geroastet“, wird man nur nach einer besonderen Einladung – z.B. im Fernsehen. Auf Deutsch gibt es aber längst ein schönes Wort dafür: derblecken.“

„‘Derblecken‘? Ah, geh! Das Wort versteht kein Mensch nördlich von Nürnberg. Es ist reines Bayerisch.“

„Warum sollte eine bayerische Vokabel Norddeutschland nicht im Sturm erobern? Umgekehrt passiert es ständig: Wörter wie 'lecker' und 'tschüß' sind längst in Bayern heimisch geworden.“

„Wir sind halt toleranter.“

2.: Der Wuisel

„Wissen Sie, was meine Lieblingswörter im Bayerischen sind?“ fragte mich Frau M.

„Nein, oder doch. Sie haben sie mir schon mal erzählt.“

„Ja, stimmt. Das eine ist ‚Glupperl‘ . Das sagten wir zu Hause für ‚Finger‘ – eigentlich ist a Glupperl eine Wäscheklammer.“

„Ja, genau. Jetzt erinnere ich mich. Ich hab es sogar im Wörterbuch nachgeschlagen. Es wird übrigens auch ‚Kluppe‘ geschrieben und ist altes germanisches Wortgut – wahrscheinlich mit dem englischen ‚clip‘, also, ‚Klammer‘ verwandt. Und das nächste Wort?“

„‘Schneckerl‘. So nennen wir Locken. Klingt viel schöner als ‚Locken‘, gell? Ach, da fällt mir ein. Ich wollte Sie wegen einem englischen Wort fragen. James Blunt singt es in einem Lied.“

„Wer ist das?“

„Sie kennen ihn nicht. Na ja. Er ist ein bisschen ein Wuisel, aber ich mag seine Musik trotzdem.“

„Wuisel?“

„Ja, einer der wuiselt. Das ist wie ‚winseln‘ oder ‚jammern‘. Er hat aber eine schöne Stimme, finde ich. Ich hab aber das Wort vergessen, was ich Sie fragen wollte.“

„Wie heißt der Wuisel wieder?“

„James Blunt.“

„Wissen Sie, was ‚blunt‘ auf Englisch bedeutet?“

„Nein.“

„‘Stumpf‘ Ein Messer, wenn es schlecht schneidet, ist ‚blunt‘ geworden. Man kann aber auch ‚blunt‘ reden. Dann heißt es ‚schroff'."

„Nein, so einer ist er nicht, der Stumpf Hansi. Ja, so würde er auf Bayerisch heißen. Der Stumpf Hansi. Klingt lustig, gell? Ach, jetzt fällt mir ein, wie das englische Wort heißt: Er singt über ein ‚bonfire heart‘.“

„Das wäre ein Herz wie ein Johannesfeuer.“

„Was Sie nicht sagen.“

„Passt zu einem Wuisel, oder?“

„Ach, bleiben wir gnädig. Den wollen wir nicht derblecken, Herr Sprachbloggeur. Er ist wirklich lieb.“

Was ist das? (und andere alte Sachen)

„Weißt du, wie man ‚Dachluke‘ auf Französisch sagt?“, fragt mein Sohn.

„Nein, keine Ahnung.“

„Was-is-dass“.

„Was ist was?“

„Nein, kein Witz. So heißt es auf Französisch. Ich kann dir aber nicht sagen, wie man es schreibt.“

Klar, dass ein Sprachbloggeur, wenn man ihm so ein Köder vor der Nase hält, der Sache auf den Grund gehen will. Prompt tippe ich im Suchkasten meines Rechners: „Dachluke französisch“ und bekomme reichlich Antwort.

Das online-Wörterbuch „Leo“, zum Beispiel, bietet drei franz. Übersetzungen dieses Begriffs: „lucarne“, „lunette“ und „faltière“. Leider kein „was ist das“.

Nächste Haltestelle „dict.cc“. Hier zwei Übersetzungen: „lucarne“ (s. „Leo“) und „tabatière“. Auch hier kein „was ist das“.

Bei „Linguee“ ist die Auswahl besonders groß: „trappe“, „lanterneau“, „tabatière“, „trappe de toit“, „lucarne“, „aérateur“, „rideau“, „écoutille“, „accès toiture“, „capot“ und und und! Nur das fehlt, was ich haben will.

Zeit also für eine neue Strategie, denk ich. Ich tippe im Suchkästchen auf Teufel komm raus: „vassisdass“, die Schreibweise freilich über den Daumen gepeilt. Aber nun werde ich endlich fündig. Das franz. Wort schreibt sich übrigens „vasistas“.

Ich gebe nun die echte Schreibweise ein und zack! viele Treffer. Auch „Leo“ und „dict.cc“ scheinen das Wort plötzlich zu kennen und geben die dt. Übersetzung sogar mit „Dachluke“ an! Ja, aber: Wieso, wenn man unter „Dachluke“ schaut, erscheint kein „vasistas“? Egal.

Nächste Aufgabe: Woher kommt der Begriff? Notabene: Es ist nicht zwingend notwendig, nur weil es so klingt, dass „vasistas“ von „was ist das“ abgeleitet werden muss. Ein „Kanapee“ hat mit dem englischen „can of peas“ (Erbsendose) absolut nichts zu tun. Oder? Jemand behauptet, so sehe ich irgendwo, dass das Wort aus dem Türkischen stamme. Warum nicht, denk ich. Leider wird Genaueres nicht verraten.

Letztendlich treffe ich immer wieder auf zwei besondere Erklärungen: Die eine setzt dieses Wort in die Zeit von Napoleon. Demzufolge vernahmen franz. Soldaten, als sie durch die Straßen der eroberten dt. Städte marschierten, die Stimmen besorgter Deutschen, die durch die Dachluken guckten und fragten: „Was ist das?“

Nach der zweiten Variante waren die Deutschen im 2. Weltkrieg besonders angetan von den Dachluken in Frankreich. Staunend fragten sie: „Was ist das?“ Kann es wirklich sein, dass die Deutschen bis 1940 keine Dachluken kannten? Genau das Gegenteil von jenen Deutschen, die aus den Dachluken schauten, um auf die Soldaten Napoleons zu luken.

Ja, und wie war es mit den franz. Soldaten Napoleons. Hatten sie ein so tolles Hörvermögen, dass sie in der Lage waren, das „was ist das“ der besorgten Deutschen da oben auf den Dächern zu vernehmen?

Zum Glück fand ich aber nun in meinem alten franz. etymologischen Wörterbuch von Larousse (es stammt aus einer Zeit, als es noch keine Info Revolution gab), unter Stichwort, „vasistas“, dass diese Vokabel bereits in der Zeit von Louis XVI als Witzwort in Erscheinung getreten war. Ich kann mir folgende Szene vorstellen: Die Österreicherin Marie Antoinette (oder irgendeiner/eine Deutsch Sprechende) steht vor einer schmucken Dachluke und fragt: O mei. Das is schön. Was is das? Alle schmunzeln diskret und zack! Alsbald feiert ein neues Wort fröhliche Urständ. Klingt überzeugend, oder?

„Weißt du, wie man in Ägypten ‚Trödel‘ sagt?“ fragte mein Sohn.

„Nein, wie sagt man ‚Trödel‘ in Ägypten?“

„Altesachen.“

Brief von dem Mars

Ob einer diesen Brief entdecken wird? Wer weiß? Alles ist möglich. Und wenn ich gerade von dem, was möglich ist, spreche: Was klingt wohl unmöglicher als die Tatsache, dass ich ihn hier auf dem Mars schreibe? Genauer gesagt, hier am Stützpunkt „Little Jerusalem“, einem Namen, der eigentlich unserer Glaubensvielfalt huldigen sollte und der durch unsere gemeinsame Sprache, das Englisch ausgedrückt wird.

Als Crew waren wir ebenso international wie diese Sprache. Auch Mischka und Katrinka nahmen es auf sich, Englisch zu sprechen. Schimpfen taten sie freilich lieber auf Russisch:„Swenja!“, „durak!“, „owsa!“ waren ihre Lieblingsvokabeln – so kam es uns jedenfalls vor. Ich will es aber nicht leugnen: Es ging uns allen auf die Nerven, wenn sie miteinander auf Russisch tuschelten.

War es aber anders als Gerlinde und ich manchmal miteinander Deutsch redeten? Alle schimpften, machten Witze über die „Krauts“, Hitler und so, meinten wir würden Geheimnisse austauschen, Verschwörungen schmieden. Stimmt nicht. Manchmal hatten wir halt das Bedürfnis, die alte Muttersprache unserer heiß vermissten alten grünen Welt aufleben zu lassen, anstatt immer die gleiche englische Alltagseinerlei zu plappern.

Ich gebe zu: Ich nahm es Bob und Leslie zunehmend übler, wenn sie unsere Englischfehler unentwegt besserten: Wenn ich, zum Beispiel, „Yesterday I have seen a Kulaks“ sagte, fühlten sie sich stets berechtigt dazwischen zu funken: „Hans-Georg, you don’t say ‚Yesterday I have seen a Kulaks‘, you have to say ‚Yesterday I saw a Kulaks‘. Okay?” Verdammte englische Sprache, sag ich.

Es ging uns allen so. Man konnte es nicht länger ertragen. Das hat wahrscheinlich zur ersten Katastrophe geführt. Ich war es jedenfalls nicht allein. Die anderen – auch die Briten – machten mit, als wir sie kurzerhand schassten. Sie kamen nie wieder nach „Little Jerusalem“ zurück.

Weit haben sie es wahrscheinlich nicht geschafft. Nicht nur weil es, verzeihen Sie mir den Ausdruck, arschkalt auf diesem trostlosen Planeten ist. Es blies damals obendrein der Scirocco – so nannten wir den brutalen Wind aus dem Norden. Ob das, was wir als Norden bezeichneten wirklich der Norden war, ist schwer zu sagen. Außerdem: Wohin hätten sie gehen können? In die nächste Stadt? Haha.

Die Amerikaner waren die ersten, die ausschalteten. Immerhin: Es herrschte unter uns danach eine Zeitlang so was wie Harmonie – als hätten wir damit alle Probleme gelöst. Nun waren wir nur noch 18 in „Little Jerusalem“. Und wir verständigten uns weiterhin auf Kauderwelschenglisch, aber jeder wie ihm der Schnabel gewachsen war. Die Briten beschwerten sich nie.

Neun Pärchen waren wir. Und dann die nächste Katastrophe, als es sich herausstellte, dass Anton schwul und auf Lloyd sehr scharf war, und dass Ségolène es manchmal beim Kulaks-jagen heimlich mit Antonio trieb. Dazu kamen die endlosen Gespräche über Religion und Politik, Themen, die uns eigentlich verboten waren. Wer hätte gedacht, dass wir, nachdem wir von außerordentlich respektierten Kapazitäten Monate lang auf der grünen, süßen Erde geschult und geprüft wurden für die Mission und schließlich alle für tauglich erklärt wurden, über Politik und Religion streiten würden? Jeder meinte, wir würden als Gruppe wie Pech und Schwefel auf einer fremden Welt zusammenhalten sogar bei den widrigsten Umständen. Tja.

Und wer hätte voraussagen können, dass Gary krebskrank werden würde oder dass Irena und Pablo es einfach nicht länger miteinander aushielten? Oder dass eine Schwangerschaft auf diesem Staubhaufen – zum Glück, das sag ich im Nachhinein –unmöglich war? Scheißidee, diese Kolonie. Aber wirklich.

Und dann kam der Krieg auf der Erde, und plötzlich war es nicht mehr möglich, uns mit Vorräten zu beliefern. Wir hatten zwar unsere E-Book-Readers, unsere Filmbibliotheken, Fernsehsendungen. Aber die verdammten Dinge hingen sich zusehends auf. Der Feinstaub wurde einfach zur Plage. Wer hätte unter den Experten das voraussehen können?

Zum Glück (und zum Unglück) gab es die Kulaks. Ja, es gibt doch Leben auf Mars. Im Übrigen: Sie sind nicht nur eiweißreich, sondern reichlich vorhanden, sehen aus wie Schnecken, bewegen sich derart langsam, als würden sie sagen: Hier, nimm mich, friss mich. Aber Vorsicht: Es sind gemeine Viecher die Kulaks. Ich werde nie vergessen, wie Albert aussah, als wir ihn ca. fünfhundert Meter von „Little Jerusalem“ vorfanden. Die Kulaks krochen noch unter seinem Helm herum – hatten sogar seine Knochen mit ihrer zersetzenden Spucke aufgelöst. Ich gehe davon aus, dass Bob und Leslie ebenso endeten. Es muss aber ein langsames Sterben sein. Kulaks haben nämlich, wie gesagt, alle Zeit dieser Welt. Und sie vermehren sich wie die Karnickel. Lloyd hat sie immer „martian bunnies“ genannt. Haha.

Nun bin ich der letzte. Zugegeben, der Sauerstoff wird endlos reichen. Das haben die Jungs auf der Erde wirklich gut vorbereitet, und verhungern werde ich auch nicht, so lange es Kulaks gibt und ich schneller bin. Manchmal bin ich überzeugt, dass sie eine eigene Sprache haben. Es kommt mir manchmal vor, als würden sie Sachen miteinander absprechen. Keine Ahnung, wie das geht.

Auf jeden Fall, seit sie „Little Jerusalem“ entdeckt haben, umkreisen sie unser Städtchen und warten mit großer Geduld, bis jemand einen Fehler macht – oder einfach von allein stirbt.

Komisch. Ich bin hier seit Jahren, kenne diesen Planeten trotzdem nicht, war niemals mehr als ein Kilometer von „Little Jerusalem“ entfernt. Wie auch? Und was erforschen? Alles sieht hier ohnehin gleich dröge aus. Das Licht kommt mir so eintönig vor. Täglich – wenn man überhaupt von „Tag“ reden darf, sieht der Sonnenuntergang gleich langweilig aus.

Wenn Sie Glück haben, werden Sie diesen Brief nie entdecken. Und falls Sie ihn doch finden, dann wünsche ich mit ganzem Herzen, dass Ihre Fahrkarte auch für die Heimfahrt ausgestellt wurde.

In eigener Sache: Bin nächste Woche weit weg. Nächster Beitrag in zwei Wochen.

Oral Sex

Sterben muss alles. Auch Wörter. Wann haben Sie das letzte Mal behauptet: „Mein Brast ist unerträglich“?

Wahrscheinlich nie. „Brast“ ist eine antiquierte Vokabel und bedeutet „Sorge“, „Gram“ – ist übrigens mit „Gebresten“ verwandt. Sagen Sie mir bitte nicht, dass Sie auch dieses Wort nicht kennen. Macht nichts. Auch Gebresten vergehen.

Ebenfalls die „Leser“. Damit meine ich nicht Sie, liebe Leser, sondern das Wort die Leser. Diese altgediegene Mehrzahlform fällt nämlich zunehmend in Ungnade. Nur der „Leser“ existiert weiterhin. Ich meine den einsamen männlichen Buchlesenden.

Es ist nicht so lange her, dass alle Welt „liebe Leser“ schrieben, so selbstverständlich wie der eigene Name war diese Formulierung. Es handelte sich zwar um ein maskulin Plural, doch jeder hat verstanden, dass man damit beides, männliche und weibliche ---- ääämm ----- Leser, meinte. Erst in den 1980er Jahren munkelten einige Unzufriedene zum ersten Mal, dass diese Formulierung sexistisch sei.

Das Resultat: Das Zeitalter von „liebe Leserinnen, liebe Leser“ hatte begonnen.

In den 1990er Jahren wurde aus dieser egalitären Formulierung – vielleicht um Platz zu sparen – „LeserInnen“ erschaffen. Damit meinte man natürlich sowohl männliche wie auch weibliche Leseratten.

Der neue Begriff stellte praktisch die Umkehr der Werte dar. Denn nunmehr sollte die weibliche Form – allerdings mit großem „I“ – stellvertretend für eine lesende Bisexualität hinhalten.

Ähnlich ergingen es „Student“, „Bürger“ usw. Zuerst als „Studentinnen und Studenten“ (ladies first), „Bürgerinnen und Bürger“ – und dann erwartungsgemäß als „StudentInnen“, „BürgerInnen“ usw.

Beliebt waren diese Begriffe allerdings nie. Wahrscheinlich deshalb sagen wir heute, um die Mehrzahl von „Leser“ und „Student“ weiterhin geschlechtsneutral zu halten „Lesende“ und „Studierende“. Ist zwar nicht ideal aber immerhin. „Bürgende“ ist freilich noch nicht möglich.

Nur der Anfang? Man sagt: „Wer hat behauptet, dass er nicht mitgehe?“, auch wenn man eine Gruppe Männer und Frauen anspricht. Wieso „er“? Weil „wer“ in der dt. Sprache seit jeher als männliche Referenz aufgefasst wird. Zugegeben: Man könnte ebenso gut fragen: „Wer hat behauptet, dass er oder sie nicht mitgehe?“. Aber Vorsicht. Man darf nicht zu sehr mit der deutschen Geschlechtlichkeit rumspielen. Sonst könnte man versehentlich das ganze „der-die-das-System“ in Frage stellen. Das Resultat wäre natürlich der pure Sprachsalat.

Wir Englisch Sprechende haben diesen Salat längst. Noch vor 30 Jahren war es normal, dass ein Englisch Sprechender sagte: „Whoever did it, let him speak up“. Das geht kaum mehr. Man sagt lieber „him or her“ oder „them“ anstatt „him“ – zumindest in der Umgangssprache. Wer formell schreibt, versucht obige Formulierung ganz zu umgehen. So kompliziert ist es geworden, Englisch zu schreiben.

Der „chairman“, also „Vorsitzender“ ist längst zum geschlechtsneutralem „chair“ – wörtlich „Stuhl“ geworden – obwohl die Vokabel „chairwoman“ als weibliche Entsprechung möglich wäre. Manche amer. Feministinnen lehnen heute das engl. Wort „history“ wegen des eingebetteten maskulinen Pronomens „his“, ab – als sei dies ein Hinweis, dass die bisherige Menschengeschichte betont männlich war (was auch stimmen mag). Die Form „herstory“ hat sich allerdings noch nicht befestigen können.

Facebook bietet, will man ein Konto öffnen, so hab ich jedenfalls neulich in „The Daily Beast“ gelesen, unter Rubrik „Geschlecht“ 51 Möglichkeiten. Wer sich für diese Liste interessiert, darf selbst recherchieren. Mir ist die Auflistung zu anstrengend.

Nebenbei: Wer sich nicht mehr als ein „he“ oder eine „she“ verstehen will, er oder sie kann sich auf Englisch als ein(?) „xe“ bezeichnen. (Das Wort klingt wie das dt. „sie“). Statt „him“ oder „her“ gibt es „xer“ (sprich „serr“) usw.

Worauf will ich hinaus?

Auf Folgendes: Seien Sie nicht überrascht, wenn mal die Gegenbewegung einsetzt. Nix ist für immer.

PS Im Türkischen wird zwischen „er“ und „sie“ nicht unterschieden. Ob „er“, „sie“ oder „es“, alles heißt „o“. Endlich eine Sprache, die nicht sexistisch ist!

Alaaf akbar

Liebe Herr Terrorist, liebe Frau Terroristin, bitte nicht gleich aus der Haut fahren. Hier dürfen sie keine Gotteslästerung wittern. Hier nur ein kleines, harmloses Wortspiel. Noch nie von Wortspielen gehört? Man rückt ähnlich lautende Vokabeln zusammen, um dadurch eine neue Deutungsebene zu schaffen. Voilà! Das Ergebnis heißt in unserer Sprache „Ironie“. An sich eine harmlose Sache, glauben Sie’s mir. Im Übrigen wird diese Ironie oft verwendet, wenn man nach einem wenig gefährlichen Ventil sucht, um seine Fassungslosigkeit oder Wut oder Hilflosigkeit Ausdruck zu verleihen. Eigentlich ein gesunder Vorgang. Er ermöglicht, dass man in Augenblicken der dunkelsten Verzweiflung, anstatt gleich zum Kalaschnikow zu greifen, das Lachen nicht verlernt.

Probieren Sie‘s mal.

Sie haben’s wohl erraten. Ich denke noch an Braunschweig, wo wegen Hinweise auf eine „konkrete Gefährdung“ der Rosenmontagsumzug abgesagt wurde. Und ich denke ebenfalls an den „Charlie-Hebdo“-Wagen, der am Rosenmontag in Köln, um keine Gefühle zu verletzen, im Depot bleiben musste. Eigentlich bin ich ein Faschingsmuffel. Ich denke trotzdem mit Mitgefühl an die Enttäuschung der Jecken.

Sie wiederum, lieber Terrorist, liebe Terroristin, fühlen sich frei, Gefühle, ja sogar Körperteile anderer, zu verletzen – als stünde ein Recht auf dieses ungebührliche Benehmen schwarz auf weiß in einem Gesetzbuch.

Schämen Sie sich.

Übrigens: Wissen Sie was „akbar“ bedeutet? Ich frage nur, da man nicht sicher sein kann, wie tief Ihre Kenntnisse der arabischen Sprache reichen. Falls ich mit meiner Vermutung ins Schwarze treffe, hier ein bisschen sprachliche Nachhilfe von einem leidenschaftlichen Sprachennarren.

Wir fangen simpel an. Auch im Arabischen gibt es Adjektive: z.B., „kabir“, das „groß“ bedeutet, „dschadid“ („neu“), „dschamil“ („schön“) usw. So weit so gut. Doch nun wird‘s a bisserl komplizierter. Denn es geht um die Steigerungsform des arabischen Adjektivs, auf Arabisch„Elativ“ genannt. Dieser Elativ wird durch die Anfügung des Präfixes „a“ und eine Vokaländerung im Inneren des jeweiligen Adjektivs gebildet. Aus „dschadid“ („neu“) wird „adschdad“, aus „dschamil“ („schön“) „adschmal“. Aus „kabir“ wird eben „“akbar“. Der „Elativ“ ist übrigens aus einem anderen Grund interessant. Es kann nämlich verschieden übersetzt werden: mal als Komparativ (also „schöner“, „neuer“, „großer“), mal als Superlativ („schönste“, „neuste“, „größte“). Manchmal wird der Elativ sogar mit „sehr“ übersetzt – etwa: „sehr schön“, „sehr neu“, „sehr groß“. Alles klar?

Wenn ein Arabisch Sprechender „allahu akbaru“ (so die klassische Schreibart mit „u“ am Schluss) deklariert, meint er damit selbstverständlich „Gott ist der Größte“, einen Superlativ also. Ist doch logisch.

Bei „alaaf akbar“ hingegen ist es anders. Ein Arabisch Sprechender versteht in diesem Fall etwas wie „alaaf“ ist großartig oder sehr groß o.ä.

Quod erat demonstrandum also, liebe Terroristen und Terroristinnen: keine Spur von Gotteslästerung. Nur ein ironisches Wortspiel, um eine Karnevalenttäuschung Ausdruck zu verleihen.

By the way: Was bedeutet „alaaf“? Tatsache ist: Keiner weiß es so ganz genau. Manche vermuten, dass diese Vokabel im Kölner Platt etwas wie „alle ab(seits)“ heißen könnte. Mit „alaaf!“ wäre wohl dann gemeint: Macht Platz, der Narrenzug ist unterwegs! Vielleicht stimmt das auch. Oder vielleicht hat das Wort etwas mit „alle auf“ zu tun – ähnlich dem bayrischen „auf geht’s!“? Keine Ahnung.

Warum heute diesen komplizierten, gelehrten Aufsatz? Etwa weil ich Angst hätte, jemand könnte mein Wortspiel sonst in die falsche Kehle bekommen? Nein, das wäre wirklich kaum möglich. Es geht um anderes:

Ich denke eher an diejenigen, die vergessen haben, dass der Humor – auch wenn er manchmal dämlich ist – eine göttliche Gabe ist. Ja, das mein ich wirklich.

Wissen Sie, was passiert, wenn er verschwindet der Humor? Ein Beispiel:
Am Führerhauptquartier auf der Wolfschanze fragte Hitlers Hoffotograf Heinrich Hoffmann zu Tisch Folgendes: „Warum ist der Schwanenhals so lang?“

Gespannt harrte der Diktator der Antwort…“Damit der Schwann nicht absäuft!“, setzte Hoffmann fort.

Hitler, so steht es in den „Tischgesprächen“, lachte so herzhaft, dass er seine Augen mit der Hand verdeckte.

So sieht das Lachen in einer Diktatur aus…

Deutsche Krankheiten

Nein, diese Woche lieber kein politischer Kommentar. Die Zeiten werden (zumindest für die Newsjunkies) derart düster und ungemütlich, dass man manchmal gern leichte Kost konsumieren – und schreiben – will.

Wie wäre es also mit ein paar Krankheiten? Nicht irgendwelche Krankheiten, sondern deutsche. Freund Ian in den USA hat mir letzte Woche einen Link zu einer Seite „Mental_Floss.com“ geschickt. Hirnzahnseide.com also. Dort erschien ein Text mit dem Titel: „Fifteen Unique Illnesses You Can Only Come Down With in German“. 15 kulturspezifische deutsche Krankheiten also. Die Autorin, Arika Okrent, ist amerikanische Sprachwissenschaftlerin.

Auf geht’s und gute Besserung:

Ganz oben auf Frau Okrents Liste steht der „Kevinismus“, eine Krankheit, die, so die Autorin, Deutsche, mit dem Namen „Kevin“ heimsucht. Das Hauptsymptom dieses Zustands scheint Lernprobleme in der Schule zu sein. Wer „Justin“, „Dennis“ oder „Mandy“ heiße, seien ebenso anfällig. Der Grund: Bei diesen Namen handelt es wohl um amer. Modenamen, die die Lehrer aggressiv und voreingenommen machen. Bin mir nicht so ganz sicher. Mein ältester Sohn war mal mit einem schlauen Kevin in der Schule, und ich kenne einen klugen Dennis. Ich kann mich lediglich erinnern, dass es mal an einem nachrichtenarmen Tag einen langen Artikel zu diesem Thema in der Zeitung gegeben hat. Ahhhh! Nachrichtenarme Tage…wie schön.

Aber weiter: die „Föhnkrankheit“. Nein, hier hat Frau Okrent recht. Auch mir war die „Föhnkrankheit“ fremd, als ich nach München kam. Es gibt sie aber tatsächlich. Darüber hab ich sogar mal einen Artikel geschrieben. Sie kommt zu Zeiten von Luftdruck- oder Temperaturschwankungen vor. Der Föhn (vom lateinischen „favonia“, einem Wind aus dem Süden) gibt’s also echt. Aber eine „deutsche“ Krankheit? Man muss einer amer. Sprachwissenschaftlerin vielleicht verzeihen, wenn sie zwischen Deutschland und Oberbayern nicht unterscheiden kann. Erstes Gesetz des Journalismus: Fakten verwischen! Unterhaltung ist höher zu bewerten als Sachkenntnis.

Der „Kreislaufzusammenbruch“. Eine deutsche Krankheit? Als ich 1975 in München eintraf, wurden mir zuallererst zwei Dinge ausgehändigt. Das erste war mein ganz persönlicher Artikel. Ich hieß also nicht mehr bloß „PJ“, sondern der „PJ“. Als zweites bekam ich einen Kreislauf. Und dann beteuerten alle, er sei gestört.

„Mir geht’s heute nicht gut.“

„Ja, hast es wohl mit dem Kreislauf.“

Usw. Da ich bis dahin nicht wusste, dass ich einen Kreislauf hatte,, war ich bereit meine „Kreislaufstörung“ als deutsche Krankheit anzunehmen. Ein „Kreislaufzusammenbruch“ aber? Das ist was anders. Auch Amerikaner kollabieren, oder? Kann doch jeder.

Aber weiter. Bei der „Ostalgie“ hat Frau Okrent natürlich recht. Doch das „Wertherfieber“? Das gab es wohl mal vor 250 Jahren aber nur kurz. Heute versteht man darunter lediglich den Frust der Schüler, wenn sie in der 10. Klasse gezwungen werden, dieses altertümliche Werk zu lesen. Die „Frühjahrsmüdigkeit“ lass ich hingegen als spezifisch deutsche Krankheit tatsächlich gelten. Engländer und Amerikaner halten es genau umgekehrt. Wir kennen nur das „spring fever“, was wintermüde Geister wahnsinnig munter macht.

„Weltschmerz“, „Ichschmerz“, „Lebensmüdigkeit“,„Zivilisationskrankheit“. Sorry. Die ersten drei heißen auf Englisch „world weariness“, Letzeres ist „back to the roots“ oder „back to nature“ usw. Warum hab ich das Gefühl, dass die Autorin auf Biegen und Brechen 15 Krankheiten aus dem Boden stampfen will? Damit der Text nicht zu kurz bleibt? Wie wär es mit der „Zeitkrankheit“. Kenne ich gar nicht. Der Duden versteht darunter „burnout“. Burnout eine deutsche Krankheit? „Burnout“ ein deutsches Wort?

Wir nähern uns zum Glück dem Ende zu. Und da findet man den „Hörsturz“. Aber wirklich! Das erste (und einziges) Opfer dieses Gebrechens, das ich jemals kennenlernte, war ausgerechnet ein Amerikaner und – wie es der Zufall haben wollte – ein gestresster Journalist.

Es bleiben uns nur noch den „Putzfimmel“, die „Torschlusspanik“ und den „Fernweh“ zu erwähnen. Doch allmählich kommt mir diese Liste selbst als Krankheit vor…

Willkommen im Informationszeitalter, liebe Lesende. Auch wenn man nichts zu sagen hat, hat man viel zu sagen. Wäre schön, wenn dies (zumindest teilweise) auch für die düsteren Meldungen der letzten Tage stimmen würde.

Meisterprüfung in Englisch – Erste Frage

Endlich verstehe ich, warum es Krieg gibt.

Was? Sie glauben mir nicht? Sie meinen, ich will Sie mit einem solchen provokativen Aufhänger bloß tiefer in meinen Text hineinlocken.

Weit gefehlt. Ich kann’s wirklich erklären.

Und zwar anhand von der folgenden Aufgabe:

Übersetzen Sie den beiliegenden Satz ins Deutsch: „The nature is wonderful,“ said Jean-Louis.

Achtung Fangfrage! Diese Aufgabe ist verzwickter als Sie vielleicht ahnen.
Schon fertig? Lautet Ihre Antwort etwa: ‚„Die Natur ist wunderbar“, sagte Jean-Louis?‘ Sorry, diese Antwort ist falsch.

Wieso? Ganz einfach: Der Satz, ‚„The nature is wonderful“, said Jean-Louis‘, ist schlechtes Englisch. Den Regeln des englischen Sprachgebrauchs zufolge darf man in diesem Zusammenhang „the nature“ gar nicht sagen. Korrekt wäre „nature“ – also ohne Artikel. „Nature is wonderful“ müsste es auf Englisch heißen.

Fakt ist: Wir bilden Abstrakta wie „love“, „philosophy“, „war“, „biology“ oder „nature, stets ohne Artikel. Nur wenn ein abstraktes Wort einen konkreten Bezug bekommt, wird es dann mit einem Artikel versehen: „the nature of reality“, „the philosophy of Plato“, „The War of Roses“, „the biology of marsupial digestion“ usw.

Das mit den Artikeln ist im Englischen eine verdammt komplizierte Angelegenheit. Deutsche, Franzosen, Italiener usw. müssen, wenn sie Englisch lernen, arg umdenken. Die Armen Russen und Chinesen sind besonders schlimm dran: Sie kennen in ihren Sprachen gar keine Artikel! Im Englischen hängt der Gebrauch des Artikels häufig mit der Frage zusammen, ob man etwas zählen kann oder nicht. Abstraktionen kann man verständlicherweise nicht zählen. Es gibt nur „philosophy“. Zählen kann man lediglich verschiedene philosophische Richtungen: „the philosophy of Plato“, „the philosophy of love“, „the philosophy of fools“ usw. Man kann „apples“ zählen, „love“ aber nie.

Ein Englisch Muttersprachler erkennt, wenn er ‚„The nature is wonderful,“ said Jean-Louis‘ vernimmt, sofort, dass das Englisch hier absichtlich falsch ist (freundlicher Hinweis: wegen des Namens „Jean-Louis“). Er stellt sich sogar vor, dass „Jean-Louis“ den Satz mit französischem Akzent parliert. Und so kann man’s auch schreiben. Etwa: „Zee nay-chur-r-r eez wan-der-fol.“ (Folgendermaßen auszusprechen: sie näj-tschur-r-r is uan-der-vall oder so ähnlich).

Doch zurück zur Prüfungsaufgabe: Wie soll man diesen Satz ins Deutsche übersetzen? Hier die Antwort: Man müsste ihn so übersetzen, dass man den Franzosen heraushört! (Die Sache mit dem Artikel kann man im Deutschen vergessen. „Die Natur ist wunderbar“ ist nämlich fehlerfreies Deutsch). Man könnte aber schreiben: ‚„Die Natüür, sie ieß wunder-r-r-schö-ö-ö-n, oui?“ sagte Jean-Louis.‘ Nur ein Vorschlag.

Tja. Wenn die kleinsten Partikel einer Sprache eine derartige Erklärungsnot hervorrufen, liegt es auf der Hand, dass sich die Menschen wegen der dümmsten Kleinigkeiten immer wieder in die Haare kriegen. Ja. darum gibt es Krieg. (Okay, es gibt auch andere Gründe – z.B. Machtgier usw.).

Es passiert jedenfalls blitzschnell, und plötzlich ist die Natur doch nicht mehr so wunderbar.

Auch ich bin Verschwörungstheoretiker! Nur herein…

Stammlesenden dieser Beiträge ist mit Sicherheit aufgefallen, dass diese Webseite in den letzten Tagen spurlos vom Cyberäther verschwunden war.

Wer Sprachbloggeur.de anpeilte, wurde mit einer kurzen,
englischsprachigen Botschaft (warum ausgerechnet auf Englisch?) überrascht, die ohne Umschweife erklärte: Forbidden!. Also verboten. Dazu erschienen eine Zahlenangabe (wohl ein Code) und ein paar Worte, die in etwa erklärten: Schleichen Sie sich! Sie haben hier nichts zu suchen!

Auch ich wurde von dieser schroffen Botschaft überrascht. Da ich aber der Lehre des Philosophen Epiktet folge, wusste ich: Vieles kann man im Leben nicht ändern. Also habe ich resigniert und sachte mit den Achseln gezuckt – eine Einstellung, die mich zum Gedanken führte: Ist alles ohnehin vergänglich, auch diese Webseite. Ja, erst recht eine Webseite. Denn sie (und ihr Inhalt) existieren – im besten Fall – nur so lange der Strom fließt und die Hardwarekontakte nicht oxidieren.

Das war meine erste Reaktion. Die zweite war vergleichsweise düsterer: Bin ich vielleicht Opfer einer Cyberattacke geworden? dachte ich. Immerhin: Der Titel des vorigen Beitrags lautete „Sind Sie noch immer Charlie?“ (siehe da), nicht wahr?

Nun wurde ich beunruhigt. Steckt die NSA dahinter? fragte ich mich. Doch was hätten die Amis für einen Beweggrund, ausgerechnet den Sprachbloggeur zu sabotieren? Oder waren es radikale Muslime – Al Kaida, oder der ISIS oder Boko Haram? Kaum sehen diese Fanatiker das Wort „Charlie“, sann ich, wollen sie im Namen des ewigen Dschihad eine Stadt oder eine Webseite auslöschen. Oder es waren die Separatisten in Donezk! Die meinten vielleicht, ich sei zu ukrainefreundlich. Doch ich konnte mich nicht erinnern, dass ich dieses Thema überhaupt angestreift hatte. Aber wer weiß?

Okay. Ich gebe zu: Diese Überlegungen klingen sehr nach Verschwörungstheorie. Aber so ist es, wenn man keine besseren Ideen hat. Und meine Paranoia ist ohnehin zahm im Vergleich zu der von anderen.

Zum Beispiel den „Killuminati“-Anhängern. Noch nie davon gehört? Ich habe die Seite neulich auf Facebook besucht. Man muss kein Facebook-Konto haben (ich hab keins), um die Beiträge dieser Organisation zu „durchblättern“. Immerhin findet man Interessantes. Zum Beispiel, dass die CIA – oder war es der Mossad? – hinter den Morden in Paris steckte. Oder dass die Familie Rothschild „Charlie Hébdo“ vor nicht so langer Zeit erworben habe. Demnach wären die Morde in Paris lediglich eine Inszenierung, um die Auflage des satirischen Blattes in die Höhe zu treiben. Immerhin wurden inzwischen 7 mio Exemplare gedruckt. Kein schlechtes Geschäft, gell?

Man findet aber Hinweise auf zahllose Verschwörungen auf dieser Seite. Am besten schauen Sie aber selber hin. Immerhin: Über 500.000 Deutsch Sprechende haben diese Seite auf Facebook mit einem freundlichen„like“ beglückt.

Wer sich für Etymologie interessiert, sollte Folgendes wissen: Der Name „Killuminati“ ist eine Zusammenstellung aus „kill“ und „Illuminati“. Letzteres Wort, einst der Name einer kleinen, schrägen, europäischen intellektuellen Bewegung am Ende des 18. Jts, gehört zu den Lieblingsfeinden aller heutigen Verschwörungstheoretikern. Diese vermuten „Illuminati überall – vor allem in hohem Amt. Der Rapsänger, Tupac Shakur, habe das Wort aus dem Boden gestampft, heißt es übrigens. Ich vergesse aber, warum. Entweder wollte er sich über die Verschwörungstheoretiker lustig machen, oder er war selbst einer. Kann mich leider nicht mehr erinnern. Kann jeder aber selbst googeln.

Ich finde es jedenfalls schön, wenn man an etwas glauben kann, zumal Glauben kein Wissen ist.

Deshalb denke ich: Warum sollte ich weniger anfällig für Verschwörungstheorien sein wie jeder andere? Aber dann erhielt ich eine Mail von meinem Provider, Herr P. Er teilte mir mit, dass der Server eine ernste Panne gehabt hatte. Nach ca. 5 Tagen wurde sie aber behoben. Was heißt behoben? Mein „Sind Sie noch immer Charlie“-Beitrag von der vorigen Woche war plötzlich spurlos verschwunden. Hmmm, (Keine Sorge: Ich hab’s aber wieder eingesetzt) und alle Kommentare der letzten Jahre an den Sprachbloggeur sind ebenfalls weg. Vielleicht sind sie wieder da, wenn Sie diesen Beitrag lesen. Ich hoffe es, jedenfalls.

Die gute Nachricht: Der Sprachbloggeur ist auf einen nagelneuen Server umgezogen. Merken Sie die Frische? Hier quietscht es, wie wenn man neue Schuhe einläuft. Und solange keiner den Strom abschaltet (Rothschild? Al Kaida? Beide? CIA?) stehe ich Ihnen weiterhin gerne zu Diensten.

Sind Sie noch immer Charlie?

Erinnern Sie sich, als letzte Woche jeder noch „Charlie“ war? War ein Gaudi, gell? Ein gemütliches Gefühl der Solidarität, etwas, das Englisch Sprechende mit den Worten „warm and fuzzy“ bezeichnen, d.h., „warm und weich“, das Gefühl, das man, eingewickelt in einer warmen, Kaschmirdecke an einem kalten Abend, oder im Verlauf einer intimen Zweisamkeit, empfindet.

Ja, warm and fuzzy.

Wären damals nur die Juden im koscheren Supermarkt dran gewesen, hätte wohl kaum einer, „je suis Juif“ bekundet. Manche hätten vielleicht gedacht: „Ja mei, aber machen die nicht das gleiche in Gaza?“ usw. Oder wenn es nur Polizisten gewesen wären, hätten sich die Proteste wohl auch in Grenzen gehalten mit der Begründung: Tja, Pech gehabt, Arbeitsrisiko halt.

Es waren aber Blattmacher der Redaktion des satirischen Zeitschrift „Charlie Hébdo“, die massakriert wurden, genauer gesagt, es war ein Angriff gegen die freie Presse, gegen die Grundwerte der europäischen Gesellschaft also. Starker Tobak – erst recht in der Grande Nation. Auch für die islamische Welt, die momentan mit einem ernsthaften Image-Problem zu kämpfen hat, gab der Überfall Grund zur Sorge. Da meldeten sich in vielen islamischen Ländern verschiedene Stimmen aus der Politik – und aus dem Volk – , um sich vom feigen Mordüberfall zu distanzieren und ihn als „nicht im Einklang mit dem Islam“ usw. zu bezeichnen. Auch die um Gunst werbende Hamas drückte ihr Beileid aus. Dito die Hisbollah. Nur für den Mord an die Juden im koscheren Supermarkt zeigten sie Verständnis. Der Attentäter wurde sogar zum Märtyrer erklärt.

Egal. Alles ohnehin nur vorübergehende Regungen, die bald in Vergessenheit geraten. Denn schließlich geht das Leben – zumindest für die Lebenden – weiter. Gell?

Aber wie der Zufall es haben wollte, geschah beinahe zeitgleich mit – allerdings ohne Bezug zu – dem Massaker in Paris ein anderes furchtbares Ereignis: der grausame Überfall auf das Dorf Baga im nördlichen Nigeria. Noch nie von Baga gehört – oder vielleicht nur am äußersten Rande des Bewusstseins? Zur Erinnerung: Anhänger der fanatischen Boko-Haram-Bewegung in Nigeria hatten, während Gesinnungsgenossen in Paris rumballerten, diese Kleinstadt Baga dem Erdboden gleich gemacht. Augenzeugen berichteten von ca. 2000 Toten. Manchen Quellen zufolge waren es vielleicht nur einige Hunderte. Wer will aber über Zahlen streiten, es sei denn, man macht gerade ein Geschäft?

Haben irgendwo entsetzte Massen ausgerufen: Je suis Baga? Sicherlich haben hie und da manche mit dem Kopf fassungslos geschüttelt. Aber nur kurz. Und wie lange hat das Entsetzen wegen des Mordes in Pakistan an 143 Schüler gehalten, die vom Taliban verübt wurde?

Seien wir ehrlich: Menschenleben sind im Grunde billig – nicht nur für ihre Mörder, sondern auch für uns. Mit einer Ausnahme: Sie gewinnen stets an Wert, wenn sie als Symbol für etwas instrumentalisieren lassen.

Man könnte fast meinen, dass jedes Verbrechen wie ein Wort ist. Das heißt: Man versteht am besten diejenigen der eigenen Sprache. Denn nicht jeder hat ein Talent für Fremdsprachen.

Tote in Baga? Was soll’s. Es waren ohnehin Afrikaner (bzw. „Neger“). Tote in Pakistan? Ja, der Taliban. Die bringen sich ständig gegenseitig um usw.
Habe ich gesagt, dass Verbrechen wie Wörter sind? Ich sollte mich präziser ausdrücken: Sie sind Modewörter. Das heißt: Sie haben meistens ein Verfallsdatum. Wer letzte Woche Charlie war, ist es diese Woche vielleicht nur noch ein bisschen. Ist ja normal, dass die Dinge altern.

Es wird aber lustiger: Kaum eine Woche nach der Mordserie protestieren bereits in islamischen Ländern Hunderttausende gegen die Veröffentlichung der neuen, posthumen Ausgabe von „Charlie Hébdo“, die für Europäer gleichsam als „Souvenirheft“ millionenfach gedruckt und begehrt wird.

Während Europäer Schlange stehen, um ein kostbares Exemplar zu ergattern, regen sich Muslime wegen des Coverbildes auf. Dieses zeigt nämlich einen Menschen mit Turban, der weint und deklariert „Je suis Charlie“. Die Protestierenden halten diese Figur indes für eine „Mohammed-Karikatur“. Ich bin übrigens anderer Meinung. Ich glaube, dass diese Figur lediglich ein Symbol für die islamische Welt darstellen soll. Als zusätzliches Zeichen der Versöhnung steht auf dem Cover der Spruch: „Tout est pardonné“, also „alles ist verzeihen“.

In Niger starben bisher ein Dutzend Menschen wegen der heftigen Randalen. Sieben Kirchen wurden in Brand gesteckt. In Tschetschenien wurde die neue Ausgabe des „Charlie Hébdo“ von der dortigen Regierung als nützliches Mittel instrumentalisiert, um das ganze Land gleichzuschalten. Auch in Peschawar, wo der Taliban neulich 143 Schüler ermordeten, schwärmen tausende Protestierende auf die Straßen…

Ich weiß nicht, was ich sonst sagen soll. Ich bin total ratlos und war ohnehin nie Charlie.

Hype für Fortgeschrittene (mit hübschem Beispiel aus dem Leben)

Haben Sie auch neulich Post von der Deutschen Bahn erhalten? Bei mir schneite erst vor ein paar Tagen eine Art Faltbrief von der DB ins Haus rein.

Er war auf Glanzpapier gedruckt. Auf der Adressenseite las man den Spruch „Jetzt Grün sehen“ (natürlich grün gedruckt) und darunter in einem Kästchen die Worte „GO GREEN“. Die aufgedruckte Briefmarke zeigte grüne Bäume auf einem hellgrünen Hintergrund, daneben das Wort „Infopost“.

Ich schaute auf die Kehrseite. Unterhalb der weißen Lasche war die hübsch abstrahierte Darstellung eines Immergrüns mit der spritzigen Aufschrift „Tanne statt Tonne“. Netter Spruch, dachte ich.

Ich zog die Lasche hoch und sah auf ihrer Rückseite zwei abstrahierte Tannen mit der Aufschrift: „Ihr ‚Ja‘ für zwei Bäume“.

An diesem Punkt gelangt, so nehm ich an, werfen die meisten Menschen eine derartige Mitteilung schnurstracks in den Müll. Ich nicht. Ich war noch immer neugierig und faltete den Faltbrief auf. Er war lang wie ein Leporello.

Aber jetzt genug Details. Sonst werde ich Sie bald einschläfern. Lediglich die Kernbotschaft dieses Sendeschreibens möchte ich Ihnen nicht vorenthalten: Der Adressat sollte animiert werden, eine Postkarte vom Leporello abzutrennen und diese – unterschrieben – an die DB zurückschicken.

Mit dieser Unterschrift hätte die DB das Recht, Sie endlos mit Email-Werbung zu berieseln. Als Köder für diese Bewilligung versprach die DB für jedes „Ja“ einen Baum zu pflanzen. Und:

„Zudem erhalten Sie für Ihre Unterschrift 250 Prämienpunkte, die Sie bis zum 31.03.2015 für die Pflanzung eines zweiten unter www.bahn (etc.) an das Bergwaldprojekt spenden können.“

Wie bitte? dachte ich. Heißt das, dass ich 250 Prämienpunkte bekomme, aber nur um sie für einen zweiten Baum auszugeben?

In diesem Augenblick fiel mir das Wort „Hype“ ein – was nicht bedeutet, dass ich diesen Dreh der DB-Marketingleute nicht bewunderte. Das Verwirrspiel mit Prämienpunkten, Umweltgewissen usw. ist echt klasse.

Doch so viel zum im Titel versprochenen Beispiel. Jetzt geht’s ums Spachliche, also um die Vokabel „Hype“ – sprich „heipp“.

Dieses amer. Fremdwort hat sich erstaunlich schnell im deutschen Wortschatz eingebürgert. Es steht sogar schon im Duden, besitzt also sozusagen zwei Pässe. Wörter haben es oft viel einfacher als andere Migranten. „Hype“ war obendrein kein Flüchtling.

Etwas stört mich an diesem Wort aber. Und zwar: Warum heißt es der und nicht die „Hype“? Dieses Wort stammt nämlich vom griechischen „Hyperbole“ („Übertreibung“) und ist auf Greichisch weiblich. Auch die deutsche Version, „Hyperbel“, ist weiblich. Trotzdem sagt man heute der „Hype“. Das verstehe ich nicht.

Zweites Problem: Dieses Wort wird im Deutschen so wohl im Singular wie auch im Plural benutzt: „der Hype“ und „die Hypes“.

Englischsprechende, wie ich einer bin, halten es für abartig, wenn ein Wort wie „Hype“ in der Mehrzahl gebraucht wird. Es klingt so…unenglisch. In meiner Muttersprache unterscheiden wir nämlich sehr streng zwischen Wörtern, die zählbar sind (also „house“, „apple“ „car“ usw.) und denen, die unzählbar sind. Das sind meistens abstrakte Nomen, etwa „freedom“, „wisdom“, „information“ und halt „hype“.

Ich bin der Meinung, dass nur Prämienpunkte zählbar sind. Fürs dt. Ohr ist jeder einzelner Punkt wohl ein „Hype“ für sich. Das wissen die Marketingleute, nehm ich an. Sie kennen ihre Pappenheimer. Auch Pappenheimer sind zählbar.

Mehr muss man über Hype nicht erklären.

PS: Bin nächste Woche wieder auf Forschungsreise. Noch unklar, ob ich nächste oder erst übernächste Woche den nächsten Beitrag veröffentliche.

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