So will es der Zufall. Am gleichen Tag zwei ganz unterschiedliche Storys auf der Seite eins der Münchener Abendzeitung. 1.) eine über die Ankunft von 12.000 Flüchtlingen am Hauptbahnhof. 2.) die Nachricht, dass sich die hübsche zwanzigjährige Pia den Titel der Schönen Münchnerin geschnappt hat.
Auf der Seite drei liest man dann weiter übers Schicksal diverser Flüchtlingen – mit Bildern dazu natürlich. Blättert man ein paar Seiten weiter, stößt man auf Pia – und aufs große Bild. Sie trägt weiße Hotpants und schaut, so die AZ, reizend aus.
Willkommen in der bayerischen Hauptstadt, liebe Flüchtlinge, und Glückwünsche, liebe Pia.
Und Sie, liebe Lesende dieser Seite, willkommen in der Gegenwart.
Sorgfältig studiere ich die AZ Bilder von erschöpften Flüchtlingen – hie und da sehe ich Frauen oder Familien mit Kindern, die meisten scheinen aber willensstarke junge Männer zu sein – dabei sind auch Aufnahmen von Helfern, netten Menschen zu sehen; und dann beäuge ich die Bilder von der süßen Pia, und ich denke: Mensch, Bilder erzählen Geschichten.
Ja, so ist es. Und so wend ich mich jetzt zwei anderen Bildern. Das eine zeigt das Konterfei von Angela Merkel. Sie schaut freundlich aber bestimmt in die Linse, wirkt beinahe überirdisch in ihrer Güte. Es ist ein Bild wie eine Ikone – das mein ich im religiösen Sinn. Denn gerade dieses Porträt der Kanzlerin wird von Flüchtlingen überall verehrt.
Mutter Merkel reist überall mit: ob in kippligen Schlauchbooten, in überfüllten Zügen oder in zugeschweißten Lieferwagen. Sie marschiert auch am Gleis entlang in Richtung Deutschland mit und kommt endlich im Münchener Hauptbahnhof wohlbehalten an. Die Leidenden und die Sehnsüchtigen wissen genau, was das sympathische Gesicht bedeutet: Deutschland, Hoffnung, neue Chancen, Entkommen usw.
Ganz ehrlich: Wenn ich Menschenhändler oder Schleuser wäre, würde ich diese Ikone tausendfach drucken lassen und sie in jedem Flüchtlingslager des Nahen Ostens oder in den Camps an der Küste Libyens verteilen. Für diese kleine Investition verspricht sich nämlich ein Bombengeschäft – noch reichhaltiger als das Drucken und Verkaufen von gefälschten syrischen Pässen.
So viel zum ersten Bild. Das zweite ist anderer Art. Es ist ein schreckliches Bild von einem Kleinkind, das am Strand an der türkischen Küste liegt, als würde es schlafen. Das tut es, wie jeder inzwischen weiß, nicht – es sei denn, man möchte den Tod als einen ewigen Schlaf bezeichnen. Das Kind ist im Grunde ein Opfer des Menschenhandels, der momentan überall grassiert, wo es Menschen in Not gibt. Man kann es auch anders ausdrücken. Das tote Kind ist ein Symbol von gescheiterten Sehnsüchten. Aylan Kurdi, so hieß der kleine Bub, ist freilich keinesfalls das einzige Opfer des üblen Geschäftsmodels der Schleuser. Tausende sind mittlerweile auf den Weg nach Merkelland draufgegangen – davon auch viele namenlose Kinder. Aylan wurde zufällig fotografiert. Und siehe da! Die ganze Misere eines totbringenden Systems wird plötzlich sichtbar – auf ein Bild reduziert.
Oder man kann es anders sagen: Das schreckliche Bild vom toten Aylan dient dazu, Menschen ein schlechtes Gewissen einzujagen – vor allem in Europa, wo viele Menschen bereits einiges unternehmen. In anderen Ländern – etwa Saudi Arabien oder den Golfstaaten –, herrscht hingegen dieser Ikone zum Trotz immer noch Stillschweigen. Andere Länder, etwa der Iran oder die USA, bleiben lediglich bei ihren Lippenbekenntnissen.
Wäre ich als PR-Fritze bei einer Schleuserbande tätig, würde ich auch das Bild vom toten Aylan tausendfach vervielfältigen lassen. Denn auch dieses Bild ist gut fürs Geschäft. Es kann ausgezeichnet die Herzen der Menschen in den Aufnahmeländern erweichen. Was schließlich wichtig ist.
Immerhin: Es stehen in Afrika und im Nahen Osten mehrere Millionen Menschen in den Startlöchern, um Europa, koste, was es wolle, zu erreichen. Mittlerweile kann man kaum mehr zwischen echten Flüchtlingen und Migranten unterscheiden.
Aber egal.
Mich persönlich interessiert nur die Wirkung der Bilder. Zum Beispiel, die Bilder von Gutmenschen am Münchener Hauptbahnhof und an andren Bahnhöfen, die sich erschöpften Einwanderern zuwenden und diesen Beifall klatschen. Rührend.
Doch dann frag ich mich, wie es in ein paar Jahren aussehen wird. Werden die Neubürger in Merkelland die Schöne Münchnerin Pia mit den hübschen Beinen freundlich beklatschen? Werden sie denken, „Naja, ein bisschen albern aber im Grunde harmlos“. Oder werden sie eine künftige Pia mit Entsetzen betrachten und dann raunen: „Was sie da tut, ist unsittlich. Das Mädchen ist schlichtweg eine Hure.“?
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