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Nachhaltigkeit beleuchtet

Der Nachhaltigkeitsgipfel in New York ist vorbei, und er hat mich – ohne Witz… nachhaltig geprägt.

Frau Merkel, z.B., die dabei war, meinte, „…alle müssen ihren Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung leisten.“ Die Nachrichtensprecher nahmen das Wort „Nachhaltigkeit“ ständig in den Mund. Es war wahrlich der Gipfel der Nachhaltigkeit – zumindest für mich.

Doch jetzt muss ich, auch wenn’s mir äußerst peinlich ist, Folgendes eingestehen: Eigentlich hatte ich, wie ich bald feststellte, keine Ahnung, was ein Nachhaltigkeitsgipfel ist.

Steh ich allein da?

Klar: Wenn etwas nachhaltig ist, hat es Andauer. Es hält halt nach.
Aber ein Nachhaltigkeitsgipfel? Was soll denn nachgehalten werden? Das Schlimme dran: Alle in den Medien taten so, als würde jeder wissen, worum es ging.

In diesem Zustand der sprachlichen Verwirrung (wer ist gern ein Ignorant?) begab ich mich ins Paradies. Natürlich mein ich damit, wie immer, meinen Lieblingsobstundgemüseladen. Frau M. war in dem Augenblick mit anderen Dingen beschäftigt. Wenn ich mich genau erinnere, war sie über einer Kiste Kürbisse gebückt. Dafür stand Fr. D. an der Kasse und hat nebenbei die Herbsterdbeeren himmelhoch gepriesen.

„Halten Sie lang?“ fragte ich. Wahrscheinlich hatte ich zu sehr die Nachhaltigkeit noch im Kopf.

„O ja“, antwortete sie. „Und sie schmecken geradezu hervorragend.“

Ich glaube, es war in diesem Augenblick, dass ich mir den Mut zusammennahm, um das Thema Nachhaltigkeit schonungslos anzusprechen: „Haben Sie auch in den Nachrichten von diesem Nachhaltigkeitsgipfel in New York gehört? Gerade war wieder etwas im Radio.“

„Ja, hab ich heute Früh gehört“, sagte sie.

„Wissen Sie, wenn ich ehrlich bin, hab ich keine Ahnung was in diesem Zusammenhang mit dem Wort ‚Nachhaltigkeit‘ gemeint ist.“

„Ja, komisch. Ich hatte den gleichen Gedanken.“

Nun war ich erleichtert. Offensichtlich war der Begriff auch für diverse Native Speakers nicht ohne Weiteres einleuchtend. „Das etwas nachhaltig ist, darunter kann ich mir was vorstellen“, sagte ich, „Aber einen Gipfel bei der UNO zum Thema. Hmm. Das muss wohl so ein englischsprachiger Begriff sein, für den man nach einer passenden deutschen Übersetzung suchte. Zum Beispiel, wie man aus dem amerikanischen ‚Stealth Bomber‘ eine ‚Tarnkappe‘ machte. Ich werde der Sache nachgehen.“

„Das mach ich auch“, meinte Fr. D.

Vielleicht hat sie‘s, ich aber nicht. Zumindest nicht an dem Tag. Und am nächsten Tag besuchte ich W., meinen Freund den Bibliothekar, in seiner Bibliothek. Auch Freund Karl war zufällig da. Die zwei waren mit Erstausgaben von Annette von Droste-Hülshoff beschäftigt, hatten aber ein bisschen Zeit, um sich mit mir zu unterhalten. Also fragte ich, ob sie mit dem Begriff der Nachhaltigkeit was anfangen könnten.

Beide waren, wie es sich rausstellte, bestens informiert und erklärten, dass sich dieses Wort mit dem Haushalten mit Ressourcen befasse, also mit der Idee, dass Ressourcen nachhaltig bleiben müssen.

„Warum kenn ich das Wort in diesem Sinn nicht?“ fragte ich.

„Weil es in diesem Sinn erst seit etwa zehn Jahren benutzt wird“, sagte Karl. „Das ist kein herkömmlicher Begriff.

„Aha!“

Zuhause war ich dabei, in der New York Times zu schmökern. Und dann blitzte es in mir ganz hell. Ich entdeckte nämlich einen Artikel über den „Sustainable Development Summit“ an der UNO. „Sustainable development“ verstand ich auf Anhieb. Aber „Nachhaltigkeit“? Endlich holte ich meinen Großen Duden (gedruckt ca. 1978) aus dem Regal. Und siehe da. „Nachhaltigkeit“ hat zwei Bedeutungen. 1.) „längere Zeit anhaltende Wirkung“. Ja, so hab ich das Wort verstanden. Immerhin. Aber auch 2.) „Dauernde Nutzung einer Fläche zur Holzproduktion“. Ein Fachbegriff, wie es hieß, aus der Forstwirtschaft. 1978 hätte es also noch keinen „Nachhaltigkeitsgipfel“ geben können.

Natürlich fragte ich mich, wer es war, der vor ca. zehn Jahren den Begriff der Nachhaltigkeit als Übersetzung für Sustainable development“ aus dem Boden stampfte.

Ich weiß es aber immer noch nicht. Doch so ist es mit der Sprache. Kaum braucht man einen neuen Begriff, und siehe, er ist schon da. So nachhaltig ist die Sprache.

P.S. Siegfried war der erste, der eine Tarnkappe getragen hatte.

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