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Darf ich meinen neuen Spammer vorstellen

Er heißt “PingwinekRico”. Oder vielleicht ist “er” eine “sie” oder eine Mehrzahl. Das lässt sich nicht ohne weitere Forschungen feststellen.

Fest steht: „PingwinekRico“ macht sich in letzter Zeit große Mühe, einen Kommentar beim Sprachbloggeur veröffentlichen zu dürfen. Hier eine kurze Liste der Überschriften seiner jüngsten Versuche:

„How You Can Choose The Very Best Free Cams Adult Websites“.

„My Free Cams Related Articles“.

“How To Get A Free Advertising System”.

Sie sehen. Seine Texte sind englischsprachig und scheinen einen pornografischen Hintergrund zu haben. Denn auf sog. „Cam“-Seiten wird hier aufmerksam gemacht.

Neugierig klickte ich auf einen der vielen Kommentare PingwinekRicos, die ich seit Tagen wie Kuckuckseier im Vorveröffentlichungsnest vorfinde. Was ich aber entdeckte, war ein ellenlanger englischer Text. Hier der erste Satz eines “Kommentars” in spe: „So when Tennyson says, ‘Individuality itself seemed to dissolve and fade away into boundless being’, he is accurately describing the experience of transcending. free sex cams...usw.“ Zu Deutsch: “Wenn also Tennyson behauptet, ‚Individualität schien selbst sich aufzulösen und ins endlose Sein dahinzuschwinden‘, beschreibt er mit Genauigkeit das Erlebnis der Transzendenz. Kostenlose sex Cams…usw“
Notabene: Letzte drei Worte erscheinen im „Kommentar“ in „Hypertext“-Format, d.h., als Link zu einer externen Seite, in diesem Fall eine Sexseite.

Der übrige Text – gespickt mit weiteren „Hyperlinks“ – scheint tatsächlich ein Essay über Tennyson (falls Ihnen der Name unbekannt ist, handelt es sich um den viktorianischen Lyriker Alfred Lord Tennyson) oder über die Transzendenz zu sein. Das kann ich nicht 100%ig bestätigen, denn ich habe den ellenbogenlangen Text nur kurz angelesen und schnell wieder gelöscht.

Fest steht jedenfalls: Dieses Format gilt für alle „Kommentare“, die ich in letzter Zeit von „PingwinekRico“ erhalten habe.

Ein hartnäckiger Mensch oder Spammerverein. Aber dann habe ich gedacht: Es wäre interessant, „PingweinekRico“ zu mailen, um zu fragen, was er/sie mit seinen „Kommentaren“ bezweck/t/en. Ich meine: ob er es ernsthaft für möglich hielt, a.) dass ich seinen „Kommentar“ zulassen würde und b.) dass jemand seine ellenlangen Texte in englischer Sprache durchforsten würde, um einen Hinweis auf eine vielleicht mit Virus infizierte Sexseite zu bekommen. Ohnehin: Wenn man unter „Sex Cams“ googelt, bekommt man im Nu 144 mio. Treffer!

Dann kam ich auf die Idee, den Namen/Begriff „PingwinekRico“ selbst zu googeln. Und siehe da: Es waren nur 209 lausige Hinweise.

„PingwinekRico“ erscheint in diesen jedenfalls als „Mitglied“ in verschiedenen Foren: einem übers Pferderennen, einem über Autismus und in einigen in polnischer Sprache. Er scheint außerdem ein Neuling zu sein. Denn seine Spuren lassen sich vor dem Mai 2013 kaum zurückverfolgen. Er wäre gern „Mitglied“ des Sprachbloggeur-Forums, wenn ich nicht jedesmal seine Mails löschte. Aber, so ist das Leben, wie Alfred Lord Tennyson einst sagte.

Eine besonders triftige Spur seines (ja, ich glaube, dass er ein Er ist) Daseins entdeckte ich bei „Stop Forum Spam“, so heißt eine Seite, die Statistiken über Forum-Spanner sammelt. Dort erfuhr ich, dass der geheimnisvolle „PingwinekRico“ seine IP-Adresse in Wroclaw, ehemals Breslau, registriert hat.

Noch eine interessante Entdeckung: Als ich seinen Namen bei Google ursprünglich eingab, fragte mich das Suchprogramm: „Meinen Sie: Pingwinek Rico?“, d.h., als zwei Wörter und nicht ein Wort.

Ich tippte auf diese Alternative und fand Webseiten, die meistens in polnischer Sprache waren. Ich verstehe leider nur wenig Polnisch, und ich wollte meinen lieben Freund M. mit dieser Dummheit nicht belästigen. Ich vermute aber, dass„Pingwinek“ der Name eines Spielers oder einer Figur einer polnischen Gamingseite ist. Denn ich entdeckte tatsächlich einen „Pingwinek“ auf einer solchen Seite.

Ich vermute zudem, dass mein Spammer männlich, polnisch und ohne Deutschkenntnisse ist und dass er als freier Mitarbeiter bei der Spammermafia (oder wie auch immer man sie nennen will) tätig ist. Mit Sicherheit stammen seine ellenlangen englischsprachigen Texte, die mit Hypertext-Links zu Sexseiten gespickt sind, nicht von ihm. Seine Englischkenntnisse sind wahrscheinlich so schlecht wie meine Kenntnisse der polnischen Sprache.

Schade, dass ich Ihnen nicht mehr über „PingwinekRico“ berichten kann. Ich wäre gern bereit, ihm ein richtiges Forum beim Sprachbloggeur anzubieten, wenn er ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern würde. Aber so ist das Leben, sagte Tennyson. Und auch die Spammer haben es nicht so ganz leicht wie es vielleicht manchmal scheinen mag.

Heute nur über die kleinen Laster

O schöne deutsche Sprache! Wie kühn, wie einfallsreich, dass zwei Wörter, die sich, wie ein Ei dem anderen gleichen, so unterschiedliche Bedeutungen haben!

Grund für diese Bewunderungsbekundung: Kaum komme ich auf die Idee, von meinem kleinen Laster zu erzählen, so fällt mir ein, dass ein Leser sich fragen könnte: „Warum schreibt der Sprachbloggeur von seinem kleinen Laster, zumal die amerikanischen Laster an sich viel größer sind als die unseren?“

Zwei deutsche Wörter namens „Laster“: das eine ein Mann, das andere ein Ding. Und so ein Ding.

Das nur zur Einleitung, aber jetzt zum kleinen Laster... Nein, doch noch nicht. Denn mir fällt gerade eine Anekdote ein: Ich war einmal bei einem Geistlichen eingeladen (ich verrate hier die Konfession nicht, jedem seine Fantasie). Im Lauf unserer höflichen Unterhaltung kamen wir auf die Laster zu sprechen. Und hier meine ich nicht die „18 Wheelers“ – auch „semis“ (sprich „ssem-meis“) der Country-Western-Lieder (die Sattelzüge der deutschen Autobahn), sondern die „ausschweifenden Lebensweisen“, die das irdische Dasein zeitgleich versüßen und versalzen.

Besagter Geistlicher beteuerte: „Ich möchte es nicht abstreiten. Ja, auch ich habe Laster.“

„Sie?“ fragte ich und wollte so naiv wie möglich klingen, um ihn in die Falle zu locken. „Was könnten Sie für Laster haben?“

„Tja“, antwortete er. „Einmal habe ich, es war am Tag des Herrn, eine Biene getötet, weil sie mich erschreckt hatte. Das halte ich für ein schweres Laster.“

Ich war verwundert, und dachte: Vielleicht hat er doch (er war nämlich ziemlich betagt und döste gelegentlich ganz plötzlich ein) an einen schweren und nicht an ein schweres Laster gedacht. Seine Beichte hat meine Erwartungen jedenfalls herb enttäuscht. Hoffentlich passiert das mir jetzt nicht mit meiner eigenen Laster-Beichte.

In meinem Fall handelt es sich aber wirklich um ein kleines Laster – ein sehr kleines sogar. Wer über meine großen Laster erfahren möchte, dem empfehle ich meine belletristischen Werke. Die sind aber noch nicht erschienen. Doch keine Sorge. Den Neugierigen zuliebe putze ich schon lange eifrig die Klinken zahlloser Verlagshäuser.

Mein kleines Laster hat jedenfalls nichts mit Bienen zu tun. Nein. Mein Laster gilt den Schreibinstrumenten: Ich bin nämlich in Schreibzeug, d.h., mechanische Bleistifte, Füllfederhalter und gelegentlich auch Kugelschreiber vollauf verliebt.

Ist doch logisch. Täglich lasse ich die Finger über eine Tastatur spazieren gehen, die Augen stets auf ein leuchtendes Display fixiert. Manchmal freue ich mich, wenn es auch anders, also stromlos, geht. Lyrik, zum Beispiel, will ich nur mit meinem hübschen mechanischen Bleistift (und nur in englischer Sprache) formulieren. Briefe bring ich am liebsten mit dem Füllfederhalter aufs Papier. Und jetzt wird’s noch persönlicher.

Schon lange sehne ich mir nach einem schönen lasterhaften Füllfederhalter. Für mich aber eine schwierige Suche. Ich bin nämlich Linkshänder. Das heißt: Wenn ich mit einem Füllfederhalter schreibe, hinterlasse ich bisweilen unansehnliche Tintenflecken. Das frustriert den Perfektionisten ungemein.

Aber dann entdeckte ich eines Tages ein Geschäft in der Hohenzollernstraße in München, das sich „Ellenwoods“ nennt. Nein, hier keine Schleichwerbung. Hier die Lebensrettung für einen Menschen, der sein kleines Laster ausleben möchte. Mit Herrn Ellenwood – nicht, so weit ich weiß, sein richtiger Name, teile ich offenbar dieses Laster für Schreibgeräte. Nur: In seinem Fall handelt es sich um ein besonders großes Laster. Denn er hat sein Peccadillo zu einer Lebensaufgabe gemacht. Er kann eifrig und informativ über jedes Schreibinstrument, das es gibt, lange vortragen. Was meine Suche betrifft: Er beteuerte sehr überzeugend, dass es ja einen Füllfederhalter gäbe, der für Linkshänder wie mich geeignet ist – ohne das ich enttäuscht vor dem üblichen Gekleckse stehe. Er legte mir den corpus delecti gleich in die Hand und meinte, ich sollte nun eine Weile damit schreiben. Ja, und es hat tatsächlich funktioniert! „Noch eine Frage, Herr Ellenwood“, sagte ich. „Kann man mit diesem Füllfederhalter so flexibel umspringen wie mit einem Kugelschreiber? Meine bisherigen Füllfederhalter streikten immer, wenn ich mich nicht ständig mit ihnen beschäftigte?“

„Mit diesem Füllfederhalter haben Sie dieses Problem nicht“, sagte er. „Man kann ihn genauso einsetzen wie einen Kugelschreiber.“

Ich verrate die Marke nicht, denn hier wirklich keine Schleichwerbung. Nur so viel werde ich verraten: Ich habe den Füller gekauft und lebe mein Laster seit Monaten endlich vollauf aus. Ich fahre bestens mit meinem Laster, bin trotzdem kein Lasterfahrer geworden.

Dante und die Spammer: eine eindringliche Warnung

Die Mail traf am Sonntag ein. Der Schock hielt ca. anderthalb Sekunden an.

Normalerweise bekommen ich am Sonntag kaum Emails – außer der, die mir ziemlich regelmäßig meine Babysitterin a.D. in New York sendet. Ja, meine Babysitterin.

Kurzes Flashback: Als sie ca. 13 Jahre alt war, habe ich ihr eines Nachts die Hölle heiß gemacht. Ich war vielleicht drei Jahre alt und hatte Kopfweh. Ich schrie unentwegt. Selbstverständlich war ich unfähig, die Ursache für mein Unbehagen mitzuteilen. Das arme Mädchen war total überfordert und holte endlich ihren Vater. Er trat an wie ein deus ex machina, nahm mit äußerster Ruhe und Autorität das Ruder in die Hand. Kaum stellte er mir Fragen, so habe ich mich auch beruhigt. Ich ging mit ihm ins Bad, wo er eine Aspirin-Tablette spaltete (damals war die Auswahl an Medikamenten sehr bescheiden) und mir die Hälfte verabreichte. Alles war schnell wieder gut.

Aber zurück in die Gegenwart. Denn ich will vom Schock erzählen, die ich am Sonntag erlebte – auch wenn er nur anderthalb Sekunden anhielt.
Im „Inbox“ meines Mailprogramms fand ich eine Email von „Domain Services“ vor: in englischer Sprache geschrieben. Es schien eine Mahnung, eine „Final Notice“ an den Sprachbloggeur zu sein. Er sollte seine „Domain“-Kosten begleichen, und zwar sofort: 75$ für ein Jahr, 119$ für zwei Jahre… 499$ für eine lebenslange „Domain“-Berechtigung.

Erster Gedanke: Hmmm…oder besser Hmmm?

Nach anderthalb Sekunden aber der zweite Gedanke: Gute Nacht! Schon wieder diese Internetgauner! Diese Schlussfolgerung fiel mir ein, weil der Absender dieser scheinbar hehren Verwaltungsorganisation der Internet-Domains lautete „hotmail.com“ und nicht „domains.org“ oder so etwas Seriöses.

Prompt benachrichtigte ich meinen Provider – möge ihm und seinem Server beiden ein langes Leben gegönnt sein – über die Aufforderung der „Domain Services“. Ich bin nämlich nicht sein einziger Kunde. Vielleicht wurde der ganze Server „bespammt“, sinnierte ich. Nein, „Aufforderung“ ist hier das falsche Wort. Denn der Urheber der dämlichen Mail bezeichnete sein Schreiben als „Solicitation“. „Solicit“ auf Englisch ist kein Auffordern, sondern ein Erbeten. „Solicitations“ machen, z.B., e.V.‘s, wenn sie Bettelbriefe in die Welt schießen. Lässt man sich auf eine „Solicitation“ ein, so ist das stets freiwillig (auch juristisch gesehen), und man könnte für die geleistete Zuwendung theoretisch eine Spendenquittung verlangen. Da sich aber die „Domain Services“ in New York City befinden – das nehme ich an wegen der Fax-Nummer, die auf der „Final Notice“ zu lesen steht, konnte ich wohl kaum mit einer Spendenquittung rechnen.

Bis heute übrigens lebt meine Babysitterin in New York City. Nein, sie steckt nicht hinter diesem Schmu.

Das Hübscheste in der „Final Notice“ war im Kleingedruckten zu lesen: Demnach bekomme ich nach 30 Tagen mein Geld zurückerstattet, falls ich mit der Dienstleistung der Organisation nicht zufrieden bin. Damit gewinnen die „Domain Services“ Sympathiepunkte. Man wittert ganz stark das abgebrochene Jurastudium eines der Phisher oder Spammer.

Unsympathisch hingegen ist die Drohung der Jungs, diese Seite, falls das Geld nicht sofort eingezahlt wird, auszuschalten. Habe natürlich nichts bezahlt, bin trotzdem noch da.

Was die Boys bei „Domain Services“ at Hotmail dot com wohl nicht wissen: Schon Dante hat sich vor etwa 800 Jahren eine Strafe in der Hölle für die „Domain Services“ ausgedacht – schrecklicher als jede Tortur, die ich meiner Babysitterin einst aussetzte. Bei Dante heißt es – und hier übersetze ich aus der „terza rima“ des Originals: dass die Betreiber von „Domain Services“ für jede geschickte Mail noch ein Millimeter tiefer in einem Kotgraben versinken.

Mag sein, dass das nicht wie eine schreckliche Strafe klingt. Doch zehn Mails sind gleich ein Zentimeter. Einhundert Mails bedeuten zehn Zentimeter. Nach ein Tausend „Solicitations“ stecken die Jungs der „Domain Services“ bereits ein Meter tiefer in der Kacke.

Ich möchte nicht daran denken, was passiert, wenn „Domain Services“ zehntausend „Solicitations“ verschickt.

Ich gebe zu: Viele Menschen glauben heute nicht mehr an die Hölle oder an eine höllische Strafe. Aber seien Sie ehrlich: Würden Sie gerne die Plätze tauschen mit den Betreibern von „Domain Services“?

Hilfe! Meine Berechtigungen gehen in den Dutt!

In meiner New Yorker Kindheit, haben wir in der Schule die Lehrerin um Erlaubnis gebeten, wenn wir auf die Toilette mussten. Das war eine Zeit, als man im Klo noch nicht rauchte und keine Klopapierknäueln in die Toiletten warf, um diese außer Betrieb zu setzen.

Wir nannten dieses Um-Erlaubnis-bitten „asking permission“.

Nun erfahre ich als Smartphone-Anfänger, dass die sog. „Apps“, also Applikationen, Anwendungen, die ich auf meinem Phone herunterladen möchte, von mir eine oder mehrere „Permissions“ (notabene: dieses Wort hat im richtigen Englisch keine Mehrzahl) verlangen, bevor ich sie installieren darf. Aber was sind das für „Permissions“? Manchmal ist es etwas Offensichtliches. Wenn, z.B., meine Schreibapp, um Erlaubnis bittet, auf die Speicherkarte schreiben zu dürfen, oder wenn meine Nachrichtenapp ins Internet einloggen will. Aber warum will meine Schachapp eine „Permission“ mit dem Namen „read_phone_state“ – zu Deutsch „Telefonstatus lesen und identifizieren“ haben?

Das klingt ominös – und ist es auch. Denn wenn ich diese „Permission“ erteile, darf der App-Hersteller die Identität derer, mit denen ich telefoniere, kenntlich machen. Gott weiß, wozu er dies braucht.

Um die Sache auf die Schliche zu kommen, mailte ich meinen Freund Andreas Itzchak Rehberg. Er ist eine (bzw. DIE) Koryphäe auf dem Gebiet der Android-Telefone und -Tabletten in Deutschland und Autor mehrerer sehr spannender und informativer Bücher zum Thema. Mit seiner Genehmigung zitiere ich Auszüge aus seiner Antwort: „In den wenigsten Fällen steckt da eine böse Absicht des Entwicklers dahinter“, schrieb er, womit er mich auf der Stelle beruhigte. Dann teilte er mir verschiedene Gründe dafür mit, warum sich ein Apphersteller, diese komische „Permission“ erbittet. Hier zwei davon: 1.) „Das verwendete Werbe-Modul verlangt es“ 2.) „Naivität des Entwicklers“. Es handelt sich jedenfalls um harmlose Dinge. Um etwaige Verunsicherungen auszuräumen, sollte ich, riet er mir, bevor ich eine App herunterlade, auf die Zahl der Installationen im Playstore und um die Bewertungen achten.

Und gleich kam die Retourkutsche:

„Du, nun habe ich eine Frage“, schrieb er. „Ich sagte gerade einem Kollegen, dass da etwas ‚in' Dutt‘ wäre. Der schaute ganz verDUTTzt. Und jetzt frage ich: Woher kommt dieses ‚Dutt‘? So viel weiß ich: Det stammt aus meine Heimat. Jedenfalls: Wenn etwas ‚in Dutt‘ ist, ist es futsch, kaputt. Und was hat das mit den Haarknäueln zu tun, wie die Frauen sie in den 1960er Jahren trugen?“

Um auf Itzchaks Frage zu antworten, brauche ich freilich keine „Permissions“. Ich werfe lediglich einen Blick in mein Küppers „Wörterbuch der deutschen Umgangssprache“ und werde sogleich fündig.

Also, Itzchak, Folgendes: Nach Küpper hat der „Dutt“ mehrere Bedeutungen. Aber fangen wir von Vorne an. Ursprünglich ist ein „Dutt“, so Küpper, „eine kleine Erderhebung“. Wieso nennt man eine Erderhebung „Dutt“? Küpper nimmt dazu keine Stellung. Aber ich! Ich habe dazu eine Theorie: Es gibt nämlich neben dem Wort „Dutt“ auch die Vokabel „Dutte“, die die „weibliche Brust“ bezeichnet. Es liegt nahe, dass man eine kleine Erderhebung als „Brust“ auffasst – vor allem in der Zeit, als man noch keine Smartphones hatte, um sich mit dämlichen „Permissions“ abzulenken.

Aber weiter. Irgendwann bekam dieses Wort im norddeutschen Raum den Nebensinn „Kopf“ oder „Schädel“. Von daher hob der Nordmensch an, seinem Kumpel zu drohen "eins auf den Dutt zu geben."

(Unterdessen benutzte man „Dutt“ schon immer im Sinne von „Knäuel“ und „Klumpen“. Das mit dem „Frauenzopf“ ist erst um 1850 belegt. Aber das nur nebenbei).

Allmählich versteht man, wie etwas "in den Dutt gehen" kann, wenn es kaputt gegangen ist.

Nun hoffe ich, dass ich auch dich, lieber Itzchak, in der Sache mit dem „Dutt“ weitergebracht habe. In der Mehrzahl übrigens „Dutte“ oder „Dutts“. (wie „Permissions“).

Ach. Beinahe habe ich vergessen, etwas Ärgerliches zu erwähnen. Und zwar, dass es mir unverständlich ist, dass die deutsche Übersetzung für „Permission(s)“ ausgerechnet „Berechtigung(en)“ lauten muss!

Mir wäre, ehrlich gesagt, „Erlaubnis(se)“ lieber. Nie habe ich meine Lehrerin um eine Berechtigung gebeten, wenn ich aufs Klo musste. Und niemals schmissen wir unsere Dutte in die Toilette. Ich rede freilich von einem anderen Jahrhundert, als Permission noch keine Berechtigung war.

Wenn die Mopsgeschwindigkeit zum Bärendienst wird

„Es sind die Dinge des Alltags, die häufig für Probleme sorgen“, sagte mir letzte Woche Frau M., Inhaberin des Paradieses.

Paradies: Sie wissen vielleicht schon: duftende Melonen, anmutige Mangos, cremig nussige Avocados…

„Wie meinen Sie das, Frau M.?“

„Ich meine: Ich habe jetzt vergessen, ob, wenn man Mopsgeschwindigkeit sagt, schnell oder langsam gemeint ist.“

„Mopsgeschwindigkeit? Das Wort kenne ich gar nicht. Trotzdem würde ich rein gefühlsmäßig auf langsam tippen“, antwortete ich.

„Ich werde Frau B. morgen früh fragen“, sagte sie. Damit meinte sie ihre scharfsinnige Mitarbeiterin, die meistens vormittags arbeitet. „Ich schreibe ihr einen Zettel. Denn sie benutzt diesen Ausdruck manchmal. Aber wie kommen Sie auf langsam, Herr Sprachbloggeur? Ich stelle mir vor, dass Möpse auf ihren kleinen Beinchen wie Raketen von dannen schießen.“

„Das kann ich mir kaum vorstellen. Meine Freundin Blanche in San Francisco hatte einst einen Mops – bzw. eine Möpsin, Pudgie, was ‚pummelig‘ auf Deutsch bedeutet. Pudgie war das trägste Tier, dem ich je begegnet bin. Sie bewegte sich kaum vom Fleck. Nur wenn es zum Fressen gab, hörte man das Klickklickklick ihrer langen Krallen. Manchmal rutschte sie auf dem Linoleumboden aus, weil die Krallen so lang waren. Blanche musste den Hund regelmäßig zur Hundepflege bringen, und das Tier hat sich dort jedesmal wahnsinnig aufgeregt. Wussten Sie, dass die Augen eines Aufgeregten Mopses aus den Augenlöchern herausspringen können? Sie baumeln dann runter wie an einem Gummiband befestigt. Dann muss man sie sorgfältig wieder reindrücken.“

„Igitt. Aber noch eine Frage. Wieder eins dieser kleinen Dinge aus dem Alltag. Was meinen Sie: Wenn man sagt, dass etwas passt wie die Faust aufs Auge, verstehen Sie das als positiv oder negativ?“

„Bin ich froh, dass Sie diese Frage stellen. Endlich fühle ich mich nicht mehr allein gelassen. Wissen Sie: Für mich ist die deutsche Sprache manchmal ein Buch mit sieben Siegeln. Schön zu wissen, dass das auch mal für Muttersprachler gilt. Ich denke jedenfalls, dass das mit der Faust aufs Auge negativ gemeint ist.“

In diesem Augenblick warf Frau M. einen Blick um den Laden.„Nein keine anderen Kunden da. Man sagt auch, bitte entschuldigen Sie die Ausdrucksweise, dass Leute zueinander passen wie der Arsch auf den Eimer. Meinen Sie, das sei auch was Negatives?“

„Eindeutig“, sagte ich. „Wissen Sie, früher habe ich gedacht, dass wenn man jemandem einen Bärendienst erwies, das sei was Gutes. Dann habe ich gelesen, dass Bären alles durcheinander bringen, weil sie kein Feingefühl haben.“

„Schau her.“

Am nächsten Tag ein kurzes Gespräch mit Frau B. „Der Zettel über die Mopsgeschwindigkeit war mir zuerst ein Rätsel“, sagte sie, „bis mich Frau M. aufklärte. Aber nun kann ich die Frage beantworten: Selbstverständlich bedeutet ‚Mopsgeschwindigkeit‘ Schnelligkeit. Wissen Sie woher das kommt?“

„Ich bin ganz Ohr.“

„Von dem Kinofilm ‚Traumschiff Surprise‘. Das mit der ‚Mopsgeschwindigkeit‘ soll eine Parodie auf die ‚Warpgeschwindigkeit‘ in ‚Traumschiff Enterprise‘ sein.“

„Warpgeschwindigkeit?“

„Keine Ahnung, was das ist. Nur: Es deutet jedenfalls auf Schnelligkeit.“

Inzwischen habe ich mich selbst mit dem „warp drive“ befasst – eine Wortschöpfung, wie es sich herausstellt, aus der Science Fiction, die eine Geschwindigkeit bezeichnet, die noch schneller ist als die Lichtgeschwindigkeit. „Warp“ bedeutet auf Englisch „verzerren“, was wohl mit einem geschieht, wenn er mit einem Affenzahn – einem Affenzahn? – durch das Weltall saust.

Ach: und noch etwas: Dem Duden-Oxford-Wörterbuch zufolge gibt es keinen eindeutigen Konsens, ob „Faust aufs Auge“ – und „Arsch auf den Eimer“ positiv oder negativ gedeutet werden sollen. Alles klar, liebe Deutsch Muttersprachler?

Ich hoffe Ihnen damit, einen Bärendienst erwiesen zu haben.

Testfrage zwecks der internationalen Verständigung: Wer ist Bob Hope?

„Was! Du hast deinen Salat schon aufgegessen?“

„Ich hatte Hunger.“

„Du bist ein Weltwunder…Faster than a speeding bullet...“

Vertraute Stille. So klingt ein Gespräch am Tisch, wenn ein Ehepaar – in diesem Fall ich und meine Frau – lang miteinander verheiratet sind: Ich stelle etwas fest, sie antwortet darauf, und dann folgt meine Bemerkung – in diesem Fall auf Englisch.

Damit war das Gespräch aber doch nicht zu Ende. Denn wir sind ein bikulturelles Paar, meine Frau Deutsche und ich, wie ich immer wieder zu betonen pflege, Amerikaner.

Dieser Zustand bereichert freilich sehr, kann aber bisweilen für Missverständnisse und Irritationen sorgen. Das war insbesondere der Fall, als ich jünger war. Es hat mich manchmal frustriert, dass meine Frau gewisse kulturbedingte Anspielungen nicht verstand. Zum Beispiel, als ich einmal sagte: „Das klingt wie ein alter Bob Hope Witz.“

Auf diese Bemerkung folgte eine leere Stille, woraufhin ich fragte:„Weißt du nicht, wer Bob Hope ist?“

„Nein, noch nie gehört.“

Ich gebe zu: Männer sind egoistisch (meine Frau würde dies sofort bejahen), und wir möchten, dass unsere Frauen alles, was wir produzieren, sofort verstehen und für gut heißen. Dieses Wunschdenken ist aber besonders fatal in einer bikulturellen Beziehung – zumal Bob Hope für Amerikaner so bekannt ist wie Helmut Schmidt oder Kim Jong Un in Deutschland.

(Für den Fall, dass Ihnen Bob Hope doch kein Begriff ist: Er war Komiker, Schauspieler und Entertainer, dessen Karriere sich von ca. 1940 bis etwa 1990 erstreckte. Er starb 2003 hundertjährig. Nach ihm wurde ein Golf Turnier, „The Bob Hope Classic“ benannt. „Golf ist mein Beruf“, sagte er. „Dank dem Showgeschäft kann ich mir den Mitgliedsbeitrag für den Golfklub leisten.“ An dieser Stelle pflegen Amerikaner zu kiechern).

Aber wie gesagt: Meine Frau kannte den Namen nicht, was mich damals maßlos betrübte. Ein Hinweis, dass ich mein Haus doch auf fremder Erde gebaut hatte. Denn, wenn andere deine kulturelle Anspielungen nicht verstehen, erscheint die eigene Vergangenheit wie verloren! So was kann ängstigen. Noch schlimmer: Weil man um den Verlust der eigenen Identität fürchtet, wird man zunehmend nostalgisch für die good old days.

Aber zurück in die Gegenwart. Längst erlebe ich solche Identitätskrisen nicht mehr. Und deshalb hat es mich nicht im Geringsten irritiert, dass meine Frau nichts mit dem Begriff „faster than a speeding bullet“ anfangen konnte. Nach einer kurzen, vertrauten, ehelichen Pause fragte ich: „Weißt du, worauf ich hinaus wollte, als ich sagte ‚faster than a speeding bullet‘?“

„Eigentlich nicht“, antwortete sie.

„ Die Superman-Sendung im Fernsehen in den 1950er Jahren begann folgendermaßen: ‘Faster than a speeding bullet, more powerful than a locomotive, able to leap tall buildings at a single bound. Look up in the sky! It’s a bird! No. It’s a plane! No. It’s…Superman.’ Das hat jeder Amerikaner gewusst. Aber wer weiß, ob sie es immer noch tun.“

„Ach so.“

Ja, so verläuft die Verständigung zwischen den Kulturen. Und nun stellen Sie sich vor, wie schwierig es ist, wenn man Texte aus dem Lateinischen oder aus dem Altgriechischen ins Deutsche übersetzen will: Es fehlen uns die Metasprache, die Anspielungen, die jeder damals verstand.

Wage ich zu fragen, ob wir Bibel und, ja, Koran auch einigermaßen verstehen können? Nein, natürlich wage ich so eine Frage nicht.

Brief an Steven Spielberg

Lieber Mr. Spielberg,

ist es sinnvoll, werden manche fragen, Ihnen einen in Deutsch geschriebenen Brief zu schicken, zumal Sie diese Sprache höchstwahrscheinlich gar nicht verstehen? Ist es sinnvoll an Sie überhaupt zu schreiben? könnte man ebenso fragen. Hätte ich aber, wenn ich meine Gedanken auf Amerikanisch formulierte, bessere Chancen, sie zu erreichen?

Kaum.

Den Grund für diesen Brief kann ich jedenfalls in einem knappen Satz erläutern: Ich möchte Ihnen meine Meinung über einen Ihrer Filmstreifen mitteilen, über den Film „Krieg der Welten“ – zu Englisch „War of the Worlds“.

Es mag seltsam erscheinen, dass ich im Jahr 2013 meine Aufmerksamkeit auf einen Film aus dem Jahr 2005 wende. Doch ich gehe in den letzten Jahren nur selten ins Kino, und meistens mache ich ohnehin einen Bogen um die „Action-Films“, die sogenannten „Blockbuster“.

Auch um besagten „Krieg der Welten“ hätte ich einen Bogen gemacht. Nur: Als ich am Samstagmorgen Bayern 5 Nachrichten lauschte, kam um 9h25 unter Rubrik „Fernsehtipps“ eine kurze, sehr positive Besprechung Ihres Films, der an diesem Abend um 23.20 ausgestrahlt werden sollte. Der Sprecher – oder Sprecherin – bemerkte, dass es sich um eine besonders intelligent gemachte Filmversion des H.G. Wells Romans „War of the Worlds“ handelte und dass der Regisseur indirekt die Problematik der Flüchtlingskatastrophen in den Kriegsgebieten anpackte oder so ähnlich.

„Heute Abend möchte ich mir einen Film im Fernsehen anschauen“, sagte ich meiner Frau.

„Du schaust Dir kaum Filme an. Was ist das für einen?“

Ich gab weiter, was ich im Radio gehört hatte. Meine Frau meinte, sie hätte vielleicht auch Interesse. Um 23.20 nahmen wir unsere Plätze in der ersten Reihe.

Ich möchte Ihnen die Handlung zusammenfassen, gleichwohl Sie sie natürlich bestens kennen. Aber here goes: Tom Cruise spielt einen Familienvater, einen chaotischen Kindmann, der getrennt von Frau und Kindern (einem Jungen vielleicht 17 und einem Mädchen, etwa 10jährig) lebt. Die Kinder sollen bei ihm – fürs Wochenende oder länger, habe ich schon vergessen – bleiben. Denn die hochschwangere „Ex“ fährt mit ihrem Neuen nach Boston, um ihre Eltern zu besuchen. Die Kinder, wie man feststellt, hegen gewisse Ressentiments gegen Tom Cruise. Ein ungemütliches Zusammensein entfaltet sich. Bisher der Stoff eines üblichen Melodramas. Doch bald ziehen die dunklen Wolken zusammen. Buchstäblich. Es blitzt und kracht da oben, aber der Blitz ist kein normaler, und dieses seltsame Phänomen scheint, wie man in TV-Nachrichtensendungen erfährt, weltweit vonstatten zu gehen. Die Menschen werden nervös, neugierig, beängstigt. Aber jetzt geht’s los. Plötzlich steigen komische dreifüßige fliegende Maschinen aus dem Erdboden. Hinzu sausen riesige Raumschiffe über der Stadt vorbei, oder sie schweben einfach in der Höhe. Und dann: Zapp! Zack! Zing! usw. Teure Special Effects werden ab jetzt großzügig eingeschaltet. Tod und Verwüstung überall. Es bleibt Tom und seinen Kindern nichts anderes übrig als zu flüchten. Eine vergebliche Liebesmühe aber, denn sie werden auf Schritt und Tritt von den Außerirdischen verfolgt. Nun wird es klar: Die Erde wird von Außerirdischen attackiert. Das Mädchen kann übrigens sehr gut kreischen und sich einen tollen erstarrten Ausdruck aufsetzen . Tom hingegen ist ein Überlebenskünstler. Er kapert Autos, kämpft gegen die hysterischen Massen und gegen die Außerirdischen, tut alles, um sich und seine Kinder zu retten. Irgendwann will der Sohn aber auf eigenen Fuß weitergehen. Vater und Sohn streiten sich. Dann die kurze, traurige Trennungsszene, gefolgt vom erneuten Gekreische des Mädchens, von Tod und Verwüstung überall usw. – bis am Schluss, wenn Tom und Co. aufgehört haben zu hoffen, die bösen Außerirdischen von alleine krepieren. Es stellt sich raus: So mächtig sie seien, werden sie von klitzekleinen Bakterien besiegt. Ohnehin hat Tom es geschafft, mit der kleinen Schreierin, nach Boston zu gelangen. Überall tote Menschen, tote Außerirdische und Verwüstung. Nur Boston scheint einigermaßen vor dem Durcheinander verschont verblieben zu sein. Das Mädchen sieht die Mutter. Umarmungen, Tränen. Und siehe da: Auch der Sohn ist präsent! Alle leben! Nur Tom, trauriger Held bleibt außen vor. Trauriger Held, stiller Held. The End.

So viel zur Geschichte. Die Kritik kann ich viel knapper formulieren als die Handlung: Es war ein Erlebnis wie eine Achterbahnfahrt oder eine Fahrt auf der Geisterbahn. Das heißt: Man weiß, von vorne herein, wie es ausgeht. Ein paarmal wird man gegen die Schwerkraft geschleudert oder mit Gruselpuppen konfrontiert. Man weiß aber, dass man am Schluss, aus dem Wägelchen heil auszusteigt, lediglich ein paar Euro leichter. Spannung? Ungewissheit? Von wegen.

Lieber Herr S., dieser Film mit den teuren Special Effects war, um ein anderes Bild zu verwenden, so spannend wie ein Rülpser: Keiner zweifelt, wenn er rülpst, dass die Luft den Ausgang findet. Erst recht nicht, wenn man einen Film mit einem teuren Schauspieler wie Tom Cruise macht. Man rechnet mit einem Sieg und sogar mit einem Happy End und einem „feel good“ Schluss. Eine Reise also von Punkt A bis Punkt B ohne besondere Überraschungen – mit Ausnahme von ein paar Nervenkitzeln. Gemeint sind die Aktionszenen. Hauptaufgabe des Films schien jedenfalls mit Special Effects zu brillieren.

„Zwei Stunden habe ich wegen dieses dummen Films vergeudet“, beklagte sich meine Frau. „Ich hätte die Zeitung lesen können.“

„Für mich keine Zeitverschwendung“, antwortete ich. Nun weiß ich, wie man einen Film nicht macht.“

Falls Sie von mir alternative Handlungsvorschläge für Ihren Film haben möchten, stehe ich wie immer gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen,
P.J. Blumenthal
Sprachbloggeur

Das Problem ist in trockenen Tüchern

„Das Problem ist vom Eis“, sagte letzte Woche ein ARD-Nachrichtensprecher. Welches Problem er meinte, habe ich leider vergessen. Vom Eis? Wie ist es möglich, ein Problem vom Eis zu entfernen?

Und wie sieht ein Problem aus, wenn es aufs Eis gelegt wird?

Irgendwie tröstlich für mich zu wissen, dass native speakers ebenso schlampig mit der deutschen Sprache umgehen wie ich es tue.

Und deshalb fühle ich mich berechtigt, Neues in die deutsche Sprache einzuführen. Zum Beispiel die Redewendung, die ich letztes Jahr aus dem Boden stampfte: „Die Kuh ist in trockenen Tüchern“. Ist sie nicht schön? So eine Formulierung bezeichnet man auf Englisch als „mixed metaphor“, das heißt, als aufgemischte Metapher. Uns wurde in der Schule stets eingeschärft, unsere Metaphern never zu mixen. Aber rules are meant to be broken.

Das mit dem Eis usw. soll hier aber nur als kurze Einleitung dienen. Eigentlich wollte ich das Thema vom letzten Beitrag wieder aufgreifen. Wer besagten Text nicht gelesen hat, hier eine kurze Zusammenfassung: Ich hatte eine panische Angst, dass ich während einer Rom-Reise überall auf Taschendiebe treffen würde, die mir meine Kostbarkeiten – mein Portemonnaie, meinen Schlüsselbund, meinen Fremdenführer, mein Handy, meinen Bleistift und meinen Kugelschreiber usw. – behändig aus der Tasche entwenden würden.

Ich habe mich so sehr ins Zeug gelegt – und damit meine ich, dass ich mich sehr hysterisch aufgeführt habe – , dass ich manche Kostbarkeiten nicht auf die Reise mitnahm.

Aber Entwarnung. Meine Hysterie ist jetzt vom Eis. Meine Reise nach Rom war alles anders als ein Ringkampf mit Unholden, die mich als Weihnachtsganz ins Visier nahmen. Im Gegenteil. Ich vermute, dass ich gar keinem Taschendieb begegnet bin.

Vielleicht doch einmal. Da drängte sich einer an meiner Frau heran, als wir in die Metro einstiegen. Ich habe aber ganz cool meine Hand zwischen ihm und ihr gelegt und ihn dabei streng angeblickt. Prompt hat er sich entschuldigt. Hinter mir stand übrigens sein Kumpel. Während der Fahrt waren wir alle eng aneinander gequetscht. Es passierte aber nichts. An der nächsten Haltestelle sind die beiden ausgestiegen. Vielleicht waren sie Taschendiebe. Vielleicht nicht. Keine Ahnung.

Nur einem richtigen Dieb bin ich in Rom mit Sicherheit begegnet. Und das war ich selbst. Ich war nämlich mit meinem neuen Fotoapparat unterwegs. Er hat ein Display, das man runterklappen kann. Damit vermag ich hunderte von Menschen im Sensor einzufangen, ohne das sie etwas davon mitbekommen. So machen es auch die Taschendiebe. Ich fühlte mich wie die Mücke, die lautlos rumfliegt, auf die Haut landet, Blut saugt und sich dann wieder verduftet.

Kein Mensch in Rom war vor mir sicher. Denn ich falle kaum auf. Das tun nur wenige Menschen, wenn sie ein gewisses Alter erreichen. Wir zählen nicht mehr zu den Gefährlichen. Man sieht uns nicht. Junge Menschen hingegen sind alleweil gefährlich. Denn sie können jederzeit etwas bewirken. Und das ist ja der besondere Reiz der Jugend. Der heimliche (oder manchmal unheimliche) Augenkontakt zwischen boy und girl am Vorbeigehen auf der Straße trägt immer das Versprechen der Gefahr, ist immer in der Lage, Konsequenzen mit sich zu ziehen.

Ich hingegen marschiere vorbei und werde schnell wieder vergessen. Wer ahnt, dass ich gerade ein intimes Foto geschossen habe?

Ja, die Kuh ist in trockenen Tüchern wieder. Der Schriftsteller ist heil aus Rom zurückgekehrt, wo er sich während seines Aufenthalts stillschweigend der Privatsphäre anderer bedient hat, um fremde Menschen in Kunst zu verwandeln.

„Taschendiebe in Rom? „ sagt mir mit Erstaunen Freund Eddie. „Come on! Rom ist harmlos. Weißt du, wo man die meisten Taschendiebe findet?“

„Nein.“

„In der Kaufingerstraße in München. Denn dort treffen die Langfinger auf besonders tiefe Taschen, Taschen, die prall mit Banknoten sind. Pilger in Rom, die den Papst oder die Ruinen bewundern, sind dagegen mittellose Bettler.“

Eigentlich hätte ich das als gebürtiger New Yorker selbst wissen müssen. Doch kaum verfällt man in die Hysterie und zack! Alles, was man besser weiß, geht schnell flöten wie eine Kuh aufs Eis. Schon wieder mische ich meine Metapher auf.

Nebenbei: Wir haben in einer tollen – und preiswerten – Ferienwohnung in Rom gewohnt. Und hier die freiwillige Werbung für Marco, den Besitzer dieser hübschen Wohnung in San Lorenzo. Marco ist unter mlaurenzano@virgilio.it zu erreichen. Ein Geheimtipp vom Sprachbloggeur – stets zu Ihren Diensten.

Hoffentlich werden wir selbst mal wieder trotz des durch diese Werbung zu erwartenden Andrangs die Wohnung für die nächste Reise beziehen können. Ciao e Saluti.

Rom sehen und…sterben?

Ich hoffe, dass obiges Zitat nicht zutrifft, zumindest für mich die nächste Woche nicht.

Ein peinliches Geständnis: Die ganze Woche mache ich mir Sorgen, wo sich andere wohl freuen würden: Sorgen um einen Besuch in Rom.

Etwas Hintergrund: Meine Frau hat noch Resturlaub und wollte, um den Arbeitsstress kurz zu entkommen, eine Woche Urlaub machen. Genauer gesagt. Sie wollte einen Tapetenwechsel. Ich hingegen bin vor Kurzem aus den USA zurückgekehrt und würde mich lieber ins Zeug legen. Ich bin nämlich dabei, ein neues Buch zu überarbeiten und komme erst jetzt richtig in Schwung.

Ich habe aber Verständnis dafür, dass meine Frau nach einem Tapetenwechsel verlangt, auch wenn ich selbst nur äußerst selten dieses Bedürfnis verspüre. Ich hocke gerne in der Stube. Wahrscheinlich stehe ich mit dieser Einstellung nicht so ganz allein. Ich höre, dass viele Männer – vor allem, nachdem sie ein gewisses Alter erreicht haben – ähnlich empfinden. Frauen hingegen viel seltener.

Aber genug erzählt aus meinem Eheleben.

Wir haben uns schließlich auf Rom geeinigt. Ein passendes Reiseziel für mich als gelernter Altphilologe.

Nun fangen wir mit den schlechten Nachrichten an.

Kaum erwähne ich unsere Reisepläne, erreicht mich die ersten Horrorgeschichten. Jeder, mit dem ich rede, hat seine höchstpersönliche Anekdote, nach dem Motto: Rom, Stadt der mehrhändigen Taschendiebe. Aufpassen, höre ich: Man wird angerempelt, und zack! wird einem die Tasche geleert. Bloß keine Umhangtaschen! Sie schneiden dir die Riemen weg. Oder: Eine(r) fragt nach dem Weg, breitet mit großer Fanfare einen Stadtplan aus – und siehe da: Während man den Weg bespricht, langt eine Hand von unter dem Stadtplan in die Tasche.

Und die Klopfer. Die Klopfer? Man sitzt endlich wieder im Zug auf dem Weg nach Hause. Man freut sich, denn man hat Rom bisher ohne Zwischenfall überlebt. Plötzlich klopft einer gegen das Fenster und versucht durch wilde Gesten, etwas mitzuteilen. Während man aufmerksam auf dieses Theater schaut, hat sein Partner einen Koffer oder eine Tasche schon mitgehen lassen.

„In unserer Reise Gruppe haben sie einem den Geldbeutel aus der vorderen Tasche geklaut“, sagt mir Frau D. „Sie sind flink, sehr flink.“

„Meinem Vater“, erzählt T., wurde im Bus 400.000 Lire aus der Tasche entnommen. Bloß keine Busfahrten. Lieber mit dem Taxi.“

„Ja, eine Truppe Mädchen, sie waren vielleicht 10-14 Jahre alt, kamen auf uns an der Spanischen Treppe zu. Auf einmal sehe ich, wie eine versucht, meiner Frau die Bauchtasche zu entwenden“, sagt E. „Ich habe sie empört angeschrien, und sie haben sich in alle Winde zerstreut wie Spatzen.“

„Wie sagt man ‚hau ab‘ frage ich Maria. Sie ist Italienerin. Ich erkläre ihr die Umstände.

„Vatene“, antwortet sie.

„Und in der Mehrzahl?“

„Andatevene.“

„Das klingt zu kompliziert.“

„Dann sag lieber ‚sparisci‘ im Singular und ‚sparite‘ im Plural. Das bedeutet ‚verschwinde‘ und ‚verschwindet‘.“

„Ja, das mag ich. Und meinen Fotoapparat? Kann ich meinen Fotoapparat mitbringen?“

„Ja, natürlich“, sagt Maria, „aber gut verstecken.“

„Wieso muss ich meinen Fotoapparat gut verstecken? Ich will Fotos machen…“

Wer sich noch mehr die Stimmung verderben lassen will, der liest die einschlägigen Internet-Foren (das Wort „Foren“ ist von „Forum“ wie in „Forum Romanum“ entnommen). Angst um sein Hab und Gut tritt bald ein. Pure Angst. Ja, und bloß keine U-Bahn fahren.

Rom sehen und sterben. Der alte Spruch hat freilich nichts mit Taschendieben als Ursache des Sterbens zu tun. Es geht um eine Sehnsucht für die ewige Stadt. Nur: Der eigentliche Spruch lautet: „Neapel sehen und sterben“. Inzwischen fantasiere ich, dass meine Reise nicht nach Rom, sondern in ein Kriegsgebiet führt.

Wie dieser Urlaub in Wirklichkeit ausgeht, werde ich in zwei Wochen verraten. Nächste Woche habe ich vor, Fotos von reizenden Dieben zu schießen.

Ciao und a rivederci.

Wie Dopey verendete

Jeder Migrationshintergründler versteht, zumindest wenn er wissbegierig ist, dass man in der deutschen Sprache sehr differenziert übers Sterben erzählen kann.

„Sterben“ ist wohl der neutralste Begriff für dieses endgültige Abschiedsnehmen. Das Wort ist übrigens mit dem Englischen „starve“, also „verhungern“ und wahrscheinlich mit „darben“ verwandt.

Will man über einen Todesfall höflich oder ehrerbietig berichten, dann heißt es, dass jemand „verschieden“ oder „hingeschieden“ sei. Entsprechendes kennen wir im Englischen. Man sagt, dass jemand „passed away“. „To pass away“ hat mittlerweile mehr Facebook-Freunde als „to die“. Letzteres klingt nach dem heutigen Geschmack viel zu derb, ist beinahe nicht mehr politisch korrekt – so wie man „bathroom“ für „toilet“ sagt. Komisch.

Das Deutsche ist allerdings mit noch einem Begriff dem Englischen vollkommen überlegen: „verenden“. Als ich dieser Vokabel das erste Mal begegnete, gab mir meine Lebensabschnittspartnerin zu verstehen, dass sich das Wort nur auf Tiere beziehe. So was Ähnliches haben wir in der englischen Sprache nicht.

Und so komme ich nun auf Dopey zu sprechen und wie er verendete.
Er war ein lustiger Kerl, ein flapsiger Straßenköter, hellbraun, mit langen, herunterhängenden Ohren, gutmütig aber nicht besonders hell. Seine Herrin war Judy. Sie hat ihn nach dem Zwerg in Walt Disneys „Schneewittchen“ genannt.

„Dope“ hat mehrere Sinne im Englischen. Es kann zum Beispiel „Dummkopf“ bedeuten (wie Disneys liebenswürdiger „Dopey“) und ist in diesem Sinn wahrscheinlich mit dem deutschen „Depp“ und „doof“ sprachlich verwandt. In der Umgangssprache kann es auch „Information“ heißen. Man sagt: „Gimme (give me) the dope“ („sag mir, was los ist“). Und letztlich ist „dope“, wie jeder Sportsfreund weiß, ein Wort für „Drogen“. Man leitet es in dieser Inkarnation auf das hölländische „doop“, („Sauce“) zurück – ein Hinweis darauf, dass man Opium verflüssigt, um es zu konsumieren. Ich habe hier keine eigene Erfahrungen gemacht, kann also dieses Verfahren nicht bestätigen.

Aber zurück zu Dopey. Aus Gründen, die ich längst vergessen habe, musste Judy den Hund abgeben. Zum Glück fand das liebenswürdige Zamperl ein ideales neues Zuhause bei Dan, Mary und Kindern, die sehr ländlich lebten, hinter dessen Haus es sogar ein Wald gab. Zwei Kinder, ein Wald, reichlich zu essen: Paradies für einen lebenslustigen Vierbeiner wie Dopey.

Dopey war außerdem weder schüchtern noch eingebildet. In der früh bellte er, wenn er raus in die Natur wollte, fröhlich vor der Tür. Eigentlich süß. Doch diese Mitteilungsfreude sollte ihm mal zum Verhängnis werden.

Zeitsprung. Eines Tages besuchte ich Dan und Mary und die Kids. Ich unterhielt mich mit Dan im Garten und fragte, weil ich den Hund nirgends sah: „Hey, wo ist Dopey?“

„Ach“, sagte er plötzlich mit trauriger Miene, „frag lieber nicht. Ich hab schon ein sehr schlechtes Gewissen.“

„Wieso? Ich verstehe nicht.“

Nun erzählte er seine Story. Seine Stimme war leise und ernst: „Es war am letzten Sonntag. Vielleicht hatten wir am Samstagabend einen über den Durst getrunken. Ich war jedenfalls verkatert. Nun bellte Dopey vor der Haustür, wollte raus. Es war vielleicht neun Uhr. Ich fühlte mich sehr schlecht, wollte nur schlafen. Es war nicht das erste Mal, dass sich der Hund so aufgeführt hatte, wenn ich lieber hätte schlafen wollen. Dann maulte Mary: „Lass Dopey raus“, , und steckte ihren Kopf unters Kopfkissen. Ich stand auf, war mächtig sauer. Das wird das letzte Mal sein, dass du mich weckst, Dreckstier, grummelte ich. Ich weiß nicht, was dann in mich gefahren ist. Ich ergriff mit der einen Hand mein Gewehr, und mit der anderen packte ich den Hund am Kragen. Ich machte die Tür auf und sagte Dopey, er soll sitzen bleiben, was er auch tat. Er schaute mich mit seinen großen Hundeaugen an. Ich habe gar nicht mehr nachgedacht. Ich habe einfach gezielt und abgedrückt. Der Widerhall kam wir so laut vor wie eine Kanonensalve. Dann war alles still. Doch nur kurz. Plötzlich jaulte Dopey, als würden ihn hundert Teufel reiten und rannte schnurstracks ins Haus, genauer gesagt, ins Schlafzimmer, wo er aufs Bett sprang und auf Mary landete. Die ganze Zeit quietschte er und japste er. Überall war Blut, viel Blut. Du kannst dir vorstellen, wie Mary reagierte:

‚Was ist hier los!!?‘ schrie sie. ‚Dopey! Danny! Was ist mit Dopey passiert? Ruf den Arzt!!‘

Was hätte ich ihr sagen können? Dass ich ihn gerade erschossen hätte? Mir war die Sache ohnehin schon ganz peinlich. Ich wollte nichts erklären. Ich kam ins Schlafzimmer – das Gewehr noch immer zu Hand und packte den Hund, der sich inzwischen nicht mehr bewegte und trug ihn in den Hof. Dann grub ich ein Loch, legte ihn hinein und schüttete es mit Erde zu.

Und dann geschah es. Das vergesse ich nie: Eine Pfote schoss aus dem Boden und bewegte sich, lange sogar. Das hat mich so erschreckt. Ich schoss in die Erde wie verrückt…“

Ich habe genug erzählt. Jetzt wissen Sie, wie Dopey verendete.

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