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Kleine Lüge große Folgen oder: Wie ich nach München kam

Wissen Sie den Unterschied zwischen einer Lüge und einer Liege?

Für manche gibt es keinen. Zum Beispiel für Schlesier und Sudetendeutsche. Nein, das meine ich nicht als charakterliche Verleumdung. Auch Bayer unterscheiden nicht ganz. Englisch Sprechende erst recht nicht. Wie eineiige Zwillinge stehen die zwei Wörter „to lie“ und „to lie“ da – wie „tweedle-dee and tweedle-dum“, sagen wir.

Sprachhistoriker haben viel über „liegen“ und „lügen“ zu erzählen. Ersteres hat, wie es sich herausstellt, viele Verwandte in den verschiedensten indogermanischen Sprachen, ist sogar mit dem lateinischen „lectus“, also „Bett“, verwandt, was einleuchtend ist. Die Lüge hat mit Ausnahme eines einzigen altkirchenslawischen Verwandten – dies habe ich in Kluge („Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache“) gelesen – eine unbekannte Vergangenheit, hat also gewissermaßen kurze Beine.

Dies alles nur als erläuternder Hintergrund, um über eine persönliche Lüge zu erzählen: die Geschichte von Georges le Grèc. Nein, hier keine lästernde Geschichte über die Rolle Griechenlands in der EU. Wir schreiben das Jahr 1975. Ich bin ein junger Mann und lebe in einer kleinen Wohnung am siebten Stock eines Hauses an der Avenue Georges Bernanos in Paris gleich gegenüber vom Park de L’Observatoire, wo vor 200 Jahren Mme Guérin mit Victor dem jungenWilden von Aveyron, damals eine Art Weltsensation, spazieren ging.

Ich habe wenig Geld und brauche dringend Arbeit, sonst kann ich in Paris nicht viel länger bleiben. Bekannte empfehlen, dass ich mich mit einem gewissen Amerikaner (seinen Namen habe ich vergessen) kurzschließe. Er arbeite bei einer Organisation (welche habe ich vergessen)und wisse viel. Ich verabrede mich mit ihm. Er ist sympathisch, wirklich bestens vernetzt in Paris und sehr zuvorkommend. Weil ich aber keine Arbeitserlaubnis habe, sagt er, könne er mir leider nicht weiterhelfen. Er kenne allerdings einen gewissen Georges le Grèc. Vielleicht habe er eine Idee.

Ich bekomme die Telefonnummer des Georges le Grèc und rufe ihn an. Wir einigen uns, am Abend im Park de L’Observatoire – meine Idee – uns zu treffen.

Anders als zur Zeit von Victor ist dieser Park heute nur eine kleine grüne Insel mit ein paar Bänken und liegt schräg neben dem großen Jardin de Luxembourg.

Es ist Abend. Ich sitze auf einer Bank unter einer Laterne und warte. Nun tritt George le Grèc in Erscheinung. Er ist ein bulliger Mensch, nicht besonders groß, mit grauem Bürstenschnitt und Schnurbart, wirkt auf mich wie ein alter Matrose. Er reicht mir die pummelige Hand und setzt sich neben mich.

Wir reden eine gute Stunde. Er habe sehr wohl Arbeit für mich, tut er bald kund: Ich müsse mich auf einem Fest bei einer sehr wohlhabenden Amerikanerin einschmeicheln, mit Charmeoffensive weichmachen sozusagen, damit sie Geld „für die Revolution“ spende.

„Nein, das kann ich nicht. So einer bin ich nicht“, sage ich Georges le Grèc.“

„Mais oui“, erwidert er. „Das kannst du sehr wohl. Du bist jung, bist intelligent, charmant. Natürlich kannst du das.“

Während der nächsten Stunde wiederholen wir diese zwei Sätze in hundert Variationen. Nach und nach fängt es an zu nieseln, aber ich beharre darauf, weiterhin im Park trotz des Wetters zu sitzen. Georges aber wird zunehmend ungehalten: „Sag mal. Wohnst du vielleicht in der Nähe? Mir wird es hier allmählich zu ungemütlich.“

Ich will nicht lügen und sage: „Ja. Da drüben wohne ich.“ Ich zeige auf das Haus.

„Gehen wir dann zu dir.“

Genau das will ich aber nicht. Allein in meiner Wohnung mit diesem bulligen Gauner? Denn das war er ganz bestimmt.

Aber nun die Lüge: „Ja, das können wir“, sage ich. „Aber hör zu: Wir müssen bei mir sehr leise sein. Sehr leise, verstehst du. Ich habe nämlich einen Mitbewohner, und er schläft, weil er Nachtschicht arbeitet. Wehe, wenn wir ihn wecken, dann tobt er wie ein Wilder. Das möchtest du nicht erleben.“ Natürlich hatte ich keinen Mitbewohner.

Georges steigt mit mir in den 7. Stock hinauf. Bereits an der Tür halte ich den Finger an den Lippen, schhhh, und wispere: „Bitte sehr leise sein.“ Ich schaue sogar ins Schlafzimmer, wo mein Mitbewohner schläft und mache dann die Tür wieder zu. Schhhh.

Georges le Grèc gibt sich große Mühe, leise zu sein. Wir flüstern noch etwa fünf Minuten über die reiche Amerikanerin. Doch bald wird es ihm klar, dass ich ein hoffnungsloser Fall bin. „Ich gehe“, sagt er. „Ich habe noch einen Termin. Sag mal: Hast du vielleicht zehn Franc für mich?“

Ich gebe ihm hastig das Geld – heute etwa fünf Euro, und er geht.
Wäre etwas passiert, wenn ich damals nicht gelogen hätte? Das weiß ich natürlich nicht. Ich fühlte mich aber in Gefahr, und wenn man in Gefahr ist, tut man das, was man muss. Nein, hier kein Kommentar über eine verlogene Welt. Ich fand jedenfalls keine Arbeit in Paris und kam deshalb bald nach München, wo ich arbeiten durfte. Nur wegen dieses Umzugs gibt es heute diese Glosse zu lesen.

Von der Nacktheit

Nacktheit. Na bitte. Was ist ja passender bei den Hundetagen? Steigende Wärme hat schon immer den Entkleidungsdrang gefördert.

Nacktheit. Das bloße Wort hat die Macht, Neugier zu erwecken. Nacktheit stößt nur selten auf Gleichgültigkeit. Vielleicht weil viele meinen: Wenn die Hüllen fallen, da lande ich bald beim noch Wesentlicheren: beim Geheimnis der Sexualität.

Ich hingegen sinniere, wenn ich an die Nacktheit denke, lieber über die Schönheit,. Zum Beispiel Sonntag. Ich war mit Freund Fritz im Englischen Garten in München unterwegs. Temperaturen um die 35 Grad. Tausende Menschen mit reduzierter Körperdrapierung im Park unterwegs. Männlein und Weiblein.

„An einem so herrlichen Sommertag kann man die Vergänglichkeit der menschlichen Schönheit wirklich genießen“, sagte ich Fritz.

Er stimmte zu.

Ja Schönheit. Jungs und Mädchen surften, sprangen in den Eisbach, ließen sich willig von den Strömen wegtragen, oder tauchten sich in der Kühle, während sich andere wie lange Eidechsen auf dem Gras hinstreckten, in Badeanzügen oder in Spinnfädenstoffen angezogen. Die Unternehmungslustigen spielten Ball, Frisbee, Gitarre, trommelten pseudo-afrikanischen Rhythmen, aßen Eis.

Nein, ich will hier keine bloße Malerei betreiben. Das hätte Adolf Menzel an diesem Sonntag ohnehin noch besser gemacht als ich. Als ich durch den Englischen Garten flanierte, fiel mir jedenfalls die Nacktheit ein, denn ich wusste, dass die Münchner, jung und alt, vor zwanzig Jahren nackt auf einer bestimmten Wiese –„Nacktwiese“ genannt, lagen und sich völlig entblößt neben dem Eisbach genüsslich aalten.

„Weißt du, Fritz“, sagte ich, „Ich wette, dass man keine Nackten mehr auf der Nacktwiese findet.“

„Könnte sein“, antwortete er.

„Und weißt du, ich wette, dass sie von allein verschwunden sind, ohne irgendein Nacktheitsverbot.“

„Die Nacktheit ist einfach nicht mehr zeitgemäß“, konstatierte Fritz.
Wir hatten beide recht. Auf der Nacktwiese hatten sich Tausende versammelt, doch alle waren bekleidet. Nein, nicht alle. Ein einzelner Nackter stand plötzlich auf. Er war vielleicht 40, ein letzter Überbleibsel einer vergangenen Zeit.

„Aber warum meinst du, dass sie weg sind?“ fragte ich.

„Ganz klar“, sagte Fritz. „Um sich öffentlich die Kleider abzulegen, braucht man eine Zeit der Unschuld. Die unsere Zeit ist nicht mehr unschuldig. Alles wird vermarktet, erst recht die Nacktheit.“

Mir fällt das Thema Nacktheit heute auch aus einem anderen Grund ein. Auf vielen Fronten kann man sich gegenwärtig nicht mehr entblößen, will man nicht riskieren, in die Schusslinie zu geraten. Das gilt auch für Blogs. Beispiel: Seit drei Tagen wird die Internetseite namens Sprachbloggeur von Spammern heftigst angegriffen. Das merken Sie als Leser freilich nicht. Es läuft aber folgendermaßen ab: Die Spammer melden sich als neue Benutzer an, um Konten einzurichten, damit sie ihre giftigen Inhalte auf dieser Seite hinterlassen können. Das heißt: Sie möchten Werbung, Viren, Phishing-Fallen usw. bei mir deponieren und hoffen auf naive Kundschaft. Ich habe während der letzten Tage bereits 300 „Benutzerkonten“ restlos gelöscht. Ein lästiges Unterfangen, das außerdem den freien Zugang zu dieser Seite behindert. Keine Webseite kann es sich heute leisten, nackt dazustehen.

Die Spammer greifen ständig an, mal mehr mal weniger, aber wie hartnäckige Wespen beim Picknick. Die meisten meiner Spammer stammen momentan aus Russland, aus der Ukraine, Polen, Indien und China. Die einfachen Handlanger haben eigentlich nichts gegen mich. Nicht einmal meine Sprache verstehen sie. Es sind elende Menschen, die froh sind, überhaupt einen Arbeitsplatz zu haben.

Ihre Arbeitgeber hingegen sind keineswegs unschuldig. Sie sind Gangster und möchten gerne meine und Ihre Passwörter, Bankkontonummer usw. aufdecken, entblößen. Sie möchten uns nutzlose Medikamente, billige Sonnenbrillen und gefälschte Luxusuhren verkaufen.

Meine Spammer liefern, wie gesagt, den Beweis, dass dies kein Zeitalter für die Nacktheit ist. Googeln Sie unter Stichwort „nackt“. Sie werden verstehen, warum sich die Nacktheit ins Private zurückgezogen hat. Oder versuchen Sie es mit dem englischen Wort „naked“. Da ist alles noch viel schlimmer.

Warum Deutsch nicht Englisch ist

Gestern stieß ich in Spiegel Online auf folgende Überschrift: „Warum sich Seehofer an Merkels iPad stört.“

Ein einfacher Satz, den jeder Deutsche auf Anhieb versteht. Oder?

Keine Sorge. Hier stellt Ihnen der Sprachbloggeur keine Fangfrage.

Natürlich handelt es sich um einen Satz, der für jeden Deutschen ab drei Jahren sinnvoll klingt – und ist.

Für einen Englischsprechenden hingegen, der nur, sagen wir, Basiskenntnisse der deutschen Sprache hat, löst obiger Satz entweder Bewunderung oder Panik aus. Warum?

Weil die Wortstellung so weit von der des Englischen ist wie Grönland von Island entfernt ist.

Als ich noch Anfänger war, hätte ich als studierter Altphilologe wahrscheinlich gejauchzt: „Mein Gott! Es ist wie Lateinisch!“
Kein Witz. Am Anfang meiner Karriere als Migrationshintergründler, war ich überzeugt, dass die deutsche Sprache vieles gemeinsam hatte mit der Sprache der alten Römer. Vielleicht kennen Sie das Brecht-Lied:

Denn wie man sich bettet, so liegt man.
Es deckt einen da keiner zu.
Und wenn einer tritt, dann bin ich es,
wird einer getreten, dann bist’s du.

Mich beeindruckte insbesondere den zweiten Vers: „Es deckt einen da keiner zu“. Fast wie Latein, weil das Subjekt des Satzes, also „keiner“, dem Objekt des Satzes, „einen“, nachgestellt und als solches durch eine Kasusendung erkennbar gemacht wird. Ein solcher Satz wäre in meiner Muttersprache völlig unmöglich. Das Englische verlangt nämlich – fast immer – Subjekt, Verb, Objekt: „Keiner deckt zu einen da.“ (wir lassen das irritierende „es“ beiseite), „No one covers someone there“, weil im Englischen Kasusendungen die Ausnahme sind.

Und jetzt zurück zu der Frage, warum sich Seehofer an Merkels iPad stört.
Im Englischen ein undenkbarer Satz. Es geht schon mit dem „sich stören“ los. Reflexive Verben sind im Englischen selten und werden meistens durch das Passiv ausgedrückt. Ein „sich stören“ ist also kein „irritates himself“, sondern ein „is irritated by“. Dazu stört sich der Englischsprechende an der Nebensatzkonstruktion des Deutschen, wo das Verb ans Satzende gestellt wird. Lateinisch halt.

Subjekt, Verb, Objekt ist unser englisches Zuhause. Merkels iPad wird zum Subjekt, und Seehofer, der sich stört, zum Objekt. Etwa: „Why Merkel’s iPad bothers Seehofer“.

Doch jetzt drehen wir den Spieß um: Stellen Sie sich vor, dass Sie den englischsprachigen Satz „Why Merkel’s iPad bothers Seehofer“, ins Deutsche übersetzen müssten. Wäre Ihnen „Warum sich Seehofer an Merkels iPad stört“ spontan eingefallen? Oder hätten Sie diesen englischen Satz mit „Wieso Merkels iPad Seehofer irritiert?“ übersetzt?

Ich tippe auf Letzteres, und zwar deshalb, weil sich dieser englische Satz leicht im Deutschen nachbilden lässt. Wer „Warum sich Seehofer an Merkels iPad stört“ verfasst, braucht einen freien Kopf, der seine heimische deutsche Hirnverkabelung zum Vorschein treten lässt.

Nebenbei: Ich habe „Warum sich Seehofer an Merkels iPad stört“ bei Google-Translate eingegeben. Das Ergebnis: „Why bother to Merkel Seehofer iPad“, ein Nonsenssatz. Fazit: Google-Translate ist mit der echten deutschen Hirnverkabelung überfordert. Danach ließ ich Google „Why Merkel’s iPad bothers Seehofer“ ins deutsche übersetzen und siehe da: „Warum Merkels iPad stört Seehofer?“ erschien auf dem Monitor.

Endlich haben Sie den Beweis: Deutsch ist (allem Denglisch zum Trotz) nicht Englisch.

Junkmail ade – heute Praktisches beim Sprachbloggeur.

Mein Wortladen befindet sich zwar in einem obskuren Vorort jener bunten Megapolis namens WehWehWeh, er bietet seinen Kunden dennoch nicht nur tiefschlürfende Abstraktionen, dekorative Diskurse und diverse bunte Bonmots an. Wer sich die Mühe macht, auf sich den langen Weg hierher zu nehmen, findet auch mal Nützliches im Sortiment.

Deshalb heute einen hilfreichen Tipp, wie man den unermüdlichen Versendern unerwünschter Reklamesendungen, genannt: Junkmail, also Müllpost, ein Schnippchen schlagen kann.

Jawohl, Praktisches.

Notabene: Hier finden Sie leider keine Ratschläge, um Internetspam loszuwerden. Dagegen hilft nur die besser ausgerüsteten Kammerjäger vom BND, FBI usw.

Es geht hier lediglich um die altgediegene Müllpost, die manche Tage regelrecht aus dem Briefkasten überquillt.

Aber jetzt zu den Details:

Einer Müllsendung liegt, wie jeder weiß, beinahe ausnahmslos ein Rückkuvert bei, was nur logisch ist. Es wäre aberwitzig zu verlangen, dass der erhoffte „Kunde“ auch Porto bezahlt, um etwas zu bestellen, was er nicht unbedingt braucht oder will. Diesen einfachen Sachverhalt werden wir zunutze machen.

Ich, zum Beispiel, bekam jahrelang Angebote von diversen Zeitschriften. Ich weiß sogar, wie es dazu gekommen ist: Eine gewisse Zeitung, die ich abonniere, hat nämlich – völlig gegen meinen Willen – meine Adressendaten an diese Zeitschriften verkauft. Das weiß ich so genau, weil besagte Zeitung meine Adresse schon immer falsch buchstabiert hat. Und siehe da; Meine Adresse auf den Müllpostsendungen wird ebenso falsch buchstabiert.

Doch eines Tages kam ich auf folgende Idee: Was würde passieren, wenn ich das Rückkuvert benutzte, um es mit dem gesamten Inhalt des Werbungsbriefes – auch mit dem Außenkuvert selbst – zu füllen und einfach zurückschickte? Natürlich war es erst nötig, damit alles im Rückkuvert schön Platz bekäme, sämtliche Blätter, Mitgliedskarten aus Plastik usw. zu zerreißen oder zerkleinern. Nur das Blatt mit meiner Anschrift blieb heil, und darauf schrieb ich: „Keine Müllpost mehr!“ oder ähnliches. Manchmal legte ich auch ein paar Schnipsel aus meinem Papierkorb bei, um das Kuvert noch prahler, also schwerer, zu machen. Dann ab mit der Post. Immerhin „Porto bezahlt Empfänger“.

Und das ist der Clou: Das Porto kann unter Umständen bis zwei oder drei Euro kosten – insbesondere, wenn sich der Absender im Ausland befindet. Und siehe da! Nachdem ich dies ein paarmal gemacht hatte, erhielt ich keine Müllpost mehr. Zugegeben: Einmal bekam ich – als Rache nehme ich an – Müllpost, in der kein Rückkuvert beilag. Das war aber natürlich ein Eigentor und ist deshalb nur ein einziges Mal geschehen.

Doch stellen Sie sich vor, wie die Wirkung wäre, wenn Tausende oder gar Abertausende, ihre Müllpost so entledigen würden! Das käme dem Marketingbudget des Vermüllers teuer zu stehen. Man müsste eine Kosten-/Nutzenrechnung ganz neu erwägen, um festzustellen, ob es sich überhaupt noch lohnte, Bettelbriefe, betrügerische Angebote, Post von zwielichtigen Lotterieanstalten oder Zeitschriftenvermarktern usw. auf dem Postweg zu schicken.

Nur ein Gedanke. Dafür aber ein praktischer. Ihnen heute vom Sprachbloggeur aus seinem schnieken Laden in einem biederen Vorort des WehWehWehs kostenlos in Angebot.

„Pussy Riot“ als sprachwissenschaftliche Herausforderung

„Weißt du, worüber du in deinem Blog schreiben solltest?“ sagte mir Freund E. vor ein paar Tagen.

Achtung! Jetzt kommt wieder einer seiner Einfälle, habe ich gedacht und fragte diplomatisch: „Worüber?“

„Dass die Olympiade quasi Privateigentum einer machthungriger Clique ist und das schon immer. Wäre was für dich, oder?“

„Gute Idee. Ich denke darüber nach. Nur: Was hat das mit Sprache zu tun?“

„Aber bitte, deine Blogs sind längst von der Sprachthematik abgekommen.“

Freund E. hat nicht unrecht, was die Politik der Olympiade betrifft. Trotzdem war das Thema nicht mein Fall.

Als mir dann E. gestern vorschlug, über die „Pussy Riot“ zu schreiben, war ich ebenso wenig begeistert. „Aber schau: Es handelt sich glasklar um eine heimtückische Verquickung zwischen Putin und der Orthodoxen Kirche. Ist die Redefreiheit für dich kein Thema?“

Stunden vergehen. Ich hatte unser Gespräch beinahe vergessen, plötzlich geht mir wie aus heiterem Himmel folgender dummer Gedanke durch den Kopf: Welcher grammatikalische Artikel passte am besten zu „Pussy Riot“? Spontan entschied ich mich für „die“. Doch warum? Aus den üblichen willkürlichen Gründen, die vorherrschen, wenn die deutsche Sprache Fremdwörter willkommen heißt. Erstens: weil es sich um eine Band, also „die“ Band, handelt. Zweitens: weil „Riot“ eventuell mit „Randale“ zu übersetzen wäre. Drittens: weil es sich um drei junge Damen („die“ jungen Damen) handelt.

Inzwischen hatten sich meine Gedanken verselbstständigt, und ich erwischte mich bei der Überlegung, dass in den USA diese jungen Frauen mit dem Künstlernamen, „Pussy Riot“ nicht allzu weit auf dem Popchart hätten steigen können. Denn wörtlich übersetzt bedeutet „Pussy Riot“ „Möse-Krawall“, „Fotzenrandale“ oder ähnliches. Es gibt sogar Regionen, wo ein solcher Name bestimmt mit Landfriedensbruch geahndet worden wäre. Im Internet habe ich allerdings eine Gruppe mit dem Namen „Nashville Pussy“ aufgedeckt. Ich bin sicher, dass man sie nur in ausgewählten Clubs antrifft.

Hand aufs Herz: Könnte eine Girl-Group mit dem Namen „Möse-Krawall“ mit einem Auftritt beim Musikantenstadl oder „Deutschland sucht einen Superstar“ rechnen?

„Pussy“, eine Bezeichnung für die weiblichen Genitalien, zählt zu den derben Wörtern in der englischen Sprache. Hätte man – in der Zeit vor der „Pussy Riot“ – diese Vokabel gegoogelt, wäre man mit großer Wahrscheinlichkeit auf endlose Pornoseiten gestoßen. Heute muss man erst durch seitenlange Hinweise auf die russischen Girls durchblättern, bevor das andere in voller Wucht hervortritt.

Es gibt freilich noch Derberes auf Englisch mit dieser Bedeutung– etwa „cunt“, „snatch“, „crack“… „Pussy“ wirkt hingegen beinahe harmlos, ja lieblich. Das kommt daher, dass dieses Wort eine zweite, jugendfreie Bedeutung hat: Es dient nämlich als Kosewort für Katze – zu Deutsch etwa „Kätzchen“. Kein Mensch weiß übrigens, welcher Sinn den zeitlichen Vorrang hat. Wurden die weiblichen Genitalien nach dem weichen, lieblichen Kuscheltier genannt, oder war es umgekehrt? (Gleiche Frage musste man sich beim englischen „cock“ stellen, einem Wort, das sowohl „Hahn“ wie auch „Penis“ meint. Im Gegensatz zu „pussy“ vermittelt Letzteres jedoch nichts Liebliches).

Nebenbei: Das französische „chatte“, im Sinne von „Katze“ wird ebenfalls als Bezeichnung für die weibliche Intimsphäre verwendet.

Ich persönlich finde den Namen „Pussy Riot“ witzig. Er klingt kühn und sexy zugleich ohne schlüpfrig zu wirken. Ich bin überzeugt, dass auch viele Amerikaner – wenn sie nicht gerade zu den Fundamentalisten oder den argprüden zählen – ebenso wenig Anstoß daran nähmen wie ich.

Wie hieße die deutsche Entsprechung zu „pussy“? Hier muss ich leider eine gewisse persönliche Schwerhörigkeit eingestehen. Als Migrationshintergründler höre ich nämlich die Nebentöne im Wortschatz um die weiblichlichen Genitalien nicht immer klar heraus. Sicherlich wäre „Fotze“ hier falsch. Dieses Wort klingt – zumindest mir – viel zu vulgär. „Möse“ hätte, meiner Meinung nach, Chancen. „Scheide“ kommt mir hingegen zu klinisch vor. „Fut“ klingt ebenso vulgär wie „Fotze“. Ich bin überzeugt, dass es noch weitere Begriffe gibt, die ich einfach nicht kenne.

Ich jedenfalls wünsche der „Pussy Riot“ viel Erfolg beim Schauprozess. Freund E. hat mit Sicherheit recht: Putin und Kirche machen hier gemeinsame Sache. Doch gegen drei dreiste junge Frauen, die sich „Pussy Riot“ nennen, hat im Informationszeitalter kein Machthaber – meinem Gefühl nach – ernst zu nehmende Chancen gegen das Frivole zu siegen.

Vorhäute und Überraschungseier – ein Vergleich

Achtung! Achtung! Hier eine Reisewarnung:

Wer mit Überraschungseiern in die Vereinigten Staaten einreist, riskiert Kopf und Kragen.

Okay. Das habe ich etwas übertrieben ausgedrückt. Er riskiert jedenfalls ein saftiges Bußgeld und, wenn alle Striche reißen, kann es vorkommen, dass er tatsächlich hinter den sprichwörtlichen „schwedischen Gardinen“ landet. (Nebenbei: Kein Mensch weiß, warum Gefängnisgitter so heißen – vielleicht wurden sie einst in Schweden hergestellt).

Nein, ich erzähle hier keinen Witz. Überraschungseier – auf Englisch „kinder eggs“ – haben den gleichen Stellenwert in den USA wie Senfgas und Schweizermesser im carry-on-Gepäck. Der Import ist verboten. Warum ausgerechnet Überraschungseier? Weil kleine Kinder an der „Überraschung“ ersticken könnten. Das habe ich jedenfalls in einer Zeitung (oder im Internet) gelesen.

Spontan las ich „kinder“, als handele sich es um die Versteigerungsform von „kind“, also gütig. Gütiger Eier. Das war falsch.

Doch nun zum eigentlichen Thema: die Beschneidung. Über die Vorhaut des männlichen Glieds, Lateinisch „praeputium“, scheiden sich momentan die Geister.

Die Befürworter, hauptsächlich Muslime und Juden, argumentieren, dass ein Verbot dieser uralten religiösen Tradition einer außerordentlichen Beeinträchtigung ihrer religiösen Identität gleiche, was stimmt.

Die Gegner, hauptsächlich aufgeklärte Deutsche männlichen Geschlechts, halten diese Tradition für absurd. Auch das stimmt.

Mein Freund und Kollege Peter Ripota hat für Gegner eine sehr überzeugende Glosse zu diesem Thema verfasst (sie „Links“). Er weist – mitunter – daraufhin, dass dieser uralte Brauch aus einer dunklen Zeit stamme und habe wohl einst entweder als symbolisches Menschenopfer oder als Unterordnungsgeste betreffend einer Gottheit gegolten. Vielleicht hat er recht.

Meine Frau sieht die Sache allerdings ganz anders: Die Gegenden, wo die Beschneidung vorkomme, etwa Ägypten und der Nahe Osten seien wüstenartig. Wasser, so meine Frau, ist also dort Mangelware, was dazu veranlasst, dass Sand etwa bei der Notdurft als Reinigungsmittel verwendet wird. Es wäre auch möglich, dass auch die Beschneidung, mutmaßt meine Frau, lediglich als brauchbare Methode erfunden wurde, um die männliche Intimhygiene zu vereinfachen. Diesen Körperteil mit Sand zu reinigen, wäre alles anders als wünschenswert. Ich halte ihre Idee für plausibel.

Natürlich steckt viel unartikulierte Emotion in der Diskussion über die Beschneidung. Unbeschnittene Männer denken schnell an einen viel radikaleren Schnitt. Was verständlich ist. Eine vermurkste Beschneidung kann tatsächlich unangenehme Folgen haben. Dieses Problem kennt man auch bei Impfungen. „Herumschneidung“ halte ich übrigens für eine genauere Übersetzung des lateinischen „circumcisio“.

Die männliche Beschneidung mit der Verstümmelung von Mädchen zu vergleichen, wie sie in Teilen Afrikas praktiziert wird, ist freilich sehr an den Haaren herbeigezogen. Letzterer Eingriff hat nur den Zweck eine Frau fügig zu machen.

Dennoch prangern Gegner der männlichen Beschneidung diesen Brauch als grausam und schmerzhaft an. Manche munkeln sogar, dass das Empfindungsvermögen des männlichen Gliedes durch dieses Frisieren ziemlich abstumpft. Schreckliche Vorstellung.

Nun wird es persönlicher, liebe Leser. Erstens: Da ich selbst Beschnittener bin, halte ich diese Angst um die betäubte Liebesfähigkeit für eine Mär. Zweitens: Ich habe Beschneidungen mehrmals beigewohnt. Die Kinder, waren ca. acht Tage alt. Zwei Augenblicke werden während dieser Zeremonie schmerzhaft für den Knaben: 1.) die Lockerung der Vorhaut vom Eichel (eine Art Vorbereitung für die eigentliche „Herumschneidung“. Die Sache ist allerdings nach etwa einer halben Minute erledigt. Das Kind beruhigt sich wieder schnell. 2.) der Schnitt selbst, der etwa fünfzehn Minuten später folgt. Auch er ist schnell erledigt – innerhalb einer Minute.

Doch was sind das für Schmerzen? Fakt ist: Säuglinge sind nicht in der Lage, Schmerzen zu lokalisieren oder zu differenzieren. Daran hat mich meine Frau erinnert. Ob Bauchweh, Hunger oder Beschneidung werden Schmerzen von Säuglingen und Kleinkindern nicht unterschieden. (Fragen Sie Ihr zweijähriges Kind, wenn es Halsweh hat, wo genau es wehtut). Die zu beschneidenden Knaben beruhigen sich rasch nach dem Eingriff – und damit meine ich innerhalb einer Minute, schneller als bei Bauchweh. Es ist, als wäre nichts gewesen. Ich habe keine Erfahrungen mit der muslimischen Beschneidung gemacht. Ich gehe davon aus, dass den Kindern, weil älter, eine Lokalanästhesie verabreicht wird.

Ist das Verbot von Überraschungseiern in den USA nicht vielleicht zu radikal? Nicht weniger radikal wäre es, den kleinen Schnitt mit den großen Folgen zu kriminalisieren.

Frei zur Wahl: Sadomasochismus oder lingua latina

Schon seit Jahren bin ich nicht mehr ganz auf dem Laufenden. Als alle Zeitgenossen Krawatten wie dünne Stricke trugen, sah meine wie ein Brustpanzer aus. Als ich endlich im Besitz eines schlichten, schmalen Schlips war, waren die breiten wieder in Mode.

Das nur zur Einleitung. Und nun zum Fenster, um mich weit über den Abgrund hinauszulehnen. Denn heute möchte ich ein Buch empfehlen, das mich schon wieder zu einer Lachnummer machen könnte. Ich riskiere damit meinen Ruf als harmlosen Exzentriker noch mehr zu entwerten wie bisher – wenn das überhaupt möglich ist: Heute möchte ich nämlich über ein Buch in lateinischer Sprache ins Zucken geraten.

Sind Sie noch da, liebe Leser? Oder habe ich Sie mit meinem öden Geschwätz schon jetzt in die Hände der Konkurrenz vertrieben? Bei YouTube gibt es, so höre ich, ein tolles Video, das einen niedlichen kleinen Hund zeigt, der seine Notdurft in eine Teetasse verrichtet. Man weiß nie, wohin der nach Nervenkitzeln hungrige Surfer abdriftet, wenn der Geduldsfaden reißt.

Oder man (bzw. frau) klickt auf eine Seite, wo man/frau in den Genuss einer Leseprobe von „Shades of Grey“ kommt. Sie wissen schon (wahrscheinlich besser als ich): die neue Bücherreihe, über eine Frau, die einem respektlosen Halunken mit überdimensionalem Libido zuliebe vierzig Jahre Frauenbewegung über Bord wirft.

Nebenbei: Als ich auf die Idee kam, „Shades of Grey“ in dieser Glosse zu erwähnen, fiel mir der Name nicht ein. Was tat ich? Ich googelte folgende englischsprachige Begriffe: „sado-masochistic book“ und „bestseller“. Prompt leuchtete „Shades of Grey“ auf dem Bildschirm.

Wer braucht ein Gedächtnis, wenn man das Internet und einen funktionierenden Browser hat?

Aber jetzt zu meiner Empfehlung, die freilich nur denen gilt, die Lateinisch Kenntnisse haben bzw. auffrischen möchten. Oder vielleicht Sind Sie Elternteil eines Schülers bzw. einer Schülerin, der/die Latein auf dem Lernprogramm hat.

Ich selbst kam ganz zufällig zum besagten Buch. Meine Frau arbeitet nämlich bei einem Verlag und begutachtet beinahe täglich den dortigen „Grabbeltisch“, wo die Lektoren auf laufenden Band Bücher zur kostenlosen Mitnahme hinterlegen. Eine schöne Einrichtung. Für meine Frau ist der „Grabbeltisch“ (ich möchte fast „Krabbeltisch“ schreiben) zu einer Sucht geworden, was sich allerdings diesmal für mich als Glücksfall herausstellte.

Und jetzt komme ich zu „Diarium Rubeculi“ – zu Deutsch „Robinsons Tagebuch“, erschienen zweisprachig bei dtv.

Es handelt von einem Engländer namens Robinson (Rubeculus), der auf eine Schifffahrt nach Lateinamerika Schiffbruch (naufragium) erleidet. Er ist der einzige Überlebende. Das Wrack des Schiffes (fragmenta navis) liegt unmittelbar vor der Küste einer einsamen Insel. Der gerettete Matrose (nauta) kann also Vorräte vom Schiff holen, um sich auf der Insel gemütlich einzurichten. Außerdem hat er als Gesellschafter den Schiffshund, „Jacky“ (Jacco).

Der Witz ist: Da Robinson wusste, dass das Schiff Kurs auf Lateinamerika nehmen würde, hatte er vorsorglich ein lateinisches Wörterbuch mitgebracht, um sich mit dessen Hilfe mit den Lateinamerikanern besser zu verständigen. Nun führt er sein Tagebuch als einsamer Schiffsbrüchiger auf Lateinisch. Er möchte es den Lateinamerikanern, falls sie sein Tagebuch finden, leichter machen. Schöner Einfall, nicht wahr?

Ich werde hier Robinsons aufregende Abenteuer nicht verraten. Wer sie liest, wird diese selbst entdecken. Fest steht aber: Die Sprachebene des Lateinischen ist ziemlich einfach. Wer Basiskenntnisse hat, kann ziemlich fließend lesen. Ein Erfolgserlebnis ist also vorprogrammiert. Außerdem wird eine Übersetzung - gut für die kniffligen Stellen – mitgeliefert. Last but not least findet man auf den letzten Seiten ein Wörterverzeichnis.

„Shades of Grey“ wird längst mal Geschichte sein und die tollsten YouTube Videos werden wie alles Kurzlebige in Vergessenheit geraten. Die lateinische Sprache hingegen, Fundament der europäischen Kultur, bleibt uns lange als unentbehrliche Quelle erhalten. Hier eine nette Gelegenheit in die alte Sprache neu einzusteigen. P.J. Florum Vallis, Linguae Bloggorius.

Etwas Sexy über Higgs Boson

Hier der erste (zumindest mir) bekannte Witz über das Higgs-Boson-Gottesteilchen. (Schon davon gehört…oder?) Doch leider ist er auf Englisch. Noch schlimmer: Die Pointe ist nur verständlich, wenn Sie ein gewisses Wortspiel verstehen. Wahrscheinlich liege ich heute total daneben, einen obskuren Witz über ein noch obskureres Phänomen zu offrieren. Aber here goes:

Higgs Boson walks into a church. The priest says: “Blasphemer! Calling yourself the God particle! Get out of here!”

Higgs Boson replies: “Okay, but without me, you can’t have Mass.”

Haben Sie verstanden? Falls nicht, kann ich im folgenden ellenlangen Aufsatz den Witz und das Phänomen leicht verständlich machen.

Nein, wieder nur ein dummer Witz. Im Grunde verstehe ich selbst nicht, was Higgs Boson, sprich das „Gottespartikelchen“ sein soll – obwohl ich Zeitungen lese.

Mr. Higgs – Vorname Peter – hat offenbar schon vor fünfzig Jahren die Existenz des „Boson“ gemutmaßt. Boson? Genannt nach dem theoretischen Physiker Satyendranath Bose, sind Bosonen (Mz.) winzige Kraftteilchen, die Fermionen, also winzige Materie-Teilchlen, zu konkreten Dingen verwandeln. Alles klar? Natürlich nicht.

In der Zeitung hieß es – und ich glaube, man hat irgendeinen Physiker mit gewissen pädagogischen Fähigkeiten zitiert – : Ein Boson sei der „Zuckersyrup“ (Englisch „molasses“) dass die klitzekleinste Materie, die Fermionen, zusammenführt, um die Dinge des sichtbaren Universums zu formen.

Wieso wird diese Melasse ausgerechnet als „Gottesteilchen“ bezeichnet? Keine Ahnung. Außerdem würde ich die Bosonen lieber als eine Art Kitt verstehen und nicht als Melasse.

Egal. Als ich das erste Mal dem Wort „Boson“ in der Zeitung begegnet bin, konnte ich mir nichts darunter vorstellen. Ich habe sogar einen Tippfehler vermutet. Vielleicht wollten sie „Bison“ schreiben, dachte ich. Oder „bosom“, Englisch für „Busen“.

Beim Gedanken an „bosom“ überraschte mich die folgende Überlegung: Ein Glück, dass Higgs sein „Boson“ erst in den 1960er Jahren als Prinzip der Schöpfung ausgedacht hat und nicht in den 1950er Jahren. Denn in den 1950er Jahren wäre er mit einem solchen Namen auf erhebliche Schwierigkeiten gestoßen.

Tatsache ist: In den USA – und in England – in den 1950er Jahren herrschte eine Sittenstrenge wie wir sie heute in Qatar oder Saudi Arabien kennen. Manches war prinzipiell nicht erlaubt. Darunter gewisse Wörter. „Boson“ wäre bestimmt eins dieser Wörter gewesen. Denn es lässt zu sehr an „bosom“, also „Busen“ denken. Ein „Gottesteilchen“ als „Boson“ zu bezeichnen, hätte dazu führen können, dass manchen Leuten Witze über Brüste eingefallen wären. Damals ein großes „no-no“.

Ich erinnere mich, wie ich einmal als Kind das Wort „bosom“ als Bezeichnung für „Geborgenheit“ zu Ohren bekommen habe – und zwar in einer Redewendung aus dem 16. Jahrhundert, die besagte, einer sei „in the bosom of Abraham“. Damit meinte man „völlig beschützt“. Wir Kinder konnten uns aber bei diesem Gedanken kaum beherrschen und kicherten unaufhörlich los. Wir dachten natürlich an weibliche sekundärsexuelle Merkmale.

In den 1950er Jahren hätte niemand vom „Higgs Boson“ reden können, ohne dieses Missverständnis zu riskieren.

Ach wie weit bin ich vom englischen Witz abgedriftet, den ich oben erläutern wollte.

Falls Sie die Pointe von alleine nicht gelöst haben, hier die Erklärung: „Mass“ hat im Englischen zwei Bedeutungen. Es ist die Masse (also Materie) und die „Messe“, die in der Kirche gelesen wird.

Zum Umfallen lustig ist der Witz vielleicht nicht. Immerhin: Es handelt sich, so weit ich weiß, um den allerersten Witz über Higgs Boson – exklusive für Sie beim Sprachbloggeur.

Ende des Internets

Freund L. hat mir neulich Folgendes mitgeteilt: „Mach dir keine Sorgen um den Erhalt des Kulturguts der Gegenwart. Alles kann man digitalisieren. Alles: Bilder, Bücher, Notizen, Verträge, auch Gemälde. Ich verspreche: All diese Dateien sind so sicher, als wären sie in Stein gemeißelt.“

Er wollte mich beruhigen, nachdem ich die Befürchtung geäußert habe, dass künftige Generationen möglicherweise weniger über unser Zeitalter wissen werden als wir über das europäische 8. Jahrhundert.

Digitales Wissen gelte nämlich als gefährdet, weil nur kurzfristig speicherbar. So mein Argument. „Was passiert, zum Beispiel“, sagte ich, „wenn das Internet aus heiterem Himmel zusammenbricht? Dann ist aus mit der ‚Cloud‘. Die ‚Cloud‘ wird dann wie jede Wolke verdünsten. Paff! und alles ist weg.“

„Nein“, besänftigte L. „Das Tolle am Internet ist seine dezentralisierte Struktur. Auch wenn das Netz an vielen unterschiedlichen Orten zeitgleich kollabierte, bliebe der gesamte Inhalt irgendwo erhalten.“

„Und was ist, wenn das ‚Irgendwo‘ ausgerechnet China, Iran, Nordkorea oder Saudi Arabien wäre? Meinst du, die hätten großes Interesse, Kontroverses zu konservieren? Der Sprachbloggeur wäre im Nu Pfutsch. “

„Du machst dir unnötige Sorgen.“

Ja, das hat mir L. gesagt, und ich habe mich von ihm vorerst besänftigen lassen. So sehr, dass ich mir folgende Fantasie ausdachte:

Wir schreiben das Jahr 4012 n.Chr. Archäologen entdecken bei Ausgrabungen einen riesiegen unterirdischen Raum und stoßen auf tausende USB-Sticks – eine Art Digitalbliothek vielleicht. Natürlich haben die Archäologen USB-Sticks nie gesehen, wissen nicht, was die Dinge sind.

Rückblick: Mitte des 19. Jahrhunderts stießen Forscher während Ausgrabungen im Irak auf abertausende beschriebene Tontafeln, die zunächst nur Rätsel aufwarfen, obwohl man vermutete, es handele sich wohl um eine Schrift. Über die nächsten Jahrzehnte war es den Forschern dank einem unfassbaren Fleiß, diese Tafeln beinahe vollkommen zu entziffern. Schon 1915 hatten sie über eine Million Tafeln an verschiedenen Stätten im Irak und Syrien an den Tag gelegt und entkodiert.

Die Geschichte dieser Entzifferung ähnelte gewissermaßen der Lösung eines Sudoko-Rätsels. Trial and error, sozusagen. Und Logik. Henry Creswicke Rawlinson, einer der frühen Codeknacker behauptete Jahrzehnte später: „Ehrlich gesagt, weiß ich nicht mehr, wie wir das geschafft haben.“

Doch zurück zu meiner Fantasie aus dem Jahr 4012, als der Fund USB-Sticks entdeckt wird. Ich stelle mir vor, dass ein künftiger Rawlinson ebenso hartnäckig wie sein Vorgänger aus dem 19. Jahrhundert den Sinn dieser ulkigen Datenträger entlocken wird, um sich somit die Stimme unserer heutigen Zivilisation zu erschließen.

(Nebenbei: Wir wissen heute dank den Tontafeln mehr über das tägliche Leben der Babylonier und Assyrer als über die der Griechen und Römer. Denn gebrannter Ton vergeht nicht. Unter den zahllosen Keilschrifttexten der Akkader, Babylonier und Assyrer befinden sich zahllose Briefe, Gerichtsurteile, Geschäftsverträge, Schulbücher usw. Solche Texte sind aus Rom und Griechenland kaum erhalten geblieben).

„Tut mir Leid“, unterbrach Freund P., als ich ihm neulich von meiner Zukunftsfantasie erzählte: „Deine USB-Sticks, gesetzt den Fall, sie würden die Zeiten unbeschädigt überstehen, was ohnehin fraglich ist, bräuchten mehr als einen Rawlinson, um sich erschließen zu lassen. Hilfreicher wäre ein Wahrsager. Der alte Rawlinson musste schließlich ca. 200 Zeichen erfassen und kombinieren, um eine zum Teil bereits bekannte Sprache ins Leben zu rufen. Ein künftiger Rawlinson hätte eine ganz andere Aufgabe, gesetzt den Fall, die digitale Information noch lesbar wäre, was auch zweifelhaft ist.“

„Und was wäre diese Aufgabe?“

„Bei der Digitalisierung wird Information entweder als Null oder Einser gespeichert. Dein Rawlinson müsste also aus lauter Nullen und Einsern feststellen, ob er einen Text, ein Bild oder gar Musik vor sich hat. Eine undankbare Arbeit.“

„Aber das Internet. Es wird vielleicht nie kaputt gehen. Dann haben wir uns den ganzen Salat der Entkodierung gespart. Alles Wissen um die Codes würde praktisch ewig wahren.“

„Pustekuchen. Schon jetzt stehen wir wegen des hohen Stromverbrauchs des Netzes einem Energieinfarkt nahe.“

„Was schlägst Du denn vor.“

„Ganz einfach: Alles auf Tontafeln einritzen. Ein mehrfach bewahrtes System.“

Sieht Ihr Wortschatz alt aus?

Sprachforscher lieben meine Mutter. Wenn sie redet hört man manchmal Redewendungen, die so alt sind wie „Lonesome George“. Sie wissen schon: die Riesenschildkröte, letztes Exemplar seiner Unterart, die jüngst auf den Galápagos zum ewigen Laichplatz zurückgekehrt ist. Die Sprache meiner Mutter ist wirklich museumreif. Doch kein Wunder. Sie ist 95 Jahre alt. Würde ich ihren Namen und Telefonnummer verraten, so würden Scharen von Sprachwissenschaftlern Interesse zeigen, davon bin ich überzeugt, sie zu interviewen.

Wahrscheinlich würden sie sie aber kaum antreffen. Meine Mutter ist selten in ihrem Zimmer. Meistens spielt sie Karten und Bingo oder sie brettert durch die Weltgeschichte mit ihrer Freundin Vera – Vera allerdings am Steuer nicht meine Mutter.

Was sagt sie, das so besonders ist? Hier ein Beispiel. Sie erzählte mir einmal am Telefon, wie ihre Freundin Anni, ein Mensch, der unbedingt und zu jeder Zeit Mittelpunkt sein muss, einen Raum betrat: „She barged in [„hineinstürmte“] like Grant took Richmond.“

Haben Sie das verstanden? Sie ist sozusagen mit der Tür in den Raum gefallen, so forsch wie einst General Grant, als er Richmond einnahm – ein Hinweis auf eine berühmte Schlacht, am Ende des amerikanischen Bürgerkriegs, also im Jahr 1865. So was sagt kaum jemand mehr – außer meine Mutter.

Oder noch ein Beispiel: „I haven’t seen that film since Hector was a pup.” Das heißt: als Hector noch ein Welpen war, d.h., „seit ewig“. Sprachforscher sind uneinig über die Herkunft dieser Redewendung. Manche sehen darin einen Hinweis auf den Hektor des trojanischen Krieges. Anderen zufolge war „Hector“ in den 1920er Jahren in den USA ein sehr verbreiteter Hundename. Ich hingegen bilde mir ein, dass Hector ein Hund aus einer Komik in den 1920er Jahren war. Ich weiß aber nicht, ob das stimmt.

Oder: „Now you’re cooking with gas!“ Dieser heiterer Spruch stammt aus der Zeit, als in der Küche der Holzofen zum alten Eisen geworfen und vom Gasherd ersetzt wurde.

Und ein letztes Beispiel: „That’s the cat’s pajamas.“ Der Schlafanzug der Katze. So drückten junge Amerikaner der 1920er Jahre das aus, was junge Deutsche heute mit “voll geil” wiedergeben.

Warum über den alten Wortschatz meiner alten Mutter erzählen? Weil ich feststelle, dass auch mein Wortschatz – und an dieser Stelle denke ich lediglich an deutsche Vokabeln – allmählich alt wird.

Als ich 1975 in München eintraf, sagten junge Leute – zu denen auch ich zählte – „toll!“, wenn, sie sich über etwas freuten. Ich gebe zu: Dieses Wort ist auch heute lange nicht verschwunden. Aber wer drückt noch seine Begeisterung damit aus? Neulich habe ich in den Nachrichten die grüne Claudia Roth beim Ausführen eines arabischen Tanzes in Libya sehen können. Bestimmt hat sie nach dem Tänzchen „Toll!“ ausgerufen.

Der alter Otto – Jahrgang 1896 – , den ich nach meiner Ankunft in München kennenlernte, pflegte zu sagen, wenn er sein Staunen zum Ausdruck brachte: „Donnerwetter“. „Toll“ hingegen betrachtete er als schlichte Vulgarität.

Und die coolen jungen Leute, mit denen ich damals verkehrte, beschrieben einen Gesamtvorgang oft als „die ganze Chose“. Diese Bekannten meiner Jugend, wenn sie noch leben, sind immer noch von der ganzen Chose erpicht. Da bin ich sicher. Und wer jauchzt noch mit einem freudigen: „Affengeil!“? Ich tippe auf alternde Richter (zumindest während in ihrer Freizeit) und vergraute Lehrer.

Ca. 1983 entdeckte ich, dass junge Deutsche, d.h., Deutsche, die jünger waren als ich, über eine eigene, mir fremde Jugendsprache verfügten. :Die erste Vokabel, die ich aus dieser Jugendsprache bewusst vernahm, war „Ätzend!“ Ich nahm es mir schon damals vor, das Wort nie selbst zu verwenden. Mir kam es zu, zu…jugendlich vor.

So eine Haltung bezeichneten die Deutschen meiner Generation als „konsequent“.

ich meine: Man ist, was man sagt.

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