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Wissenswertes über den elektrischen Stuhl

Im August dieses Jahres wird der elektrische Stuhl 123 Jahre alt. Das ist zwar kein runder Geburtstag (Blattmacher, was ich ohnehin nicht bin, freuen sich auf runde Geburtstage, um leere Seiten zu füllen) aber ein schöner Zahl – weil man eins, zwei, drei zählt.

123 Jahre alt aber schon ein Auslaufmodel . Tja. Man denkt auch an die Analogfotografie, die Schreibmaschine, die eiserne Jungfrau – alles praktische Dinge mit Verfallsdatum. Aber jetzt ein bisschen Hintergrundgeschichte.

Ein junger New Yorker Elektriker namens Harold P. Brown bastelte an dem Urelektrischen Stuhl. Das war in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts. Die Idee, dass man mit Starkstrom töten könnte, hatte aber als erster ein Zahnarzt namens Alfred Southwick aus der Stadt Buffalo in New York. Ihm schwebte ein mit Strom betriebenes Tötungsinstrument vor (keinen Stuhl allerdings), das humaner töten würde als mit Strick oder Fallbeil.

Immerhin konnte dieser Vordenker mittels eines Starkstromgenerators, diverse Tiere mausetot machen. Von diesem Erfolg angeregt, wandte er sich 1887 mit seiner Idee an den damals berühmten Erfindergeist Thomas Edison. Edison war beeindruckt, unternahm aber nichts. Doch nun etwas Hintergrund zum Hintergrund:

1879 hatte Edison mit der Vermarktung seiner neuen Erfindung, der Glühbirne, angefangen. Er wollte mit seinen elektrischen Lampen ganze Städte beleuchten und viel Geld verdienen. Doch dazu brauchte er, um die Glühbirnen mit Strom einzuspeisen, Kraftwerke. Solche Kraftwerke gab es natürlich noch nicht. Also musste er selbst den Anfang machen und baute in einer Ecke Manhattans einen ersten Generator, genauer gesagt, einen Gleichstromgenerator. Der Wechselstrom war damals noch ziemlich unbekannt. Nur: Es stellte sich bald heraus, dass Gleichstrom für seinen Zweck ungeeignet war. Der Strom, der aus einem Gleichstromgenerator fließt, wird nämlich, je weiter vom Generator entfernt, zunehmend schwächer. Nun wollte es aber der Zufall, dass um diese Zeit ein Rivale Edisons, George Westinghouse, auf die Idee kam, einen Generator auf Basis des Wechselstroms zu bauen. Dieser beförderte Elektrizität viel effizienter als Gleichstrom.

Der Einfall des Rivalen erfreute Edison wenig. Denn er hatte bereits viel Geld in seine Gleichstromanlagen investiert. Er suchte also nach einer Möglichkeit, den Wechselstrom irgendwie zu diskreditieren.

Jetzt kommen wir auf Harold P. Brown, Erfinder des elektrischen Stuhls, zurück. Brown hatte sich wie Southwick vor ihm mit seiner Idee an Edison gewandt. Doch nun war Edison aufnahmefähig. Denn Brown behauptete, dass man einen elektrischen Stuhl besser auf Basis des Wechselstroms konstruieren sollte, weil dieser schneller tötete als der Gleichstrom. Ein Aha-Erlebnis. Edison lud nun eine Gruppe Journalisten zum Firmengelände in New Jersey, um ihnen das Töten mit Strom vorzuführen. Erst ließ er seine Testtiere, Hunde, Kälber und Pferde, mit Gleichstrom qualvoll sterben. Dann machte er das gleiche mit Wechselstrom und bewies, dass der Westinghouse’sche Wechselstrom viel schneller, sprich humaner“, tötete als sein Gleichstrom.

Szenenwechsel. Wir schreiben den 6. August 1890. An diesem Tag sollte der zu Tode verurteilte Axt-Mörder, der 30jährige William Kemmler, als erster Mensch auf einem elektrischen Stuhl sterben. 27 Zeugen nahmen Platz in einem Kellerraum im Auburn Gefängnis in New York. Herr Kemmler im schicken Anzug betrat den Raum, verbeugte sich vor dem Publikum, zog seine Jacke aus und setzte sich auf den Stuhl. Als man ihm die Lederriemen anlegte, sagte er hilfreich: „Etwas fester.“

Anschließend wurde ihm eine Ledermaske über das Gesicht gestülpt. Nur Augen und Mund waren sichtbar. Auf seinen Kopf setzte man ein nasser Schwamm, was den Strom besser leiten sollte.

„Goodbye, William“, sagt der Gefängnisdirektor.

„Goodbye, Mr. Durston“, sagte Kemmler. Der Strom wurde eingeschaltet. Der Körper des Mörders machte einen Ruck nach vorne. Die Augen quollen hervor, der Mund wurde zu einem makabren Grinsen, die Hände ballten sich zu Fäusten.

17 Sekunden später verkündete ein Arzt, „Er ist tot!“. Stimmte aber nicht. Plötzlich stöhnte Kemmler und holte verzweifelt Luft. Panisch jagte man Strom durch den Körper wieder. Funken flogen, und bald roch der Raum stark nach verbranntem Fleisch. Ein Zeuge übergab sich, ein anderer wurde ohnmächtig. Nach zwei Minuten war William Kemmler tot. In der Zeitung hieß es, auf den Punkt gebracht: „Kemmler gewestinghouset“.

Edison war mit dieser Demonstration höchst zufrieden. Für ihn bedeutete es den Sieg des Gleichstroms über den Wechselstrom als Mittel, Städte zu beleuchten. Doch sein Triumph wahrte, wie jeder weiß, nur kurz. Immerhin spielte er eine entscheidende Rolle bei der Einführung eines nagelneuen Tötungsinstruments…

Warum erzähle ich diese Geschichte? Hat sie, als erste Glosse des neuen Jahres, überhaupt etwas mit Sprache zu tun? Wahrscheinlich nicht. Nein, doch. Ohne Sprache wäre es nie möglich gewesen, Geschichten, alle Geschichten, in Worten zu fassen…

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