Endlich habe ich es schwarz auf weiß: Zweisprachige Menschen sind offenbar doch schlauer als diejenigen, die sich mit nur einer Sprache durchschlagen.
Ich will mich keineswegs mit dieser Nachricht brüsten. Im Gegenteil. Es stellt sich vielmehr heraus, dass das, was ich jahrelang als Nachteil betrachtet habe – nämlich das endlose (und mal vergebliche) Suchen nach Wörtern, das ständig Sich-in-einem-Satz-verheddern, weil ich zwischen Redewendungen in zwei Sprachen steckenbleibe – letztendlich nur Vorteile bringt.
Ich zitiere aus einem Artikel, den ich am 20. März in der „International Herald Tribune“ entdeckte. Der (die?) Autor(in), Yudhijit Bhattacharjee zitiert wiederum einen Forscher, Albert Costa, von der spanischen Pompea Fabra Universität: „Zweisprachige müssen häufig von der einen in die andere Sprache umschalten. Das fordert eine ständige Kontrolle der Veränderungen um sich, so in etwa wie wir unsere Umwelt überprüfen, wenn wir autofahren.“
Das heißt: Wir Zwei- oder Mehrsprachige sind – notgedrungen – kontinuierlich damit beschäftigt, die Welt zu analysieren und neuzuordnen.
Noch ein Vorteil dieser bisweilen anstrengenden Umschaltung sei offenbar eine reduzierte Anfälligkeit für Alzheimer und sonstige Demenzkrankheiten. Schön wäre es. Leider kenne ich genügend Mehrsprachige, die in geistige Umnachtung versunken sind. Aber egal.
Doch nicht wegen all dieser Vorteile bin ich zweisprachig geworden, sondern weil ich bereits als Kind bewusst nach der Entfremdung gesehnt habe. Achtung Psychologie-Interessierte! Hier gilt es genau hinzuhören. Der Sprachbloggeur wird heute leichtsinnig und enthüllt seine Geheimnisse.
Jawohl: Als Kind sehnte ich danach, eine Welt zu bewohnen, wo man eine Sprache sprach, die völlig anders war als das mir heimische Englisch (bzw. Amerikanisch). Ich stellte mir eine Sprache vor, bei der jedes Wort einen anderen Klang hatte als in meiner Muttersprache.
So betrachtet, war Deutschland nicht unbedingt die klügste Wahl, um diesen Wunschtraum zu erfüllen, zumal es in diesen beiden germanischen Sprachen, Englisch und Deutsch, so unglaublich viele etymologisch verwandte Wörter, gibt. Etwa: „bring“/ „bringen“, „see/ „sehen“, „head“/ „Kopf“ (nur ein dummer Witz) und ebenfalls so viele „false friends“. Sie wissen schon: „mist“ und „Mist“, „fiend“ und „Feind“, „eventual“, „eventuell“ usw. Das Denglische nicht zu vergessen. Besser wäre es gewesen, wenn ich mich ins Chinesische oder ins Ungarische eingetaucht hätte. Tja.
Ich weiß nicht, warum ich von dieser Sehnsucht nach der Fremde so besessen war. Die Antwort auf diese Frage überlasse ich gern den Hobbyanalytikern.
Ich träumte ebenfalls davon als Jugendliche, in der Fremdsprache zu schreiben. Ja, das Schreiben ist bei mir eine alte Sucht. Mit sechszehn hatte ich schon ein kurzes Theaterstück auf Französisch geschrieben – es war natürlich sehr existentialistisch oder absurdistisch formuliert. Warum in der Fremdsprache? Damals habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht. Heute schon.
Es war (und ist) mir wichtig – hören Sie genau zu, liebe Psychologen – es war (und ist) mir fast ein Leben lang ein Bedürfnis, mich durch das Schreiben als Fremden zu erleben. Somit gewinne ich die Perspektive eines Außenstehenden oder vielleicht besser, eines Entwurzelten. Denn ich war (und bin) überzeugt, dass ich als Außenseiter die Welt viel genauer beobachten und veranschaulichen konnte (kann). Das kann man meines Erachtens am besten in einer Fremdsprache! Und noch dazu: Wenn man in der Fremdsprache schreibt, verliebt man sich in die eigene Formulierungskunst nicht so leicht. Man schreibt also keine aufgetakelten Sätze – weil man das nicht kann! Man ist froh, wenn die Sätze wenigstens einigermaßen korrekt sind.
Alles klar? Mir nicht ganz. Denn im vorigen August geschah Sonderbares: Ich verspürte eines Tages ganz plötzlich den Drang Lyrik zu schreiben – und zwar in meiner Muttersprache. Ich sollte Ihnen vielleicht erklären, dass mir als Schriftsteller die Lyrik stets meine erste Liebe war, und ich habe Lyrik jahrelang geschrieben, d.h., bis 1986. Dann passierte es auf einmal, dass ich nicht mehr wollte. Mir kam die Lyrik sinnlos vor. Lyrik habe ich übrigens ausschließlich auf Englisch geschrieben. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, ein Gedicht auf Deutsch zu formen. Komisch. Nicht wahr?
Unerwartet hat es mich im August 2011 überwältigt, regelrecht umgehauen. Die Lyrik stieg aus mir hinauf wie das Magma aus dem Vulkan. Ein dringendes Bedürfnis, ein sehr befriedigendes Bedürfnis, möchte ich betonen.
Inzwischen weiß ich Folgendes: Dieser Schriftsteller will unbedingt in zwei Sprachen schreiben: weil jede Sprache andere Bedürfnisse erfüllt. Wenn ich Deutsch schreibe, bin ich der neugierige Außenseiter, der bemüht ist, die Welt von außerhalb zu umfassen. Wenn ich hingegen meine englischsprachige Lyrik schreibe, werde ich selbst zum Ausdruck dessen, was es zu umfassen gilt. Ende der Enthüllung.
Wissen Sie was ein flehmendes (nein, kein flämmendes) Pferd ist? Vielleicht wird es Sie trösten, falls Sie dieses Wort nicht kennen, dass mein Duden Universalwörterbuch und auch mein Grimm ebenso ratlos sind.
Nur im Großen Duden und natürlich im Internet bin ich fündig geworden.
Nicht nur Pferde, sondern Kamele, Hunde, Ziegen und vielleicht auch Menschen flehmen – allerdings nur die männlichen.
Aber zur Sache: Wenn Tier (oder Mensch) die Oberlippe nach oben zieht, um das Weibchen (bzw. Frau) präziser zu beriechen, dann flehmt es (bzw. er). Wenn der Hengst sie anflehmt, so weiß die Stute, dass er sein unmittelbares Interesse zeigt. So gesehen, ist das Flehmen ein wichtiges Signal bei der Paarung.
Ich bin erst am Wochenende auf dieses Wort gestoßen, als ich zufällig in einem Buch „Wie riecht Leben“ zu lesen begann. Bald hat mich die Lektüre gefesselt. Den Autor, Walter Kohl, hat ein ungewöhnliches und eigentlich schreckliches Schicksal ereilt: Bei einem Fahrradunfall ist er mit dem Gesicht gegen den Asphalt geknallt und hat sich dabei mehrere Schädel- und Gesichtsknochen zerschmettert. Das Resultat: Er ist seitdem nicht mehr in der Lage Gerüche wahrzunehmen.
Vielleicht denken Sie, dass hier „schreckliches Schicksal“ übertrieben klingt, um Kohls Unglück zu beschreiben. Dem Autor zufolge mit Sicherheit nicht. (Herr Kohl muss übrigens auch mit einem zweiten Schicksalsschlag fertigwerden: Er hat nämlich den gleichen Namen wie der Sohn des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Auch dieser Walter Kohl ist Schriftsteller. Man bringt die zwei Personen ganz leicht durcheinander, wenn man nicht aufpasst. Der Autor des „Wie riecht Leben“ ist jedenfalls Österreicher, sein Namensvetter Deutscher).
Doch wie riecht Leben? Wer riechen kann, so Herr Kohl, stellt sich diese Frage nie. Er kann sich jederzeit ans Flehmen machen und die unterschiedlichen Düfte und üblen Gerüche des Lebens zelebrieren.
Man ahnt nicht, wie sehr wir vom Riechen abhängig sind, so Kohl. Wer nicht riechen kann, weiß nicht, ob sein Hemd stinkt, ob die Wurst verdorben oder die Gasleitung leck ist. Durch Walter Kohl habe ich erfahren, wie sehr der Anbandelprozess von kaum wahrgenommenen Duftmolekülen abhängt. Man liebt also durch die Nase. Manche wollen aber können nicht, sagt der Autor, er kann aber seit dem Unfall will nicht.
Kohl drückt in diesem eloquent geschriebenen Buch ein sehr privates Leid aus. Um die Folgen seiner Behinderung zu veranschaulichen, fordert er die Riechenden dieser Welt heraus, ihm beizubringen, wie man einem Nichtriechenden Gerüche und Düfte erlebbar macht. Natürlich eine Fangfrage, so wie wenn man dem Blinden Farben beschreiben will.
Ich denke, dass diese schwierige Aufgabe nur mithilfe eines Parallelsystems möglich wäre: zum Beispiel Duftnoten als Farben zu beschreiben. So könnte man dann sagen: „Stellen Sie sich vor, dass rot, grün und orange - alle etwas aufgewärmt – durch Ihre Nase flössen. So riecht ein Sommertag auf der Wiese.“
Ich gebe zu. Der Vergleich hinkt gewaltig. Immerhin bietet er eine Art sinnliches Erlebnis.
Und dann sollte man die Phantomgerüche erwähnen. Die Nase bildet sich ein, dass sie etwas gerochen hat. Das ist wie die Phantomschmerzen der Beinamputierten. Phantomgerüche stinken übrigens.
Ja, schrecklich, wenn man nicht riechen kann, und trotzdem zählen wir Menschen nicht zu den Geschöpfen mit dem besten Riecher. Hunde und diverse Insekten sind uns diesbezüglich haushoch überlegen. Dafür – das habe ich neulich irgendwo gelesen – gelten wir als das Lebewesen mit dem ausgefeiltesten Geschmackssinn. Nur wir werden zu Feinschmeckern. Hund und Co. verschlingen ihren Fraß ohne ästhetischen Genuss. Der Geschmack interessiert sie gar nicht. Hauptsache die Menge stimmt.
Kein Trost für Herrn Kohl. Denn leider ist der feine Geschmackssinn eines Menschen völlig vom Geruchssinn abhängig. Ohne Nase kann die Zunge lediglich süß, sauer, bitter, und salzig unterscheiden. Wenn Herr Kohl Schokolade isst, weiß er nur, dass sie süß ist.
Walter Kohl hat recht. Ein Leben ohne Düfte bedeutet große Entbehrungen. Es handelt sich hier um einen Verlust, der weitgehend unbekannt und unterschätzt ist.
Der Autor behauptet übrigens, dass er seit seinem Unfall viel Leidenschaft und auch viel von seiner sprachlichen Fähigkeiten eingebüßt habe. Das nehme ich ihm allerdings nicht ab. Wenn Sie ein leidenschaftliches und sprachbewandertes Plädoyer für den Sinn des Geruchssinnes lesen möchten, dann bitte schön dieses Buch. Man lernt endlich bewusst zu flehmen und angeflehmt zu werden.
Wurm: O Herr, bitte nicht!
Vorstandsvorsitzender: Winden Sie sich nicht so, Wurm! Außerdem sitzt die Perücke falsch. Jetzt in die Stirn verschieben. Ein bisschen nach links, damit sie apart und frech aussieht.
Wurm: Die juckt mich aber.
Vorstandsvorsitzender: Wens juckt, der kratze sich. Seien Sie nicht so narrisch. Konzentrieren Sie sich. Es ist ohnehin nur ein kurzes Video. Und dazu braucht man keine teure Perücke. Also packen Sie die Gitarre, als würde es Ihnen Spaß machen zu singen.
Wurm: Ooooo.
Vorstandsvorsitzender: Was ist also jetzt?
Wurm: Nichts. Ich habe nur geübt.
Vorstandsvorsitzender: Es heißt aber nicht „Ooooo“ sondern Eiiii, und zwar achtmal infolge.
Wurm: Eiii eiii eiii eiii eiii!
Vorstandsvorsitzender: Das waren nur fünfmal. Mit Gefühl, verdammt noch mal. Mit Gefühl. Denken Sie daran, dass unsere Zukunft, besser gesagt, Ihre Zukunft, von diesem Moment abhängt. Und nicht vergessen, schön flott singen: „Me plus you, I’ma tell you one time“. Und zwar zweimal. Stets heiter! Also one, two three:
Wurm: Eiiiiii! Mi plass ju, eima tell ju wann teim. O Herr, muss das sein?
Vorstandsvorsitzender: Jammern Sie nicht so elend daher. Außerdem klingt Ihr Englisch erbärmlich. Haben Sie mir nicht versprochen, Sie würden den Text auswendig und perfekt lernen? Das ganze war ohnehin Ihre Idee.
Wurm: Meine Idee?
Vorstandsvorsitzender: Jawohl. Haben Sie das schon vergessen? Setzt bei Ihnen wohl die Altersdemenz ein? Sie waren es, der mir endlos vom Erfolg diesen Justin Bieber vorgeschwärmt haben. „So jemanden bräuchten wir, um den Umsatz ein bisschen in die Höhe zu zwicken.“ Das haben Sie gesagt. Ich zitiere wörtlich.
Wurm: Aber ich habe es anders gemeint.
Vorstandsvorsitzender: Wie dann anders? Dass er für uns Texte schreibt? Das ist ein Knabe, war nie auf der Journalistenschule. Nur Mädchen, Mütterchen und Päderasten stehen auf ihn. Denken Sie daran: Wir möchten mit Ihrem Auftritt ein ganz anderes Publikum becircen.
Wurm: Aber warum muss ich dieses dämliche Kostüm anziehen? Ich bin schon 55 Jahre alt.
Vorstandsvorsitzender: Was? Schon so alt? Wir müssen bald an die Frührente denken, mein lieber Wurm. Allmählich glaube ich, Sie haben aufgehört, kreativ mitzudenken. Wozu bezahle ich Sie denn? Wir sind Medientiere. Wer nicht untergehen will, der darf das Querdenken nicht verlernen.
Wurm: Habe ich Ihnen aber nicht die Idee gegeben, alle Journalisten zu kündigen und nur die alten, recycleten Texte zu drucken?
Vorstandsvorsitzender: Ja, das war ja vielleicht keine so schlechte Idee. Allerdings nicht ganz durchdacht. Leider. Und nun werden wir von allen Seiten wegen Verletzung der Urheberrechte verklagt – obwohl wir unsere Autoren damals dazu zwangen, Knebelverträge, in denen sie ihre Urheberrechte abtraten, zu unterschreiben. Sie lassen einfach nach, Wurm. Ich bin aber gnädig. Das wissen Sie. Deshalb bekommen Sie heute Ihre letzte Chance. Wir werden den Song in YouTube uploaden. Wird er zum Hit, dann sind Sie gerettet. Sonst…
Wurm: Eiii eiii eiii eiii eiii eiii eiii eiii!
Vorstandsvorsitzender: Sehr schön. Diesmal haben Sie’s mit Gefühl gesungen. Wer braucht so einen Justin Bieber? Man hat lediglich das Geschäftsmodell nötig, mein lieber Wurm.
Heute möchte ich ein Exempel statuieren. Nein, falsch. Ich möchte die Probe aufs Exempel machen. Nein auch das nicht.
Heute möchte ich Intimes preisgeben.
Als ehrgeiziger Fremdsprachler war ich schon immer bestrebt, Ihre deutsche Muttersprache so zu beherrschen, dass meine Identität als Ausländer (zumindest in der Schriftsprache) akzentfrei erscheint. Als Messlatte für die Realisierung dieses ersehnten Zustands hatte ich zwei coole Redewendungen „Exempel statuieren“ und „die Probe aufs Exempel machen“, ausgewählt. Wenn ich in der Lage bin, diese unauffällig in einem Satz unterzubringen, habe ich‘s mir jedenfalls eingebildet, so als würde ich einfach „der Kaffee ist kalt“ oder „keiner mag Ungeziefer“ über die Lippen bringen, dann wüsste ich: Ich bin so weit.
Und es fällt auf, wie behände ich mit Ihrer Sprache umgehe – fast wie der Töpfer mit dem nassen Ton. Oder? Nein, im Gegenteil. Inzwischen weiß ich, dass mein Ziel in weiter Ferne liegt. Mir ist nämlich klar: Für manche Vokabeln dieser deutschen Sprache habe ich nach wie vor ein taubes Ohr. Damit meine ich: Es gibt gewisse Wörter, deren Sinn meiner Aufnahmefähigkeit entgehen. Es schmerzt mir sehr, dies eingestehen zu müssen.
Hier möchte ich Ihnen manche der schlimmsten aus meinem privaten Wörtergiftschrank vorstellen.
Zum Beispiel: „indes“ und „indessen“. Ich wäre so froh, wenn ich dieses konträre Zwillingspaar selbstbewusst und unzögerlich in meine Sätze einbauen könnte. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe „indes“ schon öfters in Sätzen geschrieben. (An „indessen“ wage ich mich gar selten heran!) Machen Sie selbst die Probe aufs Exempel: Googeln Sie die Stichworte „Sprachbloggeur“ und „indes“. Sie werden mehrere Beispiele meines Wagemutes entdecken. Trotzdem fühle ich mich jedesmal unwohl dabei.
Noch schlimmer ist indes jene schreckliche Vokabel „nachgerade“. Mit Verlaub: Wann haben Sie, liebe Muttersprachler, zum letzten Mal „nachgerade“ in einem eigenen Satz verwendet? Ich persönlich habe eine richtige Phobie gegen dieses Wort. Und ich habe seinen Sinn, so sehr ich mich bemüht habe, noch nie einprägen können. Wenn ich einen fremden Satz , in dem es vorkommt, lese, muss ich es jedesmal im Wörterbuch nachschlagen. Wenn ich es selbst in einem Satz verwenden würde, käme ich mir wie ein Hochstapler vor.
Das Problem ist berechtigt. Denn „nachgerade“ hat – so Duden – zwei Bedeutungen: 1.) „nach und nach“ 2.) geradezu. Wie kann ein einziges Hilfswort zwei so unterschiedliche Bedeutungen haben?! Gleiches gilt übrigens für „indes“/“indessen“. Diese zickige Zweisamkeit drückt sowohl eine Gleichzeitigkeit wie auch eine gewisse Gegensätzlichkeit aus. Alles klar? Wie soll ein sprachgeschundener Migrationshintergründler wie ich so etwas jemals kapieren?
Und noch ein Beispiel aus dem Giftkabinett. Hier geht es um den scheußlichsten Begriff in der deutschen Sprache überhaupt: „gleichsam“. Ein tückisches Wort. Denn Jahre lang habe ich mir eingebildet, ich verstehe dessen Sinn. Für mich war es schon immer die niedliche Kusine von „gleichfalls“ oder „ebenfalls“. Ha! Heute sehe ich mich genötigt, dieses Scheißwort jedesmal nachzuschlagen. Ich merke es mir so gut wie n i e.
Denn dieses Wort bedeutet zeitgleich „sozusagen“ und „gewissermaßen“. Wie ist das möglich? Mein Hirn streikt indes, wenn ich versuche diese Frage zu beantworten. Deshalb habe ich noch nie versucht, das Wort in einen Satz einzubauen. Ja und bitte schön: Wann haben Sie es zum letzten Mal benutzt? Hmm?
Sie sehen. Heute habe ich mich nachgerade aus dem Fenster gelehnt. Indessen habe ich gleichsam meine schöne Maske der Souveränität fallen lassen. Ist doch okay. Es tut manchmal gut, Verschämtes zuzugeben. Wie soll man sonst in der Lage sein, ein Exempel zu statuieren?
Zeit wieder, dass der Schriftsteller aus dem beruflichen Nähkästchen plaudert.
Mir wurde neulich mitgeteilt, dass die Fehlerquote meiner Glossen in letzter Zeit merklich zugenommen hat. Das ist verständlich, zumal mein Sprachguru Ernst-Theo Rohnert im Dezember mit beinahe 97 Jahren gestorben ist. Wöchentlich hatte er mir Änderungsvorschläge und Fehlerkorrektur gemailt.
Fast jeder Schriftsteller braucht jemanden, der für ihn Korrektur liest. Denn der Buchstabencode ist eine ideale Brutstätte für Fehler. Aus Wörtern kann schnell Buchstabensalat werden. Dennoch sollte man das Problem nicht überwerten. Im Internet kursieren schlaue Botschaften über die Rechtschreibung. Wahrscheinlich kennen Sie sie schon. Da heißt es, dass man beim Lesen Fehler oft übersieht, vroasugeseztt der ertse und der lettze Buhcsatbe koerrkt geshcribeen snid. Es stimmt auch.
Zugegeben: Meine Patzer sind mit denen eines Muttersprachlers nicht immer zu vergleichen. Das liegt daran, dass man eine Zweitsprache anders einprägt als eine Erstsprache. Für manches bleibt das fremde Ohr verständlicherweise schwerhörig. Deshalb gebrauche ich bisweilen die falsche Artikelform, oder bin unsicher, ob ich „meiden“ oder „vermeiden“, „reichen“ oder „langen“, „weigern“ oder „verweigern“ verwenden soll. Manche Fehler teile ich allerdings gemeinsam mit Muttersprachlern – etwa den falschen Gebrauch des Plusquamperfekts und des Konjunktivs. Schuld daran ist aber mitunter die Evolution der Schriftsprache.
Es kann schon mal frustrierend sein, mit der eigenen Fehlleistungen schwarz auf weiß konfrontiert zu werden. „O my God“, denke ich, „schon wieder ein Fehler. Meine Leser werden mich nie ernst nehmen. Ich verfluche den Tag, an dem ich mich entschloss, in dieser Scheißsprache zu schreiben“ usw.
Keine Angst, liebe Leser. Ich habe hier nicht vor, Sie mit irgendeiner drögen Larmoyanz zu behelligen. Zumal ich inzwischen neue Erkenntnisse zum Thema Schreibfehler gewonnen habe. Ich bin nämlich dabei, mein Buchmanuskript zu bearbeiten und stelle zu meiner Überraschung fest, dass meine Patzer für die meisten Leser wohl belanglos sind.
Es handelt sich um mein Sachbuch „Kaspar Hausers Geschwister“, das 2003 zum ersten Mal erschien und Ende dieses Jahres bei dtv neu, ergänzt und völlig überarbeitet in Druck geht.
Ich erinnere mich noch an den Schock, als ich 2003 entdeckte, dass das Buch vor Fehlern nur wimmelte. Ich war entsetzt und reichte dem Verlag bei jeder neuen Auflage Verbesserungen ein. Als das Buch 2005 als Taschenbuch erscheinen sollte, händigte ich der Lektorin zwanzig Seiten mit Korrektur, die meine treue Vorlektorin Alina mühevoll angefertigt hatte. Somit wollten wir die Sünden von 2003 aus der Welt schaffen.
Leider landete Alinas Liste wohl im Papierkorb. Denn die Taschenbuchausgabe war genauso fehlerhaft wie das gebundene Buch. Doch nun schreiben wir das Jahr 2012. Alina hat sich wieder die Mühe gemacht, mir eine neue Korrekturliste zu erstellen. Ich trage die Verbesserungen diesmal selbst in das Manuskript ein.
Damit will ich sagen: Dieses Buch ist seit neun Jahren auf dem Markt und reichlich fehlerhaft. Für „erklomm“ steht, zum Beispiel, „erklimmte“, für „Nüsse knacken“ „Nüsse schälen“. Natürlich findet man auch jede Menge Artikelfehler. Wie kann das sein? Ganz einfach, weil die Verlage seit Jahren auf Sparkurs sind. Sie überlassen dem Autor die Korrektur. Oder sie verlassen sich auf primitive Korrekturprogramme.
Trotz alledem wurde dieses Buch fast immer positiv besprochen. Kein einziges Mal las ich in einer Rezension einen Hinweis auf die Schlampigkeit des Textes. Im Gegenteil. Ein Rezensent bezeichnete das Werk als „elegante Wissenschaftsprosa“. Na, was Sagen Sie dazu?
Mir fehlt Ernst-Theo sehr. Ab jetzt lernen Sie den Sprachbloggeur aber ungeschminkt kennen – mit allen Pickeln und Narben also. Um die Perfektion bemüht, stehe ich künftig unbedingt zu meinen Fehlern.
In Saudi Arabien wird der/die Delinquent/in in einem fensterlosen Mannschaftswagen zum öffentlichen Hinrichtungsort gefahren. Er/sie steigt aus, setzt sich, umringt von Schaulustigen, auf die Knie und streckt den Kopf hin. Nun schwingt der Henker den Säbel beherzt gegen den entblößten Nacken des Opfers. Nur: Er schafft es nicht immer mit einem Stoß den Kopf vom Rumpf zu trennen. Er hackt dann gleich ein zweites Mal ein und, wenn nötig, ein drittes, bis der Kopf auf den Asphalt fliegt wie ein ziellos gekickter Fußball.
So könnte es für Hamsa Kaschgari enden. Der 23jährige Saudi Journalist und Tweeter hat den Fehler gemacht, seinen gewissenhaften Zweifel an seiner Religion in drei Tweets deutlich formuliert zu haben. Entsetzen in seiner Heimat, doch es war zu spät für einen Rückzieher. Hamsa flüchtete nach Malaysia, wurde schnell verhaftet und nach Saudi Arabien ausgeliefert, wo er möglicherweise wegen Blasphemie vor einem Gericht verantworten muss.
Den Wortlaut seiner Tweets brauche ich hier nicht zu wiedergeben. Man findet ihn schnell im Internet. Hamsas Gedanken kamen mir, ehrlich gesagt, recht hilflos und harmlos vor. Es genügt daran zu erinnern, dass eine ähnliche Ehrlichkeit in früheren Jahrhunderten auch in Europa bisweilen als Kapitalverbrechen geahndet worden wäre.
An Glaubensprinzipien (an Prinzipien schlechthin) zu zweifeln war schon immer ein Zeichen, dass ein Mensch in der Lage ist, selbstständig zu denken. Allem voran ist der intelligente Zweifel eines jungen Menschen eine lobenswürdige Eigenschaft. Kaschgari ist nun mal jung, unausgegoren und hat das Bedürfnis die Dinge seiner (Um)Welt in Frage zu stellen. Man sollte das begrüßen, und man wünscht ihm einen weisen Richter.
Fall zwei: Wolfgang Haberhauffe war ein wilder Junge und lebte im Ort Kropp in Schleswig als Mündel des dortigen Pfarrers. Er war, so wurde mir erzählt, ein liebenswürdiger Lausbub. Sein Pech: Er wurde 1923 geboren, und seine Streiche rief Polizei und Gestapo auf den Plan. 1942 wurde er – nach mehreren Abmahnungen – nach Auschwitz geschickt – nicht aus religiösen Gründen, offiziell galt er als protestantisch. (Fakt ist: Er war „Halbjude“, das wusste die Gestapo allerdings nicht). Er kam also ins Stammlager (nicht also ins Vernichtungslager) als deutscher Sträfling und lebte – und wahrscheinlich arbeitete – im Block 20, dem Krankenbau. Dennoch kein Zuckerlecken. Die meisten „Kranken“ verließen das Krankenhaus sowieso nur als Leichen. Auschwitzer Effizienz halt. Der liebenswürdige Lausbub bekam sicherlich nach kurzer Zeit eine Überdosis Realität.
Am vergangenen Samstag erhielt ich Fotokopien seiner Briefe an seinen Vormund in Kropp. Es waren kurze Mitteilungen, je zwei Seiten à jeweils 15 Zeilen. Die Zeilen waren sogar vorgezeichnet. Mehr durfte man nicht schreiben, weil sich die Zensur Arbeit ersparen wollte. Man durfte ohnehin nur wenig verraten. Es gehe ihm „soweit gut“ schrieb er immer, und stets richtete er herzliche Grüße an seinen Vormund, dessen Familie und an seine Schwester aus. Er dankte auch für die Pakete, die er aus Kropp regelmäßig empfang (erlaubt waren Sendungen bis 10kg), und er bat jedesmal um neue Vorräte: „Salz, möglichst 1 kg Süsstoff, Pfeffer, Kümmel, Senf, Zwiebel, Schalotten, Knoblauch, die kleinen Maggiwürfel, Rettig, Meerrettig, Schwarzwurzeln und wenn es möglich ist vielleicht eine Fischkonserve, Brathering oder Fisch in Gelee.“
Leider half ihm diese Lebensmittel nicht in seinem Kampf ums Überleben. Wolf starb am 30. Dezember 1943, wahrscheinlich am Fleckfieber, das damals im Krankenbau grassierte. Anfang 1944 wurden seine persönlichen Sachen nach Kropp zurückgeschickt. Sein Vormund stellte fest, dass der tote Mündel den Gürtel wohl immer enger zugeschnallt hatte, soviel hatte er abgenommen.
Fall drei: New Jersey, wo 2010 für den 18jährigen Tyler Clementi ein neuer Lebensabschnitt begann. Der schüchterne dafür aber talentierte Geiger wurde Student an der Rutgers Universität. Im Studentenwohnheim wurde ihm ein Zimmer mit einem ihm unbekannten Gleichaltrigen, Dharun Ravi, zugeteilt. Dharun war neugierig zu wissen, mit wem er wohnen würde und googelte deshalb eifrig und akribisch. Dann der Hammer: Er erfuhr, dass Tyler schwul war. Schnell teilte er sämtlichen Freunden und Bekannten diese aufregende Nachricht mit.
Eine verständliche Aufregung, wenn man bedenkt, es handelt sich um ein behütetes Söhnchen mit wenig Erfahrung in der Welt. Das Alter liebt geradezu Turbulenzen. Klar, dass Dharun darüber witzelte mit seinen Freunden, ob Tyler versuchen würde, ihn heimlich in der Nacht zu verführen usw.
Die zwei wohnten bald zusammen und blieben einander ziemlich fremd. Dann passierte es: Der junge Homosexuelle, noch nicht ganz sicher im Umgang mit seiner Identität, wollte eines Nachts sein Bett mit einem Gleichgesinnten teilen. Dharun war aushäusig, wusste nur, dass Tyler „Besuch“ erwartete. Zum Spaß entschloss er sich, mit der Webcam seines Rechners die Intimitäten zu bezeugen. Die nächsten Tage wurden die Bilder überall herumgereicht. Auch auf Twitter berichtete er darüber.
Der schüchterne Tyler reagierte mit Entsetzen. Genauer gesagt: Er überreagierte und verfiel einen fatalen Kurzschluss. Er sprang vom George Washington Bridge herunter und starb.
Drei Geschichten. Vier schreckliche Schicksale. Zufällig habe ich von diesen Geschichten beinahe gleichzeitig erfahren. Junge Männer haben schon immer gefährlich oder zumindest dramatisch gelebt. Das Alter verlangt es. Für Kriege waren sie deshalb fast immer zu haben. Tja. Sonst habe ich nichts Kluges zum Thema hinzuzufügen.
In eigener Sache: Ich werde hier bis Anfang März pausieren. Bin auf geheimer Mission in Sache Kommunikation.
Habe ich Ihnen von meinem Huhn erzählt?
Es war ein kluges Huhn, ein sehr kluges Huhn, und wir – das heißt ich und meine Freunde – haben ihm sogar das Apportieren beigebracht. Man sollte freilich nicht erwarten, dass ein Huhn große Dinge im Schnabel tragen kann – also keine Bälle, keine Stöcke. Mein Huhn vermochte dennoch Zahnstöckerl und Plastikperlen zu apportieren. Man musste ihm bloß sagen: „Komm, Hänni“, so hieß mein Huhn, „bring die Perle, bring das Zahnstöckerl“ usw. und prompt erfüllte es das Kommando.
Hänni hat auch noch viel mehr verstanden. Sehr viel mehr. Wenn man mit ihr sprach, bewegte sie den Kopf ungelenk auf Hühnerart und schaute einen intensiv ins Gesicht. Einmal sagte ich ihr: „Ich kann meinen Handschuh nirgends finden. Hmm. Wo könnte er sein?“
Auf der Stelle flitzte Hänni in den nächsten Raum hinein, blieb irgendwo stehen und gackerte beherzt. Neben ihr war der gesuchte Handschuh.
Manchmal trug ich Hänni Gedichte vor – von allen deutschen Lyrikern schien ihr am besten Stefan George zu gefallen. Fragen Sie mich bitte nicht, warum. Wenn ich mit dem Aufsagen fertig war, blickte mich Hänni mit großen Hühneraugen an und gackerte. Gelegentlich flatterte sie mit den Flügeln und gackerte zugleich, als würde sie selbst ein Gedicht aufsagen.
Sie fragen sich vielleicht, wie das möglich sei, dass ein Huhn ein Gedicht vorträgt? Es ist nicht anders, als wenn ein Kleinkind spricht. Sagt das Kind „Nana“ statt „Mama“, ist das nie mit Absicht. Es ist überzeugt, dass es „Mama“ artikuliert hat. Es stößt lediglich an die Grenzen seiner physiologischen Möglichkeiten. Der Kopf weiß, was er will, die Zunge ist aber – noch – nicht fähig, dies auszuführen. Ähnlich ergeht es einem Huhn, das Stefan George vortragen will.
Ich gebe zu: Hänni war, was Hühner betrifft, kein nullachtfünfzehn-Federvieh. Die meisten ihrer Artgenossen interessieren sich nicht für die Lyrik. Doch auch ein so intelligentes Huhn wie Hänni, stößt bald an seine Grenzen. Es spricht nur das aus, was ihm körperlich machbar ist. Es will „Uns zuckt die hand im aufgescharrten chore/ Der leichenschändung frische Trümmer streifend“ sprechen, kann aber, weil es schließlich ein Huhn mit hartem Schnabel ist, lediglich „Gak Gak Gik-ka Gak“ oder so artikulieren.
Glauben Sie aber ja nicht, dass so etwas Hänni frustriert hätte. Im Gegenteil. Sie war stets überzeugt, dass sie „Uns zuckt die hand im usw.“ vorgesagt hatte – so wie ein Kleinkind überzeugt ist, dass es „Mama“ sagt, wenn es in Wirklichkeit eindeutig „Nana“ artikuliert.
Kinder aber schaffen es irgendwann, zwischen „Nana“ und „Mama“ zu unterscheiden. Deshalb tun wir ihnen, wenn wir sie nachmachen und selbst „Nana“ nachplappern, keinen Gefallen. Babysprache ist letztendlich disrespektierlich, weil sie einem Kleinkind ein falsches Signal vermittelt.
Wenn Eltern mit ihren Kindern Babysprache reden, dann nur um durch die Verniedlichung der Sprache ihre eigene Überlegenheit zu betonen.
Hühner schaffen es freilich nie übers Gegacker hinaus, die Menschensprache nachzumachen. Dennoch wäre es falsch, ein Huhn, das Stefan George vorträgt, mit „Gak Gak Gik-ka Gak“ zu antworten.
Der gleiche Vorgang gilt übrigens für die Literatur. Jede Kultur kann nur das in Worten ausdrücken, was ihr Wortschatz und ihr Bewusstsein erlauben. Seit mehreren Wochen lese ich ein sehr spannendes Buch über dieses Thema: „Mimesis“ von Erich Auerbach. Auerbach hat in diesem 1942-1945 geschriebenen Werk einen Streifzug durch die westliche Literatur von Homer bis ins 20. Jahrhundert verfasst, und veranschaulicht, wie jede Kultur nur das in Worten ausdrücken kann, was die Zeit, die Mentalität und der jeweilige Zustand der Sprache erlaubt. Dante als Dichter war, Auerbach zufolge, erst am Anfang des 13. Jahrhundert möglich, Gregor von Tours als Zeitzeuge nur im 6. Jahrhundert.
Immerhin: Die Schränke, die ein Zeitalter und Standort auf die menschliche Kommunikation setzen, sind zu jeder Zeit ausdehnbar. Sprache und Kultur sind folglich ständig in Bewegung – mal im Sog einer Veredelung, mal in der Dekadenz begriffen.
Hühner hingegen stoßen recht schnell an ihre Grenzen, was für Hänni übrigens fatal war. Eines Tages haben wir sie gepackt und ihr den Hals umgedreht. Sie hat natürlich lautstark gegackert, um zu protestieren. Wir haben aber leider nicht verstanden. Noch schlimmer: Wir hatten sie mit einem anderen Huhn verwechselt. Schließlich sehen für uns Menschen nun mal alle Hühner gleich aus. Es war jedenfalls das Aus für Hänni.
Wenn ich hier trotzdem zugebe, dass sie gut geschmeckt hat, meine ich dies wirklich nicht pietätlos. Bitte PETA nicht weiter sagen.
„Hallo Steve! Wie geht es dir im Jenseits?“
„Jenseits!? So nennst du diesen verfluchten Ort? Ich denke eher, ich befinde mich im Abseits. Hier ist es so öde wie in einem Entwicklungsland. Träge sind die Leute und viel zu genügsam. Außerdem scheint hier keiner meinen Namen zu kennen.“
„Das tut mir leid. Ich wollte auch fragen, ob du schon Neues erfunden hast?“
„Na klar! Irgendwie muss man die Zeit totschlagen? Erst neulich habe ich mir ein tolles Ding ausgedacht. Ich nenne es ‚iGeist‘. Hübscher Name, oder?“
„Darunter kann ich mir nichts vorstellen.“
„Was ist da nicht zu verstehen? Der Name sagt schon alles. Du denkst viel zu eng – wie die Engel. Ha! Deshalb heißen die wahrscheinlich Engel! Weil sie nicht aus ihrem Gedankenrahmen hinaus können.“
„Vielleicht kannst du mir aber den ‚iGeist‘ ein bisschen erläutern.“
„Nur so viel werde ich verraten: Es wird das Jenseits revolutionieren. Mit dem ‚iGeist‘ wird jeder mit jedem jederzeit in Verbindung sein können. Und das Tolle daran: Hier kann man Dinge mit der eigenen Vorstellungskraft erzeugen. Das heißt: Ich, ich allein, könnte Millionen ‚iGeister‘ aus der eigenen Fantasie herstellen und verkaufen..“
„Das klingt sehr ambitioniert. Doch wie wirst du deinen ‚iGeist‘ vermarkten können?“
„Aua. Nun hast du den Finger in die Wunde gesteckt. Ich gebe zu: Das ist in der Tat das große Problem. Und ich fürchte, ich müsse, um es zu lösen, zunächst etwas ganz anders erfinden.“
„Nämlich?“
„Das Geld! Die Idioten haben keine Ahnung vom Geld. Und wenn sie einmal Bescheid gewusst haben, können sie sich nicht mehr daran erinnern. Demenzkrank sind sie da alle.“
„Ich verstehe nicht. Wie wirst du das Geld ins Jenseits einführen? Das Geld existiert nur da, wo man Bedarf hat. Gibt es etwas, was die Leute kaufen würden?“
„Aber natürlich, Dummkopf! Kaum bin ich hierher angekommen, stellte ich fest, dass hier viele an einem schlechten Gewissen leiden – wegen Dinge, die sie in deiner Welt falsch gemacht haben und die sie noch erheblich plagen.“
„Du leidest aber nicht?“
„Wieso ich?“
„Was hat ein schlechtes Gewissen mit Geld zu tun?“
„Ich sehe schon, für dich wäre kein Platz in meinem Unternehmen. Du hast ja ganz offenkundig keine funktionierende Fantasie. Hör zu, Herr Sprachbloggeur: Hier darf ich mittels meiner Vorstellungskraft so viel Geld drucken – sprich erfinden – , wie mir lustig ist. Ich meine Scheine, dicke Scheine – Dollar, Yen, Euro, Rubel – ist egal.“
„Ich verstehe nicht, wie du deine Scheine an den Mann bringen willst.“
„Hör mal zu…Ich brauche den Leuten nur zu erklären, dass diese Scheine auch das ärgste schlechte Gewissen lindern werden. Dann verteile ich das Geld – nota bene kostenlos – an alle, die es haben wollen.“
„Aber was hast du davon?“
„Zuerst gar nichts. Aber dann fange ich mit der Herstellung vom ‚iGeist‘ an und behaupte, dass der ‚iGeist‘ noch wirksamer gegen ein schlechtes Gewissen wirkt als die Scheine. Wer einen ‚iGeist‘ haben will, brauche mir dann soundso viele Scheine zurückzugeben. Verstehst du endlich? Dann werde ich reich. Genial, nicht wahr?“
„Ja, wirklich genial. Aber bist du in der Lage so viele ‚iGeister‘ selbst herzustellen?“
„Aber klar. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.“
„Trotzdem wäre das viel Arbeit?“
„Stimmt auch, und dazu ist meine Fantasie wirklich zu kostbar. Doch schon habe ich die Lösung gefunden. Ich brauche nur einen Geschäftspartner in China zu finden, und bald gibt es ‚iGeister‘ ohne Ende. Was sagst du dazu? Einmal Visionär, immer Visionär, nicht wahr?“
Ein Glück, dass Sie diese Zeilen im Internet lesen. Wenn ich Ihnen diesen Beitrag per Post geschickt hätte, wäre es gut möglich, dass Sie ihn nie hätte lesen können.
Worum geht es?
Gestern bekam ich mit der Post eine „Erinnerung“ vom Finanzamt: ob ich vergessen hätte, hieß es, meine Steuererklärung abzugeben. Ich war entsetzt. Natürlich hatte ich meine Steuererklärung abgegeben. Ich rief sofort beim Finanzamt an und erklärte einer sehr sympathischen Dame, dass ich meine Steuererklärung in der Zeit zwischen Weihnachten und Silvester bereits abgeschickt hätte, dass sie offensichtlich auf dem Postweg verlorengegangen sei.
„Wie verbleiben wir?“ wollte ich wissen. Das wusste sie nicht so ganz genau und meinte, ich sollte mich mit meinem Steuerberater in Verbindung setzen, um einen Rat zu holen. Das machte ich natürlich umgehend.
Heute werde ich vom Steuerberater eine Zweitschrift meiner Steuererklärung bekommen.
Ende gut, alles gut also? Nein, ich bin noch immer entsetzt. Ich habe eine Beschwerde bei der Post-Webseite abgeschickt und fragte, wie es die Post schaffe, eine Sendung von München Schwabing nach München Maxvorstadt zu verschlampen.
Wer sich in München geographisch nicht auskennt, sollte Folgendes wissen: Diese Entfernung kann man zu Fuß in etwa zehn Minuten zurücklegen.
Dann rief ich A. an und schimpfte über die Post. „Typisch“, sagte sie mir. „Stell dir vor: Letzte Woche hat ein Bekannter meines Schwiegersohns eine Bewerbung – mit Originalzeugnissen, verstehst du – an der Post per Einschreiben t abgeschickt. Die Sendung ist nie angekommen. Und: Die Post ist nicht in der Lage, den Einschreibebrief zu finden! Stell dir vor! Schlimm. Schlimm.“
„Anfang des Endes!“ sagte ich.
Dann telefonierte ich mit Robert, um wieder Dampf zu lassen.
„Halb so schlimm“, sagte er. „Immerhin: Du bekommst vom Steuerberater eine Zweitschrift.“
„Anfang des Endes“, sagte ich. „Sparmaßnahmen hin, Sparmaßnahmen her. Alles geht den Bach runter. Sauladen-Post.“
„Wieso bist du so sicher, dass die Post schuld ist?“ fragte er. „Ich habe mal einen Artikel gelesen, dass auch beim Finanzamt alles Mögliche verloren geht, weil man nicht mehr in der Lage ist, Eingänge richtig zu sortieren und zu befördern. Das geht so seit Jahren, aber die Situation wird natürlich überall vertuscht.“
„Du meinst, dass meine Steuererklärung irgendwo am Finanzamt rumgeistert und nicht bei der Post durch die Ritzen gefallen ist oder von einem faulen Briefträger in den Müll geworfen oder an die falsche Adresse zugestellt wurde? Mein Steuerberater meinte, ich soll einen Nachforschungsantrag stellen.“
„Kannst du machen, wenn du willst, und ich würde meine Hand nicht ins Feuer legen, dass die Schuld bei der Post liegt. Aber egal, wer verantwortlich ist. Du kriegst deine Steuererklärung eh nie wieder. Ein Wunder, dass Deutschland überall auf der Welt den Ruf noch hat, bestens organisiert zu sein. Nur ein Märchen, das noch immer überzeugt und ‚Standort Deutschland‘ so begehrt macht. Jeder möchte es gerne glauben.. In Wirklichkeit aber funktioniert Deutschland nicht besser als Italien oder Griechenland. Es fällt nur noch nicht auf. Und ohnehin will keiner es so genau wissen. Wenn man das realisiert, kann man wirklich vom Anfang des Endes reden. Wenn du Glück hast, wirst du bald keine Steuer zahlen müssen.“
Immerhin haben wir das Internet als Informationsträger, liebe Leser. Und da funktioniert alles noch immer wie am Schnürchen. Heute habe ich, zum Beispiel, eine Mail erhalten. Ein(e) gewisse(r) Analia Papini wollte mich informieren, dass er/sie ein Programm habe, das in der Lage ist, mich über meine Webcam auszuspionieren. Man habe Bilder, die mich nackt vor meinem Rechner zeigen. Ich brauche nur auf einen beiliegenden Link nach Kasachstan oder Russland zu klicken, um sie zu sehen.
Ich freue mich auf meinen neuen Trojaner.
Nein, hier nichts über das „Unwort“ des Jahres. Reden wir lieber über den Weltuntergang (Sie wissen schon: Maya-Kalender usw.). Ich habe nun den Beweis, dass er doch im Gange ist. Nicht wegen der Turbulenzen auf dem Finanzmarkt, nicht weil die Iraner drohen, die Straße von Hormus dicht zu machen, nicht weil Al Kaida momentan eine Stadt im Jemen belagert, nicht weil China große Probleme mit dem Grundwasser und der Arbeitslosigkeit hat, nicht weil Kim Jong Il gestorben ist, nicht weil in den USA Wahlen bevorstehen. Und erst recht nicht, weil dieses Jahr ein Schaltjahr ist, Herr Wulff zusehends in eine Zwangslage gerät und die „NSU“ Deutschland säubern wollte.
Sondern wegen der Pinguine.
Meine schlimmsten Befürchtungen wurden bestätigt, als ich vor etlichen Tagen in der „International Herald Tribune“ einen Artikel über den Maya-Kalender las.
Am 21. Dezember 2012 geht, wie jeder weiß, ein 5125 Jahre Zyklus zu Ende – zumindest nach den Berechnungen der Maya. Was dann passieren könnte, hat Reporter Eric Pfanner detailliert ausgemalt. Zum Beispiel: Die Erde könnte urplötzlich von einem schwarzen Loch verschluckt werden. Das wäre besonders schlecht für Terroristen, Ideologen und Fernsehanstalten. Die Teilnehmer der „Ich bin ein Star, hol mir hier raus“-Sendung etwa würden wohl nie mehr rauskommen. Eine Katastrophe.
Es müsse aber nicht unbedingt ein schwarzes Loch sein. Reporter Pfanner mutmaßt, dass wir auch mit Außerirdischen rechnen müssten, die unseren hübschen blauen Planeten mit exotischer Waffengewalt in die Knie zwingen könnten. Alles Leben – zumindest menschliches Leben – wäre dann schnell „Geschichte“ (wie manʼs auf Neudeutsch sagt).
Das dritte Szenario: Die Magnetpole könnten urplötzlich umschlagen. Das heißt: Der Norden wäre ab sofort der Süden und umgekehrt. Die Folgen wären verheerend.
Und jetzt komme ich wieder auf die Pinguine: Pfanner gibt ein konkretes Beispiel für die Wirkung einer solchen Umpolung: Die Pinguine würden völlig verwirrt werden.
Ich ahne, dass Eric Pfanner mit diesem konkreten Beispiel zeigen will, dass er mehr weiß als er uns verrät.
Schon von Buddy und Pedro gehört?
Es sind zwei Pinguine im Toronto Tierpark in Kanada, die neulich aus dem Toledo Tierpark (gemeint ist wohl Toledo, Ohio in den USA) nach Kanada umgesiedelt wurden. Sie scheinen nach gängiger Meinung sehr ineinander verliebt zu sein. Sie gehen, zum Beispiel, immer gemeinsam baden, haben sogar ein eigenes Nest für den Nachwuchs gebaut. Alles sehr niedlich, wenn nicht für die Tatsache, dass es sich um zwei männliche Tiere handelt: homosexuelle Pinguine also. Wohl der Grund, warum sie in einem US-Tierpark nicht mehr zu dulden waren. Manche Witzbolde scherzen schon über den „Brokeback Eisberg“.
Buddy ist 21 Jahre alt, Pedro erst 10. Keine unbekannte Alterskonstellation für gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Es heißt allerdings, dass Buddy einst Frau und Kinder hatte und dass die Frau leider gestorben sei. Nun schnäbelt er jedenfalls mit seinem Toyboy-Pedro.
Die Zoo-Direktion hat eigene Pläne für diese gefiederten Urninge. Sie möchte das Federviehduo jäh trennen, um es dann mit weiblichen Tieren zu verkuppeln. Es heißt nämlich, dass B. und P. zu einer seltenen Pinguinenart gehören, wo Fortpflanzung dringend vonnöten sei. Ich meine: Ein Glück für das Pärchen, dass es in Toronto und nicht in Saudi Arabien zu Hause ist. Dort wären die türtelnden Tiere längst ein Kopf kleiner geworden. Oder im Iran, wo Homosexuelle gnadenlos aufgeknüpft werden. In Toronto übt man zwar „tough love“, wie es dort heißt, verschleiert die Maßnahme immerhin in der Sprache der Arterhaltung.
Aber zurück zum Weltuntergang: Welchen Bezug haben Buddy und Pedro zum Maya Kalender?
Falls Sie es nicht schon erraten haben, hier meine Vermutung: Diese Pinguine sind mit Sicherheit das klare Vorzeichen für die zu erwartender Umpolung am 21. Dezember, die die Pinguine und dann die ganze Welt so verwirren wird. Das klingt ja sinnvoll…oder?
Doch warten wir’s ab, und achten Sie darauf, wie das mit Buddy und Pedro weiter geht. Nächste Woche werde ich mich direkt an Eric Pfanner wenden, um mich zu erkundigen, ob er vielleicht in Kontakt mit den verborgenen Maya Hohepriestern stehe, die sicherlich Bescheid wissen.
Übrigens: Nicht „Döner-Morde“, sondern „Weltuntergang“ ist das Unwort des Jahres.
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