Nacktheit. Na bitte. Was ist ja passender bei den Hundetagen? Steigende Wärme hat schon immer den Entkleidungsdrang gefördert.
Nacktheit. Das bloße Wort hat die Macht, Neugier zu erwecken. Nacktheit stößt nur selten auf Gleichgültigkeit. Vielleicht weil viele meinen: Wenn die Hüllen fallen, da lande ich bald beim noch Wesentlicheren: beim Geheimnis der Sexualität.
Ich hingegen sinniere, wenn ich an die Nacktheit denke, lieber über die Schönheit,. Zum Beispiel Sonntag. Ich war mit Freund Fritz im Englischen Garten in München unterwegs. Temperaturen um die 35 Grad. Tausende Menschen mit reduzierter Körperdrapierung im Park unterwegs. Männlein und Weiblein.
„An einem so herrlichen Sommertag kann man die Vergänglichkeit der menschlichen Schönheit wirklich genießen“, sagte ich Fritz.
Er stimmte zu.
Ja Schönheit. Jungs und Mädchen surften, sprangen in den Eisbach, ließen sich willig von den Strömen wegtragen, oder tauchten sich in der Kühle, während sich andere wie lange Eidechsen auf dem Gras hinstreckten, in Badeanzügen oder in Spinnfädenstoffen angezogen. Die Unternehmungslustigen spielten Ball, Frisbee, Gitarre, trommelten pseudo-afrikanischen Rhythmen, aßen Eis.
Nein, ich will hier keine bloße Malerei betreiben. Das hätte Adolf Menzel an diesem Sonntag ohnehin noch besser gemacht als ich. Als ich durch den Englischen Garten flanierte, fiel mir jedenfalls die Nacktheit ein, denn ich wusste, dass die Münchner, jung und alt, vor zwanzig Jahren nackt auf einer bestimmten Wiese –„Nacktwiese“ genannt, lagen und sich völlig entblößt neben dem Eisbach genüsslich aalten.
„Weißt du, Fritz“, sagte ich, „Ich wette, dass man keine Nackten mehr auf der Nacktwiese findet.“
„Könnte sein“, antwortete er.
„Und weißt du, ich wette, dass sie von allein verschwunden sind, ohne irgendein Nacktheitsverbot.“
„Die Nacktheit ist einfach nicht mehr zeitgemäß“, konstatierte Fritz.
Wir hatten beide recht. Auf der Nacktwiese hatten sich Tausende versammelt, doch alle waren bekleidet. Nein, nicht alle. Ein einzelner Nackter stand plötzlich auf. Er war vielleicht 40, ein letzter Überbleibsel einer vergangenen Zeit.
„Aber warum meinst du, dass sie weg sind?“ fragte ich.
„Ganz klar“, sagte Fritz. „Um sich öffentlich die Kleider abzulegen, braucht man eine Zeit der Unschuld. Die unsere Zeit ist nicht mehr unschuldig. Alles wird vermarktet, erst recht die Nacktheit.“
Mir fällt das Thema Nacktheit heute auch aus einem anderen Grund ein. Auf vielen Fronten kann man sich gegenwärtig nicht mehr entblößen, will man nicht riskieren, in die Schusslinie zu geraten. Das gilt auch für Blogs. Beispiel: Seit drei Tagen wird die Internetseite namens Sprachbloggeur von Spammern heftigst angegriffen. Das merken Sie als Leser freilich nicht. Es läuft aber folgendermaßen ab: Die Spammer melden sich als neue Benutzer an, um Konten einzurichten, damit sie ihre giftigen Inhalte auf dieser Seite hinterlassen können. Das heißt: Sie möchten Werbung, Viren, Phishing-Fallen usw. bei mir deponieren und hoffen auf naive Kundschaft. Ich habe während der letzten Tage bereits 300 „Benutzerkonten“ restlos gelöscht. Ein lästiges Unterfangen, das außerdem den freien Zugang zu dieser Seite behindert. Keine Webseite kann es sich heute leisten, nackt dazustehen.
Die Spammer greifen ständig an, mal mehr mal weniger, aber wie hartnäckige Wespen beim Picknick. Die meisten meiner Spammer stammen momentan aus Russland, aus der Ukraine, Polen, Indien und China. Die einfachen Handlanger haben eigentlich nichts gegen mich. Nicht einmal meine Sprache verstehen sie. Es sind elende Menschen, die froh sind, überhaupt einen Arbeitsplatz zu haben.
Ihre Arbeitgeber hingegen sind keineswegs unschuldig. Sie sind Gangster und möchten gerne meine und Ihre Passwörter, Bankkontonummer usw. aufdecken, entblößen. Sie möchten uns nutzlose Medikamente, billige Sonnenbrillen und gefälschte Luxusuhren verkaufen.
Meine Spammer liefern, wie gesagt, den Beweis, dass dies kein Zeitalter für die Nacktheit ist. Googeln Sie unter Stichwort „nackt“. Sie werden verstehen, warum sich die Nacktheit ins Private zurückgezogen hat. Oder versuchen Sie es mit dem englischen Wort „naked“. Da ist alles noch viel schlimmer.
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